Atome im starken Laserfeld - Max-Born

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Ingolf V. Hertel und Claus-Peter Schulz
Freie Universität Berlin und Max-Born-Institut Berlin-Adlershof
Atome im starken Laserfelder
Leicht angepasster Auszug aus Atome, Moleküle
und optische Physik, Band 1
31. Oktober 2010
1:14 h mitteleuropäische Sommerzeit
Springer
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Inhaltsverzeichnis
1
Atome in elektrischen Feldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 Atome im elektrischen Feldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1.2 Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1.3 Atome im statischen, elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . .
1.1.4 Grundüberlegung zur Störungsrechnung . . . . . . . . . . . . .
1.2 Atome im starken Laserfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.1 Ponderomotorisches Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.2 Keldysh Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.3 Multiphotonenionisation (MPI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.4 Von MPI zu Sättigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.5 Tunnelionisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.6 Rückstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.7 Erzeugung höherer Harmonischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.8 Above Threshold” Ionisation in starken Laserfeldern . .
”
1
1
1
2
3
4
4
5
7
7
9
10
12
14
16
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1
Atome in elektrischen Feldern
1.1 Atome im elektrischen Feldern
1.1.1 Vorbemerkungen
Die Aufspaltung der Energieterme im statischen elektrischen Feld, der sogenannte Stark-Effekt, entdeckt von Johannes Stark 1913 (Nobel-Preis 1919),
spielte in der traditionellen Spektroskopie nur eine begrenzte Rolle, da leicht
erzeugbare statische elektrische Felder typischerweise klein sind im Vergleich zu den inneratomaren elektrischen Feldern. Letztere sind von der
Größenordnung
Ze0
V
Eatom =
(1.1)
= 5.14 × 1011 × Z
4π0 a20
m
Also liegt selbst die Durchbruchfeldstärke in Luft mit etwa 10 kV / cm = 1 ×
106 V / m weit unter dem für deutliche Effekte benötigten Feld.
Tabelle 1.1. Typische elektrische Feldstärken
Beispiel
in einer Stromleitung
|E| in V m−1
10−2
nahe einem geladenen Plastikkamm
103
Oberfläche eines Kopierers/Druckers
105
Durchschlagfeldstärke in Luft
106
im H-Atom auf Bohr’scher Bahn
5 × 1011
höchste Kurzpulslaserfelder I = 1020 W cm−2
3 × 1013
Oberfläche eines Urankerns
3 × 1022
2
1 Atome in elektrischen Feldern
1.1.2 Bedeutung
Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, warum wir uns mit diesem Thema
sehr gründlich beschäftigen müssen:
1. Elektrische Felder spielen eine zentrale Rolle beim Aufbau der Materie:
sei es im Kristallgitter, sei es bei der Molekülbildung – und haben dabei
eine Größenordnung wie in (1.1) abgeschätzt. Das Verständnis und die
Berechenbarkeit des Einflusses elektrischer Felder, welche Nachbaratome
erzeugen, bildet die Basis unseres Verständnisses für viele Eigenschaften
der Materie.
2. So ist z.B. die Polarisierbarkeit von Atomen, die sich einander nähern,
ein typischer Effekt, der in diese Klasse fällt. Dabei stoßen sich die Elektronenhüllen ab. Das führt zur Bildung zweier Dipole. Wir können mit
diesem Konzept z.B. die langreichweitigen Potenziale beschreiben, mit
der sich die beiden Atome anziehen. Entsprechende Überlegungen sind
unverzichtbar beim Verständnis der Molekülbildung.
3. Von ganz zentraler Bedeutung für viele Gebiete der Physik ist die Polarisierbarkeit von Atomen und Molekülen in statischen, aber auch in zeitlich
wechselnden elektrischen und magnetischen Feldern. Im Feld einer elektromagnetischen Welle führt die Polarisierbarkeit zum Brechungsindex. Die
Abhängigkeit des Brechungsindex von der Frequenz (Dispersion) kann auf
atomistischer Grundlage verstanden werden.
4. Spektrallinien können heute mit relativen Genauigkeiten bis hin zu 1013
oder 1014 gemessen werden. Schon Felder von einigen V / m bedeuten eine
Beeinträchtigung solcher Präzisionsmessungen!
5. In der modernen Atom- und Molekülphysik spielen hochangeregte Rydbergzustände eine wichtige Rolle. Da der Radius angeregter Zustande mit n2
wächst, nimmt das relevante inneratomare Feld mit n−4 ab. Bei n = 100
ist das inneratomare Feld also schon auf einige kV / cm abgesunken. Mit
entsprechenden externen Feldern, die leicht im Labor zu erzeugen sind,
kann man also bei Rydbergatomen signifikante Änderungen der elektronischen Termlagen bewirken.
6. Von großer Bedeutung sind heute sehr intensive elektromagnetische Wechselfelder, wie man sie im Fokus intensiver, ultrakurzer Laserimpulse erzeugen kann. Die Amplitude der elektrischen Feldstärke E0 ergibt sich aus
der Laserintensität I zu:
s
I
E0
= 2745
(1.2)
V/m
W / cm2
Hohe Feldstärken bilden die Basis für für alle Nichtlineare Optik, also für
Prozesse in optischen Materialien, bei denen die Polaristion nicht proportional zur Feldstärke ist.
7. Die moderne Lasertechnik erlaubt es heute, im Labor Felder herzustellen, welche deutlich über den inneratomaren Feldern nach (1.1) liegen.
1.1 Atome im elektrischen Feldern
3
Bei einer Intensität von I = 3.51 × 1016 W cm−2 entspricht das die elektrische Feldamplitude E0 bereits dem Feld, welches ein Elektron im Abstand a0 vom Atomkern in einem Wasserstoffatom erlebt. Intensitäten von
über 1020 W / cm2 sind heute darstellbar und derzeit werden weltweit eine
Reihe von Lasersystemen aufgebaut, die sogar noch weit darüber hinaus
führen sollen – mit der Vision, Materie unter extremsten Bedingungen im
Labor untersuchen zu können, wie sie sonst nur im Inneren von Sternen
vorkommen. Schlagworte sind dabei z.B. hochrelativistische Plasmadynamik (Ionenbeschleunigung, Kernfusion) oder neue Zugänge zur Teilchenphysik (extreme Energiedichten können zu Teilchenbildung führen).
1.1.3 Atome im statischen, elektrischen Feld
Ein statisches elektrisches Feld, das ja ein polares Vektorfeld darstellt (im
Gegensatz zum axialen Magnetfeld) bricht die Symmetrie des Hamiltonb
b
Operators: mit dem elektrischen Feld wird H(r)
6= H(−r).
Wir können diese Störung” durch das elektrische Feld so schreiben:
”
Vel (r) = −D · E = e0 r · E
mit E||z: = e0 zE = e0 r cos θ = e0 ErC10 (θ, ϕ)
(1.3)
Dabei sind die Ckq speziell normierte Kugelflächenfunktionen, deren Eigenschaften es erleichtern, die relevanten Übergansmatrixelemente zu berechnen.
2
Wegen dieses von θ abhängigen Störpotenzials vertauscht L̂ (das ja ebenb Somit ist L ist keine gute
falls explizite von θ abhängt) nicht mehr mit H.
Quantenzahl mehr – im Gegensatz zum Atom im Magnetfeld, wo im Wechselwirkungsterm des Hamilton-Operator L̂z steht. Wohl aber vertauscht nach
b denn C10 (θ, ϕ) = C10 (θ) und damit ist Vel (r) nicht von
wie vor L̂z mit H,
ϕ abhängig, während L̂z = i~∂/∂ϕ ja gerade nur auf ϕ wirkt. Daher ist und
bleibt ML eine gute Quantenzahl. Wir werden aber sehen, dass die Wechselwirkungsmatrixelemente nur von |ML | abhängen. Daher ist es sinnvoll, die
Zustände durch L̂2z bzw. |ML | zu charakterisieren. Im Extremfall haben wir
eine Mischung vieler Orbitale zu unterschiedlichem L bei konstantem Wert
von |ML |: es findet eine sogenannte Hybridisierung statt, die z.B. für die chemische Bindung von entscheidender Bedeutung ist.
Bei den nachfolgenden Überlegungen werden wir uns der Einfachheit halber auf Systeme mit einem aktiven (Valenz- oder Leucht-) Elektron konzentrieren. Sie gelten aber im Prinzip auch für Mehrelektronensysteme, sofern
sich die weiteren Elektronen durch einen Zustand ohne Bahndrehimpuls beschreiben lassen.
P Im allgemeinsten Fall hat man in (1.3) den Vektor r durch
eine Summe
r i über alle Elektronenkoordinaten zu ersetzen. Außerdem
verkomplizieren sich für gekoppelte Systeme die benutzten Reduktionsformeln
der Matrixelemente entsprechend.
4
1 Atome in elektrischen Feldern
1.1.4 Grundüberlegung zur Störungsrechnung
Zunächst stellen wir in Tabelle 1.2 die jetzt zu untersuchende elektrische
Wechselwirkung (Stark-Effekt) den bisher schon behandelten Wechselwirkungen in der Störungshierarchie gegenüber und fassen die wichtigsten beobachteten Effekte zusammen.
Tabelle 1.2. Störungshierarchie: Zusammenstellung der bisher diskutierten Wechselwirkungen und ihrer Folgen (Q-Zahl steht für Quantenzahl)
b =
H
b C (r)
H
+VnC (r)
VLS
VB
+Vel (r)
rein Coulomb
elektrostat.
Spin-Bahn
ext. B-Feld
ext. E-Feld
T̂kin + C/r
nicht ∝ 1/r
∝ L̂ · Ŝ
L− Entartung
Aufhebung
LSJMJ
µB (L̂z + 2Ŝz )B
e r·E
h
h 0 2i
i
b Ŝz 6= 0
H,
Ĥ, L̂ 6= 0
der L- Entartung Schema
J nicht mehr L nicht mehr
gute Q-Zahl
gute Q-Zahl
Um die Bedeutung des Stark-Effekts einordnen zu können, schätzen wir
mit (1.3) die Größenordnung des Wechselwirkungspotenzials durch
hVel (r)i ' e0 a0 E
ab, wobei wir davon ausgehen, dass die winkelabhängigen Matrixelemente von
der Größenordnung 1 und das radiale Matrixelement von der Größenordnung
a0 sein wird. Bei der Durchschlagfeldstärke in Luft Emax = 106 V / m wird
damit
hVel (r)i < 5 × 10−5 eV =
b 0.4cm−1
Wir erwarten also in der Tat einen sehr kleinen Effekt – deutlich kleiner als
die Aufspaltungen, die etwa mit dem Zeeman-Effekt im Labor erreichbar sind.
Wir unterscheiden zwei Grenzfälle, je nach Größe des Nicht-CoulombTerms VnC in der Störungshierarchie Tabelle 1.2:
•
hVnC (r)i hVel (r)i : dann hebt erstmals das elektrische Feld die LEntartung auf. Wir haben eine Störungsrechnung mit Entartung durchzuführen und finden den sogenannten linearer Stark-Effekt.
• hVnC (r)i hVel (r)i : Die L-Entartung ist bereits aufgehoben. Wegen der
Symmetrie des Störpotenzials – z hat ungerade Parität – verschwinden alle
Diagonalmatrixelemente. Daher gibt es erst einen Effekt in 2. Ordnung
Störungsrechnung, den sogenannten quadratischen Stark-Effekt ∝ E 2 !
1.2 Atome im starken Laserfeld
In diesem sehr aktuellen Forschungsgebiet, wird die moderne Entwicklung
leistungstarker Ultrakurzpulslaser genutzt, um ganz neue Dimensionen der
1.2 Atome im starken Laserfeld
5
Wechselwirkung von Licht mit Materie zu eröffnen. Man benutzt ultrakurze
Laserimpulse um besonders hohe Intensitäten zu erzielen, da die Intensität ist
ja mit I = W/ (A∆t) von der Impulsenergie W , der Fokusfläche A und der
Impulsdauer ∆t abhängt. Bei gleichem energetischen Gesamtaufwand bringt
also eine 10 fs Impulsdauer eine 105 fach höhere Intensität als z.B. ein 1 ns
Laser gleicher Gesamtenergie – und führt damit nach (1.2) zu entsprechend
höheren elektrischen Feldern.
1.2.1 Ponderomotorisches Potenzial
Bekannterweise kann bei der Wechselwirkung mit einem elektromagnetischen
Feld auf ein freies Elektron aus Impulserhaltungsgründen keine Energie dauerhaft übertragen werden. Dazu bedarf es eines dritten Partners, der es gestattet, Energie- und Impulsbilanz in Ordnung zu bringen. Wir betrachten als
Ausgangspunkt dennoch zunächst einmal die klassische Bewegungsgleichung
eines freien Elektrons in einem oszillierenden elektrischen Feld der Amplitude
E0 :
dv
= e0 E0 cos ωt
me
dt
Die Geschwindigkeit des Elektrons im stationären Fall ist dann
v(t) =
e0 E0
sin ωt
me ω
.
Seine kinetische Energie wird damit
e2 E 2
1
me v 2 = 0 0 2 sin2 ωt
2
2me ω
(1.4)
und für seine Auslenkung um einen Mittelpunkt herum gilt
x=−
e0 E0
cos (ωt) = −x0 cos (ωt)
ω 2 me
.
Für die Auslenkungsamplitude berechnet man mit (1.2)
r
r
e0 E 0
e0
2I
e0 λ 2
2I
x0 = 2
= 2
=
2
2
ω me
ω me 0 c
4π c me 0 c
(1.5)
,
(1.6)
woraus in handlichen Einheiten
2
x0 / nm = 1.360 7 × 10−7 [λ/ nm]
p
I/ (1012 W cm−2 )
(1.7)
wird.
Die mittlere, in dieser Zitterbewegung ( quiver motion”) steckende Ener”
gie bezeichnet man als ponderomotorisches Potenzial ( ponderomotive
”
potential”):
6
1 Atome in elektrischen Feldern
UP / eV
106
1800 nm
mec 2
IH
104
102
10
10-2
800 nm
400 nm
200 nm
50 nm
13 nm
10
1800 nm 800 nm
400 nm
200 nm
50 nm
1
13 nm
x0 / nm
0.1
1012 1014 1016 1018 1020
I / Wcm-2
0.01
1012 1014 1016 1018 1020
I / Wcm-2
Abb. 1.1. Ponderomotorisches Potenzial und maximale Auslenkung eines Elektrons
als Funktion der Intensität I und Wellenlänge λ eines Kurzpulslasers. Die volle rote
Linie entspricht der Wellenlänge λ = 800 nm des TiSa-Lasers
Up =
1
e2 E 2
1
me v 2 = 0 0 2 = me ω 2 x20
2
4me ω
4
Mit (1.2) wird daraus
Up =
e20 I
e20 I λ2
=
∝ Iλ2
20 cme ω 2
8π 2 0 c3 me
,
(1.8)
was man ebenfalls in handlichen Einheiten
2
Up / eV = 9.337 5 × 10−8 [λ/ nm]
I/ 1012 W cm−2
(1.9)
schreiben kann. Es sei darauf hingewiesen, dass dieser Ausdruck völlig identisch ist mit dem formal aus dem Vektorpotenzial in der Schrödinger-Gleichung
hergeleiteten, in A0 quadratischen Term.
Die Größenordnung von Up und x0 illustriert Abb. 1.1 für verschiedene
Wellenlängen λ als Funktion der Laserintensität. Die vollen roten Linien beziehen sich die Grundwelle λ = 800 nm des Titan:Saphir-Laser (kurz TiSa)
– des Arbeitspferds” der Ultrakurzzeitphysik. Nehmen wir als Beispiel ein
”
Elektron im Fokus eines TiSa bei einer Intensität von 1014 W cm−2 . Das ponderomotorische Potenzial entspricht dann Up = 5.976 eV . Und (1.7) ergibt für
die entsprechende Auslenkungsamplitude x0 = 8.7 nm – das ist eine gigantische Elektronenbewegung im Vergleich zu typischen Atomabmessungen von
einigen 0.1 − 0.5 nm.
Man kann sich leicht vorstellen, dass Elektronen, die an ein Atom oder
Molekül gebundene sind, in solch hohen Feldern erhebliche Veränderungen
ihrer Wellenfunktionen und Termenergien erfahren. Wir müssen das ponderomotorische Potenzial (1.8) also mit der Bindungsenergie des Elektrons im
Atom vergleichen. Im moderaten Falle wird dies zu einer Energieverschiebung
führen, die man auch vom dynamischen Stark-Effekt her kennt.
Allerdings erwarten wir für wirklich starke und insbesondere auch für längerwellige Laserfelder, wie sie in Abb. 1.1 charakterisiert sind, einen Zusammenbruch der bislang entwickelten Atomphysik gebundener Zustände. Zwei
1.2 Atome im starken Laserfeld
7
spezifische Grenzen zur Charakterisierung eines ultraintensiven Laserfelds
sind links in Abb. 1.1 auf der vorherigen Seite eingetragen: Zum einen wird
das System hochrelativistisch, wenn Up > me c2 ist. Die hierfür erforderliche
Laserintensität fällt nach (1.8) mit dem Quadrat der Wellenlänge. Zum anderen wird oberhalb einer Intensität IH das elektrische Feld im Laserfokus
größer als das atomare Feld EH , welches ein Elektron im H-Atom im Abstand
a0 erfährt. Diese Intensität ist wellenlängenunabhängig:
2
0 c
e0
0 c 2
= 3.51 × 1016 W / cm 2 .
(1.10)
E =
IH =
2 H
2
4π0 a20
1.2.2 Keldysh Parameter
Es gibt noch eine weitere Bedingung, die uns ein Laserfeld als hoch ansehen
lässt: sie leitet sich aus dem Verhältnis von Ionisationspotenzial WI und ponderomotorischem Potenzial Up ab. Aus Gründen, die wir in Abschnitt 1.2.5
diskutieren werden, definiert man in Würdigung der dafür grundlegenden Arbeit von Keldysh (1965) den
s
s
WI
0 cme ω 2 WI
Keldysh Parameter γ =
(1.11)
=
2Up
e20 I
s
WI / eV
γ = 2.31 × 103
2
12
[I/ (10 W cm−2 )] [λ/ nm]
Er charakterisiert sozusagen den Übergang von einer Situation Atom mit Laserfeld γ > 1 zu einer Situation Laserfeld mit Atom γ < 1. Bleiben wir bei
unserem obigen Beispiel und betrachten wir ein H-Atom mit WI = 13.6 eV
in einem Strahlungsfeld von I = 1014 W / cm−2 bei λ = 800 nm. Dann wir
γ ∼ 1. Bei dieser Intensität wird also die atomare Energie vergleichbar mit
der vom Feld eingebrachten Energie – für ein H-Atom würden wir dies als
intensives Laserfeld bezeichnen. Wir merken uns an dieser Stelle, dass der
Keldysh-Parameter wellenlängenabhängig ist: je größer die Wellenlänge, desto wirksamer ist das Laserfeld!
1.2.3 Multiphotonenionisation (MPI)
Prozesse N -ter Ordnung (Störungsrechnung) entsprechen der Absorption von
N Photonen. Natürlich kann man auf diese Weise ein Atom (At) auch ionisieren, obwohl die Energie des Einzelphotons ~ω < WI unter der Ionisationsschwelle liegt. Dies ist im Potenzialbild Abb. 1.2 skizziert. Die Energiebilanz
lautet jetzt
At + N ~ω → At+ + e− (Wkin )
mit Wkin =
ke2
= N ~ω − WI
2me
, (1.12)
8
1 Atome in elektrischen Feldern
V(r) / W0
0.5
Nħω
-15
eWkin
15
r /a0
WI
Abb. 1.2. Illustration der Multiphotonenionisation am Beispiel eines H-Atoms. Im Kontinuum hat das Elektron die kinetische Energie
Wkin ≡ ε entsprechend (1.12) je nach Anzahl
der absorbierten Photonen N ~ω (Skizze in atomaren Einheiten maßstäblich für 800 nm Photonen)
- 0.5
-1.0
und man sieht, dass die kinetische Energie Wkin des Elektrons nach der Ionisation (bzw. der Betrag des Wellenvektors ke ) abhängig von der Anzahl N der
absorbierten Photonen ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein solcher Multiphotonenprozess stattfindet, bei dem N Photonen absorbiert werden, hängt
wie bei den Multiphotonenanregungsprozessen vom Photonenfluss Φ = I/(~ω)
und damit von der Intensität ab. In N -ter Ordnung Störungsrechnung kann
(N )
man die Übergangsrate Rke ←a vom gebundenen Ausgangszustand |ai in den
Kontinuumszustand |εi schreiben als
(N )
Rke ←a = σ (N ) ΦN ∝ I N
mit Φ = I/~ω,
(1.13)
wobei σ (N ) ein sogenannter generalisierter Wirkungsquerschnittist.
Dabei
wird der Photonenfluss Φ in Einheiten [Φ] = P hotonen/ m2 s angegeben.
Die Einheit des generalisierten Wirkungsquerschnitts σ (N ) = m2N sN −1 ist
damit etwas gewöhnungsbedürftig aber sinnvoll.
Elektronensignal / willk. Einh.
I = 2.2×1012 Wcm-2
1.165eV
I = 1.1×1013 Wcm-2
0
2
4
6 8
Wkin / eV
10 12 14
Abb. 1.3. ATI (Above Threshold Ionisation) Photoelektronenspektren für Xe nach
Petite et al. (1988). Nd-YAG Laserimpulse einer Wellenlänge 1064 nm ( 1.165 eV)
zweier verschiedener Intensitäten I werden
verglichen. Man sieht sehr deutlich dass
mehrere Photonen oberhalb der Ionisationsschwelle absorbiert werden
1.2 Atome im starken Laserfeld
9
Neben der Ionenausbeute als Funktion der Intensität bieten vor allem die
Energiespektren der Photoelektronen eine experimentelle Bestätigung der in
Abb. 1.2 schematisch dargestellten Zusammenhänge. Abb. 1.3 zeigt die Ergebnisse eines inzwischen klassischen Experiments von Petite et al. (1988),
bei welchem Xe mit Nd-YAG-Laserimpulsen (λ = 1064 nm) von 130 ps Dauer ionisiert wurde. Die Photonenenergie ist 1.165 eV und man sieht in den
Photoelektronenspektren sehr deutlich, dass weit mehr als die 11 Photonen
absorbiert werden, die für die Ionisation benötigt werden. Man spricht daher
von Above Threshold Ionisation (ATI)”. Die zusätzliche Energie findet man
”
entsprechend der Energiebilanz (1.12) als kinetische Energie der Elektronen
Wkin . Wie in Abb. 1.3 dokumentiert steigt die Zahl der zusätzlich absorbierten
Photonen rasch mit der Laserintensität.
1.2.4 Von der Multiphotonenionisation (MPI) zur Sättigung
Wenn die benutzten Laserfelder vergleichbar mit den inneratomaren Feldern
werden, ist der störungstheoretische Ansatz natürlich nur noch begrenzt sinnvolle. Das Verhalten von Atomen und Molekülen in solchen starken Laserfeldern zeigt viele, auf den ersten Blick überraschende Phänomene. In einem
gewissen Sinne kann man sagen, dass die Prozesse um so klassischer werden, je
höher die Intensität ist. So treten z.B. bei extrem hoher Intensität aus einem
Atom oder Molekül Elektronen durch Tunnelprozesse aus und ihre Energie
wird (jedenfalls für einen Teil der austretenden Elektronen) um so höher,
je höher die Lichtintensität ist – ein Phänomen, das der Beobachtung beim
üblichen Photoeffekt direkt zu widersprechen scheint.
Bei moderat hohen Intensitäten, die hoch genug sind, um Mehrphotoneneffekte beobachten, aber auch niedrig genug, um mit der Störungsrechnung
(höherer Ordnung) noch brauchbare Ergebnisse zu erzielen, beobachtet man
Multiphotonenionisation mit Signalen S ∝ I N (Elektronen oder Ionen), wenn
N Photonen absorbiert werden. Der Übergang zu hochintensiven Feldern, wo
man Tunnelionisation und massive Verschiebung der atomaren Niveaus durch
das ponderomotorische Potenzial beobachtet, sind freilich fließend. Ein sehr
schönes experimentelles Beispiel ist die von Larochelle et al. (1998) untersuchte Multiphotonenionisation von Xe mit Femtosekundenlaserimpulsen bei
800 nm. Es gilt heute geradezu als Benchmark” für solche Experimente. Das
”
Ionisationspotenzial von Xe ist WI = 13.44 eV. Es werden also rechnerisch
mindestens WI /~ω = 8.67, d.h. 9 Photonen zur Ionisation gebraucht. Nach
(1.13) würde man in doppelt-logarithmischer Darstellung also eine Steigung
N = 9 erwarten. Wie man in Abb. 1.4 sieht, wird das für die kleinsten Intensitäten auch tatsächlich beobachtet. Bei höheren Intensitäten stimmt das
aber offenbar überhaupt nicht mehr, und man würde, wie angedeutet, die
Messkurve eher durch ein Potenzgesetz mit N = 5 approximieren. Das liegt
natürlich nicht zuletzt daran, dass Xe ein sehr komplexes Atom mit einer sehr
dichten Folge von Zuständen oberhalb des ersten angeregten Zustands ist, für
dessen Anregung etwa 5 Photonen gebraucht werden – wenn man von der
10
1 Atome in elektrischen Feldern
5
4
Keldysh-Parameter γ
3
2
1 0.8
0.6
1
N=5
Ionensignal
10-2
10-4
N=9
○
Exp.
PPT
Szo
10-6
SFA
ADK
10-8
Abb. 1.4. Multiphotonenionisation von Xe bei 800 nm
nach Larochelle et al. (1998).
Die Steigung in log − log Darstellung gibt nach (1.13) einen
Hinweis auf die Anzahl N der
am Prozess beteiligten Photonen. Rot eingetragen sind
die Steigungen für Prozesse
mit 9~ω bzw. 5~ω. Zur direkten Multiphotonenionisation
von Xe werden mindestens 9
Photonen gebraucht, wie bei
den niedrigsten Intensitäten
beobachtet. Bei einer Intensität von I = 1014 W cm−2 ist
der Prozess gesättigt. Die gemessene Ionenausbeute wird
mit verschiedenen Theorien
verglichen
1013
1014
Intensität / Wcm-2
bei hohen Intensitäten nicht mehr streng gültigen Resonanzbedingung einmal
absieht. Offensichtlich genügt es, bei hohen Intensitäten diesen ersten Anregungsschritt zu bewirken. Der angeregte Zustand ionisiert dann mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit. Wie man sieht, verlangsamt sich der Anstieg der Ionenausbeute oberhalb von ca. 1014 W cm−2 dramatisch weiter. Man kann sagen,
dass bei diesen Intensitäten im Zentrum des Laserfokus bereits alle Atome ionisiert sind. Der weitere, schwache Anstieg entsteht nur dadurch, dass auch in
den Randzonen des Laserstrahls, der durch ein Gauß-Profil zu charakterisieren ist, Zug um Zug diese Sättigungsintensität erreicht wird, dass sich also
das Ionisationsvolumen effektiv vergrößert. Als obere Skala haben wir in Abb.
1.4 den Keldysh-Parameter (1.11) aufgetragen. Man sieht, dass Sättigung offensichtlich in einem Intensitätsbereich erreicht wird, bei welchem γ ' 1 wird,
also dort, wo das noch moderate Feld in ein sehr starkes Feld übergeht.
1.2.5 Tunnelionisation
Bei sehr hohen Intenstitäten kann das (oszillierende) elektrische Feld so groß
werden, dass es das atomare elektrische Feld maßgeblich verändert. Nehmen wir an, das Atom könne für das auslaufende Elektron im Wesentlichen
als Coulomb-Potenzial der Ladung Ze0 beschrieben werden, so sieht” das
”
Elektron im Feld eines linear in z-Richtung polarisierten Laserimpulses ein
1.2 Atome im starken Laserfeld
11
zeitabhängiges Potenzial
V (r, t) = −Ze20 /(4π0 r) − e0 E(t)z
,
(1.14)
wie dies für das Maximum der Feldoszillation mit der Amplitude E0 in Abb.
1.5 illustriert ist (mit z = r cos θ).
ℓtu
(a)
- 0.5
10
-10
z /a0
WI
z /a0
WI
- 0.5
e-
Sattelpunkt
-1.0
(b)
0.5
15
-10
V(r) / W0
-e0 E0 z
V(r) / W0
-e0 E0 z 0.5
e-
-1.0
Abb. 1.5. Modell zum Verständnis der Atomionisation im starken elektrischen Feld,
insbesondere in einem intensiven Laserimpuls: (a) Tunnelprozess (b) Elektronenemission über die Barriere”. Skizziert ist hier ein Schnitt durch das Potenzial parallel
”
zur Richtung des E-Felds zum Zeitpunkt des maximalen Felds in z-Richtung
Die Elektronen können aus dem Atom heraustunneln”, wie im Fall (a) an”
gedeutet, oder im Fall (b) sogar über die Barriere” aus dem Atom austreten,
”
sofern diese hinreichend stark abgesenkt wird. Man berechnet die kritische
Intensität Icr , bei welcher dieser Fall eintritt, indem man für den Sattelpunkt
des Potenzials V = −WI fordert. Es ergibt sich
3
Icr =
π 2 c (0 )
2Z 2
4
6
(e0 )
Icr
4.0 × 109
'
−2
W cm
Z2
(WI )
WI
eV
(1.15)
4
.
Für ein H-Atom z.B. mit Z = 1 und WI = W0 /2 wird das kritische Feld
Ic = 1.37 × 1014 W cm−2 – eine Intensität, die man heute problemlos mit gut
fokussierten Femtosekundenlasern erreichen kann.
In diesem Bild kann man dem Keldysh Parameter nun auch eine anschauliche Bedeutung geben: da das Laserfeld ja oszilliert, ist die entscheidende
Frage, ob das Elektron schnell genug aus dem Atom herauskommen kann,
ehe das Feld sein Vorzeichen gewechselt hat. Wir betrachten den Fall (a) in
Abb. 1.5 und schätzen die Strecke, welche das Elektron durchtunneln muss
der Einfachheit halber für ein sogenanntes zero range potential” mit `tu ab.
”
Für ein Ionisationspotenzial WI und die Feldstärke E0 liest man in Abb. 1.5
(a) für diese Tunnellänge ab:
12
1 Atome in elektrischen Feldern
`tu =
WI
e0 E0
(1.16)
Mit
p Wkin = WI wird die Geschwindigkeit des austretenden Elektrons v =
2WI /me und es ergibt sich eine Tunnelzeit
√
√
`tu
me WI
0 cme WI
p
(1.17)
ttu =
=
= √
v
2e0 E0
2 e20 I
Damit ein Elektron austreten kann, muss die Tunnelzeit deutlich kleiner als
die halbe Schwingungsperiode der Strahlung sein, sagen wir ttu < 1/ (2ω). So
definiert man den Keldysh-Parameter als
s
0 cme ω 2 WI
γ = 2ωttu =
(1.18)
e20 I
in Übereinstimmung mit (1.11). Das in Abb. 1.4 beobachtete Sättigungsverhalten bei hohen Intensitäten (γ . 1) kann man daher mit der Intensität und
Frequenz der eingestrahlten elektromagnetischen Welle identifizieren, bei der
das Elektron im Bereich maximaler Feldstärke E0 genug Zeit hat zu tunneln.
Man sieht, dass bei dieser Betrachtungsweise das Laserfeld bei gleicher Intensität umso effizienter ist, je langsamer es oszilliert, d.h. je langwelliger es ist.
Experimente bestätigen dies in gewissen Grenzen. Andere Theorien, wie die
sehr häufig angewandte klassische ADK Theorie (Ammosov et al., 1986), vernachlässigen die Frequenz des Laserfeldes ganz. Sättigung wird danach dann
erreicht, wenn das Feld stark genug ist, um Ionisation direkt über die Barrie”
re” zu ermöglichen, wie in Abb. 1.5b skizziert. Um wieder ein Zahlenbeispiel
zu geben: für ein H-Atom wird für λ = 800 nm bei der eben berechneten kritischen Feldstärke γ = 0.9. Ein genaues Verständnis dieser Prozesse auch bei
komplexen Atomen und in Molekülen ist Gegenstand der aktuellen Forschung.
1.2.6 Rückstreuung
Wenn zeitlicher Verlauf und Intensität des Laserimpulses günstig sind, kann
das Elektron sogar zum Atom zurückkehren. Diese sogenannte Rückstreuung
( rescattering”) der Elektronen wurde erstmals von Corkum (1993) be”
schrieben. Wenn im starken Feld ein Elektron aus dem Atom austritt, so hängt
seine Trajektorie stark davon ab, wann genau es seine Bahn antritt. Eine einfache klassische Rechnung zeigt, dass diese Elektronen unter geeigneten Bedingungen tatsächlich zum Atom zurückkehren können – nämlich dann, wenn
sie sich zum Zeitpunkt der Vorzeichenumkehr des oszillierenden elektrischen
Feldes noch nicht zu weit vom Atom entfernt haben. Die Rechnung ergibt,
dass diese Rückstreuung zu einer Maximalenergie von ' 3.17 × Up für das
rückkehrende Elektron führt, und zwar genau dann, wenn der Phasenwinkel
1.2 Atome im starken Laserfeld
13
des als ∝ cos(ωt + φ) angenommenen Feldes zum Zeitpunkt des Elektronenaustritts t = 0 gerade φ ' 17◦ ist. Auf diese Weise können die rückgestreuten
Elektronen z.B. ein zweites Elektron aus dem Atom herausschlagen. Diese sogenannte nicht sequenzielle Doppelionisation führt zu einem sehr speziellen
Verhalten des Wirkungsquerschnitts für die Multiphotonenionisation. Dies ist
in Abb. 1.6 für das He-Atom illustriert.
Ionensignal
105
103
He+
He2+
101
10-1
Abb. 1.6. Nichtsequenzielle Doppelionisation von He durch Multiphotonenprozesse mit 160 fs Impulsen bei
780 nm und Vergleich mit verschiedenen Theorien nach Watson et al.
(1997). Vergleich der Ionenausbeute
für He+ (+) und He2+ (×) gemessen von Walker et al. (1994). Die gestrichelten Linien repräsentieren eine
Theorie mit einem einzigen aktiven
Elektron (bei He2+ sequenziell), die
volle Linie ist eine Modellrechnung zur
nichtsequenziellen Ionisation (NS)
NS
10-3
1014
1015
1016
-2
Intensität / Wcm
Grundsätzlich erwartet man bei Mehrelektronensystemen A natürlich Prozesse vom Typ:
A + N1 ~ω → A+ + e−
A+ + N2 ~ω → A2+ + e−
...
Aq+ + Nq+1 ~ω → A(q+1)+ + e−
Wenn diese Prozesse getrennt nacheinander verlaufen, spricht man von einer stufenweisen oder sequenziellen Ionisation. Aber man kann sich bei stark
korrelierten Systemen natürlich auch die Emission mehrerer Elektronen in einem Schritt vorstellen – oder eben die Mehrfachionisation durch rückgestreute
Elektronen, was in der Bilanz
A + N1 ~ω → A+ + e− (Wkin ≤ 3.17 Up )
→ A+ + e− → A2+ + 2e−
ebenfalls einem nichtsequenziellen Prozess entspricht. Charakteristisch für die
nichtsequenzielle Ionisation ist ein Knick in der doppelt logarithmischen Auftragung des Ionensignals als Funktion der Intensität wie dies in Abb. 1.6
14
1 Atome in elektrischen Feldern
deutlich für das He++ Signal zu erkennen ist ( NS” kennzeichnet den nicht
”
sequenziellen Anteil).
1.2.7 Erzeugung höherer Harmonischer
Die rückgestreuten Elektronen können nicht nur ein zweites Elektron herausschlagen, sie können u.U. auch wieder vom Atom eingefangen werden und
dabei ihrerseits elektromagnetische Strahlung aussenden: dies führt zur Erzeugung von elektromagnetischen Wellen, deren Frequenzen höherer harmonischer der eingestrahlten Grundwelle sind. Man spricht von High Harmonic
”
Generation (HHG)”. Die rückkehrenden Elektronen erzeugen also eine elektromagnetische Strahlung, die wesentlich kürzerwellig ist, als das ursprünglich
eingestrahlte Licht. Der Mechanismus der HHG Erzeugung ist in Abb. 1.7
schematisch skizziert. Das rückgestreute Elektron hat ggf. einen hohen Energieüberschuss, den es bei einem Wiedereinfang als Strahlung abgegeben wird.
Wie schon in Abschnitt 1.2.6 erwähnt, kann die Energie des rückgestreuten
Elektrons bis zu Wkin ≤ 3.17 Up betragen. Wie in Abb. 1.7 illustriert, werden beim Wiedereinfang des Elektrons in das Atom Photonenenergien bis zu
~ωHHG ≤ 3.17 Up + WI emittiert.
V(r) / W0
-e0 E0 r
0.5
eħωHHG
≤ 3.17Up
≤ 3.17Up+WI
15
-10
r /a0
WI
- 0.5
e-
Abb. 1.7. Veranschaulichung
der Erzeugung von höheren
Harmonischen (HHG). Wenn
ein Elektron zum richtigen
Zeitpunkt über die Barriere”
”
emittiert wird, kann es vom
sich umkehrenden Feld mit einer kinetischen Energie Wkin
bis zu 3.17 Up rückgestreut
werden. Diese Energie + Ionisationspotenzial steht dann
im Prinzip für die HHG zur
Verfügung
-1.0
Man benutzt diesen Prozess inzwischen sehr erfolgreich, um kurze Impulse elektromagnetischer Strahlung im weichen Röntgenbereich (sogenanntes
EUV oder XUV Licht) zu erzeugen. Man strahlt dazu einen stark fokussierten Femtosekundenlaserimpuls in ein dichtes Gastarget (z.B. in einen Gasjet
oder auch in eine gasgefüllte Kapillare) ein und erhält die EUV/XUV Strahlung in Vorwärtsrichtung. Sie enthält in der Regel ein breites Spektrum von
Harmonischen der Grundfrequenz ωHHG = (2N + 1)ω, wobei aus Symmetriegründen nur die ungeraden Harmonischen der eingestrahlten Grundwelle
wieder emittiert werden.
Intensität
Cut-off
Plateau
(3.17Up+WI) / ħ
2ω
Photonen pro Bandbreite / 107 nm-1
1.2 Atome im starken Laserfeld
15
10
8
6
4
2
H31
H43
H37
H49
H55
0
Frequenz
26 24 22 20 18 16 14
Wellenlänge /nm
Abb. 1.8. Links: Typisches Spektrum bei der Erzeugung höherer Harmonischer
schematisch, mit Plateau und Cutoff bei 3.17Up + WI . Die Frequenzabstände sind
2ω. Rechts: Beispiel für ein experimentell beobachtetes HHG Spektrum (Balcou und
andere, 2002). 30 fs Impulse bei ca. 800 nm wurden in einen Neon Gasjet fokussiert.
Bei verschiedenen Fokussierungsbedingungen (volle Linie bzw. gestrichelte Linie) ist
der Prozess sehr unterschiedlich effizient.
Typischerweise beobachtet man ein Spektrum, wie dies links in Abb. 1.8
schematisch dargestellt ist. Das Schema deutet die besonders hohe Effizienz
der Konversion für niedrige Harmonische an, gefolgt von einem langen Pla”
teau” mit Frequenzen im Abstand von 2ω bis zum Cutoff” bei 3.17 Up + WI ,
”
den man anhand von Abb. 1.7 leicht versteht. Rechts in Abb. 1.8 ist als typisches Beispiel das HHG-Spektrum von an Neon gezeigt. Wie in der Abbildung
gezeigt, kann man durch geschickte Wahl der Fokussierungsbedingungen die
emittierte Intensität beeinflussen – eine Folge der nichtlinearen Erzeugung, bei
der die Phasenbeziehung aller Oszillatoren eine wichtige Rolle spielt. An der
Optimierung dieser Prozesse wird aktuell intensiv gearbeitet. Durch spezielle
zeitliche und räumliche Impulsformung kann man sogar einzelne Harmonische
dominant machen und so die Effizienz der Frequenzwandlung erheblich verbessern. Die HHG wird inzwischen zunehmend als zeitaufgelöste Strahlungsquelle
im weichen Röntgenbereich genutzt und hat erhebliches Zukunftspotenzial für
die Röntgenspektroskopie. Die im Grenzfall erreichbare kürzeste Wellenlänge
hängt von der Laserintensität, vom gewählten Targetgas und von der eingestrahlten Frequenz ab.
Die aktuellste Entwicklung ist die Erzeugung von Attosekundenimpulsen
(1 as = 10−18 s) durch Superposition mehrerer hoher Harmonischer. Es zeigt
sich, dass die Harmonischen kohärent sind. Wenn man sie trickreich überlagert
(s. z.B. Tzallas et al., 2003) und geschickt filtert, so wird durch Interferenz eine geeignete Fourier-Summe gebildet und es gelingt tatsächlich einzelne Pulse
einer Dauer von weit unter 1 fs zu erzeugen. Wie stets, wenn eine Messme-
16
1 Atome in elektrischen Feldern
thode um eine Größenordnung empfindlicher wird, eröffnet sich auch hier ein
vielfältiges Potenzial für Grundlagenforschung und Anwendung. Man darf gespannt sein, wie sich die Attosekundenphysik ” in den kommenden Jahren
”
entwickelt (s.z.B. Agostini und DiMauro (2004); Scrinzi et al. (2006)).
1.2.8
Above Threshold” Ionisation in starken Laserfeldern
”
Zählrate / wilk. Einh.
Zum Abschluss dieses Kapitels kommen wir noch einmal kurz auf ATIProzesse zurück, in die wir in Kapitel 1.2.3 bereits eingeführt haben. Wie
entwickeln sich nun solche Prozesse in starken Laserfeldern, gewissermaßen
auf dem Weg von der Multiphotonenabsorption über den Tunnelbereich hin
zum Above-Barrier-Prozess?
Als besonders suggestives Beispiel zeigen wir in Abb. 1.9 die von Paulus
et al. (1994) untersuchten Spektren für Ar mit wunderschönen Serien von aufgelösten ATI Peaks. Argon hat ein Ionisationspotenzial von ' 15.4 eV, die benutzen Laserintensitäten entsprechen daher nach (1.18) Keldysh-Parametern
γ von (a) 1.88, (b) 1.33, (c) 0.94 und (d) 0.7. Es wird also gerade der kritische,
hier angesprochene Übergangsbereich zwischen moderater Intensität bis zum
Above-Barrier Verhalten überstrichen. Dies wird in den Elektronenspektren
evident: während bei der niedrigsten Intensität (a) ein relativ unspektakuläres
ATI Spektrum beobachtet wird, das man durchaus mit Abb. 1.3 auf Seite 8
vergleichen kann, zeigen die höheren Intensitäten sehr deutliche Strukturen im
Intensitätsverlauf, die uns an die im letzten Abschnitt besprochenen Plateaus
bei der HHG Erzeugung erinnern. Diese waren ja eine Folge der Rückstreuung
der schon aus dem Atom gelösten Elektronen.
107
3.17×Up
105
(d)
103
(a)
101
0
(b)
(c)
Abb. 1.9. ATI Spektren von Ar mit 40 fs,
630 nm Laserimpulsen bei Intensitäten von
(a) 6×1013 W / cm2 , (b) 1.2×1014 W / cm2 ,
(c) 2.4 × 1014 W / cm2 und (d) 4.4 ×
1014 W / cm2 (die Kurven sind der besseren Erkennbarkeit wegen vertikal leicht gegeneinander versetzt) nach Paulus et al.
(1994). Die schwarzen Pfeile deuten eine
Elektronenergie von jeweils 3.17 × Up an
– entsprechend der maximalen, klassischen
Rückstreuenergie
20
40
60
80
Elektronenenergie /eV
Und so liegt es nahe, auch dies hier in den ATI Spektren beobachteten
Plateaus/Schwebungen mit der Rückstreuung in Verbindung zu bringen: offenbar können auch rückgestreute Elektronen weitere Photonen absorbieren.
Ohne eine Erklärung der Einzelheiten dieser Spektren zu versuchen, deuten
wir in Abb. 1.9 die jeweils maximale Energie 3.17 × Up der rückgestreuten
1.2 Atome im starken Laserfeld
17
Elektronensignal / willk. Einh.
Elektronen im klassischen Modell durch Pfeile an. Man könnte nun die Beobachtung so deuten, dass diese zum Atom rückgekehrten Elektronen dort
weitere Photonen absorbieren und mit entsprechend höheren Energien den
atomaren Bereich endgültig verlassen. Freilich sollte man für einen so komplizierten Vorgang wie diesen kombinierten Above-Barrier-Rückstreuungs-ATIProzess ein so einfaches klassische Modell nicht überstrapazieren. Entsprechende quantenmechanische Modellrechnungen zeigen dagegen recht plausible
Übereinstimmungen mit dem Experiment.
Interessanterweise kann man ATI auch an ganz großen Molekülen beobachten, wie dies in Abb. 1.10 am Beispiel C60 nach Campbell et al. (2000)
gezeigt wird. Das Ionisationspotenzial ist hier mit ca. 7.6 eV viel kleiner als
beim Argon, die Intensitäten sind daher qualitativ mit denen in Abb. 1.9 vergleichbar, wie die entsprechenden γ-Werte belegen. Auch hier kann man bei
I / Wcm-2
9.0×1013 (γ = 0.85)
3.17×Up 7.5×1013 (γ = 0.92)
4.7×1013 (γ = 1.17)
1.56eV (795nm)
105
104
3.7×1013 (γ = 1.31)
103
102
101
0
5
10
15
20
25
Elektronenenergie Wkin / eV
30
Abb. 1.10. Elektronenspektrum bei der ” Above threshold” Ionisation von C60 nach
Campbell et al. (2000). Die
Laserintensität für die vier
Messkurven nimmt von unten nach oben zu, wie in
der Legende ausgeführt. Die
vertikalen, grauen Linien im
Abstand der Photonenenergie
(bei 795 nm) erlauben die Zuordnung der ATI Peaks
den höheren Intensitäten so etwas wie ein verlängertes Plateau erkennen. Jedenfalls ist der Intensitätsabfall der Elektronenspektren jenseits der 3.17 × Up
Grenze deutlich langsamer als für kleinere Energien. Wie man sieht, darf hier
aber die Intensität auch nicht zu groß werden, da sonst durch Wechselwirkung
der vielen Elektronen in diesem großen, finiten System, die klaren ATI Peaks
im Elektronenspektrum verschmiert werden – wie übrigens auch im Fall des
Argon zu beobachten: man kann in diesem Sinne C60 als ein Superatom”
”
verstehen.
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