§ 6 Polynome mit reellen Koeffizienten

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§6
6.1
6.2
6.4
6.5
6.8
6.10
6.11
Polynome mit reellen Koeffizienten
Verknüpfungen reellwertiger Funktionen
Polynome und rationale Funktionen
Nullstellensatz und Identitätssatz für Polynome
Grad eines Polynoms
Division mit Rest für Polynome
Beschränktheit reellwertiger Funktionen
Monotonie reellwertiger Funktionen
Wir wollen nun die Struktur von R verwenden, um Verknüpfungen zwischen
reellwertigen Funktionen zu definieren.
6.1
Verknüpfungen reellwertiger Funktionen
Seien D, E zwei Mengen und f : D → R sowie g : E → R zwei reellwertige
Funktionen.
(i)
Man definiert f + g, f − g, f · g : D ∩ E → R durch
(f + g)(a) := f (a) + g(a) für a ∈ D ∩ E,
(f − g)(a) := f (a) − g(a) für a ∈ D ∩ E,
(f · g)(a) := f (a) · g(a)
Ferner definiert man
f
g
f (a)
f
( )(a) :=
g
g(a)
für a ∈ D ∩ E.
: (D ∩ E) \ g −1 ({0}) → R durch
für a ∈ (D ∩ E) \ g −1 ({0}).
(ii) Für n ∈ N0 definiert man die Funktion f n : D → R durch
(f n )(a) := (f (a))n für a ∈ D;
für n < 0 die Funktion f n : D \ f −1 ({0}) → R durch
(f n )(a) := (f (a))n für a ∈ D \ f −1 ({0}).
Ferner definiert man |f | : D → R durch
|f |(a) := |f (a)|
C1
für a ∈ D.
[6]–1
Kapitel I
Reelle Zahlen
(iii) Sei α ∈ R. Die konstante Funktion von D in R, die jedem a ∈ D
die Zahl α zuordnet, bezeichne man wieder mit α. αf ist definiert
durch:
(αf )(a) := α · f (a) für jedes a ∈ D.
Wir werden uns in der Analysis I fast ausschließlich mit reellwertigen Funktionen befassen, deren Definitionsbereich ebenfalls eine Teilmenge von R ist.
Zunächst wird in diesem Paragraphen eine einfache Teilklasse solcher Funktionen betrachtet, die Klasse aller Polynome.
6.2
(i)
Polynome und rationale Funktionen
Es bezeichne in Analysis I das Zeichen x“ stets die Funktion von
”
R in R, die jedem t ∈ R wieder t zuordnet, also die identische
Abbildung auf R.
(ii) P heißt ein Polynom (mit reellen Koeffizienten), wenn es ein n ∈ N0
und a0 , . . . , an ∈ R gibt mit
P
P = ni=0 ai xi ,
d.h. (nach den Festsetzungen in 6.1 und (i)), wenn für jedes t ∈ R
gilt:
P
P (t) = ni=0 ai ti .
Ein ξ ∈ R mit P (ξ) = 0 heißt Nullstelle oder Wurzel des Polynoms.
Mit R[x] bezeichne man die Menge aller Polynome.
(iii) r heißt eine rationale Funktion, wenn es zwei Polynome P, Q gibt
mit Q 6= 0R und
r = P/Q.
Statt von einem Polynom mit reellen Koeffizienten sprechen wir auch von einem
reellen Polynom.
Q 6= 0R bedeutet, das Polynom Q und die Nullfunktion stimmen an mindestens
einer Stelle nicht überein, d.h.
0 für mindestens ein t ∈ R. In 6.4 zeigen
PmQ(t) 6=
ν
wir, daß ein Polynom Q = ν=0 bν x mit bm 6= 0 höchstens m Nullstellen hat.
Somit ist jede rationale Funktion für alle reellen Zahlen, bis auf die endlich
vielen Nullstellen des Nennerpolynoms, definiert.
Beispiele
1) Unter dem Polynom 3 + 4x + 7x2 versteht man also diejenige auf R definierte Funktion, die jedem t ∈ R den Wert 3 + 4t + 7t2 zuordnet.
3+4x+7x2
versteht man also diejenige Funk1−2x+x2
2
1 − 2x + x2 für alle t ∈ R \ {1} durch 3+4t+7t
1−2t+t2
2) Unter der rationalen Funktion
tion, die wegen (1 − x)2 =
definiert ist.
[6]–2
C1
Polynome mit reellen Koeffizienten
3) Die rationale Funktion
1
(1−x)(1+x)
hat den Definitionsbereich R \ {−1, 1}
und ordnet jedem t ∈ R \ {−1, 1} den Wert
1
1−t2
zu.
6.3
Abspaltung eines Linearfaktors
P
Sei P = nν=0 aν xν ein Polynom mit an 6= 0. Ist ξ eine Nullstelle von P ,
Pn−1
so gibt es ein Polynom Q = ν=0
bν xν mit bn−1 = an , und
P = (x − ξ)Q.
Beweis. Wegen 0 = P (ξ) =
nach 3.11(viii) für alle t ∈ R
Pn
ν=0 aν ξ
ν
und an 6= 0 ist n ∈ N. Für ν ∈ N gilt
(tν − ξ ν ) = (t − ξ)(tν−1 + tν−2 ξ + . . . + ξ ν−1 ), d.h.:
aν (xν − ξ ν ) = (x − ξ)Qν mit
P
(ν−1)−i ξ i .
Qν = aν ν−1
i=0 x
(1)
(2)
Somit erhält man:
P
P
P = P − P (ξ) = nν=1 aν (xν − ξ ν ) = (x − ξ) nν=1 Qν .
(1)
Pn
Pn−1
Nach (2) gilt ν=1 Qν = ν=0 bν xν mit bn−1 = an . Zusammen mit (3) folgt
hieraus die Behauptung.
(3)
6.4
Nullstellensatz und Identitätssatz für Polynome
P
(i) Sei P = nν=0 aν xν ein Polynom mit an 6= 0. Dann hat P höchstens n verschiedene Nullstellen.
Pn
Pn
ν
ν
(ii) Stimmen zwei Polynome P =
ν=0 aν x und Q =
ν=0 bν x
an n + 1 verschiedenen Stellen überein, so haben sie dieselben
Koeffizienten, d.h. es gilt aν = bν für ν = 0, . . . , n.
Beweis. (i) Induktion nach n ∈ N0 . Für n = 0 ist die Aussage trivial. Sei
P
ν
nun P = n+1
ν=0 aν x mit an+1 6= 0 und ξ eine Nullstelle. Dann gilt nach 6.3:
P
P = (x − ξ)Q mit Q = nν=0 bν xν und bn = an+1 6= 0.
Q hat nach Induktionsannahme höchstens n Nullstellen. Ist nun ξ 0 eine Nullstelle von P, so gilt (ξ 0 − ξ)Q(ξ 0 ) = 0. Also ist ξ 0 = ξ oder ξ 0 eine Nullstelle von
Q. Daher besitzt P höchstens (n + 1) verschiedene Nullstellen.
P
(ii) Es ist nν=0 (aν − bν )xν ein Polynom mit (n + 1) Nullstellen. Ist nun
aν 6= bν für ein ν, so gibt es einen größten Index k ≤ n mit ak 6= bk . Also
P
hat kν=0 (aν − bν )xν mit ak − bk 6= 0 mehr als k verschiedene Nullstellen im
Widerspruch zu (i).
C1
[6]–3
Kapitel I
Reelle Zahlen
Pn
Pm
ν
ν
Aus
ν=0 aν x =
ν=0 bν x mit an 6= 0 folgt: n ≤ m und aν = bν für
ν = 0, . . . , n, sowie bn+1 = . . . = bm =
dann setze
Pn0: Ist nämlich
Pnm < n,
ν =
ν , und daher
bm+1 := . . . =: bn := 0. Somit wäre
a
x
b
x
ν=0 ν
ν=0 ν
aν = bν für ν = 0, . . . , n nach 6.4(ii). Aus m < n folgt damit der Widerspruch
0 = bn = an 6= 0.
Insbesondere gilt also:
Pn
Pm
ν =
ν
•
a
x
ν
ν=0
ν=0 bν x mit an 6= 0, bm 6= 0 ⇒ n = m und aν = bν .
Pn
ν
•
ν=0 aν x = 0R ⇒ a0 = . . . = an = 0.
P
Eine Darstellung eines Polynoms in der Form nν=0 aν xν mit an 6= 0 ist also
nur für ein nicht-triviales Polynom möglich und ist immer eindeutig. Diese
Darstellung heißt die Normaldarstellung dieses Polynoms. Für das Nullpolynom
nennt man die Darstellung durch 0R die Normaldarstellung.
Ein Polynom kann häufig auf sehr verschiedene Weise dargestellt werden, z.B.
ist 16 − 8x2 + x4 = (x2 − 4)2 = (x − 2)2 (x + 2)2 = (x2 − 4x + 4)(x + 2)2 =
(x − 2)2 (x2 + 4x + 4). Die vorangegangenen Überlegungen zeigen aber, daß alle
solche Darstellungen zur gleichen Normaldarstellung führen müssen. Insbesondere ermöglicht die Eindeutigkeit der Normaldarstellung nun die Definition des
Grades“ eines Polynoms.
”
6.5
Grad eines Polynoms
Pn
ν
Sei P =
ν=0 aν x mit an 6= 0. Dann heißt n der Grad von P , in
Zeichen γ(P ) := n. Für P = 0R , das sogenannte triviale Polynom, setzt
man γ(0R ) := −1.
(i)
Sind P und Q zwei nicht-triviale Polynome, so gilt:
γ(P · Q) = γ(P ) + γ(Q).
(ii) Sind P und Q zwei Polynome, so gilt: γ(P +Q) ≤ max(γ(P ), γ(Q));
γ(P + Q) = max(γ(P ), γ(Q)), wenn γ(P ) 6= γ(Q) ist.
P
P
j
Beweis. (i) Seien P := ni=0 ai xi , Q := m
j=0 bj x mit an 6= 0 und bm 6= 0.
Dann ergibt sich:
Pn+m k P
x ( i+j=k,i≤n,j≤m ai bj ).
P · Q = k=0
Der Koeffizient von xn+m ist also an bm 6= 0, d.h. γ(P · Q) = n + m. Da wegen
an 6= 0 und bm 6= 0, γ(P ) = n und γ(Q) = m sind, gilt γ(P · Q) = γ(P ) + γ(Q).
(ii) Ist P oder Q das Nullpolynom,
so sind
Aussagen trivial. AnPn
Pmdie beiden
ν
ν
dernfalls ist wieder P = ν=0 aν x , Q = ν=0 bν x mit an 6= 0, bm 6= 0. Der
Fall γ(P ) = γ(Q) ist trivial. Ist o.B.d.A. γ(P ) < γ(Q), d.h. n < m, so folgt die
noch zu beweisende Aussage aus:
P
P
ν
P + Q = nν=0 (aν + bν )xν + m
ν=n+1 bν x .
[6]–4
C1
Polynome mit reellen Koeffizienten
6.6
Darstellung von Polynomen mittels Nullstellen
Sei P ein Polynom vom Grad n ∈ N. Dann besitzt P höchstens n verschiedene Nullstellen. Sind ξ1 , . . . , ξm die verschiedenen Nullstellen von
P , dann gibt es eindeutig bestimmte natürliche Zahlen νi (die Vielfachheit
der Nullstelle ξi des Polynoms P genannt) und ein eindeutig bestimmtes
Polynom Q ohne reelle Nullstellen, so daß gilt:
P = (x − ξ1 )ν1 . . . (x − ξm )νm Q.
Beweis. Zur Existenz der Darstellung: Nach 6.4 ist die Anzahl der verschiedenen Nullstellen ξ1 , . . . , ξm höchstens gleich n. Nach 6.3 gilt P = (x − ξ1 )Q01
mit γ(Q01 ) = n − 1.
Hat Q01 ebenfalls die Nullstelle ξ1 , so gilt P = (x − ξ1 )Q01 = (x − ξ1 )2 Q001 mit
6.3
γ(Q001 ) = n − 2.
Nach ν1 (≤ n) Schritten erhalten wir ein Polynom Q1 , welches an der Stelle
ξ1 keine Nullstelle sowie den Grad n − ν1 hat (siehe 6.5(i)). Ferner gilt die
Darstellung P = (x − ξ1 )ν1 Q1 . Es hat Q1 nun genau die Nullstellen ξ2 , . . . , ξm .
Wir wenden nun das eben geschilderte Verfahren auf Q1 und ξ2 an Stelle von
P und ξ1 an. Man erhält Q1 = (x − ξ2 )ν2 Q2 , γ(Q2 ) = (n − ν1 ) − ν2 und
Q2 besitzt genau die Nullstellen ξ3 , . . . , ξm . Dieses Verfahren liefert nach
Pm m
Schritten ein Polynom Q := Qm ohne Nullstellen mit 0 ≤ γ(Q) = n − i=1 νi
und Qm−1 = (x − ξm )νm Q. Damit erhält man die gewünschte Darstellung:
P = (x − ξ1 )ν1 Q1 = (x − ξ1 )ν1 (x − ξ2 )ν2 . . . (x − ξm )νm Q
mit einem Polynom Q ohne Nullstellen.
Zur Eindeutigkeit: Sei eine weitere Darstellung von P der Form
0
0
P = (x − ξ1 )ν1 . . . (x − ξm )νm Q0
mit einem Polynom Q0 ohne Nullstellen gegeben. Sei o.B.d.A. ν1 ≤ ν10 , dann
erhält man für t 6= ξ1 aus den beiden Darstellungen von P durch Division von
P durch (t − ξ1 )ν1 , daß
0
0
0
(1) (t − ξ2 )ν2 . . . (t − ξm )νm Q = (t − ξ1 )ν1 −ν1 (t − ξ2 )ν2 . . . (t − ξm )νm Q0 .
Nach dem Identitätssatz für Polynome (siehe 6.4(ii)) gilt dann diese Darstellung
auch für t = ξ1 . Die linke Seite von (1) ist für t = ξ1 ungleich 0. Die rechte
Seite ist für ν10 > ν1 gleich Null. Also muß ν10 = ν1 sein. Von der für alle
t ∈ R geltenden Gleichung (1) ausgehend, beweist man entsprechend ν2 = ν20
0 . Daher gilt Q(t) = Q0 (t) für alle t 6= ξ , . . . , ξ
und dann ν3 = ν30 bis νm = νm
1
m
und daher nach dem Identitätssatz für Polynome auch Q = Q0 .
Das Polynom x2 + 1 ist ein Polynom vom Grade 2, das keine reelle Nullstelle
hat. Daher kann das Polynom Q in 6.6 von positivem Grad sein.
Seien n+1 verschiedene Stellen t0 , . . . , tn ∈ R gegeben. Hat man dann n+1 nicht
notwendigerweise verschiedene Werte w0 , . . . , wn , so gibt es nach dem Identitätssatz für Polynome höchstens ein Polynom vom Grade ≤ n mit P (tν ) = wν
für ν = 0, . . . , n. Der folgende Satz zeigt nun, daß ein solches Polynom auch
immer vorhanden ist.
C1
[6]–5
Kapitel I
6.7
Reelle Zahlen
Das Interpolationspolynom von Lagrange
Seien t0 , . . . , tn ∈ R paarweise verschieden. Seien w0 , . . . , wn ∈ R beliebig.
Dann ist
P
(x − t0 ) . . . (x − tν−1 )(x − tν+1 ) . . . (x − tn )
P = nν=0 wν Lν mit Lν =
(tν − t0 ) . . . (tν − tν−1 )(tν − tν+1 ) . . . (tν − tn )
das einzige Polynom vom Grade ≤ n mit
P (tν ) = wν für ν = 0, . . . , n.
Beweis. Nach Vorüberlegung gibt es höchstens ein Polynom P mit γ(P ) ≤ n
und P (tν ) = wν für ν = 0, . . . , n. Das im Satz definierte P ist offenbar ein
Polynom mit γ(P ) ≤ n (siehe 6.5).½Nun ist für µ = 0, . . . , n
1 für µ = ν
Lν (tµ ) =
0 für µ 6= ν.
Pn
Daher gilt: P (tµ ) = ν=0 wν Lν (tµ ) = wµ für µ = 0, . . . , n.
Der folgende Satz zeigt, daß man eine rationale Funktion r = P/Q immer als
r = (Polynom S)+(echt gebrochen rationale Funktion R/Q)“ schreiben kann.
”
Dabei heißt eine rationale Funktion R/Q echt gebrochen, wenn γ(R) < γ(Q)
ist.
6.8
Division mit Rest für Polynome
Sei Q ein nicht-triviales und P ein beliebiges Polynom. Dann gibt es zwei
eindeutig bestimmte Polynome R, S mit
P = S · Q + R und γ(R) < γ(Q).
Beweis. Existenz: Setze
M := {γ(P − SQ) : S ist Polynom}.
Dann ist M 6= ∅ und durch −1 nach unten beschränkt. Nach 3.33(i) existiert
daher k := min(M ). Wähle ein Polynom S mit
k = γ(P − SQ), und setze R := P − SQ.
(1)
Dann gilt P = SQ + R.
Zu zeigen bleibt: γ(R) < γ(Q). Angenommen, k = γ(R) ≥ γ(Q) =: m. Dann
(1)
gilt:
P
P
ν
R = P − SQ = kν=0 aν xν mit ak 6= 0, sowie Q = m
ν=0 bν x mit bm 6= 0.
(1)
(1)
Wegen k ≥ m ist S1 := S +
ak k−m
bm x
ein Polynom mit
γ(P − S1 Q) = γ((P − SQ) − bamk xk−m Q)
P
P
ak
k−m+ν )
= γ( kν=0 aν xν − ak xk − m−1
ν=0 bm bν x
Pk−1
P
ak
k−m+ν ) ≤ k − 1.
= γ( ν=0 aν xν − m−1
ν=0 bm bν x
Dies ist ein Widerspruch zu min(M ) = k = γ(P − SQ).
(1)
[6]–6
C1
Polynome mit reellen Koeffizienten
Eindeutigkeit: Sei S1 Q + R1 = S2 Q + R2 und γ(R1 ), γ(R2 ) < γ(Q). Dann gilt
R1 − R2 = (S2 − S1 )Q und somit
γ((S2 − S1 )Q) = γ(R1 − R2 ) ≤ max(γ(R1 ), γ(−R2 )) < γ(Q).
(2)
6.5(ii)
Ist nun S1 6= S2 , so sind S2 − S1 und Q zwei nicht-triviale Polynome, und es
gilt
γ((S2 − S1 )Q) = γ(S2 − S1 ) + γ(Q) ≥ γ(Q), im Widerspruch zu (2).
6.5(i)
Also ist S1 = S2 und daher R1 = R2 .
P
Ist P = nν=0 aν xν mit an 6= 0, so wird — wie der nächste Satz zeigt — das
Verhalten von P (t) für große t nur von dem höchsten Koeffizient an bestimmt.
6.9
Verhalten von Polynomen für große t
P
|a0 | + . . . + |an |
.
Sei P = nν=0 aν xν mit an 6= 0 und n ∈ N. Setze ρ :=
|an |
Dann gilt für 0 < c < 1:
P (t)
1−c≤
≤ 1 + c für |t| ≥ ρ/c.
an tn
Insbesondere folgt:
(i)
(ii)
|P (t)| ≥ 12 |an tn | für |t| ≥ 2ρ.
n gerade ∧ an > 0 ⇒ P (t) > 0
n gerade ∧ an < 0 ⇒ P (t) < 0
n ungerade ∧ an > 0 ⇒ P (t) < 0
P (t) > 0
n ungerade ∧ an < 0 ⇒ P (t) > 0
P (t) < 0
Beweis. Für t 6= 0 ist aPn(t)
tn =
¯
¯
¯
¯P
¯ P (t)
¯
¯ n−1 aν tν 1 ¯
¯ an tn − 1¯ = ¯ ν=0 an tn−1 t ¯
Somit ist
1−c≤
P (t)
a n tn
Insbesondere erhält man
folgen.
Pn−1
a ν tν 1
ν=0 an tn−1 t
≤
≤
|t|≥1, |t|≥ρ/c
für
für
für
für
für
für
|t| ≥ 2ρ;
|t| ≥ 2ρ;
t ≤ −2ρ,
t ≥ 2ρ;
t ≤ −2ρ,
t ≥ 2ρ.
+ 1. Also gilt für |t| ≥ ρ/c (≥ 1):
Pn−1
|t|ν
|t|n−1
|aν |
ν=0 |an |
·
|aν |
ν=0 |an |
·1·
Pn−1
c
ρ
·
1
|t|
= (ρ − 1) ρc ≤ c.
≤ 1 + c für |t| ≥ ρ/c.
1
2
≤
P (t)
a n tn
für |t| ≥ 2ρ, woraus (i) und (ii) unmittelbar
Der folgende Begriff der Beschränktheit einer Funktion kann für beliebige reellwertige Funktionen erklärt werden, der folgende Begriff der Monotonie nur für
reellwertige Funktionen mit Definitionsbereich D ⊂ R.
C1
[6]–7
Kapitel I
6.10
Reelle Zahlen
Beschränktheit reellwertiger Funktionen
Sei f : D → R eine reellwertige Funktion.
(i)
f heißt nach unten beschränkt, wenn die Menge f (D) nach unten
beschränkt ist;
(ii)
f heißt nach oben beschränkt, wenn die Menge f (D) nach oben
beschränkt ist;
(iii)
f heißt beschränkt, wenn f (D) beschränkt ist.
Nach 2.10 ist also f genau dann beschränkt, wenn es ein r ∈ R+ gibt mit
|f (t)| ≤ r für alle t ∈ D.
P
Aus 6.9 folgt, daß kein Polynom nν=0 aν xν mit positivem Grad n beschränkt
sein kann: Ist nämlich r ∈ R+ beliebig, und ρ gemäß 6.9 gesetzt, dann gilt für
q
t mit|t| > max(2ρ, n |a2rn | ): |P (t)| ≥ 12 |an tn | > 12 |an | |a2rn | = r.
6.9(i)
Polynome können (z.B. x, x3 ), müssen aber nicht (z.B. x2 , x4 ) auf R im Sinne
der folgenden Definition monoton sein.
6.11
Monotonie reellwertiger Funktionen
Sei f : D → R und D ⊂ R. Dann heißt:
(i)
f monoton wachsend,
wenn (a, b ∈ D ∧ a < b) ⇒f (a) ≤ f (b);
(ii) f streng monoton wachsend, wenn (a, b ∈ D ∧ a < b) ⇒f (a) < f (b);
(iii) f monoton fallend,
(iv) f streng monoton fallend,
wenn (a, b ∈ D ∧ a < b) ⇒f (a) ≥ f (b);
wenn (a, b ∈ D ∧ a < b) ⇒f (a) > f (b).
Eine monoton wachsende bzw. monoton fallende Funktion heißt monotone
Funktion.
Eine streng monoton wachsende bzw. streng monoton fallende Funktion
heißt streng monotone Funktion.
Ist f die auf N durch f (n) = 1/n definierte Funktion, so ist f durch 0 nach
unten und 1 nach oben beschränkt, f ist ferner streng monoton fallend.
Sei D 6= ∅. Dann bildet RD , d.h. die Menge aller Abbildungen f : D → R,
bezüglich der in 6.1 eingeführten Addition + von Funktionen und Multiplikation
mit Skalaren α ∈ R, einen Vektorraum (= linearen Raum) über R.
RD ist darüberhinaus eine Algebra mit Einselement und ein Vektorverband:
[6]–8
C1
Polynome mit reellen Koeffizienten
6.12
Algebren
Sei V ein Vektorraum über R. Es gebe in V neben der Vektorraumaddition
+“ noch eine multiplikative Verknüpfung ·“, so daß für alle v, w, u ∈ V
”
”
und α, β ∈ R gilt:
(1)
(2)
(3)
(v · w) · u = v · (w · u);
v · (w + u) = v · w + v · u;
(αβ)(v · w) = (αv) · (βw).
(v + w) · u = v · u + w · u;
Dann heißt V eine Algebra über R. Gibt es ein e ∈ V mit e · v = v für
alle v ∈ V, so heißt V eine Algebra mit Einselement.
Da (V, +) eine abelsche Gruppe ist, bedeuten (1) und (2), daß (V, +, ·) ein
Ring im Sinne der Algebra ist. Für (3) beachte, daß αβ die Multiplikation im
Körper R darstellt, αv die Multiplikation“ der skalaren Größe α ∈ R mit dem
”
Vektorraumelement v ∈ V bedeutet und v · w die Multiplikation in V ist.
6.13
Unteralgebra
V1 heißt Unteralgebra von V, wenn V1 ⊂ V ist und V1 bzgl. der auf V1
eingeschränkten Operationen +, · und der Multiplikation mit Skalaren
α ∈ R eine Algebra ist, also wenn gilt:
(i)
0 ∈ V1 ;
(v, w ∈ V1 , α ∈ R ⇒ αv, v + w ∈ V1 );
(ii)
v, w ∈ V1 ⇒ v · w ∈ V1 .
6.14
RD als Algebra
Versieht man RD mit der in 6.1(i) eingeführten Addition +“ und
”
Multiplikation ·“ reellwertiger Funktionen und der in 6.1(iii) an”
gegebenen Multiplikation mit Skalaren α ∈ R, so ist RD mit diesen
Operationen eine Algebra mit Einselement im Sinne von 6.12.
(ii) Die Menge R[x] aller Polynome über R bildet bzgl. der in (i) angegebenen Verknüpfungen eine Unteralgebra von RR mit Einselement.
(i)
Beweis. (i) Das Produkt zweier Funktionen aus RD gehört zu RD nach
Definition 6.1(i). Die Rechenregeln (1), (2), (3) von 6.12 weist man auf Grund
der Gleichheit von Funktionen nach, indem man sie für jedes a ∈ D nachweist.
Zum Beispiel ist für f, g, h und a ∈ D:
((f · g) · h)(a) = (f · g)(a) · h(a) = (f (a) · g(a)) · h(a)
= f (a) · (g(a) · h(a)) = f (a) · (g · h)(a) = (f · (g · h))(a),
d.h. nach Definition der Gleichheit von Funktionen
(f · g) · h = f · (g · h).
C1
[6]–9
Kapitel I
Reelle Zahlen
Das Einselement bzgl. der Multiplikation ist die Funktion 1, die auf D den
konstanten Wert 1 hat.
(ii) Dieses folgt, da mit P, Q ∈ R[x] und α ∈ R auch P + Q, αP, P · Q und
die konstante Funktion 1 zu R[x] gehören.
6.15
Vektorverband reellwertiger Funktionen
Ein Untervektorraum (= linearer Teilraum) V1 ⊂ RD mit
f ∈ V1 ⇒ |f | ∈ V1
heißt ein Vektorverband reellwertiger Funktionen.
Bemerkung. RD ist ein Vektorverband, R[x] ist kein Vektorverband.
Es gehört nämlich x, aber nicht |x| zu R[x]. (Wäre |x| ∈ R[x], dann müßte, da
x = |x| für alle x ∈ R+ ist, x = |x| für alle x ∈ R nach dem Identitätssatz für
Polynome sein).
In der Algebra spricht man von einem
6.16
Verband
Sei (M, ≤) eine partiell geordnete Menge.
Existiert für alle a, b ∈ M auch inf({a, b}) und sup({a, b}), so heißt M
ein Verband .
Ist (M, ≤) eine total geordnete Menge und a, b ∈ M , so ist a ≤ b (bzw. b ≤ a).
Somit gilt:
min({a, b}) = a, max({a, b}) = b (bzw. min({a, b}) = b, max({a, b}) = a).
Insbesondere existiert das Infinimum und das Supremum zweier Elemente von
M . Also ist (R, ≤) — wie jede total geordnete Menge — insbesondere ein
Verband.
Setzt man nun für f, g ∈ RD :
•
f ≤ g ⇐⇒ (∀a ∈ D) f (a) ≤ g(a),
so ist (RD , ≤) eine partiell geordnete, aber — falls D mehr als ein Element
enthält — keine total geordnete Menge.
Definiert man für f, g ∈ RD und a ∈ D
(inf(f, g))(a) := inf({f (a), g(a)}),
(sup(f, g))(a) := sup({f (a), g(a)}),
so ist inf(f, g) bzw. sup(f, g) offenbar das Infimum bzw. das Supremum bzgl.
der partiellen Ordnung ≤ in RD .
[6]–10
C1
Polynome mit reellen Koeffizienten
Ist V ein Verband, dann heißt V1 ⊂ V ein Teilverband, wenn mit f, g ∈ V1
sowohl das in V gebildete Infimum von f und g als auch das das in V gebildete
Supremum von f und g zu V1 gehören. Daher ist V1 ⊂ RD ein Teilverband
des Verbandes V = RD , wenn mit f, g ∈ V1 auch die Funktionen inf(f, g) und
sup(f, g) zu V1 gehören. Es gilt:
6.17
Charakterisierung der Vektorverbände reellwertiger
Funktionen
Ein linearer Teilraum V1 ⊂ RD ist genau dann ein Vektorverband reellwertiger Funktionen im Sinne von 6.15, wenn mit f, g ∈ V1 auch gilt:
inf(f, g), sup(f, g) ∈ V1 .
⇒“: Seien f, g ∈ V1 , dann sind auch f + g, f − g ∈ V1 . Somit gilt:
”
inf(f, g) = 21 (f + g − |f − g|) ∈ V1 ; sup(f, g) = 12 (f + g + |f − g|) ∈ V1 .
Beweis.
”
⇐“: Mit f ∈ V1 ist auch −f ∈ V1 und daher |f | = sup(f, −f ) ∈ V1 .
Ergänzung:
Das Polynom Q ohne reelle Nullstellen“ des Satzes 6.6 läßt sich, sofern Q nicht
”
konstant ist, als Produkt von Polynomen vom Grade 2 schreiben. Dieses Ergebnis kann man am einfachsten mit Hilfe des sogenannten Fundamentalsatzes der
Algebra zeigen. Dieser Fundamentalsatz, der von uns später bewiesen werden
wird, besagt, daß sich jedes Polynom vom Grade n (mit komplexen Koeffizienten) als Produkt von Linearfaktoren x − α, mit α ∈ C, darstellen läßt.
Dies ist einer der Fälle, wo sich ein rein reeller Satz“, nämlich die Faktorisie”
rung eines reellen Polynoms ohne reelle Nullstellen in ein Produkt von reellen
Polynomen vom Grade 2, am schnellsten über den Umweg“ über das Komplexe
”
beweisen läßt.
Satz 6.4 besagt, daß die Polynome, die als spezielle Funktionen von R nach R
eingeführt sind, auch Polynome im Sinne der Algebra sind, d.h.
Pn
Pn
ν
ν
ν=0 aν t =
ν=0 bν t für t ∈ R ⇒ aν = bν für ν = 0, . . . , n.
Am Beweis von 6.4 wird ersichtlich, daß diese Implikation für jeden Körper mit
unendlich vielen Elementen gültig ist.
Der Körper mit zwei Elementen K = {0, 1} zeigt jedoch, daß man nicht generell
von der Gleichheit der Polynomfunktionen auf die Gleichheit der Koeffizienten
schließen kann: So ist
t2 − t = 0 · t2 − 0 · t für alle t ∈ K,
aber die Koeffizienten von t2 und t sind auf der linken Seite der Gleichung 6= 0.
C1
[6]–11
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