Eine Informationsbroschüre zur hereditären Amyloid-Polyneuropathie Amyloid - Polyneuropathie Was ist das? Verfasser: Prof. Dr. E. Hund Neurologische Klinik der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Mit freundlicher Unterstützung von Temmler Pharma Amyloid-Polyneuropathie – was ist das? Polyneuropathie (PNP) Als Polyneuropathie bezeichnet man eine Funktionsstörung des Nervensystems, die meist mit Gefühlsstörungen an den Füßen beginnt und bis zu den Armen aufsteigen kann. Gelegentlich tritt sie auch in absteigender Form auf. Bei fortschreitender Erkrankung sind auch die motorischen Nervenfasern betroffen. Diese Nervenfasern übertragen Impulse auf die Muskelfasern und steuern die Bewegungen. Amyloidose Die Ursachen einer Polyneuropathie sind vielgestaltig. Eine davon ist die Amyloidose. Mit diesem Begriff werden Eiweißablagerungen im Körper bezeichnet, die bei chronischen Entzündungen und auch bei bestimmten Störungen der Eiweißproduktion, den sog. monoklonalen Gammopathien, entstehen können. Eine weitere Form, die sogenannte hereditäre Amyloid-Polyneuropathie tritt als familiäre Erkrankung bei bestimmten Gendefekten auf. Diese Form wurde in Portugal, wo die Erkrankung relativ häufig ist, entdeckt, kommt aber weltweit vor. Bei der Amyloid-Polyneuropathie sind charakteristischerweise auch die Nervenfasern, die die vegetativen Funktionen steuern, früh in den Krankheitsprozess einbezogen. Die vegetativen Nervenfasern kontrollieren unter anderem den Blutdruck, Puls und regulieren beispielsweise die Darmtätigkeit. Diese Funktionen unterliegen nur sehr bedingt dem willentlichen Einfluss. Der Hauptteil ihrer Funktion geschieht unwillentlich (autonom) und kann vom Menschen nur begrenzt beeinflusst werden. Welches sind die Symptome einer Amyloid-Polyneuropathie? Bei vielen Patienten treten als erste Symptome Reizerscheinungen an den Zehen, wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Missempfindungen oder Muskelkrämpfe, aber auch spontane Schmerzen oder ein Brennen auf. Auch können Sinneseindrücke falsch wahrgenommen werden, indem z. B. leichte Berührungen als schmerzhaft empfunden werden. Aus diesem Grunde kann bereits das Tragen von Kleidung oder der Druck einer Bettdecke für den Patienten unerträglich werden. Bei Männern stellen außerdem Erektionsstörungen ein Frühsymptom dar, über das allerdings meist nur bei gezielter Befragung durch den Arzt berichtet wird. Bei fortschreitender Erkrankung treten durch die Beteiligung der motorischen Nervenfasern Muskelschwäche und Muskelschwund auf, so dass das Gehen, vor allem aber das Treppensteigen, schwierig wird. Wann sollte an eine Amyloid-Polyneuropathie gedacht werden? Eine Amyloid-Polyneuropathie sollte immer dann in Erwägung gezogen werden, wenn sich keine andere Ursache für eine Polyneuropathie findet oder die Polyneuropathie untypisch verläuft. Wichtig ist dabei, dass gerade auch die erblichen Formen sich erst in höherem Lebensalter bemerkbar machen und sich trotz der Erblichkeit häufig keine betroffenen Angehörigen in der Familie finden lassen. Wird also bei einem älteren Patienten aus einer bisher neurologisch unauffälligen Familie eine Polyneuropathie festgestellt, muss man immer auch eine Amyloidose als Ursache in Erwägung ziehen. Sollte sich der Verdacht bestätigen und eine hereditäre Form der Amyloidose vorliegen, empfiehlt sich eine genetische Beratung der Betroffenen und gegebenenfalls naher Familienangehöriger. Objektive Zeichen einer Polyneuropathie bei der Untersuchung durch den Arzt Bei der klinischen Untersuchung findet man neben den vom Patienten beklagten Sensibilitätsstörungen die oben genannten trophischen Störungen und Verschmächtigungen der Muskulatur, sog. Atrophien. Ein weiteres frühes Zeichen ist der Verlust des sog. Achillessehnenreflexes, der durch Beklopfen der Achillessehne mit dem Reflexhammer ausgelöst wird. Auch der Verlust des Vibrationsempfindens ist ein sehr früh auftretendes und damit empfindliches Zeichen für eine Polyneuropathie. Ob der Patient Vibrationen wahrnimmt, wird mit Hilfe einer schwingenden Stimmgabel, die auf die Großzehengelenke bzw. den Fußknochen aufgesetzt wird, überprüft. Ein solcher Verlust des Vibrationsempfindens ist, wie der Verlust der Achillessehnenreflexe an sich, nicht krankheitswertig, da man auch ohne sie leben kann, jedoch für den Untersucher ein sehr frühes Zeichen für das Vorliegen einer Polyneuropathie. Sie sind daher als Erstsymptom bzw. Frühsymptom einer Polyneuropathie zu bezeichnen. Zusatzuntersuchungen Der Neurologe wird Neuropathien in der Regel durch Messungen der Muskel- und Nervenströme untersuchen, um objektive Daten zur Verfügung zu haben. Dies ist insbesondere für die Verlaufskontrolle wichtig. Diese Untersuchungen können ihrer Natur nach nicht ganz ohne Beeinträchtigung des Patienten vorgenommen werden, gehören jedoch zum Standard in allen neurologischen Kliniken und Praxen. Bei der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurographie, ENG) kann durch elektrische Reizung eines Nerven an zwei verschiedenen Stellen und Ableitung der Antwort vom dazugehörigen Muskel die Impulsleitung im Nerven bestimmt werden (Abb. 1). 6 5 4 1 2 3 Abb 1: Messung der NervenleitgeC7 schwindigkeit: Der Nerv wird an verschiedenen Stellen mit einem schwachen elektrischen Strom (im Millivoltbereich) gereizt und die zugehörige Muskelantwort elektronisch aufgezeichnet. Bei der Elektromyographie (EMG) werden die Muskelströme durch eine in den betroffenen Muskel eingestochene feine Nadelelektrode gemessen. Aus dem Ergebnis lassen sich Rückschlüsse auf die Beteiligung motorischer Nervenfasern bei einer PNP ziehen. In bestimmten Fällen, vor allen Dingen bei einem Verdacht auf Entzündungen im Nervensystem, kann eine Untersuchung des Nervenwassers mittels einer sogenannten Lumbalpunktion erforderlich werden. Bei der Lumbalpunktion wird mit Hilfe einer Hohlnadel RückenmarkFlüssigkeit, also Nervenwasser, entnommen. Vermutet man eine Amyloid-Polyneuropathie, muss die Amyloidablagerung (Eiweißablagerung) durch eine Gewebeprobe gesichert werden. Dies kann durch die Entnahme eines kleinen Hautnervs oder durch Gewebe des Enddarms oder des Unterhautfettgewebes erfolgen (Biopsie). Mittels einer bestimmten Färbung, der sog. Kongorotfärbung, können die Amyloidablagerungen dann unter dem Mikroskop sichtbar gemacht werden. Unter polarisiertem Licht erscheint es in einer charakteristischen grünlich-gelben Doppelbrechung (Abb. 2). Abb 2: Kongorotfärbung: Anfärbung von Amyloid in einer Fettgewebsprobe. Links: Anblick unter dem Lichtmikroskop. Rechts (gleiches Präparat): unter polarisiertem Licht. Therapie der hereditären Amyloid-Polyneuropathie Diese Formen der Amyloidosen werden in der Mehrzahl der Fälle durch Punktmutationen, eine erblich bedingte Veränderung, im Gen eines bestimmten Eiweißstoffes, dem sog. Transthyretin, verursacht. Bis heute sind über 100 genetische Mutationen im Transthyretin bekannt. Ihre Differenzierung erfolgt in spezialisierten Labors mittels isoelektrischer Fokussierung im Harnstoffgradienten (1e) und Sequenzierung des TTR-Gens. Am häufigsten kommt die so genannte Met30-Mutation vor. Klinisch tritt diese Genmutation in zwei Varianten auf: ► eine mit einem frühen Beginn der Symptome um das 30. Lebensjahr (portugiesischer Typ) und ► eine mit spätem Beginn der Symptome um das 50. - 70. Lebensjahr (schwedischer Typ). In Deutschland kommen beide Formen vor. Unbehandelt bestimmen eine fortschreitende Polyneuropathie, aber auch Symptome vonseiten des Herzens (Herzrhythmusstörungen, Herzmuskelschwäche), ausgeprägte Durchfälle und eine allgemeine körperliche Schwäche das klinische Bild. Ohne Behandlung kommt es im Laufe der Jahre zu kontinuierlicher Verschlechterung und einem hohen Risiko an der Erkrankung zu sterben. Mit einer Lebertransplantation lässt sich das Fortschreiten der hereditären Amyloid-Polyneuropathie stoppen. Hierdurch wird das für die Amyloidproduktion verantwortliche Organ entfernt und durch ein gesundes Organ, das kein genetisch verändertes Transthyretin produziert, ersetzt. Das Transthyretin bleibt nun im Blut gelöst und lagert sich nicht mehr im Gewebe ab. Heute wird auch intensiv nach Substanzen geforscht, die Amyloidablagerungen verhindern oder zumindest für eine gewisse Zeit aufhalten. Die Reizsymptome vonseiten der Polyneuropathie wie Schmerzen oder Missempfindungen in Form von Brennen, Stechen oder Kribbeln lassen sich medikamentös gut behandeln. Am besten erprobt ist hier Carbamazepin. Neuere, nebenwirkungsärmere Substanzen sind Gabapentin, oder auch Pregabalin. Beide Präparate sind in der Langzeitbehandlung von Polyneuropathien anderer Ursache gut erprobt und daher, wenn die Therapie sorgfältig von einem Arzt überwacht wird, sehr zuverlässige Präparate auch bei einer Amyloid-Polyneuropathie. Weiterhin können auch bestimmte Antidepressiva gegeben werden, die auf die Schmerzverarbeitung einwirken. Über die Bedeutung der Gabe von Thioctsäure (Liponsäure) herrscht noch keine einheitliche Meinung. Lohnend kann aber zumindest ein Versuch mit der hochdosierten intravenösen Infusion dieses Präparates sein. Weitere Informationen zum Krankheitsbild, sowie eine Liste genetischer Beratungsstellen finden Sie im Internet unter www.temmler.de. Deutsche Gesellschaft für Amyloidkrankheiten e.V. Medizinische Klinik und Poliklinik der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg http://www.dgak.org Arbeitskreise Amyloidose der Uni Heidelberg Arbeitskreis Amyloidose Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg http://www.amyloidoseinfo.com 81030163-0806 Ein Service von: Temmler Pharma GmbH & Co. KG Temmlerstraße 2, 35039 Marburg Tel. (06421) 494-0 E-Mail: [email protected] Internet: www.temmler.de