«Wir erleben eine Rebellion»

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28 us-wahl – die wirtschaft
Schweiz am Sonntag
13. November 2016
«Wir erleben eine Rebellion»
George Magnus, britischer Starökonom, über die wirtschaftlichen Folgen und Ursachen der Trump-Wahl.
VON NIKLAUS VONTOBEL
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Herr Magnus, Sie twitterten kürzlich,
Trump sei vielleicht nicht die dunkle
Gestalt, für die ihn viele halten. Woher nehmen Sie den Optimismus?
George Magnus: Optimismus würde ich
das nicht nennen. Es ist eine Hoffnung.
Man muss ja sagen: Wir wissen wenig
über Trump. Was wir wissen, muss uns
Sorgen machen. Aber einmal im Amt wird
er vielleicht nicht beissen, obschon er im
Wahlkampf laut gebellt hat.
Worauf gründet Ihre Hoffnung noch?
Was wir von seiner Wirtschaftspolitik wissen. Teile davon ergeben natürlich überhaupt keinen Sinn. Aber er sprach auch
von Investitionen in die Infrastruktur. 500
Milliarden Dollar will er dafür aufwenden.
Ist ihm das wirklich wichtig?
In seiner Siegesrede war dies ein Schwerpunkt. Und immerhin ist er ein Immobilien-Mogul und sollte etwas davon verstehen. Wenn er überall Kasinos hinstellt,
wäre das eine gewaltige Verschwendung.
Aber ich gehe davon aus, er will Brücken
oder Autobahnen reparieren, Schulen
bauen und generell in Dinge investieren,
die die Gesellschaft voranbringen.
Solche Investitionen fordern sonst
eher linke Politiker.
Darin liegt eine gewisse Ironie. Dass
Trump womöglich ein Investitionsprogramm lanciert, wie es seine linken Kritiker seit Jahren fordern. Dass die USA ihre
Wirtschaft nicht bloss mit Geldpolitik stüt-
zen, sondern auch mit staatlichen Investitionen. Trump wird wohl genau das tun.
Trump sprach von Steuersenkungen.
Auch ein Grund zur Hoffnung?
Er würde vor allem die Steuern der Reichen senken. Das scheint mir nicht die
beste Art, der Wirtschaft zu helfen. Es wäre eine Wiederholung der Reagan-Politik.
Höhere Einkommen für die Reichen sollen allen einen Anreiz geben, noch härter
zu arbeiten. Das hat schon damals nicht
funktioniert. Am Ende hatten die USA
einen noch grösseren Schuldenberg.
Wenn Trump dazu noch Obamacare abschafft, verlieren 20 Millionen Amerikaner ihre Gesundheitsversicherung. Solche
Dinge entzweien die Gesellschaft und
schaden langfristig auch der Wirtschaft.
Sie haben also doch nicht allzu viel
Hoffnung, dass Trump eine sinnvolle
Wirtschaftspolitik führen wird?
Mein Punkt ist der: Was immer wir von
Trump als Politiker denken, wir sollten
nicht jede einzelne Idee von ihm im Vornherein ablehnen. Weil einiges davon tatsächlich Sinn ergibt.
Könnte seine Politik dazu führen, dass
die USA wieder mehr Inflation haben?
Wenn sich gleichzeitig die Notenbank mit
Zinserhöhungen zurückhält, wäre ein Anstieg der Inflation wahrscheinlich. Vielleicht auch der Löhne. Zumal die Arbeitslosenquote auf 4,9 Prozent gesunken ist.
Dann hätten wir im Jahr 2019 eine Inflation von 3 Prozent. Auch das wäre sehr
ironisch. Die ganze Geschichte dieses
über dem Euro oder dem Franken stärken. Das wiederum würde der Wirtschaft
in der EU helfen und die Inflation ein wenig nach oben drücken. Aber dieser Effekt
wäre begrenzt. Etwas anderes wäre es,
wenn Europa dem US-Beispiel folgt.
Grossbritannien etwa muss sich nicht an
den EU-Fiskalpakt halten und der Staat
könnte wie in den USA mehr investieren.
Wird das passieren?
Es wird erwartet, dass die britische Regierung bald eine Lockerung ihrer Wirtschaftspolitik verkündet. Wie weit diese
gehen wird, ist nicht klar. Aber Grossbritannien wird durch die Abwertung des
Sterlings ohnehin mehr Inflation haben.
«Wir wissen sehr wenig über Trump»: George Magnus.
Berater der UBS
George Magnus war von
1995 bis 2012 erst Chefökonom der UBS-Investmentbank und später Senior
Economic Advisor. Heute
ist er Associate am ChinaZentrum der Oxford-Universität. Magnus schreibt
regelmässig in der «Financial Times» und erscheint
im britischen Fernsehen
oder auf Bloomberg TV.
Magnus ist verheiratet, hat
vier Kinder und lebt in
London.
HO
Rechtspopulismus in den USA und in
Europa ist voller Ironie.
Wie meinen Sie das?
Mehr Inflation würde den privaten Haushalten helfen, ihre Schulden von vor der
Finanzkrise abzubauen. Hätten wir zehn
Jahre mit mehr Inflation, reduzierte sich
der inflationsbereinigte Wert der Schulden deutlich. Linksliberale Ökonomen haben daher eine höhere Inflation gefordert.
Unter Präsident Trump könnten wir diese
tatsächlich bekommen.
Könnte eine höhere Inflation in den
USA nach Europa rüberschwappen?
Ein stärkeres Wachstum und höhere Zinsen in den USA würden den Dollar gegen-
Und im übrigen Europa?
Nächstes Jahr könnte sich vieles ändern.
Immerhin haben wir Wahlen in Frankreich und Deutschland.
Hatten Sie mit der Wahl von Trump
gerechnet?
Ich hatte gehofft, dass es nicht passiert.
Aber nach dem Brexit musste man damit
rechnen. Wir erleben eine verspätete Reaktion auf die Finanzkrise. In jedem Land
sind die Themen und die handelnden Personen anders. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit. Im ewigen Kampf zwischen
Arbeitern und dem Kapital hatte das Kapital bekommen, was es wollte, und das 35
Jahre lang. Die Finanzkrise brachte das
Fass zum Überschwappen und nun erleben wir eine Rebellion. Ironischerweise
wird diese von rechtspopulistischen Politikern angeführt, nicht von linken.
INSERAT
Fortsetzung von Seite 27
zenpolitiker Paul Ryan nach der Wahl
verkündete, sei die Privatisierung der
US-Alterskrankenkasse Medicare beschlossene Sache. Er plant, die staatlichen Ausgaben für das Programm zu
deckeln. Damit müssen Senioren künftige Kostenanstiege aus der eigenen Tasche bezahlen. Das Eintrittsalter will er
von 65 auf 67 Jahre erhöhen.
Stürzt der designierte Präsident
Trump wie angekündigt Obamacare
und kommt die Ryan-Reform zu tragen,
spielt die freie Marktdynamik. Denn
um mit weniger Geld vom Staat möglichst rentabel zu wirtschaften, wird
Medicare versuchen, möglichst geringe
Medikamentenpreise auszuhandeln.
Budgetdruck steigt
Obwohl Trump ein Mann der freien
Märkte ist, wird er auch bei den Gesundheitskosten sparen müssen. Denn
diese liegen in den USA bei 20 Prozent
des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die
Staaten sind damit im internationalen
Vergleich trauriger Spitzenreiter. Zum
Vergleich: In der Schweiz betragen die
Ausgaben etwa 10 Prozent des BIP. «Damit wird der Budgetdruck in den USA
weiter zunehmen», sagt Marcel Sennhauser, Sprecher des chemisch-pharmazeutischen
Wirtschaftsverbandes
Scienceindustries.
Auch in der wachstumsstarken Biotech- und Pharma-Branche gilt die
Trump-Doktrin, die heimische Industrie zu stärken. «Das heisst, der neue
Präsident muss sicherstellen, dass das
US-Gesundheitssystem weiterhin Inno-
vation belohnt», sagt Pharmaspezialist
Michael Nawrath von der ZKB. An neuartigen Wirkstoffen arbeiten die grossen Pharmakonzerne zurzeit auf Hochtouren, da zahlreiche Milliardenkassenschlager den Patentverfall erreichen.
Allein bis 2020 seien durch Patentverluste biologischer Wirkstoffe wie Herceptin oder Humira 80 und 100 Milliarden Dollar gefährdet, so Nawrath.
Weiteres Kurspotenzial
Das zeigt: Trump wird sparen müssen,
um Ressourcen für neue Medikamente
freizumachen. «Wir gehen davon aus,
dass Innovation weiterhin ihren Preis
haben wird und der Preisdruck bei
neuartigen Medikamenten geringer
ausfallen wird», sagt Branchenkenner
Ivo Staijen von der Beteiligungsgesellschaft HBM Healthcare. Damit dürfte
auch die Zuversicht der Anleger für
Roche und Novartis anhalten, die mit
hohen Forschungsbudgets neuartige
Wirkstoffe entwickeln. Staijen sieht in
den nächsten zwölf Monaten weiteres
Kurspotenzial bei Pharma- und Biotechtiteln.
Selbst auch bei neuen Medikamenten
sind den Preisen Grenzen gesetzt. Pharmaeinkaufsorganisationen wie CVS oder
Express Scripts gewinnen zunehmend
an Verhandlungsmacht in den USA. Sie
agieren zwischen den Versicherungen
und der Industrie und fordern leistungsbasierte Bezahlmodelle. Wen sie als zu
teuer befinden, der fällt von ihren Verkaufslisten. Erst im August hatte CVS einige Medikamente, darunter auch eines
von Novartis und Actelion für 2017 von
der Liste gestrichen.
Trump-Effekt lässt in der Schweiz die Zinsen steigen
Das war nicht, was die Experten erwarteten. Nach
der Trump-Wahl meldete
der Hypotheken-Vermittler Moneypark: «Es ist mit
anhaltend tiefen Zinsen zu
rechnen.» Die Zinsen stiegen. Der 10-Jahres-Swap
kletterte auf 0,1 Prozent.
Damit liegen die Zinsen
heute 0,4 Prozentpunkte
über dem Tief vom September. Einige Banken reagierten. «Credit Suisse
und Postfinance haben ihre Sätze erhöht. Dagegen
behielten die Versicherungen ihre Angebote tendenziell bei. Je nach Verhandlungstaktik der Kunden gibt es weiterhin
grosse Unterschiede»,
sagt Marc Parmentier von
Comparis. Den Zinsanstieg
erklärt sich Oliver Adler,
Chefökonom der Credit
Suisse, mit den Plänen von
Trump. «Er will in Infra-
struktur investieren und
die Steuern senken. Die Investoren erwarten, dass
dies zu mehr Wachstum,
mehr Inflation und höherer Staatsverschuldung
führt.» An eine baldige
Zinswende in der Schweiz
glaubt Adler nicht. «Die
SNB wird die Zinsen erst
erhöhen, wenn dies auch
die Europäische Zentralbank tut. Damit ist 2017
jedoch nicht zu rechnen.»
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