Der Islam und der Verfassungsstaat Mouhanad Khorchide Abstract

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Der Islam und der Verfassungsstaat
Mouhanad Khorchide
Abstract
In der wissenschaftlichen Debatte um Religion und Politik erlangt die Rückkehr der
Religionen in den öffentlichen Raum steigende Aufmerksamkeit. Im Zusammenhang mit dem
Islam ist auch die Rede von der „Politisierung von Religion“, was die Frage nach der
Kompatibilität des Islam mit dem Verfassungsstaat aufwirft.
Eine unabdingbare Voraussetzung für die Legitimität bestehender Machtstrukturen in einer
Demokratie basiert auf der Grundidee, „(...) wonach alle Macht vom Volke [ausgeht] und ihre
Ausübung nur dann legitimiert ist, wenn sie in Übereinstimmung mit dem Volkswillen
geschieht“1.
Muslime und Nichtmuslime, die die Meinung vertreten, dass sich der Islam nicht ohne
Weiteres in die religionsneutralen Staaten Europas integrieren lassen kann, begründen ihre
Meinung damit, dass die islamische Gesellschaftsordnung von Gott vorgegeben und
vorgeschrieben sei, während die Gesellschaftsordnung eines religionsneutralen Staates im
offenen demokratischen Aushandlungsprozess entstehe. Da der Koran und die prophetische
Tradition (Sunna) als Hauptquellen des Islam gelten, werden diese auch als Hauptquellen
der islamischen Gesellschaftsordnung gesehen.
Die von manchen muslimischen Fundamentalisten geforderte Einführung der Schari‘a in
Europa lässt den Eindruck entstehen, dass der Islam ein abgeschlossenes juristisches
Schema besitzt, das einen universellen Charakter hat und alle Lebensbereiche erfasst.
Insbesondere die legislativen Aspekte in den islamischen Quellen (Koran und Sunna) sorgen
für viele Spannungen und teilweise für Ängste in den europäischen Gesellschaften, weshalb
auch die Frage nach der Vereinbarkeit des Islam mit dem Verfassungsstaat gestellt wird.
Die Hauptthesen des Vortrages lauten:
Erste These: Alle Muslime sind sich darüber einig, dass der Prophet Mohammed bemüht
war, in Medina den Grundstein für die Errichtung eines Verfassungsstaates zu legen. Der
Vertrag von Medina gilt als erster Schritt in diese Richtung. Daher steht die Idee eines
Verfassungsstaates an sich mit dem Islam nicht im Widerspruch.
Zweite These: Ob ein Islamverständnis mit einem Verfassungsstaat, dessen Verfassung von
Menschen festgelegt wurde, in Einklang steht oder nicht, hängt davon ab, wie man im
1
Karl Loewenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1959 S. 148.
jeweiligen Islamverständnis die im Koran und in der Sunna beschriebenen gesellschaftlichen
juristischen Aspekte auffasst: historisch gebunden, oder ahistorisch.
Dritte These: Nur ein Islamverständnis, das die juristischen Einzelregelungen im Koran und
in der Sunna als historisch bedingt und kontextabhängig sieht, kann in Einklang mit dem
modernen Verfassungsstatt stehen.
Vierte These: So ein Islamverständnis setzt jedoch zwei Differenzierungen voraus: Die erste
ist die Differenzierung zwischen den Handlungen Mohammeds als Prophet und zwischen
seinen Handlungen als Staatsoberhaupt. Die zweite Differenzierung unterscheidet zwischen
den allgemeinen ethischen Prinzipien im Koran und in der Sunna, die hauptsächlich in der
mekkanischen Phase entstanden sind, und zwischen den juristischen Einzelregelungen im
Koran und in der Sunna, die hauptsächlich in der medinensischen Phase entstanden sind.
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