Privatdozent Dr. C. Diem [email protected] http://www.math.uni-leipzig.de/∼diem/grund GRUNDWISSEN SCHULMATHEMATIK Unsere geometrischen Axiome Wir gehen von Folgendem aus: • Einer Menge E, genannt Ebene. Die Elemente von E heißen Punkte. • Einer Menge G, deren Elemente Teilmengen von E sind. Mit anderen Worten: G ist eine Teilmenge der Potenzmenge von E. Die Elemente von G heißen Geraden. Die Punkte bezeichnen wir mit P, Q, . . . und die Geraden mit g, h, . . .. Wenn nun für einen Punkt P und eine Gerade g P ∈ g gilt, so sagen wir auch, dass P auf g liegt, oder, dass g durch P geht. Wenn zwei verschiedene Geraden einen Punkt P gemein haben, so sagen wir, dass sie sich in P schneiden. Wir setzen nun einige Eigenschaften voraus. Dies machen wir mittels sogenannter Axiome. Axiom 1 Durch je zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade. Axiom 2 (Parallelenaxiom) Sei g eine Gerade und P ein Punkt, der nicht auf g liegt. Dann gibt es genau eine Gerade h durch P mit g ∩ h = ∅. Axiom 3 Es gibt drei Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen. Bemerkung Punkte, die auf einer Geraden liegen, nennt man kollinear. Das Axiom besagt also, dass es drei Punkte gibt, die nicht kollinear sind. Definition Eine Struktur wie soeben beschrieben heißt eine affine Ebene. Die drei Axiome heißen Inzidenzaxiome. Notation mit P Q. Für verschiedene Punkte P, Q bezeichnen wir die Gerade durch P und Q Bemerkung Eine affine Ebene besteht also aus der Punktmenge (Ebene) E und der Menge der Geraden G. Nichtsdestoweniger bezeichnen wir die affine Ebene wie die Menge der Punkte mit E. Aussage a) Jede Gerade geht durch mindestens zwei verschiedene Punkte. b) Es gibt vier verschiedene Punkte. Nun nehmen wir noch eine Funktion / Abbildung δ : E×E −→ R≥0 hinzu. Diese nennen wir Abstandsfunktion. Wir postulieren: Axiom 4 (Abstandsaxiom) Sei g eine Gerade. Dann gibt es eine Bijektion ϕ : g −→ R mit δ(P, Q) = |ϕ(P ) − ϕ(Q)| für alle P, Q ∈ g. Definition Eine Abbildung ϕ wie in Axiom 4 heißt eine Koordinatenabbildung für g. Aussage Seien P und Q verschiedene Punkte. Dann gibt es genau eine Koordinatenabbildung ϕ : P Q −→ R mit ϕ(P ) = 0 und ϕ(Q) > 0. Definition • Seien A und B verschiedene Punkte und sei C auf der Geraden AB. Dann sagen wir, dass C zwischen A und B liegt, falls C verschieden von A und B ist und δ(A, C) + δ(C, B) = δ(A, B) gilt. • Seien weiterhin A und B verschiedene Punkte. Dann definieren wir die Strecke von A nach B als AB := {C ∈ AB | C zwischen A und B} ∪ {A, B} . • Eine Menge X von Punkten heißt konvex, falls gilt: Für alle verschiedenen Punkte A, B von X liegt auch die Strecke AB in X. Lemma Seien A und B verschiedene Punkte und sei ϕ : AB −→ R eine Koordinatenabbildung mit ϕ(A) < ϕ(B). Sei nun C ein weiterer Punkt auf AB. Dann liegt C genau dann zwischen A und B, wenn ϕ(A) < ϕ(C) < ϕ(B) gilt. Lemma Seien A, B, C, D Punkte mit A 6= B, C 6= D. Dann ist genau dann AB = CD, wenn {A, B} = {C, D} ist. Somit kann man definieren: Definition Sei s eine Strecke. Wenn nun s = AB ist, heißen A und B die Endpunkte von s. Ferner definieren wir die Länge von s als |s| := δ(A, B). Wir setzen auch |AB| := |AB|. Axiom 5 (Trennungsaxiom) gen H1 , H2 von E mit Sei g eine Gerade. Dann gibt es zwei konvexe Teilmen- • E = H1 ∪˙ H2 ∪˙ g, • für alle Punkte A ∈ H1 , B ∈ H2 scheidet die Strecke AB die Gerade g. Lemma / Definition H1 und H2 sind bis auf die Reihefolge durch g eindeutig bestimmt. Wir nennen sie die beiden durch g definierten Hälften von E. (Im Buch heißen H1 und H2 Seiten von g, aber das kommt mir nicht so passend vor.) Definition Seien A und B verschiedene Punkte. Dann ist der Strahl von A durch B definiert als •−→ AB:= {C ∈ AB | A liegt nicht zwischen C und B} . (Eigentlich muss man •−→ AB:= {C ∈ AB\{B} | A liegt nicht zwischen C und B} ∪ {B} setzen, weil für C = B “zwischen C und B” gar nicht definiert ist.) Wir nennen dann A den Endpunkt oder auch den Anfangspunkt des Strahls. •−→ Definition / Lemma Seien A, B, S Punkte mit A 6= S, B 6= S und seien s := SA, •−→ t :=SB. Dann nennen wir s ∪ t einen Winkel mit Scheitelpunkt S. Wir bezeichnen ihn mit ∠ASB. Wenn der Winkel selbst ein Strahl ist, sprechen wir von einem Nullwinkel, wenn der Winkel eine Gerade ist, sprechen wir von einem gestreckten Winkel. Außer für einen gestreckten Winkel sind s und t eindeutig durch den Winkel bestimmt. Sie heißen die Schenkel des Winkels. Definition Sei ein Winkel ∠ASB gegeben, der kein Nullwinkel und nicht gestreckt ist. Sei K die durch AS definierte Hälfte, die B enthält, und L die durch BS definierte Hälfte, die A enthält. Dann heißt K ∩ L das Innere des Winkels. Wenn wir noch die Schenkel hinzunehmen, erhalten wir die Winkelfläche. Nun nehmen wir eine Abbildung m von der Menge der Winkel nach [0, 180] hinzu, genannt Winkelmaß. Wenn m(∠ASB) = α ist, sagen wir, dass der Winkel ∠ASB α Grad (kurz: α◦ ) habe. Nun soll gelten: Axiom 6 (Winkelmessung) a) Jeder Nullwinkel hat 0 Grad und jeder gestreckte Winkel hat 180 Grad. b) Seien S und A zwei verschiedene Punkte, H eine durch SA definierte Hälfte von E •−→ und α ∈ (0, 180). Dann gibt es genau einen Strahl SB mit B ∈ H, so dass der Winkel ∠ASB α Grad hat. c) Sei B ein Punkt in der Winkelfläche eines Winkels ∠ASC. Dann gilt m(∠ASC) = m(∠ASB) + m(∠BSC) . Definition Ein Winkel mit 90 Grad heißt ein rechter Winkel. Wenn wir einen rechten Winkel haben, sagen wir, dass die beiden Schenkel des Winkels senkrecht aufeinander stehen. Diese Definition brauchen wir allerdings für das Axiomensystem gar nicht. Wir kommen zu Dreiecken und danach zum Begriff der Kongruenz. Dies bedeutet hier soviel wie “gleiches Maß haben”. Definition / Lemma Seien A, B, C Punkte, die nicht kollinear sind. Dann nennen wir AB ∪ BC ∪ AC das von A, B, C definierte Dreieck. Dies bezeichnen wir mit △ABC. Das Dreieck hat auch eine Fläche, die sich als Durchschnitt der Winkelflächen ergibt. Man kann zeigen, dass die Punkte A, B, C eindeutig durch das Dreieck △ABC bestimmt sind. Wir nennen diese Punkte die Eckpunkte des Dreiecks. Wir nennen den Winkel ∠BAC auch den Winkel des Eckpunkts A. Definition • Zwei Strecken s, t heißen kongruent, wenn sie die gleiche Länge haben. Wir schreiben dann s ≃ t. • Zwei Winkel v, w heißen kongruent, wenn sie das gleiche Maß haben. Wir schreiben dann v ≃ w. • Seien nun D1 und D2 zwei Dreiecke. Dann heißen D1 und D2 kongruent, falls man die Eckpunkte so aufeinander abbilden kann, dass die entsprechenden Strecken und Winkel der beiden Dreiecke zueinander kongruent sind. Analog zu dem Vorherigen schreiben wir dann D1 ≃ D2 . • Seien A, B, C drei nicht-kollineare Punkte, und auch D, E, F drei nicht-kollineare Punkte. Dann heißen die Tripel (A, B, C) und (D, E, F ) kongruent, falls die Winkel und die Strecken der beiden Dreiecke ∆ABC und ∆DEF zueinander kongruent sind, wenn man A auf D, B auf E und C auf F abbildet. (Im Gegensatz zur zuvor definierten Relation für Dreiecke kommt es hier auf die Reihenfolge der Punkte an.) Wir schreiben dann (A, B, C) ≃ (D, E, F ). Kongruenz ist in jedem der vier Fälle eine Äquivalenzrelation. Bemerkung Im Buch fehlt die letzte Definition. Stattdessen wird ∆ABC ≃ ∆DEF geschrieben, wenn eigentlich (A, B, C) ≃ (D, E, F ) gemeint ist. Dies ist aber schlecht, weil dies nicht wohldefiniert ist. (Es kommt eben auf die Reihenfolge der Punkte an, aber Dreiecke “wissen nichts” von der Reihenfolge der Ecken.) Axiom 7 (Kongruenzaxiom) Seien jeweils (A, B, C) und (D, E, F ) Tripel von nichtkollinearen Punkten, wobei ∠BAC ≃ ∠EDF und AB ≃ DE, AC ≃ DF gilt. Dann gilt (A, B, C) ≃ (D, E, F ). Definition Eine affine Ebene mit Abstandsfunktion und Winkelmaß, für die alle die genannten Axiome gelten, heißt eine euklidische Ebene.