Edelweiss als Naturkosmetikum Bevor das Edelweiss zur Bergsteiger-Trophäe wurde und unter Naturschutz gestellt werden musste, war es ein bewährtes Naturheilmittel. Seit einigen Jahren nun wird die zierliche Alpenblume in Kulturen angebaut. Damit rückt ihre naturheilkundliche und neuerdings auch kosmetische Nutzung in den Bereich des Möglichen. Text und Fotos: Bruno Vonarburg 48 Natürlich | 6-2003 Locken Fliegen, Bienen, Schwebefliegen und Schmetterlinge an: Die winzigen, duftenden Röhrenblüten des Edelweiss In den Alpen wird das Edelweiss zur heimischen Flora gezählt. In Wirklichkeit liegt die Heimat dieser Bergzierde jedoch in den Hochländern Zentralasiens. Von dort aus breitete sich das Edelweiss in der letzten Eiszeit nach Westen bis zu den Pyrenäen und nordwärts bis in die sibirische Steppe aus. Ihr Haarpelz verrät die typische Trockenlandpflanze. Er schützt das Edelweiss vor austrocknenden Winden und Kälteeinfluss. Nachts erstarren nämlich die Edelweiss-Standorte nicht selten zu Eis. Selbst dort, wo die Wärmeabstrahlung der Felsen die nächtliche Kühle mildert, sinkt die Lufttemperatur in die Nähe des Nullpunktes. Da kommt der Königin der Bergblumen der flaumige Filz, der ihren Stängel, ihre Blüten und Blätter einhüllt, sehr zustatten. Dass dieses Wollkleid aus silbrig weissen Haaren eine Anpassung an die klimatischen Verhältnisse bedeutet, kann man auch daran erkennen, dass das Edelweiss den schützenden Pelz abwirft, sobald es in mildere Regionen verpflanzt wird. Dann «vergrünt» die Pflanze und ist nur noch ein Schatten ihrer einstigen Schönheit. Silberstern im Wollkleid Das mehrjährige Edelweiss (Leontopodium alpinum Cass.) gehört zur botanischen Familie der Korbblütler (Asteraceae) und besitzt einen walzigen, vielfaserigen Wurzelstock. Im Laufe des Sommers W er kennt sie nicht, die weisswolligen Sibersterne der Alpenweiden und Felsfluren? Heute ist das Edelweiss eine Art schweizerisches Markenzeichen, früher war es begehrte Trophäe von Bergsteigern und Gebirgsjägern: Ein selbst gepflücktes Edelweiss auf dem Hut aufgesteckt galt als ein Zeichen für Bergtüchtigkeit – umso mehr, als das Pflücken der vorwiegend an unzugänglichen Felswänden und steilen Abhängen gedeihenden Blume gefährlich war und schon manchem Alpinisten zum Verhängnis wurde. Trotz aller Warnungen fordert die Sehnsucht nach den schimmernden Sternen weiterhin neue Opfer und nicht selten erscheint während der Sommermonate in den Spalten der Tagespresse die Überschrift: «Beim Edelweisspflücken verunglückt!» Chrüteregge GESUNDHEIT bildet die Pflanze 5 bis 15 cm hohe, wollig behaarte Stängel, an denen weisslich filzige, zungenförmige bis lanzettliche Blätter wachsen. Endständig erscheinen von Juli bis August, in Trugdolden angeordnet, mehrere Blütensterne (Scheinblüten), die von einem dichten Kranz Hochblätter umgeben sind. Die eigentlichen Blüten sind winzige Röhrenblüten, welche zu Hunderten in den 4 bis 5 gelbgrünen Körbchen, inmitten des Sternes, beisammensitzen. Der Rand ist mit weiblichen, das Zentrum mit männlichen Blüten ausgestattet. Durch den ausströmenden Honiggeruch werden Insekten, vor allem Fliegen, seltener Bienen, Schwebefliegen und Schmetterlinge, zur Bestäubung angelockt. Weil der Blütenstand eine Ähnlichkeit mit den Füssen des Löwen besitzt, wird die Pflanze in der Botanik als Leontopodium (griechisch: leon = Löwe, podion = Fuss) bezeichnet. Der Beiname «alpinum» verdeutlicht das Verbreitungsgebiet in den Alpen. Im Volksmund wird die Königin der Alpenblumen auch als Wullkraut, Irlweiss, Hahnetabbe, Ewigweiss, Löwentatze, Almsterndl, Gletscherstern, Schneestern, Silberstern oder Gletscherkönigin, in den Dolomiten als Stella alpina, genannt. Die Edelweiss-Standorte auf sonnigen Kalkböden, bergiger Steilhänge und auf den Rasenflächen der Felsfluren von 1800 bis 3000 m Höhe beschränken sich nicht Der Haarpelz verrät die Trockenlandpflanze: Edelweiss Natürlich | 6-2003 49 GESUNDHEIT Chrüteregge nur auf die Alpenkette, sondern sind auch im Jura, in den Pyrenäen, Karpaten, Abruzzen und im Balkan zu finden. Auf der ganzen Erde kennt man 40 Edelweissarten, die bis zum Himalaja, nach Setschan, Yünnan, in der Mongolei und in Sibirien verbreitet sind. In den Alpen steht die Pflanze seit 1880 unter strengstem Naturschutz. Das Edelweiss wird auch in Zier- und Steingärten gezogen. Die silbrigweisse Behaarung dieser Gartenform ist spärlicher, da sie im Gegensatz zu den Bergpflanzen geringerer Kälte und weniger intensivem Sonnenlicht ausgesetzt ist. Edles Heilkraut In früheren Zeiten wurde das Edelweiss als Tee gegen Durchfall verwendet. In Honig und Milch gesotten, kam es auch bei Brustbeschwerden zum Einsatz. Ferner wurde aus den Silbersternen eine Salbe gegen rheumatische Schmerzen hergestellt. Da die Pflanze heute unter strengstem Naturschutz steht, sind die traditionellen Rezepturen nicht mehr in Gebrauch. Nur wenn das Edelweiss im Garten angebaut wird, darf es in der Hausapotheke eingesetzt werden. Als Wirkstoffe beinhaltet das Edelweiss Gerbstoffe als Tannine, Flavonoide, Phenylpropan- und Hydroxyzimtsäurederivate sowie flüchtige Verbindungen wie Hexenylacetat, Limonen, Pinen und Cumarin, mit adstringierenden, entzündungshemmenden, schmerzstillenden und hautschützenden Eigenschaften. Neuste Forschungen bestätigen ausserdem die Fähigkeit der Pflanze, freie Radikale zu binden und oxydationshemmend zu wirken. Der Lausanner Pharmakologe Prof. Kurt Hostettmann weist zudem auf die arteriosklerosehemmende Wirkung des Extraktes hin. In der einschlägigen Literatur der Pflanzenheilkunde wird das Edelweiss kaum aufgeführt. Einzig Wilhelm Pelikan erwähnt Leontopodium alpinum in seinem Buch «Heilpflanzenkunde» Band l, Verlag Goetheanum Dornach (S. 258– 260): «Rudolf Steiner hat die Pflanze als Heilmittel bei Otosklerose (Mittelohrsklerose) angegeben... Bei der Otosklerose ergreifen Verhärtungs-, Erstarrungs- und Degenerationsprozesse Labyrinthkapsel, Cortisches Organ, Hörnerv... Dazu können Heilmittel aus einer Pflanze beitragen, 50 Natürlich | 6-2003 die so in die Erstarrungsregion der Erde ragt, Blüten- und Wurzelhaftes in so vollkommener Weise im silbrigen Edelweissstern verschmilzt, sich das Wässrige aus der Luft holt und im Trocken-Kalten Form und Leben sich in eigenartigem Zusammenklang wahrt.» Neuerdings ist das Edelweiss als Heilpflanze durch die anthroposophische Medizin wieder entdeckt worden, wobei die Firma Weleda versucht, die Königin der Alpenblumen in speziellen Kulturen plantagemässig anzubauen. Edelweiss-Kulturen im Wallis Seit 1995 werden im Wallis auf 1100 m Höhe, in Burson, Kulturversuche mit dem Edelweiss, unter der Leitung von Charles Rey (Centre Fougères, Conthey) durchgeführt. Finanziert wird das Projekt durch die Firma Ricola, welche als Bonbonhersteller über die Landesgrenze hinaus bekannt ist. Alpaflor, eine Tochter der Basler Pharmagesellschaft Pentapharm, machte es sich zur Aufgabe, die medizinischen und kosmetischen Eigenschaften der angebauten Pflanzen zu erforschen. Dabei stellte sich heraus, dass das Edelweiss mit seinem hohen Tanningehalt eine hautschützende Wirkung besitzt. Ferner konnten antibakterielle, antisepCharles Rey (rechts) leitet die Edelweiss-Kultur in Burson, Wallis. tische, antimykotische und gefässverengende Charakteristiken nachgewiesen werden. Ausserdem sollen die Flavonoide von Leontopodium alpinum die Brüchigkeit von Blutkapillaren verhindern und die Gefässe vor der Bildung von Besenreissern und Couperose schützen. Die genannten Kriterien haben in der Kosmetik eine hohe Bedeutung, weshalb beabsichtigt wird, Edelweiss-Extrakte gegen die Hautalterung, als Faltenkiller und Sonnenschutzmittel sowie für die AprèsSoleil-Behandlung einzusetzen. Die Tests sind in vollem Gange, damit der Silberstar der Alpen mit seiner reinen und edlen Ausstrahlung bald einmal einen extravaganten Platz in der natürlichen Schönheitspflege einnehmen kann. ■