Dynamisches kritisches Verhalten nahe und fernab vom Gleichgewicht Vorlesung gehalten von Hans Werner Diehl im SS 2008 am Campus Duisburg der H. W. Diehl 23. Juni 2008 Inhaltsverzeichnis 1 Erinnerung an die Quantenmechanik: Erwartungswerte und Bilder talen Dynamik 1.1 Erwartungswerte, Dichteoperatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zeitliche Entwicklung von Zuständen und Erwartungswerten . . . . . 1.3 Schrödinger-, Heisenberg- und Wechselwirkungsbild . . . . . . . . . . 1.3.1 Schrödingerbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Heisenbergbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Wechselwirkungs- oder Dirac-Bild . . . . . . . . . . . . . . . . der quan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Lineare Antworttheorie 1 1 1 2 2 4 4 6 3 Greenfunktionen 3.1 Kommutator- und Antikommutator-Greenfunktionen . . . 3.1.1 Definition der (Anti-)Kommutator-Greenfunktionen 3.1.2 Laplacetransformierte der Greenfunktionen . . . . . 3.1.3 Bewegungsgleichungen der Greenfunktionen . . . . 3.1.4 Spektraldarstellung der Greenfunktionen . . . . . . 3.2 Temperatur-Greenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Spektralfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . -2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 7 7 8 8 9 9 13 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 4 Fluktuations-Dissipations-Theorem 15 5 Einfache Beispiele aus der klassischen Physik 5.1 Ungedämpfter harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . 5.2 Ungedämpfter harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . 5.3 Modenstruktur des gedämpften harmonischen Oszillators . . 5.4 Responsefunktion des gedämpften harmomischen Oszillators 17 17 18 20 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Summenregeln und asymptotische Entwicklung von Responsefunktionen 26 7 Memoryfunktionsformalismus 7.1 Memoryfunktionsformalismus am Beispiel einer einzigen Variablen 7.2 Memoryfunktionsmatrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Erweiterung auf die Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Kurze Erinnerung an das Problem der Spindiffusion . . . . . . . . 29 29 33 34 35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Brownsche Bewegung als Anwendung des Memoryfunktionsformalismus 9 Allgemeine Eigenschaften von Modellen der kritischen Gleichgewichtsdynamik 9.1 Mikroskopische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Stochastische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Forderungen an die Wahrscheinlichkeitsverteilung P[O; t] . . . . . . . . . 9.2.2.1 Verträglichkeit mit dem thermodynamischen Gleichgewicht . . . 9.2.2.2 Relaxation ins Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2.3 Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2.4 Fluktuations-Dissipations-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Definition von kinetischen Koeffizienten, Transportkoeffizienten und charakteristischen Frequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Erste Beispiele: die stochastischen Modelle A und B . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Charakteristische Funktion einer Wahrscheinlichkeitsverteilung . . . . . . 9.3.2 Gaußsche Verteilung bei vorgegebenem Mittelwert und Varianz . . . . . 9.3.2.1 Der Fall einer einzelnen reellwertigen Zufallsvariablen . . . . . . 9.3.2.2 Verallgemeinerung auf n reellwertigen Zufallsvariablen . . . . . 9.3.3 Die stochastische Gleichungen der Modelle A und B . . . . . . . . . . . . 9.3.3.1 Modell A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3.2 Modell B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Phänomenologische Skalentheorie 10.1 Phänomenologische Skalentheorie statisch kritischer Phänomene . . . . . . . . . 10.1.1 Definition der statischen kritischen Exponenten . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Phänomenologische thermodynamische Skalentheorie . . . . . . . . . . . 10.1.3 Phänomenologische Skalentheorie lokaler Observablen . . . . . . . . . . . 10.2 Phänomenologische Skalentheorie der kritischen Dynamik . . . . . . . . . . . . . 10.3 Lokale dynamische Skaleninvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Überprüfung der dynamischen Skalenansätze im Rahmen der Gaußschen Näherung für die Modellen A und B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.W. Diehl SS 2008 37 42 42 43 43 43 43 44 44 44 45 45 46 47 47 48 49 49 50 52 52 52 53 56 59 60 61 -1 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 11 Benötigtes Hintergrundwissen über stochastische Prozess 64 11.1 Zeitabängige Wahrscheinlichkeitsdichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 11.2 Bedingte Wahrscheinlichkeitsdichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 11.3 Stochastische Unabängigkeit und vollständig unkorrelierte stochastische Prozesse 65 11.4 Markov-Prozesse und Chapman-Kolmogorov-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . 66 11.5 Master-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 11.6 Der Spezialfall zeitunabhängiger Übergangswahrscheinlichkeiten, detailliertes Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 11.7 Spezialisierung auf den Fall diskreter Konfigurationsvariablen . . . . . . . . . . . 69 11.8 Kramers-Moyal-Entwicklung und Fokker-Planck-Gleichung . . . . . . . . . . . . 73 12 Einführung in die Feldtheorie der dynamischen kritischen Phänomene 12.1 Formulierung der Modelle als Gauß-Markov-Prozesse . . . . . . . . . . . . 12.2 Äquivalente Langevingleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Onsager-Machlup-Funktional . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Feldtheoretische Formulierung nach Janssen und de Dominicis . . . . . . . H.W. Diehl SS 2008 . . . . . . . . . . . . 75 75 76 77 79 0 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 1 Erinnerung an die Quantenmechanik: Erwartungswerte und Bilder der quantalen Dynamik 1.1 Erwartungswerte, Dichteoperatoren Gegeben: • Ĥ(t) = Ĥ0 + Ĥ1 (t) = Hamiltonoperator Ĥ(t) beschreibe quantales System; Ĥ1 sei explizit zeitabhängiger Anteil. • ρ̂(0) = Dichteoperator zum Zeitpunkt t0 . Für den Erwartungswert einer durch den selbstadjungierten Operator Â(t) im Schrödingerbild dargestellten Observablen zum Zeitpunkt t0 im gemischten Zustand ρ̂(0) gilt dann bekanntlich hÂ(t0 )i = Sp ρ̂(0) Â(t0 ) . (1.1) Ferner lässt sich ρ̂(0) in der Spektralform als X ρ̂(0) = Zustände ν pν |νihν| , (1.2) wobei {|νi} eine Orthonormalbasis ist: X hν|ν ′ i = δνν ′ , (1.3) pν = Sp ρ̂(0) = 1 , (1.4) ν und 0≤ 1.2 pν |{z} Besetzungswahrscheinlichkeit ≤1. (1.5) Zeitliche Entwicklung von Zuständen und Erwartungswerten Zum Zeitpunkt t > t0 hat sich ρ̂(0) zu ρ̂(t) = X pν U(t, t0 )|νihν|U(t, t0 )† ν = U(t, t0 )ρ̂(0) U(t, t0 )† (1.6) entwickelt. Dabei ist U(t, t0 ) der Zeitentwicklungsoperator im Schrödingerbild. Für ihn ergibt sich aus der Schrödingergleichung die Gleichung i~ d U(t, t0 ) = Ĥ(t)U(t, t0 ) dt (1.7) mit der Anfangsbedingung (AB) U(t0 , t0 ) = 1 . H.W. Diehl SS 2008 (1.8) 1 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Diese Gleichung bzw. die zeitabhängige Schrödingergleichung für die Zustände |ψ(t)i (angewendet auf |ν(t)i) implizieren, dass ρ̂(t) der Gleichung i~ d ρ̂(t) = [Ĥ(t), ρ̂(t)] mit der AB ρ̂(t0 ) = ρ̂(0) dt (1.9) genügt. Für die zeitliche Entwicklung des Erwartungswertes hÂi(t) ≡ Spρ̂(t)Â(t) folgt: i~ 1.3 D A(t) E d hÂ(t)it = h[Â(t), Ĥ(t)]it + i~ . dt ∂t t (1.10) Schrödinger-, Heisenberg- und Wechselwirkungsbild Wir erinnern hier kurz an die verschiedenen Bilder der quantalen Dynamik, nämlich das Schrödingerbild, das Heisenbergbild und das Wechselwirkungs- oder Dirac-Bild. 1.3.1 Schrödingerbild Beim Schrödingerbild • steckt die ganze (durch die Schrödingergleichung bestimmte) dynamische Entwicklung in der Zeitabhängigkeit der Zustände |ψ(t)i. • Dagegen haben die Observablen darstellenden selbstadjungierten Operatoren  keine Zeitabhängigkeit bis auf eine eventuell explizite. In diesem Fall schreiben wir Â(t). Der Zustand |ψ(t)i, welcher aus dem Anfangszustand |ψ (0) i zur Zeit t = t0 hervorgeht, ergibt sich durch Lösung der zeitabhängigen Schrödingergleichung i~ d |ψ(t)i = Ĥ(t)|ψ(t)i dt (1.11) mit der Anfangsbedingung |ψ(t0 )i = |ψ (0) i . (1.12) Die zeitliche Entwicklung wird durch den in Gl. (1.7) auftretenden Zeitentwicklungsoperator beschrieben: |ψ(t)i = Û (t, t0 )|ψ (0) i . (1.13) Dieser hat folgende bekannte Eigenschaften: • Gleichzeitigkeitsbedingung: • Unitarität: • Gruppeneigenschaft: H.W. Diehl Û (t, t) = 11 ; (1.14) Û (t, t0 )Û (t, t0 )† = Û (t, t0 )† Û(t, t0 ) = 11 ; (1.15) Û (t3 , t2 )Û (t2 , t1 ) = Û(t3 , t1 ) ; (1.16) SS 2008 2 Dynamisches kritisches Verhalten. . . • Verhalten bei Umkehrung der Zeitentwicklung: Û (t1 , t2 ) = Û(t2 , t1 )−1 . Durch Integration der Gl. (1.7) erhält man die Integralgleichung Z 1 t ′ dt Ĥ(t′ ) Û (t′ , t0 ) Û (t, t0 ) = i~ t0 (1.17) (1.18) Durch deren iterative Lösung mit der Anfangsnäherung U(t′ , t0 ) = 11 ergibt sich die Reihe Z Z t Z t2 1 t 1 Û(t, t0 ) = 11 + dt1 Ĥ(t1 ) + dt1 Ĥ(t2 ) Ĥ(t1 ) dt2 i~ t0 (i~)2 t0 t0 Z t2 Z t Z t3 1 dt1 Ĥ(t3 ) Ĥ(t2 ) Ĥ(t1 ) + . . . . (1.19) dt2 dt3 + (i~)3 t0 t0 t0 Im k-ten Term ist über den Sektor tk > tk−1 > . . . > t1 des Hyperkubus [t0 , t]k zu integrieren. Wären die Reihenfolge der Operatoren im Produkt Ĥ(tk ) · · · Ĥ(t1 ) gleichgültig, würden also Ĥ(ti ) und Ĥ(tj ) für beliebige ti 6= tj vertauschen, so könnten wir über alle sich durch Permutationen k(k − 1) . . . 1 → jk jk−1 . . . j1 ergebenden k! Sektoren mit tjk > tjk−1 > . . . > tj1 integrieren und durch den Faktor k! divergieren. Dies würde ein Integral über [t0 , t]k liefern. Im Allgemeinen gilt diese Vertauschbarkeit nicht. Dann tritt im Sektor mit der Zeitordnung tjk > tjk−1 > . . . > tj1 statt Ĥ(tk ) · · · Ĥ(t1 ) das Produkt Ĥ(tjk ) · · · Ĥ(tj1 ) auf. Nach Einführung des Zeitordnungsoperators ( Ĥ(t1 ) Ĥ(t2 ) für t1 > t2 , T Ĥ(t1 ) Ĥ(t2 ) = (1.20) Ĥ(t2 ) Ĥ(t1 ) für t2 > t1 , lässt sich der k-te Term wegen T Ĥ(tk ) · · · Ĥ(t1 ) = Ĥ(tjk ) · · · Ĥ(tj1 ) für tjk > tjk−1 > . . . > tj1 als 1 k! (i~)k Z t t0 dtk · · · Z (1.21) t t0 T Ĥ(tk ) · · · Ĥ(t1 ) schreiben. Das Ergebnis für Û (t, t0 ) lässt sich gut merken, wenn man es als Rt Û (t, t0 ) = T e t0 dt′ Ĥ(t′ )/i~ (1.22) darstellt. Dies ist formal zu verstehen: Es ist durch seine Entwicklung und die Anwendung des Zeitordnungsoperators T in den mehrfachen t-Integralen definiert. Im Fall, dass Ĥ(t) ≡ Ĥ zeitunabhängig ist, reduziert sich Gl. (1.22) auf das bekannte Resultat Û (t, t0 ) = e(t−t0 )Ĥ/i~ . H.W. Diehl SS 2008 (1.23) 3 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 1.3.2 Heisenbergbild Beim Heisenbergbild • steckt die gesamte dynamische Zeitentwicklung in den Operatoren, während • die Zustände keinerlei Zeitentwicklung erfahren. Dies wird durch die Definition der Heisenberg-Operatoren ÂH (t) = Û (t, t0 )Â(t)Û (t, t0 )† (1.24) und der Heisenberg-Wellenfunktion |ψ H i ≡ Û(t, t0 )† |ψ(t)i = |ψ (0) i . (1.25) erreicht. Mit Hilfe der Definition des Heisenberg-Operators (1.24) lässt sich der zeitabhängige Mittelwert hÂ(t)it ≡ Spρ(0) Â(t) (1.26) als hÂ(t)it = hÂH (t)i (1.27) schreiben. Dabei bedeutet h. . . i ein mit dem Dichte-Operator ρ(0) berechneter Mittelwert. Der Heisenberg-Operator genügt bekanntlich der Heisenbergschen Bewegungsgleichung H d H ∂  H i~  (t) = [ (t), Ĥ(t)] + i~ (t) . (1.28) dt ∂t Durch Mittelung mit ρ(0) überträgt sich diese Gleichung auf den Mittelwert hÂ(t)it (vgl. Gl. (1.10)). 1.3.3 Wechselwirkungs- oder Dirac-Bild Beim Wechselwirkungsbild (welches auch Dirac-Bild genannt wird) steckt man die durch i U0 (t, t0 ) = exp − (t − t0 )Ĥ0 ~ erzeugte Zeitentwicklung in die Operatoren, während man die verbleibende dynamische Zeitentwicklung in den Zuständen behält. Dies geschieht durch die Definitionen der Operatoren und der Zustände ÂI (t) = Uˆ0 (t, t0 )Â(t) Uˆ0 (t, t0 )† (1.29) |ψ I (t)i ≡ Uˆ0 (t, t0 )† |ψ(t)i = U I (t, t0 )|ψ (0) i (1.30) im Wechselwirkungsbild, wobei U I (t, t0 ) = Û0 (t, t0 )† Û (t, t0 ) (1.31) der Zeitentwicklungsoperator in diesem Bild ist. H.W. Diehl SS 2008 4 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Durch direktes Nachrechnen überzeugt man sich davon, dass U I (t, t0 ) der Gleichung i~ d I U (t, t0 ) = Ĥ1I (t) U I (t, t0 ) dt (1.32) mit der Anfangsbedingung U I (t0 , t0 ) = 11 (1.33) genügt. Infolgedessen lässt sich U I (t, t0 ) in der Form I −i U (t, t0 ) = T e Rt t0 dt′ Ĥ1I (t′ )/~ (1.34) darstellen. Da ÂI (t) dem Heisenberg-Operator bezüglich Ĥ0 entspricht, ist evident, dass dieser Operatorr der Bewegungsgleichung I ∂  d I I (t) i~  (t) = [ (t), Ĥ0 ] + i~ dt ∂t (1.35) genügt. H.W. Diehl SS 2008 5 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 2 Lineare Antworttheorie Wir betrachten ein Vielteilchensystem, welches im Gleichgewicht durch den Dichteoperator ρeq = Z0−1 e−β Ĥ0 (2.1) beschrieben wird. Im Gleichgewichtszustand ρeq sind Mittelwerte nicht explizit zeitabhängiger Observablen Â(x) zeitunabhängig. Dies folgt sofort aus der Bewegungsgleichung (1.10) beziehungsweise der Vertauschbarkeit von U0 (t, t0 )† mit ρeq : (eq) hÂ(x)it ≡ Sp U0 (t, t0 )ρeq U0 (t, t0 )† Â(x) = Sp U0 (t, t0 )U0 (t, t0 )† ρeq Â(x) = hÂ(x)i(eq) . (2.2) Wir fragen nun, wie sich der Mittelwert von  ändert, wenn das System durch einen zeitabhängigen Zusatzterm Z Ĥ1 (t) = − dd x F (x, t) B̂(x, t) (2.3) gestört wird. Dabei begnügen wir uns, die Antwort des Systems auf diese Störung in linearer Ordnung zu bestimmen ( lineare Antworttheorie“). Für den Nichtgleichgewichtsmittelwert ” erhalten wir im Wechselwirkungsbild (neq) hÂ(x)it = Sp U I (t, t0 )ρ(0) U I (t, t0 )† ÂI (x, t) , (2.4) wobei U I (t, t0 ) durch Gl. (1.34) gegeben ist. Wir entwickeln diesen Operator bis zur 1. Ordnung in Ĥ1I (t). Durch Ausnützung der zyklischen Invarianz der Spur ergibt sich Z i t ′ I (neq) (eq) dt h[ (x, t), Ĥ1I (t′ )]i(eq) + . . . (2.5) hÂ(x)it = hÂ(x)i − ~ t0 Z Z i t ′ (eq) = hÂ(x)i + dd x F (x′ , t′ )h[ÂI (x, t), B̂ I (x′ , t′ )]i(eq) . + . . . (2.6) dt ~ t0 Def.: Die lineare Antwortfunktion (Responsefunktion) χAB (x, t; x′, t′ ) beschreibt die Antwort des Mittelwertes von Â(x) zur Zeit t auf eine zur Zeit t′ am Ort x′ wirkende Störung der Form (2.3): (neq) δh Â(x)i t . (2.7) χAB (x, t; x′ , t′ ) ≡ ′ ′ δF (x , t ) F =0 Aus Gl. (2.5) lesen wir ab, dass i h[ÂI (x, t), B̂ I (x′ , t′ )]i(eq) für t > t′ . (2.8) ~ Aus Kausalitätsgründen — die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung liegen — muss χAB (x, t; x′, t′ ) für t < t′ verschwinden, d.h. χAB (x, t; x′, t′ ) muss ∝ θ(t − t′ ) sein, wobei ( 1 für t > 0 , (2.9) θ(t) = 0 für t < 0 , χAB (x, t; x′, t′ ) = die Heavisidesche Sprungfunktion ist. Als Wert bei t = 0 definiert man oft θ(0) = 1/2, doch ist dieser Wert nicht wichtig, wenn θ(t) mit glatten Funktionen (Testfunktionen) integriert wird, denn die Änderung eines Integranden auf einer Menge vom Lebesgue-Maß 0 ändert das Lebesgue-Integral nicht. H.W. Diehl SS 2008 6 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 3 3.1 3.1.1 Greenfunktionen Kommutator- und Antikommutator-Greenfunktionen Definition der (Anti-)Kommutator-Greenfunktionen (ret) Das obige Resultat legt es nahe, Kommutator-Greenfunktionen GA,B (x, t; x′ , t′ ) einzuführen. (ret) Neben der retardierten Greenfunktion GA,B (x, t; x′, t′ ) führen wir auch eine avancierte Green(av) funktion GA,B (x, t; x′, t′ ) durch −i h[ÂI (x, t), B̂ I (x′ , t′ )]i(eq) θ(t − t′ ) , ~ i (av) h[ÂI (x, t), B̂ I (x′ , t′ )]i(eq) θ(t′ − t) GA,B (x, t; x′, t′ ) ≡ ~ (ret) GA,B (x, t; x′, t′ ) ≡ (3.1) (3.2) ein. Nebenbemerkung: Im Hinblick auf fermionische Systeme betrachtet man auch analog definierten Antikommutator-Greenfunktionen. Wenn wir Kommutator bzw. Antikommutator als ( [Â, B̂] = ÂB̂ − B̂  für s = −1 , {Â, B̂}s ≡ (3.3) {Â, B̂}+ = ÂB̂ + B̂  für s = +1 , bezeichnen, dann lassen sich die Definitionen beider Typen von Greenfunktionen zu −i h{ÂI (x, t), B̂ I (x′ , t′ )}s i(eq) θ(t − t′ ) , (3.4) ~ i (av) h{ÂI (x, t), B̂ I (x′ , t′ )}s i(eq) θ(t′ − t) , (3.5) GA,B (x, t; x′, t′ ) ≡ ~ zusammenfassen. Wir werden in der Regel Kommutator-Greenfunktionen betrachten. In den Fällen, in denen auch Antikommutator-Greenfunktionen gemeint sind, wird dies durch das Auftauchen von s zu erkennen sein. Es ist leicht zu sehen, dass Funktionen für thermische Gleichgewichtszustände ρeq nur von der Zeitdifferenz t − t′ abhängen. Um dies zu zeigen, muss man nur die zyklische Invarianz der Spur und die Vertauschbarkeit von ρeq und U0 ausnützen: (ret) GA,B (x, t; x′, t′ ) ≡ h[ÂI (t), B̂ I (t′ )]i(eq) io h n iĤ0 t/~ −iĤ0 (t−t′ )/~ −iĤ0 t′ /~ iĤ0 t′ /~ iĤ0 (t−t′ )/~ −iĤ0 t/~ −1 −β Ĥ0 e Âe B̂e −e B̂e Âe = Z0 Sp e io h n ′ ′ ′ ′ = Z0−1 Sp e−β Ĥ0 eiĤ0 (t−t )/~Âe−iĤ0 (t−t )/~B̂ − B̂ eiĤ0 (t−t )/~Âe−iĤ0 (t−t )/~ = h[ÂI (t − t′ ), B̂]i(eq) Das Ergebnis bedeutet, dass retardierte und avancierte Greenfunktionen nur von der Zeitdifferenz abhängen: ret/av ret/av GAB (x, t; x′ , t′ ) = GAB (x, x′; t − t′ ) . (3.6) Die rechts- bzw. linksseitigen Grenzwerte von G(ret/av) sind durch (ret/av) GAB i (x, x′; ±0) = ∓ h{Â, B̂}s i(eq) ~ (3.7) gegeben. H.W. Diehl SS 2008 7 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 3.1.2 Laplacetransformierte der Greenfunktionen (ret/av) Als Responsefunktionen sind GA,B (x, x′ , t) bei beliebigen festen Positionen x und x′ betraglich beschränkt: (ret/av) |GA,B (x, x′, t)| ≤ Mx,x′ < ∞ Daher sind die Laplacetransformierten Z (ret) ĜA,B (z) = (av) ĜA,B (z) = Z ∞ 0 dt eizt/~ G(ret) (t) , ℑz > 0 , (3.8) dt eizt/~ G(av) (t) , ℑz < 0 , (3.9) 0 −∞ in den angegebenen Definitionsgebieten ℑz ≷ 0 holomorphe Funktionen. Wir haben hier die Orte x, x′ unterdrückt. Dies werden wir zur Kürzung der Notation gelegentlich auch in Zukunft tun. (ret) (av) Da sich die Definitionsgebiete der Funktionen ĜA,B (z) und ĜA,B (z) nicht überlappen, kann man sie zu einer abseits der reellen Achse definierten holomorphen Funktion Z ∞ (ret/av) ĜA,B (z) = dt GAB (t) eizt/~ (3.10) −∞ zusammenfassen. 3.1.3 Bewegungsgleichungen der Greenfunktionen Als Konsequenz der Bewegungsgleichung (1.35) für die Operatoren ÂI (t) gilt i~ d (ret/av) (ret/av) (ret/av) GA,B (t) = G[A,H0],B (t) = GA,[B,H0 ] (t) , dt (3.11) wobei die zweite Gleichung sich wieder durch Ausnützung der zyklischen Invarianz der Spur und der Vertauschbarkeit von U0 (t, t0 ) mit ρeq ergibt. Die Laplacetransformation dieser Gleichung ergibt sich mittels partieller Integration. Wegen Z ∞ Z ∞ ∞ d (ret) (ret) (ret) izt/~ izt/~ i~ dt dt GA,B (t) eizt/~ GA,B (t) e = i~ GA,B (t) e +z dt 0 0 0 (ret) = −i~ GA,B (0+) + z ĜA,B (z) , ℑz > 0 , (av) und der analogen Gleichung für GA,B folgt z ĜA,B (z) − h{A, B}s i(eq) = Ĝ[A,H0 ],B (z) = ĜA,[H0 ,B] (z) . (3.12) Die Schwierigkeit von Vielteilchensystemen äussert sich darin, dass der Kommutator [A, H0 ] in der Regel nichttrivial ist. Das heißt, in der Bewegungsgleichung für ĜA,B (z) taucht eine kompliziertere Greenfunktion auf, in deren Bewegungsgleichung ihrerseits wieder höhere Greenfunk” tionen“ auftreten. Nur wenn man die höheren Greenfunktionen durch die bisher betrachteten nähern kann, ergeben sich geschlossene Gleichungssysteme. H.W. Diehl SS 2008 8 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 3.1.4 Spektraldarstellung der Greenfunktionen Es ist nützlich, sich die Greenfunktion in der Spektraldarstellung anzusehen. Es sei{|mi} ein vollständig orthonormales System von Eigenfunktionen von Ĥ0 : X m Ĥ0 |mi = ǫm |mi , (3.13) hm|m′ i = δm,m′ , (3.14) |mihm| = 11. (3.15) Durch direkte Berechnung findet man nach dem Einschieben von 11: h X −i (ret) θ(t) e−βǫm hm|Â|m′ ihm′ |B̂|miei(ǫm −ǫm′ )t/~ GA,B (t) = ~Z0 m,m′ i ′ ′ i(ǫm′ −ǫm )t/~ + s hm|B̂|m ihm |Â|mie X −i −βǫm −βǫm′ ′ ′ i(ǫm −ǫm′ )t/~ = θ(t) e +se hm|Â|m ihm |B̂|mie ~Z0 ′ (3.16) m,m bzw. (av) GA,B (t) = X i θ(−t) hm|Â|m′ ihm′ |B̂|miei(ǫm −ǫm′ )(−t)/~ e−βǫm + s e−βǫm′ ~Z0 ′ (3.17) m,m Für die Laplacetransformierte ergibt sich daraus 1 X hm|Â|m′ ihm′ |B̂|mi −βǫm −βǫm′ . e +se ĜA,B (z) = Z0 z + ǫm − ǫm′ ′ (3.18) m,m Die Spektraldarstellung (3.18) ist aufschlussreich. Sie zeigt, dass die einzelnen Summanden einfache Pole bei den Energiedifferenzen z = ǫm′ − ǫm derjenigen Zustände haben, zwischen denen  und B̂ nicht-verschwindende Matrixelemente haben. Diese Spektraldarstellung gilt für endlich ausgedehnte Systeme, weil nur für diese das Spektrum von Ĥ0 diskret ist. Bei unendlich ausgedehnten Systemen häufen sich die Anregungsenergien und damit die Pole, so dass diese dicht liegen. Es kommt aber oft vor, dass gewisse Bereiche der reellen Achse singularitätsfrei bleiben, weil es keine nicht-verschwindenden Matrixelemente der betrachteten Operatoren mit der entsprechenden Energiedifferenz ǫm′ − ǫm gibt. In diesen Fällen setzt sich ĜA,B (z) analytisch auf diese singularitätsfreien Bereiche der reellen Achse fort. 3.2 Temperatur-Greenfunktionen Es erweist sich als sinnvoll, noch eine zweite Art von Greenfunktionen einzuführen — die sogenannten Temperatur-Greeenfunktionen (Matsubara-Greenfunktionen). Wir werden sehen, (ret/av) dass diese eng mit den (Anti-)Kommutator-Greenfunktionen GA,B zusammenhängen. Um sie zu definieren, fı̈hren wir zunächst das Analogon zum Wechselwirkungsoperator ÂI (t) (bzw. Heisenbergoperator ÂH0 (t)) für imaginäre Zeiten H.W. Diehl τ = it/~ (3.19) SS 2008 9 Dynamisches kritisches Verhalten. . . ein, nämlich Âτ = eĤ0 τ Âe−Ĥ0 τ . (3.20) Def.: Temperatur-Greenfunktion Die Temperatur- oder Matsubara–Greenfunktion ist durch hAτ Bτ ′ i(eq) gA,B (τ − τ ′ ) ≡ −hTs (Aτ Bτ ′ )i(eq) = − (−s) hB ′ A i(eq) τ τ für 0 < τ − τ ′ < β , für = β < τ − τ ′ < 0 . (3.21) definiert, wobei die zweite Gleichung den Zeitordnungsoperator Ts definiert. Man beachte: a) Für s = −1 ordnet Ts die Operatoren Âτ und B̂τ entsprechend der Ordnung ihrer τ -Werte. b) Die in Gl. (3.21) angegebenen Einschränkungen 0 < τ − τ ′ < β und β < τ − τ ′ < 0 garantieren, dass die Greenfunktionen sinnvoll definiert sind. Sie stellen sicher, dass nur ′′ Ausdrücke e−τ Ĥ0 mit positiven τ ′′ -Werten auftreten (wobei τ ′′ = τ, τ ′ , |τ − τ ′ |). Da Ĥ0 ′′ ′′ nach unten bechränkt ist, ist dies auch e−τ Ĥ0 , sofern ℜτ ′′ > 0. Die auftretenden e−τ Ĥ0 sind unter dieser Voraussetzung holomorphe Operatoren. c) gA,B (τ ) springt bei τ = 0 um den Wert −h{Â, B̂}s i(eq) . d) Da e−τ Ĥ0 ein für ℜτ > 0 holmorpher Operator ist, kann gA,B (τ ) in die beiden Streifen 0 < ℜτ < β und −β < ℜτ < 0 analytisch fortgesetzt werden. An der gemeinsamen Grenze der beiden Streifen, ℜτ = 0, springt die Temperatur-Greenfunktion um (ret) für t > 0 , ~ GA,B (t = ~τ /i) (3.22) gA,B (τ + 0) − gA,B (τ − 0) = i (−1)G(av) (t = ~τ /i) für t < 0 . A,B e) Wegen }| { z hB̂ Âτ i(eq) = Z0−1 Sp |e−Ĥ{z0 β B̂} eĤ0 τ Âe−Ĥ0 τ −→ = Z0−1 Sp −Ĥ0 [β−(β+τ )] e = hÂτ +β B̂i(eq) ←− −Ĥ0 (β+τ ) Âe B̂ sind die Werte von gA,B (τ ) in den beiden Streifen über die Periodizitäts- bzw. Antiperiodizitätsbeziehung gA,B (τ ) = (−s) gA,B (τ + β) für − β < ℜτ < 0 (3.23) miteinander verknüpft. H.W. Diehl SS 2008 10 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Wir können die Temperatur-Greenfunktionen im Streifen (−β, β) in eine Fourierreihe entwickeln. Die Fourierkoeffizienten sind durch Z πm 1 β (m) gA,B (τ ) eiωm τ dτ mit ωm = (3.24) GA,B = 2 −β β gegeben. Aufgrund der (Anti-)Periodizitätseigenschaft (3.23) verschwinden im Falle von s = +1 die Koeffizienten für gerades m und im Falle von s = −1 die für ungerades m. Daher erhalten wir die Fourierreihen P ∞ (2m+1) GA,B eiω2m+1 τ dτ für s = +1 , 1 m=−∞ gA,B (τ ) = (3.25) ∞ P β (2m) iω2m τ GA,B e dτ für s = −1 . m=−∞ (m) Es ist nicht schwierig, nachzuweisen, dass die Fourierkoeffizienten GA,B mit der Ausnah(0) me von GA,B (bei s = −1) durch die Werte der laplacetransformierten (Anti-)KommutatorGreenfunktionen an iωm gegeben sind: (2m+1) GA,B (2m) GA,B = ĜA,B (iω2m+1 ) im Falle von s = +1 , (3.26) = ĜA,B (iω2m ) für m 6= 0 im Falle von s = −1 . (3.27) Um dies beispielsweise für s = +1 zu beweisen, nützt man die Antiperiodizität aus, um zu sehen, dass das Integral in Gl. (3.24) das Dopplelte des Integrals über das Intervall (0, β) ist. Dann deformiert man den Integrationsweg und verwendet die Antiperiodizitätsbedingung erneut: R R Z β i∞ − β+i∞ für ω2m+1 > 0 , 0 β (2m+1) GA,B = dτ gA,B (τ ) eiω2m+1 τ = R −i∞ R β−i∞ 0 − β für ω2m+1 < 0 0 R i∞ dτ gA,B (τ + i0) − gA,B (τ − i0)] eiω2m+1 τ 0 = R −i∞ dτ g (τ + i0) − g (τ − i0)] eiω2m+1 τ A,B A,B 0 R −ω2m+1 t/~ ∞ dt G(ret) A,B (t) e 0 = R 0 dt G(av) (t) e−ω2m+1 t/~ A,B −∞ = ĜA,B (iω2m+1 ) . Der Beweis im Falle von s = −1 läuft ähnlich, allerdings gilt dabei die Einschränkung ω2m 6= 0. (2m+1) (2m) Es stellt sich heraus, dass die Fourierkoeffizienten GA,B bzw. GA,B die Funktion ĜA,B (z vollständig charakterisieren, denn aus Sätzen der Funktionentheorie folgt, dass es nur eine einzige in den Halbebenen ℑz > 0 und ℑz < 0 holomorphe Funktion und im Unendlichen beschränkte Funktion ĜA,B (z) gibt, die den Bedingungen (3.26) bzw. (3.27) genügt (Übungsaufgabe). H.W. Diehl SS 2008 11 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Dieser Sachverhalt lässt sich ausnützen, um die Fourierreihen für gA,B (τ ) in den Streifen −β < ℜτ < β analytisch fortzusetzen. Um dies für den Fall s = +1 zu tun, führen wir die Fermi-Funktion βz 1 1 1 − tanh (3.28) = f (z) = βz e +1 2 2 ein. Diese hat an z = iω2m+1 einfache Pole mit Residuen Resiω2m+1 f (z) = −1/β. Mit Hilfe des Residuensatzes findet man zunächst für reellwertige τ , dass sich die Fourierreihe — und damit gA,B (τ ) — durch ein Integral entlang des in Abb. 1 gezeigten Weges C darstellen lässt: C iω1 C iω−1 Abbildung 1: Auswertung von Matsubara-Summen mittels komplexer Integration. Die Beiträge über die gestrichelten Wegstücke verschwinden, wenn der Radius unendlich wird. Die fetten Punkte sind Matsubara-Frequenzen ωk mit ungeradem k; die offenen Kreise sind solche mit geradem k. s = +1 : R −1 dz ĜA,B (z) f (z) e−zτ 2πi C gA,B (τ ) = 1 R dz Ĝ (z) [1 − f (z)] e−zτ A,B 2πi C (−β < ℜτ < 0) , (0 < ℜτ < β) . (3.29) Aufgrund des erwähnten Eindeutigkeitssatzes gilt diese Darstellung im ganzen τ -Streifen. Insbesondere folgen für reelle Zeiten t (τ = it/~) die Korrelationsfunktionen s = +1 : s = +1 : I h (t)B̂i(eq) cum hB̂ ÂI (t)i(eq) cum −1 = 2πi −1 = 2πi Z C Z dz ĜA,B (z) [1 − f (z)] e−izt/~ , dz ĜA,B (z) f (z) e−izt/~ . C Im Fall s = −1 führt man die Bose-Funktion 1 βz 1 g(z) = βz coth = −1 e −1 2 2 H.W. Diehl (3.30) SS 2008 (3.31) 12 Dynamisches kritisches Verhalten. . . ein. Dies hat an z = iω2m einfache Pole mit Residuen Resiω2m g(z) = 1/β. Für die Korrelationsfunktion ergibt sich analog R 1 (0) −zτ (−β < ℜτ < 0) , GA,B 2πi C dz ĜA,B (z) g(z) e (3.32) s = −1 : gA,B (τ ) = + 1 R dz Ĝ (z) [1 + g(z)] e−zτ (0 < ℜτ < β) . β 2πi A,B C Für die Korrelationsfunktionen erhält man daraus s = −1 : s = −1 : I h (t)B̂i(eq) cum hB̂ ÂI (t)i(eq) cum −1 = 2πi Z (0) −izt/~ dz ĜA,B (z) [1 + g(z)] e C GA,B − , β (0) Z (3.33) GA,B −1 dz ĜA,B (z) g(z) e−izt/~ − . = 2πi C β Nun ist gA,B (τ ) bei τ = 0 im Allgemeinen unstetig. In solchen Fällen liefert das Nullsetzen von τ in der Fourierreihe das arithmetische Mittel des recht- und linksseitigen Grenzwertes, also [gA,B (0+) + gA,B (0−)]/2. Dies bedeutet, dass ∞ 1 X (2m) 1 G + hÂB̂ + B̂ Âi(eq) = 0 β m=−∞ A,B 2 (3.34) (0) Über diese Summenregel ist der noch fehlende Fourierkoeffizient GA,B festgelegt. Einfache Tests der Gleichungen (3.30) und (3.33) ergeben sich durch die Addition der beiden Gln. (3.30) bzw. der Subtraktion der unteren der Gl. (3.33) von der oberen. Die Ergebnisse lassen sich in der Form Z −1 I (eq) h{ (t), B̂}s i = ĜA,B (z) e−izt/~ dz (3.35) 2πi C zusammenfassen. Dies ist nichts anderes als die Umkehrung der Laplace-Transformationen (3.8) (ret) und (3.9) bzw. (3.10). Der Beitrag vom Wegstück in der oberen Halbebene liefert GA,B (t), der (av) vom Wegstück in der unteren Halbebene GA,B (t). Da ĜA,B (z) für ℑz 6= 0 holomorph ist und sich im Unendlichen wie O(1/z) verhält, gilt nach Cauchy die Darstellung Z ĜA,B (z) ĜA,B (z) = dz . (3.36) ′ C z −z 3.3 Spektralfunktion Def.: Spektralfunktion Wir führen nun eine Funktion von großer Bedeutung ein, die sogenannte Spektralfunktion Z 1 ∞ σA,B (ω) = h{ÂI (t), B̂}s i(eq) dt ~ −∞ = i ĜA,B (ω + i0) − ĜA,B (ω − i0) , H.W. Diehl SS 2008 (3.37) 13 Dynamisches kritisches Verhalten. . . für reellwertiges ω ein. Diese hat i.A. Distributionscharakter, denn die bekannte Formel P 1 ∓ iπ δ(ω − ω0 ) = ω − ω0 ± i0 ω − ω0 (3.38) (mit P = Hauptwert) zeigt, dass jeder isolierte Pol von ĜA,B (z) einen Deltafunktionsbeitrag liefert. Dies sieht man deutlich an ihrer Spektraldarstellung 2π X −βǫm ′ ′ −βǫm′ ′ hm|Â|m ihm |B̂|mi δ(ω + ǫm − ǫm ) e +se , (3.39) σA,B (ω) = Z0 m,m′ welche sich aus der Darstellung (3.18) für ĜA,B (z) in Verbindung mit Gl. (3.37) ergibt. Mit Hilfe der Spektralfunktion lassen sich verschiedene obige Gleichungen einfacher schreiben. So gilt beispielsweise Z ∞ σA,B (ω) dω . (3.40) ĜA,B (z) = −∞ z − ω 2π Entsprechend kann man Gl. (3.35) als I h{ (t), B̂}s i (eq) = Z ∞ σA,B (ω) e−iωt/~ −∞ dω 2π (3.41) umschreiben. Durch Bildung von Zeitableitungen dieser Gleichung und der Wahl t = 0 erhält man Momente der Spektralfunktion; für die nullten und ersten Momente findet man h{Â, B̂}s i (eq) = Z ∞ σA,B (ω) −∞ h{[Â, Ĥ0 ], B̂}s i(eq) = Z dω , 2π ∞ dω ω σA,B (ω) . 2π −∞ (3.42) Höhere Momente ergeben sich in offensichtlicher Weise. Bemerkung: Grundsätzlich kann man sowohl Anti- (s = +1) als auch Kommutator-Greenfunktionen (s = −1) betrachten. Man wird normalerweise s so wählen, dass {Â, B̂}s ein einfacher Operator ist. Wenn man beispielsweise  ein Fermionenvernichtungsoperator aα und B̂ = a†β ein Fermionenerzeugungsoperator ist, empfiehlt sich die Wahl s = +1, weil der Antikommutator dieser Operatoren eine c-Zahl“ — d.h. von der Form const 11) — ist.1 Wenn  ” und B̂ Produkte einer ungeraden Zahl solcher Fermioperatoren sind, empfiehlt sich die Wahl s = +1, sonst in der Regel s = −1. 1 In diesem Fall sind die Operatoren natürlich nicht — wie zuvor angenommen — selbstadjungiert. H.W. Diehl SS 2008 14 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 4 Fluktuations-Dissipations-Theorem Wir betrachten die Korrelationsfunktion CAB (t, t′ ) = hAI (t)B I (t′ )icum = hAI (t)B I (t′ )i − hAI (t)ihB I (t′ )i , | {z } =hAi wobei h.i ≡ h.ieq wie bisher einen Gleichgewichtsmittelwert (Dichteoperator ρeq ) bedeutet. Das Fluktuations-Dissipations-Theorem stellt einen Zusammenhang zwischen der Dissipationsfunktion χ′′AB und der Korrelationsfunktion CAB her. Dabei ist χ′′AB die zur Responsefunktion χAB für Störungen aus dem Gleichgewicht gehörende Dissipationsfunktion. Nach Einführung von δA(t) ≡ AI (t) − hAi (4.1) können wir CAB (t − t′ ) als −(1/i~)(i~β)H CAB (t) 0 h z }| { i Z0−1 Sp e −βH0 δA(t)δB(0) h i −1 −βH0 Z0 Sp δA(t + i~β) e δB(0)i h i Z0−1 Sp e−βH0 δB(0) δA(t + i~β) = = = |{z} zykl. Inv. von Sp CBA (−t − i~β) , = (4.2) so dass CBA (−t) = CAB (t + i~β) = eiβ~∂t CAB (t) , R was nach Fourierintegration dt . . . eiωt (4.3) C̃AB (−ω) = C̃BA (ω) e−β~ω (4.4) 2~ χ′′AB (r, r ′ ; t) = CAB (r, r ′ ; t) − CBA (r ′ r; −t) , (4.5) 2~χ̃′′AB (r, r ′ ; ω) = C̃AB (r, r ′ ; ω) − C̃BA (r ′ r; −ω) . (4.6) ergibt. Nach Definition gilt Daraus folgt das Fluktuations-Dissipationstheorem 2~χ′′AB (r, r ′ ; t) = 2~χ̃′′AB (r, r ′ ; ω) = 1 − e−iβ~∂t CAB (r, r ′; t) , 1 − e−β~ω C̃AB (r, r ′ ; ω) . (4.7) Wenn man statt CAB (t) die symmetrisierte Korrelationsfunktion (sym) CAB (t) H.W. Diehl i 1h 1 ≡ h[δA(t), δB(0)]+ i = CAB (t) + CBA (−t) 2 2 SS 2008 (4.8) 15 Dynamisches kritisches Verhalten. . . einführt, so kann man das FDT auch in der Form (sym) ~ C̃AB (ω) = coth(β~ω/2) χ̃′′AB (ω) (4.9) schreiben. Im klassischen Limes ~ → 0 ergibt sich aus Gl. (4.7) χ̃′′AB (ω) = βω C̃AB (ω) (klass. Grenzfall) . 2 (4.10) Es lässt sich im übrigen eine quantenmechanische Korrelationsfunktion ΦAB (t, t′ ) = ΦAB (t− t′ ) angeben, die exakt einem FDT der Form i∂t φAB (t) = 2 ′′ χ (t) β AB genügt. Übungsaufgabe: Zeigen Sie, dass die durch Z β ′ dβ ′ hδA(t) δB(t′ + i~β ′ )i ΦAB (t, t ) ≡ β 0 (4.11) (4.12) definierte quantenmechanische Korrelationsfunktion dem FDT (4.11) genügt. R Tipp: Vertauschen Sie dβ ′ mit ∂t , drücken Sie ∂t durch ∂β ′ aus, und verwenden Sie dann das Ergebnis unter Zuhilfenahme von Gl. (4.3) um. H.W. Diehl SS 2008 16 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 5 Einfache Beispiele aus der klassischen Physik 5.1 Ungedämpfter harmonischer Oszillator Klassiche Hamiltonfunktion des ungedämpften, eindimensionalen harmonischen Oszillators: H(x, p) = k p2 + x2 . 2m 2 (5.1) Kanonische Gleichungen: ẋ = {x, H} = p , m (5.2) ṗ = {p, H} = −kx , wobei die Poissonklammer {., .} durch {F , G} ≡ ∂F ∂G ∂G ∂F − ∂x ∂p ∂x ∂p (5.3) definiert ist. Die Suche nach komplexwertigen Lösungen mit x und p ∝ e−iωt der kanonischen Gleichungen (5.2) führt zur charakteristischen Gleichung −iω −1/m k ! =0. (5.4) = −ω 2 + k m −iω Die Real- oder Imaginärteile der komplexwertigen Lösungen liefern reellwertige Lösungen. Es gibt also zwei Moden mit den Frequenzen p (5.5) ω = ±ω0 = ± k/m . Dies zeigt: • ∃ pro Freiheitsgrad (x und p) jeweils 1 Mode. • Die Zeitabhängigkeit eines jeden Freiheitsgrades ist durch eine Differenzialgleichung 1. Ordnung gegeben. Dies sind allgemeine Eigenschaften, die auch in der Hydrodynamik und bei spontan gebrochenen Symmetrien gelten. • Verhalten bei Zeitumkehr: Θ : x(t) 7→ ǫx x(−t) = x(−t) , Θ : p(t) 7→ ǫp p(−t) = −p(−t) , ǫx = +1 . ǫp = −1 . (5.6) (5.7) In den Bewegungsgleichungen werden die ersten t-Ableitungen von Größen ξi = x, p mit gegebener Signatur ǫi = ±1 bezüglich Zeitumkehr mit Größen ξj mit entgegengesetzter Zeitspiegelungssignatur ǫj = −ǫi verknüpft. Dies führt dazu, dass nichttriviale reellwertig Lösungen der charakteristischen Gleichung existieren. Auch dies ist eine allgemeine Eigenschaft. H.W. Diehl SS 2008 17 Dynamisches kritisches Verhalten. . . • Aus den Lösungen den kanonischen Bewegungsgleichungen (DGL 1. Ordnung) folgt selbstverständlich die übliche Newtonsche DGl 2. Ordnung ẍ + ω02 x = 0 . 5.2 (5.8) Ungedämpfter harmonischer Oszillator Wir stellen uns ein Teilchen der Masse m in einer viskosen Flüssigkeit vor. Abbildung 2: Teilchen, welches sich in unter dem Einfluss einer Federkraft und der durch eine viskose Flüssigkeit verursachten Reibung bewegt. Die viskose Flüssigkeit veruracht eine Reibungskraft fvis = −αv . (5.9) Dabei hat α. die Reibungskonstant, die Dimension [α] = Masse . Zeit Man schreibt Gl. (5.9) auch in der Form v = −α−1 fvsi (5.10) und nennt α−1 Mobilität. Nach Stokes gilt für eine sich in einer Flüssigkeit der Viskosität η mit der konstanten Geschwindigkeit v bewegende Kugel vom Radius R: α = 6πηR . (5.11) Die Dimension der Viskosität ist [η] = [m] Energie × Zeit = . [R][t] [R]3 (5.12) Größenordnungsmäßig gilt η≃ H.W. Diehl nFl |{z} τc |{z} kB T . (5.13) Teilchenzahldichte der Flüssigkeit mittl. Zeit zw. moelularen Stößen SS 2008 18 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Für Frequenzen ω & τc−1 muss fvis verschwinden, weil beide Zeitskalen ω −1 und τc dann vergleichbar sind. Die Bewegungsgleichung des gedämpften eindimensionalen harmonischen Oszillators mit äußerer Erregung f lautet f . (5.14) ẍ + ω02 x + γ ẋ = m Die Dämpfungskonstante γ hat die Dimension [γ] = Zeit−1 . Für die Zerfallszeit γ −1 ergibt sich γ −1 = m m ≃ . 6πηR RnFl τc kB T Wir können die Temperatur durch die mittlere freie Weglänge r 2kB T ℓ = vτc = τc mFl (5.15) (5.16) der Flüssigkeitsteilchen (Masse mFl ) und die Teilchenzahldichte durch den mittleren Abstand −1/3 a = nFl der Flüssigkeitsteilchen ausdrücken. Dies führt auf γ −1 ≃ Falls a ≃ ℓ, so folgt 2mτc ℓ a3 . mFl R ℓ3 (5.17) 2m ℓ τc . mFl R (5.18) γ −1 ≃ Da im Allgemeinen m ≫ mFl , gilt γ −1 ≫ τc . (5.19) Offensichtlich bricht die Reibungskraft fvis die Zeitumkehrinvarianz. Jede mikroskopische Bewegungsgleichung muss natürlich zeitumkehrinvariant sein. In einer mikroskopischen Beschreibung würde die Hamiltonfunktion von der Form Hmikro = H + HFl + HWW (5.20) sein, wobei HFl die Hamiltonfunktion der Flüssigkeit ist und HWW die Wechselwirkung zwischen dem Teilchen der Masse m und der Flüssigkeit beschreibt. Die Reibungskraft fvis beschreibt den mittleren Effekt der Flüssigkeit auf das Teilchen, welches sich in ihr bewegt. Aufgrund der Reibung verliert der harmonische Oszillator Energie. Diese fließt irreversibel in die Flüssigkeit. Man spricht von Dissipation und nennt fvis dissipative Kraft. H.W. Diehl SS 2008 19 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 5.3 Modenstruktur des gedämpften harmonischen Oszillators Der Lösungsansatz ∝ e−iωt für die Gl. (5.14) führt zu der Gleichung Deren Lösungen sind −ω 2 + ω02 − iγω = 0 . (5.21) q ω± = ± ω02 − γ 2 /4 − iγ/2 = ±ω1 − iγ/2 . (5.22) Wir können folgende Fallunterscheidung machen: 1. Der unterdämpfte Fall ω02 > γ 2 /4: In diesem Fall ist ω1 ∈ R; es existieren oszillatorische Lösungen mit der Frequenz ω1 und der Zerfallszeit τ = 2/γ. 2. Der überdämpfte Fall ω02 < γ 2 /4: In diesem Fall ist ω1 ∈ iR; der Oszillator ist überdämpft, es existieren keine oszillatorischen Lösungen. Die beiden Lösungen e−iω± t liefern die folgenden beiden inversen Zerfallszeiten: s 2 ω02 /γ 2 →0 γ 4ω τf−1 = 1 + 1 − 20 −→ γ, 2 γ τs−1 = Falls γ 1− 2 s 1− 4ω02 γ2 ω02 /γ 2 →0 −→ k ω02 = . γ α (5.23) (5.24) ω02 ≫ γ 2 /4 =⇒ τf ≪ τs . Dies bedeutet, dass für Zeiten t & τf die schnelle Mode vernachlässigt werden kann, weil die 2 entsprechende Exponentialfunktion abgeklungen ist. Man erhält dann eine Lösung x ∼ e−ω0 t/γ . Diese löst die Bewegungsgleichung k x=0. (5.25) −γ ẋ + m |{z} =ω02 Wir sehen also, dass diese Näherung des Weglassens der schnellen Mode das Weglassen des Trägheitsterms mẍ in der Bewegungsgleichung bedeutet. Als Ergebnis erhalten wir bei Anwesenheit einer äußeren Erregung die Gleichung αẋ = −kx + f . (5.26) k 1 ∂Htot ẋ = − x + f = −λ , α α ∂x (5.27) Man schreibt diese Gleichung auch in der Form wobei wir λ = 1/α sowie Htot = H − f x eingeführt haben. Gleichungen dieser Art werden beispielsweise benutzt, um die Dynamik linearer Kettenmoleküle (Polymere) in einer Lösung zu beschreiben. In diesem Fall genügt die Koordinate eines jeden Monomers einer solchen Gleichung, wobei allerdings H die Hamiltonfunktion für gekoppelte harmonische Oszillatoren bedeutet. H.W. Diehl SS 2008 20 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 5.4 Responsefunktion des gedämpften harmomischen Oszillators Wir kehren nun zur Bewegungsgleichung (5.14) des gedämpften harmonischen Oszillators zurück und wollen dessen Responsefunktion χω bestimmen. Dazu betrachten wir eine äußere Erregung der Form f (t) = fω cos(ωt) = ℜ fω e−iωt . (5.28) Wir suchen komplexwertige Lösung für die in den Klammern von Gl. (5.28) stehende komplexe Kraftfunktion. Dazu empfielt sich der Ansatz x = A e−iωt . Einsetzen in Gl. (5.28) und Auflösen nach A ergibt A= fω 1 . 2 m −ω + ω02 − iωγ (5.29) Daraus erhalten wir für die Antwortfunktion das Ergebnis χω = 1 1 A = . 2 fω m −ω + ω02 − iωγ (5.30) Wie man sieht, hat χω Pole an den komplexen Modenfrequenzen (5.22). Eigenschaften der Responsefunktion: i) Der Grenzfall ω → 0: Im Falle einer statischen äußeren Kraft f ≡ f0 relaxiert das System in die neue Gleichgewichtslage f0 xeq = . (5.31) m Dies ist im Einklang mit dem Limes ω → 0 der Responsefunktion: lim χω = ω→0 1 1 = . 2 mω0 k (5.32) ii) Der Grenzfall ω → ∞: In diesem Grenzfall verhält sich χω asymptotisch wie χω ≈ − ω→∞ 1 . mω 2 (5.33) iii) Für den Imaginärteil der Responsefunktion ergibt sich ℑχω = χ′′ω = H.W. Diehl ωγ 1 . m (ω 2 − ω02 )2 + ω 2γ 2 SS 2008 (5.34) 21 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Dies lässt sich nach Partialbruchzerlegung auch in der Form 1 1 1 ′′ χω = ℑ − 2mω1 −ω + ω1 − iγ/2 −ω − ω1 − iγ/2 γ/2 γ/2 1 − = 2mω1 (ω − ω1 )2 + (γ/2)2 (ω + ω1 )2 + (γ/2)2 γ→0 −→ = π [δ(ω − ω0 ) − δ(ω + ω0 )] 2mω0 π sgn(ω) δ(ω 2 − ω02 ) . m (5.35) iv) Wie man sieht, ist χ′′ω reell und ungerade in ω. Es hat die Form zweier Lorentzkurven bei ω ≃ ±ω mit Breiten ≃ γ/2. v) Für den Realteil χ′ ω erhält man χ′ω = 1 ω02 − ω 2 . m (ω 2 − ω02 )2 + ω 2 γ 2 (5.36) Real- und Imaginärteile von χω sind für die Werte γ/ω0 = 0, 1, 0, 5 und 2.0 in den Abb. 3–5 gezeigt. 10 χ′′ω χ′ω 5 -2 1 -1 2 ω/ω0 -5 -10 Abbildung 3: Real- und Imaginärteil χ′ (ω) bzw. χ′′ω für γ/ω 0 = 0, 1. Wie man sieht, ist • χ′ω > 0 für |ω| < ω0 , H.W. Diehl SS 2008 22 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 2 χ′′ω χ′ω 1 -2 1 -1 2 ω/ω0 -1 -2 Abbildung 4: Real- und Imaginärteil χ′ (ω) bzw. χ′′ω für γ/ω 0 = 0, 5. • χ′ω = 0 für |ω| = ω0 und • χ′ω < 0 für |ω| > ω0 . Ferner gilt das asymptotische Verhalten χ′ω ≈ ω→0 1 1 1 = . 2 m ω0 k (5.37) Als Lösung bei Anwesenheit der Kraft erhalten wir mit f (t) = ℜfω e−iωt = fω cos(ωt) (5.38) x(t) = ℜ χω fω e−iωt = fω |χω | cos[ωt − ϕω ] (5.39) |χω | = und 1 q m tan ϕω = 1 2 (5.40) (ω 2 − ω02 ) + ω 2 γ 2 χ′′ω ωγ = 2 . ′ χω ω − ω02 (5.41) Die Amplitude ist bei |ω| = ω0 maximal. Die Phase ϕω geht bei ω = ±ω0 durch den Wert ±π/2 (s. Abb. 6). Im überdämpften Grenzfall erhält man χω ≈ H.W. Diehl χstat 1 1 , = 2 m ω0 − iωγ 1 − iωτs SS 2008 (5.42) 23 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 1.0 χ′ω χ′′ω 0.5 -2 1 -1 2 ω/ω0 -0.5 Abbildung 5: Real- und Imaginärteil χ′ω bzw. χ′′ω für γ/ω 0 = 2. ϕω 3 |χω | 2 1 -2 1 -1 2 ω/ω0 -1 -2 -3 Abbildung 6: Absolutbetrag |χω | und Phase ϕω für γ/ω 0 = 0.5. H.W. Diehl SS 2008 24 Dynamisches kritisches Verhalten. . . χ′ω /ω χstat τs 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 ωτs -4 2 -2 4 Abbildung 7: χ′′ω /ω im überdämpften Fall. wobei χstat = 1 1 = k mω02 (5.43) die statische Suszeptibilität ist. Die Größe χ′′ω /ω hat die Form einer Lorentzkurve der Breite τs−1 = k/α = ω02/γ: χ′′ω τ −1 (5.44) = χ 2 s −2 . ω ω + τs H.W. Diehl SS 2008 25 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 6 Summenregeln und asymptotische Entwicklung von Responsefunktionen Aus unseren Ergebnissen i χAB (t) = θ(t) h[A(t), B]i , ~ 1 ′′ h[A(t), B]i , χAB (t) = 2~ Z ∞ dω ′′ χ̃ (ω) e−iωt , = −∞ 2π (6.1) (6.2) (6.3) für die Responsefunktion χAB und deren zugehörige Funktion χ′′AB (t) erhält man durch Übergang zum Limes t → 0 die Summenregel Z ∞ dω ′′ 1 χ̃ (ω) = h[A, B]i . (6.4) ~ −∞ π In Verbindung mit der Heisenbergschen Bewegungsgleichung erhält man analog h[(i~d/dt)p A(t), B(0)]it→t′ = h[. . . [A(t), H0 ], H0 ] . . . ], B(0)]i Z ∞ dω p ′′ p = ~ ω χ̃AB (ω) . −∞ π (6.5) Diese Momente von χ′′AB (ω)/ω treten als Entwicklungskoeffizienten der Laplacetransformierten χ̂AB nach Potenzen von z −1 auf: Z dω χ̃′′AB (ω) χ̂AB (z) = π ω−z ∞ X (p) = −χ̂AB (0) z −p ωAB , (6.6) p=1 wobei (p) ωAB = Z ∞ −∞ dω χ̃′′AB (ω) p ω π ω Z ∞ −∞ dω χ̃′′AB (ω) . π ω (6.7) Als Beispiel betrachten wir ein Vielteilchensystem von N identischen Teilchen der Masse m mit einem Paarpotential U(r). Der Hamiltonoperator ist durch N 1 X 2 X p + U(rj − rj ′ ) H0 = 2m j=1 j ′ (6.8) j<j gegeben. Als Observable wählen wir A = B = n(r), wobei n(r) = N X j=1 H.W. Diehl δ(r − rj ) SS 2008 (6.9) 26 Dynamisches kritisches Verhalten. . . der Dichteoperator ist. Der zugehörige Stromdichteoperator ist N 1 X [pj δ(r − rj ) + δ(r − rj ) pj ] j(r) = 2m j=1 (6.10) Wir führen die Fouriertransformierten dieser Größen durch ñ(k) = Z d −ir·k d re n(r) = N X e−ik·rj (6.11) (6.12) j=1 bzw. j̃(k) = = Z dd r e−ir·k j(r) N X pj e−ik·rj + e−ik·rj pj j=1 sowie χ̃nn (k, ω) = Z ′ dd r e−ik·(r−r ) χnn (r − r ′ , ω) (6.13) ein. Für den Kommutator [n(r), H0 ] ergibt sich [n(r), H0 ] = = = 1 X [n(r), p2j ] 2m j 1 X pj 2m j [n(r), pj ] | {z } +[n(r), pj ] pj (−~/i)∇j δ(r−rj )=(~/i)∇δ(r−Rj ) ~ ∇ · j(r) 2mi bzw. [ñ(k), H0] = ~k · j̃(k) . (6.14) Für den Doppelkommutator [[n(r), H0 ], n(r ′ )] leitet man ohne Mühe das Ergebnis [[n(r), H0 ], n(r ′ )] ~ = [∇ · j(r), n(r ′ )] 2mi ~ X {[pj · [∇δ(r − rj )] + [∇δ(r − rj )] · pj ′ , δ(r ′ − rj ′ )]} = 2mi j,j ′ ~ X = {[pj , δ(r ′ − rj ′ )] · ∇δ(r − rj ) + [∇δ(r − rj )] · [pj , δ(r ′ − rj ′ )]} 2mi ′ j,j 2 ~ X {(∇′ δ(r ′ − rj )) · ∇δ(r − rj ) + (∇δ(r − rj )) · ∇′ δ(r ′ − rj )} = 2m j = H.W. Diehl ~2 [∇n(r)] · ∇′ δ(r − r ′ ) m (6.15) SS 2008 27 Dynamisches kritisches Verhalten. . . ab.2 Fouriertransformiert bedeutet dies [ñ(k), H0 ], ñ(k′ )] = hnik 2 (2π)d δ(k + k′ ) {z } m | mit hni = N . V (6.16) = ˆ V δk,−k ′ Wenn man dies in Gl. (6.5) für die Wahl p = 1 einsetzt, ergibt sich die sogenannte f -Summenregel Z ∞ −∞ hni k 2 dω ω χ̃′′nn (k, ω) = . π m (6.17) Eine weitere wichtige Summenregel ist die Kompressibilitätsssummenregel. Diese ergibt sich aus Z ∞ dω χ̃′′nn (k, ω) χ̂nn (k, 0) = , (6.18) ω −∞ π der aus der Thermodynamik bekannten Beziehung 1 ∂hni 1 ∂V = κT = − V ∂P P,N hni2 ∂µ T,N (6.19) für die isotherme Kompressibilität, wobei beim Übergang zur zweiten Gleichung die aus dP = n dµ + s dT folgende Beziehung ∂ ∂ = ∂P T,N hni∂µ T,N (P = Druck = großkanonisches Potential/N, s = Entropie/N, µ = chemisches Potential) verwendet wurde, sowie δhni(r) = χ̂nn (r, r ′ ; 0) . δµ(r ′ ) Aus diesen Gleichung folgt lim χ̂(k, 0) = hni2 κT , k→0 (6.20) so dass die Summenregel (Kompressibilitätsssummenregel) lim k→0 Z ∞ −∞ dω χ̃′′nn (k, ω) = hni2 κT π ω (6.21) gilt. 2 Die Schreibweise in Gl. (7.6.46) von (Chaikin and Lubensky, 1995) ist wohl nicht richtig, weil dort ∇ auf n(r) und δ(r − r ′ ) wirkt. H.W. Diehl SS 2008 28 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 7 7.1 Memoryfunktionsformalismus Memoryfunktionsformalismus am Beispiel einer einzigen Variablen Das dynamische Verhalten von Vielteilchensystemen ist im Allgemeinen zu kompliziert, um exakt behandelt zu werden. Exakte Ergebnisse sind normalerweise nur bei einfachen Modellen möglich. In der Regel ist man daher auf Näherungen angewiesen. Bei der Wahl guter Näherungen ist es oft nötig, allgemeine strukturelle Eigenschaften (Konsequenzen von Erhaltungssätzen, Summenformeln, Kausalitätseigenschaften usw.) zu kennen und zu berücksichtigen. Im Folgenden wollen wir uns ein wenig mit dem sogenannten Memoryfunktionsformalismus vertraut machen (Forster, 1975; Götze and Lücke, 1975). Dieser erlaubt einem, in formaler Weise hydrodynamische — und darüber hinausgehende — Näherungen abzuleiten und deren Grenzen einzuschätzen. Darüber hinaus erlaubt einem dieser Formalismus auch, statische Eigenschaften (wie etwa statische Suszeptibilitäten) richtig in die Dynamik einzubauen. Dies ermöglicht es einem dann, solche statische Eigenschaften ggf. aus Experimenten zu übernehmen. Wir betrachten zunächst die Korrelationsfunktion CAA (t, t′ ) = C(t − t′ ) = hA(t) A(t′ )i (7.1) einer reellen klassischen und nicht explizit zeitabhängigen Variablen A(t) ≡ A[q(t), p(t)] im thermischen Gleichgewicht. Den Zusatz eq“ am Mittelwert h. . . ieq unterdrücken wir hier und ” im Folgenden, wenn nichts anderes gesagt wird. Aus der Form 2 (7.2) i∂t C(t) = χ′′ (t) β des Fluktuations-Dissipations-Theorems (4.10) im t-Raum erhalten wir durch Laplacetransformation Z ∞ dt i∂t C(t) eizt = z Ĉ(z) − i C(0) 0 2 = β Z ∞ 1 C(0) = lim Ĉ(z) = Ĉ(i0) = z→0+i0 β Z ∞ 2 = β = 1 β Z ∞ ′′ izt dt χ (t) e 0 Z ∞ −∞ dt 0 Z ∞ −∞ dω ′′ χ̃ (ω) ei(z−ω)t 2π ′′ dω χ̃ (ω) . iπ ω − z Die statische Korrelationsfunktion C(0) ist durch −∞ dω χ̃′′ (ω) π ω gegeben. Durch Auflösen nach Ĉ(z) erhalten wir daher Z χ̂(z) − χ̂(i0) 1 1 1 ∞ dω χ̃′′ (ω) = − Ĉ(z) = β −∞ iπ z ω−z ω izβ Z 1 ∞ dω χ̃′′ (ω) . = β −∞ iπ ω(ω − z) H.W. Diehl SS 2008 (7.3) (7.4) 29 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Wir werden mit Hilfe des zu entwickelnden Memoryfunktionsformalismus zeigen, dass Ĉ(z) als Ĉ(z) = i χ χ = mit D̂(z) = Σ(z) + i Ω z − Ω + i Σ(z) β z + i D̂(z) β i (7.5) geschrieben werden kann, das heißt, dass eine für ℑz 6= 0 holomorphe Funktion D̂(z) existiert, so dass Gl. (7.5) gilt. Die Bedeutung dieses Ergebnisses sieht man, wenn man in den t-Raum zurücktransformiert. Dort übersetzt sich das Resultat (7.5) in die Bewegungsgleichung Z t d + i Ω C(t) + dτ Γ(t − τ ) C(τ ) = 0 (t > 0) , (7.6) dt 0 wobei Σ(z) die Laplacetransformierte von Γ(t) ist. ˆ ≡ Lp[f ](z) Um dies einzusehen, muss man nur wissen, dass die Laplacetransformierte f(z) einer Faltung Z t f ∗ g(t) = 0 dt′ f (t − t′ ) g(t′ ) (7.7) zweier Funktionen f und g das Produkt ihrer Laplacetransformierten ist (Übungsaufgabe!): Lp[f ∗ g](z) = Lp[f ](z) Lp[g](z) = fˆ(z) ĝ(z) . (7.8) Die physikalische Interpretation von G. (7.6) liegt auf der Hand: Die zeitliche Änderung von C(t) ist keine in der Zeit lokale Gleichung, denn sie hängt nicht nur von C(t) und ihrer Ableitung Ċ(t) ab, sondern über die Gedächtnisfunktion Γ(t) von der Vorgeschichte im Intervall (t, 0) ab.3 Bisher haben wir nur das FDT verwendet, um die Laplacetransformierte der Korrelationsfunktion Ĉ(z) durch die der Responsefunktion χ(t) auszudrücken. Um die Zeitabhängigkeit von C(t) zu bestimmen, müssen wir die Bewegungsgleichung von A(t) bzw. C(t) lösen. Wir schreiben die Bewegungsgleichung als (H = klass. Hamiltonfunktion, {., .} = Poissonklammer (5.3)) d A(t) = {A, H} = iL A(t) dt (7.9) um, in dem wir den Liouvilleoperator L einführen. Für ein klassisches System von N identischen Teilchen der Masse m mit konservativer durch das Potential U(rj − rk ) beschriebenen Paarwechselwirkungen gilt N X X ∂ ∂ pj . (7.10) · ∇j − ∇U(rj − rk ) − iL = m ∂p ∂p j k j=1 j>k Die formale Lösung dieser Gleichung lässt sich in der Form A(t) = eiLt A(0) (7.11) schreiben. Für C(t) erhalten wir daraus C(t) = hA(t)A(0)i = hA(0)A(−t)i = hA(0) e−iLtA(0)i ≡ hA e−iLt Ai . (7.12) 3 Man spricht allgemeiner von einer in t lokalen Bewegungsgleichung, wenn in dieser neben C(t) nur Ableitungen C (k) (t) = dk C(t)/dtk bis zu einer endlichen Ordnung k vorkommen. Dies ist nur dann der Fall, wenn Γ(t) nur Distributionen der Form δ(t − 0) und entsprechende Ableitungen enthält. H.W. Diehl SS 2008 30 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Vereinbarungsgemäß lassen wir das Argument (0) bei A(0) weg. Für die Laplacetransformierte dieser Größe folgt i Ĉ(z) = hA Ai . (7.13) z−L Dabei ist i/(z − L) selbstverständlich als Operatorinverses i(z − L)−1 zu interpretieren. Wir definieren nun mit Hilfe von Erwartungswerten von Produkten von Observablen zur selben Zeit ein Skalarprodukt. Dabei lassen wir auch komplexwertige Observablen zu: Def.: Skalarprodukt“: ” hA|Bi ≡ hA∗ Bi . (7.14) Die so definierte Abbildung (A, B) 7→ hA|Bi hat offensichtlich die Eigenschaften eines Skalarproduktes, denn sie hat die folgenden Eigenschaften (i) hA|Ai ≥ 0 , (ii) hA|α1 B1 + α2 B2 i = α1 hA|B1 i + α2 hA|B2 i , (iii) hA|Bi∗ = hA∗ Bi∗ = hAB ∗ i = hB|Ai . Man würde zweifellos auch gerne sicherstellen, dass der Raum der Observablen mit diesem Skalarprodukt auch separabel und vollständig ist. Als Physiker stellen wir uns auf den pragmatischen Standpunkt, dass dies (hoffentlich) der Fall sein wird, obwohl dies nicht notwendigerweise nachweisbar ist. Man überzeugt sich leicht davon, dass der Liouvilleoperator L selbstadjungiert ist: d iLt ∗ d ∗ hLA|Bi = h(LA) Bi = i h(e A) Bi = i hA(t)|Bi dt dt t=0 t=0 d d = i hA|B(−t)i = i hA|e−iLt Bi = hA|LBi . dt dt t=0 t=0 Wir lesen nun Gl. (7.11) wie folgt: Der Operator e−iLt dreht“ den Zustandsvektor“ |Ai. Die ” ” Korrelationsfunktion C(t) entspricht der Projetkion dieses gedrehten Vektors auf |Ai. Dies legt es nahe, Projektoren P und Q durch P = |AihA| = 11 − Q hA|Ai (7.15) einführen. Diese Definitionen bedeuten, dass hA1 |P |A2i = hA∗1 AihA∗ Ai−1 hA∗ A2 i (7.16) für beliebige Observablen A1 und A2 ist. Offensichtlich sind P und Q in der Tat Projektoren, denn es gelten die Identitäten P2 = P , P Q = QP = 0 , H.W. Diehl SS 2008 (7.17) (7.18) 31 Dynamisches kritisches Verhalten. . . und Q2 = Q . (7.19) Wir zerlegen nun den Liouvilleoperator L = LP + LQ (7.20) in einen Anteil, der |Ai nur proportional zu sich verändert, und einen Rest LQ. Zur Umformung von Gl. (7.12) verwenden wir die algebraische Operatoridentität (X + Y )−1 = X −1 − X −1 Y (X + Y )−1 , (7.21) deren Gültigkeit man leicht durch Multiplikationen mit X + Y von rechts und mit X von links beweist. Durch Anwendung dieser Gleichungen auf die Laplacetransfomierte (7.13) erhalten wir Ĉ(z) = hA| 1 i i |Ai + hA| LQ |Ai . z − LQ z − LQ z−L (7.22) Der erste Beitrag auf der rechten Seite ergibt hA| i i i |Ai = hA|Ai = C(t = 0) z − LQ z z (7.23) Dies folgt aus Q|Ai = 0, wie man durch Entwicklung nach LQ sieht. Folglich erhalten wir: Ĉ(z) = Ĉ(z) 11 i C(0) + hA| L|Ai . z z − LQ C(0) (7.24) Der im zweiten Summanden auftretende Ausdruck lässt sich nach Multiplikation mit z als z L|Ai = [Ω − iΣ(z)]C(0) (7.25) hA| z − LQ mit und Ω = hA|L|Ai/C(0) (7.26) i L|Ai/C(0) (7.27) z − LQ schreiben. Da βC(0) = χ ist, ist dies das angekündigte Ergebnis (7.5). Diese Ergebnisse lassen sich umformen zu Z ∞ dω ′′ χ̃ (ω) (7.28) χΩ = iβhȦ|Ai = −∞ π und i χΣ(z) ≡ σ(z) = βhȦ|Q Q|Ȧi . (7.29) z − QLQ Sie wurden zuerst von Mori (1965) in dieser Form angegeben. In dem von uns hier zunächst betrachteten Fall einer einzigen Variablen A verschwindet die Frequenz Ω in der Regel, und zwar immer dann, wenn A eine eindeutige Signatur bezüglich Zeitumkehr hat. Falls ΘAΘ−1 = ǫA A, dann folgt hȦ|Ai = −ǫ2A hȦ|Ai = 0 und damit Ω = 0. Das entscheidende Objekt in unserem Ergebnis ist daher die Gedächtnisfunktion Σ(z). Gleichung (7.29) zeigt, dass diese selber die Struktur einer Korrelationsfunktion hat, in die nur der aus |Ȧi herausprojizierte Anteil Q|Ȧi und der Anteil QLQ des Liouvilleoperators eingehen. Σ(z) = hA|LQ H.W. Diehl SS 2008 32 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 7.2 Memoryfunktionsmatrizen Die im vorangegangenen Unterkapitel hergeleiteten Gleichungen sind dann besonders nützlich, wenn die Memoryfunktion Σ(z) sich als eine einfachere Größe als Ĉ(z) herausstellt, für die man einfache Näherungen machen kann. Beispielsweise erhält man für χ̃′′ (ω)/ω eine Lorentz-Kurve, wenn Σ(z) im Wesentlichen konstant ist. Oftmals kann man sich aber nicht auf eine einzige Variable A beschränken, weil mehrere dynamische Variablen Aj dynamisch gekoppelt sind. (Ein bekanntes Beispiel ist das der Lichtsteuerung, an normalen Flüssigkeiten. Dort treten neben einem zentralen Rayleigh-Peak“ in ” C̃nn (k, ω) bei ≃ 0 auch zwei symmetrisch verschobene Brillouin-Peaks “ bei ω ≃ ±CSk auf, ” die von Schallwellen verursacht werden. Alle drei Linien sind näherungsweise Lorentz-Kurven.4 Es liegt daher nahe, den Memoryfunktionsformalismus auf den Fall mehrerer gekoppelter dynamischer Variablen zu verallgemeinern. Es seien Aj (t), j = 1, . . . N, linear unabhängige, klassische dynamische Variablen, für die wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit voraussetzen, dass ihre Mittelwerte hAj i verschwindet.5 Wir betrachten die Korrelationsfunktionen ′ Cjj ′ (t − t′ ) = hAj (t) Aj ′ (t′ )i = hAj |e−iL (t−t ) |Aj ′ i . (7.30) Für die Laplace-transformierten Ĉjj ′ (z) dieser Korrelationsfunktionen erhalten wir als Verallgemeinerung von Gl. (7.4): Z ∞ dω χ̃′′jj ′ (ω)/β i |Aj ′ i = . (7.31) Ĉjj ′ (z) = hAj | z−L −∞ πi ω(ω − z) Die statische Suszeptibilitätsmatrix χjj ′ = Z ∞ −∞ dω χ̃′′jj ′ (ω) = β hAj |Aj ′ i π ω (7.32) ist positiv definit und hat daher eine wohldefinierte Inverse, deren Elemente wir mit χ−1 jj ′ bezeichnen. Somit gilt also X (7.33) χjl χ−1 lj ′ = δjj ′ . l Als Matrixverallgemeinerungen unserer früheren Gleichungen erhalten wir [z δjl − Ωjl + i Σjl (z)] Ĉlj ′ (z) = i χjj ′ /β (7.34) mit Ωjj ′ = ωjl χ−1 lj ′ und Σjj ′ (z) = σjl χ−1 lj ′ , ωjj ′ = iβhȦj |Aj ′ i = σjj ′ = βhȦj |Q Z ∞ −∞ dω ′′ χ̃ ′ (ω) , π jj i |Ȧj ′ i , z − QLQ (7.35) 4 Nach Hendrik Antoon Lorentz; in der Mathematik nennt man die Lorentz-Verteilung auch CauchyVerteilung. 5 Falls dies nicht der Fall ist, kann man stattdessen die Variablen δAj = Aj − hAj i betrachen. H.W. Diehl SS 2008 33 Dynamisches kritisches Verhalten. . . wobei die Summenkonvention gilt. Die zu σjj ′ (z) gehörende Spektralmatrix γjj ′ (ω), durch die es als Z dω γjj ′ (ω) (7.36) σjj ′ (z) = 2πi ω − z dargestellt werden kann, ist durch Z ∞ γjj ′ (z) = β (7.37) dt eiωt hȦj |Qe−iQLQtQ|Ȧj ′ i −∞ gegeben. 7.3 Erweiterung auf die Quantenmechanik Bisher haben wir klassische Systeme betrachtet, sofern nichts anderes gesagt wurde. Um zu sehen, ob und wie die obigen Gleichungen auf die Quantenmechanik übertragen werden können, müssen wir uns als erstes überlegen, wie der Liouville-Operator quantenmechanisch zu verstehen ist. Die Heisenbergsche Bewegungsgleichung d 1 Aj (t) = [Aj (t), H0 ] ≡ iLA(t) dt i~ (7.38) zeigt uns, dass iL eine lineare Abbildung zwischen A(t) und Ȧ(t) definiert. In einer Matrixdarstellung bezüglich eines vollständig orthonormalen Systems |ni bedeutet dies 1 d Ann′ (t) = [Anm (t)H0,mn′ − H0,nm Amn′ (t)] . dt i~ (7.39) Infolgedessen gilt für die Matrixdarstellung von L: ~Lnm,nm′ = H0,nm δmn′ − H0,mn′ δmn . (7.40) Angenommen der Hilbertraum H, in dem die Operatoren Aj wirken habe die Dimension dim H < ∞. Dann ist die Dimension des Raumes, in dem L wirkt, (dim H)2 . Der zeitabhängige Operator A(t) kann dann in den alternativen beiden Formen A(t) = eiH0 t/~A(0)e−iH0 t/~ = eiLt A(0) (7.41) geschrieben werden. Wir müssen außerdem noch klären, was in der Quantenmechanik an die Stelle des über Erwartungswerte definierten Skalarproduktes (7.14) tritt. Eine naheliegende Möglichkeit wäre die Definition hA|Bi ≡= hA† Bi . (7.42) Wir werden allerdings eine andere, vorteilhaftere Definition verwenden, nämlich Z β dλ † hA|Bi ≡= hA B(i~λ)icum , β 0 (7.43) wobei B(i~λ) = e−λH0 B eλH0 , H.W. Diehl SS 2008 (7.44) 34 Dynamisches kritisches Verhalten. . . im Einklang mit früheren Definitionen. Der Vorteil dieser Definition besteht darin, dass die in Gl. (4.12) definierte Korrelationsfunktion ΦAB (t), welche der klassischen Form (4.11) des FDTs genügt, als ΦAB (t) = hA|Bi = hA|e−iLt|Bi (7.45) geschrieben werden kann. Infolgedessen übertragen sich vom klassischen Fall bekannten Gleichungen auf den quantenmechanischen, wenn man die Funktionen Cjj ′ (t) sich durch deren quantenmechanische Analoga Φj,j ′ (t) ersetzt denkt. 7.4 Kurze Erinnerung an das Problem der Spindiffusion Im Hauptteil dieses Kapitels haben wir gezeigt, dass sich die Laplacetransformierte der Korrelationsfunktion CAA in der Form (7.5) darstellen lässt. Für die Frequenz Ω und die Memoryfunktion Σ(z) erhielten wir die Ergebnisse (7.28) beziehungsweise (7.29). Wenn A(t) eine erhaltene Dichte n(x, t) ist — für die also eine Kontinuitätsgleichung gilt —, so lässt sich deren Fouriertransformierte Z nk = dd x n(x) e−ik·x (7.46) als ṅk(t) = ik · jk(t) (7.47) schreiben. Infolgedessen erhält man für die Fourier-Laplace-Transformierte Ĉ(k, z) der Korrelationsfunktion Cnn (x, t) das Resultat Ĉnn (k, z) = z+ ik 2 i χ(k) . D(k, z) β (7.48) Falls sich die Memoryfunktion D(k, z) im Grenzfall z, k → 0 nicht-singulär verhält und einen nicht-verschwindenden Grenzwert D(0, 0) hat, so hat die analytische Fortsetzung von Ĉnn (k, z) einen Pol (auf dem zweiten Riemannschen Blatt) bei z = −ik 2 D(0, 0) + o(k 2 ) . Falls man D(k, z) durch eine Konstante D ≡ D(0, 0) ersetzen darf, dann reduziert sich Ĉnn (k, z) auf das von der Diffusionsnäherung her bekannte Ergebnis. Wir sehen also, dass die Diffusionsnäherung unmittelbar mit dem Verhalten von D(k, z) für k, z → 0 zu tun hat. Um dies weiter zu untersuchen, sei zunächst darauf hingewiesen, dass D(k, z) für gegebenes beliebiges k = kα eα 6= 0 (wobei {eα } eine euklidische Basis ist) in der Form D(k, z) = χ−1 (k) ǩα dαβ (k, z) ǩβ (7.49) mit i Q|jk,β i (7.50) z − QLQ geschrieben werden kann. Da die Stromdichte ein lokaler Operator ist, erwartet man, dass ihre Korrelationsfunktion abseits von kritischen Punkten als Funktion des Abstandes schnell zerfällt. Da χ(k) ebenfalls einen endlichen Grenzwert für k → 0 haben sollte (sofern man nicht an einem kritischen Punkt ist), sollte dαβ (k, z) einen nicht-singulären Grenzwert für k → 0 haben. Da der einzige k-unabhänbgige Tensor (in α und β symmetrische) Tensor ∝ dαβ ist, muss dαβ (k, z) = β hjk,α |Q lim dαβ (k, z) = dˆ1 (z) k→0 H.W. Diehl SS 2008 (7.51) 35 Dynamisches kritisches Verhalten. . . gelten, wobei Da 1 i dˆ1 (z) = β lim hjk,α |Q Q|jk,α i . d k→0 z − QLQ lim Ĉ(k, z) = k→0 iχ βz (7.52) (7.53) bei z = 0 einen Diffusionspol hat, verhält es sich bei z = 0 nicht analytisch. Dagegen dürfen wir von d(z) bei z = 0 durchaus analytisches Verhalten erwarten (sofern wir weg von kritischen Punkten bleiben). Es genügt zu wissen, dass ihre Fourier-Rücktransformierte in den t-Raum für gross t beschränkt bleibt. Eine Funktion f (t), die für t → ∞ wie e−γt mit γ > 0 zerfällt, kann von der oberen komplexen Halbebene in einen die reelle Achse umfassenden Streifen der Breite γ der unteren komplexen Halbebene fortgesetzt werden. Dies bedeutet insbesondere, dass fˆ(z) an z = 0 analytisch ist. Es ist plausibel, dass die Laplace-Rücktransformierte d1 (t) von dˆ1 (z) diese Eigenschaft hat. Für sie ergibt sich aus Gl. (7.50) der Ausdruck 1 d1 (t) = lim hjk,α|Q e−iQLQt|jk,α i . k→0 d 1 Dχ = lim dkB T k→0 Z 0 (7.54) ∞ dt hjk,α |Q e−iQLQtQ|jk,α i . Man kann dieses Ergebnis in einen Doppellimes umformen: Z ∞ 1 Dχ = lim lim dt e−ǫt hjk,α |e−iLt|jk,α i ǫ→0+ k→0 dkB T 0 (7.55) (7.56) (Übungsaufgabe). Der Konvergenz erzeugende Faktor e−ǫt stellt die Existenz des Integrals sicher. Bei diesem Ausdruck ist die Reihenfolge der Limites wichtig. H.W. Diehl SS 2008 36 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 8 Brownsche Bewegung als Anwendung des Memoryfunktionsformalismus Im Jahre 1829 untersuchte der Botaniker Robert Brown eine Suspension von in Wasser verteilten Pflanzenpollen unter dem Mikroskop. Er beobachtete, dass die Pollen eine unregelmässige schwankende Bewegung ausführten. Sie wird seitdem Brownsche Bewegung genannt. Ursprünglich dachte man, dass diese Brownsche Bewegung nur bei biologischen Systemen auftreten würde und Ausdruck einer mysteriösen Lebenskraft“ sei. Man stellte aber bald fest, dass auch die ” Teilchen einer Tintensuspension eine solche Bewegung ausführten. Ursächlich für die Brownsche Bewegung ist die Wechselwirkung der suspendierten Teilchen mit der Trägerflüssigkeit (hier: Wasser) und die thermische Bewegung ihrer Teilchen. Die Theorie der Brownsche Bewegung wurde zuerst von Einstein und Smoluchowski entwickelt und später von Langevin u. a. vervollständigt. Wir wollen im Folgenden die Anwendung des Memoryfunktionsformalismus am Beispiel der Brownschen Bewegung illustrieren. Dabei kommt es uns darauf an, eine möglichst einfache, aber nicht triviale Anwendung des Formalismus zu erläutern. Daher verzichten wir auf eine umfassende Darstellung der Theorie der Brownschen Bewegung. Wir betrachen ein schweres Brownsches Teilchen, welches sich mit der Geschwindigkeit v in einer stationären Trägerflüssigkeit von leichten Teilchen bewegt. Die Erfahrung zeigt, dass das Brownsche Teilchen einer durch die Trägerflüssigkeit verursachten Reibungskraft −ζv ausgesetzt ist, wobei ζ der Reibungskoeffizient ist. Infolgedessen liegt es nahe zu vermuten, dass das Brownsche Teilchen der Bewegungsgleichung v̇(d) + ζ v(d) = 0 (8.1) v(d) = e−ζt v(0) . (8.2) genügt. Diese hat die Lösung Falls das Brownsche Teilchen im thermischen Gleichgewicht mit der Flüssigkeit ist, so wird seine Geschwindigkeit im Mittel Null sein. Andererseits wird die Geschwindigkeit um diesen Mittelwert herum schwanken, so dass v 2 einen von Null verschiedenen Mittelwert hat, für den wir in d Dimensionen mittels des Äquipartitionstheorems das Ergebnis hv 2 i = 2 d kB T M 2 (8.3) erhalten, wobei M die Masse des B-Teilchens ist. Wenn man beide Gleichungen (8.2) und (8.3) naiv miteinander kombiniert, so findet man, dass spontane Geschwindigkeitsfluktuationen gemäß hv(t) · v(0)i = e−ζt hv(0) · v(0)i = e−ζt d kB T /M (8.4) zerfallen. Dieses Ergebnis ist auf hinreichend langen Zeitskalen richtig, obwohl unsere Ableitung zu Kritik Anlass gibt. Gleichung (8.1) kann offensichtlich mikroskopisch nicht richtig sein, sondern nur im Mittel stimmen. Denn die Ursache für die Reibungskraft sind die ständigen Stöße des B-Teilchens mit den Flüssigkeitsmolekülen. Nur auf Zeitskalen, die groß gegenüber der typischen Zeitkala für einen Einzelstoß sind, kann die Beschreibung der Wechselwirkung zwischen B-Teilchen und Flüssigkeit durch eine Reibungskraft zutreffen. Der Grund dafür, dass eine solche Beschreibung H.W. Diehl SS 2008 37 Dynamisches kritisches Verhalten. . . überhaupt im Langzeitlimes richtig sein kann, besteht in der größeren Masse des B-Teilchens. Wenn M sehr groß ist im Vergleich zur Masse M der Flüssigkeitsmoleküle, so tritt eine Trennung von Zeitskalen auf. Diese ist Voraussetzung dafür, dass der Memoryfunktionsformalismus angewendet werden kann. Um die Theorie der Brownschen Bewegung aus der mikroskopischen Dynamik herzuleiten, wollen wir vereinfachend annehmen, dass sowohl die Flüssigkeitsteilchen, als auch das Brownsche Teilchen als Massenpunkte beschrieben werden können. Die Wechselwirkungen der Flüssigkeitsteilchen untereinander und des B-Teilchens mit dieser können dann durch isotrope Paarpotentiale beschrieben werden. Wir gehen daher von einer Hamilton-Funktion der Form N N X X X p2j p20 V (rjl ) + + + U(r0j ) , H= 2m j>l 2M j=1 j=1 (8.5) wobei rjl ≡ |rjl| mit rjl = rj − rl . Dabei haben wir dem B-Teilchen die Nummer 0 gegeben. Für den zugehörigen Liouvilleoperator erhalten wir L = LFl + δL , wobei iLFl = (8.6) N X pj j=1 X ∂ ∇V (rjl ) − · m ∂r j j>l ∂ ∂ − ∂pj ∂pl (8.7) der Liouvilleoperator der Flüssigkeit ist, während n X p0 ∂ ∂ ∂ i δL = · − ∇U(r0j ) − M ∂r0 j=1 ∂p0 ∂pj (8.8) die Beiträge des B-Teilchens und seiner Wechselwirkungen mit der Flüssigkeit enthält. Wir wollen dieses System hier rein klassisch behandeln. Dazu betrachten wir die Impulskorrelationsfunktionen Cαβ (t) = hp0,α (t) p0,β (0)i = hp0,α |e−iLt |p0,β i . (8.9) Die Mittelung erfolgt dabei über eine Gesamtheit, bei der das B-Teilchen im Gleichgewicht mit der Trägerflüssigkeit ist. Aus Symmetriegründen gilt Cαβ (t) = δαβ C(t) . (8.10) Ferner erhalten wir aus dem Äquipartitionstheorem die statische Suszeptibilität χαβ = β −1 Cαβ (0) = Mδαβ . (8.11) Das Matrixgegenstück der früher mit γ(t) bezeichneten Memoryfunktion ist ebenfalls isotrop und durch 1 hṗ0,α |Q e−iQLQtQ|ṗ0,β i = γ(t) δαβ (8.12) γαβ (t) = kB T gegeben, wobei Q nun den Projektor Q=1−P =1− H.W. Diehl X α |p0,α i SS 2008 1 hp0,α | MkB T (8.13) 38 Dynamisches kritisches Verhalten. . . bedeutet. Da hṗ0,α p0,β i = 0 aufgrund von Zeitumkehrinvarianz, verschwindet die durch Gleichung (7.35) gegebene Frequenzmatrix ωαβ . Bei der Definition der Laplacetransformierten γ(t) spalten wir einen Faktor 1/m ab: Z 1 ∞ σ(z) = dt eizt γ(t) . (8.14) m 0 Für die Laplacetransformierte Ĉ(z) der Korrelationsfunktion C(t) erhalten wir dann Ĉ(z) = i z−i m M σ(z) MkB T . (8.15) Durch Vergleich mit dem bei der Spindiffusion erhaltenen Ergebnis sieht man, dass die Rolle des dort auftretenden Faktors k 2 in der hydrodynamischen Mode nun durch das Massenverhältnis m/M gespielt wird. Für ein unendlich schweres B-Teilchen verschwindet das Verhältnis m/M, so dass Ĉ(z) dann einen Pol bei z = 0 hat. Das Auftreten dieses Pols bedeutet, dass sich ein unendlich schweres B-Teilchen nicht bewegt, so dass p0 (t) zeitunabhängig wird: C(t) = const, bzw. Ĉ(z) = const × i z für m/M → 0 . (8.16) Bei endlichem Massenverhältnis m/M wandert dieser Pol in die untere komplexe Halbebene. In niedrigster Ordnung von m/M ist seine Lage durch m m z = −i σ(z) ≃ −i lim σ(0) ≡ −iζ (8.17) M M m/M →0 gegeben, sofern σ(z) sich in der Nähe von z = 0 auch im Limes m/M → 0 gutartig verhält, also dort keinen Pol hat. (Es sei daran erinnert, dass dies auf Ĉ(z) nicht zutrifft.) Unter den erwähnten Voraussetzungen erhalten wir für betraglich kleine Werte von z das Ergebnis iMkBT Ĉ(z) = bzw. C(t) = MkB T e−ζt , (8.18) z + iζ wobei die zweite Gleichung entsprechend für lange Zeiten gilt. Da v = p/M ist, entspricht dieses Resultat unserem früher in Gl. (8.4) angegebenen für die Geschwindigkeits-Geschwindigkeits-Korrelation. Aus der allgemeinen Form (7.35) kann man ablesen, dass ζ reell und positiv sein muss. Damit haben wir das Problem der Gültigkeit der phänomenologischen Gleichung (8.4) auf die Frage reduziert, ob sich σ(z) auch im Limes m/M → 0 gutartig bei z = 0 verhält. Um dies zu überprüfen, müssen wir das Frequenzspektrum von σ(z) bzw. die Relaxationszeiten von γ(t) untersuchen. Dazu spalten wir den Liouville-Operators L = L0 + LB + LB→Fl in einen Anteil L0 ≡ LFl + LFl→B = LFl − i X j ∇U(r0j ) · (8.19) ∂ , ∂pj (8.20) welcher neben dem Liouville-Operator der reinen Flüssigkeit auch die Wirkung des B-Teilchens auf die Flüssigkeit enthält, einen Beitrag X ∂ , (8.21) LB→Fl = i ∇U(r0j ) · ∂p0 j H.W. Diehl SS 2008 39 Dynamisches kritisches Verhalten. . . der die Wirkung der Flüssigkeit auf das B-Teilchen enthält, sowie einen ein sich frei bewegendes B-Teilchen beschreibenden Rest p0 ∂ · (8.22) LB = −i M ∂r0 auf. Wir können die relative Ordnung dieser Beiträge mit Hilfe des Äquipartitionstheorems abschätzen. Da für jede feste Vektorkomponente α hp20,α i = MkB T und hp2j,αi = mkB T (8.23) p gelten, ist pj /p0 von der Ordnung m/M . Infolgedessen sind auch LFl→B und LB um einen Faktor (m/M)1/2 kleiner als L0 . Mit anderen Worten, es gilt r m LB + LB→Fl ∼ . (8.24) L0 M Das heißt insbesondere, dass L → L0 für m/M → 0 . (8.25) Aus der Tatsache, dass L0 nicht auf die Koordinaten des B-Teilchens wirkt, folgt, dass L0 |p0 i = 0 bzw. L0 P = 0 oder L0 = L0 Q . (8.26) Infolgedessen lässt sich die Funktion γ(t) in Gl. (8.12) im Limes M → ∞ als lim γ(t) ≡ γ∞ (t) = M →∞ 1 hṗ|e−iL0 t |ṗ0 i , dkB T (8.27) wobei wir davon Gebrauch gemacht haben, dass hṗ0 |p0 i = 0 und daher hṗ0 |Q = hṗ0 |. Da ferner |ṗ0 i = iL|p0 i = − N X j=1 ∇U(r0j ) ≡ F (8.28) die Gesamtkraft der Flüssigkeitsteilchen auf das B-Teilchen ist, können wir die Grenzfunktion γ∞ als Kraft-Korrelationsfunktion schreiben: γ∞ (t) = 1 hF∞ (t) · F∞ (0)i , dmkB T (8.29) wobei die Zeitabhängigkeit von F∞ (t) ausschließlich durch L0 gegeben ist. Dies bedeutet, dass F∞ (t) diejenige Kraft ist, die die Trägerflüssigkeit auf ein unendlich schweres B-Teilchen ausübt. In diesem Grenzfall enthält γ∞ (t) ausschließlich mikroskopisch schnell zerfallende Prozesse, die für die innere Bewegung der leichten Teilchen der Trägerflüssigkeit in Anwesenheit eines räumlich festgehaltenen B-Teilchens charakteristisch sind. Da γ∞ (t) schnell zerfällt, wird die Laplacetransformierte m σ(z) bei z = 0 analytisch in z sein. Insgesamt haben wir gezeigt, dass die Geschwindigkeitskorrelationen eines schweren B-Teilchens exponentiell in irreversibler Weise zerfallen, wobei der Reibungskoeffizient ζ von der Ordnung des Massenverhältnisses m/M und durch m ζ∞ + O (m/M)2 (8.30) ζ= M H.W. Diehl SS 2008 40 Dynamisches kritisches Verhalten. . . mit ζ∞ 1 = dmkB T Z 0 ∞ dt hF∞ (t) · F∞ (0)i (8.31) gegeben ist. Diese Gleichung wurde zuerst von Kirkwood (1945) in anderer Weise hergeleitet. Ihre Bedeutung für praktische Rechnungen liegt auf der Hand: Um ζ∞ zu berechnen, muss man die Newtonschen Bewegungsgleichungen der Flüssigkeitsteilchen in Anwesenheit eines festen Kraftzentrums (B-Teilchen) untersuchen. Die entsprechende Hamilton-Funktion ist durch Gl. (8.5) gegeben, wenn der Beitrag p20 /2M weggelassen wird. Solche Rechnungen kann man numerisch mit Hilfe der Molekulardynamik für eine hinreichend große Zahl von Flüssigkeitsteilchen durchführen. Um die Gleichgewichtskorrelationsfunktion γ∞ (t) zu bestimmen, müsste man im Prinzip die Newtonschen Bewegungsgleichungen für beliebige Anfangsbedingungen lösen und dann über diese mitteln. Bei ergodischen Systemen kann man γ∞ (t) auch dadurch berechnen, dass man ein Zeitmittel über eine gegebene Phasenraumtrajektorie durchführt. Dies bedeutet, dass diese Größe durch Z T0 1 1 dτ F∞ (t + τ ) · F∞ (τ ) (8.32) γ∞ (t) = dkB T T0 0 berechnet wird, wobei das Zeitintervall T0 so groß gewählt werden muss, dass das Integral unabhängig von T0 wird. Durch Integration dieser Funktion über t ergibt sich dann ζ∞ . H.W. Diehl SS 2008 41 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 9 Allgemeine Eigenschaften von Modellen der kritischen Gleichgewichtsdynamik Wir wollen uns im Folgenden mit einigen wichtigen allgemeinen Eigenschaften vertraut machen, die von geeigneten Modellen der kritischen Dynamik in der Nähe des thermodynamischen Gleichgewichts (kurz: Modelle der kritischen Gleichgewichtsdynamik“) zu fordern sind ” (Hohenberg and Halperin, 1977). Wir beschränken uns dabei hier auf Fälle, bei denen eine Modellierung im Rahmen der klassischen Physik ausreichend ist. Dies setzt im Wesentlichen voraus, dass typische Anregungsenergien ~ω in der Nähe der kritschen Temperatur Tc klein im Vergleich zur thermischen Energie kB Tc sein müssen. Das heißt, es muss ~ω ≪ 1 für T ≃ Tc kB Tc (9.1) gelten. Da die charakteristischen Frequenzen an Tc gegen Null gehen, ist diese Bedingung mit Ausnahme von Phasenübergängen in der Nähe des absoluten Nullpunktes üblicherweise erfüllt. 9.1 Mikroskopische Modelle Wir betrachten ein klassisches physikalisches System, dessen Zustand zu jedem Zeitpunkt durch einen Satz von reellwertigen klassischen Variablen {Qµ } beschrieben wird. Als Observablen sind diese Größen Phasenraumfunktionen, das heißt, es gilt Qµ = Fµ (q, p) , wobei wir angenommen haben, dass sie nicht explizit von der Zeit abhängen. Wir denken uns die klassische Hamilton-Funktion H durch diese Variablen ausgedrückt und nehmen an, dass H parametrisch von einem Satz angewandter Feldern“ {hµ } ≡ h abhängt. ” Die Hamilton-Funktion hat dann die Form X H[Q; h] = H0 [Q] − hµ Qµ . (9.2) µ Falls die Variablen Q ≡ {Qµ } vollständig sind, genügen sie den mikroskopischen Bewegungsgleichungen ∂Qµ ∂H ∂Qµ′ ∂Qµ ∂H ∂Qµ′ Q̇µ = {Qµ , H} = − ∂qλ ∂Qµ′ ∂pλ ∂pλ ∂Qµ′ ∂qλ ∂H ∂Qµ ∂Qµ′ ∂Qµ ∂Qµ′ − . = ∂qλ ∂pλ ∂pλ ∂qλ ∂Qµ′ Mit anderen Worten: Es gilt Q̇µ = Wµµ′ ∂H , ∂Qµ′ (9.3) wobei Wµµ′ = {Qµ , Qµ′ } = −{Qµ′ , Qµ } H.W. Diehl SS 2008 (9.4) 42 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Poissonklammern sind. Man überzeugt sich leicht davon, dass die Observable der Energie H eine Erhaltungsgröße ist, sofern die angewandten Felder Hµ alle zeitunabhängig sind. Denn unter dieser Voraussetzung ergibt sich für die Zeitableitung von H ∂H ∂H ∂H d Q̇µ = Wµµ′ H= =0, dt ∂Qµ ∂Qµ ∂Qµ′ (9.5) wobei das letzte Gleichheitszeichen aus der Antisymmetrie von Wµµ′ bezüglich der Vertauschung µ ↔ µ′ folgte. 9.2 9.2.1 Stochastische Gleichungen Ausgangspunkt Aus unserer Beschäftigung mit dem Memoryfunktionsformalismus wissen wir bereits, dass es oft sinnvoll und möglich ist, sich auf eine kleine Teilmenge O ≡ {Oν } von Observablen zu beschränken und die verbleibenden Variablen zu eliminieren bzw. über diese zu mitteln. Die sich so ergebenden Bewegungsgleichungen für den eingeschränkten Satz von Variablen O sind dann zwangsläufig stochastisch. Dies bedeutet, dass die Vorgabe der Anfangsbedingungen der Variablen {Oν } bei t = 0 die Werte der Variablen {Oν (t)} für spätere Zeiten t > 0 nicht eindeutig bestimmt. Stattdessen muss man ein Gewichtsfunktional W angeben, welches von den Werten der O(t) für alle Zeiten t abhängt und die relative Wahrscheinlichkeit für diese besondere Zeitentwicklung des Systems spezifiziert. Dieses Funktional W hängt parametrisch auch von den zeitabhängigen Feldern h(t) ab. Man kann dann Erwartungswerte hOν (t)i|h sowie zwei- und mehrzeitige Korrelationsfunktionen hOν (t)Oν ′ (t′ )i|h usw. definieren, indem man über alle möglichen Zeitevolutionen mit dem Gewicht W mittelt. Die gleichzeitigen Erwartungswerte hOν (t)i|h, hOν (t)Qν ′ (t)i|h usw. sind vollständig durch die Wahrscheinlichkeitsverteilung P[O; t] für die Werte von O zu einem einzigen Zeitpunkt t bestimmt. 9.2.2 Forderungen an die Wahrscheinlichkeitsverteilung P[O; t] Falls sich diese Wahrscheinlichkeitsverteilung P[O; t] aus einer mikroskopischen HamiltonFunktion H ableitet, so hat sie verschiedene Eigenschaften, die als Forderungen an mögliche Kandidaten für solche Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu stellen sind. Die erste betrifft die Verträglichkeit mit dem thermodynamischen Gleichgewicht. 9.2.2.1 Verträglichkeit mit dem thermodynamischen Gleichgewicht Falls die äußeren Felder {hν } zeitunabhängig sind, muss die Verteilung zeitunabhängig sein und mit der thermodynamischen Gleichgewichtsverteilung der zuständigen (kanonischen oder großkanonischen) Gesamtheit übereinstimmen. Das heißt, die Wahrscheinlichkeitsverteilung muss dann t-unabhängig sein P[O, t] und durch " !# X Peq [O] = Z −1 exp −β H[O] − µ j Cj (9.6) j gegeben sein, wobei −βH[O] e H.W. Diehl −βHmic [Q] = SpQ e Y ν SS 2008 δ(Oν − Oν [Q]) (9.7) 43 Dynamisches kritisches Verhalten. . . mit n o P Z = SpQ e−β(Hmic [Q]− j µj Cj ) o n P = SpQ e−β(H[O]− j µj Cj ) . (9.8) Die Variablen Cj sind Erhaltungsgrößen und eine Teilmenge der Variablen Q; die µj sind zugehörige Lagrangemultiplikatoren. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung Peq [O] und die Abhängigkeit der Zustandssumme Z von β = (kB T )−1 , µj und hν müssen mit der statistischen Gleichgewichtsmechanik kompatibel sein und die statischen Eigenschaften des Systems richtig beschreiben. Insbesondere müssen sie die richtigen statischen kritischen Eigenschaften liefern. 9.2.2.2 Relaxation ins Gleichgewicht Falls die angewandten Felder h(t) für t > t0 zeitunabhängig sind, so dass hν (t) = h(0) ν ≡ hν (t0 ) ∀ν , t > t0 , dann muss P[O, t] im Limes t → ∞ gegen die Gleichgewichtsverteilung Peq [O] streben: t→∞ P[O, t] −−−→ Peq [O] . (9.9) In Worten: Die Wahrscheinlichkeitsverteilung muss gegen eine durch die durch die Konstanten der Bewegung vorgegebene Gleichgewichtsverteilung relaxieren. 9.2.2.3 Kausalität Bei Anwesenheit zeitabhängiger Felder h(t′ ) können die Erwartungswerte hQν (t)i|h nur von den Feldern h(t′ ) für t′ < t abhängen. 9.2.2.4 Fluktuations-Dissipations-Theorem Das Fluktuations-Dissipations-Theorem muss gelten (sofern wir Gleichgewichtsdynamik betrachten). Wir bezeichnen die Fouriertransformierte der Responsefunktion χO , welche die Antwort des Erwartungswertes hO(x, t)i einer gegebenen Observablen O = Oν auf ein konjugiertes hO (x′ , t′ ) beschreibt, mit χO (k, ω): hO(k, ω)i|hO − hO(k, ω)i|0 = χO (k, ω) hO (k, ω) + o(hO ) . (9.10) Außerdem führen wir die Kumulante CO (x − x′ , t − t′ ) = hO(x, t) O(x′, t′ )icum (9.11) und deren Fouriertransformierte CO (k, ω) = Z d d x Z ∞ dt e−i(k·x−ωt) CO (x, t) ein. Die Kumulante für gleiche Zeiten bezeichnen wir kurz mit Z ∞ dω CO (k, ω) ; CO (k, t = 0) ≡ −∞ 2π H.W. Diehl (9.12) −∞ SS 2008 (9.13) 44 Dynamisches kritisches Verhalten. . . die statische Suszeptibilität dagegen mit χO (k) ≡ χO (k, ω = 0) . (9.14) Das Fluktuations-Dissipations-Theorem (für klassische Systeme) lässt sich dann in der Form CO (k, ω) = 2 ′′ 2 ℑ[χO (k, ω)] = χ (k, ω) βω βω O (9.15) angegeben. Selbstverständlich müssen Real- und Imaginärteile χ′O (k, ω) bzw. χ′′O (k, ω) von χO (k, ω) die Kramers-Kronig-Relationen erfüllen. 9.2.3 Definition von kinetischen Koeffizienten, Transportkoeffizienten und charakteristischen Frequenzen Bei gegebener Responsefunktion χO (k, ω) definiert man den sogenannten kinetischen Koeffizienten ΓO (k) durch −1 i ∂χ−1 O (k, ω) ΓO (k) ≡ (9.16) ∂ω ω=0 und die (dissipative) charakteristische Frequenz ωO (k) ≡ ΓO (k)/χO (k) . (9.17) Unter Zuhilfenahme des Fluktuations-Dissipations-Theorems (9.15) lässt sich zeigen (Übungsaufgabe), dass 2 CO (k) i χO (k) = . (9.18) ωO (k) = ∂χO (k, ω)/∂ω|ω=0 CO (k, ω = 0) Gelegentlich wird auch eine modifizierte charakteristische Frequenz ω̄O (k) durch die Forderung ω̄Z O (k) dω ! 1 CO (k, ω) = CO (k) (9.19) 2π 2 −ω̄O (k) definiert. In den Fällen, in denen die Korrelationsfunktion CO (k, ω) ein bei ω = 0 zentriertes Lorentzspektrum hat, sind die beiden Definitionen identisch. Bei einem Spektrum, welches bei einer Frequenz 0 < ω0 < ∞ eine scharfe Spitze hat (wie im Falle einer propagierenden Mode), ist die letztere Definition ungeeignet. Schließlich definiert man bei erhaltenen Dichten O(x, t) — also einer Dichte, die einer Kontinuitätsgleichung genügt, — einen Transportkoeffizienten λO , in dem man den expliziten Faktor k 2 herausdividiert: ΓO (k) λO ≡ lim . (9.20) k→0 k2 9.3 Erste Beispiele: die stochastischen Modelle A und B Wir wollen im Folgenden kurz zwei erste wichtige Beispiele für stochastische Modelle der kritischen Gleichgewichtsdynamik vorstellen: die sogenannten Modelle A und B. Dazu müssen wir uns zunächst mit einigem Lehrbuchwissen aus der Wahrscheinlichkeitstheorie u.a. über Gaußsche Wahrscheinlichkeitsverteilungen vertraut machen. H.W. Diehl SS 2008 45 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 9.3.1 Charakteristische Funktion einer Wahrscheinlichkeitsverteilung Es sei Ξ ∈ R eine Zufallsvariable und P(Ξ) ihre Wahrscheinlichkeitsdichte. Dann definiert man Momente dieser Verteilung wie folgt: Def.: Das n-te Moment Mn der Verteilung P(Ξ) ist durch Mn ≡ hΞn i , n = 0, 1, . . . , ∞ , (9.21) gegeben. Die Momente der Wahrscheinlichkeitsverteilung charakterisieren diese (unter gewissen Voraussetzungen sogar eindeutig). Kenntnis über alle Momente einer Verteilung erhält man durch Berechnung der zugehörigen charakteristischen Funktion F (k). Def: Es sei Ξ ∈ R eine Zufallsvariable mit der Wahrscheinlichkeitsverteilung P(Ξ). Dann ist die zugehörige charakteristische Funktion durch Z ∞ ikΞ F (k) = he i ≡ eikΞ P (Ξ) dΞ (9.22) −∞ definiert. Offensichtlich gilt Mn = Man kann F (k) wegen F (k) = dn F (k) . d(ik)n k=0 ∞ X Mn n=0 R∞ −∞ n! (ik)n (9.23) (9.24) als Momentenerzeugende verstehen. (Wegen P(Ξ) dΞ = 1 gilt selbstverständlich M0 = 1.) Der Logarithmus von F (k) erzeugt die sogenannten Kumulanten Cn : ln F (k) = ∞ X Cn n=1 n Cn = n! (ik)n , d ln F (k) . d(ik)n k=0 (9.25) (9.26) Zwischen den niedrigsten Kumulanten und Momenten erhält man die folgenden Zusammenhänge: C1 C2 C3 C4 = = = = M1 , M2 − (M1 )2 , M3 − 3 M2 M1 + 2 (M1 )3 , M4 − 4 M3 M1 − 3 (M2 )2 + 12 M2 (M1 )2 − 6 (M1 )4 , (9.27) und M1 M2 M3 M4 H.W. Diehl = = = = C1 , C2 + (C1 )2 , C3 + 3 C2 C1 + (C1 )3 , C4 + 4 C3 C1 + 3 (C2 )2 + 6 C2 (C1 )2 + (C1 )4 . SS 2008 (9.28) 46 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Man kann zeigen (Übungsaufgabe), dass die Momente rekursiv wie folgt mit den Kumulanten zusammenhängen: n−1 X n−1 Mp Cn−p . (9.29) Mn = p p=0 Aus den Ergebnisse (9.28) lässt sich die allgemeine Regel6 Y 1 Cm ρν X ν Mn = n! ρ ! m ν ν! ν Zerlegungen mit P ν (9.30) mν ρν =n ablesen. Summiert wir über alle Zerlegungen der n Objekte Ξ in ρν Gruppen von mν dieser Objekte. Die Umkehrung lautet (Meeron, 1957; Kubo, 1962)6 X Y 1 −M ρν X mν ρν − 1 ! Cn = −n! . (9.31) ρν ! mν ! ν ν Zerlegungen mit 9.3.2 P ν mν ρν =n Gaußsche Verteilung bei vorgegebenem Mittelwert und Varianz 9.3.2.1 Der Fall einer einzelnen reellwertigen Zufallsvariablen Gaußsche Verteilungen sind durch die Vorgabe des Mittelwertes und der Varianz M2 eindeutig festgelegt, denn es gilt der Satz 9.1. Es sei Ξ ∈ R eine Zufallsvariable mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung P(Ξ). Es sei bekannt, dass (i) P(Ξ) eine Gaußverteilung sei; (ii) der Mittelwert und die Varianz durch hΞi cum hΞi = ξ , = hΞ i − hΞi2 = w , 2 gegeben sind, wobei h. . . i ≡ Z ∞ −∞ P(Ξ) . . . dΞ . Dann gilt 2 exp − (Ξ−ξ) 2w √ P(Ξ) = 2πw 6 Der Beweis ergibt sich durch Berechnung der charakteristischen Funktion: w 2 F (k) = exp ikξ + (ik) . 2 (9.32) (9.33) S. z.B.: E. Meeron, J. Chem. Phys. 27, 1238 (1957); R. Kubo, J. Phys. Soc. Japan 17, 1100 (1962). H.W. Diehl SS 2008 47 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Aus ihr lesen wir ab, dass die Kumulanten der ξ Cn = w 0 Gaußverteilung durch für n = 1 , für n = 2 , sonst , (9.34) gegeben sind. Für die Momente der Abweichung δξ ≡ Ξ−ξ vom Mittelwert ergibt sich daraus das Resultat ( (n − 1)!! w n/2 für gerades n = 2, 4, . . . , n (9.35) h(Ξ − ξ) i = 0 für ungerades n = 1, 3, . . . , also beispielsweise h(δΞ)6 i = 5!! h(δΞ)2i3 = 5 · 3 · 1 · w 3 . 9.3.2.2 Verallgemeinerung auf n reellwertigen Zufallsvariablen Die obigen Ergebnisse lassen sich leicht auf n Zufallsvariablen Ξj , j = 1, . . . , N, verallgemeinern. Es gilt: Satz 9.2. Die N-komponentige Zufallsvariable X = (Ξj ) ∈ RN habe ein Gaußsche Wahrscheinlichkeitsdicht P[Ξ), von der die ersten und zweiten Kumulanten bekannt seien: hΞj i = ξj , j = 1, . . . , N, h(Ξj − ξj )(Ξl − ξl )i = wjl , wobei w = (wjl ) eine positiv definite (reellsymmetrische) Matrix sei. Dann ist P(Ξ) eindeutig durch √ 1 T −N/2 det A exp − (Ξ − ξ) · A · (Ξ − ξ) P(Ξ) = (2π) 2 (9.36) (9.37) (9.38) gegeben, wobei A = w −1 die Matrixinverse von w ist. Zum Beweis diagonalisiert man A mittels einer orthogonalen Matrix O: O · A · OT = diag(λ1 , . . . , λN ) , wobei die Eigenwerte λj > 0 sind (wegen w > 0). Nach Transformation auf Normalkoordinaten P u = O · (Ξ − ξ) geht die quadratische Form (Ξ − ξ)T · A · (Ξ − ξ) in j λj u2j über. Das Integrationsmaß geht in dN Ξ = dΞ1 · · · dΞN = du1 . . . duN über, da die Jabobideterminante det(∂Ξj /∂ul ) = det O = 1 H.W. Diehl SS 2008 48 Dynamisches kritisches Verhalten. . . ist. In den u-Koordinaten faktorisieren die Integrale, die man für die Berechnung der charakteristischen Funktion benötigt. Nach Rücktransformation auf die Ausgangsgrößen und Berücksichtigung von Y det A = λj j erhält man das obige Ergebnis. Die charakteristische Funktion F (k) ≡ hexp(ik · Ξ)i ist durch 1 T ·w·k F (k) = eik·ξ− 2 k (9.39) gegeben. 9.3.3 Die stochastische Gleichungen der Modelle A und B Wir wenden uns nun der angekündigten Formulierung der stochastischen Modelle A und B der Gleichgewichtsdynamik zu (Halperin, Hohenberg, and Ma, 1972; Hohenberg and Halperin, 1977). Aus unseren Vorüberlegungen sollte klar sein, dass • in der Modellierung durch stochastische Gleichungen alle langsamen Dichten beibehalten werden sollten; • neben dem Ordnungsparameter die Dichten erhaltener Größen zu den langsamen Variablen gehören; • der Ordnungsparameter auch dann, wenn er nicht erhalten ist, aufgrund des Phänomens der kritischen Verlangsamung in der Nähe von Tc zu den langsamen Variablen gehört. 9.3.3.1 Modell A Bei Modell A nimmt man an, dass a) der Ordnungsparameter nicht erhalten ist; b) der Ordnungsparameter an keine erhaltenen sonstigen Dichten koppelt; c) die Dynamik rein relaxierend ist. Aus diesen Eigenschaften folgt u.a., dass der kinetische Koeffizient des Ordnungsparameters keinen expliziten (aus der Erhaltung folgenden Faktor) k 2 hat. Das Modell A ist durch die folgenden stochastischen Gleichungen (Langevin-Gleichungen) definiert: δH[φ] φ̇α (x, t) = −Γ + ζα (x, t) . (9.40) δφα (x) φ(x)=φ(x,t) Dabei ist ζα eine gaußverteilte Rauschkraft mit dem Mittelwert hζα (x, t)i = 0 (9.41) hζα (x, t) ζβ (x′ , t′ )i = 2Γ kB T δαβ δ(x − x′ ) δ(t − t′ ) . (9.42) und der Varianz Ferner ist H = H[φ] das Energiefunktional, das zur Gleichgewichtsverteilung ∝ e−βH gehört. Dies bedeutet, dass H so gewählt werden muss, dass das statische kritische Verhalten richtig H.W. Diehl SS 2008 49 Dynamisches kritisches Verhalten. . . beschrieben wird. Wenn man (wie wir hier) am kritischen Verhalten an einem üblichen kritischen Punkt interessiert ist,7 kann man H wie folgt wählen: Z i h1 τ̊ ů (9.43) H = dd x (∇φ)2 + φ2 + |φ|4 − h · φ 2 2 4! Dabei ist φ = (φα ) ein n-komponentiges Vektorfeld. Die Bezeichnung (∇φ)2 bedeutet dabei 2 (∇φ) = 2 d X ∂φα j=1 ∂xj . Auf eine gründliche Rechtfertigung von H verzichten wir hier, da diese Thematik zur Statik kritischer Phänomene gehört, die wir nicht erneut im Detail diskutieren wollen. Es sei aber darauf verwiesen, dass H die statische Universalitätsklasse des n-komponentigen φ4 Modells mit kurzreichweitigen Wechselwirkungen in d Dimensionen beschreibt. (Frage: Worin kommt die Kurzreichweitigkeit zum Ausdruck?) Im Hinblick auf das dynamische Modell ist Folgendes zu beachten: • Dass die Varianz ∝ δ(t − t′ ) ist, bedeutet, dass die Beschreibung nur auf Zeitskalen verlässlich ist, die groß sind im Vergleich zu den mikroskopischen Zeitskalen, auf der die schnellen Variablen relaxieren. • Die Annahme einer gaußverteilten Rauschkraft sollte a posteriori überprüft werden, indem man nachschaut, ob sich das Verhalten auf langen Längen- und Zeitskalen ändert, wenn man diese Annahme aufgibt. Die Annahme ist a priori nicht unvernünftig, sofern die schnellen Variablen als unkorrelierte Rauschkraft beschrieben werden können. • Die Annahme, dass die Varianz ∝ δαβ ist, garantiert die Verträglichkeit mit der O(n)Symmetrie, sofern H diese Symmetrie hat. • Die Tatsache, dass derselbe Parameter Γ, der in der Langevingleichung auftritt, auch in der Varianz mit genau diesem Faktor auftritt, hängt mit allgmeinen Forderungen an Modelle der Gleichgewichtsdynamik zusammen. Würde dies nicht so sein, wäre das sogenannte detaillierte Gleichgewicht verletzt und nicht garantiert, dass der stationäre Zustand dem thermischen Gleichgewichtszustand entspräche. Wir sehen von einer Diskussion dieser Problematik an dieser Stelle ab und verschieben sie auf später, wo wir sie dann allgemeiner führen können. 9.3.3.2 Modell B Bei Modell B nimmt man an, dass der Ordnungsparameter eine Erhaltungsgröße ist, die an keine sonstigen Erhaltungsgrößen koppelt. Da φ eine erhaltene Dichte ist, muss sie einer Kontinuitätsgleichung genügen. Dies bedeutet, dass an die Stelle des deterministischen Anteils der rechten Seite der Bewegungsgleichung die Divergenz eines Stroms treten muss. Ferner muss auch die Rauschkraft mit der Erhaltung verträglich sein. 7 Würde es beispielsweise um das Verhalten in der Nähe eines trikritischen Punktes gehen, so würde man für H das Energiefunktional eines φ6 -Modells wählen. H.W. Diehl SS 2008 50 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Man kann die Definition der Modelle A und B in folgender Weise zusammenfassen: a δH[φ] φ̇α (x, t) = −Γ (i∇) + ζα (x, t) , (9.44) δφα (x) φ(x)=φ(x,t) wobei ζα eine gaußverteilte Rauschkraft mit dem Mittelwert hζα (x, t)i = 0 (9.45) hζα (x, t) ζβ (x′, t′ )i = 2Γ kB T δαβ (i∇)a δ(x − x′ ) δ(t − t′ ) (9.46) und der Varianz ist und a = 0 oder a = 2 im Falle von Modell A bzw. Modell B zu setzen ist. Bemerkungen: • Der deterministische Teil der rechten Seite der Bewegungsgleichung hat im Falle von Modell B die Form δH[φ] . −∇jα (x, t) mit jα (x, t) = −Γ∇ δφα (x) φ=φ(x,t) • Dass die Rauschkraft mit einer Kontinuitätsgleichung ebenfalls verträglich ist, folgt aus der Tatsache, dass man ζα als ζα (x, t) = ∇ · J (α) (x, t) mit (α) hJj (x, t)i = 0 und (α) (β) hJj (x, t) Jl (x′ , t′ )i = 2Γ kB T δαβ δjl δ(x − x′ ) δ(t − t′ ) darstellen kann. H.W. Diehl SS 2008 51 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 10 Phänomenologische Skalentheorie In diesem Kapitel wollen wir zunächst an die phänomenologische und lokale Skalentheorie statischer kritischer Phänomene erinnern, um anschließend deren Erweiterung auf die kritische Dynamik zu erläutern. 10.1 Phänomenologische Skalentheorie statisch kritischer Phänomene 10.1.1 Definition der statischen kritischen Exponenten Wir beginnen mit einer kurzen Zusammenfassung der Definition der wichtigsten kritischen Exponenten für statische kritische Phänomene. Wir tun dies der Einfachheit halber am Beispiel von Ferromagneten. Ausführlichere Darstellungen finden sich in Lehrbüchern, entsprechenden Spezialvorlesungen sowie meinem ersten Vortrag bei der Sommerschule im Engadin. Die kritischen Exponenten α, β, γ, δ und ν charakterisieren das kritische Verhalten verschiedener thermodynamischer Größen bei Annäherung an den kritischen Punkt entlang bestimmter thermodynamischer Pfade. Die Definitionen sind in Tab. 1 zusammengestellt (Stanley, 1971; Fisher, 1971; Binney, Dowrick, Fisher, and Newman, 1992), wobei δT = T − Tc Tc (10.1) die auf die kritische Temperatur Tc bezogene Abweichung der Temperatur von dieser bedeutet. Exponent Definition α CH ∼ |δT |−α β γ δ ν η M ∼ (−δT )β χT ∼ |δT |−γ H ∼ |M|δ sgn(M) (0) ≈ ξ± |δT |−ν G(2) (x) ∼ |x|−(d−2+η) Bedingungen δT H M 6= 0 0 0 <0 >0 0 6= 0 0 0 0 6 0 = 0 0 6= 0 0 6= 0 0 0 Größe spezifische Wärme bei konstantem Magnetfeld Nullfeldmagnetisierung Isotherme Nullfeld-Suszeptibilität kritische Isotherme Korrelationslänge Paarkorrelationsfunktion Tabelle 1: Zusammenfassung der Definitionen der wichtigsten kritischen Exponenten für magnetische Systeme. Diese Definitionen bedürfen einiger Zusatzbemerkungen: 1. Um der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass die Temperatursingularitäten der Suszeptibilitäten der Suszeptibilität und spezifischen Wärme im Limes δT → 0 durch verschiedene Exponenten bestimmt sind, führt man außer den für δT → 0+ geltenden Exponenten γ und α analog für δT → 0− definierte Exponenten γ ′ und α′ ein. Im Normalfall eines kritischen Punktes in d < 4 Dimensionen gilt γ = γ ′ und α = α′ . 2. Wenn in der geordneten Phase eine kontinuierliche Symmetrie (wie beispielsweise O(3)) spontan gebrochen wird, treten auf der gesamten Koexistenzkurve von Goldstonemoden H.W. Diehl SS 2008 52 Dynamisches kritisches Verhalten. . . verursachte Koexistenzsingularitäten auf. So ist dort beispielsweise die (über die Paarkorrelationsfunktion der zur spontanen Magnetisierung transversalen Ordnungsparameterkomponenten) definierbare transversale Korrelationslänge unendlich. In diesem Fall muss man unterhalb von Tc zwischen transversaler Korrelationslänge ξt und longitudinaler Korrelationslänge ξl unterscheiden. Wir sehen von einer Vertiefung dieser Problematik im Augenblick ab. 10.1.2 Phänomenologische thermodynamische Skalentheorie In der Näherung der Landautheorie erhält man die Zustandsgleichung (Landau and Lifschitz, 1970; Fisher, 1983; Chaikin and Lubensky, 1995) h = m (A2,1 δT + A4,0 m2 ) . (10.2) Dabei sind A2,1 und A4,0 nichtuniverselle Koeffizienten. Der Exponent 2 des zweiten Summanden in der Klammer entspricht offenbar dem Exponenten 1/βLT , wobei βLT = 1 2 (10.3) der Wert des kritischen Exponenten β in der Landautheorie ist. Letzteres schließt man aus der Tatsache, dass die Lösung der obigen Gleichung für h = 0 die spontane Magnetisierung m0 ∼ |δT |1/2 ergibt. In analoger Weise liest man den klassischen Wert“ ” δLT = 3 (10.4) für δ aus Gl. (10.2) ab. Durch dereb Differenziation nach h bei h = 0 sieht man, dass der Exponent 1 von δT den Wert γLT = 1 (10.5) für γ liefert. Man kann sich die Frage stellen, wie diese Zustandsgleichung abzuändern ist, wenn die Exponenten β und γ Werte annehmen, die von diesen klassischen“ Werten abweichen. Naiverweise ” könnte man vermuten, dass eine Zustandsgleichung der Form h = m (A2,1 δT γ + A4,0 m1/β ) gelten würde. Dies hätte allerdings die nicht aktzeptable Folge, dass für h 6= 0 nichtanalytische Temperaturabhängigkeiten thermodynamischer Größen bei δT = 0 auftreten würden. Ben Widom (u. a.) schlug stattdessen vor, die Zustandsgleichung (10.2) in h m D (10.6) = H± |δT |∆ B|δT |β mit nichtuniversellen Amplituden D und B umzuschreiben, wobei ∆ = βδ und für die Exponenten β, δ und ∆ deren klassische Werte (10.3), (10.4) bzw. ∆LT = 3 2 einzusetzen sind. Für die Skalenfunktionen H± der Zustandsgleichung folgt aus (10.2) H± (h) = ± 1 + m1/βLT , H.W. Diehl SS 2008 (10.7) (10.8) 53 Dynamisches kritisches Verhalten. . . wobei das Pluszeichen (Minuszeichen) sich auf den Fall δT → 0+ (δT → 0−) bezieht. Die zentrale Aussage dieser Annahme ist, dass die Variable h ∝ h |δT |−∆ von den Variablen m und δT nur in der Form einer einzelnen skalierten Variablen m ∝ m |δT |−β abhängt. Durch Auflösung nach der Magnetisierung m ergibt sich, dass diese für kleine δT und h in der Skalenform m(δT, h) ≈ B|δT |β M± (Dh|δT |−∆) (10.9) geschrieben werden kann. Dies bedeutet, dass die Kurvenscharen m(δT, h) bei entsprechender Auftragung (s. Abb. 8) auf ein- und dieselbe Kurve M+ (y) bzw. M− (y) fallen müssen. Die beiden Zweige M± müssen bei großen Werten von y zusammenpassen“, um die Analytizität ” bei (T, h) 6= (Tc , 0) sicherzustellen ( Matching-Bedingungen“ genügen). ” Abbildung 8: Skalenfunktionen M± (y) der Magnetisierung Um zu einer Formulierung der entsprechenden Skalenhypothese für die Gibbssche freie Energie zu kommen, machen wir folgende Überlegungen: Wir nehmen an, dass bei verschwindendem reduzierten Magnetfeld h = HµB /kB T (wobei µB eine geeignete Einheit für ein magnetisches Moment — wie etwa das Bohrsche Magneton —ist) die Korrelationslänge ξ die einzige relevante Länge ist. Wir führen dann die reduzierte Volumendichte der Gibbsschen freien Energie durch den thermodynamischen Limes fb (δT, h) = lim V↑Rd F |V|kB T (10.10) ein, wobei |V| ≡ V der Volumeninhalt des Gebietes V ⊂ Rd ist. In dieser Größe gibt es außer einem singulären Anteil8 fbsing , für den wir einen Skalenansatz machen werden, auch einen in 8 Es ist üblich, vom singulärem Anteil von fb zu sprechen, obwohl dieser für δT → 0 bei h = 0 verschwindet. Hinter dieser Konvention steckt die Überlegung, dass partielle Ableitungen ∂ m1 +m2 fb /∂(δT )m1 ∂hm2 hinreichend hoher Ordnung am kritischen Punkt δT = h = 0 aufgrund des nichtregulären Beitrags fbsing divergieren würden. H.W. Diehl SS 2008 54 Dynamisches kritisches Verhalten. . . der Temperaturdifferenz δT und dem Magnetfel h regulären Beitrag. Wir nehmen daher eine entsprechende Aufspaltung fb = fbsing(δT, h) + fbreg (10.11) sing/reg vor. Die Dichten fb und fb (δT, h) haben die Dimension [Länge]−d . Wenn bei h = 0 außer ξ keine andere Länge eine Rolle spielt, so sollte fbsing als dimensionslose Zahl × ξ −d geschrieben werden können. Um mit den obigen Annahmen für die Skalenform der Magnetisierung verträglich zu sein, muss die Abhängigkeit von h in Form eines skalierten Argumentes h|δT |−∆ ∼ hξ yh mit yh = ∆/ν (10.12) auftreten. Dies legt den Skalenansatz fbsing (δT, h) ≈ ξ −d Y± (hξ yh ) (10.13) nahe. In diesem Skalenansatz tauchen zwei kritische Exponenten, nämlich yh sowie der Exponent ν der Korrelationslänge auf. Da man thermodynamische Größen durch Ableitungen der Gibbsschen freien Energie bekommen kann, sollten alle kritische Exponenten, die das kritische Verhalten thermodynamischer Größen charakterisierenden, durch diese ausdrückbar sein. Für die spezifische Wärme CH=0 = −T ∂ 2 F/∂T 2 erhalten wir aus dem Skalenansatz (10.13) CH=0 ∼ |δT |dν−2 . (10.14) Der Exponent α der spezifischen Wärme ist also durch die sogenannte Hyperskalenrelation 2 − α = dν (10.15) gegeben. Man spricht hier von Hyperskalenrelation, weil die Raumdimension d explizit auftritt. Gewöhnliche Skalenrelationen sind Beziehungen zwischen kritischen Exponenten, in denen d nicht explizit vorkommt (s.u.). Durch ein- bzw. zweimalige Differenziation von fb nach h findet man für die kritischen Exponenten β und γ die Ergebnisse β = 2−α−∆ (10.16) γ = −2 + α + 2∆ , (10.17) ∆ ≡ νyh (10.18) α + 2β + γ = 2 (10.19) und wobei wir definiert haben. Man kann die obigen Ergebnisse für α, β und γ verwenden, um das Skalengesetz herzuleiten. Ursprünglich wurde diese Beziehung in Form einer Ungleichung, bei der das Gleichheitszeichen durch ≥ ersetzt ist, — der sogenannten Rushbrooke-Ungleichung — gefunden. H.W. Diehl SS 2008 55 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Für den Exponenten δ findet man aus dem Skalenansatz (10.13) bzw. dem daraus für die Magnetisierung als Funktion von δT und h folgenden Ansatz mit ein wenig Überlegung das Resultat δ = β/∆ = β/(yh ν) . (10.20) Hinweis: Bei den oben vorgenommenen Herleitungen der kritischen Exponenten geht implizit ein, dass die Skalenfunktionen Y± (h) bei h = 0 existiert und sich in den Limites h → ∞ so verhält, dass ein von der Temperatur unabhängiger Grenzwert existiert. 10.1.3 Phänomenologische Skalentheorie lokaler Observablen Es gibt eine sehr nützliche Verallgemeinerung der phänomenologischen Skalentheorie für das Verhalten lokaler Dichten. Diese geht weitgehend auf Patashinskiǐ and Pokrovskiı̌ (Patashinskiı̌, Pokrovskiı̌, and Khokhlachev, 1973) zurückgehende lokale phänomenologische Skalentheorie erlaubt es, aus geeigneten Annahmen Aussagen über das Verhalten von Korrelationsfunktionen solcher lokalen Observablen zu machen. Es sei O(x) eine lokale Dichte. Diese Dichte ist thermischen Schwankungen unterworfen. In Anlehnung an die Quantenfeldtheorie, in der lokale Observablen durch Operatoren dargestellt werden, spricht man auch von einem lokalen Operator. Bei einer Feldtheorie mit einer Wirkung ( Hamiltonian“), die nur von einer einzigen Dichte φ(x) (Ordnungsparameter) abhängt, ver” steht man unter lokalen Dichten eine Größen, die von φ(x) und seinen partiellen Ortsableitungen P p ∂ p φ(x)/∂xpi11 · · · ∂xiqq bis zu einer maximalen endlichen Ordnung p = qν=1 iν pν abhängt. Es sei [O] = µdO (10.21) die Dimension von O, wobei µ eine beliebige Impulsskala sein soll. Man nennt dO dann die ( naive“) Impulsdimension. Den Zusatz Impuls“ lässt man oft weg, wenn klar ist, was gemeint ” ” ist. Im Englischen spricht man auch von der sogenannten engineering dimension“. ” Aus Dimensionsgründen muss sich die Dichte O(x) als µdO mal eine dimensionslose Dichte schreiben lassen; das heißt, es gilt O(x) = µdO O(µx) . (10.22) Bei Änderungen der Einheit µ → µ′ = ℓµ gilt daher O(ℓx) = µdO O(µℓx) = ℓ−dO (µ′ )dO O(µ′ x) = ℓ−dO O(x) . (10.23) Bei Systemen, die nichttriviale Skaleninvarianzeigenschaften haben, zeigen gewisse lokale Dichten — sogenannte Skalenoperatoren“ — eine abweichende Invarianzeigenschaft. Sie ” genügen im Limes großer Längenskalen der Beziehung O(ℓx) = ℓ−∆[O]O(x) , (10.24) wobei ∆[O] von dO verschieden ist. Man nennt daher ∆[O] anomale Dimension oder auch Skalendimension. Man kann sich fragen, wie ein solches Verhalten zustande kommen kann. Schließlich müssen Dimensionsüberlegungen grundsätzlich richtig sein. In der Tat können wir Gl. (10.24) mit Dimensionsbetrachtungen kombinieren, um sie in O(ℓx) = µdO ℓ−∆[O] O(µx) H.W. Diehl SS 2008 (10.25) 56 Dynamisches kritisches Verhalten. . . umzuformen. Man kann sich die Bedeutung dieser Gleichung wie folgt klarmachen: Die Änderung der Skala x → ℓx entspricht einer Änderung der Vergrößerung bei der Betrachtung durch ein Mikroskop. Gl. (10.24) sagt aus, dass man bei einer solchen Skalenänderung dasselbe sieht, ” wenn man gleichzeitig den Kontrast um den Faktor ℓ∆[O] nachreguliert“. Wie Skaleninvarianz mit anomalen Dimensionen ∆[O] zustande kommen kann, erklärt die Renormierungsgruppe (RG). Der entscheidende Mechanismus lässt sich elementar wie folgt verstehen. In physikalischen Theorien gibt es in der Regel eine minimale Länge amin , die der kürzesten Wellenlänge der in der Theorie vorkommenden Freiheitsgrade entspricht. Bei üblichen Gittermodellen ist dies beispielsweise die Gitterkonstante; bei einer Kontinuumsbeschreibung eine Länge von einigen Gitterkonstanten, oberhalb derer eine Kontinuumsbeschreibung angemessen ist. Die Strategie der RG besteht darin, diese minimale Länge amin in eine größere minimale Länge a′min zu ändern, indem man alle Freiheitsgrade mit Wellenlängen λ ∈ (amin , a′min) in der Zustandssumme ausintegriert. Dies führt im Allgemeinen zu einem gegenüber dem ursprünglichen Energiefunktional H geänderten Energiefunktional H′ . So kann sich die Amplitude des Operators O um einen Faktor (a′min /amin )∆[O] ändern. Mit anderen Worten: Dass die anomale Dimension an die Stelle der naiven tritt, ist auf den Einfluss der ausintegrierten Freiheitsgrade mit Wellenlängen λ ∈ (amin , amin /ℓ) auf die zur Theorie mit der vergrößerten minimalen Länge a′min = amin /ℓ gehörende Amplitude zurückzuführen. Im Allgemeinen müssten wir auch noch berücksichtigen, dass sich die anderen Parameter von H bei Vergrößerung der minimalen Länge ändern. Wenn allerdings im Limes ℓ → 0 großer Längenskalen sich die Parameter des ℓ-abhängigen Energiefunktionals Hℓ nicht mehr ändern, sondern Fixpunktwerte annehmen, so ergibt sich die in Gl. (10.24) behauptete Skaleninvarianz. Um die Konsequenzen dieser Invarianz für Korrelationsfunktionen zu bestimmen, denken wir uns βH durch einen Quellterm Z (10.26) − dd x µdhO hO (x) O(x) ergänzt. Dabei ist dhO die Impulsdimension von hO . Den Faktor µdhO haben wir abgespalten, damit hO dimensionslos ist. Durch funktionale Ableitungen der hO -abhängigen Zustandssumme können wir dann offensichtlich Erwartungswerte der Form hO(x1 ) . . . O(xN )i erzeugen. Wenn zusätzlich Translations- und Rotationsinvarianz im Ortsraum gelten, so können wir diese mit der Skaleninvarianz kombinieren, um für die Zweipunktkumulante folgendes Ergebnis abzuleiten: CO (x) = hO(x + y) O(y)icum = ℓ−2∆[O] CO (x/ℓ)i , (10.27) wobei x = |x| die Länge des Ortsvektors x bezeichnet. ℓ ist ein frei wählbarer Parameter, den wir durch die Forderung µxℓ = 1 (10.28) festlegen. Dies führt zu CO (x) ≈ µ2dO (µx)−2∆[O] CO (1) . H.W. Diehl SS 2008 (10.29) 57 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Unter der Voraussetzung, dass die Amplitude CO (1) auf der rechten Seite wohldefiniert ist, bedeutet das Ergebnis, dass die Korrelationsfunktion CO (x) ∼ x−2∆[O] zerfällt. Der sich aus dem Zusatzterm (10.26) ergebende Beitrag zum Exponenten des BoltzmannFaktors ist dimensionslos. Es ist naheliegend zu vermuten, dass der Integrand hO unter Änderungen der minimalen Länge sich so wie die Dichte der freien Energie verhält. Da wir das Verhalten von O kennen, können wir schließen, dass sich hO wie folgt unter Skalentransformationen wie hO (ℓx) = ℓ−yh hO (x) (10.30) mit yh = d − ∆[O] (10.31) verhält. Man nennt den Exponenten yh RG-Eigenexponent. hO wird aus naheliegenden Gründen Skalenfeld genannt (Wegner, 1976). Bei unserer thermodynamischen phänomenologischen Skalentheorie hatten wir gefunden, dass alle kritischen Exponenten von thermodynamischen Größen durch zwei Exponenten — beispielsweise β und ν — ausdrückbar sind. Man erwartet daher, dass alle kritischen Exponenten über Skalenrelationen mit den Skalendimensionen zweier unabhängiger Skalenoperatoren zusammenhängen. Da thermodynamische Größen wie die Magnetisierung m und die spezifische Wärme Ch=0 durch Ableitungen der freien Energie nach dem Magnetfeld bzw. der Temperaturdifferenz δT dargestellt werden können, liegt die Vermutung nahe, dass die beiden Skalenoperatoren durch die Ordnungsparameterdichte φ und die Energiedichte φ2 gegeben sind. Für die Ordnungsparameterkumulante ergibt sich aus Gl. (10.29) am kritischen Punkt das asymptotische Verhalten Cφ (x) ≈ µd−2 (µx)−2∆[φ] Cφ (1) . (10.32) Die Differenz zwischen der naiven Dimension 2dφ = d − 2 und der anomalen Dimension 2∆[φ] bezeichnet man traditionell mit η. Mit anderen Worten, es gilt 2∆[φ] = d − 2 + η , (10.33) und der zugehörige RG-Eigenexponent yh ist durch yh = d+2−η 2 (10.34) gegeben. Um die Zusammenhänge mit den anderen kritischen Exponenten zu bestimmen, verallgemeinert man am besten die obigen Aussagen für Kumulanten auf nichtverschwindende Magnetfelder und Temperaturabweichungen δT . Wir können allgemeiner Mittelwerte und Kumulanten des Skalenoperators O(x) für hO 6= 0 betrachten, wobei wir alle anderen Skalenfelder Null setzen. (Wir sind hier natürlich besonders an den Fällen hO = hφ und hO = δT interessiert, aber die Überlegung gilt allgemeiner für ein beliebiges Skalenfeld.) Indem wir berücksichtigen, dass bei der Skalentransformation hO in hO ℓ−yhO übergeht, folgt bei gleicher Wahl (10.28) von ℓ: CO (x; hO , µ) ≈ µ2dO (µx)−2∆[O] CO (1; hO (µx)yhO , 1) 1/yhO ≈ µ2dO (µx)−2∆[O] F (µxhO ). (10.35) Dabei ergibt sich die Definition der Skalenfunktion F in der zweiten Zeile aus der ersten. H.W. Diehl SS 2008 58 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Die wichtige Erkenntnis ist, dass der Abstand x in der Skalenform in skalierter Form x/ξhO , wobei −1/yh (10.36) ξhO = µ−1 hO O eine sich aus hO ergebende charakteristische Länge ist. Offensichtlich bedeutet dies, dass die Verallgemeinerung von Gl. (10.32) für nichtverschwindende Abweichungen h und δT vom kritischen Punkt als Cφ (x) ≈ µd−2 (µx)−2∆[φ] F (x/ξ, h(µξ)yh ) (10.37) mit ξ ∼ |δT |−1/yT geschrieben werden kann. Dabei ist yT der zum Skalenfeld ∼ δT gehörende thermische RG-Eigenexponent. Dies bedeutet, dass ν= 1 yT (10.38) ist. Überlegen Sie sich bitte, dass die kritischen Exponenten α, β, γ, δ, ∆ und η wie folgt durch die beiden RG-Eigenexponenten yh und yT ausgedrückt werden können: α = 2 − d yT , β = ν d − yh = ν ∆φ = (d − 2 + η) , yT 2 γ = yT (2yh − d) = ν(2 − η) , yh d+2−η = , d − yh d−2+η yh = ν yh , ∆ = yT δ = η = 2 + d − 2yh . (10.39) Beachten Sie bitte, dass in den Beziehungen, in denen d explizit auftaucht, implizit die Hyperskalenrelation (10.15) steckt. 10.2 Phänomenologische Skalentheorie der kritischen Dynamik Die Verallgemeinerung der phänomenologoischen Skalentheorie auf die kritische Dynamik geht auf Ferrell et al (1967) sowie Halperin and Hohenberg (1969) zurück. Um eine sinnvolle Erweiterung der statischen Skalentheorie zu erhalten, betrachten wir das dimensionslose Verhältnis der dynamischen und statischen Responsefunktionen χO (k, ω) und χO (k). Dieses Verhältnis muss sich als Funktion dimensionsloser Argumente schreiben lassen. Wie in der Statik sollten die Argumente kξ und h(µξ)yh auftreten. Die Erweiterung besteht darin, dass nun ein mit einer nichttrivialen Potenz von k (oder ξ) skaliertes Frequenzargument ∼ ω/k Z auftritt, wobei z ein neuer kritischer Exponent ist, der sogenannte dynamische kritische Exponent. Wenn wir — penibel, wie wir nun mal sind, — darauf achten, dass die Argumente der Skalenfunktion alle dimensionslos gemacht werden sollten, so wird man auf den Ansatz ω χO (k, ω) (±) yh ≈ YO , kξ, h(µξ) χO (k) Ω0 (k/µ)z H.W. Diehl SS 2008 (10.40) 59 Dynamisches kritisches Verhalten. . . geführt. Für die statische Suszeptibilität ergibt sich durch Fouriertransformation der Skalenform (10.35): 1 (±) χO (k) ≈ µ2dO −d (k/µ)2∆[O]−d XO (kξ, h(µξ)yh ) . (10.41) kB T Wenn wir diese in Gl. (10.40) einsetzen, so folgt 1 ω 2dO −d 2∆[O]−d (±) yh . χO (k, ω) ≈ µ (k/µ) χ̌O , kξ, h(µξ) kB T Ω0 (k/µ)z (10.42) Um zu sehen, was diese Annahme für die dynamische Korrelationsfunktion bedeutet, verwenden wir das Fluktuations-Dissipations-Theorem CO (k, ω) = 2kB T ℑ[χO (k, ω)] , ω (10.43) um zu schließen, dass CO sich als CO (k, ω) ≈ Ω0 (k/µ)z+2∆[O]−d ČO ω yh , kξ, h(µξ) Ω0 (k/µ)z (10.44) schreiben lassen muss. Es ist eine nützliche Übung, sich zu überlegen, wie die entsprechenden Skalenformen in den (x, t)-, (x, ω)- und (k, t)-Darstellungen aussehen. Wir überlassen diese dem interessierten Leser, wollen aber noch explizit angeben, wie die obigen Skalenformen im wichtigen Spezialfall O = φ aussehen. Für ihn ergibt sich 1 (±) χφ (k) ≈ µ−η k η−2 Xφ (kξ, h(µξ)yh ) kB T und Cφ (k, ω) ≈ Ω0 µ z−η η+z−2 k Čφ ω yh , kξ, h(µξ) . Ω0 (k/µ)z (10.45) (10.46) Wir können die obigen Skalenansätze in den Ausdruck (9.18) für die charakteristische Frequenz ωO (k) einsetzen, um deren Skalenform zu erhalten. Sie lautet ωO (k) = Ω0 (k/µ)z Ω̌ kξ, kξ, h(µξ)yh . (10.47) Das Ergebnis sagt aus, dass ωO im Limes k → 0 proportional zu k z nach Null geht. Die zugehörige charakteristischen Zeitskala ∼ 1/ωO divergiert. 10.3 Lokale dynamische Skaleninvarianz Wir wollen uns hier noch kurz überlegen, wie das Verhalten (10.24) von lokalen Skalenoperatoren auf die Dynamik verallgemeinert werden kann. Wir müssen bedenken, dass als lokale Skalenoperatoren auch Größen wie φ̇ infrage kommen können. Dies bedeutet, dass wir zeitabhn̈gige Dichten O(x, t) betrachten müssen, deren Dimension auch eine Zeiteinheit beinhalten können. Wenn wir annehmen, dass O(x, t) die Dimension dt [O(x, t)] = µdO Ω0O H.W. Diehl SS 2008 (10.48) 60 Dynamisches kritisches Verhalten. . . hat, dann ergibt sich als Verallgemeinerung von Gl. (10.22) die Beziehung dt O(x, t) = µdO Ω0O O(µx, Ω0 t) . (10.49) Um die Verallgemeinerung des Transformationsverhaltens (10.24) unter Skalenänderungen zu erhalten, müssen wir nur beachten, dass die Zeit t mit der Potenz ℓz skaliert werden muss. Dies führt zu (10.50) O(ℓx, ℓzt) = ℓ−∆[O]O(x, t) . Wer diesen Überlegungen folgen konnte, sollte kein Problem haben, die Skalendimension ∆[φ̇] — oder allgemeiner ∆[Ȯ] — zu bestimmen. Ebenso sollte klar sein, dass die Kombination der letzten beiden Gleichungen die Verallgemeinerung dt O(ℓx, ℓzt) = µdO Ω0O ℓ−∆[O] O(µx, Ω0 t) (10.51) von (10.25) liefert. 10.4 Überprüfung der dynamischen Skalenansätze im Rahmen der Gaußschen Näherung für die Modellen A und B Wir gehen von den stochastischen Gleichungen (9.44) der Modelle A und B aus und beschränken uns auf den Fall der ungeordneten Phase T ≥ 0 bei Abwesenheit von Magnetfelder. Die Gaußsche Näherung bedeutet dann, dass wir ů = 0 setzen können. Sie entspricht (in diesem Fall) der nullten Ordnung einer Entwicklung nach ů. In der (x, t)-Darstellung gelten dann die Langevingleichungen φ̇α (x, t) = −Γ(i∇)a [(τ̊ − △)φα (x, t) − hα (x, t)] + ζα (x, t) , (10.52) wobei die Varianz der Rauschkraft ζ nach wie vor durch Gl. (9.46) gegeben ist und sein Mittelwert verschwindet. Wir haben hier zunächst ein orts- und zeitabhängiges Magnetfeld beibehalten, damit wir durch funtionale Ableitung nach h bei h = 0 Responsefunktionen berechnen können. Durch Fouriertransformation folgt −iω φα (k, ω) = −Γk a (τ̊ + k 2 )φα (k, ω) − hα (k, ω) + ζα (k, ω) . (10.53) Wir berechnen nun δ/δh(k′ , ω ′)|h=0 , mitteln über ζ und berücksichtigen, dass δφα (k, ω) = χ(k, ω) δαβ (2π)d δ(k + k′ ) 2π δ(ω + ω ′ ) . ′ ′ δhβ (k , ω ) h=0 (10.54) Infolgedessen erhalten wir χ(k, ω) = Γk a G0 (k, ω) mit G0 (k, ω) = 1 , −iω + Γk a (k 2 + τ̊ ) (10.55) (10.56) wobei der Indez 0 die Gaußsche Näherung kennzeichnet. H.W. Diehl SS 2008 61 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Um die Korrelationsfunktion hφα (k, ω) φβ (k′ ω ′ )i = C(k, ω) δαβ (2π)d δ(k + k′ ) 2π δ(ω + ω ′ ) (10.57) in Gaußscher Näherung zu berechnen, kann man entweder die (h = 0)-Variante von Gl. (10.53) in hζα (k, ω) ζβ (k′ ω ′ )i = kB T 2Γ k a δαβ (2π)d δ(k + k′ ) 2π δ(ω + ω ′ ) (10.58) einsetzen oder das FDT (10.43) verwenden. Auf beide Arten findet man das Resultat kB T 2Γk a C0 (k, ω) = |−iω + Γk a (k 2 + τ̊ )|2 = G0 (−k, −ω) kB T 2Γk a G0 (k, ω) . (10.59) Aus der Information, die in der statischen Responsefunktion χ0 (k, ω = 0) steckt, liest man die bekannten klassischen Werte (der Landau-Theorie) ηLT = 0 und νLT = 1 2 (10.60) ab. Insgesamt sieht man, dass die postulierten Skalenformen gelten und der dynamische krititsche Exponent z den Wert 2 bei Modell A z0 = 2 + a = (10.61) 4 bei Modell B hat. In der (k, t)-Darstellung sehen obige Gleichungen wie folgt aus: G0 (k, t) = θ(t) e−Γk a (τ̊ +k 2 )t , χ0 (k, t) = Γk a G0 (k, t) , kB T −Γka (τ̊ +k2 )|t| e τ̊ + k 2 Z ∞ = dt′ G0 (k, t − t′ ) 2kB T Γk a G0 (k, −t′ ) . (10.62) (10.63) C0 (k, t) = (10.64) −∞ Überzeugen Sie sich bitte davon. Wir werden die freien Response- und Korrelationspropagatoren G0 und C0 wie in Abb. 9 gezeigt graphisch darstellen. Die Pfeile zeigen die Zeitrichtung an: Bei G0 zeigt uns die Zeitrichtung, dass t > t′ sein muss. Die graphische Darstellung von C0 entspricht dem Ausdruck in der zweiten Zeile von Gl. (10.64), wobei der dicke Punkt mit den nach beiden Seiten auslaufenden ← − − → ← − Pfeilen einen Zweiervertex mit dem Gewicht 2kB T Γ ∇ · ∇ darstellt. (Der Operator ∇ wirkt nach links auf das rechte Ende der dortigen Responsefunktion G0 .) H.W. Diehl SS 2008 62 Dynamisches kritisches Verhalten. . . G0 (x, t; x′, t′ ) = C0 (x, t; x′, t′ ) = (x, t) (x′ , t′ ) (x, t) (x′ , t′ ) Abbildung 9: Graphische Darstellung der freien Response- und Korrelationspropagatoren. H.W. Diehl SS 2008 63 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 11 11.1 Benötigtes Hintergrundwissen über stochastische Prozess Zeitabängige Wahrscheinlichkeitsdichten Es sei t1 ≤ t2 ≤ · · · ≤ tN eine geordnete Folge von Zeitpunkten. Wir betrachten eine reellwertige Zufallsvariable φ(t), die zu diesen Zeiten tj mit den Werten φ(tj ) gemessen werde. Die Abfolge {φ(t1 ), . . . , φ(tN )} nennt man stochastischen Prozess. Definitionen: 1.) Wahrscheinlichkeitsdichte P1 : P1 (φ1 , t1 ) dφ1 = Pr[φ1 ≤ φ(t1 ) ≤ φ1 + dφ1 ] = Wahrscheinlichkeit, dass φ(t1 ) im Intervall [φ1 , φ1 dφ1 ] liegt. (11.1) 2.) Verbundwahrscheinlichkeitsdichte Pm : Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) dφ1 · · · dφm = Pr[φ1 ≤ φ(t1 ) ≤ φ1 + dφ1 , . . . , φ1 ≤ φ(tm ) ≤ φm + dφm ] = Wahrscheinlichkeit, dass φ(t1 ) im Intervall [φ1 , φ1 + dφ1 ] und φ(t2 ) im Intervall [φ2 , φ2 + dφ2 ] und . . . und φ(tm ) in Intervall [φm , φm + dφm ] liegen. (11.2) (11.3) Die Wahrscheinlichkeitsdichten haben folgende Eigenschaften: • Positive Semi-Definitheit: • Normierung: Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) ≥ 0 , (11.4) Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) dm φ = 1 , (11.5) dφm Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) = Pm−1 (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm−1 ) . (11.6) Z • Hierarchieregel: Z ∞ −∞ Rm Bei Kenntnis der Pm kann man die durch Z hφ(t1 ) · · · φm (tm )i = φ1 · · · φm Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) dm φ (11.7) Rm definierten Mittelwerte berechnen. Die Dichten lassen sich als Mittelwerte wie folgt darstellen: Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) = Y m j=1 H.W. Diehl SS 2008 δ[φ(tj ) − φj ) . (11.8) 64 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Definition: Ein stochastischer Prozess heißt stationär, wenn alle Verbundwahrscheinlichkeitsdichten Pm gegen Zeitverschiebung invariant sind, d.h., die Eigenschaft Pm (φ1 , t1 + ∆t; . . . ; φm , tm + ∆t) = Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) (11.9) für beliebige ∆t haben. Bei stationären stochastischen Prozessen ist hφ(t1 )i = hφ(0)i zeitunabhängig, und für die Erwartungswerte von Produkten gilt hφ(t1 + ∆t) · · · φ(tm + ∆t)i = hφ(t1 ) · · · φ(tm )i . 11.2 (11.10) Bedingte Wahrscheinlichkeitsdichten Um die kausale zeitliche Beeinflussungen von Ereignissen φ(tj ) zu charakterisieren, ist es nützlich bedingte Wahrscheinlichkeitsdichten Pm|k einzuführen. Diese sind analog zur Gl. (11.2) wie folgt definiert: Definition: Die bedingte Wahrscheinlichkeit dafür, dass φ(tk+j ) in φk+j · · · φk+j + dφk+j ∀j = 1, . . . , m unter der Bedingung, dass φ(ti ) in φi · · · φi + dφi ∀i = 1, . . . , k ist durch Pm|k (φk+1 , tk+1 ; . . . ; φm , tm |φ1, t1 ; . . . ; φk , tk ) dφ1 · · · dφk+m gegeben. Ausgedrückt durch die Verbundwahrscheinlichkeiten gilt daher Pm|k (φk+1, tk+1 ; . . . ; φm , tm |φ1 , t1 ; . . . ; φk , tk ) = Pk+mk (φ1 , t1 ; . . . ; φk+m, tk+m ) . Pk (φ1 , t1 ; . . . ; φk , tk ) Aufgrund der Normierung der Verbundwahrscheinlichkeiten gilt Z dφk+1 · · · dφk+m Pm|k (φk+1 , tk+1; . . . ; φm , tm |φ1 , t1 ; . . . ; φk , tk ) = 1 . 11.3 (11.11) (11.12) Stochastische Unabängigkeit und vollständig unkorrelierte stochastische Prozesse Wir definieren zunächst den Begriff der stochastischen Unabhängigkeit. Def.: stochastische Unabhängigkeit: Die zeitliche Folge von Ereignissen φ(tk+1 ), . . . , φ(tk+m) heißt stochastisch unabhängig von den vorangehenen φ(t1 ), . . . , φ(tk ), wenn die Ergebnisse φ1 , . . . , φk letzterer die Ergebnisse φk+m , . . . , φk+m der nachfolgenden nicht beeinflussen. Dies bedeutet, dass Pm|k (φk+1, tk+1 ; . . . ; φm , tm |φ1 , t1 ; . . . ; φk , tk ) = Pm (φk+1 , tk+1; . . . ; φk+m, tkm ) . (11.13) Falls dies gilt, sind φ(t1 ), . . . , φ(tk ) und φ(tk+1 , . . . , φ(tk+m ) unkorreliert. H.W. Diehl SS 2008 65 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Def.: vollständig unkorrelierter stochastischer Prozess: Bei einem vollständig unkorrelierten stochastischen Prozess gibt es keinerlei Erinnerung an frühere Ereignisse. Infolgedessen faktorisieren die Verbundwahrscheinlichkeiten: Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) = 11.4 m Y j=1 P1 (φj , tj ) . (11.14) Markov-Prozesse und Chapman-Kolmogorov-Gleichung Man spricht von einer Markov-Kette, wenn die Zufallsvariable φ(tj ) nur von den Werten φj−1 zum vorhergehenden Zeitpunkt tj−1 abhängt, aber von allen Werten zu früheren Zeitpunkten t1 , . . . , tj−2 unabhängig ist. MIt anderen Worten: Die Erinnerung bleibt nur einen Zeitschritt erhalten. Mathematische bedeutet die Markov-Eigenschaft eines stochastischen Prozesses, dass Pm|1 (φm , tm |φ1 , t1 ; . . . ; φm−1 , tm−1 ) = P1|1 (φm , tm |φm−1 , tm−1 ) . (11.15) Bei Markov-Prozessen kann man offensichtlich alle Wahrscheinlichkeitsdichten als Produkte der Anfangswahrscheinlichkeit P1 (φ1 , t1 ) und Übergangswahrscheinlichkeiten P1|1 (xj , tj |xj−1 , tj−1) schreiben. Es gilt nämlich Pm (φ1 , t1 ; . . . ; φm , tm ) = P1 (φ1 , tj ) m Y j=2 P1|1 (xj , tj |xj−1 , tj−1) . Für P2 ergibt sich, wenn t ≤ t̃ ≤ t′ , das Resultat Z ′ ′ P2 (φ, t; φ , t ) = dφ̃ P3 (φ, t; φ̃, t̃; φ′ , t′ ) Z = dφ̃ P1|1 (φ′ , t′ |φ̃, t̃) P1|1 (φ̃, t̃|φ, t) P1(φ, t) , (11.16) (11.17) woraus nach Division durch P1 (φ, t) die sogenannte Chapman-Kolmogorov-Gleichung Z ′ ′ (11.18) P1|1 (φ, t|φ , t ) = dφ̃ P1|1 (φ′ , t′ |φ̃, t̃) P1|1 (φ̃, t̃|φ, t) folgt. Sie sagt aus, dass man die bedingte Wahrscheinlichkeitsdichte für den Übergang von (φ, t) → (φ′ , t′ ) erhält, indem man das Produkt der jeweiligen Wahrscheinlichkeitsdichten des zweistufigen Übergangs (φ, t) → (φ̃, t̃) → (φ′ , t′ ) berechnet und dann über alle möglichen Zwischenwerte φ̃ integriert. Ein Gaußscher stochastischer Prozess ist vollständig durch die zweiten Momente hδφ(t) δφ(t′)i (wobei δφ(t) = φ(t) − hφ(t)i) charakterisiert, denn alle höheren Momente faktorisieren (alle höheren Kumulanten verschwinden). Man überlegt sich leicht, dass ein Gaußscher Prozess genau dann Markovsch ist, wenn die Erwartungswerte der Inkremente zu verschiedenen Zeiten t und t′ faktorisieren, d.h., wenn h[φ(t + τ ) − φ(t)][φ(t′ + τ ) − φ(t′ )]i = hφ(t + τ ) − φ(t)ihφ(t′ + τ ) − φ(t′ )i ∀t 6= t′ . (11.19) Wir haben hier angenommen, dass tj+1 − tj = τ ∀j. Beweisen Sie dies! H.W. Diehl SS 2008 66 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 11.5 Master-Gleichung Wir wollen nun eine Differentialgleichung für P1 (φ, t) herleiten. Dazu gehen wir von Z Z ′ ′ P1 (φ, t + τ ) = dφ P2 (φ , t; φ, t + τ ) = dφ′ P1|1 (φ, t + τ |φ′ , t) P1 (φ′ , t) (11.20) aus und bilden den Grenzwert P1 (φ, t + τ ) − P1 (φ, t) ∂P1 (φ, t) ≡ lim τ →0 ∂t τ Z P1|1 (φ, t + τ |φ′ , t) − P1|1 (φ, t|φ′, t) P1 (φ′ , t) . = dφ′ lim τ →0 τ (11.21) Aus offensichtlichen Gründen muss gelten P1|1 (φ, t|φ′, t) = δ(φ − φ′ ) . (11.22) Es liegt daher nahe, eine Entwicklung der Form P1|1 (φ, t + τ |φ′ , t) = [1 + A(φ, t) τ + · · · ] δ(φ − φ′ ) + W (φ′ → φ, t) τ + · · · (11.23) um τ = 0 anzunehmen. Wir haben dabei einen Term ∝ τ δ(φ − φ′ ) vorgesehen, weil die Normierung auf 1 einen solchen bei gegebener glatter Funktion W (φ′ → φ, t) erzwingt: Durch Einsetzen der Entwicklung (11.23) in Z 1 = dφ′ P1|1 (φ, t + τ |φ′ , t) (11.24) und Koeffizientenvergleich der O(τ )-Terme erhält man Z A(φ, t) = − W (φ′ → φ, t)dφ′ . (11.25) Infolgedessen ergibt sich die sogenannte Master-Gleichung ∂P1 (φ, t) = ∂t Da das Integral gilt R Z dφ′ [P1 (φ′ , t) W (φ′ → φ, t) − P1 (φ, t) W (φ → φ′ , t)] . (11.26) dφ der rechten Seite dieser Gleichung aus Symmetriegründen verschwindet, Z Z dφ ∂t P1 (φ, t) = 0 = ∂t dφ P1 (φ, t) = 0 . {z } | =1 Also • erhält die Master-Gleichung (11.26) die Normierung 9 R dφ P1 (φ, t) = 1.9 Damit ist gemeint, dass die Gültigkeit dieser Normierung zu einem Anfangszeitpunkt t = t0 deren Gültigkeit für die Lösung der Master-Gleichung zu allen späteren Zeiten t > t0 impliziert. H.W. Diehl SS 2008 67 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Für die Zeitableitung der durch S(t) ≡ −kB hln P1 (φ, t)i = −kB Z dφ P1 (φ, t) ln P1 (φ, t) (11.27) definierten zeitabhängigen Entropie S(t) ergibt sich durch kurze Rechnung und Symmetrisierung Z Ṡ(t) = −kB dφ [1 + ln P1 (φ, t)] ∂t P1 (φ, t) Z Z kB P1 (φ, t) = dφ dφ′ [P1 (φ, t) W (φ → φ′ , t) − P1 (φ′ , t) W (φ′ → φ, t)] ln . 2 P1 (φ′, t) (11.28) Dies lässt sich als Ṡ(t) = σ(t) − hJS (φ, t)i (11.29) mit kB σ(t) = 2 Z dφ Z dφ ′ P1 (φ, t) W (φ → φ′ , t) P1 (φ, t) W (φ → φ′ , t) − P1 (φ , t) W (φ → φ, t) ln P1 (φ′ , t) W (φ′ → φ, t) ′ und JS (φ, t) = kB ′ Z dφ′ W (φ → φ′ , t) ln W (φ → φ′ , t) W (φ′ → φ, t) (11.30) (11.31) schreiben. Die Größe σ(t) hat die Bedeutung einer Entropieproduktionsrate. Sie ist positiv oder verschwindet, wie man mittels der aus der Konvexität von ln x folgenden Eigenschaft (x − x′ ) ln(x/x′ ) ≥ 0 (11.32) σ(t) ≥ 0 . (11.33) sieht. Es gilt also Der Beitrag hJS (φ, t)i ist der Netto-Entropiefluss in den Zustand φ. 11.6 Der Spezialfall zeitunabhängiger Übergangswahrscheinlichkeiten, detailliertes Gleichgewicht Wir betrachten nun den wichtigen Spezialfall zeitunabhängiger Übergangswahrscheinlichkeiten W (φ → φ′ , t) ≡ W (φ → φ′ ) . (11.34) In diesem Fall kann man Folgendes zeigen: • Falls φ auf ein endlichen Intervall beschränkt ist, gibt es mindestens eine Lösung der Master-Gleichung (11.26) ( Zustand“) P (st) (φ) mit ∂t P (st) (φ) = 0 (genannt stationäre ” Lösung). H.W. Diehl SS 2008 68 Dynamisches kritisches Verhalten. . . • Falls die stationäre Lösung P (st) (φ) eindeutig ist, so ist sie auch stabil, und es gilt t→∞ P(φ, t) −−−→ P (st) (φ) (11.35) Eine hinreichende Bedingung für P (st) (φ) lässt sich aus der Master-Gleichung (11.26) ablesen. Falls die Bedingung des detaillierten Gleichgewichts (detailed balance) P(φ′ , t) W (φ′ → φ) = P(φ, t) W (φ → φ′ ) (11.36) erfüllt ist, so verschwindet ∂t P(φ, t). Die Bedingung sagt, dass die Gewinn- und Verlustrate bei den Übergängen φ ↔ φ′ ausgeglichen ist. Das Streben (11.35) in den stationären Zustand geschieht durch irreversible Prozesse. Eine offensichtliche Schwierigkeit der Bedingung des detaillierten Gleichgewichts besteht darin, dass sie die Kenntnis des stationäre Zustand P (st) (φ) erfordert. Vorzuziehen sind Kriterien, die sich ausschließlich auf Eigenschaften der Übergangsraten W (φi → φj ) stützen. Es gibt in der Tat ein solches Kriterium: Hinreichend und notwendig für die Existenz einer dem detaillierten Gleichgewicht genügende Lösung der Master-Gleichung (11.26) ist, dass die jeweiligen Vorwärts- und Rückwärtsprozesse für beliebige Zyklen beliebiger Länge über nicht notwendigerweise verschiedene Zwischenkonfigurationen φi gleich wahrscheinlich sind: W (φ0 → φ1 ) W (φ1 → φ2 ) · · · W (φm−1 → φ0 ) = W (φ0 → φm−1 ) W (φm−1 → φm−2 ) · · · W (φ1 → φ0 ) . (11.37) Im Falle von Markov-Prozessen gilt die Master-Gleichung auch für P1|1 . Um dies zu sehen, braucht man nur den Ansatz (11.23) in die Chapman-Kolmogorov-Gleichung (11.18) einzusetzen. Es ist evident, dass sich dann die Master-Gleichung ∂P1|1 (φ, t|φ0, t0 ) = ∂t Z dφ′ P1|1 (φ′ , t|φ0 , t0 ) W (φ′ → φ, t) − P1|1 (φ, t|φ0, t0 ) W (φ → φ′ , t) . (11.38) ergibt. 11.7 Spezialisierung auf den Fall diskreter Konfigurationsvariablen Wir spezialisieren nun auf den Fall, dass die stochastische Variable diskrete Werte ρ annimmt. Dann nimmt die Master-Gleichung die Form X ∂t Pρ = [Pρ′ (t) Wρ′ →ρ (t) − Pρ (t) Wρ→ρ′ (t)] ρ′ = − X ρ′ Lρρ′ (t) Pρ′ (t) (11.39) an, wobei wir in der zweiten Zeile den Liouville-Operator X Lρρ′ = −Wρ′ →ρ (t) + δρρ′ Wρ→ρ′′ (t) (11.40) ρ′′ eingeführt haben. H.W. Diehl SS 2008 69 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Dieser Liouville-Operator ist im Allgemeinen nicht symmetrisch, d.h., wir müssen davon ausgehen, dass LT 6= L . Im zeitunabhängigen Fall L(t) ≡ L, wo sich die Master-Gleichung durch Diagonalisierung bequem in Analogie zur stationären Schrödingergleichung lösen lässt, werden wir daher zwischen Rechts- und Linkseigenvektoren zu unterscheiden haben (s.u.). Die Master-Gleichung lässt sich im Dirac-Formalismus als ∂t |P(t)i = −L|P(t)i (11.41) schreiben. P Die in der Eigenschaft ρ Lρρ′ = 0 zum Ausdruck kommende Erhaltung der Normierung bedeutet, dass es stets ein Eigenbra X h1| = hρ| ρ mit dem Eigenwert 0 gibt: h1|L|ρ′i = X Lρρ′ = 0 . (11.42) ρ Wir wenden uns nun wieder dem Spezialfall zeitunabhn̈giger Übergangsraten Wρ→ρ′ (t) ≡ Wρρ′ zu. In diesem Fall ist L(t) ≡ L ebenfalls zeitunabhängig. Die Lösung der Master-Gleichung (11.39) lässt sich als |P(t)i = e−Lt |P(0)i (11.43) schreiben. Der Ansatz P(t) ∝ e−λt ϕρ führt auf das Eigenwertproblem X (α) Lρρ′ ϕρ′ = λ(α) ϕ(α) ρ (11.44) ρ′ mit den Rechtseigenvektoren (β) .. . (α) ϕρ . .. . Für die Linkseigenvektoren (. . . , ψρ , . . . ) gilt entsprechend X (β) ψρ′ Lρ′ ρ = λ(β) ψρ(β) . (11.45) ρ′ Man kann Rechts- und Linkseigenvektoren so wählen, dass sie den Orthonormalitätsbedingungen X αβ (11.46) hα|βi = ψρ(α) ϕ(β) ρ = δ ρ genügen. Die allgemeine Lösung der Master-Gleichung (11.39) bei zeitunabhängigem L ist eine Linearkombination X (α) (11.47) Pρ (t) = c(α) e−λ t ϕ(α) ρ α H.W. Diehl SS 2008 70 Dynamisches kritisches Verhalten. . . mit c(α) ∈ C. Die Eigenwerte treten i.A. als komplex konjugierte Paare mit ℜλ(α) ≥ 0 auf. Bei nichtverschwindenen Imaginärteilen gibt es (neben relaxierenden) auch oszillatorische Anteile in der Lösung (11.47). Wenn die Bedingung des detaillierten Gleichgewichts (st) Pρ′ Wρ′ →ρ = Pρ(st) Wρ→ρ′ (11.48) (st) für die stationäre Lösung Pρ erfüllt ist, kann man den Liouville-Operator durch die Definition q (st) (st) ′ Pρ′ /Pρ Lρρ′ L̃ρρ = = (P Wρ→ρ′′ q q (st) (st) (st) (st) −Wρ′ →ρ Pρ′ /Pρ = −Wρ→ρ′ Pρ /Pρ′ ρ′′ , falls ρ = ρ′ , , falls ρ 6= ρ′ , (11.49) (α) symmetrisieren. Da L̃T = L̃ braucht man bei dessen Eigenvektoren φρ nicht zwischen Rechtsund Linkseigenvektoren zu unterscheiden. Sie hängen mit den Rechts- und Linkseigenvektoren von L in der Form p p (α) Pρ = ψρ(α) Pρ φ(α) (11.50) ρ = ϕρ / zusammen. Die Symmetrie fon L̃ garantiert, dassPdie Eigenwerte reell sind. Negative Eigenwerte würden zu Konflikten mit der Erhaltung von ρ Pρ (t) = 1 führen. Daher gilt λ(α) ≥ 0. Bei langen Zeiten ist die t-Abhängigkeit der Überlagerung (11.47) vom kleinsten nichtverschwindenden Eigenwert λ(α) bestimmt, der in ihr vorkommt. (st) Man kann PρN durch eine Folge von Übergängen bestimmen, indem man von einem Start(st) zustand Pρ0 ausgeht. Dies ergibt Pρ(st) N = WρN−1 →ρN Pρ(st) N−1 WρN →ρN−1 = ... = Pρ(st) 0 N −1 Y j=0 Wρj → ρj+1 . Wρj+1 →ρj (11.51) Aufgrund der Bedingung des detaillierten Gleichgewichts (11.37) vereinfacht sich dies zu Pρ(st) = Pρ(st) 0 N Wρ0 →ρN . WρN →ρ0 (11.52) Es ist also unabhängig vom Weg ρ0 → . . . → ρN . Infolgedessen lässt sich durch Pρ = X 1 −Φρ e mit Z = e−Φρ Z ρ (11.53) ein Potential φρ einführen. Durch Logarithmierung von Gl. (11.51) ergibt sich ΦρN − Φρ0 = N −1 X j=0 ln Wρj → ρj+1 Wρ0 →ρN = ln . Wρj+1 →ρj WρN →ρ0 (11.54) Aufgrund dessen kann das Potential mit einem effektiven Energiefunktional H/kB T identifiziert werden. Wir können das Fazit ziehen, dass ein stochastischer Prozess, welcher die H.W. Diehl SS 2008 71 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Bedingung des detaillierten Gleichgewichts erfüllt, die Relaxation eines physikalischen Systems ins thermische Gleichgewicht beschreiben kann.Wenn dagegen die Bedingung des detaillierten Gleichgewichts verletzt ist, gibt es Wahrscheinlichkeitsströme zwischen den verschiedenen Konfigurationen und das System ist daher in wesentlicher Weise aus dem Gleichgewicht gebracht. Es ist nützlich, sich die Anforderungen des detaillierten Gleichgewichts in zwei wichtigen Fällen genauer anzusehen. Wir beginnen mit der Diskussion der der mikrokanonischen Gesamtheit entsprechenden Situation, bei der die Gesamtenergie festgehalten wird. In diesem Fall findet die mikroskopische Dynamik auf einer Energiehyperfläche ΣE = {ξ = (q1 , . . . , pf ) | H(ξ) = E} statt. Für alle Mikrozustände ξ ∈ ΣE muss die Bedingung W (ξ → ξ ′ ) = W (ξ ′ → ξ) (11.55) der Mikroreversibilität erfüllt sein. Aus der Bedingung des detaillierten Gleichgewichts (11.37) ergibt sich dann, dass P (st) (ξ) = P (st) (ξ ′ ) . (11.56) Das heißt, im thermischen Gleichgewicht befindet sich das System mit gleicher Wahrscheinlichkeit in jedem der Mikrozustände auf einer gegebenen Energiehyperfläche. Der zweite wichtige Fall, den wir diskutieren wollen, ist der eines physikalischen Systems, welches sich im Kontakt mit einem Wärmebad der Temperatur T befindet und Wärme mit diesem austauschen kann. Die zugehörige Gleichgewichtsverteilung entspricht der kanonischen Verteilung 1 e−H(ξ)/kB T . (11.57) P (st) (ξ) = Z(T ) Übergangsraten, die mit der Bedingung des detaillierten Gleichgewichts im Einklang sind, müssen die Beziehung W (ξ → ξ ′ ) ′ = e−[H(ξ )−H(ξ)]/kB T (11.58) ′ W (ξ → ξ) erfüllen. Dies ist der mikroskopische kinetische Hintergrund für die Beziehung (4.4), die zum Fluktuations-Dissipations-Theorem (4.7) führte. Monte-Carlo-Computersimulationen lassen sich als numerische Lösungen von Mastergleichungen verstehen. Um mit Hilfe dieser Methode Informationen über das Verhalten von Systemen im thermischen Gleichgewicht zu bekommen, müssen die Übergangsraten im Einklang mit der Bedingung des detaillierten Gleichgewichts gewählt werden. Es gibt selbstverständlich viele Möglichkeiten, die Bedingung (11.57) zu erfüllen. Beim weit verbreiteten MetropolisAlgorithmus verwendet man die Übergangsraten ′ W (ξ → ξ ′) = min 1, e−[H(ξ )−H(ξ)]/kB T . (11.59) Diese Wahl bedeutet, dass der Übergang ξ → ξ ′ immer durchgeführt wird, falls dadurch die Energie abgesenkt wird, wohingegen der Übergang zum höher energetischen Zustand nur mit dem in dieser Gleichung auftauchenden Boltzmann-Faktor durchgeführt wird. H.W. Diehl SS 2008 72 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 11.8 Kramers-Moyal-Entwicklung und Fokker-Planck-Gleichung Wir wollen nun mit Hilfe der so genannten Kramers-Moyal-Entwicklung für den Fall, dass die Zustandsvariablen ξ Werte in einer kontinuierlichen Menge annimmt, eine genäherte partielle Differentialgleichung für P(ξ, t) herleiten. Dazu gehen wir von dem Analogon von Gl. (11.20), nämlich Z P1 (ξ, t + τ ) = dη P1|1 (ξ, t + τ |ξ − η, t) P1(ξ − η, t) , (11.60) aus. Dabei wollen wir annehmen, dass die bedingte Wahrscheinlichkeit P1|1 invariant gegenüber Zeittranslationen ist, so dass P1|1 (ξ, t + τ |ξ − η, t) ≡ Ptr (ξ − η, η, τ ) (11.61) eine von der Anfangszeit t unabhängige Übergangswahrscheinlichkeit ist. Durch Entwicklung nach η erhält man Z ∞ X j (−η · ∇ξ ) Ptr (ξ, η, τ ) P1(ξ, t) . (11.62) P1 (ξ, t + τ ) = dη Ptr (ξ, η, τ ) P1(ξ, t) + j=1 Wir definieren nun die Größen (j) αi1 ,...,ij (ξ) Da 1 ≡ lim τ →0 τ Z Z dη ηi1 · · · ηij Ptr (ξ, η, τ ) . dη Ptr (ξ, η, τ ) = 1 , (11.63) (11.64) ergibt sich die Kramers-Moyal-Entwicklung P1 (ξ, t + τ ) − P1 (ξ, t) ∂P1 (ξ, t) = lim τ →0 ∂t τ ∞ h i X (−1)j ∂j (j) αi1 ...ij (ξ) P1(ξ, t) , = k! ∂ξi1 · · · ∂ξij j=1 (11.65) wobei die Einsteinsche Summenkonvention (Summation über doppelt vorkommende Indizes) gilt. Bei Markov-Prozessen kann man von der Chapman-Kolmogorov-Gleichung (11.18) aus- und in ähnlicher Weise vorgehen. Dann ergibt sich eine analoge Gleichung für die Übergangswahrscheinlichkeit P1|1 (ξ, t|ξ0, t0 ). Oft tragen nur die beiden niedrigsten Momente zur Kramers-Moyal-Entwicklung bei, wäh(j) rend die höheren Koeffizienten αi1 . . . ij mit j ≥ 3 verschwinden, weil die entsprechenden Integrale o(τ ) sind.10 In diesem Fall reduziert sich die Gl. (11.65) auf die so genannte FokkerPlanck-Gleichung 10 ∂P1 (ξ, t) = −∇ξ J (1) (ξ, t) ∂t 1 ∂ 2 (2) ∂ (1) = − αi (ξ) P1 (ξ, t) + αik (ξ) P1 (ξ, t) . ∂ξi 2 ∂ξi ∂ξk (11.66) Van Kampen (1992, Seite 198) sagt zu dieser Thematik Folgendes: “Kolmogorov’s proof (der Fokker-PlanckGleichung) is based on the assumption that α(j) = 0 for j > 2. This, however, is never true in physical systems.” Wir brauchen diese Problematik hier nicht zu vertiefen. Die später zu diskutierende Renormierungsgruppe erlaubt es zu zeigen, dass Korrekturen dieser Art das asymptotische kritische Verhalten nicht ändern. H.W. Diehl SS 2008 73 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Diese Gleichung hat die Form einer Kontinuitätsgleichung für die Wahrscheinlichkeitsdichte P1 (ξ, t), wobei die Wahrscheinlichkeitsstromdichte J (1) (ξ, t) durch ihre Komponenten (1) (1) Ji (ξ, t) = αi (ξ, t) P1 (ξ, t) − 1 ∂ (2) αik (ξ) P1 (ξ, t) 2 ∂ξk (11.67) gegeben ist. Der erste und zweite Ausdruck in der zweiten Zeile von Gl. (11.66) werden als Drift- bzw. Diffusionsterm bezeichnet. H.W. Diehl SS 2008 74 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 12 12.1 Einführung in die Feldtheorie der dynamischen kritischen Phänomene Formulierung der Modelle als Gauß-Markov-Prozesse Wir haben nun genug Hintergrundkenntnisse bereitgestellt, dass wir uns der Untersuchung der wichtigsten Modellen der kritischen Dynamik und ihrer feldtheoretischen Formulierung zuwenden können. Dazu betrachten wir eine für unser Zwecke hinreichend allgemeine Klasse von stochastischen Prozesse, nämlich in der Zeit (zunächst) diskrete Gauß-Markov-Prozesse. Es sei t0 < t1 < . . . < tN mit tj+1 − tj = τ eine diskrete Folge von Zeiten, zu denen die Zufallsvariable φ(t) = {φα (t)} mit den Ergebnissen φ(tj ) = φj gmessen werde. Wir nehmen vereinfachend an, dass die Zeitdifferenzen tj+1 − tj aufeinanderfolgender Zeiten den von j unabhängigen Wert τ haben. Der Indez α nummeriert die stochastischen Variablen φa lpha(t) durch. Bei stochastischen Prozessen auf einem Gitter würde der Index α den Gitterplatz i und den Komponentenindex α von φ bezeichnen. Wir werden an stochastischen Prozessen interessierte sein, die kontinuierlich im Ort sind. Daher wird α später durch (x, α) zu ersetzen sein, wobei x ∈ Rd ein Ort und α ein Komponentenindex ist. Bei Modellen, für die neben dem Ordnungsparameter noch weitere Dichten benötigt werden, würde als weiterer Index zur Nummerierung dieser Dichten benötigt. Es sei P(φ, t1 ; . . . ; φN , tN |φ0 ) die durch Pr(φ1 < φ(t1 ) < φ1 + dφ1 , . . . , φN < φ(tN ) < φN + dφN |φ0 < φ(t0 ) < φ0 + dφ0 ) = P(φ, t1 ; . . . ; φN , tN |φ0 ) dφ1 · · · dφN dφ0 (12.1) (Pr ≡ probability = Wahrscheinlichkeit definierte bedingte Wahrscheinlichkeitsdichte. Den Anfangszeitpunkt t0 denken wir uns festgehalten. Daher können wir ihn unterdrücken. Die Eigenschaften Markov-Prozess bedeutet, dass die bedingte Wahrscheinlichkeitsdichte P faktorisiert: N Y P(φ1 , t1 ; . . . ; φN , tN |φ0 ) = Pτ (φj |φj−1 ) . (12.2) j=1 Die Eigenschaft Gauß-Markov-Prozess bedeutet dann, dass Pτ eine Gaußfunktion ist, die wir in der Form o n ′ F (φ′ )]2 exp − [φ−φ4τ−τ ′ D(φ ) p (12.3) Pτ (φ|φ′ ) = 4πτ D(φ′ ) schreiben. H.W. Diehl SS 2008 75 Dynamisches kritisches Verhalten. . . 12.2 Äquivalente Langevingleichung Mittelwerte von φj -abhängigen Observablen unter der Bedingung des Anfangswert φ0 können wir in folgender Weise umschreiben: hA(φ0 , . . . , φN )iφ0 = = Hier ist Z Z A(φ0 , . . . , φN ) dφ1 · · · dφN A(φ0, . . . , φN ) N Y j=1 N Z Y j=1 Pτ (φj |φj−1 ) dφ1 · · · dφN δ ζj − φj + φj−1 + τ F (φj−1) p dζj 4πτ D(φj−1) ζj2 × exp − 4τ D(φj−1) Z = dζ1 · · · dζN PRK (ζ1 , . . . , ζN ) A φ0 , φ1 [ζ; φ0 ] . . . , φN [ζ; φ0 ] . N ζ j2 Y −1/2 − 4τ D(φ j−1 ) PRK (ζ1 , . . . , ζN ) = [4πτ D(φj−1 )] e (12.4) j=1 die sich ergebende Verteilungsfunktion der Rauschkraft ζj mit dem Mittelwert hζj i = 0 , j = 1, . . . , N , (12.5) und der Varianz hζjα ζj ′ α′ i = δαα′ δjj ′ 2D(φj−1 ) , ∀j, j ′ = 1, . . . , N , (12.6) j = 1, . . . , N , (12.7) und φj [ζ; φ0 ] bezeichnet die Lösung von φj = φj−1 + τ F (φj−1) + ζj , bei gegebenen Rauschkräften ζj und Anfangswert φ0 . Im formalen Limes ergibt sich mit den Ersetzungen φj − φj−1 → φ̇ und τ δjj ′ → δ(t − t′ ) τ die Langevingleichung (in der Ito-Interpretation) φ̇(t) = F [φ(t)] + ζ(t) , (12.8) wobei die Rauschkraft Gaußsch ist und verschwindenden Mittelwert hζα (t)i = 0 (12.9) hζα (t) ζα′ (t′ )i = δαα′ 2D[φ(t)] (12.10) sowie die Varianz hat. Mit dem Zusatz in der Ito-Interpretation“ hat es folgende Bewandtnis: Die Langevinglei” chung erhält im Allgemeinen erst durch die Festlegung einer Diskretisierung eine eindeutige Interpretation. Die in Gl. (12.7) spezifierte Diskretisierung entspricht der Ito-Interpretation. H.W. Diehl SS 2008 76 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Würde man eine andere Diskretisierung wählen, so wäre der stochastische Prozess nicht äquivalent. Um dies zu verstehen, drücken wir die Rauschkraft ζ durch ein Rauschkraft ϑ aus, die von der stochastischen Variablen unabhängig ist. Wir können beispielsweise ϑ(t) = [2D(φ(t)]−1/2 ζ(t) wählen. Dann gilt hϑ(t)i = 0 und hϑα (t) ϑα′ (t′ )i = δαα′ δ(t − t′ ) . In der Langevingleichung (12.8) steht dann anstelle von ζ(t) der Ausdruck [2D(φ(t)]1/2 ϑ(t). Die Rauschkraft ϑ(t) ( weißes Rauschen“) kann man sich als δ-Stösse vorstellen. Es kommt nun ” offensichtlich darauf an, ob man im Vorfaktor den Wert von φ unmittelbar vor oder nach einem solchen δ-Stoß oder eine Linearkombination davon einsetzt. Diese Mehrdeutigkeit tritt immer dann auf, wenn man Rauchkräfte hat, die von der stochastischen Variablen abhängen. (Man spricht in diesem Zusammenhang auch von multiplikativem Rauschen“.) Die Mehrdeutigkeit ” enfällt, wenn D(φ) eine von φ unabhängige Konstante ist. (In diesem Fall spricht man von additivem Rauschen“.) ” Im Prinzip gibt es bei vorgegebener Langevingleichung (12.8) unendlich viele Diskretisierungsmöglichkeiten. Neben der Ito-Interpretation ist die gebräuchlichste die sogenannte Stratonovich-Interpretation, bei der man D(φj−1 ) durch das arithmetische Mittel [D(φj )+D(φj−1 )]/2 ersetzt wird. Wichtig ist, sich zu merken, dass im Falle von multiplikativem Rauschen beide Interpretationen der Langevin-Gleichungen inäquivalent sind, also auch zu unterschiedlichen Fokker-Planck-Gleichungen führen! 12.3 Onsager-Machlup-Funktional Es ist nützlich, sich den Zusammenhang zwischen dem von uns betrachteten Gauß-MarkovProzess und der Langevingleichung auch klarzumachen, indem man in umgekehrter Reihenfolge von der zweitgenannten Darstellung des stochastischen Prozesses die erstgenannte ableitet. Im formalen Limes τ → 0 ergibt sich aus Gl. (12.4) als Pfadwahrscheinlichkeitsdichte für die Rauschkraft ζ(t) der Ausdruck Z 1 t0 +T −1 −1 dt ζ(t) D[φ(t)] ζ(t) D[ζ] , PRK ([ζ(t)]|t0 ≤ t ≤ t0 + T ) D[ζ] = (N [φ]) exp − 4 t0 (12.11) wobei N =T /τ Y dζj , τ → 0 , (12.12) D[ζ] = j=1 und T /τ Y N [φ] = [4πτ D[φ(t0 + (j − 1)τ ))]1/2 , j=1 Man kann durch τ →0. PRK ([ζ(t)]|t0 ≤ t ≤ t0 + T ) D[ζ] ≡ P([φ(t)]|t0 ≤ t ≤ t0 + T ) D[φ] (12.13) (12.14) eine Pfadintegraldichte P([φ(t)]|t0 ≤ t ≤ t0 + T ) für die stochastische Variable φ(t) einführen. Dabei hängen φ(t) und ζ(t) über die Langevingleichung (12.8) (funktional) voneinander ab. So H.W. Diehl SS 2008 77 Dynamisches kritisches Verhalten. . . ergibt sich P([φ(t)]|t0 ≤ t ≤ t0 + T ) = PRK ([φ̇(t) − F [φ(t)]]|t0 ≤ t ≤ t0 + T ) |J|[φ] (12.15) mit der (funktionalen) Jacobideterminanten J[φ] ≡ det δζ . δφ (12.16) Bei dieser Ableitung muss der (τ → 0)-Limes unseres Gauß-Markov-Prozesses herauskommen, denn wir müssten ja nur unsere frühere Ableitung der Lagenvingleichung aus dem GaußMarkov-Prozess rückwärts lesen. Dies bedeutet, dass bei der von uns gewählten ( Präpunkt” “)Diskretisierung die Jacobideterminante den Wert 1 haben muss. Dies ist in der Tat der Fall, denn diskretisiert gilt bei dieser Diskretisierung 1 0 · · · 0 . . .. . ∗ 1 . ∂ζ = det ∂φjj,α (12.17) =1, ′ ,α′ ∗ ∗ . . . 0 ∗ ∗ · · · 1 wobei ∗ für irgendwelche Werte steht. Das Ergebnis 1 ist eine Folge der Dreiecksstruktur der Jacobimatrix (Nullen oberhalb der Hauptdiagonalen). Für andere Diskretisierungen gilt dies nicht. Wir werden unten auch auf andere Diskretisierungen eingehen, wollen aber an dieser Stelle die Thematik nicht vertiefen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass in der Arbeit von Bausch, Janssen, and Wagner (1976) keine Präpunkt- sondern eine Mittelpunktsdiskretisierung verwendet wurde (statt φj−1 → (φj + φj−1 )/2). Infolgedessen wurde dort eine nichtverschwindende Funktionaldeterminant erhalten.11 Das sich auf diese Weise ergebende Funktional G[φ] = − ln PRK ([φ̇(t) − F [φ(t)]]|t0 ≤ t ≤ t0 + T ) |J| Z 1 t0 +T dt φ̇ − F [φ] [D(φ)]−1 φ̇ − F [φ] = − ln det |J[φ]| + 4 t0 (12.18) heißt Onsager-Machlup-Funktional. Wir wollen uns den von der Funktionaldeterminante kommenden Term noch etwas genauer ansehen, indem wir ihn formal berechnen. (Vorsicht! Die nachfolgenden Rechnungen sind nur durch Rückgriff auf eine Diskretisierung wohldefiniert.) Dazu schreiben wir die Jacobideterminante wie folgt um: δζα (t) δ[φ̇α (t)−Fα (φ(t))] ′ ′ ∂Fα [φ] ′ det δφ ′ (t′ ) = det = det ∂t det δαα δ(t − t ) − θ(t − t ) ∂φ ′ , (12.19) δφ ′ (t′ ) α α α wobei wir ∂t θ(t − t′ ) = δ(t − t′ ) verwendet haben. Den Logarithmus der hinteren Determinante ist von der Form ∞ X 1 SpAk . (12.20) ln det(11 − A) = Sp ln(11 − A) = − k k=1 11 Die dort im Anhang gemachte Behauptung, dass diese Wahl der Diskretisierung notwendig sei, um Kausalität zu garantieren, trifft nicht zu. H.W. Diehl SS 2008 78 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Dabei hat die Matrix A die Elemente Aα,α′ (t, t′ ) = θ(t − t′ ) Infolgedessen gilt τ SpA = θ(0) Z ∂Fα (φ) (t) . ∂φα′ t0 +T dt t0 ∂Fα . ∂φα (12.21) Die höheren Potenzen geben keine Beiträge, weil sie Produkte von θ-Funktionen enthalten, die stets Null sind. Beispielsweise treten für k = 2 und k = 3 die Faktoren θ(t − t′ ) θ(t′ − t) und θ(t−t′ ) θ(t′ −t′′ ) θ(t′′ −t) auf. Infolgedessen ergibt sich insgesamt aus der Funktionaldeterminante der auf der rechten Seite von Gl. (12.21) Beitrag, so dass das Onsager-Machlup-Funktional im Kontinuumslimes (bis auf eine Konstante) durch Z t0 +T 1 ∂Fα −1 G[φ] = dt (12.22) φ̇ − F [φ] [D(φ)] φ̇ − F [φ] + θ(0) 4 ∂φα t0 gegeben ist. Bei der von uns gewählten Präpunktdiskretisierung ist θ(0) = 0. 12.4 Feldtheoretische Formulierung nach Janssen und de Dominicis Wir wollen nun eine auf Janssen (1976) und de Dominicis (1976) zurückgehende feldtheoretische Formulierung der oben betrachteten Modellklasse einführen, die Response- und Korrelationsfunktionen gleichrangig behandelt und sich für die Formulierung der Feynmanschen Störungstheorie als besonders geeignet erwiesen hat. Wir könnten dies tun, indem wir von der Onsager-Machlup-Darstellung (12.14) der Pfadintegraldichte ausgehen und das Quadrat im Exponenten (12.22) durch eine Integraltransformation der Form Z ∞ √ 2 2 dxα e−xα −xαyα = π eyα /4 , −∞ linearisieren. Wir ziehen es vor, noch einen Schritt weiter zu unserer ursprünglichen GaußMarkov-Darstellung zurückzugehen und die Übergangswahrscheinlichkeitsdichte Pτ auf diese Weise umzuschreiben. Dies führt zu # " YZ ∞ ′ ′ φ − φ − τ F (φ ) dx p α p exp −x2 − ix · Pτ (φ|φ′ ) = ′ τ D(φ′ ) 2π τ D(φ ) −∞ α Y Z i∞ dφ̃α = Ωτ (φ̃, φ|φ′) (12.23) 2πi −i∞ α mit n o Ωτ (φ̃, φ|φ′ ) = exp τ D(φ′ ) φ̃2 − φ̃ · [φ − φ′ − τ F (φ′ )] . (12.24) Diese Darstellung hat verschiedene Vorteile und bedarf einiger Kommentare: (i) Das Maß Y dφα dφ̃α 2πi α enthält keine φ-abhängigen Faktoren wie H.W. Diehl p D(φ′ ), ist daher unabhängig vom Prozess. SS 2008 79 Dynamisches kritisches Verhalten. . . (ii) Die Größen D(φ′ ) und F (φ′ ) tauchen nicht wie beim Onsager-Machlup-Funktional (12.22) als Inverses bzw. Quadrat auf. Dies ist von Vorteil bei der Entwicklung der Störungstheorie. So würden beispielsweise die bei den Modellen A und B in F vorkommenden φ2 φ-Beiträge einen Beitrag ∼ φ6 in G[φ] liefern. (iii) Gemäß unserer Konstruktion gilt die Normierung Y Z α i R×R dφ̃α dφα 2πi Ωτ (φ̃, φ|φ′ ) = 1 . (12.25) Man kann dies a posteriori leicht nachprüfen, indem man das Integral über φα ausführt. Dieses liefert Z dφ̃α ∞ dφ̃α δ(−iφ̃α ) , dφα e−φ̃α φα = 2πi −∞ i woraus Gl (12.25) wegen Ωτ (0, φ|φ′ ) = 1 sofort folgt. (iv) Schreibt man die auf der rechten Seite von Gl. (12.2) als Faktoren auftretenden Übergangswahrscheinlichkeitsdichten Pτ gemäß Gl. (12.23) um, so braucht man für jedes der N Intervalle (tj−1 , tj ), j = 1, . . . , N, eine separate Variable φ̃j . Während die Variablen φj , j = 0, 1, . . . , N den jeweiligen Zeitpunkten tj = t0 + jτ zugeordnet sind, sind die φ̃j den jeweiligen Intervallen (tj−1 , tj ) zugeordnet. (v) Es gilt Z k dφ̃α dφα −∂ ′ f (φα ) e−(φ̃α /i)(iφα −iφα) 2πi ∂φα k Z −∂ δ(iφα − iφ′α ) = dφα f (φα ) ∂φα dφ̃α dφα −φ̃α (φα −φ′α ) k e φ̃α f (φα ) = 2πi Z = f (k) (φ′α ) sowie die analoge Beziehung Z dφ̃α dφα −φ̃α (φα −φ′α ) e (φα − φ′α )k g(φ̃α ) = g (k) (0) . 2πi (12.26) (12.27) Dies zeigt, dass −iφ̃α und φα in ähnlicher Weise wie die Impuls- und Ortsoperatoren p̂α = −i∂/∂xα und x̂α zueinander konjugiert sind. (vi) Um die sich im Limes τ → 0 sich ergebende Fokker-Planck-Gleichung zu bestimmen, müssen wir die Drift- und Diffusionsterme α(1) und α(2) bestimmen. Der Vergleich von Ωτ mit Gl. (11.61) liefert 2 [η−τ F (φ)] 4τ D(φ) . (12.28) Ptr (φ, η, τ ) = exp − p 4πτ D(φ) Daraus ergibt sich (kann man ablesen), dass α(1) (φ) = F (φ) H.W. Diehl SS 2008 (12.29) 80 Dynamisches kritisches Verhalten. . . und α(2) (φ) = 2 D(φ) . (12.30) Infolgedessen lautet die Fokker-Planck-Gleichung ∂2 ∂ [Fβ (φ) P(φ, t)] + [D(φ) P(φ, t)] . ∂t P(φ, t) = − ∂φβ ∂φβ ∂φβ (12.31) (vii) Wir haben bei der Formulierung des in der Zeit diskreten Gauß-Markov-Prozesses ein spezielle Diskretisierung — die Präpunkt-Diskretisierung — vorgenommen. Mit Hilfe der obigen Gln. (12.26) und (12.27) ist leicht zu sehen, dass alternative Diskretisierungen, bei denen die Funktionen F und D nicht bei φ′ sondern an dem Zwischenpunkt φ(γ) = γ φ + (1 − γ) φ′ , 0 ≤ γ ≤ 1 , (12.32) D(φ′ ) → D(φ(γ) ) und F (φ′) → F (φ(γ) ) (12.33) des Intervalls [t + τ, t] genommen würde, bei denen also die Ersetzungen vorgenommen werden, zu geänderten Fokker-Planck-Gleichungen führen würden. Um stochastische Äquivalenz im Limes τ → 0 zu gewähren, müssen die jeweiligen Fokker-PlanckGleichungen übereinstimmen (hinreichend und notwendiges Kriterium). Dies kann man bei Wahl einer solchen γ-Diskretisierung durch Hinzufügen geeigneter γ-abhängiger Kor(γ) (0) rekturterme im Analogon Ωτ von Ωτ ≡ Ωτ erreichen. Lemma 12.1. Die Wahl ln Ωτ (φ̃, φ|φ′ ) = −φ̃ · (φ − φ′ ) + τ (φ̃β − ∂φβ ) Fβ (φ(γ) ) + (φ̃β − ∂φβ )2 D(φ(γ) ) = τ φ̃2 D(φ(γ) ) − φ̃ · [φ − φ′ − τ F (φ(γ) ) + 2γ τ ∇φ(γ) D(φ(γ) ) (12.34) + τ γ 2 ∇2φ(γ) D(φ(γ) ) − γ ∇φ(γ) · F (φ(γ) ) garantiert, dass sich für jede Wahl von γ ∈ (0, 1) dieselbe Fokker-Planck-Gleichung (12.31) ergibt. Beweis: Gleichung (11.60) liefert hier mit φ(γ) = φ − (1 − γ) η und Z ∇φ D(γφ + (1 − γ)φ′ ) = γ ∇φD[φ − (1 − γ)η] P(φ, t + τ ) = dη Pτ(γ) (φ, t + τ |φ − η, t) P(φ − η, t) Z Z dφ̃ −φ̃·η τ (φ̃β −∂φβ ) Fβ (φ(γ) )+(φ̃β −∂φβ )2 D(φ(γ) ) P(φ − η, t] e e = dη 2πi = P(φ, t) − τ ∂ηβ {Fβ [φ − (1 − γ)η] P(φ − η, t)}η=0 + τ γ P(φ, t) ∂φβ Fβ (φ) + τ ∂η2β {D[φ − (1 − γ)η] P(φ − η, t)}η=0 − 2τ γ ∂ηβ {P(φ − η, t)∂φβ D(φ − (1 − γ)η) }η=0 + τ γ 2 P(φ, t) ∂φ2β D(φ) + O(τ 2 ) = P(φ, t) + τ ∂φβ [Fβ (φ, t)P(φ, t)] + τ ∂φ2β [D(φ)P(φ, t)] + O(τ 2 ) . Indem man durch τ dividiert und den Grenzübergang τ → 0 durchführt, erhält man die Fokker-Planck-Gleichung (12.31), was zu beweisen war. H.W. Diehl SS 2008 81 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Es sollte klar sein, dass die Abhängigkeit der Fokker-Planck-Gleichungen, welche sich bei der Änderung (12.33) der Diskretisierungen ohne das Hinzufügen der γ-abhängigen Korrekturterme in Ωτ eine Folge der Nichtvertauschbarkeit der Operatoren φβ und ∂/∂φβ ist. Dieses Phänomen tritt in völlig analoger Weise bei der Feynmanschen Pfadintegralformulierung der Quantenmechanik auf, wenn in der Wirkung Beiträge vorkommen, die vom (kanonischen) Impuls und Ort abhängen (keine Summen von orts- und impulsabhängigen Beiträgen sind). Dies ist beispielsweise der Fall bei geladenen Teilchen in ortsabhängigen elektromagnetischen Feldern. Interessierte Leser, den Zusammenhang zwischen Diskretisierung und Operatorordnung in der Quantenmechanik näher anschauen möchten, können bei Mizrahi (1975), Leschke and Schmutz (1977) sowie Langouche, Roekaerts, and Tirapegui (1979) nachlesen. (viii) Wenn man übliche Differenziationsregeln wie die Kettenregel im Kontinuumslimes verwenden will, muss man γ = 1/2 wählen, denn aus φ − φ(γ) = (1 − γ)(φ − φ′ ) φ′ − φ(γ) = −γ (φ − φ′ ) (12.35) ergibt sich f (φ) − f (φ′ ) = (φ − φ′ ) · ∇φ(γ) f (φ(γ) ) + γ − + O(|φ − φ′ |3 ) . 1 2 [(φ − φ′ ) · ∇φ(γ) ]2 f (φ(γ) ) (12.36) Im Limes τ → 0 folgt also nur bei der Wahl γ = 1/2 das durch naive Anwendung der Kettenregel gewonnene Resultat df [φ(t)] = φ̇(t) · ∇φf [φ(t)] . dt H.W. Diehl SS 2008 82 Dynamisches kritisches Verhalten. . . Literatur Bausch, R., H. K. Janssen, and H. Wagner, 1976, Z. Phys. B 24, 113. Binney, J., N. Dowrick, A. Fisher, and M. Newman, 1992, The Theory of Critical Phenomena (Oxford University Press, New York, USA). Chaikin, P. M., and T. C. Lubensky, 1995, Principles of condensed matter theory (Cambridge University Press, Cambridge (GB)). de Dominicis, C., 1976, J. Phys. (Paris) Colloq. 37, C1. Fisher, M. E., 1971, in Critical Phenomena, edited by M. S. 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