Der Hirnschrittmacher – neue Wege der Therapie durch Hirnstimulation A. Schulze-Bonhage Epilepsiezentrum Feiburg Warum das Hirn stimulieren? • Epileptische Anfälle sind charakterisiert durch abnorme Synchronisation von Nervenzellen • Elektrische Stimulation kann dies auf verschiedene Weise erschweren: - ein elektrisch aufgeprägter Rhythmus („Rekrutierungsreaktion“) konkurriert mit epileptischen Rhythmen und erschwert es, Nervenzellen in epileptische Aktivität einzubeziehen - elektrische Aktivierung inhibitorischer Neurone kann das Gleichgewicht zwischen Erregung und Hemmung zur Hemmung hin verschieben Zielstrukturen für Stimulationsbehandlungen subthalamische Stimulation Thalamus-Stimulation epicorticale Stimulation Hippocampale Stimulation KleinhirnStimulation Stimulation des L. coeruleus via V. nervus Welche Stimulation wirkt wie? • Reizung des Kleinhirns wirkt über hemmende Kerne, die ihrerseits den Thalamus hemmen • Reizung des Thalamus vermindern die Rekrutierbarkeit ausgedehnter Hirnareale für epileptischer Aktivität • Reizung des N. subthalamicus und Vagusnervstimulation aktiviert diffuse antiepileptisch wirksame Projektionssysteme • Reizung eines Fokus an der Hirnoberfläche oder des Hippocampus verhindert die Ausbildung epileptischer Rhythmen im primären Fokus Stimulation des Thalamus Aus: Hodaie et al., 2002 Aus: Andrade et al. 2005 In einer Studie von 2002 war der Effekt der Elektrodenimplantation größer als der Stimulationseffekt. Eine neue US-Studie zeigt jedoch bessere Stimulationserbegnisse Anfälle erkennen und basierend hierauf gezielt reizen: erste Ansätze C Hippocampale Stimulation aus: Osorio et al., Ann Neurol 2005 Anfälle erkennen und basierend hierauf gezielt reizen: erste Ansätze Thalamus-Stimulation aus: Osorio et al., Ann Neurol 2005 Stimulation basierend auf Anfallserkennung: erste Ergebnisse von Pilotstudien Anfallsfrequenz (%) (Stim-f 100-500 Hz, Dauer 1s-30s) 100 C 80 60 Stimulation des Fokus („local closed loop“) 36,8 40 20 0 -20 1 2 3 4 5 6 7 8 9 -40 -42,8 -60 -58,8 -80 -100 -72,9 -100 FLE -75,6 -100 mTLE mTLE FLE bil. -48,8 Stimulation des Thalamus („remote closed loop“) mTLE bilateral Cave: Analysezeiten von 44-244 Stunden Nach: Osorio et al., Ann Neurol 2005 Corticale Fokus-Stimulation II • Die Anwendung corticaler Stimulation setzt eine Erkennung von epileptischer Anfallsaktivität voraus. • Erste Studien mittels implantierter closed-loopSysteme werden derzeit in den USA durchgeführt. AnfallsdetektionsAlgorithmus Corticaler Stimulator Neue Therapieansätze • Unterbrechen und Verhindern epileptischer Aktivität durch Hirn-Stimulation Epilepsiezentrum Freiburg Zeitlich spezifische Behandlung: Modell eines closed circuit Interventionssystems Voraussetzung: Erkennen präiktaler Änderungen der Hirn-Dynamik, die auf kommende Anfälle hinweisen Corticale Fokus-Stimulation III: „responsive neurostimulator“ aus: Fountas et al., 2005; Poster Fa. Neuropace, AES 2005 Corticale Fokus-Stimulation IV: Probleme des „responsive neurostimulator“ L FLb 2 D 1 C 3 5 B 4 A 6 7 8 Dieses erste closed-loop-System gestattet eine Detektions-gesteuerte Applikation elektrischer Reize. Bislang wurde überwiegend eine Anfallsreduktion erzielt. Mögliche Ursachen einer begrenzten Wirksamkeit können zum einen Detektionsleistung und – latenz bis zur Auslösung der Stimulation sein; FLa die beschränkte Zahl verwendeter Elektrodenkontakte schränkt hierbei möglicherweise die Sensitivität ein. Ein anderer Grund für die beschränkte Leistungsfähigkeit kann die Begrenzung der stimulierbaren Kontakte auf ein Paar sein, da hiermit wahrscheinlich nur ein Teilareal des epileptisch aktiven Fokus beeinflusst werden kann. „escape“-Phänomen Intrahippocampale Stimulation Strukturveränderungen der Hippocampi sind häufige Ursache fokaler Epilepsien. Bei einseitigem hippocampalem Anfallsursprung stellt eine operative Entfernung des betroffenen Hippocampus eine wirksame Behandlungsoption dar. Bei bilateralem Anfallsursprung ist eine Operation aufgrund des Risikos schwerer Gedächtnisdefizite nicht möglich. Solche Patienten wurden nach Nachweis eines bilateralen hippocampalen Anfallsursprunges in offenen Studien einer Stimulationsbehandlung unterzogen. Rationale einer niederfrequenten hippocampalen Stimulation: Inhibitorischer Effekt interiktaler Spikes in CA3 auf iktale Aktivität im entorhinalen Cortex Barbarosie & Avoli, J Neurosci 1997 Einzelne elektrische Reize können in Abhängigkeit von der Phase eine Desynchronisation hypersynchroner Entladungen von Neuronen im Hippocampus bewirken (Pen G 6 mM im Superfusat; Induktion epileptischer population spikes durch Stimulation des Str. radiatum; Applikation von Einzelstimuli in der Ca1-Pyramidenzellschicht) Durand & Warman, J Physiol 1994 Hippocampale Stimulation II • Niederfrequente Stimulationen des Hippocampus können prinzipiell zum „phase resetting“ rhythmischer Aktivität im Hippocampus genutzt werden. • Niederfrequente 1/s Stimulation des Mandelkerns verzögert die Entwicklung eine Kindling bei Ratten (Goodman et al., Epilepsia 2005) • EEG-gesteuerte closed-loop-Untersuchungen zur antiepileptischen Wirksamkeit und Untersuchungen zur Wirksamkeit dieses „Quenching“ beim Menschen fehlen bislang Intrahippocampale Stimulation III: hochfrequente Reizung • In einer Studie bei 10 Patienten bewirkte eine kontinuierliche hochfrequente Reizung im Fokusareal eine Reduktion von Anfällen und interiktalen Spikes (Velasco et al. 1991) • Das Ergebnis wurde von einer zweiten Arbeitsgruppe bestätigt (Anfallsreduktion um 50% bei 5/5 Patienten bei unilateraler hippocampaler Stimulation) (Vonk et al. Ann Neurol 2002) Velasco: 130Hz, 0,2-0,4 mA, 0,45ms, kont., fokal Intrahippocampale Stimulation statt Operation: neueste Ansätze seizure free >90 % reduction >50 % reduction <50% reduction aus: Boon et al., Epilepsia 2007 Eine Europäische Studie: Teilnahme in Freiburg ist möglich Medtronic-Stimulator • Wer kann teilnehmen? • Wie geht es? Erwachsene Fokale Epilepsie Pharmakoresistent Ursache: Hippocampussklerose 1. Prächirurgische Abklärung 2. bei Interesse: Studienteilnahme Randomisierung a) Operative Entfernung des Hippocampus oder b) Einpflanzung einer Stimulationselektrode, elektrische Reizung Vergleich von Wirksamkeit und Verträglichkeit über 12 Monate Hirnschrittmacher: die Epoche beginnt erst • Derzeit werden in Amerika und in Europa erste Studien durchgeführt, dabei werden weitgehend noch festgelegte Formen von Reizungen durchgeführt • In Zukunft wird man versuchen, dies mit EEG-lesenden Computersystemen zu koppeln, die einen Anfall erkennen oder sogar erkennen, dass ein Anfall kommen wird (Anfallsvorhersage) • In Freiburg wird sowohl an der Entwicklung von EEGAnalyseverfahren als auch an der Erforschung geeigneter Reizverfahren intensiv gearbeitet Epilepsiezenrum Freiburg - 2007