Transkranielle Stimulation

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Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische
Trendanalysen berichtet über neue Technologien
Transkranielle Stimulation
Transkranielle Stimulationsverfahren (sinngemäß „Anregung durch den Schädel
hindurch“) umfassen verschiedene nichtinvasive Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die darauf abzielen, die
Aktivität einzelner Regionen des menschlichen Gehirns durch äußere Beeinflussung
gezielt zu verändern. Gegenwärtig finden
sie primär in der neurologischen Diagnostik und der neurowissenschaftlichen Forschung Anwendung. Zunehmend rücken
aber auch therapeutische oder sogar leistungssteigernde Einsatzmöglichkeiten im
Anwendungsfeld des sogenannte Human
Enhancement in den Fokus des Interesses.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in
dem jüngst geprägten Begriff Elektrozeutika wider (in Analogie zu Pharmazeutika).
Obwohl beispielsweise auch Infrarotstrahlung und Ultraschall zur transkraniellen Stimulation genutzt werden können, kommen bei derzeitigen Verfahren vornehmlich elektrische und magnetische Reize
zum Einsatz, welche schwache elektrische
Ströme in der Großhirnrinde induzieren. In
Abhängigkeit von der Richtung des Stromflusses und dem behandelten Gehirnareal
kann auf diese Weise die Erregbarkeit von
Nervenzellen herauf- oder herabgesetzt
werden. Je nach Behandlungsschema
lassen sich dabei kurz- oder längerfristige Effekte hervorrufen. Erstere treten unmittelbar während oder wenige Minuten
nach der Stimulation auf, während die
längerfristigen Effekte teils über Stunden
nachwirken können. Mehrwöchige Behandlungen mit täglichen Anwendungen
können zu dauerhaften Veränderungen
im Gehirn führen.
Zur elektrischen Stimulation werden an
bestimmte Stellen der Kopfhaut Elektroden angelegt – ähnlich wie bei der Aufzeichnung eines Elektroenzephalogramms
(EEG). Über diese wird Strom durch den
Schädel geleitet, gewöhnlich mit einer Stärke von etwa einem, maximal zwei Milliampere. Zumeist kommt hierbei Gleichstrom
zum Einsatz, aber auch Wechselstrom und
Rauschstrom (random noise stimulation)
können als Reize genutzt werden. Die magnetische Stimulation hingegen erfolgt über
eine 8-förmige Magnetspule, welche tangential an den Schädel herangeführt wird.
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Mit ihr werden gepulste Magnetfelder von
einigen Zehntelsekunden Dauer und mit
Flussdichten von ein bis drei Tesla erzeugt,
die im Inneren des Schädels elektrische Felder induzieren.
Die exakten Wirkmechanismen der transkraniellen Stimulationsmethoden sind
noch nicht umfassend verstanden. Grundlegend beruhen die physiologischen Effekte auf einer Verschiebung des sogenannten Schwellenpotentials der Nervenzellen
in der Großhirnrinde (Cortex). Das Schwellenpotential ist eine ausschlaggebende
Größe für die Erregbarkeit und Aktivität
der Nervenzellen – nur wenn das Schwellenpotential überschritten wird, „feuern“
die Neuronen, und Signale werden entlang der Faserbündel weitergeleitet. Beeinflussen die induzierten Stromflüsse das
Schwellenpotential negativ, so vermindert
sich die Erregbarkeit der Neuronen – korrekterweise müsste hier also eigentlich
von einer transkraniellen Inhibition gesprochen werden. Wird das Schwellenpotential hingegen positiv beeinflusst, so
erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass
die Zellen aktiviert werden können (Stimulation). Diese selektive Modulation der
Erregbarkeit einzelner Hirnareale kann unterschiedliche Auswirkungen haben.
Bei Störungen des Bewegungsapparates
können gezielte transkranielle Stimuli im
Bereich des motorischen Cortex zu diagnostischen Zwecken eingesetzt werden.
Auf diese Weise ausgelöste Muskelkontraktionen liefern z.B. Erkenntnisse über
motorische Beeinträchtigungen infolge
eines Schlaganfalls oder Multipler Sklerose.
Abgesehen von der diagnostischen Anwendung verheißt die externe Beeinflussung der neuronalen Aktivität auch umfangreiches therapeutisches Potenzial. So
wird derzeit intensiv erforscht, inwieweit
die Methoden der transkraniellen Stimulation zur Behandlung verschiedener neurologischer Erkrankungen und psychischer Störungen genutzt werden können. Mögliche
und teilweise bereits erschlossene Anwendungsgebiete sind beispielsweise Migräne
und chronische Schmerzen, Tinnitus, Epilepsie, Parkinson, Alzheimer, Depression,
Posttraumatische Belastungsstörung und
Schizophrenie.
Europäische Sicherheit & Technik · November 2014
Besonderes Interesse rufen in jüngerer Zeit
mögliche leistungssteigernde Effekte der
transkraniellen Stimulationsverfahren hervor. Zahlreiche Studien der letzten Jahre
haben gezeigt, dass damit auch die kognitiven Fähigkeiten von gesunden Probanden positiv beeinflusst werden können.
Das gilt vor allem für Verbesserungen der
Aufmerksamkeit und Reaktionszeit sowie
des Lern- und Erinnerungsvermögens.
Ob sich die im Labor erzielten Erfolge
jedoch auch unter weniger kontrollierten Rahmenbedingungen reproduzieren
lassen – beispielsweise zur Erhöhung der
Aufmerksamkeit im Einsatz – ist bislang
unklar. Auch die Möglichkeit gegenseitiger Abhängigkeiten muss eingehend untersucht werden, damit die Verbesserungen einer Fähigkeit nicht zu Lasten einer
anderen erkauft werden. Insofern ist zu
erwarten, dass es erst in fünf bis zehn Jahren wirklich zielgerichtete Optimierungsansätze geben wird.
Eine wichtige Randbedingung für die
weitere Nutzbarmachung transkranieller
Stimulationsverfahren ist die Tatsache,
dass diese nach bisherigen Erkenntnissen
vergleichsweise nebenwirkungsarm und
unbedenklich in der Anwendung sind. So
erteilte die „U.S. Food and Drug Administration“ (FDA) Ende letzten Jahres erstmalig
einem magnetischen Stimulationsgerät zur
Migränebehandlung die Zulassung. Auf
der anderen Seite sind die therapeutische
Wirksamkeit und insbesondere auch die
leistungssteigernden Effekte transkranieller
Stimulationsmethoden keineswegs unumstritten. Trotz einer Reihe vielversprechender Studien äußern Experten gelegentlich
Zweifel an der statistischen Signifikanz
der Ergebnisse und Kritik an den Untersuchungsmethoden. Daher wird es für die
Zukunft entscheidend sein, die Effektivität
einzelner Stimulationsverfahren unzweifelhaft nachzuweisen und die jeweiligen
Behandlungsparameter genau zu definieren. Die Kombination von transkraniellen
Stimulationsverfahren mit funktionellen
Bildgebungsverfahren (z.B. Magnetresonanztomographie) und die computergestützte Modellierung der transkranialen
Stromflüsse werden dazu wesentliche Beiträge liefern.
Dr. Carsten M. Heuer
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