M E D I Z I N AKTUELL Waltraut Friedl1 Roland Kruse2 Matthias Jungck1 Walter Back3 Steffan Loff4 Peter Propping1 Dieter E. Jenne5 Hamartomatöse Polyposis-Syndrome Peutz-Jeghers-Syndrom, familiäre juvenile Polyposis und Cowden-Syndrom ZUSAMMENFASSUNG Hamartomatöse Polypen des Gastrointestinaltrakts sind Gewebsneubildungen, die sowohl sporadisch als auch im Rahmen von autosomal-dominant erblichen Syndromen auftreten können. Die molekulargenetischen Grundlagen der hamartomatösen Polyposis-Syndrome wurden erst kürzlich aufgedeckt. Patienten mit Peutz-Jeghers-Syndrom weisen Keimbahnmutationen im STK11-Gen auf; bei Patienten mit der familiären juvenilen Polyposis wurden Veränderungen im MADH4-Gen (SMAD4, DPC4) festgestellt. Für das Cowden-Syndrom, auch als multiples Hamartoma-Syndrom bekannt, sind Keimbahnmutationen im PTEN-Gen verantwortlich. Die Identifizierung der genetischen Ursachen ermöglicht jetzt auch eine molekulargenetische Früherkennung von Anlageträgern in Familien mit diesen Syndromen, die alle mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen. Schlüsselwörter: Peutz-Jeghers-Syndrom, familiäre juvenile Polyposis, Cowden-Syndrom, hamartomatöser Polyp, Keimbahnmutation Hereditary Hamartomatous Tumors of the Gastrointestinal Tract Hamartomatous gastrointestinal polyps may occur as isolated tumors or as part of autosomal-dominant polyposis syndromes. The molecular basis of the hamartomatous polyposis syndromes has recently been elucidated. Patients with Peutz-Jeghers syndrome harbour germline mutations in the serine-threonine kinase STK11, while mutations in the MADH4 gene (SMAD4, DPC4) are involved in familial juvenile polyposis. The multiple hamartoma syndrome, also known as Cowden disease, is caused by germline mutations in the tumor suppressor gene PTEN. The identification of the underlying molecular defects permits a predictive diagnosis in persons at risk. All these syndromes are associated with an increased risk for tumors both in the gastrointestinal tract and at other sites. Key words: Peutz-Jeghers syndrome, familial juvenile polyposis, Cowden disease, hamartomatous polyp, germline mutation G astrointestinale Polypen werden in nicht neoplastische und neoplastische Polypen unterteilt. Hamartomatöse Polypen gehören in die erste Gruppe, während adenomatöse Polypen Neoplasien darstellen. Bis zum 70. Lebensjahr entwickeln etwa 50 Prozent der Erwachsenen in den westlichen Industrieländern zumindest einen gutartigen, adenomatösen Schleimhautpolypen (19). Adenomatöse Polypen, die meist sporadisch und erst im Erwachsenenalter auftreten, werden als Ausgangspunkt für kolorektale Karzinome angesehen. Auch bei Kindern und Jugendlichen können bereits Polypen des MagenDarm-Traktes auftreten. Dabei handelt es sich zu über 90 Prozent um sogenannte solitäre juvenile Polypen, die zur Untergruppe der hamartomatösen Polypen gehören und in der Regel harmlos sind. Bei einem kleinen Teil der Patienten entwickeln sich die adenomatösen oder hamartomatösen Polypen jedoch als Symptom eines genetischen Syndroms. Diese erblichen Polyposis-Syndrome sind bereits in jüngeren Jahren mit einem Karzinomrisiko verbunden, das deutlich höher liegt als bei Trägern sporadischer Polypen. Das höchste Risiko für ein kolorektales Karzinom (nahezu 100 Prozent) wird bei der familiären adenomatösen Polyposis (FAP) beobachtet, einer Erkrankung, die mit 1 Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. med. Peter Propping), Rheinische FriedrichWilhelms-Universität, Bonn 2 Hautklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Thomas Ruzicka), Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf 3 Pathologisches Institut des Klinikums Mannheim (Direktor: Prof. Dr. med. Uwe Bleyl), Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg 4 Kinderchirurgische Klinik des Klinikums Mannheim (Direktor: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Waag), Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg 5 Institut für Neuroimmunologie (Direktor: Prof. Dr. med. Hartmut Wekerle), Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried SUMMARY Hunderten bis zu Tausenden von Adenomen (adenomatösen Polypen) einhergeht und durch Keimbahnmutationen im Tumorsuppressorgen APC verursacht wird (5, 14). Die molekularen Ursachen der hamartomatösen Polyposis-Syndrome wurden erst kürzlich aufgedeckt (Tabelle). Hamartomatöse Polypen sind histopathologisch von adenomatösen Polypen gut abgrenzbare Gewebsneubildungen von ortseigenem Gewebe ohne die für die adenomatösen Polypen charakteristischen epithelialen Atypien. Im Gegensatz zu adenomatösen Polypen weisen sie nur ein geringes lokales Entartungspotential auf. Dennoch ist das allgemeine Krebsrisiko bei diesen Patienten deutlich erhöht (10, 23). Zur Gruppe der erblichen hamartomatösen Polyposis-Syndrome rechnet man das Peutz-Jeghers-Syndrom und die familiäre juvenile Polyposis. Es gibt jedoch weitere Syndrome, bei denen hamartomatöse gastrointestinale Polypen zwar nicht Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 37, 17. September 1999 (41) A-2285 M E D I Z I N AKTUELL obligatorisch als Leitsymptom, aber fakultativ vorkommen können. Wegen der zuweilen schwierigen differentialdiagnostischen Abgrenzung der Polypen bei familiärer juveniler Polyposis vom Cowden-Syndrom (4) wird im folgenden auch auf letzteres eingegangen. Alle drei hamartomatösen Syndrome zeigen einen autosomal-dominanten Erbgang. Peutz-Jeghers-Syndrom Krankheitsbild Kennzeichnend für diese relativ seltene Polypenerkrankung ist die 1919 von Peutz und 1949 von Jeghers beschriebene Kombination aus charakte- ristischen Polypen des Gastrointestinaltrakts und Pigmentflecken auf Lippen- und Wangenschleimhaut (6, 20, 23). Symptomatisch werden die Polypen durch rezidivierende kolikartige abdominale Schmerzanfälle auf der Basis rezidivierender Invaginationen der Polypen, Symptome einer chronischen Eisenmangelanämie, Blutauflagerungen auf dem Stuhl oder Melaena. Die Invagination des polypentragenden Dünndarmabschnittes kann zu einem Ileus und damit zu den Symptomen eines akuten Abdomens führen. Die Diagnose Peutz-Jeghers-Syndrom ist relativ einfach, wenn die typischen Pigmentflecken richtig zugeordnet werden. Die melanotischen Pigmentierungen auf den Lippen (Abbildung 1), der Mundschleimhaut und perioral treten in der Regel in der Kindheit auf und können im Erwachsenenalter wieder verblassen. In seltenen Fällen finden sich Pigmentflecken auch auf den Hand- oder Fußrücken. Die Pigmentierung resultiert aus einer lokalen Hyperplasie der Melanozyten in der basalen Schicht der Epidermis und einer vermehrten Ablagerung von Melanin in den Basalzellen. Allerdings gibt es Patienten, bei denen diese Hautmerkmale völlig fehlen. Wichtigster klinischer Befund beim Peutz-Jeghers-Syndrom sind multiple Polypen im Gastrointestinaltrakt, die sich am häufigsten im Dünndarm, daneben aber auch im Dickdarm und im Magen entwickeln können. Bei der Differentialdiagnose Tabelle Autosomal-dominant erbliche hamartomatöse Polyposen Erkrankung Definition Gastrointestinaltrakt Andere Organbeteiligung Peutz-Jeghers-Syndrom mindestens 2 hamartomatöse Polypen vom Peutz-Jeghers-Typ oder 1 Peutz-JeghersPolyp und Pigmentflecken der Lippenund Mundschleimhaut oder 1 Peutz-JeghersPolyp bei positiver Familienanamnese Peutz-Jeghers-Polypen im Dünndarm und Magen, seltener im Kolon Hyperpigmentierung der STK11/LKB1, Lippen- und MundChromosom 19p schleimhaut (Melanin(1997/1998) spots) bei 50–80% der Patienten. Gutartige endokrine Ovarial-/Hodentumoren. Erhöhtes Risiko für Mamma-, Cervix- und Pankreaskarzinome Familiäre juvenile Polyposis juvenile Polypen im Dickdarm, erhöhtes Risiko für bösartige Tumoren des Gastrointestinaltraktes unklar (siehe Text) mindestens 5 juvenile Polypen oder 1 juveniler Polyp bei positiver Familienanamnese Gen und Chromosom (kartiert/kloniert) MADH4/SMAD4/DPC4 Chromosom 18q (1998/1998) Cowden-Syndrom multiple Hamartome hamartomatöse Polypen verruköse Papeln im PTEN/MMAC1, in vielen Geweben, in Kolon und Magen Gesicht (TrichilemChromosom 10q einschließlich im Darm mome), Papillome mit (1996/1997) allelische Varianten: kopfsteinpflasterartigen l Bannayan-ZonanaMakrozephalie und Erscheinungen an den Syndrom subkutane und Lippen, am Zahnfleisch (Bannayan-Rileyviszerale Lipome und und an der MundschleimRuvalcaba-Syndrom) Hämangiome haut, keratotische Papeln an Händen und Füßen, l Lhermitte-DuclosHamartome der GliaZysten und FibroSyndrom zellen im Cerebellum adenome der Brust und Ovarien, Struma und follikuläre Adenokarzinome der Schilddrüse, Makrozephalie „Hereditary mixed polyposis syndrome“ hamartomatöse Polypen (ähnlich, aber nicht unklar identisch mit juvenilen Polypen, Adenome und entzündliche Polypen und Karzinome im Kolon) A-2286 (42) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 37, 17. September 1999 Gen auf Chromosom 6q21 (1996 kartiert, noch nicht identifiziert) M E D I Z I N AKTUELL von Polypenerkrankungen spielt die histomorphologische Untersuchung der Polypen eine entscheidende Rolle. Die Differentialdiagnose zwischen adenomatösen Polypen einerseits und unterschiedlichen Typen hamartomatöser Polypen andererseits stellt für den Pathologen eine wichtige Aufgabe dar. Peutz-Jeghers-Polypen unterscheiden sich von anderen hamartomatösen Polypen durch eine ausgeprägte, sich baumartig aufzweigende und fein verästelnde Lamina muscularis mucosae (Abbildungen 2a und b). Atypien der Epithelzellen, zystisch erweiterte Schleimhautkrypten oder eine ödematös verbreiterte Lamina propria zählen nicht zu den Charakteristika der Peutz-JeghersPolypen. Ein weiterer ganz charakteristischer Befund bei weiblichen Patienten mit Peutz-Jeghers-Syndrom, der gelegentlich Anlaß zur Pubertas praecox gibt, ist das Auftreten von sogenannten Keimstrangtumoren mit anulären Tubuli in den Ovarien, die zumindest in mikroskopischer Form bei fast allen Merkmalsträgerinnen bilateral vorkommen sollen (1, 21). Ein Peutz-Jeghers-Syndrom liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn mindestens zwei hamartomatöse Polypen mit den besonderen histologischen Merkmalen eines PeutzJeghers-Polypen nachgewiesen wurden, oder wenn bei Vorliegen eines solitären Peutz-Jeghers-Polypen die typische Pigmentierung oder eine positive Familienanamnese für das Peutz-Jeghers-Syndrom hinzukommt a dern. Man geht davon aus, daß STK11 in Analogie zu anderen Kinasen an der Regulation von Zellteilungs-, Differenzierungs- oder Signaltransduktionsprozessen beteiligt ist. Bisherige Kopplungs- und Mutationsanalysen Molekulare Ursache zeigen, daß nahezu alle Fälle von Peutz-Jeghers-Syndrom durch De1997 wurde ein Genort für das fekte im STK11-Gen verursacht werPeutz-Jeghers-Syndrom auf dem kur- den (16). Die Penetranz der Krankenzen Arm von Chromosom 19 (19p) hausmanifestationen wird auf etwa 90 Prozent, die Neumutationsrate auf etwa 40 Prozent geschätzt. Die bisher dokumentierten Keimbahnmutationen im STK11-Gen sind nahezu in jeder Familie unterschiedlich und fast gleichmäßig über die insgesamt neun Exons des Gens verteilt (Grafik 1) (8, 13, 17). Bei den meisten Mutationen kommt es zu einer Verschiebung und VerkürAbbildung 1: Typische Pigmentflecken beim Peutz-Jeghers-Syndrom zung des Leserahmens, so daß nur noch ein funktionslokartiert (9) und 1998 das ursächliche ses, rudimentäres Protein synthetiGen identifiziert (8, 13). Es kodiert siert wird. Da jedoch alle Körperzelfür eine bislang unbekannte, aus 433 len des Patienten auch eine normale Aminosäuren bestehende Serin- Kopie des Gens besitzen, ist der AusThreonin-Kinase, die von der zustän- fall der Funktion eines STK11-Allels digen Nomenklaturkommission die zunächst nicht krankheitsrelevant, Nummer 11 erhalten hat (deshalb die sondern lediglich als ein SuszeptibiBezeichnung STK11). Serin-Threo- litätsfaktor anzusehen. Die verbliebenin-Kinasen sind intrazelluläre Enzy- ne intakte Kopie des Genes scheint me, die Phosphatgruppen in selekti- für die Kontrolle der biologischen ver Weise auf andere Proteine über- Entwicklung der Gewebe und für tragen und durch Phosphorylierung sämtliche biologischen Prozesse im von bestimmten Serin- oder Threo- Erwachsenenalter auszureichen. In nin-Resten die funktionellen Eigen- einzelnen epithelialen Stammzellen schaften ihrer Zielsubstrate verän- des Darmepithels geht die einzige (23). Der Nachweis eines bilateralen Keimleistentumors mit anulären Tubuli ist bei Frauen ebenfalls als starker Hinweis auf ein Peutz-Jeghers-Syndrom zu betrachten. b c d Abbildung 2: a) Peutz-Jeghers-Polyp des Ileum mit breitbasigem muskulärem Stiel, fein verästelter Lamina muscularis und fein villöser Oberfläche. H&E, x 6; b) Histologischer Ausschnitt eines Peutz-Jeghers-Polypen mit fiederförmigen Stromaprojektionen überkleidet von einem becherzellreichen Epithel. H&E, x 40; c) Juvenile Polypen des Kolon mit pilzförmiger Hyperplasie der Schleimhaut, zystisch dilatierten Krypten, entzündlicher Überlagerung und teils glatter, teils villöser Oberfläche. H&E, x 8; d) Histologischer Ausschnitt aus einem juvenilen Polypen mit zystisch dilatierten Kolonkrypten sowie ödematöser und entzündlich infiltrierter Lamina propria. H&E, x 40. A-2288 (44) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 37, 17. September 1999 M E D I Z I N AKTUELL noch intakte Kopie des STK11-Genes gelegentlich verloren, so daß das biologische Gleichgewicht von Differenzierung, Wachstum und Apoptose dieser Zellen lokal gestört wird. Der Ausfall der enzymatischen Aktivität von STK11 in der betroffenen Darmkrypte führt infolgedessen zur unangemessenen Proliferation von Geweben der Darmschleimhaut und der Darmwand. Die molekularen Mechanismen der Hamartomentstehung zeigen Ähnlichkeiten zur Tumorentstehung bei Gendefekten in Tumorsuppressorgenen. Familiäre juvenile Polyposis Krankheitsbild Das klinische Bild der familiären juvenilen Polyposis ist nicht so klar und eindeutig zu erfassen wie das der familiären adenomatösen Polyposis oder des Peutz-Jeghers-Syndroms (10). Das Krankheitsbild tritt nur in 20 bis 50 Prozent der Fälle in familiärer Form auf. Das relativ häufige sporadische Auftreten wird einerseits durch eine beachtliche Rate von Neumutationen, andererseits aber auch durch die starke Variabilität des Krankheitsbildes innerhalb einer Familie erklärt. Weitere betroffene Familienmitglieder werden oft erst entdeckt, wenn bei einem Patienten eine familiäre juvenile Polyposis diagnostiziert wurde. Es gibt klare Hinweise dafür, daß Krankheitssymptome trotz Vorliegen der entsprechenden Erbanlage ebenfalls völlig ausbleiben können (inkomplette Penetranz). Im Vordergrund der Beschwerden bei den Patienten stehen chronische gastrointestinale Blutungen mit Anämie, Hypoproteinämie und eine damit verbundene Entwicklungsverzögerung der Kinder. Juvenile Polypen sitzen ganz überwiegend im Kolorektum, sind oft an der Oberfläche entzündlich erodiert und weniger stabil strukturiert als Polypen des Peutz-Jeghers-Syndroms (Abbildungen 2c und d). Die Diagnose einer familiären juvenilen Polyposis ist wahrscheinlich, wenn entweder mindestens fünf juvenile Polypen bei einem Patienten vorliegen oder wenn bei Vorliegen von Kopplungsanalysen sprechen dafür, daß mindestens ein weiterer, bisher nicht identifizierter Genlokus für das gleiche Krankheitsbild verantwortlich ist. Eine Mischform eines familiären Polyposis-Syndroms mit gleichzeitig vorhandenen adenomatösen und juvenilen Polypen wurde bei einer sehr großen Familie auf Chromosom 6q16 kartiert (22). Offen bleibt, ob diese erbliche Polyposis-Form eine neue Untergruppe der familiären juvenilen Polyposis repräsentiert. In der Literatur wird zudem über eine Vielzahl unspezifischer angeborener Entwicklungsanomalien bei etwa zehn Prozent der Patienten mit juveniler Polyposis berichtet, wie zum Beispiel pulmonale arteriovenöse Fisteln, Makrozephalie, Nierenbeckenfehlbildungen, Ventrikelseptumdefekt, Hypertelorismus, Kryptorchismus und motorische Entwicklungsverzögerungen (3, 10); zumindest bei einem Teil dieser Patienten scheint es sich jedoch mindestens einem typischen juvenilen Polypen noch weitere Familienmitglieder mit juvenilen Polypen bekannt sind (10). Molekulare Ursache Bei einer großen Familie mit familiärer juveniler Polyposis wurde 1998 der Gendefekt auf Chromosom 18q21.1 kartiert (11) und identifiziert (12). Es handelt sich um das bereits 1996 von Hahn et al. (7) beschriebene MADH4-Gen, das häufig in Pankreaskarzinomen deletiert ist (daher die alternative Bezeichnung DPC4 – deleted in pancreatic cancer). Für die offizielle Nomenklatur wurde die Bezeichnung MADH4 gewählt. Das MADH4-Protein spielt eine zentrale Rolle bei der Signaltransduktion nach Aktivierung der entsprechenden Rezeptoren durch Liganden, die zu TGF-(transforming growth factor-)b Homologie aufweisen. Es reguliert Grafik 1 Keimbahnmutationen im STK1-Gen Von anderen Gruppen publizierte Mutationen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Von uns gefundene Mutationen Spleiß-Mutation zu einem vorzeitigen Stopp führende Mutation Missense-Mutation Deletion Verteilung der Keimbahnmutationen im STK11-Gen die Expression bestimmter Gene nach rezeptorvermittelter Aktivierung im Zellkern. Erste Untersuchungen an Familien mit familiärer juveniler Polyposis ergaben Keimbahnmutationen im MADH4-Gen bei neun von 20 untersuchten Familien; dabei wurde bei sechs nicht verwandten Patienten die gleiche Deletion von vier Nukleotiden in Exon 9 (1372–1375delACAG) gefunden (12, und eigene Befunde) (Grafik 2). Diese Mutation liegt somit bei etwa 30 Prozent der Patienten mit familiärer juveniler Polyposis vor. um andere genetische Syndrome zu handeln, unter anderem auch um allelische Varianten des Cowden-Syndroms (Tabelle), die mit juvenilen Polypen einhergehen. Das Cowden-Syndrom Patienten mit diesem Syndrom entwickeln erst im Laufe der zweiten und dritten Lebensdekade verschiedene hamartomatöse Läsionen, und zwar verruköse Papeln im Gesicht Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 37, 17. September 1999 (45) A-2289 M E D I Z I N AKTUELL (Trichilemmome), Papillome mit kopfsteinpflasterartigen Erscheinungen an Lippenrot, Zahnfleisch und Mundschleimhaut, keratotische Papeln an Händen und Füßen sowie auch hamartomatöse Tumoren in der Schilddrüse, im Mammagewebe und im Magen-Darm-Trakt. Hamartomatöse Polypen des Gastrointestinaltraktes, die in aller Regel klein sind und wenig Beschwerden verursachen, werden beim Cowden-Syndrom jedoch in einigen Fällen bereits im Kindesalter beobachtet. Sie können dann fälschlicherweise zur irreführenden Diagnose einer familiären juvenilen Polyposis führen, da man die Polypen beim Cowden-Syndrom histomorphologisch aufgrund ihres variablen hamartomatösen Erscheinungsbildes von juvenilen Polypen nicht unterscheiden kann (4, 18). Die zuweilen konnten bei 43 Prozent aller Patienten mit typischen Symptomen des Bannayan-Zonana-Syndroms (multiple Lipome, Hämangiome und Makrozephalie) und bei 81 Prozent aller Familien mit Cowden-Syndrom nachgewiesen werden (15). Auch für diese klinischen Entitäten muß ein weiterer Genort postuliert werden, da bislang nicht alle familiären Fälle durch Mutationen im PTEN-Gen erklärt werden können. Tumorrisiko bei hamartomatösen Polyposen Es ist heute unstrittig, daß bei hamartomatösen Polyposen ein erhöhtes Karzinomrisiko vorliegt. Allerdings ist das Entartungspotential we- Grafik 2 1372-1375delACAG Sequenzierung der häufigsten Mutation im MADH4-Gen schwierige klinische Differentialdiagnose zwischen Cowden-Syndrom und familiärer juveniler Polyposis hat seine Ursache in einer stark altersabhängigen Penetranz wichtiger Leitsymptome des Cowden-Syndroms. Ein Cowden-Syndrom kann bereits im frühen Kindesalter diagnostiziert werden, wenn eine Keimbahnmutation im PTEN-Gen, das für eine regulatorische Phosphatase auf Chromosom 10 (P = Phosphatase, TEN = Chromosom 10) kodiert, vorliegt. Klinisch definierte Syndrome, wie das BannayanZonana-Syndrom, das Ruvalcaba-Riley-Smith-Syndrom und das Lhermitte-Duclos-Syndrom sind zumindest teilweise Varianten des Cowden-Syndroms. Mutationen im PTEN-Gen sentlich geringer als bei adenomatösen Polyposen (zum Beispiel bei der familiären adenomatösen Polyposis). Eine direkte Entstehung von Karzinomen aus hamartomatösen Polypen konnte nur für die familiäre juvenile Polyposis in wenigen Fällen dokumentiert werden. Dennoch ist das Tumorrisiko für jeden Patienten auf seine gesamte Lebenszeit bezogen beträchtlich erhöht. Bei Patienten mit familiärer juveniler Polyposis liegt das Risiko, bis zum 60. Lebensjahr an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken, bei 20 bis 60 Prozent. Neben dem Risiko für intestinale Karzinome besitzen Patienten mit Peutz-JeghersSyndrom vor allem ein erhöhtes Risiko für das Auftreten bösartiger Tu- A-2290 (46) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 37, 17. September 1999 moren der Mamma, der Cervix uteri und des Pankreas. Ferner besteht bei beiden Syndromen ein erhöhtes Risiko für Magen- und Duodenalkarzinome. Vorsorgemaßnahmen und Therapie bei hamartomatösen Polyposen Vorsorgeuntersuchungen sollen helfen, die akuten Komplikationen insbesondere im Kindesalter (Darmkoliken und Darmverschluß durch Invaginationen) zu vermeiden und bei erwachsenen Patienten eine Tumorentwicklung frühzeitig zu erkennen. In diesem Sinne wird für betroffene Kinder ab dem zehnten Lebensjahr eine zweijährliche Endoskopie des oberen Gastrointestinaltrakts und eine Koloskopie mit Abtragung der erreichbaren Polypen empfohlen. Die abgetragenen Polypen müssen histologisch in bezug auf adenomatöse Dysplasien und eventuell bestehende Frühkarzinome untersucht werden. Die ebenfalls empfohlene Untersuchung des Dünndarms mittels Doppelkontrasttechnik nach Sellink ist mit einer erheblichen Strahlenbelastung verbunden. Daher sollten die Intervalle für diese Untersuchungen so groß wie möglich gewählt werden. Im Dünndarmbereich sollten größere Polypen (> 15 mm) nur bei drohenden Komplikationen operativ entfernt werden. Durch Laparotomie und intraoperative Endoskopie kann das Resektionsausmaß begrenzt werden. Prophylaktische Resektionen eines Dünndarmsegmentes sind nicht angezeigt. Ab dem 25. Lebensjahr kommen ergänzende Untersuchungen (Mammographie, endovaginaler Ultraschall) hinzu (23). Möglichkeiten und Grenzen der molekulargenetischen Diagnostik Die Entschlüsselung der genetischen Grundlagen für die drei genannten Syndrome hat die diagnostische Sicherheit für Patienten und deren Familienangehörige wesentlich verbessert. STK11, MADH4 und PTEN sind relativ kleine Gene, die mittels Direkt- M E D I Z I N AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT sequenzierung in kurzer Zeit auf Mutationen untersucht werden können. Bei einem Großteil der Familien mit hamartomatösen Polyposen kann nunmehr die der Erkrankung zugrunde liegende Keimbahnmutation identifiziert und das Vorliegen der betreffenden Mutation bei gesunden Kindern, Geschwistern oder bis dahin klinisch asymptomatischen Eltern, also den Risikopersonen, überprüft werden. Anlageträger sollten die regelmäßigen Vorsorgemaßnahmen ebenfalls wahrnehmen, während Nichtanlageträger aus dem engmaschigen Vorsorgeprogramm entlassen werden können. Allerdings können mit den heute verfügbaren Methoden der Mutationssuche nicht bei allen Patienten mit hamartomatösen Polyposen Mutationen in den oben genannten Genen gefunden werden. Wahrscheinlich spielen noch andere, bisher nicht identifizierte Gene, insbesondere bei der familiären juvenilen Polyposis, eine Rolle. Deshalb ist ein Ausschluß einer Anlageträgerschaft bei Familienangehörigen nur dann möglich, wenn die Keimbahnmutation in der Familie bekannt ist. Eine prädiktive Diagnostik kann mit erheblichen psychosozialen Problemen einhergehen. Alle genetischen Untersuchungen sollten deshalb die Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen der Bundesärztekammer (2) einschließlich einer humangenetischen Beratung berücksichtigen. Danksagung: Die Arbeiten am Institut für Humangenetik der Universität Bonn werden von der Deutschen Krebshilfe unterstützt. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 1999; 96: A-2285–2291 [Heft 37] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser Dr. sc. hum. Waltraut Friedl Institut für Humangenetik der Universität Bonn Wilhelmstraße 31 53111 Bonn Kortison schützt nicht vor Post-ERCP-Pankreatitis Eine der häufigsten auftretenden Komplikationen der endoskopischretrograden Cholangio-Pankreatikographie (ERCP) ist die akute Pankreatitis, die in bis zu zehn Prozent der Fälle beobachtet wird. Die Autoren führten eine kontrollierte Studie durch, ob die Infusion von 100 mg Hydrokortison unmittelbar vor der ERCP in der Lage ist, eine iatrogene Pankreatitis zu verhindern. Insgesamt wurde eine akute Pankreatitis in 5,3 Prozent der Fälle beobachtet. Zwischen den Patienten, die Kortison er- halten hatten und einer Kochsalzgabe, ergaben sich keine signifikanten Unterschiede, so daß Hydrokortison nicht in der Lage ist, eine akute Pankreatitis nach diagnostischer oder therapeutischer ERCP zu verhindern. w De Palma GD, Catanzano C: Use of corticosteroids in the prevention of post-ERCP pancreatitis: Results of a controlled prospective study. Am J Gastroenterol 1999; 94: 982–985. Servizio Centralizzato Di Endoscopia Digestiva Operatoria University of Naples Federico II, Via A. De Gasperi 7, 80033 Cicciano, Italien. Prävalenz des humanen Herpes Virus 8 Bekanntermaßen weisen Patienten mit Kaposi-Sarkom erhöhte Antikörperspiegel gegen das humane Herpesvirus Typ 8 (HHV 8) auf. Ob eine Assoziation auch zu anderen Tumoren besteht und ob soziale Faktoren und Verhaltensmuster eine Rolle hinsichtlich der HHV-8-Antikörperprävalenz spielen, war Gegenstand einer südafrikanischen Untersuchung. 3 591 schwarze Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen wurden in Johannisburg und Soweto auf das Vorliegen von Antikörpern (AK) gegen HHV 8 untersucht. Nur beim Kaposi-Sarkom (n = 51) waren die AK-Titer bei 83 Prozent der Patienten signifikant erhöht, bei allen anderen Tumoren unterschied sich der AK-Prävalenz mit 32 Prozent nicht von dem gesunder Blutspender. Mit steigendem Alter und zunehmender Zahl der Sexualkontakte nahm die Prävalenz der HHV-8-Antikörper zu, dagegen fand sich eine inverse Korrelation mit dem Grad der Schulbildung. acc Sitas F et al.: Antibodies against human herpesvirus 8 in black South African patients with cancer. N Eng J Med 1999; 340: 1863–1871. Dr. Sitas, South African Instituts for Medical Research, PO Box 1038, Johannesburg 2000, Südafrika. Einfluß des Nahrungsfettes auf Serumcholesterin Es gibt Hinweise, daß ungesättigte Fettsäuren, die in der trans-Konfiguration Doppelbindungen aufweisen gegenüber den Fettsäuren, die eine Doppelbindung in der cis-Konfiguration aufweisen, einen negativen Einfluß auf die Serum-Lipoproteine haben. Erstgenannte Fettsäuren finden sich hauptsächlich in tierischen Fetten oder entstehen während der Härtung bei der Magarineherstellung, letztere kommen vorwiegend in unbehandelten pflanzlichen Ölen vor. Ausgehend von LDL-Cholesterinwerten von durchschnittlich 177 mg/dl unter einer Diät reich an tierischen Fetten konnte eine Bostoner Arbeitsgruppe zeigen, daß das LDL-Cholesterin durch Ersatz der Butter durch Margarine um fünf Prozent abnahm, bei weicher Margarine um neun Prozent und bei alleiniger Verwendung von Sojaöl um zwölf Prozent. acc Lichtenstein AH: Effects of different forms of dietary hydrogenated fats on serum lipoprotein cholesterol levels. N Eng J Med 1999; 340: 1933–1940. Dr. Lichtenstein, Jean Mayer USDA Human Nutrition Research Center on Aging at Tufts University, 711 Washington Street, Boston, MA 02111, USA. Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 37, 17. September 1999 (47) A-2291