Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC)

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Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin
TGAM-News Juni 2011
Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC)
EHEC-Presse-Information des Bundesministeriums für Gesundheit, 25. 05. 2011:
Im Jahr 2010 wurden 88 Erkrankungsfälle (davon 57 EHEC) registriert. In elf Fällen trat eine
schwerwiegende Komplikation mit Nierenversagen, das „hämolytisch-urämische Syndrom“ (HUS), auf.
Es kam zu zwei Todesfällen. Im Jahr 2011 wurden bisher (Stand 25. Mai 2011) 19 Erkrankungsfälle
(davon fünf EHEC) registriert. Bislang traten ein HUS-Fall sowie ein Todesfall auf. Es sind weder ein
Anstieg von Erkrankungen noch ein verstärktes Auftreten von schweren Komplikationen bemerkbar.
Epidemiologie
Der Erreger und die von ihm verursachten Infektionserkrankungen treten weltweit auf. Das Hauptreservoir des
Erregers bilden Wiederkäuer, vor allem Rinder, aber auch Schafe und Ziegen. Der Erreger kann mit der Nahrung,
insbesondere mit rohem Fleisch oder Rohmilch, aufgenommen werden; ebenso über fäkalienverseuchtes
Trink- und Badewasser sowie Gemüse. Außerdem ist eine direkte Ansteckung möglich.
Bisher wurde eine Vielzahl von Vehikeln für menschliche Infektionen nachgewiesen: z. B. Rinderhackfleisch,
Salami, Mettwurst, Rohmilch, nicht pasteurisierter Apfelsaft, Salat, Sprossen, Bade- und Trinkwasser. Für
die aktuelle Häufung von EHEC-Erkrankungen in der BRD werden dzt. Gurken aus Spanien als Ursache
angegeben.
Eine Übertragung durch direkte Tier-Mensch-Kontakte (z. B. in Streichelzoos oder bei Besuchen
landwirtschaftlicher Betriebe) ist möglich. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch wurde in Familien,
Kindertagesstätten, Altenheimen und Krankenhäusern nachgewiesen. Bereits etwa 100 Bakterien können für
eine Ansteckung genügen.
Der Anstieg der Diagnosen von EHEC-Infektionen in den letzten Jahren spiegelt zum Teil nur die gestiegenen
labordiagnostischen Bemühungen wider.
Im Jahr 2009 wurden am Österreichischen Referenzzentrum für enterohämorrhagische Escherichia coli
(EHEC) insgesamt 528 Proben untersucht. Dabei wurden 86 humane Isolate (aus 84 - aus zwei Proben je
zwei Isolate = 86 Isolate) humanen Proben) verifiziert, darunter 29 humane STEC (shigatoxinbildende E.
coli ohne eae-Gen) und 57 humane EHEC. Sieben EHEC-Erkrankungen wurden zusätzlich nur serologisch
identifiziert. Das Verhältnis von humanen EHEC O157 (23 Isolate und 7 serologisch nachgewiesene Fälle)
zu EHEC non-O157 Isolaten war ähnlich wie im Vorjahr. Unter den 91 am Referenzzentrum diagnostizierten
humanen EHEC- und STEC-Fällen (84 kulturell + 7 serologisch) im Jahr 2009 trat in 13 Fällen ein hämolytischurämisches Syndrom (HUS) als postinfektiöse Komplikation auf (9 durch O157). Für das Kindesalter errechnet
sich in Österreich im Jahr 2009 (10 Kinder) eine Inzidenz von 0,76 HUS-Fällen durch EHEC/STEC per 100.000
Kinder im Alter von 0-14 Jahren.
Die Zahl der EHEC-/STEC-Fälle in den verschiedenen Bundesländern variierte beträchtlich, Tirol lag mit 33
verifizierten EHEC-/STEC-Fällen weit vorne. Der Grund dafür dürfte in einem seit 2004 eingeführten EHECScreeningprogramm liegen. (Quelle: Österreichisches Referenzzentrum für EHEC – Jahresbericht für das
Jahr 2009)
Für das Nord/Süd-Gefälle der Häufigkeit von HUS in Europa gibt es bislang keine Erklärung.1
1
Enterohämorrhagische Escherichia coli und hämolytisch-urämisches Syndrom H. Fischer , H.M. Verwyen , L.B.
Zimmerhackl , P. König , P.A. Kyrle , Katharina Grif , R. Allerberger
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Alle Abbildungen: Österreichisches Referenzzentrum für EHEC – Jahresbericht für das Jahr 2009.
Krankheitsverlauf
Eine Infektion kann frei von Symptomen verlaufen. Andernfalls tritt nach einer Inkubationszeit von
typischerweise ein bis drei Tagen, vereinzelt aber auch bis zu acht Tagen, eine Gastroenteritis auf, die sich zu
einer enterohämorrhagischen Colitis entwickeln kann. Die Ausscheidung der Bakterien erfolgt typischerweise
in einem Zeitraum von 5 bis 20 Tagen, kann sich insbesondere bei Kindern jedoch auch über mehrere Monate
erstrecken. In dieser Zeit ist eine Ansteckung weiterer Personen möglich.
Die meisten Darmerkrankungen durch EHEC unterscheiden sich in ihrem Verlauf nicht von anderen
bakteriellen oder viralen Ursachen. EHEC erwiesen sich nach Salmonella enteritidis und Campylobacter jejuni
als dritthäufigste bakterielle Enteritiserreger. Nur bei etwa der Hälfte der Fälle traten neben dem Durchfall auch
Fieber und Erbrechen auf. Der zunächst wässrige Durchfall geht bei 15–20 % der Erkrankten in eine profuse
hämorrhagische Diarrhoe über. Blutige Durchfälle sind ein Hinweis für eine besonders schwere Infektion, die
einen Risikofaktor für das Auftreten eines hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) darstellt. So haben 70 %
der HUS-Patienten vorher blutige Durchfälle.
CAVE
Entwickeln sich
•
blutige Diarrhoen,
•
Ödeme als Zeichen einer Niereninsuffizienz und/oder
•
Hämatome ohne vorausgegangenes Trauma als Symptom einer Thrombopenie
ist eine sofortige Klinikeinweisung indiziert
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Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
Das klassische HUS ist die häufigste Ursache des akuten Nierenversagens im Kindesalter und durch
einen biphasischen Verlauf gekennzeichnet. Auf eine enterale Symptomatik folgen nach kurzem Intervall
die charakteristischen hämatologischen und nephrologischen Veränderungen: Hämolyse mit akutem
Hämoglobinabfall, massiver Laktatdehydrogenase-Erhöhung und Thrombozytenabfall im peripheren Blut als
Folge der Bildung intravaskulärer Mikrothromben. Die glomeruläre Nierenschädigung führt oft zur Einschränkung
der Nierenfunktion ohne Anurie sowie zu Elektrolytentgleisungen und Überwässerung. Häufige extrarenale
Komplikationen sind zerebrale Krampfanfälle, Koma und Hirnödem. Auch eine Invagination mit mechanischem
Ileus, akutes Lungenversagen, eine Pankreatitis mit Bildung eines Insulin-abhängigen Diabetes mellitus oder
eine Schädigung des Myokards werden beschrieben. Diese Komplikationen können in bis zu 10 % der Fälle
zum Tod im akuten Stadium führen. Auch nach Überstehen der akuten Symptomatik, oft unter Intensivtherapie
mit Hämodialyse, können schwere bleibende Schäden auftreten, wie eine arterielle Hypertonie oder eine
chronische Niereninsuffizienz, die eine ambulante Hämodialyse bzw. eine Nierentransplantation notwendig
machen kann: Ein 3-jähriges Tiroler Mädchen mit HUS nach E. coli O26:H-Infektion im Juli 1998 erhielt
nach 5-monatigem stationären Krankenhausaufenthalt die erste EHEC-assoziierte Nierentransplantation
Österreichs (wahrscheinliche Infektionsquelle: Konsum unpasteurisierter Kuhmilch).
Die Mortalitätsrate des HUS wird mit 3–5 % angeben.
Diagnostik
Eine EHEC-Infektion sollte insbesondere bei jeder akuten Gastroenteritis im Kindesalter differenzialdiagnostisch
berücksichtigt werden. Dies gilt, unabhängig vom Alter, auch für Ausbrüche von Gastroenteritis (zwei oder
mehr Erkrankungen, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird).
In folgenden Situationen besteht stets die Indikation zur mikrobiologischen Untersuchung einer Stuhlprobe auf
EHEC bei Diarrhoe und dem Vorliegen einer der folgenden Bedingungen:
• Patient ist direkt mit Herstellen, Behandeln oder In-Verkehr-Bringen von Lebensmitteln befasst oder
arbeitet in Küchen von Gaststätten oder sonstigen Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung
• Sichtbares Blut im Stuhl
• Wegen Diarrhoe hospitalisierte Kinder bis zum 6. Lebensjahr
• Endoskopisch nachgewiesene hämorrhagische Colitis
• Pädiatrische Patienten mit akutem Nierenversagen
• Hämolytisch-urämisches Syndrom
• Kontaktpersonen von Patienten mit HUS
Labordiagnostik von EHEC-Infektionen
Grundsätzlich wird der kulturelle Nachweis von EHEC erschwert durch die biochemische Ähnlichkeit
dieser Erreger mit den Kommensalen der Darmflora und durch die relativ geringe Anzahl im Vergleich zur
physiologischen Flora, die auch bei EHEC-Patienten kaum unterdrückt ist. Daher sollte die diagnostische
Strategie auf den Nachweis der Shiga-Toxine und/oder der Toxingene ausgerichtet sein. Der Toxingennachweis
soll mittels PCR aus Stuhlanreicherung erfolgen; der Toxinnachweis soll mittels ELISA (EIA) aus der E.coli-Kultur erfolgen (der Nachweis von Stix mittels ELISA direkt aus dem Stuhl ist zu unspezifisch). Die
weitergehende Charakterisierung der Erreger, insbesondere für epidemiologische Fragestellungen, sollte in
einem spezialisierten Referenz-Labor erfolgen. Bei HUS sollte zusätzlich eine Untersuchung des Serums auf
LPS-Antikörper gegen E. coli O157 u. a. erfolgen.2
2
Robert Koch Institut: Erkrankungen durch Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) RKI-Ratgeber für Ärzte
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Therapie
Generell sind Antibiotika in der Therapie von EHEC-Erkrankungen oder EHEC-assoziiertem HUS nach
dem jetzigen wissenschaftlichen Stand nicht indiziert.
Die bakterielle Ursache der EHEC-Enterocolitis als zugrundeliegender Faktor eines EHEC-assoziierten
HUS legt den frühzeitigen Einsatz von Antibiotika nahe. Jedoch zeigten Untersuchungen an hospitalisierten
Patienten eher einen ungünstigen Effekt, wenn Antibiotika in der frühen Phase einer E. coli O157-assoziierten
Enterocolitis eingesetzt wurden (erhöhte Inzidenz und Letalität von HUS).
Wurden Kinder innerhalb der ersten drei Tage nach Beginn der E. coli O157:H7 positiven Durchfallerkrankung
mit Antibiotika behandelt, stieg das Risiko eines HUS um das 32,3-Fache (95 % CI 1.4 bis 737) und um das
17,3-Fache (95 % CI 2.2 bis 137) bei Behandlungsbeginn innerhalb der ersten Erkrankungswoche.
Wahrscheinlich provozieren Antibiotika die Freisetzung von Cytotoxinen aus E. coli O157:H7 im Darm infizierter
Patienten, darunter das das HUS-auslösende Shiga-Toxin.
Bei akuten Durchfallerkrankungen im Kindesalter sind Antibiotika nicht indiziert, da das erhöhte Risiko eines
HUS bei Infektion mit E. coli O157:H7 in keinem sinnvollen Verhältnis zu den marginalen Vorteilen einer
Antibiotikabehandlung bei sonstigen Infektionen steht.3
Mangels einer verfügbaren etablierten Kausaltherapie stehen heute die rasche Diagnosestellung sowie der
frühzeitige Einsatz unspezifischer supportiver Maßnahmen im Mittelpunkt der medizinischen Versorgung
eines HUS. Wichtig ist die frühzeitige Erkennung eines beginnenden HUS. In der ersten Woche nach Beginn
einer dokumentierten EHEC-Infektion ist auf Zeichen wie Blässe und Oligurie zu achten. Bei Kindern unter
5 Jahren und älteren Patienten besteht ein erhöhtes Risiko, ein HUS zu entwickeln, weswegen Blutbild- und
Harnanalysen zu empfehlen sind.
Geeignete Laboruntersuchungen: BB, Thrombo, Bili, LDH, Kreat, RN, K, Na, Harnstatus
Die Supportivmaßnahmen eines HUS (Therapie von Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes,
Ernährung etc.) hängen ab vom Ausmaß der Nierenfunktionseinschränkung und vom Schweregrad der
assoziierten Organmanifestationen. Bei Vorliegen eines HUS werden in der Regel forcierte Diurese und bei
globaler Niereninsuffizienz Hämo- oder Peritonealdialyse angewendet.
Prognose
Die Prognose des EHEC-assoziierten HUS ist günstiger als die der atypischen HUS-Formen. Die
Spontanheilungsrate beträgt > 50 %. In nur weniger als 5 % der Fälle kommt es zur Ausbildung eines
chronischen, dialysepflichtigen Nierenversagens. Ziel der zur Verfügung stehenden symptomatischen
Maßnahmen ist daher, die Phase bis zur Spontanheilung zu überbrücken sowie Komplikationen zu vermeiden
oder zu vermindern.
3
The risk of the hemolytic-uremic syndrome after antibiotic treatment of Escherichia coli O157:H7 infections. Wong
CS et. al. New Engl J Med 2000; 342:1930-6.
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Prävention
Eine Sanierung der Viehbestände wird von der WHO einstweilen als nicht realisierbar angesehen. Daher
müssen derzeit Präventivmaßnahmen ausreichen, um diesen schweren Infektionen vorzubeugen. Die
Sanitätsbehörden richten ihr Hauptaugenmerk auf die Verringerung der fäkalen Kontamination von
Rinderfleisch.
Für den Verbraucher (insbesondere für Kinder im Vorschulalter!) gelten unverändert die Jahrzehnte alten
Hygieneregeln, wie rohe Milch vor Verzehr abkochen, Fleisch vor dem Verzehr gut durchbraten, wegen der
Gefahr von Schmierinfektionen Händewaschen nach Toilettenbesuch und vor dem Essen sowie Kontakte von
Kindern mit Durchfall zu gesunden Kindern vermeiden.
Erstellt durch die TGAM, Juni 2011
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