Posttraumatische Belastungsstörungen im Vorschulalter Dr Hanspeter Dorner Consultant Child & Adolescent Psychiatrist Emanuel Miller Centre, London UK Pädiatrische Traunseeklausur Gmunden, 28 Mai 2011 Übersicht • • • • • • • • • Einführung Epidemiologie Traumaformen Diagnostische Kriterien von PTBS im Kindesalter Symptomatik bei Vorschulkindern Einfluss der Familie Diagnostik Interventionen Diskussion Shell Shock Syndrome, Myers 1915 Epidemiologie • Meisten Studien mit Erwachsenen und Jugendlichen • DSM-IV Kriterien bei Kindern zu eng gefasst -> höhere tatsächliche Prävalenz der PTBS • Prävalenz variiert stark 3%-58% (American Psychiatric Association, 1994) • Bei Kindern in Kriegsgebieten bis zu 70% (Perrin et al., 2000) • Bis zu 90% in Folge von sexuellem Missbrauch, Zeugen von Familiengewalt und/oder Gewalttaten gegen sich selbst • Häufiger chronischer Verlauf im Vergleich mit Erwachsenen (Scheeringa et al., 2005; Meissner-Stedman et al., 2008) Formen von Trauma • Zeuge von Verletzung oder Tod anderer Personen • Zeuge von Gewalt zwischen Eltern • Sexueller Missbrauch • Plötzliche Verletzung oder Unfall mit Hospitalisierung • Naturkatastrophen oder von Menschen verursachte Katastrophen/Gewalt Formen von Trauma • Opfer von Konflikten in der Peergruppe • Schwere körperliche Erkrankung • Multiple interpersonelle Traumatisierung eventuell in Kombination mit Vernachlässigung Komplexes Trauma - (DSM-V)? Risikofaktoren/Ressourcen für die Entwicklung von PTBS • *Ausmass der Konfrontation mit traumatischem Ereignis – eigene Verletzung (Verbrennungen, sexueller Missbrauch) • Schwere akute Belastungsreaktion • *Mangel an sozialer Unterstützung • Jüngeres Alter • Weibliches Geschlecht • Vorhergehendes Traumaereignis • Psychische Störungen vor dem Trauma Diagnostische Kriterien einer PTBS nach ICD-10 A. “…..einem stressvollen Ereignis von aussergewöhnlicher oder katastrophaler Natur ausgeliefer sein….” B. Hartnäckiges Erinnern oder “Wiedererleben” des Ereignis: flashbacks, lebhafte Erinnerungen, Träume, Stress wenn erinnert an das Ereignis C Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten D Entweder: 1. Unfähigkeit sich an wichtige Aspekte des Ereignisses zu erinnern 2. 2 der Übererregtheitssymptome mit (a) Vigilanzsteigerung, (b) einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und (c)Schlafstörung, (d) Konzenttrationsstörung Diagnostische Schwierigkeiten bei Vorschulkindern • DSM-IV/ICD-10 kann nicht alle Reaktionen in Kindern beschreiben • Verbale Vermittlung eines traumatischen Ereignisses kann bei Kindern eine PTBS auslösen (Giaconia, et al., 1995; Nader et al., 1993; Saigh, 1991, zit. n. Steil & Rosner, 2009) • Symptome variieren mit dem kognitiven, affektiven und sozialen Entwicklungsstand des Kindes • Traumatische Belastungsstörungen sind often begleitet von komplizierten Trauerreaktionen Diagnostische Schwierigkeiten bei Vorschulkindern • Einige Symptome sind internalisiert (z.B. flashbacks) • Kinder mangeln verbale Kompetenz um Symptome zu berichten • Manche Symptome sind unzuverlässige Diagnosekriterien • DSM-V: Develomental Trauma Disorder for Children and Adolescents (Van der Kolk et al., 2009) Daher schlagen verschiedene Forscher modifizierte DSM-IV Kriterien für PTBS in Vorschulkindern vor ( Scheeringa et al., 1995, 2003, 2008; Rosner und Hagl, 2008; etc) Diagnostische Kriterien einer PTBS nach DSM-IV A.Es war eine Konfrontation mit einem traumatischen Ereignis gegeben und zwar: 1. Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde körperliche Unversehrtheit (objektiv) und *Schwierig bei Vorschulkindern, da Vermittlung der Reaktionen primär durch Reaktionen von Bezugspersonen (Rosner & Hagl, 2008). 2. Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (subjektiv) *Kriterium nicht notwendig für Diagnose Chaotisches oder agitiertes Verhalten Diagnostische Kriterien einer PTBS nach DSM-IV B. Es kommt zum beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses in Form von: 1. Wiederkehrenden und eindringlichen belastenden Erinnerungen (Bildern, Gedanken, Wahrnehmungen- Intrusionen, Flashbacks) und/oder * Leidensdruck als Kriterium nicht erforderlich Wiederholtes Zeichen und/oder“traumatischen Spiel” - Trauma vom Kind im Spiel nachempfunden Dissoziative Epsioden 2. Wiederkehrende belastenden Träume und/oder *Angstträume ohne erkennbaren Inhalt Diagnostische Kriterien einer PTBS nach DSM-IV 3. Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis wiederkehrt * Traumaspezifische Handlungen 4. Stress wenn an das traumatische Geschehen erinnert 5. Physiologische Reaktivität wenn erinnert an das traumatische Ereignis Diagnostische Kriterien einer PTBS nach DSM-IV C.Anhaltendes Vermeidungsverhalten bzgl. traumaassoziierter Reize oder Abflachung der allgemeinen Reagibilität. Drei der sieben folgenden Kriterien sind erfüllt: 1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen in Bezug auf das Trauma 2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen wachrufen 3. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern *sehr selten bei jungen Kindern * Nur 1 Kriterium erforderlich Diagnostische Kriterien einer PTBS nach DSM-IV 4. Deutlich vermindertes Interesse oder Teilnahme an wichtigen Aktivitäten * Spiel, soziale Interaktionen, tägliche Routine 5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen *Vermehrter sozialer Rückzug 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affektes *Selten vorhanden bei jungen Kindern 7. Gefühl einer eingeschränkten Perspektive *unzuverlässig bei jungen Kindern Diagnostische Kriterien einer PTBS nach DSM-IV D. Anhaltende Symptome erhöhter Erregung. Zwei der folgenden fünf Kriterien sind erfällt: 1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche * extrem wählerisch 3. Konzentrationsschwierigkeiten 4. Hypervigilanz (extreme Wachsamkeit) 5. Übertriebene Schreckreaktionen 6. Somatische Störungen (Magen -, Kopfschmerzen) Diagnostische Kriterien einer PTBS nach DSM-IV E. Das Störungsbild dauert länger als einen Monat F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen * F Kriterium bei Vorschulkindern nicht zutreffend Häufige nicht-diagnostische Anzeichen in Vorschulkindern • Verlust schon erworbener Fähigekeiten (Sauberkeitserziehung, Sprache) • Regressives Verhalten (Daumenlutschen) • Neue Aggression • Wiederauftreten von Trennungsangst • Angst die nicht offensichtlich mit dem Trauma in Verbindung steht Neuroanatomie der PTBS Komorbidität • • • • • • Komorbidität in 80-90% 50% präsent vor dem Trauma 50% posttraumatisch parallel zu PTBS Oppositonelle Trotzstörung* Angststörungen* Somatoforme Störungen Differentialdiagnose Differentialdiagnose • • • • • • Komplizierte Trauerreaktion Trennungsangst Petit Mal ADHD Oppositionelles Verhalten Tagträumen Einfluss der Familie • Eltern unterschätzen oft die Reaktionen ihrer Kinder auf das traumatische Ereignis (Ceballo, 2001) • Kinder reagieren sehr sensibel auf die Reaktion ihrer Eltern auf das Trauma • PTBS im Kind UND den Eltern? Diagnostik • PTBS kann ab einem Zeitraum von vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis diagnostiziert werden • Beginn der Symptome erst nach sechs Monaten oder später - PTBS mit verzögertem Beginn (10%) (Yule et al., 2000) Diagnostik • Kein Verlass auf nur den Bericht der Eltern/Betreuer bei der Diagnosestellung – sieh das Kind! • Getrennte Befragung der Eltern und des Kindes • Kognitiver und sprachlicher Entwicklungsstand • Fragebögen und strukturierte Interviews (CBCL, CRIES, DIPA etc) Interventionen im Vorschulalter • Unzählige Interventionen aber wenige unterstüzt von wissenschaftlicher Evidenz • 7 randomisierte und 5 unkontrollierte KVT Studien mit älteren Kindern (Cohen et al., 1998; King et al., 2000; Deblinger et al., 2001; Kataoka et al., 2003; Stein et al., 2003; Cohen et al., 2004; Smith et al., 2007; Cohen et al., 2007) • 2 randomisierte KVT Studien mit 3-6 jr. (Cohen et al., 1996) und 2-8 jr. (Deblinger et al., 2001) sexuell missbrauchten Kindern Interventionen im Vorschulalter • Akutversorgung – medizinisch • Psychosozial – Grundbedürfnisse • Nicht alle Kinder die mit einem traumatischen Erlebnis konfrontiert sind entwickeln PTBS • Beginn der Behandlung erst einen Monat nach dem Trauma (DSM-IV) • Kinder mit einer PTBS sollten behandelt werden da Langzeiteffekte schwer sein können Interventionen im Vorschulalter • Bei (Vorschul)kinderen Eltern in die Behandlung einbeziehen • Ziel ist dabei die Förderung der Funktionsfähigkeit, Resilienz und Weiterentwicklung des Kindes (nicht nur eine Verringerung der Symptomatik) (AACAP, 2010) • Wieviel kognitive Therapie kann ein Vorschulkind tun? • Zeichnungen, Cartoons, Geschichten Interventionen im Vorschulalter • Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) (AACAP, 2010; NICE, 2005) • Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) (AACAP, 2010; NICE, 2005) • Kind-Eltern Psychotherapie (Lieberman et al., 2006) • Spieltherapie (Gaensbauer & Siegel, 1995) • Narrative Expositionstherapie (KIDNET; Schauer, Neuner & Elbert, 2005) • Pharmakotherapie bei Kindern nicht empfohlen TF-KVT (Cohen, J., Mannarino, A., Deblinger, E., 2009) • Psychoedukation – Vermittlung von allgemeinen Informationen zu möglichen Reaktionen auf traumatische Ereignisse • Elternfertigkeiten • Stressmanagement – Erlernen von Entspannungs- und Atemtechniken • Ausdruck und Modulation von Affekten • Traumanarrativ – Kognitive Verarbeitung und Bewältigung – In-vivo-Bewältigung von traumatischen Erinnerungen • Gemeinsame Eltern-Kind-Sitzungen • Verbesserung zukünftiger Sicherheit und Entwicklung 3 essentielle Kriterien für erfolgreiche Therapie • Emotionales Engagement mit dem erinnerten Trauma • Organisation und Artikulation eines Traumanarrativs • Modifizierung von wesentlichen Grundüberzeugungen über die Welt und das Selbst “Take home message” • Die Folgen eines Traumas sind umso größer je jünger ein Mensch ist • Unterschiedliche Symptomatik bei Vorschulkindern • Achte auf PTBS in den Eltern • Traumanarrativ erst wenn Kind “bereit” ist • Eltern immer in die Therapie miteinbeziehen Diskussion Referenzen • • • • • • • Giaconia, et al., 1995; Nader et al., 1993; Saigh, 1991, zit. n. Steil & Rosner, 2009 Scheeringa, M.S. & Zeanah, C.H. (2008). Reconsideration of Harm’s Way: Onsets and comorbidity patterns of disorders in preschool children and their caregivers following hurricane Katrina. Journal of Clinical Child & Adolescent Psychology, 37 (3), 508–518. Scheeringa, M.S., Zeanah, C.H., Drell, M.J., & Larrieu, J.A. (1995). Two approaches to the diagnosis of posttraumatic stress disorder in infancy and early childhood. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 34, 191-200. Scheeringa, M.S., Zeanah, C.H., Myers, L., & Putnam, F.W. (2003). New findings on alternative criteria for PTSD in preschool children. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 42, 561-570. Van der Kolk, B. A. (2005). Developmental trauma disorder: A new, rational diagnosis for children with complex trauma histories. Psychiatric Annals, 35, 401-408. Van der Kolk, B.A., Pynoos, R.S., Cicetti, C., Cloitre, M., D’Andrea, W., Ford, J.D. et al. (2009). Proposal to include a developmental trauma disorder diagnosis for children and adolescents in DSM-V. Unpublished manuscript. Zugriff am 30. Januar 2011 unter http://www.cathymalchiodi.com/dtd_nctsn.pdf) Rosner, R. & Hagl, M. (2008). Posttraumatische Belastungsstörung. Kindheit und Entwicklung, 17 (4), 205-209. Referenzen • • • • • • • Meiser-Stedman, R., Smith, P., Glucksman, E., Yule, W. & Dalgleish, T. (2008). The posttraumatic stress disorder diagnosis in preschooland elementary school-age children exposed to motor vehicle accidents. American Journal of Psychiatry, 165 (10), Yule, W., Bolton, D., Udwin, O., Boyle, S., O’Ryan, D. & Nurrish, J. (2000). The long-term psychological effects of a disaster experienced in adolescence: The incidence and course of PTSD. Child Psychology and Psychiatry 41 (4), 503-511 Ceballo, R., Dahl, T. A., Aretakis, M. T., Ramirez, C. (2001). Inner-city children’s exposure to community violence: How much do parents know ? Journal of Marriage and Family, 63, 927-940 know? AACAP (2010). Practice parameter for the assessment and treatment of children and adolescents with posttraumatic stress disorder. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 49 (4), 414 – 430. National Institute of Clinical Excellence (NICE) (2005). Posttraumatic Stress Disorder. The management of PTSD in adults and children in primary and secondary care. National Clinical Practice Guideline Number 26. London: Gaskell and the British Psychological Society. http://www.nice.org.uk/nicemedia/pdf/CG026fullguideline.pdf Cohen, J., Mannarino, A., Deblinger, E., (2009). Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen. Berlin, Springer.. Perrin, S. et. al. (2000). Practitioner Review: The Assessment and Treatment of Post-traumatic Stress Disorder in Children and Adolescents. J. Child Psychol.Psychiat. Vol.41,No.3,pp.277-289 Referenzen • • • • • • • • • • • Lieberman et al., 2006. 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