in den buddhistischen Traditionen

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BIST DU, WAS DU ISST?
BIST DU, WAS DU ISST?
in den
ls »geouteter« Vegetarier kann man
immer wieder bei gemeinsamen Essen mit Menschen, die wissen, dass
man sich mit dem Buddhismus beschäftigt,
hören: »Ah, Sie essen kein Fleisch, weil Sie
Buddhist sind!« In diesem Fall sind allerdings
beide Aussagen und insbesondere der Kausalzusammenhang falsch.
Weshalb wird im Westen der Buddhismus sofort mit vegetarischer Ernährung verbunden, obwohl diese in vielen buddhistischen
Ländern keine Rolle spielt? Bestimmend für
die buddhistische Ethik unabhängig von
ihren Schulrichtungen ist in der Tat das Gebot, kein Wesen zu schädigen. In der indischen Tradition nannte man diese Haltung
Ahimsa, was so viel wie nicht-schädigen bedeutete.
A
buddhistischen
Traditionen
Die buddhistische Tradition
kannte und kennt bis heute
keine einheitliche Haltung
zum Fleischverzehr
i
bot des Nicht-Verletzens
nicht zwangsläufig eine vegetarische Ernährung verbunden. Dies unterscheidet den
Buddhismus auch vom Jainismus, der aus der AhimsaLehre das strenge Verbot des
Fleischverzehrs ableitete und
den Buddhismus ob seiner laxeren Haltung in dieser Frage immer wieder attackierte.
Mahayana
Die buddhistische Tradition
kannte und kennt bis heute
keine einheitliche Haltung
zum Fleischverzehr. Die
buddhistische Richtung des
Mahayana (großes Fahrzeug)
entstand circa im 3. Jhd. unserer Zeitrechnung in Indien unter Einfluss von Nagarjuna und Asanga. Er eroberte in den Jahrhunderten danach große Teile Asiens. Besonders
im Buddhismus von China, Korea und Japan lehnte der Mahayana den Fleischverzehr
ab, zum Teil bis heute, wobei sich der religiös motivierte Vegetarismus in Japan seit
dem 19. Jh. eher auf dem Rückzug befindet.
Im Theravada-Buddhismus hingegen (das ist
der alte Buddhismus aus der Zeit Nagarjunas, wie er in ähnlicher Form heute noch in
Sri Lanka, Myanmar/ Burma und Thailand
praktiziert wird) ist der Fleischgenuss verbreiteter.
Die Haltung zum Vegetarismus ist aber nicht
nur schulspezifisch, sondern auch geografisch
bedingt. In Ländern mit eher unwirtlichen
Lebensbedingungen, wie z.B. Tibet oder der
Mongolei, ist eine fleischlose Lebensweise
viel schwerer als in den warmen Ländern.
WARUM IST DAS SO?
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Alles akzeptieren
Das »Ich« gilt im Buddhismus als Illusion, die den Menschen vom Rest der Welt
abtrennt. Die spirituelle Praxis im Buddhismus (Meditation und ethisches Verhalten)
ist deshalb eine Praxis des Durchschauens und Überwindens dieser Illusion, vom
Rest der Welt getrennt zu sein. Dem entsprechend ist das Mitgefühl mit anderen
empfindenden Wesen im Buddhismus eine der zentralen Tugenden: Wer anderen
Wesen Leid zufügt, fügt damit auch sich selbst Leid zu. Dennoch sind auch
Buddhisten kreativ im Finden von Ausreden, um – je nach lokaler Kultur –
Gewohnheiten des Fleischessens aufrecht erhalten zu können
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VON KATHARINA CEMING
März 3/2012 · www.connection.de
Ahimsa
Die Idee von Ahimsa entwickelten vermutlich die Jains und die Buddhisten vor gut
2500 Jahren in Indien. Allmählich begann sie
auch in den Hinduismus einzudringen, der
zur Zeit Buddhas noch fern vom Vegetarismus und einem unblutigen Opferkult war.
Interessanterweise begann die Idee von
Ahimsa gerade im Bereich der Ernährung
das religiöse Selbstverständnis der hinduistischen Brahmanen stark zu beeinflussen.
Stärker als das der frühen buddhistischen
Mönche, obwohl sich die Brahmanen am Anfang heftig gegen die Abschaffung der blutigen Tieropfer und der damit verbunden tierischen Ernährung wehrten. Innerhalb der
buddhistischen Tradition war mit dem Ge-
www.connection.de · März 3/2012
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Fleischverzehr & Vegetarismus
Einer der Gründe, weshalb im TheravadaBuddhismus der Vegetarismus nicht so sehr
im Vordergrund stand, war die Lebensweise
der Mönche, die ihre Nahrung ausschließlich
durch Betteln erwarben. Der Mönch musste
essen, was ihm in die Bettelschale gelegt wurde, auch wenn es Fleisch war. Diese Vorgabe hatte aber nicht nur einen überlebenssichernden Hintergrund, sondern auch einen
asketischen, so seltsam dies anmutet. Indem
der Mönch gezwungen war, alles anzunehmen, was in seine Schale gelegt wurde, konnten bestehende Vorlieben oder Abneigungen für oder gegen bestimmte Speisen nicht
ausgelebt werden. Der Mönch hätte sogar
den leprösen Finger des Gebers, falls ein solcher in die Schale gefallen wäre, zu nehmen
gehabt.
Lediglich wenn der Mönch wusste, dass ein
Tier eigens für ihn getötet worden war, musste er die Annahme des Fleisches verweigern.
Dies konnte z.B. der Fall sein, wenn Mön-
Im Winter 1977 lebte ich einen Monat lang in
einem Mahayana-Kloster in Singapur. Fleisch,
Fisch oder Geflügel gab es dort nicht. Wir aßen
vor allem weißen Reis, meist als Suppe, mit verschiedenen vegetarischen Beilagen.
Warum? Das ist bei uns so, war die Antwort.
Wenn ich weiter fragte, kam die Rede irgendwann auf die Empfindungen der Tiere. Es wurde
aber nicht viel darüber nachgedacht. Das
Kloster war ein Männerkloster um einen
Krematoriumsbetrieb herum; der Betrieb
ernährte die Menschen, die dort lebten.
Meditative Praxis oder Studium der Schriften
gab es kaum.
Eine paar Monate vorher hatte ich ein halbes
Jahr land in einem Theravada-Kloster in
Thailand gelebt. Jeden Morgen waren wir
Mönche auf die Straße gegangen. Wir hatten
unsere Schale den Gebenden hingehalten, die
als »fromm« gelobt wurden, und hatten gegessen, was sie uns gaben. Warum geben die Leute
auch Fleisch? Das ist bei bei uns so. Wenn ich
weiter nachfragte, kam als Antwort die Praxis
des Annehmens von allem, was gegeben wird –
was das Leben einem gibt. Annehmen, hinnehmen, nicht aufbegehren, keine eigenen
Wünsche realisieren, am besten gar keine eigenen Wünsche haben; wenn wir Mönche genug
meditierten, würden die Wünsche verschwinden, hieß es, wir würden sie als Fata Morgana
durchschauen.
Beide Ansätze, der des Mahayana ebenso wie
der des Theravada, enthalten im Kern Weisheit.
Sie können aber sehr leicht missverstanden und
als Ausreden missbraucht werden, fast ebenso
leicht wie die Grundsätze anderer Religionen.
Eine religiöse Disziplin konsequent durchzuführen, auch über viele Jahre, hat was: Sie konfrontiert den Praktizierenden mit sich selbst.
Ohne Einsicht und Verständnis führt sie jedoch
zu einer bunten Vielfalt von Ausreden, Irrwegen
und produziert schrullige Charaktere.
Wolf Schneider
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BIST DU, WAS DU ISST?
Japanische Fangschiffe,
die für ihre Brutalität
gegenüber den Tieren
berühmt sind, zelebrieren
nach dem Fang eine
»Reinigungszeremonie«
Kaufen führt zum Töten
Auf dieses Kriterium greifen viele buddhistische Laien zur Rechtfertigung des Fleischverzehrs zurück, wenn sie betonen, das
Fleisch, das sie kaufen, sei ja nicht eigens für
sie geschlachtet worden. Dieses Argument
wird jedoch schon in einem der bedeutendsten Mahayana-Texte, dem Lankavatara-Sutra (252,15 ff.) widerlegt. Dort heißt es, wenn
niemand Fleisch verlangen würde, müsste
kein Tier getötet werden. Das heißt, der
Wunsch nach Fleisch ist der Grund für das
Schlachten, deshalb ist der, der Fleisch isst,
auch verantwortlich für den Tod des Tieres.
Ob es nun für ihn persönlich geschlachtet
wurde oder nicht, ist dabei unerheblich.
Das monastische Leben der MahayanaMönche und Nonnen ermöglichte es diesen hingegen sehr viel eher, eine vegetarische Ernährung zu praktizieren, da sie meist
nicht mehr vom Betteln lebten, sondern sich
in ihren Klöstern selbst versorgten. So waren es vor allem Texte aus der MahayanaTradition, die den Vegetarismus zur Norm
erhoben und sich zum Teil gezielt gegen die
pali-buddhistischen Lehren wandten, die
den Fleischverzehr für Mönche erlaubten.
Der Vegetarismus und das Gebot des NichtSchädigens erfuhren im Mahayana-Buddhismus zudem weitere metaphysische Begründung.
Das Leid der anderen
In der Theologie des Mahayana (wenn man
das so nennen kann, denn im Buddhismus
gibt es ja keinen Gott, jedenfalls nicht als
Person) entwickelte sich im Lauf der Zeit
die Lehre vom Buddhakeim oder der Buddhanatur, die jedem Menschen inhärent sei.
Diese bezeichnete man als tathagata-garbha. Zwar sind sich die Wesen im Zustand der
Nicht-Erleuchtung dieser nicht bewusst,
dennoch ist sie immer existent. Wenn nun
alle Wesen diese Buddhanatur in sich tragen, ist es mehr als verständlich, dass man
keines dieser Wesen töten darf. Darüber hinaus trug die Lehre des bedingten Entstehens,
pratitya-samutpada genannt, die schon im
Pali-Buddhismus thematisiert und im Ma-
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hayana-Buddhismus ausgeweitet wurde, wesentlich zur Durchsetzung des Vegetarismus bei. Sie besagt, dass alles mit allem untrennbar verbunden ist – nichts besteht aus
sich allein. Dann ist das Leid der anderen
auch immer das eigene Leid. Deshalb sollte
niemandem und nichts Leid zugefügt werden.
Schlechte Berufe
Die buddhistischen Laienanhänger befolgten und befolgen den Vegetarismus bei weitem nicht so streng wie die Mönche und Nonnen, wobei dies nach Ländern und Epochen
zum Teil erheblich variiert(e). Dennoch gilt
auch für die Laien die Tötung eines Lebewesens als moralisch schlechte Tat, was dazu führte, dass der Beruf des Metzgers von
Buddhisten in der Regel nicht ausgeübt wird,
sondern meist von Angehörigen nicht-buddhistischer Glaubensgemeinschaften. Neben
Metzger galten auch Vogelfänger, Fallensteller, Jäger, Henker, Soldat und Kerkermeister
als Berufe, die ein Buddhist zu meiden hatte, da sie maßgeblich mit der Schädigung von
Lebewesen verbunden waren.
Ausflüchte
Wo sich das Töten von Lebewesen zur Existenzsicherung nicht vermeiden ließ oder
lässt, wurden einige Methoden entwickelt,
um die Schwere der Schuld zu reduzieren
oder sie zu beseitigen. So bildete sich zum
Beispiel bei Fischern, die die Tötung von Le-
bewesen nicht delegieren können, zum Teil
die Unsitte aus, Fische nach dem Fang an
Land ersticken zu lassen. Man glaubte, dass
man so nicht schuld am Tod des Tieres sei,
da der Fisch nicht durch Menschenhand, sondern »von alleine« stirbt. Dass diese Tötungsart grausamer ist und gegen den Gedanken des Mitleids verstößt – eine der buddhistischen Grundtugenden –, wird hierbei
ebenso übersehen wie die Tatsache, dass
Schuld nicht ausschließlich durch das Resultat einer Handlung bedingt ist, sondern
auch durch ihre Intention. Nicht nur die ausgeführte Tat, sondern schon die Tatabsicht
zählt.
Eine andere Strategie der Schuldverminderung zielte darauf, die Tat so selten wie möglich auszuführen. Wenn, wie zum Beispiel in
Tibet, das Töten eines Tieres zum eigenen
Überleben als unverzichtbar erschien, so
wurde dort eher ein großes Tier getötet, mit
dem man lange Zeit Nahrung hatte. Eine andere Variante ging genau in die andere Richtung, dort wurde der Leidverminderungsfaktor darin gesehen, gerade kein großes Tier
zu töten, sondern lieber öfters ein kleines.
Besonders beliebt war in diesen Fällen Fisch,
da Fische als weniger empfindsam als Säugetiere gelten.
Ein weiterer Versuch, die karmische Schuld,
die man durch die Tötung von Lebewesen
auf sich lädt, wieder zu beseitigen, besteht
darin, das »karmische Negativ-Konto« durch
gute Taten auf der anderen Seite wieder
auszugleichen, indem man zum Beispiel einen buddhistischen Orden unterstützt, Almosen gibt oder Reinigungszeremonien ausführt. Die Alibifunktion und auch Absurdität
von solcher »Reinigungszeremonien« wird
deutlich, wenn zum Beispiel auf japanischen
Fischtrailern, die eine spezialisierte, kommerzialisierte und zum Teil brutale Fischerei betreiben, nach dem Fang eine solche
durchgeführt wird, die der Versöhnung mit
den getöteten Tieren dienen soll. Wie so oft
im Leben zeigt sich der Mensch recht kreativ, wenn es um die Umgehung von ethischen
Geboten geht.
[
che von Laienanhängern eingeladen wurden und diese meinten, aufgrund des ehrenvollen Besuches etwas Besonders auftischen zu müssen. Das Töten eines Tieres
für einen Mönch erklärte Buddha zu einem
der übelsten Vergehen, zum einen weil ein
Tier Schmerz und Qual während der
Schlachtung erleidet und zum zweiten, weil
es eine den Mönchen nicht angemessene Behandlung ist, sie mit Fleisch zu bewirten.
Nahm ein Mönch Fleisch an, dann mussten
drei Kriterien erfüllt sein: Er durfte weder
sehen, hören, noch den Verdacht haben, dass
das Tier für ihn getötet wurde.
Dieser Text ist (mit Ausnahme der Einleitung) ein leicht
veränderter Auszug aus dem Buch »Buddhismus« von
Katharina Ceming, das als Neuauflage im Februar im
Fischer Verlag erscheint.
PROF. DR. DR. KATHARINA CEMING,
Jg. 70, promovierte in Philosophie
zu Meister Eckart und Johann
Gottlieb Fichte und in Theologie
zum Verhältnis von Menschenrechten und Religion. 2008 erhielt
sie den Mystikpreis der Theophrastus Stiftung. Sie
lebt als freie Seminarleiterin und Publizistin in
Augsburg. www.quelle-des-guten-lebens.de
März 3/2012 · www.connection.de
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