Genetische pränatale Beratung – Sicht des Genetikers

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Genetische pränatale Beratung –
Sicht des Genetikers
Ersttrimester-Ultraschall-Kurs mit praktischen Übungen zum Erhalt des
Fähigkeitsausweises Schwangerschafts-Ultraschall
Neue Frauenklinik, Kantonsspital Luzern, 27. Februar 2016
Kontakt:
Dr. Bernhard Steiner, Médecin Adjoint, Kinderspital Luzern
[email protected]
Chinderarztpraxis, Ruopigenring 37, 6015 Luzern
[email protected]
Die Aufgaben der medizinischen Genetik
Erwachsenenmedizin
Gynäkologie
0
8
16
24
32
Pädiatrie
40
0 5 10 15
25
SSW
Zeugung
50
Jahre
Geburt
Genetiker
75
100
Die Aufgaben der medizinischen Genetik
Angeborene strukturelle Anomalien
Entwicklungs- oder Wachstumsrückstand
Genetisch bedingte Krankheitssymptome
Kindliche Malignome
8
16
24
SSW
32
40
0 5 10 15
Personen die selber
ein Gebrechen haben
Erwachsenenmedizin
Gynäkologie Pädiatrie
0
Bei familiären Malignomen
Diversen genetischen Krankheiten des
Erwachsenenalters
25
50
75
100
Jahre
Sterilität
Rezidivierenden Spontanaborten
Mütterliches oder väterliches Alter
Fetalen Fehlbildungen im UltraschallGesundheitliche Probleme bei Blutsverwandten
Vermeidung kindlicher Gebrechen
Blutsverwandtschaft
Genetik als Netzwerk mit Familie im Zentrum
Physiotherapie
Schule
Ergotherapie
Hausarzt
Soziales
Patient
Psychologie
Spezialisten
Familie
Finanzen
Spital
Genetik als Netzwerk mit Familie im Zentrum
Physiotherapie
Schule
Ergotherapie
Kinderarzt
Soziales
KIND
Diagnose?
Psychologie
Spezialisten
Familie
Finanzen
Spital
?
Genetische Untersuchungen und Beratungen
Die genetische Beratung umfasst die ganze Phase vom
ersten Besuch bei der beratenden Fachperson bis zum
abschliessenden Gespräch.
Besprochen wird:
 Genetischen Grundlagen der Erkrankung
 Risiken des wiederholten Auftretens einer Erkrankung
 Diagnostische Möglichkeiten
 Versicherungstechnische Informationen
Die genetische Beratung hilft den Ratsuchenden, von
Wissen gestützte Entscheidungen zu treffen.
Wichtig: Schriftliche Zusammenfassung, ein abschliessendes humangenetisches Gutachten. Sie dient dazu,
Missverständnisse zu vermeiden und weitere Ärzte, etwa
den Hausarzt, zu informieren.
Sieben Schritte der genetischen Beratung
In der ärztlichen Praxis sollte eine genetische Beratung
folgende Elemente umfassen:
1. Die Erwartungen
erfassen.
der
Ratsuchenden
erfragen
und
2. Die medizinische Individual- und Familienanamnese
erheben, falls nötig auch Abklärungen treffen zur
Sozialanamnese und zum ethnischen Hintergrund.
3. Einen Stammbaum zeichnen, der mindestens die
Verwandten ersten und zweiten Grads vollständig
erfasst.
Sieben Schritte der genetischen Beratung
4. Eine klinische Untersuchung durchführen, um die
Diagnose zu klären oder zu spezifizieren.
5. Abklären, welche labordiagnostischen Untersuchungen
bestehen, um die Diagnose der Krankheit und der
zugrunde liegenden Veranlagung zu ergänzen oder zu
erhärten.
Sieben Schritte der genetischen Beratung
6. Die medizinisch-genetische Situation, die klinischen
und labordiagnostischen Möglichkeiten und die sich
daraus ergebenden Einzelbefunde umfassend mit den
Ratsuchenden diskutieren, die Bedeutung dieser
Befunde für sie und ihre Angehörigen klären.
7. Falls nötig, vorgängig eine gründliche Literaturrecherche über Internet vornehmen, um die jeweils
aktuellsten medizinisch-genetischen Kenntnisse in
Erfahrung zu bringen.
Braga S, Leuthold M, Müller H. Gendiagnostik – Beratung als ethische Pflicht.
Schweiz Ärztezeitung 2000;81:1473.
Genetische Untersuchungen und Beratungen
Genetische Untersuchungen
Konsequenzen haben:
können
weit
reichende
 Für den Patienten stehen in der Folge eines Gentests
vielleicht schwierige Entscheidungen an, etwa im Rahmen
einer Behandlung.
 Er muss mit dem Wissen leben, in Zukunft mit einer
hohen Wahrscheinlichkeit an einem schweren Leiden zu
erkranken.
 Im
Fall
einer
Untersuchung
während
der
Schwangerschaft kann es die Entscheidung der Eltern zum
Abbruch der Schwangerschaft bedeuten.
Genetische Untersuchungen mit Konsequenzen
 Es ist daher wichtig, dass ein Ratsuchender durch eine
genetische Untersuchung nicht in eine Situation gerät, in
die er eigentlich gar nicht wollte, oder die er nicht
verkraften kann.
 Um diesen Voraussetzungen gerecht zu werden, sollte
jede genetische Untersuchung im engeren Sinne (pränatale
und präsymptomatische Diagnostik) von einer genetischen
Beratung begleitet werden.
 Die genetische Beratung ist ein medizinisches Angebot
an Menschen, die eine genetisch bedingte Krankheit haben
oder ein entsprechendes Risiko für sich oder ihre
Nachkommen befürchten.
«Informed Consent», informierte Zustimmung
 Der Patient oder die Patientin muss zunächst die
Entscheidung für oder gegen einen Gentest oder eine
Chromsomenuntersuchung fällen.
 Ein Gentest darf nicht ohne Wissen und gegen den
Willen einer Person durchgeführt werden.
 «Informed Consent»:
Der Patient oder die Patientin ist ausreichend über die
Vor- und Nachteile der Untersuchung informiert. Er oder
sie ist sich der möglichen Konsequenzen bewusst und
versteht, welches die Möglichkeiten und Grenzen des Tests
sind.
«Informed Consent», informierte Zustimmung
 Bei allen genetischen Untersuchungen sollte eine
entsprechende
Einwilligungserklärung
unterschrieben
werden.
 Diese ist aber jederzeit widerrufbar.
 Wenn eine Person untersucht worden ist, hat sie das
Recht, das Resultat zu erfahren. Der Arzt oder die Ärztin
darf es nicht verheimlichen.
 Andererseits hat sie aber auch das Recht, das Ergebnis
nicht zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie es sich nach der
Probeentnahme anders überlegt hat.
Bundesgesetz über genetische
Untersuchungen beim Menschen (GUMG)
Artikel 4 beinhaltet das Diskriminierungsverbot. Wörtlich heisst es:
Niemand darf wegen seines Erbguts diskriminiert werden.
Artikel
11
beinhaltet
ein
Verbot
gewisser
pränataler
Untersuchungen. Dort heisst es, dass pränatale Untersuchungen
verboten sind, die darauf abzielen, Eigenschaften des Embryos zu
ermitteln, die dessen Gesundheit nicht direkt beeinträchtigen.
Artikel 13 regelt wer genetische Untersuchungen veranlassen darf.
Artikel 14 beinhaltet die genetische Beratung im Allgemeinen.
Artikel 19 regelt die Mitteilung genetischer Daten.
Artikel 20 regelt die Weiterverwendung von biologischem Material.
Grundlagen und Zahlen
 Schwere kongenitale Anomalien:
Bei Geburt:
Im Alter von 5 Jahren:
2–3%
4–6%
Von ca. 80´000 Neugeborenen pro Jahr in der Schweiz sind das etwa
4000.
Hauptursache der Kindersterblichkeit:
21 %
 Geringradige Anomalien (Dysmorphien):
Bei Geburt:
15 %
Viele geistige und körperliche Behinderungen zeigen sich allerdings
erst später. Keine exakten Zahlen für die Schweiz (whs. 8 -10 %).
Aufbau, Funktion des genetischen Materials
Total besteht das menschliche Genom aus etwa 3,27 × 109 Basenpaaren und codiert für etwa
20.000 - 25.000 Gene.
Dies entspricht etwa dem Inhalt von 10’000 Büchern, jedes 300 Seiten dick.
Wandel der pränantalen Diagnostik
Ursprung und Werdegang der Aneuploidien
Inzidenz für
Aneuploidien
Spermien
Oozyten
1-2%
~ 20 %
Gestationswochen
0
6-8
Embryos vor
Implantation
Inzidenz für
Aneuploidien
Häufige
Aneuploidien
~ 20%
Verschiedene
Inzidenz spontaner
Aborte bei Trisomie 21
40
20
Präklinische
Aborte
Spontane
Aborte
Totgeburten
Lebendgeburten
??
35 %
4%
0,3 %
??
45,X;+16;+21;+22
Ab 11. SSW
Ab 16. SSW
+13;+18;+21
43 %
23 %
+13;+18;+21
XXX;XXY;XYY
Trisomie 21 oder andere Aneuploidien
CVS
Maternal
age
35
Amniocentesis
Liveborn
T 21 (%)
Chromosomal
abnormalities (%)
T 21 (%)
Chromosomal
abnormalities (%)
T 21 (%)
Chromosomal
abnormalities (%)
0.39
1.02
0.33
0.77
0.3
0.52
36
0.52
1.29
0.43
0.94
0.37
0.63
37
0.7
1.63
0.55
1.15
0.47
0.77
38
0.95
2.06
0.72
1.4
0.61
0.96
39
1.27
2.6
0.93
1.72
0.78
1.21
40
1.71
3.29
1.21
2.1
1.02
1.55
41
2.3
4.15
1.58
2.56
1.32
1.98
42
3.1
5.25
2.05
3.13
1.73
2.56
43
4.17
6.63
2.66
3.82
2.27
3.31
44
5.62
8.38
3.45
4.67
2.97
4.29
45
7.56
10.58
4.48
5.71
3.89
5.57
46
10.17
13.37
5.83
6.97
5.08
7.24
Nach Milunsky: Genetic Disorders and the Fetus: Diagnosis, Prevention and Treatment
Trisomie 21 oder andere Aneuploidien
Anteil der Trisomien 21 an allen chromosomalen
Aneuploidien in der 11. SSW
0.80
0.70
0.60
0.50
0.40
0.30
0.20
0.10
0.00
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
Nach Milunsky: Genetic Disorders and the Fetus: Diagnosis, Prevention and Treatment
NIPT – Empfehlung der Fachgesellschaft
NIPT – Nicht-invasive pränatale Testung
 Kein abschliessendes Resultat. Positives NIPTResultat sollte mittels CVS oder AC bestätigt
werden.
 Wenn NIPT zum Ausschluss einer T21, T18 oder
T13 durchgeführt wird, sollte die Patientin
darüber aufgeklärt werden, dass auch grössere
Deletionen
oder
Duplikationen
anderer
Chromosomen erkannt werden können. Klare
Abmachung mit der Patientin, über welche
Befunde sie informiert werden soll oder über
welche sind nicht informiert werden möchte.
NIPT – Nicht-invasive pränatale Testung
 NIPT gibt auch Informationen über mögliche
Geschlechtschromosomale Aberrationen und
Mikrodeletionen/-duplikationen.
Ungelöste
ethische Konflikte.
 Die bessere Test-Performance und die Nichtinvasive Technik sollte nicht zu oberflächlicher
genetischer Beratung führen.
Array – CGH
Hochauflösende
Chromosomenuntersuchung
=
Array–CGH
Diagnose in 8 – 16% der
Fälle mit auffälligem
Ultraschall.
Familienanamnese
Familiengeschichte von der Frau und ihrem Partner:








Bekannte genetische Krankheiten: z. B. Cystische
Fibrose, Duchenne Muskeldystrophie.
Trisomie 21 und andere chromosomale Defekte
Defekte von Organen: Spina bifida, Gaumenspalte,
Herzfehler
Mentale Retardierung
Wiederholte Aborte
Unklare Todgeburten oder perinatal verstorbene Kinder
Blutsverwandtschaft
Ethnischer Hintergrund
«Ancestry based Carrier Screening»
American Society of Genetic Counselors, 2005
Wichtige Informationen für Risikoabschätzung








Mütterliches Alter ≥ 35 Jahre
Väterliches Alter ≥ 40 Jahre
3 oder mehr spontane Aborte
Totgeburten
Verstorbene Kleinkinder
Infertilität
Blutsverwandtschaft
Ethnische Herkunft
Väterliche Neumutationen als Risiko
Väterliche Neumutationen als Risiko
Skelettdysplasien:
Achondroplasie
Apert, Pfeiffer, Crouzon
Osteogenesis imperfecta
Thanatophore Dysplasie
Neurofibromatose
Herzfehler:
VSD, ASD
Schizophrenie
Autismus
ZNS-Tumore
Wiederholte Aborte
Welchen Einfluss hat das Alter des Vaters?
Welchen Einfluss hat das Alter des Vaters?
Basis der genetischen Beratung
Pre-Test-Beratung
Informationen sammeln (FA, US, 1.TT)
Risikoabschätzung
Patienteninformation:
Unterschied: Screening / Gezielte Diagnostik
Benefits und Risiken
Limitationen von Tests
 Besprechen Sie im Dialog die diagnostischen
Optionen
 Förderung des autonomen Entscheidungsfindung
psychologische Beurteilung
 Nicht-direktive, informierte Zustimmung




Unterstützung und Entscheid fällen
Versuchen
Sie
die
persönlichen
Werte,
Erfahrungen,
Überzeugungen
und
religiösen
Grundhaltungen in Erfahrung zu bringen.
Wie
ist
die
Familienstruktur?
Unterstützung durch Partner und Familie?
Kinder?
Ermutigen Sie die Frauen darüber nachzudenken,
was ein negatives Resultat bedeuten könnte.
Unterstützung und Entscheid fällen
Sind dies Informationen, die Sie im Voraus wissen
möchten?
Im Voraus wissen, ermöglicht es Zeit zu haben….
 für die Vorbereitung und Geburt eines Kindes mit
besonderen Bedürfnissen.
 um die eigenen Erwartungen an das Kind und das
eigene Leben anzupassen.
Psychologische Beurteilung
Beurteilen Sie:
Die Fähigkeit des Patienten mit folgenden
Resultaten umzugehen:
 Unsicheres Resultat
 Kind mit Behinderung
 Risiko einer Fehlgeburt
 Fällen eines Entscheides für oder gegen den
Abbruch der Schwangerschaft.
 Vorbereitung und psychologische Begleitung für
ein Kind mit einer Behinderung.
“Nicht-direktive”, informierte Zustimmung
Information und informierte Zustimmung:
 "Egal, was die moralischen oder religiösen Überzeugungen des Patienten sind."
 Überzeugungen und Verhaltensweisen können
angesichts eines positiven CVS-/ AC-Ergebnis
ändern.
Beachten Sie auch:
Ihre eigenen Überzeugungen und wie diese...
 Ihren Beratungs-Stil beeinflussen können.
 sich vom Glauben Ihrer Patienten unterscheiden
können.
Carroll et al. Can Fam Physician 2000; 46:614
Trisomie 21 als definiertes und erkennbares Syndrom
Ein Genotyp ? Ein Phänotyp ?
Betroffene
Personen mit
Trisomie 21
Gesunde Personen
Trisomie 21 als definiertes und erkennbares Syndrom
Ein Genotyp ? Ein Phänotyp ?
Freie Trisomien
92-95 %
Translokations- oder
partielle Trisomien
2-3 %
MosaikTrisomien
2-3 %
Mikro-Trisomien
1%
Trisomie 21 ein variables Syndrom
Variabler Genotyp / variabler Phänotyp
Freie Trisomie
Mosaik-Trisomie
Mikro-Trisomie
Betroffene Personen mit
Trisomie 21
Gesunde Personen
Mögliche Auswirkungen von Mosaiken
Chorionzottenbiopsie:
«Confined placental mosaicism»
liegt in 1,9 % aller CVS vor.
«True fetal mosaicism»
liegt in 0.19%
Nach Gardner & Sutherland: Chromosome Abnormalities and Genetic Counseling.
Mögliche Auswirkungen von Mosaiken
Kurzzeit-Kultur
Langzeit-Kultur
Zellen aus Fruchtwasser
Nach Gardner & Sutherland: Chromosome Abnormalities and Genetic Counseling.
Mögliche Auswirkungen von Mosaiken
KARYOTYPE
Embryo / fetus
Relative
frequencies (%)
Normal
Normal
48
Normal
Abnormal
Normal
25
CPM
Abnormal
Abnormal
Normal
16
IV
TFM
Abnormal
Normal
Abnormal
0
V
TFM
Normal
Abnormal
Abnormal
4
VI
TFM
Abnormal
Abnormal
Abnormal
7
Type
Nature
Trophoblast
Villus core
Short term culture
Long term culture
I
CPM
Abnormal
II
CPM
III
Nach Gardner & Sutherland: Chromosome Abnormalities and Genetic Counseling.
Trisomie 21 ein variables Syndrom: Fall 2
In Lymphozyten:
Joséphine und Maura : 46,XX[141]/46,XX,-21,i(21)(q10)[1]
Etwa 1 % trisome Zellen, 99 % normale Zellen.
In Fibroblasten:
Maura:
46,XX[9]/46,XX,-21,i(21)(q10)[6]
Etwa 40 % trisome Zellen, 60 %
normale Zellen.
Mosaiktrisomie 21
Mit Hilfe von elterlichen,
genetischen Markern konnte die
vermutete Eineiigkeit
molekulargenetisch bestätigt.
Trisomie 21 ein variables Syndrom: Fall 2
Outlook
Genetics
Medicine
"I used to think of genetics as a
subspeciality of medicine……
Medicine
….now I think of medicine as a
subspeciality of genetics."
(Professor Fred Bieber, Harvard Medical School)
Genetics
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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