Der islamische Humanismus Eine Antwort auf die postmoderne Vorstellung von Humanismus in einem religiösen pluralistischen Kontext. Die Meinung von Abû Hâmid al-Gazâlî Bochum, 30. Oktober 2013 Das Projekt und die Gedankenwelt der Renaissance des Humanismus ist ein Teil der Philosophie und stellt den Menschen ins Zentrum. Der Mensch wurde humanisiert durch die Humanität, sein aktives Wissen, das mit dem „Psittazismus“ der Scholastik brach. Pico della Mirandola fasste diese Entwicklung in den bekannten Satz „Man kann nichts Wunderbareres in der Welt denken als den Menschen“ (aus seinem 1486 verfassten Werk „De dignitate hominis“). Der Humanismus war zu seiner Entstehungszeit nicht antireligiös eingestellt. Als Gargantura an seinem Sohn Pantagruel schrieb, dass „die Wissenschaft ohne Gewissen der Ruin der Seele sei“, schloss er folglich daraus, „Gott zu dienen, zu lieben und zu fürchten, nur auf ihn hin seine Gedanken zu richten, seine ganze Hoffnung zu setzen und sich an ihn durch liebenden Glauben zu binden, sich mit ihm zu vereinen, so dass er nie von ihm durch die Sünde getrennt wird.“1 Aber, wenn der Mensch in der Mitte des Humanismus steht, riskiert Gott dann nicht, dass er an die Peripherie geschoben wird, in das schmutzige Dunkel der Vororte, wohin kein Humanist mehr gehen will? Das ist die atheistische Interpretation des Humanismus, den Pater Lubac nicht aufgehört hat zu beschreiben, und dessen Ausdruck wir am ausgeprägtesten im neunzehnten Jahrhundert bei Ernest Renan in seinem L’Avenir de la science finden: „Ich bin der tiefsten Überzeugung, schreibt er, dass die Religion der Zukunft ein reiner Humanismus sein wird. Das heißt, der Kult des Menschen, das Leben wird geheiligt und zu einem moralischen Wert erhoben. Seine einmalige Humanität wird zum Gesetz und wir seine Propheten und zwar ohne eine besondere Form, ohne Grenzen einer Sekte oder einer exklusiven Bruderschaft. Eine weite und offene Wissenschaft, ohne eine andere Grenze als die der Vernunft, ohne geschlossene Symbole, ohne Tempel und ohne Priester, die sich in der sogenannten profanen Welt wohl fühlen, das ist die Glaubensformel, die allein nun die Humanität leitet.“ Der Humanismus ist zur Religion ohne Gott geworden. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Humanismus dem Islam fremd. Er ist es sicherlich in seiner a theistischen Ausdrucksweise, aber auch in seiner ursprünglichen Definition eines Erasmus, Montaigne, Melanchthon und anderen aus der Zeit der Renaissance. Der Islam ist nicht die Religion der Inkarnation. Er ist nicht die Religion des Wortes, das Fleisch annahm, und Christus nicht der Sohn Gottes, der Mensch par exellence, das Maß des wahren Humanismus, wie Papst Benedikt XVI. ihn definierte.2 Oder wie Maurice Zundel schreibt, „ die Hostie ist der Mensch, denn der Herr ist unter uns; und nicht, um in einem Tabernakel eingeschlossen zu 1 2 ème François Rabelais. Pantagruel, Chapitre 8 . Benedikt XVI in seiner Botschaft an die Päpstliche Akademie 2005. 1 sein. Er will der Sauerteig sein, der uns vergöttlicht und uns in ihn umbildet. Der Mensch ist der wahre Tabernakel.“3 Maurice Zundel entwickelt eine Theologie, die alle Konsequenzen aus der Inkarnation aufzeigt und die den Menschen nicht nur in seiner Gottesebenbildlichkeit sakralisiert, sondern auch indem er zur Wohnstatt Gottes wird. Dieser doppelte Aspekt begründet den Humanismus in seiner christlichen Ausprägung, den wir nicht im Islam finden. Der Islam ist nicht die Religion des perfekten Menschen (al-insân al-kâmil). Der Islam ist die Religion des absoluten Monotheismus (tawhîd), der Allmächtigkeit und der Transzendenz Gottes. Allâh spricht zum Menschen nur durch eine „Offenbarung oder hinter einem Schleier“ (Koran 42,51)4. Das, was er den Menschen offenbart, sind seine Namen, seine Attribute, nicht aber das intimste Geheimnis seines Seins. Aus Barmherzigkeit ist er dem Menschen, seinem Geschöpf, nahe, „näher als die Schlagader“. (Koran 50,16). Der Mensch ist nur eine Schöpfung, der nahe oder benachbarte Gott wohnt nicht in ihm. Der Mensch ist nicht der Tabernakel. Der Ausdruck „islamischer Humanismus“ ist eine contradictio in terminis, denn für den Muslim steht Gott im Zentrum, der Humanismus stellt den Menschen dagegen ins Zentrum. Aber kehren wir zurück zur Ermahnung von Pico della Mirandola, um uns überraschen zu lassen: „Legi, Patres colendissimi, in Arabum monumentis, interrogatum Abdalam Sarracenum, quid in hac quasi mundana scaena admirandum maxime spectaretur, nihil spectari homine admirabilius respondisse“, d.h. „Sehr verehrte Väter, ich habe in den Schriften der Araber gelesen, dass der Sarazene Abdallah, als er gefragt wurde, welche Erscheinung auf der Bühne, die die Welt ihm bietet, er am höchsten bewundert, darauf antwortete, dass das in seinen Augen der Mensch sei!“. Die genaue Einordnung des Zitates offenbart, dass sein Autor kaum Pico della Mirandola sein kann. Unser Humanist ist nur der Überbringer, denn das Zitat kommt von einem Araber, genauer von einem Sarazenen, folglich einem Muslim. Ohne die schwierige Frage zu beantworten, wer dieser „Abdallah“ ist, zeigt dieses Zitat doch, dass auch im Islam eine humanistische Dimension zu finden ist, und dass diese auch den Humanismus der Renaissance befruchtet hat. Man muss also auch in den islamischen Quellen suchen und sich vergewissern, welche Vision vom Menschen wir im Koran und bei bestimmten muslimischen Gelehrten finden, um einen „islamischen Humanismus“ zu zeichnen. Weiter muss die Natur dieser Form von Humanismus präzisiert werden. Beinhaltet er eine ontologische Dimension des Menschen oder ist er „kommunitaristisch“? Anders gefragt, steht im Zentrum des islamischen Humanismus der Mensch als solcher oder der Mensch als Muslim? Sind die menschliche Solidarität oder die Pflichten dem Menschen gegenüber begründet und sind sie gerechtfertigt durch die Natur 3 Maurice Zundel, Vivre Dieu, Presses de la Renaissance, 2007. Die Koranzitate stammen aus der Übersetzung von R. Paret: Der Koran. Freiburg, Herder. (Anm. des Übersetzers) 4 2 des Menschen – das wäre die ontologische Dimension -, oder dadurch, dass er zur umma, zur islamischen Gemeinschaft gehört? Die Bedeutung der Frage ist nicht ohne Folgen für die Beziehungen zwischen den Kulturen und Religionen im Prozess der Globalisierung. Er berührt das Fundament und stellt die Frage nach der „convivencia postmoderna“, eine reale Herausforderung für viele europäische Städte wie Brüssel, Rotterdam, Marseille, Berlin und Leicester. Ein Anliegen von IDEO5 war es, den Humanismus im Islam herauszuarbeiten und zu erklären. Dafür zeugen sowohl die Veröffentlichungen in MIDEO6 von Pater Anawati und seine anderen Veröffentlichungen als auch die von Serge de Beaurecueil und Jacques Jomier. Sie suchten im Koran – dafür zeugt die Veröffentlichung von Jomier, „Dieu et l’homme dans le Coran“ – aber auch bei den Mystikern, den Theologen und bei den muslimischen Philosophen den Platz, den der Mensch im Islam einnimmt. Ihre Methode setzten sie zielgerichtet auf das goldene Zeitalter im Islam ein. Ich möchte ihre Arbeit fortsetzen, indem ich als Ausgangspunkt meiner Darlegungen den Gelehrten Abû Hâmid al-Gazâlî (gest. 1111) nehme. Er ist in einer Person Philosoph, Theologe und Sufi und bekam den Ehrentitel Huggat al-islâm, der Beweis des Islam. P. Anawati sprach von ihm als dem Heiligen Thomas von Aquin des Islam. Al-Gazâlî ist nicht zu umgehen, denn er wird heute sowohl von den Wahhabiten, den Muslimbrüdern, den Sufis und den neuen Denkern zitiert. Und in der Tat zeigt es sich, dass seine geistliche Summa l’Ihya‘ ulûm al-dîn uns immer wieder überrascht. Die koranischen Aussagen über den islamischen Humanismus Etymologische Vorbemerkungen Im Koran finden wir zwei Begriffe für Mensch: insân (65x) und bashar (36x). Die Lexikographen betonen, dass bashar gebraucht wird, ohne auf das Geschlecht und die Zahl einzugehen. Er bezeichnet sowohl die Frau als auch den Mann, ein Individuum als auch mehrere. In seiner ersten Bedeutung bezeichnet bashar Epidermis oder Fleisch, das, was sichtbar ist. Ihm liegt eine fleischliche Dimension zu Grunde, d.h. die sterbliche Dimension. Oft wird bashar im Gegenüber zu den Engeln (malak) oder geistliche Wesen (Koran 12,31) gebraucht. Die etymologische Bedeutung von insân ist komplexer und die Wurzel ist offen für mehrere Interpretationen. Die meisten vertreten die Meinung, dass die Wurzel „a.na.sa“ sowohl Korrektheit oder Freundlichkeit bedeutet. Das Verbum bedeutet „höflich sein“ oder „familiäre Bande pflegen“. Insân kann auch in Verbindung mit der Pupille im Auge in Verbindung gebracht werden: Der Mensch ist ein Sein, das zwischen den Dingen, speziell durch die Sprache, unterscheiden kann. Einige Exegeten vertreten eine dritte Interpretation, indem sie insân mit nusyân in Verbindung bringen und dann steht er für „Vergessen“. Das Lexikon der arabischen Sprache von Ibn Manzûr (1233-1312) beruft sich dabei auf Ibn Abbas, der sagt: „Der Mensch wird „insân“ genannt, weil Gott ihm eine Allianz anbietet, er sie dann aber ver5 6 Institut Dominicain d’Etudes Orientales (Anm. des Übersetzers) Mélanges de l’Instiut Dominicain d’Etudes Orientales (Anm. des Übersetzers) 3 gisst“. Diese freie Interpretation kann sich aber auf den Koran 20,115beziehen: „Tatsächlich hatten wir doch früher Adam eine Empfehlung gemacht (dem verbotenen Baum fernzubleiben und nicht auf den Satan zu hören). Aber er vergaß (wozu er verpflichtet war). Und wir fanden bei ihm keine Entschlossenheit (den rechten Weg einzuhalten).“ Wenn bashar das Gegenteil der geistlichen Welt ist, die durch die Engel gebildet wird, dann ist insân das Gegenteil der tierischen Welt (bayawân). Seine Bedeutung ist vielfältiger und bezieht sich auf die unterschiedlichen Dimensionen des Menschen: Geschöpf, das gleichzeitig geistig und körperlich, sterblich und unsterblich ist. Aber was ist der Mensch? Aus was ist er erschaffen? Die menschliche Existenz ist nicht das Produkt des Zufalls oder der Evolution, sondern des göttlichen Willens. Wenn er existiert, dann, weil er von Gott gewollt ist. Daraus folgt, dass jeder Mensch Gott wegen seiner Existenz danken muss; dies zeigt er, indem er gegenüber seinen Geboten gehorsam ist. Die ontologische Dimension des Menschen wird folgendermaßen im Koran 4,1 beschrieben: „Ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen geschaffen hat, und aus ihm das ihm entsprechende andere Wesen und aus ihnen beiden viele Männer und Frauen (hat hervorgehen und) und diese sich (über die Erde) hat ausbreiten lassen! Fürchtet Gott, in dessen Namen ihr einander zu bitten pflegt, und die Blutsverwandtschaft! Gott passt auf euch auf.“ Dieser Vers ist fundamental, denn er definiert die Einheit der Menschen, die die Grenzen von Rasse, sozialer Zugehörigkeit und Religion überschreitet. Da er den Menschen aus „feuchter Tonmasse“ (min salsâl min hamâ‘ masnûn) (Koran 15,26) geschaffen hat, ist er nicht frei von einer gewissen Zahl ontologischer Schwächen: er ist von ängstlicher Natur (Koran 70,19-21); wenn er glücklich ist, befürchtet er, dass das Glücksgefühl ihn verlässt und er unglücklich wird, und er hat nicht die Geduld, das Übel zu ertragen. Auf der anderen Seite, manifestiert er eine wirkliche Undankbarkeit (Koran 10,12). Er ist ängstlich und es fehlt ihm das Vertrauen in Gott. Er ist gierig nach den materiellen Gütern und ängstigt sich ständig um seine Nahrung. Seine Stärke ist nicht die Hingabe, welche innere Ruhe (shukûn) und inneren Frieden (tuma’nîna) hervorbringt. Nach Gazâlî entwickelte sich eine geistige Verflachung des Menschen im Laufe der Geschichte: die goldene Zeit ist nicht vor uns, sie ist nicht heute, sondern sie gehört der Vergangenheit an: Die Menschen teilen sich in vier Kategorien ein: Von hundert Individuen sind 90 von Zweitursachen bestimmt; von den übrigen 10 leben sieben in bewohnten Orten und setzen sich so – durch ihr Dasein und ihrer Bekanntheit- den Zweitursachen aus. Die letzten drei sind diejenigen, die in die Wüste ziehen. Zwei von ihnen sind darüber unzufrieden und nur der dritte kommt erfolgreich in die Nähe Gottes. Diese Zahlen ent- 4 sprechen wahrscheinlich den vorhergehenden Generationen, so dass heute vielleicht nur einer von Zehntausenden sich von den Zweitursachen löst.7 Der Mensch, aus „feuchter Tonmasse“ geschaffen, ist ein schwaches Wesen, ängstlich, angstvoll und undankbar. Jedoch hat Gott diesem widerlichen Schlamm seinen Lebensatem eingehaucht. Diesem Grundstoff hat Gott eine harmonische Form gegeben, so dass er den Engeln befahl, sich vor ihr nieder zu werfen (Koran 15, 26-33). Die Erschaffung des Menschen hatte zur Folge, dass Iblis sich auflehnte, daraufhin verdammt wurde und deshalb zum unversöhnlichen Feind des Menschen wurde. Dieser Mensch, von Gott geschaffen, wird mit dem Begriff insân bezeichnet, dann mit dem Terminus bashar. Die bashariyya des Menschen, seine plastische, oder materielle Erscheinung ist die Angriffsfläche von Iblis. Denn der Ursprung seiner Verdammung ist in seinem Irrtum bezüglich des Menschen begründet. Er betrachtete den Menschen nur als ein materielles Wesen – das was mit bashar bezeichnet wird – und nicht als ein spirituelles Wesen, welches ihn vom Tier unterscheidet. Diese ontologische Dignität, die dem Menschen eigen ist, wird unterstrichen durch die Aufgabe, die Gott ihm anvertraut: sein Stellvertreter zu sein. Der Stellvertreter Die ihm anvertraute Aufgabe wird im Koran 2,30 folgendermaßen beschrieben: „Und damals als dein HERR zu den Engeln sagte: Ich werde auf der Erde einen Nachfolger einsetzen! Sagten sie: ‚Willst du auf ihr jemand (vom Geschlecht der Menschen, einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt‘, wo wir (Engel) dir lobsingen und deine Heiligkeit preisen? sagte er: ‚Ich weiß (vieles), was ihr nicht wisst.“ Der zentrale Begriff ist das Wort khalîf und er bedeutet sowohl Nachfolge, Substitution, Gouvernance, Verwaltung und Erbschaft. Der Historiker und Exeget Tabarî (gest. 923) interpretiert den Begriff dahin gehend, dass er dem Menschen die Verwaltung der göttlichen Gerechtigkeit anvertraut. Die Sprachwurzel ist vieldeutig, denn kha.la.fa bedeuten sowohl ergänzen, als auch ersetzen und nachfolgen. Ist der Mensch also Verwalter der Gerechtigkeit Gottes oder Herr der von Gott geschaffenen Welt? Ist er Nachfolger, dann ist er die Mitte der Schöpfung. Eine Idee gegen die Ibn Taymiyya (gest. 1328) sich erhoben hat, denn sie verdunkelt die absolute Transzendenz Gottes. Dagegen übernehmen die modernen und heutigen Gelehrten wie Muhammad ‘Abdu und Sayyid Qutb diese Interpretation, die in diesem Vers die Stellvertretung Gottes durch die ganze Menschheit lesen. Bidar definiert den Menschen als Erben Gottes und er ist selbst der Herr seines Schicksals. Wenn der Koran den Menschen zum Erbe Gottes erklärt, dann ist er nicht mehr der Sklave, der seinem Herrn gehorcht oder der gegen ihn rebelliert, sondern er ist der von Gott selbst Freigelassene. Man kann also sagen, dass der Koran der Behauptung von Pico della Mirandola zustimmt, dass es nichts „Wunderbareres gibt als den Menschen“8. 7 8 Al-Gazâlî : Kitâb al-tawhîd wa al-tawakkul. (K. 35, S. 1631 ; fr. S. 145. Abdennour Bidar, L’islam sans soumission. Paris: Albin Michel, 2008. 5 Diese koranische Perspektive, – zwar unter einem anderen Blickwinkel - proklamiert den universellen Humanismus wie der Humanismus, der in der christlichen Tradition verankert ist. Beide geben dem Menschen eine Würde oder eine Verantwortung, die auf einer ontologischen Basis gründet. Damit aber hat diese Anthropologie die soziale Gerechtigkeit befruchtet, eine Gerechtigkeit, die die religiöse Zugehörigkeit transzendiert. Der Islam muss sie gesellschaftspolitisch umsetzen. Dem steht allerdings die „kommunitaristische“ Ausrichtung der umma entgegen, denn in der Vergangenheit wurde dem Muslim als Muslim ein Sonderrecht eingeräumt, das dem ontologischen und universalen Charakter, wie er im Koran beschrieben wird, widerspricht. Der islamische Humanismus in Konfrontation zum islamischen „Kommunitarismus“ Die „Kommunitaristische“ Dimension des Islam bekommt seine Bedeutung durch den Stellenwert, den die umma im islamischen Glauben einnimmt. Die umma bezeichnet die Gemeinschaft der Gläubigen, eine universelle Gemeinschaft, die die nationalen Grenzen überschreitet. Die umma ist die Urgemeinde, die die Gläubigen in Ägypten, in Indonesien oder in Frankreich vereint. Nach dem Koran 3,110 ist die „umma die bestmögliche Gemeinschaft auf Erden“, der Gott beisteht (mansûra) und die den Auftrag hat, die Welt zu erneuern. Die umma ist eine religiöse Gemeinschaft, in der das Gesetz gelebt, befolgt und ihm gehorcht wird. Nach Roger Arnaldez ist der Islam keine „Ethik der Tugenden“: Der Begriff fadîla, den die Philosophen für Tugend verwenden, ist kein koranischer Begriff.9 Islam ist eine Moral für die Handlung. Der Mensch ist Muslim, in dem er den Islam praktiziert, das Gesetz, das die von Gott in seiner Gerechtigkeit gegebene Rechtleitung, anwendet. Der Wert des „Muslimseins“ liegt mehr darin, was er tut, als in dem, was er ist oder was er glaubt. Daraus entsteht die einzigartige Solidarität unter den Muslimen. Da sie die umma als Mutter haben, sind sie untereinander Geschwister. Diese Ausrichtung auf Gemeinschaft ist das Beziehungsband, das die Muslime miteinander verbindet, es führt aber auch gleichzeitig zur Segregation, denn der Nichtmuslim hat nicht die gleichen Rechte wie der Muslim, weil er nicht die gleichen Pflichten erfüllt. Daraus folgt, dass das Verhältnis zu einem Nichtmuslim nicht das Gleiche ist, wie gegenüber einem Muslim. Die religiöse Ehrerbietung annulliert die Ehrerbietung, die dem Menschen als Menschen entgegengebracht werden sollte. Dafür finden wir eine gute Erklärung im 15. Buch der Ihya‘ ‚ulûm al-dîn, wo es heisst: âdâd al‚ulfa wa al-‚uhuwwa wa al-suhba, übersetzt, Das Regelbuch für den Anstand, der Brüderlichkeit und der Freundschaft. Liebe und Abneigung Gottes Al-Gazâli weist auf die Notwendigkeit hin, Gott zu lieben und Gott zu hassen. Das Thema der Abneigung Gottes ist ein klassisches Thema in der islamischen Spiritualität. Gazâlis Schrift antwortet auf Fragen bezüglich der Menschenliebe und des Menschenhasses. Wie kann man 9 Roger Arnaldez: Aspects sociaux et religieux de l’humanisme musulman. Communauté musulmane, Données et débats. Paris : PUF, 1978, S. 53. 6 Gott lieben? Sicherlich dadurch, dass die Säulen des Islam praktiziert werden. Aber Gazâlî weist darauf hin, indem er sich auf eine Offenbarung an Moses bezieht, dass jede Säule, das Gebet, der zakat und das Fasten zum Wohl des Menschen beiträgt, aber nicht das Wohl Gottes erhöht. Das Gebet ist eine Prüfung (burhân), das Fasten eine Rüstung (djunna), die Spende ein Schutz und die legale Steuer eine Leuchte (nûr).10 Etwas für Gott zu tun bedeutet, Gottes wegen in Freundschaft jemand als Freund und in Ablehnung jemand als Feind anzunehmen. Der Freund ist per definitionem ein Bruder, also ein Muslim. Gott zu lieben heißt also einen muslimischen Bruder als Freund ansehen. Die Sicht scheint ein gewichtiges Argument für den islamischen Kommunitarismus und zum Nachteil einer universalistischen Anthropologie zu sein. Muss man daraus schließen, dass ein Nichtmuslim ein Feind Gottes ist, weil er nicht zur islamischen Gemeinschaft gehört? Muss der Muslim ihn hassen, Gottes wegen ihn hassen? Eine oberflächliche Lesung des Textes scheint dies zu bestätigen. Der Feind ist der, der sich im Allgemeinen gegen die Gebote Gottes auflehnt oder nach Gazâlî „sei es gegen sein Credo oder sei es durch seine Aktionen. Er ist Häretiker oder ein Gottloser, wenn er das Credo verwirft, oder einer, der eine Häresie verkündigt.11 Er kann aber auch schweigen, doch der, „der schweigt, sei es aus Ohnmacht, sei es wohlüberlegt“.12 Diejenigen, die eine Abneigung gegen Gott haben, sind diejenigen, die den islamischen Glauben korrumpieren. Unser Autor sagt, dass der Gottlose dahin gebracht wird, damit er keinen Schaden mehr anrichten kann, oder dass er zum Sklaven gemacht wird, die höchste Stufe der Schande“.13 In diesem Kontext macht Gazâlî auch einen Unterschied zwischen den Nichtmuslimen: bezüglich dem dhimmi, dem Beschützten – hier handelt es sich im allgemeinen um einen, der zu den Besitzern des Buches gehört – dass es nicht erlaubt sei, ihn anders zu bestrafen als dass man sich von ihm abwendet. Dieses erscheint unscheinbar, doch angesichts der Tatsache, dass heute Kirchen und Kathedralen mit dem Ruf Allahu Akbar zerbombt werden, bietet der Lehrer des Islam eine friedliche Interpretation für die Beziehungen zwischen den drei monotheistischen Religionen an: „Es ist angemessen, keinen Kontakt mit ihm zu pflegen, mit ihm zu verhandeln oder zum Kommissionaire zu machen. Wenn man entspannt mit ihm umgeht wie mit einem Freund, dann ist dies zu verurteilen, ja es muss sogar verboten werden“. Diese Haltung kann sich auf den Koranvers 58, 22 berufen: „Und du wirst nicht finden, dass Leute, die an Gott und den jüngsten Tag glauben, mit denen Freundschaft halten, die Gott und seinen Gesandten zuwider handeln, auch wenn es ihre Väter, ihre Söhne, ihre Brüder oder ihre Sippenangehörigen wären“. Oder Koran 60,1: „Ihr Gläubigen, nehmt euch nicht meine und eure Feinde zu Freunden, indem ihr ihnen (eure) Zuneigung zu erkennen gebt, wo sie doch nicht an das glauben, was von der Wahrheit (der Offenbarung) zu euch gekommen ist, und den Gesandten und euch (nur darum aus Mekka) vertrieben haben, dass ihr an Gott, euren Herrn glaubt!“. 10 Al-Gazâlî: Kitâb âdâb al-‘ulfa wa al-‘uhuwwa wa al-subha (Kap. 15, ar. S. 593) Ibid. 12 Ibid. 13 Ibid., K.15, S. 602 11 7 Aus dem Gesagten geht hervor, dass im islamischen Humanismus der gläubige Mensch, der Muslim im Zentrum steht. Dem Muslim steht es nicht zu, einen Nichtmuslim zum Freund zu nehmen. Ein Hadith sagt: „Der Einzelne folgt der Religion seines besten Freundes. Schau also, wen du zu deinem Freund machst.“ Die Solidarität zwischen den Menschen baut auf die Zugehörigkeit zur gleichen Glaubensgemeinschaft. Gerechterweise muss nun hervorgehoben werden, dass einem Muslim bestimmte Rechte zustehen, weil er Mitglied der muslimischen Gemeinschaft ist, dass es im Islam auch die Lehre der Nachbarschaft gibt, die dem Nichtmuslim teilhaben lassen an den Rechten, die seinem muslimischen Nachbarn zustehen. Das heißt, dass Gazâlîs Lehre von der Nachbarschaft es erlaubt, neu über Kommunitarismus und Universalismus nachzudenken. Er eröffnet die Diskussion über einen Humanismus im Islam, der in einer pluralistischen Welt, wo die Grenzen mehr und mehr verschwinden, zu einer „convivencia postmoderna“ führen kann. Die Nachbarschaftstheorie: Das Fundament des islamischen Humanismus Die Fragen nach der Nachbarschaft werden im Allgemeinen in den Ausführungen über die Gewohnheiten (adab) beantwortet. Bukhârî (gest. 256/870) behandelt dieses Thema in einem Kapitel seines Buches al-adab al-mufrad, wo er mehrere Hadithe bringt, die gleichsam wie ein Leitmotiv die prophetische Ermahnung, den Nachbarn als Erbe zu nehmen gleichsam als wenn Gott uns das befehlen würde. Der Ratschlag gilt sowohl für den zänkischen als auch für den jüdischen Nachbarn.14 Im Islam hat der Nachbar, sowohl der Muslim als auch der Nichtmuslim, Rechte. Die prophetischen Traditionen klären seine Rechte, die befolgt werden müssen. Al-Sulamî (gest. 412/1021) beschreibt in seinem Werk âdâb al-suhba (Die Regeln für eine spirituelle Begleitung) die Vorteile einer guten Nachbarschaft.15 Er unterstreicht die Notwendigkeit, dem Nachbarn bezüglich seiner Person, seiner Religion, seiner Familien, seines Vermögen und seiner Kinder Sicherheit zu gewähren. Er betont die Notwendigkeit, dem Nachbarn nicht übel nachzureden, ihn nicht wegen seiner Situation zu beneiden, ihm, seiner Familie und seinen Kindern gegenüber geduldig zu sein, so wie man es auch seiner eigenen Familie gegenüber ist. Ferner soll er sein Vermögen so beschützen, wie er sein eigenes beschützt. Sulâmî zitiert hier Verse von Abû Bakr al-Râzî, mit denen er die Ethik der gâhiliyya lobt. Ich zitiere meine französische Übersetzung: Mon feu et celui de mon voisin ne font qu’un De ma soupière, avant moi, je le sers avec soin Aucun voisin de mon voisinage contre moi ne récrimine Et si la voilure ne recouvre son vestibule Je fais l’aveugle quand apparaît ma voisine Jusqu’à ce que le voile la dissimule.16 14 Al-Bukhari: al-adab al-mufrad, Edit. Muhammad Nâsr al-Dîn al-Albânî, Dâr al-Siddiq, 2009, B. 55-B.70, S. 5765. 15 Al-Sulamî: âdâb al-suhba. Edit. M.J. Kister in Oriental Notesand Studiens. Jeruslam, 1954, Réédité dans Magmu’eye atar. Edit. N. Poorjavadi, Teheran, II, 1993, S. 62-127. 16 Ibid. S. 96 8 Die Aussagen, die allgemein klingen, werden von Gazâlî aber weiter entwickelt, indem er die Natur dieser Rechte genauer beschreibt. Er fügt sie dem Kapital an, in dem er die Rechte und Pflichten, die einem Muslim gelten, darlegt. So sagt er, dass man ihre guten Taten unterstützt, ihnen ihre bösen Taten verzeiht, ihnen gute Ratschläge gibt, ihnen Freude bereitet, ihre Ehre schützt, die Alten achtet und ihnen ein Lächeln schenkt.17 Alle diese Rechte stehen im Gegensatz zu den Rechten der Muslime gegenüber den Feinde Gottes, die er verachten muss. Al-Gazâlî führt in diesem Kontext auch die Nachbarschaftsrechte (huqûa al-gawâr) an.18 Er betont, dass der Nachbar „ein Recht hat, das über das hinausgeht, was die Brüderlichkeit im Islam fordert.“19 Diese Aussage ist von höchster Bedeutung als Fundament des Zusammenlebens der Religionsgemeinschaften nach Gazâlî . Das Zusammenleben auf gleichem geographischen Raum fordert nach ihm keine religiöse Abgrenzung. Der Raum in der „islamischen Stadt“, so wie er sie entwirft, ist nach ihm nicht kommunitaristisch aufgeteilt: Es gibt keine Stadtviertel nach der religiösen Zugehörigkeit der Bewohner. Für Gazâlî , juristisch gesprochen, ist der Nachbar der, der in den 40 Häusern in den vier Himmelsrichtungen20, die seinem Haus am nächsten sind, wohnt. Der geographische Standort definiert den Nachbarn und nicht die religiöse Zugehörigkeit. Die Nachbarschaft ist nicht durch die Grenze eines Viertels definiert, sondern durch die Bewohner, die innerhalb eines Gebietes, in dem das eigene Haus das Zentrum ist, wohnen. Diese nicht-kommunitaristische Konzeption wird bestätigt durch den Unterschied der drei Arten von Nachbarn: der muslimische Nachbar, mit dem man verwandt ist, der Muslim, mit dem man nicht verwandt ist und der Polytheist.21 Der Jude hat in der „Stadt Gazâlîs“ die gleichen Rechte wie ein Muslim. Alle Vorschriften und Empfehlungen werden nichtig, sobald der Nichtmuslim zum Nachbar wird, sei er Jude oder selbst Beigesellter (sirk). Diese Reche beinhalten sowohl die Nachsicht, das Wohlwollen als auch andere Verhaltensweisen wie zum Beispiel: Ich zitiere meine französische Übersetzung: Le droit du voisin consiste en premier lieu à le saluer, à ne pas le monopoliser dans la conversation ou à le retenir trop longuement, à lui rendre visite s’il est malade, à lui présenter ses condoléances aux jours où le deuil le touche et à le consoler, à le féliciter pour ses heureux moments, à lui pardonner ses fautes et ses défauts, à ne point l’espionner par la balconade ou la terrasse, à ne pas l’importuner par le mur mitoyen, à ne pas lui déplaire pour ce qui a trait à la canalisation des gouttières, à ne pas répandre de sable près de son entrée, à ne point restreindre l’accès à sa résidence, à ne pas espionner ce qu’il ramène chez lui, à le préserver de ce qui se manifeste de ses défauts, à le secourir est foudroyé par l’épreuve, à veiller à la garde de sa maison en 17 Ibid., K. 15, B.§, S. 630-653 (V.4. S.219). Ibid. K.15, B.3, h.2, S. 653-657 (V.4, S. 212-220) 19 Ibid. K.15, B.3., h2, S. 653 (V.4, S. 212) 20 Ibid. K.15, B.3.,h.2, S. 654. Al-Gazâlî s’agit d’un hadith rapport par al-Hasân al Basri: Al-Buhârî, Al-Adab almufrad, op.cit., B.59, hadith n° 109. La construction des cites irano-khorassaniennes suit le principe person de cercles concentriques. Du centre ou sont construitent la mosquée et le palais du prince, part quatre rues qui mènent aux quatre portes de la ville, la partageant en quartre quatiers situés aux autres points cardinaux . Hans Küng : Isalm, coll. Patrimoine Islam, Paris : 2006, Cerf, S. 356. 21 Ibid, K.15, B.3.,h.2., S. 653 (V4, s. 212) 18 9 son absence, à ne pas écouter les ragots le concernant, à baisser le regard en présence de sa femme, à ne pas fixer les yeux sur sa servante, à parler avec affection à ses enfants, à le pourvoir de conseil pour ce qu’il ignore des questions relatives à sa foi ou à sa vie ici-bas.22 Al-Gazâlî fügt hinzu: „dies noch über alle Rechte hinaus, die wir für die Gesamtheit der Muslime aufgeführt haben.“23 Der Respekt für diese Rechte gehört nach dem Theologen zu den Werken des Glaubens, und derjenige ist nicht im wahren Sinne gläubig, der sie ignoriert. Um dies zu bestätigen, zitiert er mehrere Hadithe, unter anderem einen aus dem adab almufrad, um seine Ansicht als konform mit der Sunna des Propheten zu erweisen.24 Die Haltung einem Nachbarn gegenüber wird also von der Religion (dîn) bestimmt. Sein Ausdruck gehört zum guten Charakter, das heißt, offen für eine gute Handlungsweise zu sein.25 Seine positive Einstellung gegenüber den asketischen und spirituellen Handlungen begründet er mit einem Hadith, der die Nichtigkeit des Gebetes und des Fastens betont, wenn man keine gute Einstellung gegenüber seinen Nachbarn hat (gâr)26. In mehreren überlieferten Hadithen wird explizit auf Juden hingewiesen, indem die Bedeutung der Gastfreundschaft und der Notwendigkeit, ihnen Gaben zu geben, betont wird. Wichtig ist es auch, sie an den Festen nicht zu vergessen und ihnen vom Opfertier einen Teil zu überreichen.27 Zum Beispiel soll an dem Tag, an dem das Tier zerteilt und es verteilt wird, der jüdischen Nachbarn als erster bedienen werden.28 Dieser Text aus der Ihyâ‘ zeigt, welche Bedeutung die Kontextualisierung für die Jurisprudenz für Ghazâlî hat. Alle Verhaltensnormen, die der Muslim einem Juden gegenüber anwenden soll, müssen allerdings nicht in jeder Situation und jedem Juden gegenüber beachtet werden. Das gilt auch gegenüber dem mushrik, das bedeutet gegenüber jedem Menschen. Gazâlî behauptet nicht, dass die religiösen Unterschiede zwischen den Nachbarn abgeschafft sind, und dass der muslimische Nachbar sowohl die Nachbarschaftsrechte als auch die Rechte hat, die er durch die Zugehörigkeit zum Islam hat. Er fügt im gleichen Absatz an, dass die Rechte des Nachbarn zu den Rechten gehören, die man einem Muslim zugesteht. Es ist erstaunlich, dass die Theorie der Nachbarschaft Gazâlî dazu führt, die Rechte des Nichtmuslims höher zu stellen als die, die dem Muslim in der Stadt als Nachbarn zustehen. Auf der anderen Seite muss man sich auf die symbolische Dimension der Definition des Nachbarn einigen. Die Zahl vierzig ist das Symbol für die Fülle, für die Ganzheit und für die 22 Ibid. K.15, B.3.,, h.2, S. 655 (V.4, S. 216) Ibid. K.15, B.3., h.2, S. 655 (V.4, S. 215) 24 Ibid. K.15, B.3., h2, S. 654 (V.4, S. 214) 25 Ibid. K.15, B.3., S. 654 (V.4, S. 214) 26 On interrogeait le Prophètes à propos d’une femme qui jeunait oute la journée et priait toute la nuit mais que avait un mauvais caractère si bien au’elle insultait ses visins. Le Prophète dit qu’il n’y avait rien de bon en elle et qu’elle comptait parmi les gens de l’enfer ». Al-Gazâlî, Ihy°a’ ‘ulûm al-dîn, op.cit., K22, b.1. S. 910 (V.5., S. 178, Hadith rapporté par Ibn Hanbal, Musnad, II, 440. 27 Ibid. K.15., B.3.,h.2, S. 656 (V.4. s. 217). 28 Ibid.K. 15., B.3., h.2, S. 656 (V.4, S. 217-218). 23 10 Perfektion.29 In diesem Sinn wird jeder Nachbar des anderen und die Aussagen Ghazâlîs bekommen eine universelle Dimension, wie sie der Jurist Ibrâhîm al-Naha’î oder ‚Amir al-Sa’bî, die zur hanafitischen Schule gehören, überliefert. Zusammenfassung Abschließend kann man sagen, dass al-Ghazâlî mit Blick auf den Nichtmuslim eine Position vertritt, die einerseits eine Diskriminierungen bejaht, die auf der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit basiert, und andererseits eine universelle humanistische Ethik vertritt, die den Nichtmuslimen vergleichbare Rechte überträgt, die für den Muslim gelten. Ferner entwickelt er eine Philosophie, die mit Empathie den „Anderen“ beachtet, was sich im täglichen Leben dann zeigt. Die „Stadt Gazâlîs“ muss den Islam verteidigen und ihn in die Herzen der Muslime einpflanzen. Und in dieser Sicht ist auch für Gazâlî der Nichtmuslim – egal ob er den Islam respektiert oder nicht – ein Feind, der aus der Stadt vertrieben werden sollte, sobald er den Islam oder die umma schädigt. Der Ausschluss muss aber einem rigorosen Protokoll folgen, das weder vom gewöhnlichen Gelehrten und noch weniger vom einzelnen Muslim aufgehoben werden kann. Aber die „Stadt Ghazâlîs“ ist auch die der Höflichkeit (adab), indem der Andere wie seinesgleichen behandelt wird und für den man das tut, was man auch für sich selbst tut.30 Indem er seiner Anthropologie treu bleibt, reduziert er adab nicht auf eine formelle und undifferenzierte Anwendung der Regeln unterschiedslos auf jeden Menschen. Der adab ist vielmehr die Sichtbarmachung (zâhir) einer inneren Anerkennung oder Annahme (bâtin) des Anderen als ein Geschöpf Gottes, und diese Anerkennung schließt eine tugendhafte Haltung (akhlaq) ein, die auch ein Name Gottes ist. Am Schluss des 15. Buches weist er darauf hin, dass man kein menschliches Wesen, sei es lebendig oder tot, gering schätzen soll; das könnte zu seinem Verderben führen, denn der Andere könnte besser sein als du es bist. Das trifft auch für einen ausschweifenden Menschen zu, denn es ist nicht sicher, ob sein Ende ähnlich sein oder er am Ende ein anderer sein könnte.31 Wenn die Freundschaft Gottes sich auf die Glaubensordnung bezieht, dann dekliniert sich die Freundschaft nach unterschiedlichen Modalitäten und schließt keinesfalls die Anerkennung des menschlichen Wertes als Geschöpf Gottes eines Nichtmuslimen aus. P. Emmanuel Pisani o.p. 29 Cette symmbolique des quarante se retrouve jusque dans les écrits d’al-Gazâlî : l’Ihyâ’ est composé de quarante livres, et sa version abrégée a pour titres al-arba’în fî usûl al-dîn, Les quarante fondements de la religion. 30 Henri Bergson parlerait à ce propos de l’amour de l‘égalité mais l’expression ne convient pas à notre auteur. 31 Al-Gazâlî: Kitâb âdâb al-‚ulfa wa al-‚uhwwwa wa al-shba. (K.15 ar. S. 652. 11