TITELGESCHICHTE Die Sonne ist der Hauptmotor für das Wetter und das Klima. Stephan Bader, Klimatologe Göttliches Licht STEPHAN BADER, BÉLA BARTHA, Dermatologe am Universitätsspital Basel Klimatologe beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz) Biologe und Geschäftsführer von Pro Specie Rara, Basel «Als Dermatologe sehe ich die Sonne, und hier natürlich die UV-Strahlung, primär als unseren Feind. Denn es ist klar erwiesen, dass übermässige UV-Belastung zu Hautkrebs führt, jede UV-Strahlung kann zu entarteten Zellen in der Haut führen, was zum Glück meistens vom Körper wieder automatisch repariert wird. Aber eben nicht immer. Dennoch kann man das Sonnenlicht nicht so apodiktisch verteufeln, weil es natürlich auch gute Aspekte zeigt. So wird zum Beispiel ein Teil unseres täglichen Vitamin-DBedarfs in der Haut mithilfe von UV-Licht produziert. Natürlich könnte man theoretisch ausreichend Vitamin D auch mit der Nahrung aufnehmen, dies reicht bei unseren heutigen Essgewohnheiten aber meistens nicht. Des Weiteren wird in der Haut durch das UV-Licht auch eine gewisse Menge an Endorphinen produziert, die zu einem Wohlbefinden des Individuums führt, was erklären könnte, warum wir uns so gerne in die Sonne legen. Wir Dermatologen setzen UV-Licht auch bewusst ein, um gewisse entzündliche Hauterkrankungen wie Schuppenflechte oder Neurodermitis zu behandeln.» «Die Sonne ist der Hauptmotor für das Wetter und das Klima. Sie liefert am Äquatorgebiet das ganze Jahr über viel Wärme, an den Polen im Sommer nur wenig und im Winter gar keine. Dieser Temperaturunterschied bringt die Luft grossräumig zum Zirkulieren, was wir täglich als Wetter und über die Jahre hinweg als Klima wahrnehmen. Die geballte Kraft der Sonne offenbaren uns Gewitter oder Wirbelstürme. Es ist das von der Sonne verdunstete Wasser, welches die dabei entfesselte Energie in die Atmosphäre bringt. Sonne bedeutet also nicht nur Schönwetter: Kein Regentropfen, keine Schneeflocke und kein Hagelkorn fällt ohne vorherige Wasserverdunstung durch die Sonnenwärme.» «Für mich als Biologe und Botaniker steht die Sonne für Lebensenergie, die sie über ihre Strahlen aussendet. Die Pflanze fängt diese ein, wandelt sie um und speichert sie über die Photosynthese in Form von Stärke und Zucker. Damit stehen die Pflanzen am Anfang einer Nahrungskette, deren Ende häufig der Mensch bildet. Pflanzen reagieren ganz unmittelbar auf die Sonne. Einige Pflanzen wie die Sonnenblumen richten ihre Blüten und Blätter jeweils nach dem Stand der Sonne aus und andere bilden im Schatten grössere Blätter, um auch bei wenig Sonnenlicht möglichst viel Strahlung einzufangen. Das Leben wird durch Wechselbeziehungen bestimmt und so ist die Sonne nur ein Faktor, der das Gedeihen einer Pflanze bestimmt. Das Wasser und die Nährstoffe im Boden sind in gleichem Masse für deren Entwicklung verantwortlich. Damit kann die Sonne ein Segen, aber auch ein Fluch sein, wenn sie erbarmungslos scheint, das Wasser als Lebenselixier jedoch fehlt. » 18 Coopzeitung · Nr. 28 vom 7. Juli 2015 Die Haltungsabfolge des «Sonnengruss» unter: www.coopzeitung.ch/sonne Ein häufiges Bild des Sonnengottes ist, wie dieser in einem Pferdewagen über den Himmel fährt. Die Sonne wurde in vielen antiken Hochkulturen personifiziert und als Gottheit verehrt. Dass diese oftmals als Hauptgottheit galt, zeigt die Macht und Kraft der Sonne. Der Name der Gottheiten bedeutet in den jeweiligen Sprachen oft einfach «Sonne». Surya, Helios und Apollon Der ägyptische Sonnengott Re/Ra wurde unterschiedlich dargestellt, etwa mit Falkenkopf, der die Sonnenscheibe trägt. Im alten Ägypten hiess der Sonnengott Re/Ra und war der wichtigste altägyptische Gott. Seine Kraft machte das Leben auf der Erde erst möglich. Sein Kultgegenstand war der Obelisk. Im Hinduismus heisst der Sonnengott Surya. Die aus dem Yoga bekannte Haltungsabfolge «Sonnengruss» heisst auf Sanskrit Surya Namaskara und bedeutet etwa «Ehre sei dir, Sonne». Der griechische Gott Helios wurde wegen seiner Macht oft mit Zeus gleichgesetzt, seines Zeichens der Göttervater. Später wurde bei den Griechen wie auch den Römern Phoibos Apollon als Sonnengott verehrt. Phoibos bedeutet auf Griechisch «der Leuchtende». Der Koloss von Rhodos war eine rund 30 Meter hohe Bronzestatue des Helios mit Strahlenkrone. Bei den Azteken war Huitzilopochtli, der Gott der Sonne und des Krieges, ebenfalls Hauptgott. Als Schuldzahlungen an die Götter opferten die Azteken ihre Kriegsgefangenen. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass die Sonne jeden Morgen erneut aufging. Auch in der chinesischen und japanischen Mythologie sind Sonnengottheiten bekannt. Männlich und weiblich In vielen Kulturen ist der Sonnengott männlich, in der nordischen Mythologie hingegen weiblich. Im Altnordi- schen heisst die Göttin Sól, im Althochdeutschen und Altsächsischen Sunna. Mit Ross und Wagen Ein in der Mythologie oft verwendetes Bild ist der Sonnenwagen, den die Sonnengottheit lenkt und der – je nach Religion – von unterschiedlich vielen Pferden über den Himmel gezogen wird. Die germanische Sonnengöttin lenkt deren zwei, der griechische Helios hat vier und der indische Surya gar sieben Pferde, die für die sieben Wochentage stehen. Obschon wir in unserer Kultur die Sonne nicht mehr als Gottheit verehren, richtet sich unsere Zeitrechnung nach ihr. Sie bestimmt nicht nur unseren Tagesablauf, auch unser Jahr mit 365 Tagen ist nach ihr ausgerichtet und wird entsprechend als Sonnenjahr bezeichnet. ● Coopzeitung · Nr. 28 vom 7. Juli 2015 19 Fotos: Getty Images, AKG-Images, www.fotofinder.com, Alamy, zvg DR. ANDREAS ARNOLD, ♦ Strahlkraft Wenn wir heute jemanden als «Sonnenanbeter» bezeichnen, verstehen wir darunter keinen religiösen Menschen. In vielen Mythologien wird die Sonne aber als Gott verehrt. TITELGESCHICHTE Wenn die Sonne nicht mehr untergeht: die Mitternachtssonne zur Sommersonnenwende in Alaska im Zeitraffer. Warum ist die Sonne so wichtig? SONNENWIND Beim Sonnenwind handelt es sich um einen Strom von geladenen Teilchen, der von der Sonne in alle Richtungen abströmt. Er besteht vorwiegend aus Protonen und Elektronen sowie aus Heliumkernen. Weg von 8,5 Lichtminuten auf der Erde ankommt, sorgt für Leben: Die Pflanzen brauchen das Licht, um zu gedeihen, die Tiere brauchen die Pflanzen als Nahrungsquelle und wir können ohne Pflanzen und Tiere gar nicht erst existieren. Allerdings profitieren nicht alle im gleichen Mass von der Sonne. Für die Pflanzen beispielsweise ist die UVStrahlung besonders wichtig, derweil diese bei uns Sonnenbrand verursacht und sogar ernsthaft krank machen kann. Aber das ist längst nicht alles: Die Sonne sorgt auch dafür, dass das Wasser in den Meeren verdunstet. Das führt zur Wolkenbildung und damit auch zum Regen. Sprich, die Sonne macht auch das Wetter. Dabei besteht sie nur aus heissem Gas. Trotzdem wiegt sie mehr als 300 000mal so viel wie die Erde. Entsprechend sind die Grössenverhältnisse: Wäre die Sonne ein Fussball, wäre die Erde daneben ein Stecknadelkopf. Allerdings hat alles ein Ende, auch die Sonne. Wenn sie ihre eigene Energie aufgebraucht hat, wird sie sich zu einem sogenannten «roten Riesen» aufblähen und dann zu einem «weissen Zwerg» schrumpfen und endgültig erlöschen. Allerdings nicht ohne vorher die Erde zu Fotos: Getty Images, zvg; Illustration: Sol 90 Images ●●● 16 Coopzeitung · Nr. 28 vom 7. Juli 2015 verglühen. Die Chance, dass wir das erleben, ist allerdings gleich null. Aktuell geht die Wissenschaft davon aus, dass unsere Sonne 4,5 Milliarden Jahre alt ist. Zum «weissen Zwerg» und damit erlöschen wird sie im Alter von 12,5 Milliarden Jahren. Sonne als Selbstverständlichkeit Bis dahin wird die Sonne weiterhin eine Hauptrolle in unserem Leben spielen. Und das hinweg über alle Grenzen und Zeiten: Kaum ein Volk, das nicht Feste und Bräuche zelebriert, die mit der Sonne in Verbindung stehen. Und kaum eine Kinderzeichnung, die ohne lachende Sonne am oberen Bildrand auskommt. Ganz zu schweigen davon, dass Sonnenuntergänge zu den meistfotografierten Sujets überhaupt gehören. Bei all dem wird die Sonne so selbstverständlich wahrgenommen, dass ihre Wichtigkeit oft in Vergessenheit gerät. Wir haben deshalb verschiedene Fachpersonen, vom Biologen über den Solartechniker und die Psychologin bis zur Astrophysikerin gefragt: «Warum ist die Sonne so wichtig?». Herausgekommen ist ein spannendes Porträt über den Stern, der unser Leben von A–Z bestimmt. Aber lesen Sie selbst.● MARGARETHE LETZEL, ADRIAN KOTTMANN, DR. INGO NENTWIG, PROF. DR. MARCELLA CAROLLO, Psychotherapeutin FSP, Luzern Fachexperte Solartechnik, Ebikon LU Ethnologe an der Universität Zürich Professorin für Astrophysik an der ETH Zürich «Die Dosis macht das Glück – auch bei der Sonne. Nicht nur die Haut, auch die Seele gedeiht nur mit dem richtigen Quantum Sonnenschein. Natürlich gehört die Sonne zu unseren Lebensgrundlagen, sie wärmt, sie erhellt und sie ist Taktgeber, wann es Zeit ist für Aktivität und Erholung. Sind wir erholt und voll Energie, dann ist das echte Lebensqualität. So wird die Sonne zum Lebenselixier. Gleichzeitig kann ein sonniger Tag aber auch schwer belasten. Ist man aufgrund bedrückender Entwicklungen verzweifelt und fühlt sich leer, wird ein heiterer Sommertag als scharfer Kontrast zur Qual. Gerade dann gilt es, besonders umsichtig für sich zu sorgen und sich vielleicht nur ein ganz kleines Quantum Sonne zu gestatten – auf dem Weg zurück zur guten Balance.» «Seit Milliarden von Jahren produziert die Sonne unerschöpflich Energie. Diese Sonnenenergie lässt sich direkt zur Produktion von Strom oder Warmwasser und indirekt für Wasserkraft- und Windkraftanlagen effektiv nutzen. Die Sonnenkraft ist gewaltig, global und deckt weit über 1000-mal den gesamten Energiebedarf unseres Planeten ab. Im letzten Jahrhundert wurde nach alternativen Energiequellen gesucht und geforscht. So wurden Energieträger wie zum Beispiel Kohle, Erdgas oder Erdöl als Brennstoff genutzt und gefördert. Sowohl ihrer begrenzten Verfügbarkeit und umweltschädlichen Auswirkungen als auch der politischen Abhängigkeiten und der Monopolisierung wegen werden sich diese alternativen Energiequellen langfristig nicht bewähren. Die Sonne ist daher so wichtig, weil sie mit ihrem Wellenspektrum den zukünftigen Energiebedarf der Erde weiterhin nachhaltig unterstützt und global verfügbar ist. Das Faszinierende ist, dass ich heute ein Haus bauen kann, das komplett mit Solarenergie betrieben werden kann. Dies wird in Zukunft Standard sein.» «Für den Ethnologen ist die Sonne bei der Forschung ungeheuer wichtig: In Wüsten und Tropen leidet er unter ihrer Kraft, versteckt und verhüllt sich, trinkt und schwitzt wie verrückt. Die jeweiligen Eingeborenen sehen es mit Staunen. In Sibirien und bei den Inuit leidet er unter ihrer Schwäche oder in der Polarnacht unter ihrem Fehlen. Er packt sich warm ein und friert trotzdem. Die jeweiligen Eingeborenen sehen es mit Staunen. Zurück an der Universität, im klimatisierten Hörsaal, da erzählt der Ethnologe seinen Studierenden von Sonnengöttern und Sonnenkulten, von Sonnenmythen, Sonnentänzen und Sonnenwendfeiern. In Wüsten und Tropen, in Sibirien und bei den Inuit erzählen die jeweiligen Eingeborenen von schwitzenden und frierenden Ethnologen.» «Unsere Sonne ist einer von etwa hundert Milliarden Sternen, welche in unserer Galaxie – der Milchstrasse – durch die gegenseitige Gravitationskraft zusammengehalten wird. Mit etwa hundert Milliarden Galaxien im Universum könnte man meinen, dass die Sonne, aus einer astronomischen Perspektive, bedeutungslos ist. Und trotzdem: Die Sonne ist der Stern im Zentrum unseres Sonnensystems und wir verdanken ihrer Existenz, dass unser Planet, die Erde, mit uns auf ihrer Oberfläche, ebenfalls existiert. Alle Planeten in unserem Sonnensystem, einschliesslich der Erde, formten sich vor rund 4,5 Milliarden Jahren aus diffusem Gas und Staub, die übriggeblieben sind, nachdem die Gravitation einen fast perfekt runden und heissen Ball aus Gas, unsere Sonne, geformt hat. Und es ist die Sonne, welche jedes Jahr Energie auf die Ozeane, die Atmosphäre, das Land und die Biosphäre der Erde bringt, die rund 44 Millionen grossen elektrischen Kraftwerken entspricht. Das entspricht klar dem Hauptteil an Energie, welche für das Leben auf der Erde gebraucht wird, um zu existieren.» Coopzeitung · Nr. 28 vom 7. Juli 2015 17 ●●● Rund 8,5 Minuten: So lange dauert es, bis das Licht der Sonne auf die Erde trifft. TITELGESCHICHTE Lebenselixier OHNE DIE SONNE GEHT NICHTS KORONA Dieser äussere Teil der Sonnenatmosphäre besteht aus Gas und Staub und weist eine deutlich kleinere Leuchtkraft als die Photosphäre auf. ♦ Gleissend Um herauszufinden, was sie für unser tägliches Leben bedeutet, stellten wir einer Expertenrunde die Frage: «Warum ist die Sonne so wichtig?» NOËMI KERN, STEFAN FEHLMANN SONNENFLECKEN Es handelt sich dabei um Zonen von kälteren Gasen in der Photosphäre. Sie sind von der Erde aus als dunkle Flecken sichtbar. KERN Im Kern herrschen Temperaturen von gegen 15 Millionen Grad. Die hier gebildete Energie fliesst dann direkt an die Oberfläche. KONVEKTIONSZONE Foto: Sciencephotolibrary; Illustration: Sol 90 Images Von dieser Schicht aus fliessen Gasmassen in den Kern, wo sie erhitzt werden und sodann wieder an die Oberfläche strömen. K ann uns etwas, das sich rund 150 Millionen Kilometer von uns entfernt befindet, nahe stehen? Und ob! Die Sonne ist die Basis unseres Seins. Ohne sie gäbe es uns nicht, wäre Leben in der uns bekannten Form auf der Erde nicht möglich. Sie bestimmt alles, vom Klima auf den Kontinenten bis hin zu den mikrochemischen Prozessen in unserem Hirn. Scheint die Sonne, steigt unsere Laune und der Glaceverkäufer frohlockt, ist es dunkel und grau, verfallen wir eher negativen Stimmungen. Was natürlich das Reisebüro freut, das mit Reiseangeboten an sonnige Destinationen lockt. Die Sonne macht das Wetter PROTUBERANZ Hierbei handelt es sich um heftige Materieströme. Sie erreichen eine Länge von weit über 100000 Kilometern und eine Höhe von bis zu 40000. 14 Coopzeitung · Nr. 28 vom 7. Juli 2015 PHOTOSPHÄRE Dabei handelt es sich um den sichtbaren Teil der Sonne. Hier treten die Gase aus dem Kern an die Oberfläche und bilden Sonnenflecken. Temperatur um die 6000 Grad. Dabei ist es einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass unser Lebensspender derart weit von uns entfernt ist. Mit einer Oberflächentemperatur von rund 6000 Grad ist ein gewisser Abstand durchaus angebracht. Doch das, was an Strahlung und damit Licht nach einem ●●● Coopzeitung · Nr. 28 vom 7. Juli 2015 15