Das Superfizielle Muskuloaponeurotische

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Institution:
Klinik und Poliklinik für Otorhinolaryngologie, Hals- und
Gesichtschirurgie der Universität, Universitätsspital Zürich
Direktor:
Herr Prof. Dr. med. S. Schmid
Das Superfizielle Muskuloaponeurotische System
(SMAS)
in der Parotischirurgie
Dissertantin: Andrea Verena Wille-Bischofberger
von Zürich/Basel/Appenzell(AI)
Leiter:
Herr PD Dr. med. Th. Linder
Leitender Arzt, Abteilung Otologie
Klinik und Poliklinik für Otorhinolaryngologie, Hals- und
Gesichtschirurgie der Universität, Universitätsspital Zürich
Referent:
Herr Prof. Dr. med. S. Schmid
Visum Referent:
2
Inhaltsverzeichnis
1. ZUSAMMENFASSUNG
3
2. EINLEITUNG
4
3. DAS GUSTATORISCHE SCHWITZEN ( FREY SYNDROM )
5
3.1 Historischer Ueberblick
5
3.2 Klinik und Pathophysiologie des gustatorischen Schwitzens
6
4. DAS SUPERFIZIELLE MUSKULOAPONEUROTISCHE SYSTEM (SMAS)
7
4.1 Historischer Ueberblick über das SMAS
7
4.2 Anatomie des SMAS nach Mitz und Peyronie
7
4.3 Diskussion von Anatomie und Histologie des SMAS in der Literatur
11
5. PATIENTEN UND METHODIK
15
5.1 Patienten
15
5.2 Methodik
17
6. RESULTATE
19
6.1 Anamnese
19
6.2 Klinische Untersuchung
20
6.3 Iod-Stärke Test
22
7. DISKUSSION
23
8. SCHLUSSFOLGERUNG
30
9. LITERATUR
31
3
1. Zusammenfassung
Das superfizielle muskuloaponeurotische System (SMAS) erlangt bei der Parotischirurgie
zunehmende Bedeutung zur Optimierung der Gesichtssymmetrie und zur Vermeidung
des symptomatischen gustatorischen Schwitzens (Frey-Syndrom). Die klassischen
Symptome des Frey-Syndroms sind Schwitzen, Rötung und Wärmeempfindung während
des
Essens
im
temporoparietalen-
und
Wangenbereich.
Eine
aberrante
Nervenregeneration gilt als pathophysiologische Erklärung.
Die Inzidenz des klinischen Frey Syndroms nach herkömmlichen Parotiseingriffen liegt
zwischen 43% bis 53%, der Jod-Stärke-Test fällt in nahezu 100% positiv aus. Mit der
Absicht, die Inzidenz des Frey Syndroms zu reduzieren, werden seit Jahren verschiedene
Operationstechniken angewandt. Unser Interesse gilt dem SMAS-Lappen, welchen wir
seit 1996 in der Parotischirurgie verwenden. Das SMAS ist eine in der lateralen
Wangenregion gelegene Bindegewebsschicht mit eingelagerten Fett- und Muskelzellen.
Es liegt in der Ebene des Platysmas und weist Bindegewebssepten zur Haut auf und wird
nach Ablösen des Haut- Subkutanlappens als separate Schicht entwickelt.
Im Zeitraum von 1996 bis 1998 wurde bei 25 Patienten während einem Parotiseingriff ein
SMAS-Lappen präpariert. Mindestens 12 Monate postoperativ wurden die Patienten
erneut evaluiert und die Kosmetik, sowie die Inzidenz und Ausprägung des Frey
Syndroms klinisch und mittels Jod-Stärke-Test geprüft.
Während in einer vorgängig durchgeführten Studie alle Patienten (n=23) nach
herkömmlicher Parotischirurgie einen positiven Stärketest hatten, wovon 43% subjektiv
symptomatisch waren, zeigte die Analyse der Patienten mit SMAS Lappen nur bei 20%
ein symptomatisches Schwitzen und bei der Testung eine statistisch hoch signifikante
(p=0,006) Reduktion der Intensität und Fläche des betroffenen Areals. Zudem wurde eine
Verbesserung der retromandibulären Einziehung und damit der Kosmetik festgestellt.
Wir empfehlen in der Parotischirurgie eine separate Präparation des SMAS-Lappens bei
Parotistumoren, welche die laterale Parotiskapsel nicht erreichen, weil damit die Inzidenz
des subjektiv empfundenen gustatorischen Schwitzens gesenkt und die Kosmetik
verbessert werden kann.
4
2. Einleitung
Das gustatorische Schwitzen, auch Frey Syndrom genannt, ist eine bekannte Folge der
Parotischirurgie. Die Inzidenz des klinischen Frey Syndroms liegt nach herkömmlichen
chirurgischen Eingriffen an der Parotis zwischen 43% bis 53%, das jeweils angewandte,
objektive Testverfahren fiel in 76% bis 98% positiv aus. Diese Zahlen entsprechen
sowohl unserer Erfahrung (T.E.Linder et al1) und werden auch im Literaturvergleich2 3 4 5
weitgehend bestätigt. Mit der Absicht, die Inzidenz des Frey Syndroms zu reduzieren,
werden seit Jahren verschiedene Operationstechniken angewandt, so zum Beispiel der
Sternocleidomastoid-Muskeltransfer6
7
, die Faszia-Lata-/ oder Fett-Interposition8 9,
sowie die Implantation von verschiedenen Materialien wie lyophilisierter Dura10,
Ethisorb oder e-PTFE5. Von zunehmendem Interesse ist die Präparation des superfiziellen
muskuloaponeurotischen Sytems, wodurch die Inzidenz des Frey Syndroms reduziert
werden sollte. 6 11 12 13 14 15
An
der
Klinik
für
Otorhinolaryngologie,
Hals-
und
Gesichtschirurgie
des
Universitätsspitals Zürich wird seit 1996 das superfizielle muskuloaponeurotische
System, auch SMAS genannt, bei chirurgischen Eingriffen im Parotisgebiet präpariert
und vor dem Hautverschluss über den Operationssitus zurückgelegt. Es ist zu betonen,
dass diese Präparation nur dann angewendet wird, wenn die allgemeinen Grundprinzipien
der Tumorchirurgie dadurch nicht kompromitiert werden.
Ziel dieser Arbeit ist es, im Rahmen einer prospektiven Studie an 25 Patienten, bei
welchen im Zeitraum von 1996 bis 1998 eine SMAS-Präparation durchgeführt wurde,
nach einem follow up von mindestens 12 Monaten, die Inzidenz des Frey Syndroms und
den Iod-Stärke-Test nach Victor Minor16 bezüglich Fläche und Intensität zu evaluieren.
Zusätzlich wird auch das kosmetische Resultat der Narbe und des Volumendefekts
beurteilt. Als Vergleichsgruppe dient uns das Patientenkollektiv aus der prospektiven
Studie (n=23) von Linder et al1 aus dem Jahre 1997, in welcher die Inzidenz des Frey
Syndroms und der Iod-Stärke Test nach herkömmlichen Parotisoperationen untersucht
wurde.
5
3. Das Gustatorische Schwitzen ( Frey Syndrom )
3.1 Historischer Überblick
Häufig wird Duphenix17 aus dem Jahre 1757 als Erstautor des Frey Syndroms zitiert. In
seinem Bericht wird ein Patient beschrieben, welcher bei einem Jagdunfall durch einen
Hirsch im Bereiche der Parotis verwundet wurde. Gemäss einer Arbeit von Dulguerov18,
in welcher „the correct history“
des Frey Syndroms nach Ueberarbeitung vieler
Publikationen und Referenzen beschrieben wurde, muss angenommen werden, dass es
sich bei Duphenix’s Patienten eher um eine Speicheldrüsenfistel als um ein klinisches
Frey Syndrom handelte. Baillarger19 beschrieb im Jahre1853 fünf Fälle, wovon 2 die
typischen Symptome des Frey Syndrom‘s zeigten. Obschon Baillarger die Symptomatik
fälschlicherweise auf eine Blockierung im Stenon‘schen Gang zurückführte, ist seine
Arbeit wohl die erste, welche die Symptome des Frey Syndroms adäquat beschreibt.
Seinen Namen verdankt das Frey Syndrom Lucie Frey20, einer polnischen Neurologin aus
Warschau, welche 1932 als Erste den Zusammenhang der autonomen parasympatischen
und sympatischen Innervation der Glandula parotis und der Innervation der
Schweissdrüsen der darüberliegenden Haut erkannte. Sie beschrieb nicht nur korrekt die
klinische Symptomentrias, sondern betonte auch als erste die Rolle des Nervus
auriculotemporalis und das zeitliche Intervall zwischen dem Trauma und dem Auftreten
der Symptomatik. Das Syndrom wird seither auriculo-temporales oder Frey‘sches
Syndrom genannt. Ursächlich vermutete sie jedoch fälschlicherweise eine Irritation von
sekretomotorischen Fasern des Nervus auriculotemporalis, welche postoperativ durch die
Operationsnarbe durchgewachsen sind und beim Kauen zum Anschwellen der Parotis
führten. Die pathophysiologische Erklärung der aberranten Nervenregeneration wurde
erst 1927 durch André Thomas gegeben21.
Im Laufe der Zeit wurde das Frey Syndrom mehrfach untersucht und beschrieben. So
auch im Rahmen grösserer Studien 1957-1959 von Laage-Hellman2
3 4
, in welchen
erstmals die Inzidenz und das zeitliche Intervall zwischen dem Auftreten der
Symptomatik und erlittenem Trauma untersucht wurden: so trat das Frey Syndrom bei
6
einigen Patienten bereits nach 5 Wochen, durchschnittlich nach 8 Wochen erstmals auf,
nur in einem Fall fiel der Iod-Stärke-Test erst nach einem Jahr positiv aus. Glaister et al22
befasste sich im Jahre 1958 in experimentellen Arbeiten mit den damaligen
verschiedenen pathophysiologischen Erklärungsmodellen, wobei er unter anderem das
Ganglion oticum und den cervikalen Sympathikus blockierte. Zuletzt favorisierte auch
Glaister das Modell der aberranten Nervenregeneration.
3.2 Klinik und Pathophysiologie des gustatorischen Schwitzens
Die klassischen Symptome des Frey Syndroms sind Schwitzen, Rötung und
Wärmeempfindung auf der betroffenen Gesichtshälfte im temporoparietalen Bereich
während des Essens.
Die pathophysiologische Erklärung lieferte André Thomas21 mit dem Modell der
aberranten Nervenregeneration: Die Glandula parotis wird sekretorisch durch
parasympatische Fasern des Nervus glossopharyngeus versorgt, welche via Mittelohr
über den Nervus tympanicus und den Nervus petrosus minor (Jakobson’sche
Anastomose) und dem Ganglion oticum zum Nervus auriculotemporalis gelangen und so
schliesslich, zum Teil über eine weitere Anastomose dem Nervus Fazialis angelagert, zur
Glandula parotis ziehen.
Durch chirurgische Eingriffe, Infektionen oder traumatische Verletzungen werden diese
Fasern beschädigt, bei einer Entfernung von Drüsengewebe auch ihres Endorganes
beraubt. Gleichzeitig kommt es zur Verletzung von sympatischen Fasern, die, ausgehend
vom oberen thorakalen Segment, via Ganglion cervicale superius zum Plexus der Arteria
carotis externa ziehen, um dann über deren Aeste zum Nervus auriculotemporalis zu
gelangen. Von dort ziehen diese sympatischen Fasern sowohl zur Glandula parotis wie
auch zu den Schweissdrüsen und Gefässen der darüberliegenden Haut. Im postoperativen
Heilungsprozess kommt es zu einer fehlgeleiteten Aussprossung von parasympatischen
Fasern in sympatische Nervenscheiden, welche zu den Schweissdrüsen der Haut ziehen.
Da sowohl die parasympatischen Fasern, wie auch die zwar sympatisch, aber cholinerg
innervierten Schweissdrüsen denselben Neurotransmittor haben (Acetylcholin), können
7
sekretorische Reize für die Ohrspeicheldrüse in einer lokalen Schweissabsonderung,
Rötung und Ueberwärmung der darüberliegenden Haut resultieren.
4. Das Superfizielle Muskuloaponeurotische System (SMAS)
4.1 Historischer Ueberblick über das SMAS
Sir Charles Bell schrieb 1799 in seiner Arbeit A System of dissections23: „We see, that at
this part (Parotisregion) the fibres of the platysma myoides are continued smooth over the
lower lobe of the parotid, mingling with the cellular membrane.“ Was hier als zelluläre
Membran beschrieben wird, ist wahrscheinlich die erste Beschreibung des superfiziellen
muskuloaponeurotischen Systems.
1859 beschrieb Gray in seinem Werk über deskriptive und chirurgische Anatomie24 eine
superfizielle Faszie im Wangenbereich. Bezugnehmend auf Gray’s Angaben,
untersuchten 1974 die Franzosen Mitz und Peyronie25 in einer ersten grossen Studie
systematisch die makroskopische und mikroskopische Anatomie
der Faszien im
Gesichts- und Wangenbereich. Sie waren es auch, welche aufgrund ihrer histologischen
Ergebnisse den Namen “superfizielles muskuloaponeurotisches System“, oder eben
SMAS, gaben.
Methodik und Ergebnisse dieser Studie werden im folgenden Absatz beschrieben. Das
SMAS-Konzept wurde seither wiederholt von verschiedenen Autoren in der Literatur
reevaluiert und diskutiert, so auch1983 von Jost und Levet26 und 1992 von Gosain et al27.
Die unterschiedlichen Meinungen dieser Autoren, die bis heute in der Literatur bestehen,
werden später in Punkt 4.3 kommentiert.
4.2 Anatomie des SMAS nach Mitz und Peyronie
Die Anatomen Mitz und Peyronie25 untersuchten im Jahre 1974 in ihrer Studie 15
Autopsien. Es wurden insgesammt 14 Gesichtshälften präpariert, an 3 Präparaten wurden
die Gefässe mit Radiocorrodan - einem Röntgen-Kontrastmittel –injiziert und je ein
8
Präparat wurde in horizontaler, sagittaler oder frontaler Ebene in 1 cm dicke Scheiben
geschnitten und radiologisch untersucht. 3 weitere Schädel wurden ohne vorgängige
Kontrastmittelinjektion in den gleichen Ebenen mit ultradünnem Focus (0,1 mm)
tomographiert. Jede Präparation wurde sowohl makroskopisch, arteriographisch und
ultraradiographisch, wie auch mikroskopisch und histologisch (Masson’s trichrom
Färbung)
untersucht.
Speziell
beachtet
wurden
die
Randzonen
in
der
temporozygomatischen, prätragalen, mandibulären und nasolabialen Region.
Mitz und Peyronie konnten das SMAS in allen Präparaten nachweisen. In individuell
unterschiedlicher Dicke ausgeprägt, trennt es in der Parotis- und Wangenregion das
subkutane Gewebe in 2 Schichten: oberflächlich liegt das Fettgewebe von
Bindegewebssepten unterteilt, die vom SMAS zur Haut ziehen. Unterhalb des SMAS
findet sich viel Fettgewebe und die tiefe Gesichtsmuskulatur. Hier sind keine
Bindegewebssepten vorhanden. In der Parotisregion beschreiben die Autoren das SMAS
als deutlich erkennbare Schicht, die in der prätragalen Region über 1-2 cm an der
Parotiskapsel adhärent ist, dann jedoch separat verläuft und zur Wange hin immer dünner
wird. Das SMAS hat Verbindung zur oberflächlichen Gesichtsmuskulatur (Musculus
risorius, Musculus frontalis, Musculus orbicularis oculi und Platysma) und weist viele
Verbindungssepten zur Haut auf. Diesen Septen wird von den Autoren funktionell die
Uebertragung von Gesichtsbewegungen auf die Haut zugeschrieben.
Es wurde auch die Beziehungen des SMAS zu den verschiedenen Nerven-und
Gefässverläufen untersucht, was insbesondere von chirurgischem Interesse ist. In der
Parotisregion verläuft der Nervus fazialis tief in der Parotis und somit weit tiefer als das
SMAS, geschützt durch die Parotiskapsel und den lateralen Parotisanteil. Nur sensible
Nerven vom Plexus cervikalis anterior verlaufen zwischen dem SMAS und der Haut. In
der Wangenregion verlaufen die Aeste des Nervus fazialis ebenfalls tiefer als das SMAS,
jedoch wird das SMAS immer dünner und die anteriore Präparation somit schwierig und
wegen den darunter verlaufenden Fazialisästen gefährlich. In der temporalen Region liegt
der Ramus frontalis des Nervus fazialis nur von einer dünnen Bindegewebsschicht
geschützt unter dem SMAS, sodass Mitz und Peyronie hier eine chirurgische Präparation
nur bis 1 cm unterhalb den Arcus zygomaticus empfehlen. In der mandibulären Region
steht das SMAS in engem Kontakt mit den oberflächlichen Fasern des Platysma. Mitz
9
und Peyronie sehen hier unterhalb des Platysmas eine sichere Präparationsebene, da dort
der manibuläre Ast des Nervus fazialis weit tiefer verläuft. Im Bereich des Mastoids ist
die Abgrenzung des SMAS schwierig, da es eng mit der Haut und dem fibrotischen
Gewebe um die Insertion des Musculus sternocleidomastoideus verbunden ist.
Mitz und Peyronie empfehlen somit für eine face-lift Operation eine sub-SMAS
Präparation, um die ursprüngliche Funktion der Bindegewebssepten zur Haut zu erhalten,
welche bei einer subkutanen Präparation durchtrennt würden. Ihre Empfehlungen
beinhalten, dass das SMAS vom Tragus her von der Parotiskapsel abpräpariert, jedoch
nicht über die Parotis hinweg weiter anterior mobilisiert werden sollte, um keine
Verletzung des Nervus fazialis zu riskieren. Die Dissektion sollte nicht weiter kranial als
1 cm unterhalb des Arcus zygomaticus, nicht weiter kaudal als 1 cm oberhalb der
Mandibulaunterkante fortgesetzt werden.
Mitz und Peyronie interpretieren das SMAS als eine Fortseztung der cervicocephalen
Faszie, wobei sie in diesem Punkt gleicher Meinung sind wie Gray24 und Couly et al28.
Gray schrieb schon 1859: „The superficial fascia of the face is directly continuous over
the mandible with that of the neck…“
10
SMAS
Bindegewebssepten
zwischen
SMAS und
Haut
Parotisfaszie
Schema of horizontal plane of a macrosection throuh the
nasolabial fold
NLF= nasolabial fold; B= buccinator muscle; FM= facial
muscle (zygomaticus major and minor); PD= parotid duct;
PG= parotid gland; PF= parotid fascia; OC= oral cavity; OM=
orbicularis muscle fibres; FP= fat pad
This shows the SMAS (superficial musculoaponeurotic
system)
Nach Vladimir Mitz , M.D. and Martine Peyronie, M.D.25
11
4.3 Diskussion von Anatomie und Histologie des SMAS in der Literatur
Seit dieser ersten, klinisch relevanten anatomischen Arbeit von Mitz und Peyronie ist
über das SMAS viel geschrieben worden, wobei drei Hauptaussagen bis heute in der
Literatur zu finden sind.
Jost und Levet26 untersuchten 1983 in einer Studie an 21 Leichen und an drei weiteren
Säugetieren (einem Schimpansen, einem Mandrill und einem Lagothrix), in serieller
Präparation und histologischer Untersuchung die Parotisfaszie und das SMAS-Konzept.
Aufgrund anatomischer und histologischer Daten aus ihrer Arbeit sind sie der
Auffassung, dass
•
das SMAS, wie es von Mitz und Peyronie beschrieben wird, entwicklungsgeschichtlich einem primitiven Platysma entspricht und nicht ein Teil der Faszia
superficialis ist.
•
dieses primitive Platysma der Parotiskapsel entspricht und nicht getrennt von dieser
liegt.
•
die Parotiskapsel mit dem Platysma direkt in einer Ebene liegt und insgesammt dem
primitiven Platysma entspricht.
•
die Parotiskapsel histologisch nicht rein fibröser Natur ist, sondern auch Muskelfasern
enthält.
•
die Parotis oberflächlich nicht von einem Teil der tiefen Faszie bedeckt ist, sondern
allein vom primitiven Platysma, welches als einzige fibromuskuläre Struktur
subkutan im lateralen Gesichtsbereich verläuft.
Jost und Levet empfehlen eine sub-SMAS Dissektion, in der Parotisregion beginnend,
wobei dabei das rötlich-braune Parotisgewebe zum Vorschein komme, und nicht eine
Parotiskapsel bestehen bleibe, wie dies die Meinung von Mitz und Peyronie ist. Ist die
Parotisvorderkante erreicht, könne die Präparation durch stumpfe Dissektion ohne Risiko
nach vorne weiterverfolgt werden. Der so entstehende Lappen sei solid, weil er die
gesamte Dicke des primitiven Platysmas enthalte.
12
Diagrammatic representation of the true anatomy of the masseter and the
parotid regions
Nach G. Jost M.D. and Y: Levet, M.D.26
13
1989 untersuchten Seth Thaller et al29 in einer Studie an 10 frischen Leichen und 12
Rhesusaffen mittels mikroskopischer Präparation sowie in histologischen Schnitten die
Anatomie des SMAS. Im Gegensatz zu Jost und Levet fanden sie das SMAS
oberflächlich von einer eigenständigen Parotiskapsel liegend, welche die Parotis umgibt.
Histologisch war das SMAS vorallem fibröser Natur, nur in der Parotis-Masseter-Region
fanden sie viele Muskelfasern. Daher unterstützen sie den Namen „fibröses Platysma“,
wie dies 1987 von Jost et al30 bereits vorgeschlagen worden war.
Arun Gosain et al27 wiederum beleuchtet in seinem Artikel 1992 die unterschiedlichen
Meinungen von Mitz und Peyronie25 und Jost und Levet26, verglichen mit seinen
Erkenntnissen, die er in einer anatomischen Studie an 12 frischen Leichen mittels
mikroskopischer Präparation und histologischer Untersuchung erlangt hatte:
Beziehung des
Mitz und Peyronie
Jost und Levet
Gosain et al
Getrennt durch eine
eingeschlossen
separat, aber nahe
SMAS zu …
…Parotisfaszie
Fettschicht
zueinander stehend
Kontinuierlich
diskontinuierlich
diskontinuierlich
…Unteres
Fasern des
Fasern des
Fasern des
Augenlied
M.orbicularis oculi
M.orbicularis oculi
M.orbicularis oculi
eingeschlossen
nicht eingeschlossen
eingeschlossen
Endet an
M. orbicularis oris
M. orbicularis oris
nasolabialer Falte
nicht eingeschlossen
eingeschlossen
Eingebettet in Fett
weit unter Fett
weit unter Fett
gelegen
gelegen
…Temporoparietale Faszie
…Oberlippe
…Subkutanes
Fett
gemäss Gosain et al27
14
Die mechanischen Eigenschaften und die Mikrostruktur des SMAS wurden von Yaron
Har-Shai et al31 32 33 in mehreren Arbeiten untersucht und mit denen der Haut verglichen.
Das SMAS zeigte dabei mikroskopisch einen Aufbau aus kollagenen und elastischen
Fasern, wobei die prozentuale Verteilung, verglichen mit derjenigen der Haut, keine
signifikanten Unterschiede ergab. Interessant erscheint jedoch, dass ausschliesslich im
SMAS Fettzellen zu finden sind, umgeben von den elastischen Fasern. Dies ist für die
Autoren eine mögliche Erklärung für die Ergebnisse in der mechanischen Testung,
welche beim SMAS im Vergleich zur Haut einen verzögerten Stress-Relaxationseffekt
ergab. Diese Fettzellen des SMAS spielen möglicherweise eine begünstigende Rolle in
der Effektivität der SMAS-Chirurgie beim face-lifting.
4.4. Bedeutung des SMAS in der Gesichtschirurgie
Im Gebiet der Ästhetischen Chirurgie wurde das SMAS als separate Schicht bereits vor
rund 30 Jahren erkannt und seither bei face-lift-Operationen verwendet. Die Präparation
über oder unterhalb des SMAS beschäftigte zahlreiche Autoren und fand auch Eingang in
der jüngsten Operationstechnik, dem endoskopischen Face lift.
In der Parotischirurgie wurde das SMAS erstmals vor rund 15 Jahren zur Verminderung
der Inzidenz des Frey Syndroms und zur Verbesserung des kosmetischen Resultats
postuliert14. An der Klinik für Otorhinolaryngologie, Hals- und Gesichtschirurgie in
Zürich wenden wir die separate Präparation des SMAS seit 1996 in der Parotischirurgie
an. Zwischen 1996 und
1998 wurden so 25 Patienten dieser prospektiven Studie
zugeführt. Ziel der Arbeit ist es, die Resultate bezüglich Inzidenz des Frey Syndroms,
Iod-Stärke-Test und Kosmetik nach SMAS-Präparation zu evaluieren.
15
5. Patienten und Methodik
5.1 Patienten
Im Zeitraum von 1996-1998 untersuchten wir insgesamt 25 Patienten, 7 Frauen und 18
Männer. Das Durchschnittsalter betrug 47 Jahre ( 27-85 Jahre ). Der durchschnittliche
follow up betrug 23 Monate, wobei die kürzeste Beobachtungszeit bewusst nicht unter 12
Monaten lag, die längste 43 Monate betrug (Tabelle 1).
Tabelle 1.
Patientendaten
1996 – 1998
n=25
F :
M
7
:
18
Alter (Jahre)
47
(27 –85)
Follow up (Monate)
23
(21 – 43)
Pathologien
n
%
- pleomorphes Adenom
19
76
- Warthin Tumor
3
12
- Andere (Lymphangiom,
3
12
Basalzelladenom, rez.
eitrige Parotitis)
In 20 Fällen wurde eine laterale Parotidektomie durchgeführt, wobei es sich in 3 Fällen
um
eine
Revisionsparotidektomie
nach
auswärtig
durchgeführter,
subtotaler
Adenomexstirpation handelte. In 5 Fällen wurde eine subtotale Parotidektomie
ausgeführt. In allen Fällen wurde ein präaurikulärer, zervikaler S-förmiger Hautschnitt als
Zugang gewählt. Die Histologie ergab bei 19 Patienten ein pleomorphes Adenom, bei 3
Patienten
ein
Zystadenolymphom
(Warthin’s
Tumor).
Weiter
bildeten
eine
lymphoepitheliale Zyste (Lymphangiom), ein Basalzelladenom und in einem Fall eine
16
rezidivierende, eitrige Parotitis die Operationsindikation. In keinem der 25 Fälle wurde
eine postoperative Radiotherapie oder ein weiterer operativer Eingriff im entsprechenden
Operationsgebiet durchgeführt.
17
5.2 Methodik
Alle Patienten wurden von zwei Operateuren (Prof. Dr. med. Stephan Schmid und PD Dr.
med.
Thomas Linder) mit gleicher Operationstechnik behandelt. Nach
dem
präaurikulären S-förmigen Hautschnitt folgte die Präparation des Haut-Subkutanlappens
bis vor die anteriore Parotisgrenze. Als zweite Schicht wurde die oberflächliche
Parotiskapsel vor dem Tragus freipräpariert, vom darunterliegenden Drüsengewebe
scharf gelöst und in Kontinuität mit dem Platysma nach vorne und unten entwickelt
(SMAS). Die bindegewebigen Septen
zum Subkutangewebe wurden dabei scharf
durchtrennt. Die Präparation endete unmittelbar vor dem anterioren Rand der Parotis. Die
Indikation zur SMAS Präparation wurde bei feinadelbioptisch diagnostizierten benignen
Läsionen gestellt, wenn
diese die oberflächliche Parotiskapsel klinisch und im
präoperativen MRT nicht erreichten.
SMAS
Parotisloge
nach
Entfernung der
lateralen Parotis
Intraoperative SMAS-Präparation 1. Schritt
18
Haut-/Subcutanlappen
SMAS wird
über die
Parotisloge
gelegt
Intraoperative SMAS-Präparation 2. Schritt
Die 25 Patienten wurden frühestens ein Jahr postoperativ auf unserer Klinik
nachuntersucht. Sie wurden nach Beschwerden allgemeiner Art, nach Sensibilitäts- oder
Dysästhesieempfindungen im Operationsgebiet, sowie nach der Zufriedenheit mit dem
kosmetischen Resultat befragt. Zudem wurde nach den Symptomen des klinischen Frey
Syndroms gefragt: Schwitzen, Wärmeempfindung oder Rötung in der Ohr- und
Wangenregion beim Essen. Bei allen Patienten wurde eine klinische Untersuchung
durchgeführt, wobei hier die kosmetischen Resultate der Narbe beurteilt wurden. Die
Gesichtssymmetrie bezüglich Volumendefekt und Fazialisfunktion wurde klinisch
beurteilt und fotographisch dokumentiert, die Sensibilität im Operationsgebiet mittels
Wattebausch geprüft. Bei allen Patienten wurde zuletzt auf der betroffenen Seite ein IodStärke-Test nach Viktor Minor16 durchgeführt: nach Applikation von Iod und
Lugol‘scher Lösung wurde Stärkepuder auf die Wangen- und Ohrregion der Patienten
aufgetragen. Als gustatorischen Reiz wurde den Patienten ein Apfel offeriert und nach 10
Minuten die blauverfärbte Fläche abgelesen, aufgezeichnet und in cm2 ausgemessen. Die
Intensität der Verfärbung wurde in 3 verschiedene Kategorien eingeteilt: es wurde eine
punktartige, eine flächige und eine tropfende Blauverfärbung unterschieden. Jegliche
Blauverfärbung wurde als positives Resultat interpretiert.
19
6. Resultate
6.1 Anamnese
Auf eine eileitende Frage nach dem Allgemeinbefinden gaben 64% der Patienten
keinerlei Beschwerden an. Auf gezielte Befragung bezüglich der Kosmetik der Narbe,
der Gesichtssymmetrie und des Volumendefekts waren 24 Patienten mit ihrem Resultat
sehr zufrieden, einer klagte über eine Pigmentationsverschiebung im Bereich der Narbe,
war jedoch mit dem postoperativen Ergebnis noch immer zufrieden (Tabelle 2).
Die Sensibilität war bei 3 Patienten (12%) subjektiv normal, 22 Patienten (88%)
bemerkten eine Hyposensibilität, wobei 2 Patienten dadurch gestört waren.
Dysästhesieempfindungen
wurden
von
6
(24%)
bejaht.
So
wurde
eine
Schmerzempfindung auf Kälte oder ein Elektrisieren auf Berührung angegeben. Nur 2
Patienten (8%) empfanden diese Symptome als störend, wobei eine Patientin deswegen
keine Ohrringe mehr trägt, der andere Patient nachts nicht auf das entsprechende Ohr
liegen kann.
Die Frage nach der klassischen Frey Symptomatik verneinten 20 Patienten (80%), 5
Patienten (20%) bejahten sie, wobei 4 davon während des Essens nur gelegentlich ein
solches Schwitzen bemerken. Ein Patient verspührt fast bei jedem Essen ein Schwitzen
und hat daher stehts eine Serviette zur Hand, woran er sich auf Befragung
zwischenzeitlich problemlos gewöhnt hat.
3 Patienten (12%) bemerkten während des Essens eine Wärmeempfindung, keiner jedoch
eine Rötung, in der der betroffenen Wangenregion.
20
Tabelle 2.
Anamnestische Angaben (n=25)
Allgemeine Beschwerden
n
%
24
96
1
4
- normal
3
12
- Hyposensibilität
22
88
19
67
- vorhanden
6
24
- durch Dysästhesie gestört
2
8
20
80
5
20
Kosmetik
- sehr zufrieden
- zufrieden
Sensibilität
Dysästhesieempfindung
- verneint
Klinisches Frey Syndrom
- verneint
- vorhanden
- stark gestört durch Frey Syndrom
keiner
Wärmeempfindung
- verneint
22
88
- bemerkt
3
12
Rötung
keiner
6.2 Klinische Untersuchung
Bei der klinischen Untersuchung zeigten 2 Patienten (8%) eine normale Sensibilität im
Operationsgebiet, 21 Patienten (84%) gaben eine Hypästhesie an, 2 Patienten (8%) eine
Anästhesie. 5 Patienten (20%) verspührten wärend der Untersuchung zusätzlich eine
Dysästhesie (Tabelle 3).
Die Fazialisfunktion war in allen Fällen symmetrisch vorhanden.
Die Operationsnarben in der Halsregion wurden bezüglich der kosmetischen Erscheinung
in 21 Fällen (84%) als dünn und flach beurteilt, bei 3 Patienten (12%) als leicht erhaben
und weiss bewertet. Bei einem Patienten (4%) war die Narbe durch einen Narbenstrang
21
etwas prominent. Der retroaurikuläre Verlauf der Narbe wurde bei 17 Patienten genauer
beurteilt, wovon diese in 10 Fällen (58%) als reizlos und unauffällig , in 6 Fällen (35%)
als leicht erhaben und weiss beurteilt wurde, in einem Fall auch hier ein prominenter
Narbenzug vorlag.
Das Ausmass der retromandibulären Einziehung wurde bei 17 Personen in unserer Studie
gemessen und mit der Gegenseite verglichen: es wurde die Distanz zwischen dem
Hautniveau retromandibulär und einer Verbindungslinie
Mastoid - Mandibula
(Kieferwinkel) gemessen. Diese Distanz wurde mit der Gegenseite verglichen. Die
durchschnittliche Differenz betrug 6 mm, von minimal 0 bis zu maximal 13 mm.
Tabelle 3.
Resultate der klinischen Untersuchung
Klinische Befunde
n
%
2
8
- Hypästhesie
21
84
- Anästhesie
2
8
20
80
- vorhanden
5
20
Fazialisfunktion
Alle symmetrisch
Sensibilität
- normal
Dysästhesie
- nicht vorhanden
Narbe Hals
- dünn und flach
21
84
- leicht erhaben
3
12
- Narbenzug
1
4
(n=17)
Narbe retroaurikulär (n=17)
- dünn und flach
10
58
- leicht erhaben
6
35
- Narbenzug
1
6
22
Kosmetisches Resultat postoperativ
Diskrete
retromandibuläre
Einziehung
Unauffällige
Narbe in
Hautfalte
verlaufend
nicht operierte Seite
operierte Seite
6.3 Iod-Stärke-Test
Der Iod-Stärke Test nach Minor wurde bei allen 25 Patienten durchgeführt und fiel in 6
Fällen (24%) negativ aus, bei 19 Patienten (76%) positiv. Die Intensität der positiven
Resultate wurde in 3 Kategorien unterteilt, wobei 12 Patienten (48%) nur eine
punktartige, 5 Patienten (20%) eine flächige Blauverfärbung zeigten und in 2 Fällen (8%)
ein tropfendes, positives Resultat festgestellt wurde. Die durchschnittliche Fläche des
positiven Testergebnisses, unabhängig der Intensitätsgraduierung, betrug 12,5 cm2, von 1
cm2 bis maximal 46 cm2. Die prozentuale Verteilung dieser 3 verschiedenen
Testresultate, gemessen auf die gesamte positive Testfläche aller Patienten, zeigte ein
deutliches Überwiegen der nur punktförmigen Reaktion (47%) gegenüber den tropfendpositiven (15%) Verfärbungen (Graphik 1).
23
Graphik 1.
Resultate des Iod-Stärke-Test
15%
Punkta rtig
Flä c hig
Tro p fe nd
47%
38%
Unterschiedliche Intensitäten im Iod-Stärke-Test
punktartig
flächig
24
tropfend
7. Diskussion
Die separate Präparation des SMAS Lappens in der Parotischirurgie hat zum Ziel, die
Inzidenz des symptomatischen Frey Syndrom’s zu senken und die Einziehung der
retromandibulären
Narbenbildung
zu
korrigieren.
Bei
ansonsten
gleicher
Operationstechnik und weitgehend gleichen Operateuren ist es möglich, die Ergebnisse
dieser Arbeit mit den Resultaten einer bereits publizierten Studie zu vergleichen, bei
welcher kein SMAS Lappen entwickelt wurde (Tabelle 4): während in der prospektiven
Studie von Linder et al1 aus dem Jahre 1997 bei insgesamt 43% der Patienten (10/23)
eine positive Anamnese vorlag, gaben in dieser Studie mit SMAS-Lappen-Präparation
lediglich noch 20% (5/25) der Patienten auf gezielte Befragung Symptome des
gustatorischen Schwitzens an. Während in der ersten Studie noch 6% durch diese
Symptomatik erheblich gestört waren, war keiner der Patienten nach SMAS Interposition
25
durch das Schwitzen im Alltag behindert. Der Iod-Stärke-Test fiel zwar noch bei 76% der
Patienten positiv aus, jedoch war die positiv getestete Fläche mit 12,5 cm2 deutlich
kleiner. Diese Reduktion der positiven Testfläche fiel im Mann-Withney-Test hoch
signifikant aus (p=0,006). Auch die Intensität der positiven Resultate war deutlich
geringer. So entsprachen 46,8% der insgesamt positiv getesteten Fläche einem punktartig
positiven Resultat, 37,8% einer flächenhaften Blaufärbung und nur 15,4% einem
tropfenden positiven Ergebnis. Die Wärmeempfindung während des Essens auf der
entsprechenden Gesichtshälfte konnte von 20% auf 12% reduziert werden und keiner der
Patienten hatte eine Rötung im Wangengebiet festgestellt. Bezüglich der HypoSensibilität fanden sich keine grossen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, wobei
92% der Patienten unter einer Hypästhesie/Anästhsie und 20% der Patienten unter einer
Dysästhesie litten. Diese Sensibilitätsstörungen sind durch die Durchtrennung des Nervus
auricularis magnus während der Operation bedingt, und somit meist unumgänglich und
insbesondere von einer SMAS-Lappen Präpraration unabhängig.
26
Tabelle 4.
Vergleich der Gruppen mit und ohne SMAS
Klinisches Frey Syndrom
Gruppe mit SMAS
Gruppe ohne SMAS
n = 25
Linder et al. n = 23
20% positiv
43% positiv
(5/25)
(10/23)
0%
6%
76%
96%
(19/25)
(22/23)
12,5 cm2
18,4 cm2
(1–26)
(8–48)
12%
20%
(3/25)
(5/23)
0%
40%
Subjektiv stark störendes
Schwitzen während der
Nahrungsaufnahme
Iod Stärke Test positiv
Durchschnittlich positive
Testfläche
Wärmeempfindung
Rötung
(9/23)
Dysästhesie
Hypästhesie/Anästhesie
20%
30%
(5/25)
(7/23)
92%
100%
(23/25)
(23/23)
Zur Verminderung der Inzidenz des Frey Syndroms sind in der Literatur bis dato
verschiedene Operationstechniken beschrieben worden.
So propagierten Irving Rappaport und Glenn Allison14 in ihrer Arbeit aus dem Jahre 1985
die SMAS-Präparation zur Verminderung der Inzidenz des Frey Syndroms, sowie zur
Kaschierung der retromandibulären Einziehung. Von 25 Patienten, bei denen eine
SMAS-Präparation durchgeführt wurde, war nur gerade einer für ein Frey Syndrom
symptomatisch (3%). Bei fehlendem objektivem Test und unklarer Angabe der
postoperativen Latenz bis zur Befragung müssen diese Daten allerdings mit Vorsicht
zitiert werden. Das gustatorische Schwitzen tritt meist erst nach mehreren Monaten auf,
27
weshalb ein minimaler Follow-up von 12 Monaten unabdingbar ist. Die beiden Autoren
unterstrichen in ihrer Arbeit zudem die Wichtigkeit der korrekten Indikationsstellung zur
SMAS-Präparation: so dürfen die allgemeinen Richtlinien der Tumorchirurgie keinesfalls
kompromittiert werden. Eine SMAS-Präparation sollte nur durchgeführt werden, wenn
die Radikalität der Tumorchirurgie gewährleistet werden kann und keine nachfolgenden
Operationen geplant sind. Falls ein Rezidiv des Tumors zu befürchten ist oder der
postoperative follow up bezüglich Tumorpersistenz oder -rezidiv durch eine SMASPräparation erschwert werden sollte, muss von einer SMAS-Präparation abgesehen
werden.
John D. Casler und John Conley6 berichteten in ihrer Publikation aus dem Jahre 1991
über den kranial oder kaudal gestielten Sternocleidomastoid (SCM)-Muskeltransfer,
sowie über die Präparation und posteriore Dopplung des SMAS-Lappens. Bei fehlendem
objektivem Test können auch hier lediglich die Zahlen bezüglich des klinischen Frey
Syndroms verglichen werden. Casler und Conley beschrieben in der Gruppe des
Sternocleidomastoid-Muskeltransfers (n=16) eine Inzidenz des Frey Syndroms von
12,5%, in der Gruppe der SMAS-Präparation, ebenfalls 16 Personen umfassend, litt keine
Person unter der typischen Klinik des Frey Syndroms. Als Kontrollgruppe dienten 104
Patienten, bei denen keine der beiden Operationstechniken angewandt wurde. Die
Inzidenz des Frey Syndroms lag in dieser Kontrollgruppe bei 47%. Diese Zahlen zeigten
eine statistisch signifikante Reduktion der Inzidenz des Frey Syndroms in der SMASGruppe (P=0,005) wie auch in der SCM-Lappen-Gruppe (P=0,025). Keine statistische
Signifikanz ergab sich zwischen den beiden Gruppen des SMAS und des SCM. Die
Autoren machten jedoch folgende Beobachtung, welche diese Differenz der beiden
Methoden möglicherweise erklären kann: so war mit dem SMAS-Lappen eine
vollständige Abdeckung des Parotisbettes intraoperativ besser möglich als beim SCMMuskeltransfer. Dort liess sich zwar der Volumendefekt besser ausgleichen, jedoch
blieben gelegentlich umschriebene Stellen des Parotisbettes unbedeckt, welche gemäss
den Autoren mit dem Gebiet des postoperativen Schwitzens korrespondierten. Diese
Beobachtung untermauert die Hypothese, dass die separate Präparation des SMAS
Lappens zu einer doppelten Narbenzone führt, was im postoperativen Heilungsprozess
28
das aberrierende Aussprossen von parasympathischen Fasern behindert. Neben der
Reduktion des Frey Syndroms betonten Casler und Conley auch den kosmetischen
Benefit der beiden Operationsverfahren. So konnte die retromandibuläre Einziehung, wie
sie nach herkömmlichen lateralen oder subtotalen Parotidektomien häufig und deutlich
auftritt, stark
reduziert werden. Eine objektive Ausmessung dieser Einziehung ist
schwierig und bisher in der Literatur nicht beschrieben worden. Die kosmetischen
Befunde wurden jeweils fotographisch dokumentiert.
Kornblut et al7 beschrieben bereits im Jahre 1974
den kranial gestielten
Sternocleidomastoid (SCM)-Lappen, wobei in dieser Arbeit 35 Patienten nach
Präparation eines SCM-Lappens mit einer Kontrollgruppe von 35 Patienten verglichen
wurden. Es zeigte sich hier, im Gegensatz zu Casler und Conley, keine Reduktion der
Inzidenz des Frey Syndroms. In der SCM-Gruppe fiel der Iod-Stärke-Test in 97% positiv
aus, in der Kontrollgruppe in 94%. Auch die subjektive Symptomatik des Frey Syndroms
konnte durch den SCM-Lappen nicht verbessert werden: so klagten in der SCM-Gruppe
43% der Patienten über eine Frey-Symptomatik, in der Kontrollgruppe nur 23%. Es muss
betont werden, dass in der Studie von Kornblut, im Gegensatz zu Casler und Conley, ein
Iod-Stärke-Test durchgeführt wurde und somit wahrscheinlich einige asymptomatische
Patienten positiv testeten, welche bei Casler und Conley nicht als Frey Syndrom in die
Statistik eingegangen wären. Dies zeigt die Wichtigkeit der Durchführung eines
objektiven Tests zur Beurteilung eines Operationsverfahrens auf die Inzidenz des Frey
Syndroms.
In der Literatur sind bis heute nur wenige Arbeiten erschienen, welche neben der
klinischen eben auch objektive Testverfahren (Iod-Stärke-Test) anwendeten, und die
Wirkung der SMAS-Präparation auf die Inzidenz des gustatorischen Schwitzens
untersuchten. Eine erste solche Arbeit publizierten Philip C. Bonanno und Phillip R.
Casson11 im Jahre 1991 im Rahmen einer prospektiven Studie an 55 Patienten, bei
welchen nach einer Beobachtungszeit von mindestens einem bis 7 Jahren nach
Parotisoperation die Wirkung des SMAS-Lappens auf die Inzidenz des Frey Syndroms
und auf die Kosmetik untersucht wurde. Bei allen Patienten führten sie einen Iod-Stärke-
29
Test durch. In ihrem Patientenkollektiv war kein Patient für das klinische Frey Syndrom
symptomatisch und auch der Iod-Stärke-Test fiel bei keinem der Patienten positiv aus.
Den kosmetischen Effekt des SMAS-Lappens beschrieben die Autoren ebenfalls als sehr
befriedigend, da die retromandibuläre Einziehung weitgehend kaschiert werden konnte.
Aus dem Jahre 1992 stammt eine Puplikation von Leonard T. Yu und Ralph Hamilton12,
in welcher die Autoren die Inzidenz des Frey Syndroms mittels Iod-Stärke-Test an 35
Patienten nach Parotisoperation mit SMAS-Präparation untersuchten. Nach einem
durchschnittlichen follow up von 30 Monaten (6-106 Monate) litten 6% der Patienten
unter einem Frey Syndrom, nur 15% der Patienten zeigten im Iod-Stärke-Test ein
positives Resultat. Auch diese Autoren beschrieben einen kosmetischen Benefit durch
Kaschierung der retromandibulären Einziehung. Die Autoren beschrieben den Fall eines
Patienten mit negativem Iod-Stärke-Test nach 12 Monaten, welcher jedoch nach weiteren
3 Monaten ein Schwitzen in der Wangenregion bemerkte und im erneut durchgeführten
Test ein positives Resultat zeigte. Leonard T. Yu und Ralph Hamilton beführworteten
daher einen Langzeit-follow-up von 2 Jahren.
Unsere Ergebnisse zeigen im Vergleich zu den eben erwähnten Arbeiten eine höhere
Inzidenz des subjektiven und objektiven Frey Syndroms. Während bei der subjektiven
Befragung die positive oder negative Suggestion der Fragestellung einen Einfluss auf die
Antwort haben kann, sind auch bei der Beurteilung der objektiv nachweisbaren
Farbänderungen im Iod-Stärke-Test unterschiedliche Interpretationen möglich. So haben
wir jegliche Blauverfärbung als postiv gewertet und damit wohl eine höhere Inzidenz
ermittelt.
30
8. Schlussfolgerung
Das SMAS ist eine in der lateralen Wangenregion gelegene Bindegewebsschicht mit
eingelagerten Fett- und Muskelzellen, welche mit der Subkutis durch bindegewebige
Septen verbunden ist. Während die Beziehung zur Parotiskapsel bisher unterschiedlich
beurteilt wurde, zeigten unsere intraoperativen Befunde, dass die Parotiskapsel als Teil
des SMAS Lappens freipräpariert wurde. Aufgrund seiner Lage und der funktionellen
Eigenschaften wird das SMAS seit Jahrzehnten in der aesthetischen Chirurgie,
insbesondere bei face-lift-Operationen, angewandt und hat in den letzten 10-15 Jahren
auch zunehmend ihren Platz in der Parotischirurgie errungen.
An unserer Klinik wird das SMAS seit 1996 systematisch in der Parotischirurgie
angewandt, wobei sich diese Anwendung meist auf gutartige Pathologien der Parotis
beschränkt, welche die oberflächliche Parotiskapsel nicht erreichen. Auf Grund der
Tumorradikalität und des postoperativen follow-up gelten Malignome der Parotis, welche
die
Parotiskapsel
nicht
erreichen,
als
relative
Kontraindikation.
Absolute
Kontraindikationen sind benigne oder maligne Parotisläsionen, welche die oberflächliche
Parotiskapsel erreichen.
Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen, dass durch die separate SMAS-Präparation eine
signifikante Reduktion der positiven Testfläche im Iod-Stärke-Test erreicht und dadurch
die Inzidenz des subjektiv empfundenen gustatorischen Schwitzens gesenkt werden kann.
Zudem wird der kosmetische Aspekt der retromandibulären Einziehung optimiert.
Aus diesen Gründen empfehlen wir weiterhin die Präparation des SMAS Lappens in der
Parotischirurgie.
31
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