Skript „Elemente der Arithmetik und Algebra“

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Elemente der Arithmetik und Algebra
Boris Girnat
Skript zur Vorlesung im Sommersemester 2006
Technische Universität Braunschweig
Institut für Didaktik der Mathematik und
Elementarmathematik
Mailadresse: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1
2
3
Die natürlichen Zahlen
1.1 Die Peano-Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen . . . . . . . . . . . . .
1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.1 Addition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.2 Multiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.3 Subtraktion und Division . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.4.1 Ordnungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.4.2 Die Ordnungsrelation der natürlichen Zahlen . . . . . . . .
1.4.3 Die Wohlordnung oder das Prinzip des kleinsten Elementes
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Konstruktion der ganzen Zahlen
3.1 Gruppen und Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Äquivalenzrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Konstruktion der ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
2.1 Die Teilbarkeitsrelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Primzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Das Sieb des Eratosthenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Anzahl und Abstände von Primzahlen . . . . . . . . . . . . .
2.2.3 Exkurs: Vollkommene Zahlen und Mersennesche Primzahlen
2.3 Primfaktorzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Der Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie . . . . .
2.3.2 Kanonische und normierte Primfaktorzerlegung . . . . . . . .
2.4 Teilbarkeit und Primfaktorzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Vielfaches .
2.5.1 Mengentheoretische Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.2 Berechnung von ggT und kgV über Primfaktorzerlegung . . .
2.6 Division mit Rest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.7 Der euklidische Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.8 Stellenwertsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.8.1 Zahldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.8.2 Rechnen in Stellenwertsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV
Inhaltsverzeichnis
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4
Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
4.1 Die Teilerrelation in Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Analogie zwischen N und Z in der Teilbarkeitstheorie . . . . . . . . . . .
4.2.1 Die Betragsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.2 Elementare Teilerregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.3 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Vielfache
4.2.4 Division mit Rest und der euklidische Algorithmus . . . . . . . . .
4.3 Vielfachensummen und diophantische Gleichungen . . . . . . . . . . . . .
4.3.1 Vielfachensummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.2 Diophantische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4 Kongruenzen und Restklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.1 Kongruenzen und ihre Restklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.2 Restklassenstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.3 Verknüpfungstafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.4 Einheiten und Nullteiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.5 Homomorphismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.5 Teilbarkeitsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.5.1 Endstellenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.5.2 Quersummenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.5.3 Regeln für die alternierende Quersumme . . . . . . . . . . . . . . .
4.6 Rechenproben durch Restklassenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.7 Rechenregeln für die Modulorelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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53
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64
66
68
70
72
73
73
75
77
78
80
5
Die rationalen Zahlen
5.1 Konstruktion der rationalen Zahlen . . . . . . . .
5.1.1 Addition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1.2 Multiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 Die Ordnung der rationalen Zahlen . . . . . . . .
5.4 Darstellung rationaler Zahlen . . . . . . . . . . . .
5.4.1 Die unendliche geometrische Reihe . . . .
5.4.2 Systembrüche . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.3 Von gemeinen Brüchen zu Systembrüchen
5.4.4 Von Systembrüchen zu gemeinen Brüchen
83
83
83
84
85
85
86
86
87
88
96
3.4
3.5
3.6
3.3.1 Addition . . . . . . . . . . .
3.3.2 Multiplikation . . . . . . . .
Einbettung der natürlichen Zahlen
Die Ordnung der ganzen Zahlen .
Die gewohnte Schreibweise . . . .
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Kapitel 1
Die natürlichen Zahlen
Der Braunschweiger Mathematiker Richard Dedekind (1831–1916) stellte 1888 zum ersten Mal ein Axiomensystem der natürlichen Zahlen vor. Wie es in der Wissenschaftsgeschichte üblich ist, wird dieses Axiomensystem heute nicht nach seinem Erfinder benannt, sondern nach einem seiner Kollegen, dem italienischen Mathematiker Giuseppe
Peano (1858–1932), der sich wenige Jahre nach Dedekind mit der Axiomatik der natürlichen Zahlen beschäftigt hat. Mit den Arbeiten dieser und einiger anderer Mathematiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstand die Zahlentheorie im modernen Sinne.
Zwar beschäftigten sich Mathematiker schon Jahrhunderte und Jahrtausende vor Dedekind und Peano mit Zahlen, aber erst mit diesen Mathematikern und ihrem großen
Nachfolger David Hilbert begann man, eine Theorie der Zahen systematisch, d. h. axiomatisch zu entwickeln.
Sinn eines Axiomensystem ist es, eine Theorie ihrem logischen Aufbau gemäß zu
strukturieren: Man versucht, eine möglichst geringe und „einfache“ Menge von Sätzen
zusammenzustellen, aus der sich alle anderen Sätze der Theorie logisch ableiten lassen.
Sollte also Ihre Kompetenz im logischen Ableiten unbegrenzt und ohne zeitlichen Aufwand ablaufen, dann brauchten Sie sich nur die Peano-Axiome auf der nächsten Seite
durchzulesen und wüssten dann schon alles, was in diesem Skript steht, denn aus den
Peano-Axiomen lässt sich nicht allein die Theorie der natürlichen Zahlen entwickeln,
sondern (mit einigen mengentheoretischen Hilfsmitteln) die gesamte Zahlentheorie.
Durch die axiomatische Methode soll ein systematischer und möglichst widerspruchsfreier Aufbau einer Theorie erreicht werden (erst Kurt Gödel hat in den dreißiger Jahren
des 20. Jahrhunderts erkannt, dass diesem Verfahren bestimmte Grenzen gesetzt sind).
Bereits in der Schule lernt man eine Vielzahl von Aussagen über natürliche Zahlen: Wir
kennen Teilbarkeitsbeziehungen, Rechengesetze für die Additionen und Multiplikation, das Verfahren der Primfaktorenzerlegung, das Prinzip der vollständigen Induktion
und vieles andere mehr. All dieses Wissen wird in der axiomatischen Mathematik systematisiert: Man zeigt, dass sich all diese Regeln, Gesetze, Aussagen oder Verfahren aus
dem Axiomensystem der natürlichen Zahlen logisch ableiten lassen. Dabei ist der Ausdruck „logisch ableitbar“ in einem weiteren Sinne zu verstehen: Nicht nur die Gesetze
der Aussagen- und Prädikatenlogik werden als Ableitungsregeln bzw. Beweisverfahren benutzt, sondern auch die Gesetze und Methoden der Mengenlehre. Sie stellen ein
grundlegendes Handwerkszeug der Mathematik dar und werden in weiteren als bekannt vorausgesetzt.
2
Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen
1.1 Die Peano-Axiome
Definition 1 (Peano-Axiome) Eine Menge N ist eine vollständige Menge natürlicher
Zahlen, wenn es eine Funktion ν : N → N : n 7→ n0 gibt, sodass die folgenden Aussagen
gelten:
P1 ) Zu jedem n ∈ N gibt es genau ein n0 ∈ N. Man nennt n0 den Nachfolger von n.
P2 ) Es gibt ein o ∈ N, sodass o für kein n ∈ N ein Nachfolger ist.
P3 ) Für alle n, m ∈ N gilt: Ist n0 = m0 , so ist n = m.
P4 ) Es sei W ⊆ N. Gilt
1. o ∈ W
2. und ist für alle w ∈ W auch w0 ∈ W,
so ist W = N.
Formal sehen die Peano-Axiome folgendermaßen aus:
P1 ) ∀n ∈ N : ∃◦ n0 : n0 ∈ N.
P2 ) ∃o ∈ N : ∀n ∈ N : o 6= n0 .
P3 ) ∀n ∈ N : ∀m ∈ N : (n0 = m0 ) ⇒ (n = m).
P4 ) ∀W ⊆ N : ∀w ∈ W : (o ∈ W ∧ (w ∈ W ⇒ w0 ∈ W )) ⇒ (W = N ).
Die Funktion ν wird Nachfolgerfunktion genannt.
Bemerkung 1 Ist eine Menge N eine vollständige Menge natürlicher Zahlen, so bezeichnet man N üblicherweise mit „N“ und nennt die Elemente von N natürliche Zahlen. Auch für die Elemente von N haben sich mit der Zeit standardisierte Bezeichnungen eingebürgert. So bezeichnet man meistens o mit „0“, o 0 mit „1“, (o 0 )0 mit „2“, ((o 0 )0 )0
mit „3“ usw. Diese Schreibweise wird im Weiteren auch hier benutzt.
Die üblichen Bezeichnungen der natürlichen Zahlen suggerieren, dass es genau eine
Menge natürlicher Zahlen gebe und diese Menge N genannt werde. Das ist keineswegs
der Fall. Es gibt mehrere Mengen, die die Peano-Axiome erfüllen und die man deshalb
als vollständige Mengen natürlicher Zahlen bezeichnen kann. Es gibt sogar unendlich
viele Mengen dieser Art. Das soll uns nicht stören, denn diese Mengen mögen zwar verschieden sein, dennoch verhalten sie sich in all ihren mathematisch relevanten Eigenschaften gleich. Daher erscheint es angemessen, sie ohne Unterschied mit demselben
Namen N zu bezeichnen und sie als gleich zu behandeln.
Definition 2 In diesem Skript enthält die Menge N die Zahl Null. Für den Fall, dass
man N ohne Null betrachten möchte, wird hier N∗ = N \ {0} definiert.
1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen
3
Bemerkung 2 Das Axiom P4 ist als Induktionsaxiom bekannt. Es erlaubt, Beweise mit
der Methode der vollständigen Induktion zu führen. Das zeigt uns Satz 1.
Satz 1 (Prinzip der vollständigen Induktion) Es sei A( x ) eine Aussageform. Gilt A(0)
und gilt für alle n ∈ N, wenn A(n), dann auch A(n0 ), so gilt A( x ) für alle x ∈ N.
B EWEIS Es sei W = { x ∈ N | A( x )} die Erfüllungsmenge der Aussageform A( x ) in N.
Da A(0) gilt, ist 0 ∈ W; und da für alle n ∈ N, die A( x ) erfüllen, auch A(n0 ) gilt, ist für
alle n ∈ W auch n0 ∈ W. Damit erfüllt W die Voraussetzungen von P4 , und nach P4 gilt
daher W = N. Also ist A( x ) allgemeingültig über N, d. h. es gilt A( x ) für alle x ∈ N.
Bemerkung 3 In Satz 1 wurde bewiesen, dass das Prinzip der vollständigen Induktion
eine gültige Beweismethode. Der Beweis von Satz 1 greift wesentlich auf das Axiom
P4 zurück. Daher kann man sagen: Das Prinzip der vollständigen Induktion ist gerade
deshalb ein gültiges Beweisverfahren, weil man in das vierte Peano-Axiom hineingeschrieben hat, dass es ein gültiges Beweisverfahren ist.
Für den mathematischen Laien mag diese Begründung wie ein billiger Taschenspielertrick wirken: Man definiert sich gerade das zurecht, was man haben möchte. Selbst
großen Mathematikern wie beispielsweise Frege, Russell und Brouwer ist aus diesem
Grund die axiomatische Methode umstritten gewesen (Russell spricht davon, dass sie
dieselben Vorteile habe wie der Diebstahl gegenüber der ehrlichen Arbeit). Seit Anfang
des 20. Jahrhunderts hat sie sich dennoch immer weiter ausgebreitet und ist mittlerweile auf allen Gebieten der Mathematik akzeptiert (in der Geometrie war sie es schon seit
der Antike).
Lemma 1 Die Nachfolgerfunktion ν ist eine injektive Funktion, und N∗ ist das Bild (oder der
Wertebereich) von ν.
B EWEIS Nach P1 ist ν ein Funktion, und nach P3 ist ν injektiv. Nach P2 ist 0 kein Element
des Bildes von ν. Nun ist noch zu zeigen, dass 0 das einzige Element von N ist, das nicht
im Bild von ν liegt. Dazu sei W = {0} ∪ Bild(ν). Da 0 ∈ W ist und Bild(ν) zu jedem
n ∈ N den Nachfolger n0 enthält, ist W = N nach P4 . Also ist Bild(ν) = N\{0} und
damit 0 die einzige natürlich Zahl, die nicht in Bild(ν) enthalten ist.
Korollar 1 Die einzige natürliche Zahl, die kein Nachfolger einer natürlichen Zahl ist, ist 0.
Insbesondere ist 0 dadurch eindeutig bestimmt, d. h. es gibt keine von 0 verschiedene natürliche
Zahl, die ebenfalls P2 erfüllt.
1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen
Definition 3 Es sei M eine nichtleere Menge und M0 eine Menge mit M ⊆ M0 . Eine
Verknüpfung (oder Operation) ◦ ist eine Abbildung ◦ : M × M → M0 . Die Verknüpfung
◦ ist auf M abgeschlossen, wenn M0 = M ist, d. h. wenn für alle a, b ∈ M gilt, dass
a ◦ b ∈ M ist.
4
Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen
Bemerkung 4 Für Verknüpfungen benutzt man üblicherweise die Infixnotation, d. h.
man schreibt nicht in Präfixnotation ◦( a, b), wie es bei Abbildungen üblich ist, sondern
a ◦ b (gelesen: „a verknüpft mit b“ oder „a Kreis b“).
Definition 4 Eine algebraische Struktur ist ein Paar ( M, ◦), bestehend aus einer nichtleeren Menge M und einer Verknüpfung ◦ : M × M → M0 mit M ⊆ M0 . Eine algebraische Struktur ( M, ◦) ist abgeschlossenen, wenn ◦ abgeschlossen ist.
Beispiel 1 Abgeschlossene algebraische Strukturen sind beispielsweise:
• (N, +) (das soll im Weiteren gezeigt werden)
• (Q, ·)
• (P ( M), ∪), wobei M eine beliebige nichtleere Menge ist.
• (Rn×n , ·), wobei Rn×n die Menge der quadratischen n × n-Matrizen über den reellen Zahlen und · die Matritzenmultiplikation ist.
• (Sym(3), ◦), wobei Sym(3) die Menge aller bijektiven Abbildungen der Menge
{1, 2, 3} in sich selbst und ◦ das Hintereinanderausführen von Abbildungen ist.
• (N∗ , ˆ ), wobei ˆ das Potenzieren ist (dagegen ist (N, ˆ ) keine algebraische Struktur, da 00 nicht definiert ist und das Potenzieren wegen dieser Definitionslücke
keine Verknüpfung auf N ist).
Die folgenden Paare sind zwar algebraische Strukturen, jedoch nicht abgeschlossen:
• (N, −), denn die Subtraktion führt in die ganzen Zahl hinein.
• (N∗ , ÷), denn die Division führt in die rationalen Zahl hinein (ebenso wie (N, ˆ )
ist (N, ÷) keine algebraische Struktur, da die Division durch Null nicht definiert
ist).
Definition 5 Es sei ( M, ◦) eine algebraische Struktur.
1. Die Verknüpfung ◦ ist assoziativ, wenn a ◦ (b ◦ c) = ( a ◦ b) ◦ c für alle a, b, c ∈ M
gilt.
2. Die Verknüpfung ◦ ist kommutativ oder abelsch, wenn a ◦ b = b ◦ a für alle a, b ∈
M gilt.
3. Die Verknüpfung ◦ ist regulär, wenn für alle a, b, c ∈ M gilt: Ist a ◦ b = a ◦ c oder
b ◦ a = c ◦ a, so ist b = c. Diese Eigenschaft wird auch Kürzungsregel genannt.
4. Gibt es ein e ∈ M mit e ◦ a = a ◦ e = a für alle a ∈ M, so ist e ein Neutralelement
von M bezüglich ◦.
1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen
5
Lemma 2 Ist ( M, ◦) eine algebraische Struktur mit einer regulären Verknüpfung und a, b, x ∈
M , so ist jede Gleichung der Form a ◦ x = b eindeutig bezüglich x lösbar, sofern sie überhaupt
lösbar ist.
B EWEIS Man nehme an, die Gleichung a ◦ x = b sei lösbar und habe für x zwei verschiedene Lösungen, d. h. es gebe x1 , x2 ∈ M mit x1 6= x2 , sodass a ◦ x1 = b und a ◦ x2 = b
gilt. Durch Gleichsetzen erhält man a ◦ x1 = a ◦ x2 . Da ( M, ◦) regulär ist, folgt daraus
x1 = x2 im Widerspruch zu x1 6= x2 . Also hat die Gleichung a ◦ x = b, wenn sie überhaupt lösbar ist, nicht mehr als eine Lösung.
Beispiel 2 Für die Strukturen aus Beispiel 1 gilt:
Struktur
abgeschlossen
assoziativ
kommutativ
regulär
Neutralelement
(N, +)
(Q, ·)
(Q \ {0}, ·)
(Rn×n , ·)
(Sym(3), ◦)
(P ( M), ∪)
(N, −)
(Z∗ , ÷)
(N∗ , ˆ )
ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
nein
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
nein
nein
ja
ja
ja
ja/nein
nein
ja
nein
nein
nein
ja
nein
ja
nein
ja
nein
ja
ja
nein
0
1
1
Einheitsmatrix
id
∅
0
1
nicht vorhanden
Tabelle 1.1: Eigenschaften ausgewählter algebraischer Strukturen
Dabei ist id die sogenannte identische Abbildung, d. h. die Abbildung, die jedes Element auf sich selbst abbildet.
Beispiel 3 Die Struktur (Rn×n , ·) ist für n = 1 kommutativ und für alle n > 1 nicht,
was man für den Fall n = 2 an folgenden Matrizen sehen kann:
1 2
2 1
4 1
5 5
2 1
1 2
·
=
6=
=
·
.
3 1
1 0
7 3
1 2
1 0
3 1
Die Struktur (R2×2 , ·) ist nicht nur nicht kommutativ, sie ist darüberhinaus auch nicht
regulär, wie das folgende Beispiel zeigt: Die Gleichung
1 0
0 0
·x =
0 0
0 0
ist beispielsweise für
x=
0 0
1 1
und
x=
0 0
0 1
6
Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen
erfüllt. Wäre (R2×2 , ·) regulär, so dürfte es jedoch nur eine Lösung für diese Gleichung
geben.
An diesen beiden Beispielen kann man sehr erkennen, wie man nachweist, dass eine
algebraische Struktur eine bestimmte Eigenschaft nicht hat: Die oben genannten Eigenschaften sind in der Regel darüber definiert, dass eine Bedingung für alle Elemente einer
algebraischen Struktur erfüllt sein muss, damit die jeweilige Eigenschaft algebraische
Struktur zutrifft. Um nachzuweisen, dass eine algebraische Struktur eine dieser Eigenschaften nicht hat, braucht man man nur zu zeigen, dass ein Element die Bedingung aus
der Definition nicht erfüllt, d. h. es reicht, ein Gegenbeispiel anzugeben.
Dem gegenüber ist es in der Regel schwierig nachzuweisen, dass eine algebraische
Struktur eine dieser Eigenschaften hat, da man in diesem Fall zeigen muss, dass eine
bestimmte Bedingung für alle Elemente der Struktur erfüllt ist. Wie man so etwas zeigt,
ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Im weiteren werden Sie dazu einige Methoden kennenlernen, die sich für natürliche Zahlen eignen.
Definition 6 Eine Halbgruppe ( H, ◦) ist eine abgeschlossene, assoziative algebraische
Struktur, d. h. :
1. Für alle a, b ∈ H ist a ◦ b ∈ H.
2. Für alle a, b, c ∈ H gilt a ◦ (b ◦ c) = ( a ◦ b) ◦ c.
1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen
Dieser Abschnitt führt zuerst die üblichen Verknüpfungen der natürlichen Zahlen ein,
nämlich die Addition und die Multiplikation – und daraus abgeleitet die Umkehroperationen Subtraktion und Division. Anschließend werden einige der wichtigsten Eigenschaften dieser Verknüpfungen bewiesen, wie beispielsweise ihre Assoziativität, Kommutativität und Regularität (sofern sie auf die jeweilige Verknüpfung zutreffen)
Dabei wird das axiomatische Vorgehen der Mathematik deutlich: All diese Verknüpfung, die mit ihren Eigenschaften in der Schule als „naturgegeben“ angenommen werden, lassen sich durch in Anschluss an die Peano-Axiome definieren, und man kann
dann ihre Eigenschaften aus den Peano-Axiomen beweisen. Diese Beweise sind größtenteils relativ technisch. Sie müssen daher (anders als alle anderen Teile dieses Skriptes)
nicht im Detail nachvollzogen werden. Es reicht, wenn man sich darüber im Klaren ist,
dass sich alle Eigenschaften der beiden Verknüpfungen „im Prinzip“ aus den PeanoAxiomen beweisen lassen, ohne selbst diesen Beweis aufstellen zu können.
Was hingegen aus diesem Abschnitt unverzichtbar ist: Man sollte die grundlegenden Eigenschaften der vier Verknüpfungen kennen und anwenden können und darüber hinaus die Verknüpfungen der natürlichen Zahlen als Spezialfälle der algebraischer Strukturen einordnen können. Dazu gehören neben den bereits genannten Begriffen auch die folgenden: Gruppe, Verknüpfung, Neutralelement, Nullteilerfreiheit,
Regularität, Abgeschlossenheit, Inverses und inverse bzw. Umkehroperation.
1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen
7
1.3.1 Addition
Definition 7 Es sei n ∈ N. Es ist f n : N → N eine n-Additionsfunktion, wenn f n die
folgenden beiden Bedingungen erfüllt:
1. Es ist f n (0) = n.
2. Für alle m ∈ N ist f n (m0 ) = f n (m)0 .
Lemma 3 Es sei n ∈ N. Dann gilt:
1. Es gibt eine n-Additionsfunktion f n .
2. Die Funktion f n ist eindeutig bestimmt.
3. Die Funktion f n ist injektiv.
B EWEIS Der Beweis dieses Satzes erfordert genauere Kenntnis der Mengenlehre und
wird aus diesem Grund hier ausgelassen.
Definition 8 Es seien n, m ∈ N. Dann ist n + m := f n (m). Dabei ist f n die n-Additionsfunktion.
Bemerkung 5 Durch die Fallunterscheidung in Definition 8 wird der Null eine Sonderrolle bei der Addition natürlicher Zahlen zugewiesen. Sie wird dadurch zum Neutralelement in (N, +). Hieran sieht man: Welche mathematischen Gesetze gelten, hängt
davon ab, welche Definitionen man verwendet.
Lemma 4 Die Verknüpfung + ist auf N abgeschlossen.
B EWEIS Für einen Ausdruck der Art 0 + m liegt 0 + m = m nach Definition von + in
N; und für n ∈ N∗ ergibt sich n + m ∈ N daraus, dass f n nach Lemma 3 eine Funktion
mit Werten in N ist.
Lemma 5 Für alle n, m ∈ N gilt n + m0 = (n + m)0 .
B EWEIS Induktionsanfang: Für n = 0 gilt 0 + m0 = m0 = (0 + m)0 unmittelbar nach
Definition.
Induktionsschritt: Als Induktionsvoraussetzung gelte n + m0 = (n + m)0 . Nun ist zu
zeigen, dass unter dieser Voraussetzung auch n0 + m0 = (n0 + m)0 gilt. Es gilt:
n0 + m0 = f n0 (m0 ) (nach Definition der Addition)
=
=
=
=
f n0 (m)0 (nach den Eigenschaften der n-Additionsfunktion)
(n + m0 )0 (nach Definition der Addition)
((n + m)0 )0 (nach Induktionsvoraussetzung)
( f m (n)0 )0 (nach Definition der Addition)
8
Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen
= ( f m (n0 ))0 (nach den Eigenschaften der n-Additionsfunktion)
= (n0 + m)0 (nach Definition der Addition)
Also ist insgesamt gezeigt, dass n0 + m0 = (n0 + m)0 gilt.
Bemerkung 6 Lemma 5 ist wahrlich kein besonders tiefsinniger Satz (nach ihm gilt beispielsweise 2 + (3 + 1) = (2 + 3) + 1; und wen sollte dieses Ergebnis überraschen?). Es
ist erstaunlich, dass man einen derart trivialen Satz relativ umständlich beweisen muss.
Dies liegt an der Natur der axiomatischen Methode: Man versucht mit möglichst wenig
Axiomen auszukommen. Für die ersten Beweise hat man daher nur einen sehr schmale
Vorrat an Grundlagen, auf die man sich in den Beweisen stützen kann. Deshalb muss
man in den ersten Beweisen häufig mehrmals auf dieselben Aussagen zurückgreifen
und produziert daher auch für einfache Sätze relativ lange und umständliche Beweise.
Satz 2 (Eigenschaften der Addition) Für alle n, m, k ∈ N gilt:
1. 0 + n = n + 0 = n (Neutralität von 0),
2. n + (m + k) = (n + m) + k (Assoziativität),
3. n + m = m + n (Kommutativität),
4. n + m = n + k ⇒ m = k (Regularität oder Kürzungsregel),
5. n + m = 0 ⇒ n = 0 ∧ m = 0.
B EWEIS 1) Es gelten 0 + n = n und n + 0 = f n (0) = n unmittelbar nach der jeweiligen
Definition.
2) Induktionsanfang: Es sei n = 0. Dann ergibt sich die Behauptung unmittelbar aus
der Definition. Induktionsvoraussetzung: Für n sei bereits gezeigt, dass n + (m + k ) =
(n + m) + k gilt. Nun ist im Induktionsschritt zu zeigen, dass auch n0 + (m + k) = (n0 +
m) + k gilt. Es ist n0 + (m + k ) = (n + (m + k ))0 = ((n + m) + k )0 = (n + m)0 + k =
(n0 + m) + k nach Lemma 5 und aufgrund der Induktionsvoraussetzung.
3) Analog zum vorangegangenen Beweis.
4) Induktionsanfang: Es sei n = 0. Dann folgt aus 0 + k = 0 + m unmittelbar nach
Definition der Addition die Aussage k = m. Induktionsschritt: Als Induktionsvoraussetzung sei bereits gezeigt, dass aus n + m = n + k die Aussage m = k folge. Nun ist zu
zeigen, dass auch aus n0 + m = n0 + k die Aussage m = k folgt. Es gelte n0 + m = n0 + k.
Daraus folgt nach Lemma 5, dass auch (n + m)0 = (n + k)0 gilt. Da die Nachfolgerfunktion nach Lemma 1 injektiv ist, folgt aus (n + m)0 = (n + k )0 , dass n + m = n + k ist.
Nun gilt nach Induktionsvoraussetzung k = m.
5) Man nehme an, es sei n 6= 0 oder m 6= 0. Falls m 6= 0 ist, dann gibt es ein u ∈ N
mit u0 = m. Daher ist 0 = n + m = f n (m) = f n (u0 ) = f n (u)0 im Widerspruch dazu,
dass 0 kein Nachfolger einer natürlichen Zahl ist. Falls n 6= 0 ist, erhält man wegen der
Kommutativität der Addition analog einen Widerspruch.
1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen
9
Korollar 2 Es ist (N, +) eine kommutative, reguläre Halbgruppe mit 0 als Neutralelement.
Satz 3 Es seien a1 , a2 , . . . , an ∈ N. Dann ist die Summen von a1 , a2 , . . . , an unabhängig von
der Klammerung und der Reihenfolge der Zahlen a1 , a2 , . . . , an , insbesondere ist a1 + a2 + . . . +
an ohne jede Klammerung ein sinnvoller Ausdruck.
B EWEIS Zuerst wird gezeigt, dass der Wert von a1 + a2 + . . . + an unabhängig von der
Klammerung ist.
Induktionsanfang: Für n = 3 folgt a1 + ( a2 + a3 ) = ( a1 + a2 ) + a3 aus der Assoziativität, die in Satz 2 bewiesen wurde. Also kann insbesondere auf die Klammerung im
Ausdruck a1 + a2 + a3 verzichtet werden.
Induktionsschritt: Für n sei bereits gezeigt, dass im Ausdruck a1 + a2 + . . . + an die
Klammerung keine Rolle spielt. Es sei a∗ der nach der Induktionsvoraussetzung eindeutig bestimmte Wert einer beliebig geklammerten Summe, in der jedes Element aus
der Menge { a1 , a2 , . . . , an } bis auf ein beliebiges Element ai dieser Menge genau einmal
als Summand auftritt. Dann gilt ( a∗ + ai ) + an+1 = a∗ + ( ai + an+1 ) wegen der Assoziativität der Addition.
Nun wird gezeigt, dass der Wert von a1 + a2 + . . . + an unabhängig von der Reihenfolge der Summanden ist.
Induktionsanfang: Für n = 2 ergibt sich a1 + a2 = a2 + a1 unmittelbar aus der Kommutativität der Addition.
Induktionsschritt: Für n sei bereits gezeigt, dass der Wert des Ausdrucks a1 + a2 +
. . . + an unabhängig von der Reihenfolge der Summanden ist. Es sei a∗ der nach der
Induktionsvoraussetzung eindeutig bestimmte Wert der Summe, in der jedes Element
aus der Menge { a1 , a2 , . . . , an } in beliebiger Reihenfolge genau einmal als Summand
auftritt. Dann gilt a∗ + an+1 = an+1 + a∗ wegen der Kommutativität der Addition.
1.3.2 Multiplikation
Definition 9 Es sei n ∈ N∗ . Es ist gn : N → N eine n-Multiplikationsfunktion, wenn
gn die folgenden Bedingungen erfüllt:
1. Es ist gn (0) = 0.
2. Für alle m ∈ N∗ ist gn (m0 ) = gn (m) + n.
Lemma 6 Es sei n ∈ N∗ . Dann gilt:
1. Es gibt eine n-Multiplikationsfunktion gn .
2. Die Funktion gn ist eindeutig bestimmt.
3. Die Funktion gn ist injektiv.
10
Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen
B EWEIS Der Beweis dieses Satzes erfordert genauere Kenntnis der Mengenlehre und
wird aus diesem Grund hier ausgelassen.
Definition 10 (Multiplikation) Es seien n, m ∈ N. Dann ist n · m := gn (m). Dabei ist gn
die n-Multiplikationsfunktion.
Satz 4 (Eigenschaften der Multiplikation) Für alle n, m, k, s ∈ N gilt:
1. 0 · n = n · 0 = 0,
2. 1 · n = n · 1 = n (Neutralität von 1),
3. n · (m · k) = (n · m) · k (Assoziativität),
4. n · m = m · n (Kommutativität),
5. n · (s + k ) = n · s + n · k (Distributivität),
6. Falls n > 0 ist, gilt s · n = k · n ⇒ s = k (Regularität oder Kürzungsregel),
7. s · k = 0 ⇒ s = 0 ∨ k = 0 (Nullteilerfreiheit)
Überlegen Sie bitte selbst, warum zum Teil Null als Wert der Variablen ausgeschlossen
werden muss, um wahre Aussagen zu erhalten.
B EWEIS 1) Die Behauptung folgt unmittelbar aus der Definition der Multiplikation.
2) Es gilt 1 · n = n und n · 1 = gn (1) = n unmittelbar nach den jeweiligen Definitionen.
3) Analog zum Nachweis der Assoziativität in Satz 2.
4) Analog zum Nachweis der Kommutativität in Satz 2.
5) Induktionsanfang: Es sei n = 0. Dann gilt 0 · (s + k ) = 0 und 0 · s + 0 · k = 0 + 0 = 0
unmittelbar nach den Definitionen der Addition und Multiplikation. Induktionsschritt:
Als Induktionsvoraussetzung sei bereits gezeigt, dass n · (s + k) = n · s + n · k gelte.
Dann gilt:
n0 · (s + k ) = n · (s + k ) + s + k (nach Definition der Multiplikation)
= n · s + n · k + s + k (nach Induktionsvoraussetzung)
= n · s + s + n · k + k (wegen der Kommutativität der Addition)
= n0 · s + n0 · k (nach Definition der Multiplikation)
Damit ist insgesamt n0 · (s + k ) = n0 · s + n0 · k bewiesen.
6) Analog zum Nachweis der Regularität in Satz 2.
7) Man nehme an, es sei s · k = 0, und es gelte sowohl s 6= 0 als auch k 6= 0. Da k 6= 0
ist, gibt es nach Korollar 1 ein u ∈ N mit u0 = k. Da s 6= 0 ist, gilt s · k = gs (k ) =
gs (u0 ) = gs (u)0 . Also ist s · k der Nachfolger von gs (u). Da aber Null nach Korollar 1
kein Nachfolger einer natürlichen Zahl ist, ist s · k 6= 0 im Widerspruch zu s · k = 0.
1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen
11
Korollar 3 Es ist (N∗ , ·) eine kommutative, reguläre, nullteilerfreie Halbgruppe mit 1 als Neutralelement.
Satz 5 Es seien a1 , a2 , . . . , an ∈ N. Dann ist das Produkt von a1 , a2 , . . . , an unabhängig von
der Klammerung und der Reihenfolge der Zahlen a1 , a2 , . . . , an , insbesondere ist a1 · a2 · . . . · an
ohne jede Klammerung ein sinnvoller Ausdruck.
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 3.
1.3.3 Subtraktion und Division
Definition 11 Es seien n, m ∈ N. Dann gilt n − m = d genau dann, wenn n = m + d ist.
Man nennt dann d die Differenz von n und m.
Bemerkung 7 Wegen der Regularität von (N, +) ist die Differenz von n und m eindeutig bestimmt und der Gebrauch des bestimmten Artikels zulässig.
Definition 12 Es seien n, m ∈ N mit m 6= 0. Dann gilt n : m = q (oder in anderen
n
= q) genau dann, wenn n = m · q ist. Man nennt dann
Schreibweisen n ÷ m = q bzw. m
q den Quotienten von n bei Division durch m.
Bemerkung 8 Wegen der Regularität von (N∗ , ·) ist der Quotient von n und m eindeutig bestimmt und der Gebrauch des bestimmten Artikels zulässig.
Bemerkung 9 Durch die beiden vorangegangenen Definition werden zwei Abbildungen von jeweils einer Teilmenge von N × N in N definiert, nämlich die Subtraktion und
die Division. Diese Abbildungen sind keine Verknüpfungen, da Differenz und Quotient
nicht für alle Paare natürlicher Zahlen definiert sind. Beispielsweise ist die Gleichung
2 − 3 = c für kein c ∈ N erfüllt, d. h. der Wert der Abbildung − ist für das Paar (2, 3)
nicht definiert. Erst in Z hat die Gleichung 2 − 3 = c eine Lösung, nämlich c = −1.
Diese Zahl steht jedoch in N nicht zur Verfügung. Dies ist eine Motivation für das Projekt der Zahlbereichserweiterungen: Man erweitert eine Menge von Zahlen (z. B. N) auf
eine größere Menge von Zahlen (z. B. N auf Z), damit sich die Lösungsmöglichkeiten
von Gleichungen erhöhen, z. B. damit man nicht nur 3 − 2 = c lösen kann, sondern auch
2 − 3 = c.
1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen
1.4.1 Ordnungsrelationen
Definition 13 Es sei M eine Menge und R eine Relation auf M. Dann heißt R Ordnung
oder Ordnungsrelation auf M, wenn für alle a, b, c ∈ M gilt:
1. aRa (Reflexivität),
12
Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen
2. aRb ∧ bRc ⇒ aRc (Transitivität) und
3. aRb ∧ bRa ⇒ a = b (Antisymmetrie oder Identitivität).
Wenn darüber hinaus für alle a, b ∈ M auch
4. aRb ∨ bRa (Konnektivität)
gilt, so ist ≤ eine lineare oder totale Ordnung auf M.
1.4.2 Die Ordnungsrelation der natürlichen Zahlen
Definition 14 Es seien n, m ∈ N. Dann ist
n ≤ m :⇔ ∃s ∈ N : n + s = m
n < m :⇔ n ≤ m ∧ n 6= m
Beispiel 4 Es ist 3 < 5, da 3 + 2 = 5 ist, d. h. da es ein s ∈ N gibt, sodass 3 + s = 5 ist,
nämlich s = 3. Dagegen ist 5 ≮ 3, da es kein s ∈ N gibt, sodass die Gleichung 5 + s = 3
erfüllt ist.
Satz 6 Die Relation ≤ ist eine lineare Ordnung auf N, d. h. für alle n, m, k ∈ N gilt:
1. n ≤ n (Reflexivität),
2. n ≤ m ∧ m ≤ k ⇒ n ≤ k (Transitivität),
3. n ≤ m ∧ m ≤ n ⇒ n = m (Antisymmetrie oder Identitivität) und
4. n ≤ m ∨ n ≤ m (Konnektivität).
B EWEIS 1) Es gilt n + 0 = n für alle n ∈ N und damit n ≤ n.
2) Es gelte n ≤ m und m ≤ k, d. h. es gibt s1 ∈ N mit n + s1 = m und s2 ∈ N mit
m + s2 = k. Daher gilt k = m + s2 = (n + s1 ) + s2 = n + (s1 + s2 ), also n ≤ k.
3) Es gelte n ≤ m und m ≤ n, d. h. es gibt s1 ∈ N mit n + s1 = m und s2 ∈ N
mit m + s2 = n. Daher gilt n = m + s2 = (n + s1 ) + s2 = n + (s1 + s2 ), also n + 0 =
n + (s1 + s2 ). Wegen der Regularität von (N, +) ist 0 = s1 + s2 . Nach Satz 2 ist dann
s1 = s2 = 0, also n = m.
4) Induktionsanfang: Für n = 0 gilt 0 ≤ m für alle m ∈ N, da 0 + m = m ist. Induktionsschritt: Für n sei als Induktionsvoraussetzung bereits gezeigt, dass n ≤ m oder
m ≤ n gilt. Falls m ≤ n gilt, so gilt auch m ≤ n0 , denn einerseits gilt n ≤ n0 wegen
n0 = n + 1, und andererseits folgt aus m ≤ n und n ≤ n0 wegen der Transitivität der
≤-Relation die Aussage m ≤ n0 . Falls n ≤ m gilt, so kann man n 6= m annehmen, da
der Fall m = m von m ≤ n abgedeckt wird. Da n ≤ m gilt, gibt es ein s ∈ N∗ mit
n + s = m. Da s 6= 0 ist, gibt es nach Korollar 1 ein u ∈ N mit u0 = s. Daher ist
n0 + u = n + 1 + u = n + u + 1 = n + u0 = n + s = m. Also ist n0 ≤ m.
1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen
13
Satz 7 (Verträglichkeit) Die Ordnung ≤ ist verträglich mit der Addition und Multiplikation,
d. h. es gilt für alle n, m, k ∈ N:
1. n ≤ m ⇒ n + k ≤ m + k,
2. n ≤ m ⇒ n · k ≤ m · k.
B EWEIS Übung.
1.4.3 Die Wohlordnung oder das Prinzip des kleinsten Elementes
Definition 15 Es sei M eine Menge, ≤ eine lineare Ordnung auf M und T eine Teilmenge von M. Falls es ein s ∈ M gibt mit t ≤ s für alle t ∈ T, so ist T nach oben beschränkt,
und s heißt obere Schranke von T.
Definition 16 Es sei M eine Menge, ≤ eine lineare Ordnung auf M und T eine Teilmenge von M. Falls es ein s ∈ M gibt mit s ≤ t für alle t ∈ T, so ist T nach unten beschränkt,
und s heißt untere Schranke von T.
Lemma 7 Jede nichtleere Teilmenge T von N hat eine untere Schranke.
B EWEIS Für alle n ∈ N gilt 0 ≤ n, da 0 + n = n ist. Also ist Null eine untere Schranke
jeder Teilmenge von N.
Definition 17 Es sei M eine Menge, T eine Teilmenge von M und ≤ eine lineare Ordnung auf M. Falls es genau ein m ∈ T gibt, sodass m eine untere Schranke von T ist, so
ist m das Minimum von M (in Zeichen: m = min( T )).
Satz 8 (Das Prinzip des kleinsten Elementes) Jede nichtleere Teilmenge T von N hat ein
Minimum.
B EWEIS Es sei S = {s ∈ N | ∀t ∈ T : s ≤ t}, d. h. S sei die Menge aller unteren
Schranken von T. Nach Lemma 7 ist S 6= ∅. Da T nicht leer ist, gibt es ein t ∈ T.
Da t < t0 ist, ist t0 ∈
/ S, also ist S 6= N. Nach P4 gibt es daher ein s ∈ S mit s0 ∈
/ S
(denn andernfalls wäre nach P4 N = S). Nun wird gezeigt, dass s das Minimum von
T ist. Da s0 ∈
/ S ist, ist s0 keine untere Schranke von T, d. h. es gilt ¬∀u ∈ T : s0 ≤ u
bzw. logisch äquivalent dazu ∃u ∈ T : u < s0 , d. h. es gibt ein u ∈ T mit u < s0 . Da
andererseits s eine untere Schranke von T ist, gilt s ≤ u, insgesamt also s ≤ u < s0 . Man
nehme an, dass s < u gelte, d. h. dass es ein k ∈ N∗ gebe mit s + k = u. Da dann aber
s0 = s + 1 ≤ s + k = u im Widerspruch zu u < s0 steht, gilt nicht s < u, sondern s = u.
Daher gilt sowohl s ∈ S als auch s ∈ T, d. h. s ist sowohl ein Element von T als auch
eine untere Schranke von T. Also ist s ein Minimum von T. Da N linear geordnet und
damit insbesondere antisymmetrisch ist, ist s eindeutig bestimmt.
14
Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen
Definition 18 Es sei M eine Menge, T eine Teilmenge von M und ≤ eine lineare Ordnung auf M. Falls es genau ein m ∈ T gibt mit t ≤ m für alle t ∈ T, so ist m das
Maximum von M (in Zeichen: m = max ( T )).
Satz 9 Jede nach oben beschränkte, nichtleere Teilmenge T von N hat ein Maximum.
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 9.
Kapitel 2
Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
2.1 Die Teilbarkeitsrelation
Definition 19 Es seien n und m natürliche Zahlen. Dann ist m ein Teiler von n (in Zeichen: m | n), wenn es ein s ∈ N gibt mit n = s · m. Formal:
m | n :⇔ ∃s ∈ N : n = s · m
Es ist m ein echter Teiler von n, wenn m | n und m ∈
/ {1, n} gilt. Ist m kein Teiler von n,
so schreibt man m - n.
Bemerkung 10 Durch Definition 19 wird eine Relation auf N eingeführt, nämlich die
Teilbarkeitsrelation
n
o
|= (m, n) ∈ N2 | ∃s ∈ N : n = s · m
Die Teilbarkeitsrelation ist reflexiv, transitiv und antisymmetrisch und weist darüber
hinaus einige weitere spezielle Eigenschaften auf, die im Satz 10 zusammengefasst sind.
Satz 10 (Teilbarkeitsregeln) Für alle n, m, k ∈ N gilt:
1. 1 | n.
2. n | n (Reflexivität).
3. m | n ⇒ 1 ≤ m ≤ n für n 6= 0.
4. m | n ∧ n | m ⇒ n = m (Antisymmetrie).
5. m | k ∧ k | n ⇒ m | n (Transitivität).
6. m | n ⇒ m | t · n für alle t ∈ N∗ .
7. k | n ∧ k | m ⇒ k | n + m.
8. k | n ∧ k | n + m ⇒ k | m.
16
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
B EWEIS An dieser Stelle werden nur die Transitivität und die letzte Aussage exemplarisch bewiesen. Alle anderen Aussagen lassen sich ähnlich beweisen. Diese Beweise
bleiben dem Leser zur Übung überlassen.
Zur Transitivität: Nach Definition 19 gibt es s1 , s2 ∈ N mit k = s1 · n und m = s2 · k.
Daher ist m = s2 · k = s2 · (s1 · n) = (s2 · s1 ) · n. Also ist n ein Teiler von m.
Zur letzten Aussage: Es sei k ein Teiler von n und n + m. Dann gibt es nach Definition 19 natürliche Zahlen s1 und s2 mit n = s1 · k und n + m = s2 · k. Daher ist
m = s2 · k − n = s2 · k − s1 · k = (s2 − s1 ) · k. Da n + m > n ist, ist auch s2 · k > s1 · k und
somit s2 − s1 ∈ N. Also ist k ein Teiler von m.
Korollar 4 Es seien n, m, l ∈ N mit n = m + l. Teilt t ∈ N zwei der Zahlen aus der Menge
{n, m, l }, so teilt t auch die dritte dieser Zahlen.
Definition 20 Es sei n eine natürliche Zahl. Dann ist
Tn = {m ∈ N | ∃s ∈ N : n = s · m}
die Teilermenge von n,
τ (n) = | Tn |
die Anzahl der Teiler von n,
σ(n) =
∑
t
t∈ Tn
die Summe der Teiler von n,
Tn∗ = Tn \ {1, n}
die Menge der echten Teiler von n und
Vn = {m ∈ N | ∃s ∈ N \ {0} : m = s · n}
die Vielfachenmenge von n.
Beispiel 5 Für n = 12 ist
T12 = {1, 2, 3, 4, 6, 12}
τ (12) = 6
σ (12) = 28
∗
T12
= {2, 3, 4, 6}
V12 = {12, 24, 36, . . .}
Außerdem ist T0 = N, τ (0) = ∞, V0 = {0}, T1 = {1}, τ (1) = 1 und V1 = N.
Damit sind Null und Eins Sonderfälle. Wie sich später zeigen wird, ist für alle n ∈ N∗
die Menge Tn endlich und Vn unendlich. Bei Null ist es umgekehrt. Unter anderem aus
diesem Grund muss Null in vielen Sätzen ausgenommen werden, d. h. die meisten der
kommenden Sätze gelten nur für N∗ = N \ {0}, und nicht für ganz N.
2.1 Die Teilbarkeitsrelation
17
Ebenso wird 1 in manchen Fälle ausgeschlossen, da sich manche Sätze nur beweisen
lassen bzw. manche Definitionen nur brauchbar sind, wenn | Tn | ≥ 2 ist. Dies wird aber
von 1 als einziger natürlicher Zahl nicht erfüllt.
Lemma 8 Es sei n ∈ N∗ . Dann ist Tn eine endliche Menge.
B EWEIS Es sei m | n. Nach Satz 10 ist dann 1 ≤ m ≤ n. Daher ist Tn ⊆ {1, 2, . . . , n}, und
da {1, 2, . . . , n} endlich ist, ist auch Tn endlich.
Definition 21 Es seien n, m, s ∈ N∗ , und es gelte n = s · m. Dann ist s der zu m komplementäre Teiler von n.
Lemma 9 Sind n, m, s ∈ N∗ und ist s der Komplementärteiler zu m von n, so ist s eindeutig
bestimmt.
B EWEIS Nach Satz 4 ist die Multiplikation in N∗ regulär, d. h. aus s · m = t · m folgt
s = t. Damit ist der Komplementärteiler zu m eindeutig bestimmt.
Bemerkung 11 Unmittelbar aus der Definition 19 ist ersichtlich, dass jeder Teiler einen
komplementären Teiler hat. Möchte man also Tn durch Ausprobieren bestimmen, so
√
genügt es daher, natürliche Zahl k mit k ≤ n zu betrachten. Alle Teiler von n größer
√
√
als n sind komplementäre Teiler zu einem Teiler k von n kleiner als n.
√
Beispiel 6 Für n = 132 ist 132 ≈ 11, 489 bzw. 112 = 121 < 132 < 144 = 122 . Also
braucht man nur die Zahlen von 1 bis 11 zu betrachten, um Teiler von 132 zu finden:
132 = 1 · 132
132 = 2 · 66
132 = 3 · 44
132 = 4 · 33
132 = 5 · 26 + 2, also 5 - 132
132 = 6 · 22
132 = 7 · 18 + 6, also 7 - 132
132 = 8 · 16 + 2, also 8 - 132
132 = 9 · 14 + 6, also 9 - 132
132 = 10 · 13 + 1, also 10 - 132
132 = 11 · 12
Also ist T132 = {1, 2, 3, 4, 6, 11, 12, 22, 33, 44, 66, 132}.
In diesem Beispiel wurde stillschweigend benutzt, dass man beispielsweise aus 132 =
5 · 26 + 2 folgern kann, dass 5 kein Teiler von 132 ist. Dass dieser Schluss zulässig ist,
zeigt das folgende Lemma.
18
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
Lemma 10 Es seien n, q, s, r ∈ N∗ mit n = s · q + r und 0 < r < q. Dann ist q kein Teiler
von n.
B EWEIS Man nehme an, q sei ein Teiler von n. Dann gibt es ein k ∈ N mit n = k · q. Also
ist k · q = s · q + r. Da 0 < r < q gilt, ist k · q > s · q. Daher ist die Differenz k · q − s · q
eine natürliche Zahl größer als Null. Also ist r = k · q − s · q = (k − s) · q. Daher gilt q | r,
also nach Satz 10 auch 1 ≤ q ≤ r im Widerspruch zu 0 < r < q.
2.2 Primzahlen
Definition 22
1. Eine natürliche Zahl p ist eine Primzahl, wenn | Tp | = 2 ist.
2. Die Menge der Primzahlen wird mit P bezeichnet.
3. Eine natürliche Zahl n 6= 0 ist eine zusammengesetze Zahl, wenn | Tn | ≥ 3 ist.
4. Es seien n, p ∈ N. Dann ist p ein Primfaktor von n, wenn p | n gilt und p eine
Primzahl ist.
Satz 11 Es sei n ∈ N und n > 1. Dann gibt es eine Primzahl p, sodass p | n gilt.
B EWEIS Falls n eine Primzahl ist, dann ist p | n mit p = n erfüllt. Falls n keine Primzahl
ist, dann ist n wegen n > 1 eine zusammengesetzte Zahl, d. h. es ist | Tn | > 2, da wegen
{1, n} ⊆ Tn der Fall | Tn | ≤ 1 ausgeschlossen ist. Also ist Tn∗ 6= ∅. Daher existiert nach
Satz 8 ein p ∈ Tn∗ mit p = min( Tn∗ ). Man nehme an, p sei keine Primzahl. Dann ist p
ebenfalls eine zusammengesetzte Zahl und hat daher einen echten Teiler k. Nach Satz 10
ist dann 1 < k < p. Wegen der Transitivität der Teilbarkeitsrelation ist k auch ein Teiler
von n und daher k = min( Tn∗ ) im Widerspruch zu p = min( Tn∗ ). Also ist p eine Primzahl.
Satz 12 Eine natürliche Zahl n 6= 0 ist genau dann eine zusammengesetzte Zahl, wenn es eine
√
Primzahl p ≤ n gibt mit p | n.
B EWEIS Es sei n 6= 0 eine zusammengesetzte Zahl. Nach Satz 11 gibt es wenigstens
√
eine Primzahl p mit p | n. Es sei p der kleinste Primfaktor von n. Dann ist p ≤ n. Man
√
√
nehme an, es sei p > n sei. Dann ist der zu p komplementären Teiler np kleiner als n
√
im Widerspruch zur Minimalität von p. Also ist p ≤ n.
Nun sei umgekehrt p eine Primzahl mit p | n. Dann hat n den echten Teiler p und ist
damit eine zusammengesetzte Zahl (für den Beweis der Umkehrung reicht es also aus,
√
dass p ein Primfaktor ist; die Bedingung p ≤ n wird nicht benötigt).
Bemerkung 12 Aus Satz 12 kann man einen primitiven Primzahltest ableiten: Man prü√
fe für jede Primzahl p mit p ≤ n, ob p ein Teiler von n ist. Wenn sich unter diesen
Primzahlen kein Teiler finden lässt, so ist n eine Primzahl.
2.2 Primzahlen
19
√
Beispiel 7 Für n = 131 ist 131 ≈ 11, 445 bzw. 112 = 121 < 131 < 144 = 122 . Also
braucht man für einen Primzahltest nur die Primzahlen zu betrachten, die kleiner oder
gleich 11 sind (bei der Überprüfung der Teilbarkeit wird wieder Lemma 10 benutzt):
131 = 2 · 65 + 1, also 2 - 131
131 = 3 · 43 + 2, also 3 - 131
131 = 5 · 26 + 1, also 5 - 131
131 = 7 · 18 + 5, also 7 - 131
131 = 11 · 11 + 10, also 11 - 131
Damit ist nachgewiesen, dass 131 eine Primzahl ist.
2.2.1 Das Sieb des Eratosthenes
Bemerkung 13 Der Mathematiker Eratosthenes von Kyrene hat im 3. Jahrhundert v. Chr.
ein Verfahren vorgestellt, mit dem man Primzahlen aus der Menge {1, 2, . . . , n2 } für ein
beliebiges n ∈ N mit n > 2 aussortieren kann. Dieses Verfahren entspricht im Wesentlichen dem primitiven Primzahltest aus Bemerkung 12 – mit dem Unterschied, dass er
für alle Zahlen von 1 bis n2 gleichzeitig durchgeführt wird:
1. Man schreibt die Zahlen von 1 bis n2 in einem quadratischen Schema der Größe
nach sortiert auf (dabei hat jede Zeile und Spalte n Einträge, d. h. die erste Zeile
enthält die Zahlen 1, 2, . . . , n; die zweite die Zahlen n + 1, n + 2, . . . , 2 · n usw.)
2. Man streicht 1 durch.
3. Man markiert 2 und streicht alle Vielfachen von 2 durch.
4. Man wiederholt den letzten Schritt so lange mit der jeweils kleinsten Zahl, die
noch
nicht gestrichen √
ist, solange diese kleinste nichtgestrichene Zahl kleiner als
√
n2 = n oder gleich n2 = n√ist (da alle Primzahlen bis n2 gesucht werden, ist
nach Bemerkung 12 die Zahl n2 , also n, die relevante Schranke, d. h. das Abbruchkriterium für das Verfahren).
Nach Abschluss des Verfahrens sind die Primzahlen bis n2 genau die markierten Zahlen. Der Satz 12 garantiert, dass das Verfahren das korrekte Ergebnis liefert. Die quadratische Anordnung der Zahlen hat folgenden Vorteil: Die Vielfachen mancher Zahlen
liegen auf senkrechten oder diagonal verlaufenden Geraden und können diesen Geraden gemäß haptisch einfacher gestrichen werden.
2.2.2 Anzahl und Abstände von Primzahlen
Satz 13 Die Menge der Primzahlen P ist unendlich.
20
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
B EWEIS (E RSTE VARIANTE ) Man nehme an, P sei endlich, d. h. es gebe ein n ∈ N mit
P = { p1 , p2 , . . . , pn }. Man betrachte die Zahl
n
q = 1 + ∏ p i = 1 + p1 · p2 · . . . · p n
i =1
Da q > 1 ist, hat q nach Satz 11 eine Primzahl p als Teiler. Da P nach Voraussetzung
alle Primzahlen enthält, ist p ∈ P. Daher ist p einer der Faktoren des Produktes p1 · p2 ·
. . . · pn und somit nach Satz 10 ein Teiler von p1 · p2 · . . . · pn . Da p dann sowohl q als
auch p1 · p2 · . . . · pn teilt, ist p nach Satz 10 ebenfalls ein Teiler von 1. Also ist p = 1 im
Widerspruch dazu, dass p eine Primzahl ist. Daher ist P nicht endlich.
B EWEIS (Z WEITE VARIANTE ) Man nehme an, P sei endlich, d. h. es gebe ein n ∈ N mit
P = { p1 , p2 , . . . , pn }. Man betrachte die Zahl
n
q = 1 + ∏ p i = 1 + p1 · p2 · . . . · p n
i =1
Da für alle i ∈ {1, 2, . . . , n} die Primzahl pi ein Teiler des Produktes p1 · p2 , . . . , pn ist,
ist nach Lemma 10 für alle i ∈ {1, 2, . . . , n} die Primzahl pi kein Teiler von q. Also ist q
nach Satz 12 eine Primzahl. Da q > pi für allen i ∈ {1, 2, . . . , n} ist, ist q kein Element
von { p1 , p2 , . . . , pn } im Widerspruch dazu, dass { p1 , p2 , . . . , pn } alle Primzahlen enthält.
Daher ist P nicht endlich.
Bemerkung 14 Der Satz 13 wurde bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. von Euklid formuliert und durch einen Widerspruchsbeweis bewiesen, dem derselbe Gedanke zugrunde
liegt, wie den beiden hier aufgeführten.
Satz 14 Es sei n ∈ N. Dann gibt es eine Folge von n aufeinander folgenden natürlichen Zahlen,
die allesamt keine Primzahlen sind.
B EWEIS Übung.
2.2.3 Exkurs: Vollkommene Zahlen und Mersennesche Primzahlen
Bemerkung 15 In diesem Abschnitt werden einige Sätze über vollkommene Zahlen
und Mersennesche Primzahlen ohne Beweis zitiert. Diese beiden Arten von Zahlen galten längere Zeit als nutzlose zahlentheoretische Spielereien.
Seitdem sich die Informatik im 20. Jahrhundert immer stärker etabliert und technische Bedeutung errungen hat, ist das Interesse an Mersenneschen Primzahlen neu entfacht: Für weit verbreitete Verschlüsselungstechniken (z. B. für das Public-Key-Verfahren) benötigt man möglichst große Primzahlen. Die Mersennezahlen bilden den bisher
einfachsten Zugang, große Primzahlen zu finden.
2.3 Primfaktorzerlegung
21
Definition 23 Es sei n ∈ N. Die Zahl n heißt vollkommen, wenn σ(n) = 2 · n ist.
Beispiel 8 Die Zahl 6 ist eine vollkommene Zahl. Es ist T6 = {1, 2, 3, 6} und damit
σ(6) = 1 + 2 + 3 + 6 = 12 = 2 · 6.
Satz 15 Es sei n ∈ N∗ .
1. Falls 2n − 1 eine Primzahl ist, dann ist 2n−1 · (2n − 1) eine vollkommene Zahl.
2. Jede gerade vollkommene Zahl lässt sich in der Form 2n−1 · (2n − 1) schreiben, wobei
2n − 1 eine Primzahl ist.
Definition 24 Es sei n ∈ N∗ . Dann heißt 2n − 1 eine Mersennezahl. Ist 2n − 1 eine Primzahl, so heißt 2n − 1 Mersenneprimzahl.
Satz 16 Es sei n ∈ N∗ . Eine Mersennezahl 2n − 1 ist keine Primzahl ist, wenn n keine Primzahl ist.
Bemerkung 16 Der vorangegangenen Satz eröffnet die Methode, mit der man über
Mersennezahlen große Primzahlen finden kann: Man setzt für n eine Primzahl ein und
prüft, ob 2n − 1 eine Primzahl ist (diese Prüfung ist notwendig; Mersenne hat zwar geglaubt, dass auch die Umkehrung des Satzes gelte, d. h. dass für jede Primzahl n auch
2n − 1 eine Primzahl ist; diese Vermutung hat sich jedoch nicht bestätigt). Da n als Exponent einfließt, erreicht man selbst bei relativ kleinen Werten für n große Primzahlen.
Am 15. Dezember 2005 haben Professoren der Central Missouri State University im
Rahmen des George Woltmans GIMPS-Projekts (Great Internet Mersenne Prime Search)
die bisher größte bekannte Primzahl gefunden. Sie ist eine Mersenneprimzahl, und
zwar
230 402 457 − 1.
Dies ist eine Zahl mit 9 152 052 Stellen im Dezimalsystem. Für den ersten Primzahlbeweis einer Zahl mit mehr als 10 Millionen Dezimalstellen hat die Electronic Frontier
Foundation einen Preis von 100 000 US-Dollar ausgeschrieben.
2.3 Primfaktorzerlegung
2.3.1 Der Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie
Definition 25 (Primfaktorzerlegung) Es sei n ∈ N. Sind p1 , p2 , . . . , pm Primzahlen mit
m
n=
∏ p i = p1 · p2 · . . . · p m ,
i =1
so ist p1 · p2 · . . . · pm eine Primfaktorzerlegung von n.
22
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
Beispiel 9 Es ist 126 = 2 · 32 · 7. Also sind beispielsweise
2·3·7·3
3·7·2·2
2·7·2·3
Primfaktorenzerlegungen von 126.
Satz 17 (Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie) Es sei n ∈ N und n > 1.
Dann gibt es eine Primfaktorzerlegung von n, und die Primfaktorzerlegung von n ist bis auf die
Reihenfolge der Primfaktoren eindeutig bestimmt.
B EWEIS (W IDERSPRUCHSBEWEIS NACH Z ERMELO ) Zu beweisen ist die Existenz und
die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung. Der Eindeutigkeitsbeweis folgt einem Vorbild von Ernst Zermelo (1871–1953), der 1908 das erste Axiomensystem der Mengenlehre vorgestellt hat. Dieses System wurde 1922 von Abraham Fraenkel (1891–1965) und
Thoralf Skolem (1887–1963) überarbeitet und ist seitdem das meistgebrauchte Axiomensystem der Mengenlehre. Eine prominente und teilweise ebenfalls benutzte Alternative
ist die Axiomatisierung von Paul Bernays (1888–1977), Kurt Gödel (1906–1978) und John
von Neumann (1903–1957).
Existenz) Man nehme an, es gebe natürliche Zahlen ohne Primfaktorzerlegung. Es
sei O die Menge dieser Zahlen. Dann gibt es nach Satz 8 ein Minimum von O. Es sei
o = min(O). Da o > 1 ist, gibt es nach Satz 11 eine Primzahl p mit p | o, d. h. es gibt
ein s ∈ N mit o = s · p. Nach Satz 10 ist 1 ≤ s < o. Da o das Minimum von O ist,
ist s ∈
/ O. Also hat s eine Primfaktorzerlegung, d. h. es gibt Primzahlen p1 , . . . , pk mit
s = p1 · . . . · pk . Dann aber ist o = s · p = p1 · . . . · pk · p. Also gibt es auch zu o eine
Primfaktorzerlegung im Widerspruch zu o ∈ O. Somit gibt es keine natürlichen Zahlen
ohne Primfaktorzerlegung.
Eindeutigkeit) Man nehme an, es gebe natürliche Zahlen mit mehr als einer Primfaktorenzerlegung. Es sei M die Menge dieser Zahlen. Dann gibt es nach Satz 8 ein
Minimum von M. Es sei m = min( M ). Dann hat m wenigstens zwei verschiedene Primfaktorzerlegungen, d. h. es gibt Primzahlen p1 , . . . , pr und q1 , . . . , qs mit
n = p1 · . . . · pr
n = q1 · . . . · q s .
Zunächst wird gezeigt, dass q1 , . . . , qs von p1 verschieden sind. Man nehme an, dass
p1 = q1 sei. Dann ist nach der Kürzungsregel a = p2 · . . . · pr = q2 · . . . · qs . Da a <
n = min( M ) ist, ist a ∈
/ M. Also hat a eine bis auf die Reihenfolge eindeutige Primfaktorzerlegung. Aber dann hat auch n eine bis auf die Reihenfolge eindeutige Primfaktorzerlegung. Also ist p1 6= q1 . Ebenso zeigt man, dass p1 6= qi für alle i ∈ {2, . . . , s}
ist.
2.3 Primfaktorzerlegung
23
Es sei ohne Beschränkung der Allgemeingültigkeit p1 < q1 (andernfalls vertausche
man die beiden Primfaktorzerlegungen). Dann gibt es ein k ∈ N mit p1 + k = q1 . Also
ist
n = ( p1 + k ) · q2 · . . . · q s
= p1 · q2 · . . . · q s + k · q2 · . . . · q s .
Da p1 ein Teiler von n und p1 · q2 · . . . · qs ist, gilt nach Satz 10 auch p1 | k · q2 · . . . · qs .
Es sei b = k · q2 · . . . · qs . Da b < n und n = min( M ) ist, ist b ∈
/ M. Also hat b eine bis
auf die Reihenfolge eindeutige Primfaktorzerlegung. Daher ist jeder Teiler von b eine
Teiler von k oder gleich einer der Primzahlen q2 , . . . , qs . Da p1 ∈
/ {q2 , . . . , qs }, aber p1 ein
Teiler von k · q2 · . . . · qs ist, gilt p1 | k. Dann gilt auch p1 | p1 + k = q1 . Da aber q1 eine
Primzahl ist, ist p1 = q1 im Widerspruch zu p1 6= q1 , was oben bewiesen wurde. Also
ist jede Primfaktorzerlegung bis auf die Reihenfolge der Faktoren eindeutig.
B EWEIS (B EWEIS DURCH VOLLSTÄNDIGE I NDUKTION ) Induktionsanfang: Für n = 2 ist
2 eine Primfakorzerlegung von 2.
Induktionsschritt: Es sei n ≥ 2, und es sei bereits gezeigt, dass die Zahlen 2, 3, . . . , n
eine Primfaktorzerlegung haben. Nun ist zu zeigen, dass auch n + 1 solch eine Primfaktorzerlegung hat. Da n + 1 > 1 ist, gibt es nach Satz 11 eine Primzahl p mit p | n + 1.
Falls p = n + 1 ist, so ist p die Primfaktorzerlegung von n + 1. Fall p 6= n + 1 ist, so es
gibt ein s ∈ N mit n + 1 = s · p und 1 < s < n + 1. Insbesondere ist s ≤ n. Daher hat
s nach Induktionsvorraussetzung eine Primfaktorzerlegung p1 · . . . · pk . Also hat auch
n + 1 eine Primfaktorzerlegung, nämlich p · p1 · . . . · pk .
Die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung kann man nun ähnlich zeigen wie im vorangegangenen Beweis.
Lemma 11 Ist n ∈ N und p1 · . . . · ps eine Primfaktorenzerlegung von n, so kommt keine der
Primzahlen p1 , . . . , ps in der Primfaktorenzerlegung von n + 1 vor.
B EWEIS Dieser Satz lässt sich analog zu Satz 13 beweisen.
Beispiel 10 Es ist 24 = 2 · 2 · 3 und 24 + 1 = 25 = 5 · 5 und {2, 3} ∩ {5} = ∅.
2.3.2 Kanonische und normierte Primfaktorzerlegung
Lemma 12 Es sei n ∈ N mit n > 1. Dann gibt es zu jedem p ∈ P genau ein α p , sodass
n=
∏ pα p
p ∈P
ist.
24
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
B EWEIS Nach Satz 17 gibt es zu n eine bis auf die Reihenfolge der Faktoren eindeutige
Primfaktorzerlegung n = p1 · . . . · ps . Es sei α p die Anzahl der Vorkommnisse von p in
p1 , . . . , ps . Damit ist n = ∏ p∈P pα p erfüllt.
Bemerkung 17 In Lemma 12 tritt zum ersten Mal ein formal unendliches Produkt natürlicher Zahlen auf. Bislang sind jedoch nur endliche Produkte definiert und benutzt
worden. Unendliche Produkte können hier nicht ausführlich behandelt werden; ebenso
wenig kann hier begründet werden, warum man mit den unendlichen Produkten dieses
Kapitels ebenso verfahren kann wie mit endlichen (dazu wären Methoden der Analysis
nötig).
Um dieses jedoch kurz und informell plausibel zu machen, braucht man nur zu bedenken, dass in der Primfaktorzerlegung einer natürlichen Zahl n nur die Primzahlen kleiner oder gleich n einen Exponenten ungleich Null haben. Damit treten in n =
∏ p∈P pα p nur bei Primzahlen kleiner oder gleich n Exponenten größer als Null auf, und
alle Primzahlen größer als n haben Exponenten gleich Null, d. h. das Produkt ∏ p∈P pα p
besteht in seinen Faktoren bis n nur aus endlich vielen Zahlen ungleich Null und ab n
nur noch aus unendlich vielen Einsen, die – intuitiv gesprochen – am Wert des Produktes „nichts ändern“. Oder anders gesagt: Jedem dieser unendlichen Produkte entspricht
ein endliches Produkt, in dem nur Faktoren kleiner oder gleich n auftreten (man erhält
es, indem man die unendlich vielen Einsen ab n quasi „herausstreicht“).
Definition 26 Es sei n ∈ N mit n > 1 und p ∈ P. Dann sei ord p (n) die nach Lemma 12
eindeutig bestimmte natürliche Zahl α p , die die Anzahl der Vorkommnisse von p in der
Primfaktorenzerlegung von n ist.
Beispiel 11 Es ist 60 = 2 · 2 · 3 · 5 = 22 · 3 · 5. Damit ist
ord2 (60) = 2
ord3 (60) = 1
ord5 (60) = 1
ord p (60) = 0 für alle p ∈ P mit p ∈
/ {2, 3, 5}
Definition 27 Es sei n ∈ N. Dann ist
ord p1 (n)
∏ pord p (n) = p1
p ∈P
ord p2 (n)
· p2
·...
die kanonische Primfaktorzerlegung von n, wobei p1 < p2 < . . . sei. Es sei { p1 , p2 , . . . , ps }
die Menge der Primzahlen mit ord p (n) 6= 0 mit p1 < p2 < . . . < ps . Dann ist
s
ord pi (n)
∏ pi
i =1
ord p1 (n)
= p1
die normierte Primfaktorzerlegung von n.
ord p2 (n)
· p2
ord ps (n)
· . . . · ps
2.3 Primfaktorzerlegung
25
Beispiel 12 Später wird gezeigt, wie man ord p (n) berechnet. Hier seien die Werte für
n = 126 als bekannt vorausgesetzt, nämlich
ord2 (126) = 1
ord3 (126) = 2
ord7 (126) = 1
ord p (126) = 0 für alle p ∈ P mit p ∈
/ {2, 3, 7}
Also ist {2, 3, 7} die Menge der Primzahlen mit ord p (126) 6= 0 und daher
126 = 2ord2 (126) · 3ord3 (126) · 2ord7 (126)
= 21 · 32 · 71
= 2 · 32 · 7
die normierte Primfaktorzerlegung von 126 und
126 = 2ord2 (126) · 3ord3 (126) · 5ord5 (126) · 7ord7 (126) · 11ord11 (126) · . . .
= 21 · 32 · 50 · 71 · 110 · . . .
die kanonische Primfaktorzerlegung von 126.
Lemma 13 Es seien n, a, b ∈ N∗ mit n = a · b, und es sei p ein Primfaktor von n. Dann ist p
ein Primfaktor von a oder b.
B EWEIS Nach Satz 17 gibt es für a und b eine bis auf die Reihenfolge der Faktoren
eindeutige Primfaktorzerlegung, d. h. es gibt eindeutig bestimmte Primzahlen p1 , . . . , ps
und q1 , . . . , qt mit
a = p1 · p2 · . . . · p s
b = q1 · q2 · . . . · q t .
Dann ist auch die Primfaktorzerlegung von n bis auf Reihenfolge eindeutig bestimmt
und durch
n = a · b = p1 · p2 · . . . · p s · q1 · q2 · . . . · q t
gegeben. Da p | n gilt, ist wegen der Eindeutigkeit der Zerlegung
p ∈ { p1 , p2 , . . . , p s , q1 , q2 , . . . , q t }.
Also gilt p | p1 · p2 · . . . · ps = a oder p | q1 · q2 · . . . · qt = b.
Bemerkung 18 Lemma 13 ist charakteristisch für Primzahlen. Bei einer beliebigen natürlichen Zahl m kann man nicht schließen, dass aus m | a · b auch m | a oder m | b folgt.
So gilt zwar 4 | 60 = 6 · 10, aber sowohl 4 - 6 als auch 4 - 10.
26
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
Bemerkung 19 Mit Lemma 13 gibt es eine Möglichkeit, die Primfaktorzerlegung einer
natürlichen Zahl n zu berechnen, d. h. algorithmisch zu ermitteln:
1. Man beginne mit p = 2.
2. Man prüfe, ob p ein Teiler von n ist.
a) Falls p | n gilt, so notiere man p als Primfaktor von n, stelle n als n = p · m
dar und wiederhole das Verfahren, indem man n durch m ersetzt.
b) Falls p - n gilt, so wähle man die nächstgrößere Primzahl als p und wiederhole das Verfahren mit dem zuletzt berechneten m.
Lemma 13 garantiert, dass nach dem Abspalten des Primfaktors p alle weiteren Primfaktoren von n auch als Primfaktoren in m enthalten sind und dass daher das Verfahren
das korrekte Ergebnis liefert. Da m mit jedem Abspalten eines Primfaktors kleiner wird,
endet das Verfahren irgendwann mit m = 1.
Beispiel 13 Die Primfaktorzerlegung von 6 552 kann man mit dem Verfahren aus Bemerkung 19 folgendermaßen berechnen:
6 552 = 2 · 3276
3 276 = 2 · 1638
1 638 = 2 · 819
819 = 2 · 409 + 1, also 2 - 409 und daher ord2 (6 552) = 3
819 = 3 · 273
273 = 3 · 91
91 = 3 · 30 + 1, also 3 - 91 und daher ord3 (6 552) = 2
91 = 5 · 18 + 1, also 5 - 91 und daher ord5 (6 552) = 0
91 = 7 · 13
13 = 7 · 1 + 5, also 7 - 13 und daher ord7 (6 552) = 1
13 = 11 · 1 + 2, also 11 - 13 und daher ord11 (6 552) = 0
13 = 13 · 1
1 = 13 · 0 + 1, also 13 - 1 und daher ord13 (6 552) = 1
1 = p · 0 + 1 für alle p ∈ P mit p > 13, also p - 1 und daher ord p (6 552) = 0
Also ist
23 · 32 · 50 · 71 · 110 · 131 · 170 · . . .
die kanonische und
23 · 32 · 7 · 13
die normierte Primfaktorzerlegung von 6 552.
2.4 Teilbarkeit und Primfaktorzerlegung
27
Bemerkung 20 Bisher haben wir nur Lemma 10 zur Verfügung, um zu überprüfen, ob
eine Zahl eine andere teilt. So muss man beispielsweise mit 91 = 3 · 30 + 1 nachweisen,
dass 91 nicht durch 3 teilbar ist. Dieses Verfahren ist nicht besonders effektiv und auf
die Dauer sehr ermüdend. Wir werden später Regeln kennenlernen – sogenannte Teilbarkeitsregeln –, mit denen man leichter feststellen kann, ob eine Zahl ein Teiler einer
anderen ist.
2.4 Teilbarkeit und Primfaktorzerlegung
Lemma 14 Es seien n, m ∈ N mit n ≥ 2 und m ≥ 2. Dann gilt
1. ord p (n · m) = ord p (n) + ord p (m)
2. ord p (n + m) ≥ min(ord p (n), ord p (m))
für alle p ∈ P.
B EWEIS Nach Satz 17 gibt es n∗ , m∗ ∈ N mit n = pord p (n) · n∗ und m = pord p (m) · m∗ und
mit p - n∗ und p - m∗ . Dann ist
n · m = pord p (n) · n∗ · pord p (m) · m∗
= pord p (n) · pord p (m) · n∗ · m∗
= pord p (n)+ord p (m) · n∗ · m∗ ,
also ord p (n · m) = ord p (n) + ord p (m), da nach Lemma 13 auch p - n∗ · m∗ gilt.
Es ist
(
pord p (n) · (n∗ + pord p (m)−ord p (n) · m∗ ), falls ord p (n) ≤ ord p (m),
n+m =
pord p (m) · (m∗ + pord p (n)−ord p (m) · n∗ ), falls ord p (m) ≤ ord p (n).
Also ist ord p (n + m) ≥ min(ord p (n), ord p (m)). Gleichheit gilt hier nicht unbedingt, da
(n∗ + pord p (n)−ord p (m) · m∗ ) bzw. (m∗ + pord p (m)−ord p (n) · n∗ ) möglicherweise durch p teilbar ist und daher ebenfalls p als Primfaktor enthalten kann, so wie es schon in Bemerkung 19 deutlich geworden ist.
Satz 18 Es seien n, m ∈ N∗ . Dann gilt
m | n ⇔ ∀ p ∈ P : ord p (m) ≤ ord p (n)
B EWEIS Es gelte m | n, d. h. es gebe ein s ∈ N∗ mit n = s · m. Dann gilt nach Lemma 14
ord p (m) ≤ ord p (s) + ord p (m) = ord p (s · m) = ord p (n)
für alle p ∈ P. Damit ist die ⇒-Richtung der Implikation bewiesen.
28
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
Nun gelte umgekehrt ord p (m) ≤ ord p (n) für alle p ∈ P. Dann ist ord p (n) − ord p (m) ≥
0, und nur für endlich viele p ∈ P ist ord p (n) − ord p (m) 6= 0. Daher existiert die Zahl
∏ pord p (n)−ord p (m) ,
s=
p ∈P
und es gilt
∏ pord p (n)−ord p (m) · ∏ pord p (m)
s·m =
p ∈P
p ∈P
∏ pord p (n)−ord p (m)+ord p (m)
=
p ∈P
∏ pord p (n)
=
p ∈P
= n
Also ist m ein Teiler von n. Damit ist die ⇐-Richtung der Implikation bewiesen.
Korollar 5 Für alle n, m ∈ N∗ ist n = m ⇔ ord p (n) = ord p (m) für alle p ∈ P.
Korollar 6 Es sei n ∈ N∗ . Dann ist
(
)
Tn = ∏ p a p 0 ≤ a p ≤ ord p (n) für alle p ∈ P
p ∈P
ord p1
bzw. für n ≥ 2 und p1
ord ps
· . . . · ps
als normierter Primfaktorzerlegung von n ist
Tn = p1e1 · . . . · pess | 0 ≤ ei ≤ ord pi (n) für alle i mit 1 ≤ i ≤ s
Beispiel 14 Die normierte Primfaktorzerlegung von 60 ist 22 · 3 · 5. Also ist
T60 = {2e1 · 3e2 · 5e3 | 0 ≤ e1 ≤ 2 und 0 ≤ e2 ≤ 1 und 0 ≤ e3 ≤ 1}
Also besteht T60 genau aus den Zahlen
20 · 30 · 50
20 · 31 · 50
20 · 30 · 51
20 · 31 · 51
=1
=3
=5
= 15
21 · 30 · 50
21 · 31 · 50
21 · 30 · 51
21 · 31 · 51
=2
=6
= 10
= 30
2 2 · 30 · 50
22 · 31 · 50
22 · 30 · 51
22 · 31 · 51
=4
= 12
= 20
= 60
Tabelle 2.1: T60 über Primfaktorzerlegung ermittelt
2.5 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Vielfaches
29
Korollar 7 Es sei n ∈ N. Dann ist
τ (n) =
∏
ord p (n) + 1 ,
p ∈P
ord p1 (n)
bzw. wenn p1
ord ps (n)
· . . . · ps
die normierte Primfaktorzerlegung von n ist, dann ist
s
τ (n) =
∏
ord pi (n) + 1 = (ord p1 (n) + 1) · (ord p2 (n) + 1) · . . . · (ord ps (n) + 1)
i =1
Beispiel 15 Die normierte Primfaktorzerlegung von 60 ist 22 · 3 · 5. Also ist
τ (60) = (2 + 1) · (1 + 1) · (1 + 1) = 3 · 2 · 2 = 12.
Analog hat jede Zahl mit einer normierten Primfaktorzerlegung der Art p21 · p2 · p3 die
Teileranzahl 12. Beispielsweise ist auch τ (1 457 837) = τ (312 · 37 · 41) = 12.
2.5 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes
gemeinsames Vielfaches
2.5.1 Mengentheoretische Definition
Definition 28 Es seien n, m ∈ N∗ . Dann ist t ∈ N∗ ein gemeinsamer Teiler von n und
m, wenn sowohl t | n als auch t | m gilt (d. h. wenn t ∈ Tn ∩ Tm ist); und v ∈ N ist ein
gemeinsames Vielfaches von n und m, wenn n | v und m | v gilt (d. h. wenn v ∈ Vn ∩ Vm
ist); und es ist
ggT (n, m) = max ( Tn ∩ Tm )
der größte gemeinsame Teiler von n und m und
kgV (n, m) = min(Vn ∩ Vm )
das kleinste gemeinsame Vielfache von n und m. Die Zahlen n und m heißen teilerfremd,
wenn ggT (n, m) = 1 ist.
Beispiel 16 Es ist
ggT (12, 40) = max ( T12 ∩ T40 )
= max ({1, 2, 3, 4, 6, 12} ∩ {1, 2, 4, 5, 8, 10, 20, 40})
= max ({1, 2, 4})
= 4
30
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
und
kgV (4, 6) = min(V4 ∩ V6 )
= min({4, 8, 12, 16, . . .} ∩ {6, 12, 18, 24, . . .})
= min({12, 24, 36, . . .})
= 12
Satz 19 Für alle n, m ∈ N∗ existieren ggT (n, m) und kgV (n, m) und sind eindeutig bestimmt.
B EWEIS Da Tn und Tm für alle n, m ∈ N∗ wenigstens die Zahl Eins enthalten, ist Tn ∩ Tm
nicht leer. Da Tn und Tm wegen n 6= 0 und m 6= 0 endliche Mengen sind, ist auch Tn ∩ Tm
endlich. Daher existiert nach Satz 9 ein Maximum von Tn ∩ Tm und nach demselben Satz
eindeutig bestimmt.
Da n · m ein Vielfaches sowohl von n als auch von m ist, ist n · m ∈ Vn ∩ Vm . Also ist
Vn ∩ Vm nicht leer und hat daher nach Satz 8 ein eindeutig bestimmtes Minimum.
Lemma 15 Es seien n, m ∈ N und d = ggT (n, m). Gilt t | n und t | m für ein t ∈ N, so gilt
auch t | d.
B EWEIS Da t eine Teiler von n und m ist, gilt t ∈ Tn ∩ Tm ; und da d = max ( Tn ∩ Tm ) ist,
gilt t ≤ d. Da d = ggT (n, m) ist, gilt d | n, d. h. es gibt ein s1 ∈ N mit n = s1 · d; und
da t | n gilt, gibt es ein s2 ∈ N mit n = s2 · t. Daher ist s1 · d = s2 · t. Da t ≤ d ist, gibt
es ein k ∈ N mit t + k = d. Also ist s1 · (t + k ) = s2 · t bzw. s1 · t + s1 · k = s2 · t, also
s1 · k = (s2 − s1 ) · t. Da s1 · k ∈ N ist, ist auch (s2 − s1 ) · t ∈ N. Insbesondere ist daher
s2 − s1 ≥ 0, also s2 ≥ s1 . Damit folgt aus s1 · d = s2 · t, dass d = (s2 − s1 ) · t ist. Also ist t
ein Teiler von d.
Korollar 8 Es seien n, m ∈ N∗ . Dann ist
Tn ∩ Tm = TggT (n,m)
Beispiel 17 Schon in Beispiel 16 wurde deutlich:
T12 ∩ T40 = {1, 2, 3, 4, 6, 12} ∩ {1, 2, 4, 5, 8, 10, 20, 40}
= {1, 2, 4}
= T4
= TggT (12,40)
Korollar 9 Es seien n, m ∈ N. Dann gilt
d = ggT (n, m) ⇔ d | n ∧ d | m ∧ ∀t ∈ N : (t | n ∧ t | m ⇒ t | d).
2.5 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Vielfaches
31
Bemerkung 21 Korollar 9 ist eine Äquivalenz, d. h. man könnte Korollar 9 anstelle von
Definition 28 als Definition des größten gemeinsamen Teilers verwenden. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Aussagen liegt darin, dass in einem Fall auf
den Begriff des Maximums zurückgegriffen wird, um den Begriff des größten gemeinsamen Teilers zu definieren, im anderen Fall nicht.
Die Verwendung des Maximums kommt zwar unseren Intuitionen entgegen, dass
der größte gemeinsame Teiler das größte Element der Menge der gemeinsamen Teiler
zweier Zahlen sein müsste. Der Rückgriff auf das Maximum hat jedoch mathematische Nachteile: Wenn man größte gemeinsame Teiler nicht nur für Zahlen definieren
möchte, sondern auch für andere Objekte, die man nicht der Größe nach ordnen kann
(beispielsweise Polynome), dann ist die Definition 28 unbrauchbar. Man verwendet in
diesen Fällen Korollar 9 als Definition.
Lemma 16 Es seien n, m ∈ N∗ und k = kgV (n, m). Gilt n | v und m | v für ein v ∈ N (d. h.
ist v ein gemeinsames Vielfaches von n und m), so gilt auch k | v.
B EWEIS Der Beweis erfolgt analog zu dem aus Korollar 9.
Korollar 10 Es seien n, m ∈ N∗ . Dann ist
Vn ∩ Vm = VkgV (n,m)
Beispiel 18 Schon in Beispiel 16 wurde deutlich:
V4 ∩ V6 = {4, 8, 12, 16, 20, . . .} ∩ {6, 12, 18, 20, 24, . . .}
= {12, 24, 36, . . .}
= V12
= VkgV (4,6)
Korollar 11 Es seien n, m ∈ N∗ . Dann gilt
k = kgV (n, m) ⇔ ∀v ∈ N : (n | v ∧ m | v ⇒ k | v).
Lemma 17 Es seien a, b, c ∈ N∗ mit c | a · b, und es sei ggT (b, c) = 1. Dann gilt c | a.
B EWEIS Übung.
Lemma 18 Für alle n, m ∈ N∗ gilt:
m
n
,
=1
ggT
ggT (n, m) ggT (n, m)
B EWEIS Übung.
32
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
2.5.2 Berechnung von ggT und kgV über Primfaktorzerlegung
Satz 20 Es seien n, m ∈ N∗ . Dann ist
ggT (n, m) =
∏ pmin(ord p (n), ord p (m))
p ∈P
kgV (n, m) =
∏ pmax(ord p (n), ord p (m))
p ∈P
und es gilt
ggT (n, m) · kgV (n, m) = n · m.
B EWEIS Es sei d = ggT (n, m). Da d | n und d | m gelten, ist nach Satz 18 für alle p ∈ P sowohl ord p (d) ≤ ord p (n) als auch ord p (d) ≤ ord p (m), also ord p (d) ≤
min(ord p (n), ord p (m)). Jetzt ist nur noch zu zeigen, dass hier nicht nur die ≤-Relation, sondern sogar die Gleichheitsrelation gilt.
Man nehme dazu an, es sei ordq (d) < min(ordq (n), ordq (m)) für ein q ∈ P. Dann
gibt es einen gemeinsamen Teiler t von n und m mit ord p (t) = ord p (d) für alle p ∈
P \ {q} und ordq (d) < ordq (t) = min(ordq (n), ordq (m)) für q. Dann aber ist t - d im
Widerspruch zu Lemma 15. Also ist ord p (d) = min(ord p (n), ord p (m)) für alle p ∈ P.
Es sei v = kgV (n, m). Da n | v und m | v gelten, ist nach Satz 18 für alle p ∈ P sowohl
ord p (n) ≤ ord p (v) als auch ord p (m) ≤ ord p (v), also max (ord p (n), ord p (m)) ≥ ord p (v).
Analog zum Fall des größten gemeinsamen Teilers zeigt man, dass hier nicht nur
die ≤-Relation gilt, sondern sogar max (ord p (n), ord p (m)) = ord p (v), denn andernfalls
gäbe es ein kleineres gemeinsames Vielfache als v. Dieser Nachweis wird dem Leser zur
Übung anheimgestellt.
Es gilt
ggT (n, m) · kgV (n, m) =
∏ pmin(ord p (n), ord p (m)) · ∏ pmax(ord p (n), ord p (m))
p ∈P
=
p ∈P
∏ pmin(ord p (n), ord p (m)) · pmax(ord p (n), ord p (m))
p ∈P
=
∏ pmin(ord p (n), ord p (m))+max(ord p (n), ord p (m))
p ∈P
=
∏ pord p (n)+ord p (m)
p ∈P
=
∏ pord p (n) · ∏ pord p (m)
p ∈P
p ∈P
= n · m.
Beispiel 19 Gesucht sei der ggT von 65 520 und 71 148. Die normierten Primfaktorenzerlegungen der beiden Zahlen sind
65 520 = 24 · 32 · 5 · 7 · 13
2.5 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Vielfaches
33
71 148 = 22 · 3 · 72 · 112 .
Verwendet man die kanonischen Formen und schreibt auch 1 als Exponenten auf, so
sind die Primfaktorenzerlegungen der beiden Zahlen besser vergleichbar:
65 520 = 24 · 32 · 51 · 71 · 110 · 131 · . . .
71 148 = 22 · 31 · 50 · 72 · 112 · 130 · . . .
Nun kann man ablesen:
ggT (65 520, 71 148) = 2min(4, 2) · 3min(2, 1) · 5min(1, 0) · 7min(1, 2) · 11min(0, 2) · 13min(1, 0) · . . .
= 22 · 31 · 50 · 71 · 110 · 130 · . . .
= 22 · 3 · 7
= 84
und entsprechend
kgV (65 520, 71 148) = 2max(4, 2) · 3max(2, 1) · 5max(1, 0) · 7max(1, 2) · 11max(0, 2) · 13max(1, 0) · . . .
= 24 · 32 · 51 · 72 · 112 · 131 · . . .
= 24 · 32 · 5 · 72 · 112 · 13
= 55 495 440
Der aufmerksame Leser hat an diesem Beispiel sicherlich erahnt, dass die Primfaktorzerlegung allenfalls für relativ kleine Zahlen ein geeignetes Mittel ist, um den größten
gemeinsamen Teiler oder das kleinste gemeinsame Vielfache zu berechnen. Bereits fünfstellige Zahlen wie in diesem Beispiel kosten einiges an Rechenzeit.
Korollar 12 Es seien n, m ∈ N∗ . Dann gilt
1. kgV (n, m) = n · m ⇔ ggT (n, m) = 1.
2. kgV (n, m) | n · m.
Lemma 19 Es seien c, n, m ∈ N∗ . Dann gilt ggT (c · n, c · m) = c · ggT (n, m).
B EWEIS Übung.
Bemerkung 22 Das kleinste gemeinsame Vielfache ist zugleich der kleinstmögliche Hauptnenner zweier Brüche:
kgV (b, d)
a·
+ c · kgV d(b, d)
a c
b
+ =
b d
kgV (b, d)
34
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
Beispiel 20
kgV (10, 15)
10
10, 15)
+ 4 · kgV (15
kgV (10, 15)
30
30
3 · 10 + 4 · 15
3·3+4·2
9+8
17
=
=
=
=
30
30
30
30
3·
4
3
+
=
10 15
2.6 Division mit Rest
Satz 21 (Eindeutige Division mit Rest in N) Für alle n, q ∈ N mit q 6= 0 gibt es genau
ein s ∈ N und genau ein r ∈ N, sodass
n = s·q+r
mit 0 ≤ r < q gilt.
B EWEIS Nachweis der Existenz) Fall 1: Es sei q > n. Dann ist n = s · q + r mit s = 0 und
r = n erfüllt.
Fall 2: Es sei q ≤ n. Man betrachte die Menge H = {h ∈ N | n ≥ h · q}. Da n ≥
q > 0 ist, ist n − 0 · q > 0 und damit 0 ∈ H. Also ist H nicht leer. Da n · q > n und
damit n − n · q ∈
/ N ist, ist n eine obere Schranke von H. Also existiert nach Satz 9 das
Maximum max ( H ) von H. Es sei s := max ( H ) und r := n − s · q. Mit diesen Werten für s
und r ist n = s · q + r erfüllt. Nun ist nur noch zu zeigen, dass 0 ≤ r < q ist. Man nehme
an, dass r ≥ q sei. Dann ist q ≤ r = n − s · q, also 0 ≤ n − s · q − q = n − (s + 1) · q, d. h.
n ≥ (s + 1) · q. Das steht aber im Widerspruch dazu, dass s das Maximum von H ist.
Also ist r q und damit 0 ≤ r < q. Insgesamt ist dadurch gezeigt, dass es ein s und ein
r mit den gewünschten Eigenschaften gibt.
Nachweis der Eindeutigkeit) Es seien s∗ und r ∗ natürliche Zahlen mit n = s∗ · q + r ∗
und 0 ≤ r ∗ < q. Nun ist zu zeigen, dass r = r ∗ und s = s∗ ist. Ohne Beschränkung der
Allgemeingültigkeit kann man annehmen, dass s∗ ≥ s ist (andernfalls vertausche man
die Bezeichnungen). Dann ist wegen n = s∗ · q + r ∗ = s · q + r auch (s∗ − s) · q = r − r ∗ .
Da wegen s∗ ≥ s auch s∗ − s ≥ 0 gilt, ist (s∗ − s) · q ≥ 0 und daher r − r ∗ ≥ 0. Da sowohl
0 ≤ r < q als auch 0 ≤ r ∗ < q gelten, ist r − r ∗ < q und daher (s∗ − s) · q = r − r ∗ < q.
Da aber s∗ − s ∈ N ist, ist die Ungleichung (s∗ − s) · q < q nur für s∗ − s = 0 erfüllt.
Also ist s = s∗ . Andererseits ist dann auch r − r ∗ = (s∗ − s) · q = 0 · q = 0, also r = r ∗ .
Damit ist die Eindeutigkeit gezeigt.
Beispiel 21 Es ist
49 = 5 · 9 + 4
Also ist 49 = s · 9 + r mit s = 5 und r = 4 erfüllt. Der Beweis zum Satz 21 ist konstruktiv,
d. h. man kann ihn benutzen, um s und r zu berechnen. Die im Beweis definierte Menge
H = {h ∈ N | 49 ≥ h · 9} enthält gerade die Faktoren h, mit denen man 9 multiplizieren
2.7 Der euklidische Algorithmus
35
kann, sodass h · 9 kleiner oder gleich 49 ist, d. h. es ist H = {1, 2, 3, 4, 5}. Also ist nach
dem Beweis s = max ( H ) = 5. Man erhält r dann durch Umstellen der Gleichung n =
s · q + r nach r, d. h. es ist r = n − s · q = 49 − s · 9 = 49 − 5 · 9 = 4.
Satz 22 Es seien n, s, q, r ∈ N mit n = s · q + r und 0 ≤ r < q sowie q 6= 0 und n 6= 0. Dann
ist
Tn ∩ Tq = Tq ∩ Tr
und damit insbesondere
ggT (n, q) = ggT (q, r ).
B EWEIS Es sei t ein gemeinsamer Teiler von n und q, d. h. es gelte t ∈ Tn ∩ Tq . Dann gilt
t | n und t | q und nach Satz 10 auch t | s · q. Nach Korollar 4 folgt dann t | r. Also ist t
ein gemeinsamer Teiler von q und r, d. h. t ∈ Tq ∩ Tr bzw. Tn ∩ Tq ⊆ Tq ∩ Tr
Umgekehrt sei t ein gemeinsamer Teiler von q und r. Dann gilt auch t | s · q und
daher auch t | n. Also ist t ein gemeinsamer Teiler von n und q, d. h. t ∈ Tn ∩ Tq bzw.
Tq ∩ Tr ⊆ Tn ∩ Tq
Insgesamt erhält man, dass Tn ∩ Tq = Tq ∩ Tr ist, und damit auch dass ggT (n, q) =
max ( Tn ∩ Tq ) = max ( Tq ∩ Tr ) = ggT (q, r ) ist.
Beispiel 22 Satz 22 kann man benutzen, um die Berechnung des größten gemeinsamen
Teilers zu vereinfachen. Sucht man ggT (984, 972), so kann man zunächst eine Division
mit Rest durchführen und erhält
984 = 1 · 972 + 12.
Also ist ggT (984, 972) = ggT (972, 12). Nun kann man Satz 22 ein zweites Mal bemühen
und für 972 und 12 eine Division mit Rest durchführen. Man erhält dann
972 = 81 · 12 + 0.
Also ist 12 ein gemeinsamer Teiler von 972 und 12, und da 12 keinen größeren Teiler
als 12 hat, ist 12 zugleich der größte gemeinsame Teiler der beiden Zahlen. Also ist
12 = ggT (974, 12) = ggT (984, 972).
2.7 Der euklidische Algorithmus
Das eben in Beispiel 22 veranschaulichte Verfahren aus Satz 22 wird im euklidischen
Algorithmus systematisch ausgenutzt, um den größten gemeinsamen Teiler zweier natürlicher Zahlen zu berechnen. Mit diesem Algorithmus werden wir uns jetzt näher
beschäftigen.
Satz 23 (Euklidischer Algorithmus) Es seien n, q ∈ N mit n > q > 0. Dann gibt es für ein
l ∈ N natürliche Zahlen s1 , s2 , . . . , sl +1 und r1 , r2 , . . . , rl , rl +1 mit den folgenden Eigenschaften:
36
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
n
q
r1
r2
r l −2
r l −1
=
=
=
=
..
.
=
=
s1 · q + r1
s2 · r1 + r2
s3 · r2 + r3
s4 · r3 + r4
mit 0 < r1
mit 0 < r2
mit 0 < r3
mit 0 < r4
..
.
s l · r l −1 + r l
s l +1 · r l + r l +1
mit 0 < rl < rl −1
mit rl +1 = 0
<q
< r1
< r2
< r3
mit q > r1 > r2 > . . . > rl −1 > rl > 0 und rl +1 = 0 sowie ggT (n, q) = rl .
B EWEIS Induktionsanfang) Für n und q gibt es nach Satz 21 s1 , r1 ∈ N mit n = s1 · q + r1
und 0 ≤ r1 < q, und nach Satz 22 ist ggT (n, q) = ggT (q, r1 ).
Induktionssschritt) Für k ∈ N sei bereits gezeigt, dass es sk , rk ∈ N mit rk−2 = sk ·
rk−1 + rk und 0 ≤ rk < rk−1 und ggT (n, q) = ggT (rk−1 , rk ) gebe. Dann gibt es nach
Satz 21 sk+1 , rk+1 ∈ N mit rk−1 = sk+1 · rk + rk+1 und 0 ≤ rk+1 < rk . Nach Satz 22 ist
ggT (rk−1 , rk ) = ggT (rk , rk+1 ) und damit ggT (n, q) = ggT (rk , rk+1 ).
Da ri > ri+1 ≥ 0 für alle i ∈ N gilt, gibt es ein l ∈ N mit rl > rl +1 = 0. Dann ist
rl = ggT (rl , 0) = ggT (rl , rl +1 ) = ggT (n, q).
Beispiel 23 Man kann ggT (963, 657) mit dem euklidischen Algorithmus folgendermaßen berechnen:
963 = 1 · 657 + 306
657 = 2 · 306 + 45
306 = 6 · 45 + 36
45 = 1 · 36 + 9
36 = 4 · 9 + 0
Also ist ggT (963, 657) = 9, was man daran erkennen kann, dass 9 der letzte Rest ungleich Null ist.
An diesem Beispiel kann man die Überlegungen des Beweises gut nachvollziehen:
Aus der letzten Zeile erkennt man, dass 9 ein Teiler von 36 ist. In vorletzten Zeile hat
man rechts zwei Zahlen, die durch 9 teilbar sind, nämlich 9 selbst und 36. Mit Definition 19 kann man nun daraus schließen, dass auch die Summe der beiden Summanden,
also 45, durch 9 teilbar ist. Analog erhält man Zeile für Zeile, dass 9 ein Teiler der Zahlen
ist, die links vom Gleichheitszeichen stehen, also unter anderem auch 657 und 963. So
erhält man, dass 9 ein gemeinsamer Teiler dieser beiden Zahlen ist.
Auf ähnlicher Weise sieht man ein, dass 9 der größte gemeinsame Teiler ist: Es sei
t ein Teiler von 657 und 963. Dann erkennt man aus der ersten Zeile, dass t auch ein
Teiler von 306 ist, indem man wieder Definition 19 benutzt. So geht man Zeile für Zeile
weiter und erhält damit dass t jeden Rest, also auch 9 teilt. Mit Korollar 9 kann man
dann daraus schließen, dass 9 der größte gemeinsame Teiler von 657 und 963 ist.
2.8 Stellenwertsysteme
37
2.8 Stellenwertsysteme
Beispiel 24 Man kann die Zahl 14 302 folgendermaßen darstellen:
14 302 = 1 · 104 + 4 · 103 + 3 · 102 + 0 · 101 + 2 · 100
= 1 · 104 + 4 · 103 + 3 · 102 + 2
In dieser Darstellung wird 14 302 in eine Summe zerlegt, in der jeder Summand aus
einer Zehnerpotenz und einem Faktor zu dieser Potenz besteht, der nur Werte in der
Menge {0, 1, . . . , 9} annimmt. Man nennt die Faktoren vor den Potenzen auch Koeffizienten und 10 die Basis der Darstellung.
Diese Art von Darstellung soll hier verallgemeinert werden: Nicht nur 10, sondern
beliebige Zahlen q ∈ N mit q ≥ 2 werden als Basis betrachtet, zu denen Zahldarstellung
mit Koeffizienten aus {0, 1, . . . , q − 1} verwendet werden.
2.8.1 Zahldarstellungen
Definition 29 Es seien a, q ∈ N∗ mit q ≥ 2 und a0 , a1 , . . . , an ∈ {0, 1, . . . , q − 1} mit
an 6= 0, sodass
n
a=
∑ a i · q i = a n · q n + a n −1 · q n −1 + . . . + a 2 · q 2 + a 1 · q + a 0
i =0
gilt. Dann heißt die Summe ∑in=0 ai · qi Darstellung von a zur Basis q mit den Koeffizienten a0 , a1 , . . . , an . Man nennt an den führenden Koeffizienten der Darstellung. Die
Elemente der Menge {0, 1, . . . , q − 1} nennt man Ziffern bezüglich der Basis q. Man verwendet den Ausdruck
( a n a n −1 . . . a 2 a 1 a 0 ) q
als abkürzende Schreibweise für die Summe bzw. Darstellung ∑in=0 ai · qi . Die Gesamtheit aller Darstellungen zu einer Basis q nennt man q-System oder Stellenwertsystem
zur Basis q.
Bemerkung 23 Für manche q-Systeme haben sich besondere Namen eingebürgert: Im
Alltag wird größtenteils das Dezimalsystem verwendet. Das Sesagesimalsystem wurde
im vorchristlichen Babylonien verwendet. Die Wahl des Systems war vermutlich religiös motiviert. Trotz der „unhandlichen“ Basis hat es sich bis auf den heutigen Tag in
der Zeitrechnung und Winkeldarstellung erhalten: Man kann den Zeitpunkt 13.15 Uhr
und 30 Sekunden als 13 · 602 + 15 · 601 + 30 · 600 Sekunden nach Mitternacht darstellen.
Ähnlich gibt man häufig auch Bruchteile von Winkeln in Minuten und Sekunden, also
ebenfalls zur Basis 60, an.
Binär-, Oktal- und Hexadezimalsysteme spielen in der Informtik eine wichtige Rolle.
An den Zahlwörtern der Umgangssprache kann man erkennen, dass das Duodezimalsystem und das Hexagesimalsystem in weiten Teilen Europas lange Zeit neben dem
38
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
q-System
umgangssprachliche Bezeichnung
2-System
8-System
10-System
12-System
16-System
20-System
60-System
Dualsystem oder Binärsystem
Oktalsystem
Dezimalsystem
Duodezimalsystem
Hexadezimalsystem oder Hexagesimalsystem
Mayasystem oder Vigesimalsystem
Sesagesimalsystem
Tabelle 2.2: Gebräuchliche Stellenwertsysteme
Dezimalsystem verwendent wurde: In der deutschen Sprache zählt man bis zwölf mit
nicht-zusammengesetzten Zahlwörtern und erst ab dreizehn mit Wörten, die aus einem
Stellenwertsystem entwickelt worden sind. Im Französischen reichen die nicht-zusammengesetzten Zahlwörter sogar bis „seize“. Das ist ein Hinweis auf das Hexadezimalsystem. In Mittelamerika, besonders bei den Mayas, war das 20-System verbreitet.
Beispiel 25 Es gilt
182 = 1 · 27 + 1 · 25 + 1 · 24 + 1 · 22 + 1 · 2
=
=
=
=
1 · 53 + 2 · 52 + 1 · 5 + 2
3 · 72 + 5 · 7
2 · 82 + 6 · 8 + 6
2 · 92 + 2 · 9 + 2
Also sind (10110110)2 , (1212)5 , (350)7 , (266)8 , (222)9 und natürlich auch (182)10 Darstellungen der Zahl 182 zu unterschiedlichen Basen.
Verwendet man größere Basen als 10, so reichen die üblichen Ziffern von 0 bis 9 als
Koeffizienten nicht aus. Man benutzt dann (außer bei Zeitangaben im Sesagesimalsystem) ab 9 lateinische Großbuchstaben als weitere Ziffern, und zwar in derselben Reihenfolge, in der sie im Alphabet auftreten. So ist beispielsweise {0, 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, A,
B, C, D, E, F} der Ziffernvorrat für das Hexadezimalsystem. Da
182 = 1 · 122 + 3 · 12 + 2
= 11 · 16 + 6
= 10 · 18 + 2
gilt, sind (132)12 , (B6)16 und (A2)18 weitere Darstellungen der Zahl 182.
2.8 Stellenwertsysteme
39
Beispiel 26 Mit derselben Methode wie in Beispiel 25 kann man beliebige Darstellungen in das Dezimalsystem überführen. So ist
(3A0B)16 = 3 · 163 + 10 · 162 + 0 · 161 + 11 · 160
= 3 · 4096 + 10 · 256 + 11
= 14 859
Also ist (3A0B)16 eine Darstellung der Zahl 14 859.
Satz 24 Es seien a, q ∈ N∗ mit q ≥ 2. Dann gibt es eine eindeutige Darstellung der Zahl a
zur Basis q, d. h. es gibt genau ein n ∈ N und eindeutig bestimmte Zahlen a0 , a1 , a2 , . . . , an ∈
{0, 1, . . . , q − 1} mit an 6= 0, sodass a = ( an an−1 . . . a2 a1 a0 )q , d. h.
n
a=
∑ a i · q i = a n · q n + a n −1 · q n −1 + . . . + a 2 · q 2 + a 1 · q + a 0
i =0
gilt.
B EWEIS Induktionsanfang) Es sei a = 1. Dann gilt a = 1 · q0 . Also ist mit n = 0 und a0 =
1 eine Darstellung (1)q zur Basis q gegeben. Außerdem ist (1)q die einzige Darstellung
von 1 zur Basis q: Da qi > 1 für alle i > 0 gilt, ist q0 die einzige Potenz von q, die in
der Darstellung von 1 zur Basis q vorkommt; und da die Gleichung 1 = a0 · q0 , d. h.
1 = a0 · 1, nur für a0 = 1 erfüllt ist, gibt es keine andere Darstellung außer (1)q für 1.
Induktionsschritt) Es sei a ∈ N∗ , und es sei als Induktionsvoraussetzung bereits gezeigt, dass es für alle b ∈ N∗ mit b < a eine eindeutige q-adische Darstellung von b
gebe. Nach Satz 21 gibt es zu a eindeutig bestimmte Zahlen s, r ∈ N mit a = s · q + r
und 0 ≤ r < q. Da s < a ist, hat s nach Induktionsvoraussetzng eine eindeutig bestimmte Darstellung (sn sn−1 . . . s2 s1 s0 )q . Daher gilt
a = s·q+r
= ( s n s n −1 . . . s 2 s 1 s 0 ) q · q + r
!
n
=
∑ si · qi
·q+r
i =0
n
=
∑ s i · q i +1
!
+r
i =0
n
=
∑ s i · q i +1
!
+ r · q0
i =0
Also ist (sn sn−1 . . . s2 s1 s0 r )q eine Darstellung von a zur Basis q. Nach Satz 21 sind s und
r eindeutig bestimmt, und nach Induktionsvoraussetzung gilt dasselbe für die Koeffizienten sn , sn−1 , . . . , s2 , s1 , s0 . Also ist (sn sn−1 . . . s2 s1 s0 r )q die einzige Darstellung von a
zur Basis q.
40
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
Bemerkung 24 Der Beweis zum Satz 24 ist konstruktiv, d. h. man kann aus ihm ein
Verfahren ablesen, mit dem man die Darstellung einer natürlichen Zahl a zur Basis q > 2
berechnen kann:
1. Man bestimmt durch Division mit Rest natürliche Zahlen s und r, sodass a =
s · q + r gilt. Dann ist (sn sn−1 . . . s2 s1 s0 r )q die Darstellung von a zur Basis q. Die
ersten n + 1 Koeffizienten sn , . . . , s0 kennt man zwar noch nicht, wohl aber kann
man den letzten Koeffizienten r aus a = s · q + r ablesen und als letzte Ziffer der
Darstellung notieren.
2. Man bestimmt durch Division mit Rest natürliche Zahlen t und r1 , sodass s =
t · q + r1 gilt. Dann ist (sn sn−1 . . . s2 s1 r1 )q die Darstellung von s zur Basis q, d. h.
man hat herausgefunden, dass s0 = r1 ist, und kennt damit die vorletzte Ziffer der
Darstellung von a.
3. Anschließend wiederholt man das Verfahren für t und bestimmt dadurch s1 ; dann
ermittelt man analog s2 , dann s3 , dann s4 usw. stets als Rest des jeweiligen Divisionsschrittes.
Mit diesem Verfahren kann man die Darstellung von a ziffernweise von hinten berechnen. Das Verfahren endet in der Form sn = 0 · q + rn+1 . Dann hat man mit sn = rn+1 den
führenden Koeffizienten der Darstellung (sn sn−1 . . . s2 s1 s0 r )q gefunden.
Beispiel 27 Mit dem Verfahren aus der Bemerkung 24 soll die Darstellung der Zahl
1 573 im 5-System berechnet werden. Durch Division mit Rest erhält man die Koeffizienten der Darstellung als Reste des jeweiligen Divisionsschrittes:
1 573 = 314 · 5 + 3
314 = 62 · 5 + 4
62 = 12 · 5 + 2
12 = 2 · 5 + 2
2 = 0·5+2
Also ist (22243)5 die Darstellung von 1 573 zur Basis 5.
Beispiel 28 Natürlich braucht man nicht wie in Beispiel 27 das Verfahren aus Satz 24 zu
benutzen, um die Darstellung einer Zahl zu ermitteln. Man kann auch „naiv“ vorgehen
und jeden Koeffizenten der Darstellung durch Division mit Rest ermitteln.
Betrachtet man beispielsweise wieder 1 573 und sucht die Darstellung dieser Zahl im
5-System, so kann man zuerst überlegen, wo die Grenze zwischen den Potenzen von 5
liegt, die kleiner als 1 573 sind, und denen, die größer als 1 573 sind: Alle Fünferpotenzen
größer als 1 573 haben offensichtlich den Koeffizienten Null. Man ermittelt, dass 55 =
3 125 > 1 573 > 625 = 54 gilt. Also haben allenfalls Potenzen von 50 bis einschließlich 54
2.8 Stellenwertsysteme
41
Koeffizienten ungleich Null. Diese Koeffizienten kann man durch fortgesetzte Division
mit Rest ermitteln:
1 573 = 2 · 54 + 323
323 = 2 · 53 + 73
73 = 2 · 52 + 23
23 = 4 · 51 + 3
3 = 3 · 50 + 0
Mit dieser Methode ergeben sich die Koeffizienten der Darstellung in derselben Reihenfolge, wie sie im Ausdruck (22243)5 erscheinen. Der Nachteil des Verfahrens liegt
sicherlich darin, dass man die Schranke für den Leitkoeffizienten ermitteln und Potenzen der Basis berechnen muss.
2.8.2 Rechnen in Stellenwertsystemen
In jedem Stellenwertsystem kann man genau so rechnen wie im Dezimalsystem. Das
ist kein Wunder, ist doch das Dezimalsystem nichts anderes als ein Stellenwertsystem,
an dessen Basis wir uns gewöhnt haben. An vier Beispielen in verschiedenen Stellenwertsystem werden nun die Verfahren der schriftlichen Addition, Multiplikation und
Division veranschaulicht.
Beispiel 29 Die Summe der Zahlen (7607A3)16 und (9D8A45)16 errechnet man schriftlich folgendermaßen:
7607A3
+9D8A45
11391E8
Tabelle 2.3: Schriftliche Addition von (7607A3)16 und (9D8A45)16
An diesem Beispiel soll exemplarisch deutlich werden, warum das Rechenverfahren,
das man schon in der Grundschule lernt, das korrekte Ergebnis liefert:
=
=
=
=
=
=
(7607A3)16 + (9D8A45)16
7 · 165 + 6 · 164 + 0 · 163 + 7 · 162 + 10 · 16 + 3
+9 · 165 + 13 · 164 + 8 · 163 + 10 · 162 + 4 · 16 + 5
(7 + 9) · 165 + (6 + 13) · 164 + (0 + 8) · 163 + (7 + 10) · 162 + (10 + 4) · 16 + (3 + 5)
16 · 165 + 19 · 164 + 8 · 163 + 17 · 162 + 14 · 16 + 8
16 · 165 + (16 + 3) · 164 + 8 · 163 + (16 + 1) · 162 + 14 · 16 + 8
(16 + 1) · 165 + 3 · 164 + 9 · 163 + 1 · 162 + 14 · 16 + 8
1 · 166 + 1 · 165 + 3 · 164 + 9 · 163 + 1 · 162 + 14 · 16 + 8
42
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
= (11391E8)16
Das Additionsschema ergibt sich also folgendermaßen: Die Darstellungen werden
koeffizientenweise addiert. Wird dabei ein Wert erreicht, der größer als die Basis ist,
wird ein „Übertrag“ auf den nächsten bzw. die nächsten Koeffizienten vorgenommen:
Für den „zu großen“ Koeffizienten wird eine Division mit Rest vorgenommen. Dadurch
erreicht man eine Darstellung dieses Koeffizienten, deren Koeffizienten zu den nächstgrößeren addiert werden können.
Die Subtraktion erfolgt analog zur Addition. Daher wird auf ein Beispiel verzichtet.
Die schriftliche Multiplikation wird im Duodezimalsystem veranschaulicht:
36A7 · 5A3A3
15A4B0000
2A89A000
A87900
2A89A0
A879
18A451359
Tabelle 2.4: Schriftliche Multiplikation von (36A7)12 und (5A3A3)12
Die Korrektheit des Multiplikationsschemas kann man sich ebenso klarmachen wie
die des Additionsschemas.
Die Division mit Rest wird an einem Beispiel im 7-System veranschaulicht:
6410503 : 12 = 506205
-63
11
- 0
110
-105
25
-24
10
- 0
103
-63
10
Rest
10
Tabelle 2.5: Division mit Rest von (6410503)7 durch (12)7
2.8 Stellenwertsysteme
43
Das Divisionsschema ist aus einem anderem Grund adäquat als die Schemata für
Addition, Subtraktion und Multiplikation: Das Divisionsschema ist nichts anderes als
mehrmals hintereinander ausgeführte Division mit Rest:
(6410503)7
(110503)7
(110503)7
(2503)7
(103)7
(103)7
=
=
=
=
=
=
(12)7 · (5)7 · (100000)7 + (110503)7
(12)7 · (0)7 · (10000)7 + (110503)7
(12)7 · (6)7 · (1000)7 + (2503)7
(12)7 · (2)7 · (100)7 + (103)7
(12)7 · (0)7 · (10)7 + (103)7
(12)7 · (5)7 · (1)7 + (10)7
Im Dezimalsystem sieht dasselbe folgendermaßen aus (dabei wird zunächst (6410503)7 =
775 771 und (12)7 = 9 berechnet):
775 771 = 9 · 5 · 75 + 19 456
19 456 = 9 · 0 · 74 + 19 456
19 456 = 9 · 6 · 73 + 934
934 = 9 · 2 · 72 + 52
52 = 9 · 0 · 71 + 52
52 = 9 · 5 · 70 + 7
Man kann diese iterierte Division mit Rest zu einem Schritt zusammenfassen: Man
ersetzt in der ersten Gleichung den Rest 19 456 durch die rechte Seite der zweiten Gleichung; dann deren Rest (zufälligerweise wieder 19 456) durch die rechte Seite der dritten Gleichung usw. Anschließend klammert man den Faktor 9 aus. Dadurch erhält man:
775 771 = 9 · (5 · 75 + 0 · 74 + 6 · 73 + 2 · 72 + 0 · 71 + 5 · 70 ) + 7
bzw. im 7-System:
(6410503)7
= (12)7 · (5 · (10)57 + 0 · (10)47 + 6 · (10)37 + 2 · (10)27 + 0 · (10)17 + 5 · (10)07 ) + (10)7
= (12)7 · (506205)7 + (10)7
An diesen beiden Zeilen erkennt man nun deutlich, dass das Divisionsschema eine
Division mit Rest darstellt und damit ein adäquates Divisionverfahren ist.
Die Korrektheit dieser Ergebnisse kann man außerdem überprüfen, indem man die
Zahlen zuerst ins Dezimalsystem übersetzt, die Rechenoperationen dann mit der vertrauten Zehnerbasis durchführt und die Ergebnisse wieder in das jeweilige Stellenwertsystem zurückübersetzt.
44
Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen
Kapitel 3
Konstruktion der ganzen Zahlen
3.1 Gruppen und Ringe
Definition 30 Es sei G eine nichtleere Menge und ◦ : ( G × G ) → G eine Abbildung.
Man nennt dann ◦ eine Verknüpfung von G. Das Paar ( G, ◦) heißt Gruppe, wenn gilt:
1. Für alle g, h, i ∈ G gilt g ◦ (h ◦ i ) = ( g ◦ h) ◦ i (Assoziativität).
2. Es gibt ein e ∈ G, sodass e ◦ g = g ◦ e = g für alle g ∈ G gilt (Existenz eines
Neutralelementes).
3. Für jedes g ∈ G gibt es ein g0 ∈ G mit g ◦ g0 = g0 ◦ g = e (Existenz von Inversen).
Man nennt e das Neutralelement der Gruppe ( G, ◦) und g0 das zu g inverse Element.
Bemerkung 25 Wenn aus dem Kontext hervorgeht, welche Verknüpfung von G gemeint ist, wird statt ( G, ◦) auch nur G geschrieben und G selbst als Gruppe bezeichnet.
Durch die Festlegung ◦ : ( G × G ) → G wird stillschweigend ausgedrückt, dass ( G, ◦)
eine abgeschlossen algebraische Struktur ist, d. h. ◦ nur Werte in G, und nicht etwa in
einer Obermenge von G annimmt.
Nennt man die Verknüpfung einer Gruppe Addition oder Multiplikation, so haben
sich folgende Standards für die Symbole und Bezeichungen durchgesetzt:
Verknüpfungszeichen
Neutralelement
Inverses zu g
Additive Schreibweise
Multiplikative Schreibweise
+ oder ⊕
0
−g
· oder 1
g−1 oder manchmal auch
1
g
Tabelle 3.1: Multiplikative und additive Schreibweise von Verknüpfungen
Die Kreisschreibweisen ⊕ und verwendet man hauptsächlich dann, wenn man es
mit zwei unterschiedlichen Additionen und Multiplikationen (in derselben oder in zwei
verschiedenen Gruppen) zu tun hat. Man kann dann beispielsweise + und ⊕ nebeneinander benutzen, ohne zu verwechseln, welche der beiden Additionen gerade gemeint
ist.
46
Kapitel 3 Konstruktion der ganzen Zahlen
Beispiel 30 Man schreibt bei der Addition in Z nicht 2 ◦ 20 = e, sondern 2 + (−2) = 0,
und bei der Multiplikation in Q∗ nicht 2 ◦ 20 = e, sondern 2 · 2−1 = 1 oder 2 · 21 = 1.
Definition 31 Es sei ( G, ◦) eine Gruppe. Die Gruppe ( G, ◦) heißt abelsch oder kommutativ, wenn g ◦ h = h ◦ g für alle g, h ∈ G gilt.
Lemma 20 Jede Gruppe hat genau ein Neutralelement.
B EWEIS Es sei ( G, ◦) eine Gruppe. Nach Definition 30 hat ( G, ◦) ein Neutralelement.
Nun ist noch zu zeigen, dass es in G nicht mehr als ein Neutralelement gibt. Es seien
e1 und e2 Neutralelemente von G. Dann gilt nach Definition e1 = e1 ◦ e2 , da e2 Neutralelement ist, und ebenso e2 = e1 ◦ e2 , da e1 Neutralelement ist. Insgesamt erhält man
e1 = e1 ◦ e2 = e2 , also e1 = e2 , und damit gibt es nur ein Neutralelement in G.
Lemma 21 In jeder Gruppe hat jedes Element genau ein Inverses.
B EWEIS Ähnlich zum Beweis von Lemma 20.
Definition 32 Es sei R eine nichtleere Menge und + : ( R × R) → R und · : ( R × R) → R
Verknüpfungen von R. Das Tripel ( R, +, ·) heißt Ring, wenn gilt:
1. Das Paar ( R, +) ist eine kommutative Gruppe, d. h. es gilt:
a) Für alle r, s, t ∈ R gilt r + (s + t) = (r + s) + t (Assoziativität).
b) Es gibt ein Element 0 ∈ R, sodass 0 + r = r für alle r ∈ R gilt (Existenz eines
additiven Neutralelementes bzw. Nullelementes).
c) Für jedes r ∈ R gibt es ein −r ∈ R mit r + (−r ) = 0 (Existenz additiver
Inverser).
d) Für alle r, s ∈ R gilt r + s = s + r (Kommutativität).
2. Das Paar ( R, ·) ist eine Halbgruppe, d. h. es gilt:
a) Für alle r, s, t ∈ R gilt r · (s · t) = (r · s) · t (Assoziativität).
b) Es gibt ein Element 1 ∈ R mit 1 6= 0, sodass 1 · r = r · 1 = r für alle r ∈ R gilt
(Existenz eines multiplikativen Neutralelementes bzw. Einselementes).
3. Für alle r, s, t ∈ R gilt r · (s + t) = r · s + r · t und (r + s) · t = r · t + s · t (Distributivität).
Ein Ring ( R, +, ·) heißt kommutativ, wenn r · s = s · r für alle r, s ∈ R gilt.
Beispiel 31 Das Tripel (Z, +, ·) ist ein Ring, wie in diesem Kapitel gezeigt werden soll.
Dagegen ist (N, +, ·) kein Ring, denn (N, +) ist keine Gruppe. Außerhalb der Zahlentheorie werden oft zwei weitere Klassen von Ringen betrachtet: Mit ihren jeweiligen Verknüpfungen bilden die Menge der Polynome einen kommutativen Ring und
die Menge der quadratischen Matrizen einen Ring, der ab der Dimension 2 × 2 nicht
kommutativ ist, was schon in Beispiel 2 gezeigt wurde.
3.2 Äquivalenzrelationen
47
3.2 Äquivalenzrelationen
Definition 33 Es sei M eine Menge. Dann ist eine Teilmenge R des cartesischen Produkts M × M eine Relation auf M:
R ⊆ M × M = {( x, y) | x ∈ M ∧ y ∈ M}
Definition 34 Es sei M eine Menge und R eine Relation auf M. Dann ist R eine Äquivalenzrelation auf M, wenn R reflexiv, symmetrisch und transitiv ist, d. h. wenn für alle
x, y, z ∈ M gilt:
1. xRx (Reflexivität),
2. xRy ⇒ yRx (Symmetrie),
3. ( xRy ∧ yRz) ⇒ xRz (Transitivität).
Ist x ∈ M, so ist
[ x ] = {y ∈ M | xRy}
die Äquivalenzklasse zu x in M bezüglich R. Man schreibt statt [ x ] manchmal auch x.
Bemerkung 26 Eine Äquivalenzklasse x ist eine Teilmenge von M, d. h. es gilt x ⊂ M.
Für das weitere ist es wichtig, dass die Äquivalenzklassen einer Äquivalenzrelation ein
System von Teilmengen bilden, das man Partition von M nennt und (informell) durch
die drei folgenden Eigenschaften charakterisiert ist: Keine Äquivalenzklasse ist leer, die
Äquivalenzklassen überschneiden sich nicht (d. h. haben keine gemeinsame Elemente),
und die Vereinigung aller Äquivalenzklassen ist ganz M. Kurz gesagt: Die Äquivalenzklassen teilen M in disjunkte Teilmengen auf (dies wird gleich formal formuliert).
Wichtig für das weitere ist daran: Man kann die Menge der Paare natürlicher Zahlen in Äquivalenzklassen einteilen und auf diesen Äquivalenzklassen eine Addition
und Multiplikation definieren, die man auf für die Paare selbst nicht definieren könnte.
Durch die Verknüpfungen auf der Menge der Äquivalenzklassen erhält man eine algebraische Struktur, die formal die Eigenschaften hat, die wir von den ganzen Zahlen von
der Schule her gewohnt sind. Doch zunächst befassen wir uns noch mit Partitionen und
Äquivalenzrelationen im allgemeinen.
Satz 25 Es sei M 6= ∅ eine Menge und R eine Äquivalenzrelation in M. Für x, y ∈ M gilt
dann:
1. [ x ] R 6= ∅,
2. [ x ] R = [y] R ⇔ xRy,
3. [ x ] R 6= [y] R ⇒ [ x ] R ∩ [y] R = ∅.
48
Kapitel 3 Konstruktion der ganzen Zahlen
B EWEIS 1) Direkt, mit Definition der Äquivalenzrelation: Da die Äquivalenzrelation
nach Definition reflexiv ist, d. h. ∀ x ∈ M 6= ∅ : xRx gile, kann keine Äquivalenzklasse
bezüglich R und M leer sein.
2) Direkt, mit Definition der Äquivalenzklasse: x und y sind beides Repräsentanten
der gleichen Äquivalenzklasse. Für die Elemente x, y einer Äquivalenzklasse gilt nach
Definition xRy.
3) Direkt, mit Definition der Äquivalenzklasse: Wenn die Äquivalenzklassen ungleich
sind, dann gilt für alle Elemente x der ersten und y der zweiten Äquivalenzklasse x Ry.
6
Damit ist der Schnitt der Äquivalenzklassen leer.
Definition 35 Es seien M1 , M2 , . . . , Mn Teilmengen von M, die paarweise disjunkt sind,
d. h. es gilt Mi ∩ M j = ∅ für i 6= j. Genau dann, wenn auch M = M1 ∪ M2 ∪ . . . ∪ Mn gilt,
heißt die Aufteilung von M in die Teilmengen M1 , M2 , . . . , Mn Zerlegung oder Partition
von M.
Satz 26 Genau dann wenn R eine Äquivalenzrelation in M ist, gibt es eine Zerlegung Z R von
M.
B EWEIS Zuerst „⇒“: Es sei M 6= ∅. Man bildet mit einem beliebigen x ∈ M eine Äquivalenzklasse [ x ] R . Mit einem weiteren Element y mit y 6∈ [ x ] R eine weitere Äquivalenzklasse [y] R usw. D. h., jedes Element von M ist zumindest Element der von ihm selbst
repräsentierten Äquivalenzklasse oder in einer bereits definierten. Man muss jetzt noch
zeigen, dass die verschiedenen Äquivalenzklassen disjunkt sind, d. h. kein Element aus
M in mehr als einer Äquivalenzklase enthalten ist (indirekter Beweis): Gegenannahme: R sei eine Äquivalenzrelation mit den oben beschriebenen Äquivalenzklassen und
[ x ] R ∩ [y] R 6= ∅. Also ist R Äquivalenzrelation mit den oben beschriebenen Äquivalenzklassen und ∃z ∈ M : zRx ∧ zRy. Also ist R Äquivalenzrelation mit den oben beschriebenen Äquivalenzklassen und xRy (da eine Äquivalenzrelation symmetrisch und
transitiv ist), d. h. xRz ∧ zRy ⇒ xRy. Das ist ein Widerspruch, da dann y ∈ [ x ] R gelten
müsste.
Nun „⇐“: Man betrachte die Relation R in M mit
n
o
R = ( x, y) ∈ M2 | x gehört zur selben Klasse (Teilmenge) wie y
R ist eine Äquivalenzrelation.
3.3 Konstruktion der ganzen Zahlen
Definition 36 Es sei
n
o
∼= (( a, b), (c, d)) ∈ N2 × N2 | a + d = b + c
3.3 Konstruktion der ganzen Zahlen
49
bzw.
( a, b) ∼ (c, d) :⇔ a + d = b + c
für alle a, b, c, d ∈ N.
Satz 27 Die Relation ∼ eine Äquivalenzrelation auf N2 .
B EWEIS Es ist zu zeigen, dass ∼ reflexiv, transitiv und symmetrisch ist.
Reflexivität) Es sei ( a, b) ∈ N2 . Dann ist ( a, b) ∼ ( a, b) genau dann der Fall, wenn
a + b = b + a ist. Das ist aber nach Satz 2 wegen der Kommutativität der Addition für
alle a, b ∈ N erfüllt.
Symmetrie) Es seien ( a, b), (c, d) ∈ N2 , und es gelte ( a, b) ∼ (c, d). Dann ist a + d =
b + c und daher b + c = a + d bzw. c + b = d + a. Also gilt auch (c, d) ∼ ( a, b).
Transitivität) Es seien ( a, b), (c, d), (e, f ) ∈ N2 , und es gelte ( a, b) ∼ (c, d) sowie
(c, d) ∼ (e, f ). Dann ist a + d = b + c und c + f = d + e und daher ( a + d) + (c +
f ) = (b + c) + (d + e), bzw. durch die Assoziativität der Addition ( a + f ) + (c + d) =
(b + e) + (c + d). Mit der Kürzungsregel aus Satz 2 erhält man a + f = b + e, und daher
ist ( a, b) ∼ (e, f ).
Definition 37 Für alle a, b, c, d ∈ N sei ( a, b) ∼ (c, d) ⇔ a + d = b + c. Dann nennt man
die Menge
Z := {[( a, b)] | a, b ∈ N}
der Äquivalenzklassen von ∼ in N × N die Menge der ganzen Zahlen.
3.3.1 Addition
Definition 38 Es seien [( a, b)] und [(c, d)] Elemente aus Z. Dann ist
[( a, b)] ⊕ [(c, d)] := [( a + c, b + d)]
die Summe von [( a, b)] und [(c, d)] und ⊕ die Addition in Z.
Definition 39 Es sei X eine Menge, ∼ eine Äquivalenzrelation auf X und ◦ eine Verknüpfung auf der Menge der Äquivalenzklassen [ X ]∼ . Dann heißt ◦ wohldefiniert oder
repräsentantenunabhängig, wenn für alle x, x 0 , y, y0 ∈ X gilt: Ist x ∼ x 0 und y ∼ y0 (d. h.
[ x ] = [ x 0 ] und [y] = [y0 ]), so ist [ x ] ◦ [y] = [ x 0 ] ◦ [y0 ].
Satz 28 Die Addition ⊕ auf Z ist wohldefiniert.
B EWEIS Es seien a, b, c, d und a0 , b0 , c0 , d0 natürliche Zahlen mit ( a, b) ∼ ( a0 , b0 ) und (c, d) ∼
(c0 , d0 ), d. h. es gilt a + b0 = a0 + b und c + d0 = c0 + d. Dann ist [( a, b)] ⊕ [(c, d)] =
[( a + c, b + d)] = [( a0 + c0 , b0 + d0 )] = [( a0 , b0 )] ⊕ [(c0 , d0 )], denn aus a + b0 = a0 + b und
c + d0 = c0 + d folgt (durch Addition der Gleichungen) a + b0 + c + d0 = a0 + b + c0 + d,
d. h. a + c + b0 + d0 = a0 + c0 + b + d, und das heißt nichts anderes, als dass ( a + c, b +
d) ∼ ( a0 + c0 , b0 + d0 ), also [( a + c, b + d)] = [( a0 + c0 , b0 + d0 )] ist.
50
Kapitel 3 Konstruktion der ganzen Zahlen
Satz 29 Das Paar (Z, ⊕) ist eine Gruppe. Dabei ist [(0, 0)] das Neutralelement von (Z, ⊕)
und zu [( a, b)] ∈ Z ist [(b, a)] das inverse Element.
B EWEIS Zu beweisen sind vier Teilaussagen: Die Abbildung ⊕ ist eine Verknüpfung;
die Verknüpfung ⊕ ist assoziativ; es gibt ein Neutralelement bezüglich ⊕ (und zwar
[(0, 0)]); und zu jedem Element aus Z gibt es bezüglich ⊕ ein Inverses.
1) Nachweis, dass ⊕ eine Verknüpfung ist: Zu zeigen ist, dass für alle [( a, b)] und
[(c, d)] aus Z die Summe [( a, b)] ⊕ [(c, d)] ebenfalls ein Element aus Z ist. Es ist [( a, b)] ⊕
[(c, d)] = [( a + c, b + d)] ∈ Z, da a + c und b + d natürliche Zahlen sind.
2) Nachweis des Assoziativität: Für alle a, b, c, d, e, f ∈ N gilt
([( a, b)] ⊕ [(c, d)]) ⊕ [(e, f )] =
=
=
=
=
[( a + c, b + d)] ⊕ [(e, f )]
([(( a + c) + e, (b + d) + f )]
([( a + (c + e), b + (d + f ))]
[( a, b)] ⊕ [(c + e, d + f )]
[( a, b)] ⊕ ([(c, d)] ⊕ [(e, f )])
Also ist ⊕ assoziativ. Dieser Nachweis beruht im Wesentlichen darauf, dass man die
Assoziativität in (Z, ⊕) auf die Assoziativität in (N, +) zurückführt.
3) Für alle [( a, b)] ∈ Z gilt [( a, b)] ⊕ [(0, 0)] = [( a + 0, b + 0)] = [( a, b)] und [(0, 0)] ⊕
[( a, b)] = [(0 + a, 0 + b)] = [( a, b)]. Also ist [(0, 0)] ein Neutralelement von (Z, ⊕)].
4) Für alle [( a, b)] ∈ Z gilt [( a, b)] ⊕ [(b, a)] = [( a + b, b + a)] = [( a + b, a + b)] = [(0, 0)]
und [(b, a)] ⊕ [( a, b)] = [(b + a, a + b)] = [( a + b, a + b)] = [(0, 0)]. Also ist [(b, a)] ein
Inverses zu [( a, b)] bezüglich ⊕.
Bemerkung 27 An diesem Beweis wird deutlich, warum man die Äquivalenzklassenbildung braucht, um auf Z eine Gruppenstruktur zu bilden: Alle Gruppeneigenschaften bis auf eine ließen sich auch ohne Äquivalenzklassenbildung, also direkt für Paare
natürlicher Zahlen, beweisen. Nur die Existenz inverser Elemente verlangt nach Äquivalenzklassen: Wenn man zum Paar ( a, b) ein anderes Paar (c, d) nach dem Schema
( a + c, b + d) addierte, so vergrößerte sich der Wert beider Einträge. Durch diese Addition würde man also nie das Paar (0, 0) erreichen, also das Neutralelement bezüglich
dieser Addition. Damit gäbe es (außer zu (0, 0) selbst) keine Inversen.
Durch die Äquivalenzklassenbildung vermeidet man dieses Problem: Man braucht
(0, 0) nicht zu erreichen, sondern lediglich ein Paar, das äquivalent zu (0, 0) ist. Das ist
jedes Paar, bei dem beide Einträge übereinstimmen. So erhält man [( a, b)] ⊕ [(b, a)] =
[( a + b, a + b)] = [(0, 0)] und damit die Möglichkeit, zur Äquivalenzklassen [( a, b)] (und
nicht zum Paar ( a, b)) das Inverse [(b, a)] nachweisen.
Satz 30 Das Paar (Z, ⊕) ist eine Gruppe mit [(0, 0)] als Neutralelement; und für [( a, b)] ∈ Z
ist [(b, a)] das Inverse bezüglich der Addition in Z.
B EWEIS Siehe Satz 29, Lemma 22, Satz 32 und Lemma 23.
3.4 Einbettung der natürlichen Zahlen
51
Lemma 22 Die Gruppe (Z, ⊕) ist kommutativ.
B EWEIS Analog zum Beweis der Assoziativität ist Satz 29.
3.3.2 Multiplikation
Definition 40 Es seien [( a, b)] und [(c, d)] Elemente aus Z. Dann ist
[( a, b)] [(c, d)] := [( a · c + b · d, a · d + b · c)]
das Produkt von [( a, b)] und [(c, d)] und die Multiplikation in Z.
Satz 31 Die Multiplikation auf Z ist wohldefiniert.
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 28.
Satz 32 Die Multiplikation ist eine assoziative Verknüpfung von Z mit dem Neutralelement
[(1, 0)].
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 29.
Bemerkung 28 Das Paar (Z, ) ist keine Gruppe, denn es gibt nicht zu jedem Element
aus Z ein Inverses bezüglich . Beispielsweise hat [(2, 0)] kein Inverses, denn wäre
[( a, b)] ∈ Z ein Inverses zu [(2, 0)], so müsste gelten [(2, 0)] [( a, b)] = [(1, 0)], also
[(2 · a, 2 · b)] = [(1, 0)], d. h. 2 · a = 2 · b + 1. Diese Gleichung hat in N jedoch keine
Lösung, denn 2 · a ist durch 2 teilbar, 2 · b + 1 jedoch nicht.
Lemma 23 Die algebraische Struktur (Z, ) ist kommutativ.
B EWEIS Analog zum Beweis der Assoziativität in Satz 29.
Korollar 13 Das Tripel (Z, ⊕, ) ist ein kommutativer Ring.
3.4 Einbettung der natürlichen Zahlen
Bemerkung 29 Die Teilmenge N = {[(n, 0)] | n ∈ N} von Z genügt den Peano-Axiomen, d. h. Z enthält eine vollständige Menge natürlicher Zahlen. Daher kann man N
auch als N auffassen und erhält damit die Inklusion N ⊆ Z.
52
Kapitel 3 Konstruktion der ganzen Zahlen
3.5 Die Ordnung der ganzen Zahlen
Definition 41 Es seien a, b ∈ Z. Dann ist
a ≤ b :⇔ ∃s ∈ N : n + s = m
a < b :⇔ a ≤ b ∧ a 6= b
Satz 33 Die Relation ≤ ist eine lineare Ordnung auf Z, d. h. für alle a, b, c ∈ Z gilt:
1. a ≤ a (Reflexivität),
2. a ≤ b ∧ b ≤ c ⇒ a ≤ c (Transitivität),
3. a ≤ b ∧ b ≤ a ⇒ a = b (Antisymmetrie oder Identitivität) und
4. a ≤ b ∨ b ≤ a (Konnektivität).
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 6.
3.6 Die gewohnte Schreibweise
Definition 42 Für die Schreibweise der ganzen Zahlen wird für das Weitere folgende
Abkürzung vereinbart:
..
.
−2
−1
0
1
2
..
.
..
.
..
.
:= [(0, 2)]
:= [(0, 1)]
:= [(0, 0)]
:= [(1, 0)]
:=
..
.
[(2, 0)]
..
.
Bemerkung 30 Mit Definition 42 steht die übliche Schreibweise für ganze Zahlen zur
Verfügung. Das Zeichen „−“ erhält damit eine Doppelbedeutung: Es wird hier benutzt,
um das additive Inverse einer natürlichen Zahlen zu kennzeichnen und ist damit Teil
des Namens einer Zahl. Daneben tritt es Verknüpfungszeichen für die Subtraktion auf.
In der Regel führt diese Ambivalenz zu keinen Problemen, da a + (−b) = a − b für alle
ganzen Zahlen a und b gilt und es damit praktisch unerheblich ist, dass das Minuszeichen links als Namensbestandteil des Ausdrucks „−b“ auftritt und rechts als Verknüpfungszeichen.
Kapitel 4
Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
4.1 Die Teilerrelation in Z
Definition 43 Es ist Z∗ := Z \ {0}.
Bemerkung 31 Wie schon bei der Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen muss die
Null an vielen Stellen ausgeschlossen werden, um wohldefinierte Definition bzw. (wenigstens auf Z∗ ) allgemeingültige Sätze zu erhalten. Es ist eine gute Übung, bei den
folgenden Sätzen und Definitionen zu überlegen, was „schiefläuft“, wenn man die Null
nicht ausschließt.
Definition 44 Es seien a und b ganze Zahlen. Dann ist a ein Teiler von b (in Zeichen:
a | b), wenn es ein s ∈ Z gibt, sodass mit b = s · a. Formal:
a | b :⇔ ∃s ∈ Z : b = s · a
Ist a kein Teiler von b, so schreibt man a - b.
4.2 Analogie zwischen N und Z in der Teilbarkeitstheorie
4.2.1 Die Betragsfunktion
Definition 45 Es sei a ∈ Z, dann ist
(
| a| =
a
für a ≥ 0,
−a
für a < 0
der Betrag von a. Damit ist die Betragsfunktion | | : Z → N : a 7→ | a| definiert.
Korollar 14 Für alle a ∈ Z gilt | a| = | − a|.
Lemma 24 Für alle a, b ∈ Z gilt | a · b| = | a| · |b|.
B EWEIS Falls a ≥ 0 und b ≥ 0 ist, dann ist | a| · |b| = a · b = | a · b|. Falls a < 0 und b ≥ 0
ist, dann ist | a| · |b| = (− a) · b = −( a · b) = | − ( a · b)| = | a · b|. Ebenso beweist man den
Fall a ≥ 0 und b < 0. Falls a < 0 und b < 0 ist, dann gilt | a| · |b| = − a · (−b) = a · b =
| a · b |.
54
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
Satz 34 Es seien a, b ∈ Z. Dann ist a genau dann ein Teiler von b in Z nach Definition 44,
wenn | a| ein Teiler von |b| in N nach Definition 19 ist.
B EWEIS Es gelte a | b in Z, d. h. es gebe ein s ∈ Z mit b = s · a. Dann gilt |b| = |s · a| =
|s| · | a| nach Lemma 24. Also ist | a| ein Teiler von |b| in N.
Nun sei umgekehrt | a| ein Teiler von |b| in N, d. h. es gebe ein s ∈ N mit |b| = s · | a|.
Je nach den Vorzeichen von a und b gilt dann b = s · a oder b = (−s) · a. Also ist a ein
Teiler von b in Z.
4.2.2 Elementare Teilerregeln
Satz 35 (Teilbarkeitsregeln) Für alle a, b, c ∈ Z gilt:
1. 1 | a und −1 | a.
2. a | b ⇒ a | −b.
3. a | b ⇒ − a | b.
4. a | a (Reflexivität).
5. a | b ⇒ −b ≤ a ≤ b für b 6= 0.
6. a | b ∧ b | a ⇒ | a| = |b|.
7. a | b ∧ b | c ⇒ a | c (Transitivität).
8. a | b ⇒ a | t · b für alle t ∈ Z.
9. c | a ∧ c | b ⇒ c | a + b.
10. c | a ∧ c | a + b ⇒ c | b.
B EWEIS Die Aussagen lassen sich unmittelbar aus Satz 10 unter Beachtung von Satz 34
ablesen.
Korollar 15 Es seien a, b, t ∈ Z. Ist t ein Teiler von a und b, so ist t auch ein Teiler von
x · a + y · b für alle x, y ∈ Z.
4.2.3 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames
Vielfache
Definition 46 Es sei a ∈ Z∗ . Dann ist
Ta = {b ∈ Z | ∃s ∈ Z : a = s · b}
4.2 Analogie zwischen N und Z in der Teilbarkeitstheorie
55
die Teilermenge von a,
τ ( a) = | Ta |
die Anzahl der Teiler von a,
Ta∗ = Ta \ {−1, 1, − a, a}
die Menge der echten Teiler von a und
Va = {m ∈ Z | ∃s ∈ Z : m = s · a}
die Vielfachenmenge von a. Außerdem ist
Va+ = Va ∩ N∗
Beispiel 32 Für a = 12 ist
T12 = {−12, −6, −4, −3, −2, −1, 1, 2, 3, 4, 6, 12}
τ (12) = 12
∗
T12
= {−6, −4, −3, −2, 2, 3, 4, 6}
V12 = {. . . , −36, −24, −12, 0, 12, 24, 36, . . .}
+
V12
= {12, 24, 36, . . .}
Definition 47 Es seien a, b ∈ Z∗ . Dann ist t ∈ N∗ ein gemeinsamer Teiler von a und
b, wenn sowohl t | a als auch t | b gilt (d. h. wenn t ∈ Ta ∩ Tb ist); und v ∈ Z ist ein
gemeinsames Vielfaches von a und b, wenn a | v und b | v gilt (d. h. wenn v ∈ Va ∩ Vb
ist); und es ist
ggT ( a, b) = max ( Ta ∩ Tb )
der größte gemeinsame Teiler von a und b und
kgV ( a, b) = min(Vn+ ∩ Vm+ )
das kleinste gemeinsame Vielfache von n und m. Die Zahlen n und m heißen teilerfremd,
wenn ggT ( a, b) = 1 ist.
Bemerkung 32 Die Definition 47 ist gerade so gestaltet, dass ggT und kgV in N und Z
übereinstimmen, d. h. es ist ggT ( a, b) = ggT (| a|, |b|) und kgV ( a, b) = kgV (| a|, |b|) für
alle a, b ∈ Z.
4.2.4 Division mit Rest und der euklidische Algorithmus
Satz 36 (Eindeutige Division mit Rest in Z) Für alle p, q ∈ Z mit q 6= 0 gibt es genau ein
s ∈ Z und genau ein r ∈ N, sodass
p = s·q+r
56
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
mit 0 ≤ r < |q| ist.
B EWEIS Nach Satz 21 gibt es genau ein s∗ ∈ N und genau ein r ∗ ∈ N mit | p| = s∗ ·
|q| + r ∗ . Dann ist p = s · q + r mit den gewünschten Eigenschaften erfüllt, wenn man s
und r folgendermaßen definiert:
Fall 1) Falls p ≥ 0 und q ≥ 0 ist, sei s = s∗ und r = r ∗ .
Fall 2) Falls p < 0 und q ≥ 0 ist, sei s = −s∗ − 1 und r = q − r ∗ .
Fall 3) Falls p ≥ 0 und q < 0 ist, sei s = −s∗ und r = r ∗ .
Fall 4) Falls p < 0 und q < 0 ist, sei s = s∗ und r = q − r ∗ .
Die Eindeutigkeit der Darstellung ergibt sich aus der Eindeutigkeit von r ∗ und s∗ ,
und ebenfalls die Bedingung 0 ≤ r < |q|. Über algebraische Umformungen erkennt,
dass in allen Fällen p = s · q + r erfüllt ist.
Satz 37 (Euklidischer Algorithmus) Es sei a ∈ Z mit a > 2 und q ∈ N mit a > q > 0.
Dann gibt es für ein l ∈ N ganze Zahlen s1 , s2 , . . . , sl +1 und natürliche Zahlen r1 , r2 , . . . , rl , rl +1
mit den folgenden Eigenschaften:
a
q
r1
r2
r l −2
r l −1
=
=
=
=
..
.
=
=
s1 · q + r1
s2 · r1 + r2
s3 · r2 + r3
s4 · r3 + r4
mit 0 ≤ r1
mit 0 ≤ r2
mit 0 ≤ r3
mit 0 ≤ r4
..
.
s l · r l −1 + r l
s l +1 · r l + r l +1
mit 0 ≤ rl < rl −1
mit rl +1 = 0
<q
< r1
< r2
< r3
mit q > r1 > r2 > . . . > rl −1 > rl ≥ 0 und rl +1 = 0 sowie ggT ( a, q) = rl .
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 23.
4.3 Vielfachensummen und diophantische Gleichungen
4.3.1 Vielfachensummen
Satz 38 Es seien a, b ∈ Z∗ . Dann gibt es x, y ∈ Z, sodass ggT ( a, b) = x · a + y · b ist.
B EWEIS Es sei
H = { x · a + y · b | x, y ∈ Z}.
Nun betrachte man H + = H ∩ N∗ . Da für a < 0 die Zahl (−1) · a + 0 · b ein Element
von H + und für a ≥ 0 die Zahl 1 · a + 0 · b ein Element von H + ist, ist H + nicht leer
(nebenbei: Bei a = b = 0 wäre H + leer). Nach Satz 8 hat H + daher ein Minimum. Es sei
d = min( H + ). Nun wird gezeigt, dass d = ggT ( a, b) ist.
4.3 Vielfachensummen und diophantische Gleichungen
57
Zuerst wird bewiesen, dass d ein Teiler von a und b ist. Nach Satz 36 gibt es s ∈ Z
und r ∈ N mit 0 ≤ r < d, sodass a = s · d + r ist. Also ist
r = a − s · d = a − s · ( x · a + y · b ) = (1 − s · x ) · a − s · y · b
für passende Werte x, y ∈ Z, da d ∈ H ist. Aus dem letzten Term der Gleichungskette
erkennt man, dass sich auch r als Linearkombination von a und b darstellen lässt und
damit ein Element von H ist. Da r ≥ 0 gilt, ist r sogar ein Element von H + ∪ {0}. Da
0 ≤ r < d und d das Minimum von H + ist, ist der Fall r ∈ H + ausgeschlossen. Also ist
r = 0. Daher ist d ein Teiler von a. Analog zeigt man, dass d ein Teiler von b ist. Also ist
d ein gemeinsamer Teiler von a und b.
Nun ist noch zu zeigen, dass d der kleinste gemeinsame Teiler von a und b ist. Die Argumentation dafür stützt sich im Wesentlichen auf Korollar 9. Es sei t ein gemeinsamer
Teiler von a und b. Dann ist t nach Korollar 15 auch ein Teiler von x · a + y · b für alle
x, y ∈ Z, insbesondere gilt dann auch t | d, da d wie oben gezeigt eine Linearkombination von a und b ist. Da also jeder gemeinsame Teiler t von a und b auch ein Teiler von
d ist, ist d nach Korollar 9 der größte gemeinsame Teiler von a und b.
Bemerkung 33 Satz 38 ist ein unsympathischer Satz: Er ist eine reine Existenzaussage,
d. h. er behauptet (und das zurecht), dass man den ggT zweier ganzer Zahlen als Linearkombination ggT ( a, b) = x · a + y · b darstellen kann, verrät aber nicht, ob und wie
man die Koeffizienten x und y in einem konkreten Fall berechnen kann. Diese Möglichkeit ergibt sich aus dem euklidischen Algorithmus. Das folgende Beispiel wird das
veranschaulichen.
Beispiel 33 In Beispiel 23 wurde der ggT von 963 und 657 mit dem euklidischen Algorithmus berechnet:
963 = 1 · 657 + 306
657 = 2 · 306 + 45
306 = 6 · 45 + 36
45 = 1 · 36 + 9
36 = 4 · 9 + 0
Aus der letzten Zeile lässt sich ggT (963, 657) = 9 ablesen. Eine Linearkombination von
9, die von 963 und 657 abhängt, erhält man folgendermaßen: Die vorletzte Zeile des
Schemas, in der der ggT als Rest auftritt, kann man zum ggT hin auflösen:
9 = 45 − 1 · 36
Nun hat man eine Linearkombination des ggTs. Leider hängt diese Linearkombination
von 1 und 36 ab, und nicht von 963 und 657. Diesen Mangel kann man beseitigen, in-
58
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
dem man das Verfahren, das man eben in der vorletzten Zeile angewandt hat, in allen
vorangegangenen wiederholt, d. h. man löst sie nach dem jeweiligen Rest auf:
306 = 963 − 1 · 657
45 = 657 − 2 · 306
36 = 306 − 6 · 45
9 = 45 − 1 · 36
Nun kann man folgendes Verfahren anwenden: Man ersetzt in der letzten Zeile die
letzte Zahl durch die rechte Seite der vorangegangenen Gleichung und wiederholt diese
Methode für alle weiteren Zeilen, bis man die erste erreicht:
9 = 45 − 1 · 36
=
=
=
=
=
=
45 − 1 · (306 − 6 · 45)
−1 · 306 + 7 · 45
−1 · 306 + 7 · (657 − 2 · 306)
−15 · 306 + 7 · 657
−15 · (963 − 1 · 657) + 7 · 657
−15 · 963 + 22 · 657
Damit hat man eine Linearkombination berechnet, die den größten gemeinsamen Teiler
von 963 und 657 in Abhängigkeit von 963 und 657 darstellt. Die Koeffizienten sind −15
und 22.
Korollar 16 Es seien a, b, c ∈ Z∗ , und es gelte ggT ( a, b) | c. Ist
ggT ( a, b) = x · a + y · b
eine Linearkombination von ggT ( a, b) mit ganzzahligen Koeffizienten x und y, so ist
c=
c·y
c·x
·a+
·b
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
eine Linearkombination von c mit ganzzahligen Koeffizienten.
Beispiel 34 Es gilt ggT (963, 657) = 9 | 27. Da nach Beispiel 33
9 = −15 · 963 + 22 · 657
eine Linearkombination von 9 mit ganzzahligen Koeffizienten ist, ist
27 =
27 · (−15)
27 · 22
· 963 +
· 657
ggT (963, 657)
ggT (963, 657)
4.3 Vielfachensummen und diophantische Gleichungen
59
27 · 22
27 · (−15)
· 963 +
· 657
9
9
= −45 · 963 + 66 · 657
=
eine Linearkombination von 27 mit ganzzahligen Koeffizienten. Etwas einfacher formuliert: die Linearkombination von 9 wird mit dem Quotienten 27/9 = 3 multipliziert:
9 = −15 · 963 + 22 · 657
/·3
27 = −45 · 963 + 66 · 657
4.3.2 Diophantische Gleichungen
Definition 48 Es seien a, b, c ∈ Z∗ . Dann ist
a·x+b·y = c
eine (lineare) diophantische Gleichung, sofern für x und y der Grundbereich Z angenommen wird (d. h. nur Paare ( x, y) ∈ Z2 als Lösungen der Gleichung akzeptiert werden). Ist c = 0, so nennt man die diophantische Gleichung a · x + b · y = 0 homogen,
andernfalls inhomogen.
Bemerkung 34 Diophantische Gleichungen sind nach dem griechischen Mathematiker
Diophantos von Alexandrien benannt. Es ist nicht genau bekannt, wann er lebte. Die
Angaben schwanken zwischen 100 v. Chr. und 350 n. Chr. Diophantos befasste sich mit
dem Lösen algebraischer Gleichungen in mehreren Unbekannten. Heute nennt man algebraische Gleichungen, für die ganzzahlige Lösungen gesucht werden, diophantische
Gleichungen.
Neben den hier definierten linearen diophantischen Gleichungen, gibt es auch nichtlineare. Da im Weiteren aber nur lineare behandelt werden, wird auf den Zusatz „linear“
verzichtet und einfach nur von diophantischen Gleichungen gesprochen. Gemeint sind
aber stets lineare.
Nichtlineare diophantische Gleichungen beschäftigen die Mathematik seit der Antike, z. B. in der Geometrie: Die Frage, ob es rechtwinklige Dreiecke gibt, deren Seitenlängen in einem rationalen Verhältnis zueinander stehen, ist gleichwertig mit der Frage, ob
die (nichtlineare, genauer: quadratische) diophantische Gleichung a2 + b2 = c2 lösbar
ist. Offensichtlich existiert eine Lösung, z. B. 32 + 42 = 52 .
Ob sich auch komplexere diophantische Gleichungen lösen lassen, war seit Jahrhunderten eines der intensivsten Forschungsprojekte der Mathematik, z. B. handelt Fermats
letzter Satz von diesem Problem. Um diesen Satz ranken sich viele Mythen, die mittlerweile sogar in bewährter Hollywood-Qualität verfilmt sind.
Im Jahr 1900 stellte der berühmte Göttinger Mathematiker David Hilbert eine Liste
mit 23 Problemen vor, die er für die wichtigsten offenen Fragen der Mathematik hielt
und mit denen er die Entwicklung der Mathemaik im 20. Jahrhundert entscheidend
60
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
geprägt hat. Das 10. Problem ist die Frage, welche diophantischen Gleichungen lösbar
sind bzw. ob diese Frage überhaupt entschieden werden kann. Nach jahrzehntelanger
Forschung konnte der Mathematiker Juri Matijassewitsch 1970 ein ernüchterndes Ergebnis präsentieren: Man kann in allgemeinen nicht entscheiden, ob eine diophantische
Gleichung lösbar ist, geschweige denn, ihre Lösung berechnen.
Glücklicherweise sieht die Situation bei linearen diophantischen Gleichungen anders
aus: Man kann entscheiden, ob sie lösbar sind, und falls sie das sind, ihre Lösungsmenge
angeben. Das wird im Folgenden bewiesen.
Satz 39 Es seien a, b, c ∈ Z∗ und a · x + b · y = c eine diophantische Gleichung. Dann ist die
Gleichung a · x + b · y = c genau dann über Z2 lösbar, wenn ggT ( a, b) | c gilt. Ist dies der Fall
so ist
)
(
a
b
· z, y0 −
·z z ∈ Z
L=
x0 +
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
die Lösungsmenge von a · x + b · y = c über Z2 , wobei ( x0 , y0 ) ein beliebige Lösung der Gleichung ist (die sich z. B. nach Korollar 16 berechnen lässt). Das Paar ( x0 , y0 ) wird auch spezielle
Lösung und L die allgemeine Lösung der Gleichung genannt.
B EWEIS Nach Satz 38 bzw. Korollar 16 ist die Gleichung a · x + b · y = c lösbar, wenn
ggT ( a, b) | c gilt. Nun ist noch die Umkehrung zu zeigen, d. h. wenn a · x + b · y = c
lösbar ist, dann ist ggT ( a, b) ein Teiler von c: Es sei ( x0 , y0 ) ∈ Z2 eine Lösung von
a · x + b · y = c, d. h. es gelte a · x0 + b · y0 = c. Da ggT ( a, b) ein gemeinsamer Teiler
von a und b ist, ist nach Korollar 15 ggT ( a, b) ein Teiler von a · x0 + b · y0 . Also gilt
ggT ( a, b) | c.
Für das Weitere sei vorausgesetzt, dass die diophantische Gleichung a · x + b · y = c
lösbar sei, d. h. dass ggT ( a, b) | c gelte. Nun wird gezeigt, dass L die Lösungsmenge der
Gleichung ist. Zunächst wird gezeigt, dass jedes Element von L Lösung der diophantischen Gleichung ist. Es sei ( x0 , y0 ) eine spezielle Lösung und
b
a
x0 +
· z, y0 −
·z
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
ein Element von L. Durch Einsetzen erhält man:
b
a
a · x0 +
· z + b · y0 −
·z
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
a·b
a·b
= a · x0 +
· z + b · y0 −
·z
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
a·b
a·b
·z−
·z
= a · x0 + b · y0 +
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
= a · x0 + b · y0
= c
4.3 Vielfachensummen und diophantische Gleichungen
61
Also ist jedes Element von L eine Lösung der diophantischen Gleichung. Nun ist noch
die Umkehrung zu zeigen: Jede Lösung der Gleichung ist ein Element von L. Es sei
also ( x, y) ∈ Z eine Lösung der Gleichung. Außerdem kann wegen Korollar 16 vorausgesetzt werden, dass es eine spezielle Lösung ( x0 , y0 )der Gleichung gibt, d. h. dass
a · x0 + b · y0 = c erfüllt ist. Damit erhält man:
c = a·x+b·y
⇔ a · x0 + b · y0 = a · x + b · y
⇔ 0 = a · ( x − x0 ) + b · ( y − y0 )
Also ist ( x, y) genau dann eine Lösung der Gleichung a · x0 + b · y0 = c, wenn ( x −
x0 , y − y0 ) eine Lösung der Gleichung
0 = a · x ∗ + b · y∗
ist (die für alle a, b ∈ Z lösbar ist, da ggT ( a, b) | 0 für alle a, b ∈ Z gilt), d. h. die weiteren
Betrachtungen kann man mit den beiden Substitutionen x ∗ = x − x0 und y∗ = y − y0
und der Gleichung 0 = a · x ∗ + b · y∗ , ohne die Lösungsmenge der Ursprungsgleichung
zu verändern.
Da Z∗ nullteilerfrei ist, gilt weiterhin:
0 = a · x ∗ + b · y∗
⇔ 0 = ggT ( a, b) ·
b
a
· x∗ +
· y∗
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
a
b
⇔ 0=
· x∗ +
· y∗
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
Zur Erläuterung dieses Schrittes: Man sucht alle Lösungen der Gleichung 0 = a · x ∗ +
b · y∗ ; und da man diese durch bloßes Hinschauen nicht unmittelbar erkennt, ist es sinnvoll, die Gleichung zu vereinfachen; man kann sie dadurch vereinfachen, dass man den
größten gemeinsamen Teiler von a und b als Faktor ausklammert; denn einerseits kann
man diesen Faktor bei der Lösungssuche vernachlässigen (denn da ggT ( a, b) 6= 0 ist,
muss der andere Faktor gleich Null sein, wenn die Gleichung insgesamt erfüllt sein
soll) und andererseits kann die Lösung der so vereinfachten Gleichung leicht ermittelt
werden. Denn es gilt:
b
a
· x∗ +
· y∗
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
a
b
⇔
· x∗ = −
· y∗
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
0=
62
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
b
ein Teiler von ggTa(a,b) · x ∗ und
ggT ( a,b)
b
und ggTa(a,b) nach Lemma 18 teiggT ( a,b)
Teiler von y∗ und ggTb(a,b) ein Teiler von
Aus der zweiten Zeile, kann man ablesen, dass
a
ggT ( a,b)
ein Teiler von
b
ggT ( a,b)
· y∗ ist. Da aber
lerfremd sind, ist nach Lemma 17 ggTa(a,b) ein
x ∗ (beide hier gebrauchte Lemmata sind zwar für natürliche Zahlen formuliert, gelten
aber analog für ganze Zahlen). Also gelten die Gleichungen
b
ggT ( a, b)
a
= t·
ggT ( a, b)
x∗ = z ·
y∗
für z, t ∈ Z. Außerdem gilt:
b
a
· x∗ = −
· y∗
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
a
b
b
a
⇔
·z·
=−
·t·
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
a·b
a·b
⇔
·z = −
·t
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
⇔ z = −t
Daher ist mit
b
ggT ( a, b)
a
= −z ·
ggT ( a, b)
x∗ = z ·
y∗
die Gleichung 0 = a · x ∗ + b · y∗ für alle z ∈ Z erfüllt. Da nur Äquivalenzumformungen
benutzt worden sind, ist damit die vollständige Lösungsmenge gegeben.
Oben wurden die Substitutionen x ∗ = x − x0 und y∗ = y − y0 vorgenommen. Durch
Rücksubstitution erhält man nun die Lösungen der Ausgangsgleichung c = a · x + b · y,
nämlich:
b
+ x0
ggT ( a, b)
a
y = y ∗ + y0 = − z ·
+ y0
ggT ( a, b)
x = x ∗ + x0 = z ·
Damit ist
(
L=
b
a
x0 +
· z, y0 −
·z
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
die Lösungsmenge der diophantischen Gleichung.
)
z∈Z
4.3 Vielfachensummen und diophantische Gleichungen
63
Korollar 17 Die homogene diophantische Gleichung a · x + b · y = 0 ist für alle a, b ∈ Z∗
lösbar, und ihre Lösungsmenge ist
(
)
a
b
· z, −
·z z ∈ Z .
L=
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
Beispiel 35 Gegeben sei die diophantische Gleichung
27 = 963 · x + 657 · y.
In Beispiel 34 wurde bereits gezeigt, dass (−45, 66) eine spezielle Lösung dieser Gleichung ist. Damit ergibt sich die allgemeine Lösung folgendermaßen:
)
(
a
b
· z, y0 −
·z z ∈ Z
L =
x0 +
ggT ( a, b)
ggT ( a, b)
(
)
657
963
=
−45 +
· z, 66 −
·z z ∈ Z
ggT (963, 657)
ggT (963, 657)
)
(
657
963
=
−45 +
· z, 66 −
·z z ∈ Z
9
9
= {(−45 + 73 · z, 66 − 107 · z) | z ∈ Z}
Wenn man es leid ist, Lösungen durch Einsetzen in Formeln zu ermitteln, kann man
diophantische Gleichungen auch von Hand lösen, indem man sich an den Beweis des
vorangegangenen Satzes orientiert: Zuerst ermittelt man eine spezielle Lösung, also in
unserem Fall (−45, 66). Dieser Lösung setzt man in die Gleichung ein:
27 = 963 · (−45) + 657 · 66.
Anschließende wendet man sich der homogenen Gleichung 0 = 963 · x + 657 · y zu.
Man ermittelt deren Lösungsmenge folgendermaßen
0 = 963 · x + 657 · y
⇔ 0 = 9 · (107 · x + 73 · y)
⇔ 0 = 107 · x + 73 · y
107
· x (in Q)
⇔ y=−
73
107
· (73 · z) mit z ∈ Z
⇔ y=−
73
⇔ y = −107 · z
64
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
Damit hat man ermittelt, welche ganzzahligen Werte von y Lösungen der Gleichung
sind, und zwar indem man x durch x := 73 · z mit z ∈ Z so substitutiert, dass für y
nur ganzzahlige Werte auftreten können. Dabei muss man darauf achten, dass man den
107
ggT von 693 und 657 ausklammert bzw. statt 963
657 den gekürzten Bruch 73 verwendet.
Andernfalls würde man nur jede neunte ganzzahlige Lösung erfassen. Man erhält damit
insgesamt, dass für jedes z ∈ Z die Werte x = 73 · z und y = −107 · z Lösungen der
homogenen Gleichung sind und dass es (wegen des Kürzens) keine weiteren Lösungen
gibt. Damit gilt also
0 = 963 · (73 · z) + 657 · (−107 · z)
für alle z ∈ Z. Nun kann man die Lösung der homogenen Gleichung verwenden, um
die allgemeine Lösung der Ausgangsgleichung zu bestimmen. Man geht dafür von der
speziellen Lösung aus, addiert in geschickter Weise Null und ersetzt anschließend Null
durch die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung:
27 = 963 · (−45) + 657 · 66
⇔ 27 = 963 · (−45) + 657 · 66 + 0
⇔ 27 = 963 · (−45) + 657 · 66 + 963 · (73 · z) + 657 · (−107 · z)
⇔ 27 = 963 · (−45 + 73 · z) + 657 · (66 − 107 · z)
Damit kann man die schon oben angegebene Lösungsmenge unmittelbar ablesen.
Beispiel 36 Die diophantische Gleichung 26 = 963 · x + 657 · y ist nicht lösbar, da
ggT (963, 657) = 9 kein Teiler von 26 ist.
4.4 Kongruenzen und Restklassen
4.4.1 Kongruenzen und ihre Restklassen
Definition 49 Es seien a, b ∈ Z und m ∈ N∗ . Die Zahlen a und b sind kongruent modulo m (in Zeichen: a ≡ b mod m), wenn a und b denselben Rest beim Teilen durch m
haben, d. h. wenn es ein r ∈ N mit 0 ≤ r < m und s, t ∈ Z gibt, sodass a = s · m + r und
b = t · m + r gelten.
Beispiel 37 Es ist 16 ≡ −19 mod 7, da 16 = 2 · 7 + 2 und −19 = −3 · 7 + 2 gilt, also
beide Zahlen den Rest 2 haben.
Lemma 25 Es seien a, b ∈ Z und m ∈ N∗ . Dann gilt a ≡ b mod m genau dann, wenn
m | a − b gilt.
B EWEIS Es gelte a ≡ b mod m, d. h. es gebe ein r ∈ N mit 0 ≤ r < m und s, t ∈ Z, sodass
die Gleichungen a = s · m + r und b = t · m + r gelten. Durch Subtraktion der beiden
4.4 Kongruenzen und Restklassen
65
Gleichungen erhält man a − b = s · m + r − (t · m + r ), also a − b = s · m + r − t · m − r =
s · m − t · m = (s − t) · m. Daher ist m ein Teiler von a − b.
Nun sei umgekehrt m ein Teiler von a − b, d. h. es gebe ein k ∈ Z mit k · m = a − b.
Also gilt a = k · m + b. Nach Satz 36 gibt es s, r ∈ Z mit b = s · m + r und 0 ≤ r < m.
Damit hat b den Rest r beim Teilen durch m. Außerdem gilt dann a = k · m + b =
k · m + s · m + r = (k + s) · m + r. Also hat auch a beim Teilen durch m den Rest r. Damit
sind a und b kongruent modulo m.
Korollar 18 Es seien a, b ∈ Z und m ∈ N∗ . Dann gilt a ≡ b mod m genau dann, wenn es ein
s ∈ Z gibt mit a = s · m + b.
Beispiel 38 Es gilt 16 − (−19) = 35 und 7 | 35. Also gilt 16 ≡ −19 mod 7 und ebenso
( a−b)
16 = s · 7 + (−19) mit s = 5. Man erhält s aus a = s · m + b durch s = m . Dabei ist
durch m | a − b sichergestellt, dass s ∈ Z ist.
Satz 40 Durch die Kongruenz modulo m mit m ∈ N∗ ist eine Äquivalenzrelation auf Z definiert. Es ist
[ a]m =
=
=
=
{b ∈ Z | a ≡ b mod m}
{b ∈ Z | m | a − b}
{ s · m + b | s ∈ Z}
{s · m + r | s ∈ Z ∧ ∃t ∈ Z : a = t · m + r }
die Äquivalenzklasse von a bezüglich der Kongruenz modulo m. Geht aus dem Kontext hervor,
welchen Wert m hat, oder ist dies irrelevant, so schreibt man statt [ a]m auch a.
B EWEIS Reflexivität) Es gilt m | a − a, da m | 0 für alle m ∈ N erfüllt ist. Also gilt a ≡ a
mod m.
Symmetrie) Es gelte a ≡ b mod m, d. h. es gilt m | a − b, also auch m | −( a − b), d. h.
m | b − a nach Satz 35. Also gilt b ≡ a mod m.
Transitivität) Es gelte a ≡ b mod m und b ≡ c mod m, d. h. es gilt m | a − b und
m | b − c, bzw. es gibt s, t ∈ Z mit s · m = a − b und t · m = b − c. Durch Addition dieser
Gleichungen erhält man s · m + t · m = a − b + b − c, also (s + t) · m = a − c, d. h. m ist
auch ein Teiler von a − c. Also ist a ≡ c mod m.
Bemerkung 35 Die Äquivalenzklasse [ a]m wird in Satz 40 auf vier unterschiedliche
Weisen beschrieben. Aus den vorangegangenen Sätzen wird deutlich, dass all diese
Charakterisierungen äquivalent sind, d. h. dass es sich in allen vier Fällen tatsächlich
um dieselbe Menge handelt.
Korollar 19 Da es nach nach Satz 36 für m ∈ N∗ bei der Division von m nur m verschiedene Reste gibt, nämlich 0, 1, 2, . . . , m − 1, gibt es genau m Äquivalenzklassen in Z modulo m,
nämlich [0]m , [1]m , [2]m , . . . , [m − 1]m bzw. in anderer Schreibweise 0, 1, 2, . . . , m − 1.
66
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
Korollar 20 Es sei a ∈ Z und m ∈ N∗ . Dann gilt m | a genau dann, wenn a = 0 in Zm gilt.
Beispiel 39 Mit den folgenden Mengen ist eine vollständige Liste der Äquivalenzklassen modulo 3 in Z gegeben:
[0]3 = {. . . , −6, −3, 0, 3, 6, . . .}
[1]3 = {. . . , −5, −2, 1, 4, 7, . . .}
[2]3 = {. . . , −4, −1, 2, 5, 8, . . .}
Zur Kennzeichnung der Äquivalenzklassen muss man nicht unbedingt einen Vertreter
aus der Menge {0, 1, 2} wählen, denn es gilt beispielsweise [1]3 = [−11]3 bzw. in anderer
Schreibweise 1 = −11. Üblicherweise verwendet man jedoch Vertreter aus der Menge
{0, 1, 2} bzw. allgemein aus der Menge {0, 1, . . . , m − 1} und nennt sie die kanonischen
Vertreter der jeweiligen Restklassen.
4.4.2 Restklassenstrukturen
Definition 50 Es sei m ∈ N mit m ≥ 2. Dann ist Zm die Menge der Äquivalenzklassen
in Z modulo m und m der Modul von Zm . Man nennt diese Äquivalenzklassen auch
Restklassen und 0, 1, . . . , m − 1 die kanonischen Vertreter dieser Restklassen.
Bemerkung 36 Nach Korollar 19 ist für m ∈ N∗ in der Menge {0, 1, 2, . . . , m − 1} jede
Restklasse durch genau einen Repräsentanten vertreten. Daher ist
Zm = {[0]m , [1]m , . . . , [m − 1]m }
= {0, 1, . . . , m − 1}
Beispiel 40 Es ist Z3 = {[0]3 , [1]3 , [2]3 } bzw. in anderen Schreibweisen Z3 = {0, 1, 2}
oder
Z3 = {{. . . , −6, −3, 0, 3, 6, . . .}, {. . . , −5, −2, 1, 4, 7, . . .}, {. . . , −4, −1, 2, 5, 8, . . .}}.
In der letzten Schreibweise wird am deutlichsten, dass Z3 eine Menge von Mengen ist.
Bemerkung 37 Neben Zm sind auch die Schreibweisen Z/mZ oder Z/(m) gebräuchlich. Man kann Restklassen analog auch auf N definieren. Entsprechend findet man
hier die Schreibweisen Nm , N/mN und N/(m), wobei bei N der Ausdruck N/(m)
am gebräuchlichsten ist, während bei Z meistens Zm geschrieben wird.
Definition 51 Es sei m ∈ N∗ und x, y ∈ Zm . Dann ist die Summe von x und y definiert
als
x ⊕ y := x + y
und das Produkt von x und y als
x y := x · y.
4.4 Kongruenzen und Restklassen
67
Beispiel 41 In Z6 gilt beispielsweise 3 ⊕ 5 = 3 + 5 = 8 = 2 und 3 5 = 3 · 5 = 15 = 3.
Bemerkung 38 Man muss für Zm nicht unbedingt in jedem Kontext die kanonischen
Repräsentanten 1, 2, . . . , m − 1 verwenden. Gerade für die Addition ist ein anderes Vertretersystem manchmal intuitiver. Beispielsweise ist für Z5 auch {−2, −1, 0, 1, 2} ein
vollständiges Repräsentantensystem, d. h. es gilt Z5 = {−2, −1, 0, 1, 2}. In der zuletzt
gebrauchten Schreibweise wird z. B. deutlicher, dass −2 das additive Inverse von 2 ist,
was man 3 weniger gut ansieht, aber durch 2 ⊕ 3 = 0 deutlich machen kann.
Bemerkung 39 In Z5 gilt 1 ⊕ 2 = 3. Da 2 ≡ 7 mod 5 ist, sind die Restklassen 2 und 7 in
Z5 identisch, d. h. 2 und 7 sind verschiedenen Vertreter derselben Restklasse. Wie schon
bei den ganzen Zahlen wirft dieser Umstand die Frage auf, ob die Addition (und auch
die Multiplikation) in Zm unabhängig von der Wahl der Repräsentanten, also im Sinne
von Definition 39 wohldefiniert ist, d. h. ob also beispielsweise in Z5 die Summe 1 ⊕ 2
dieselbe ist wie 1 ⊕ 7, nämlich in beiden Fällen 3.
Satz 41 Die Addition ⊕ auf Zm ist wohldefiniert, d. h. repräsentantenunabhängig.
B EWEIS Es sei m ∈ N∗ und x1 , x2 , y1 , y2 ∈ Z mit x1 ≡ x2 mod m und y1 ≡ y2 mod m,
d. h. x1 = x2 und y1 = y2 . Nun ist zu zeigen, dass x1 ⊕ y1 = x2 ⊕ y2 ist. Da x1 ≡ x2 mod
m ist, gibt es nach Korollar 18 ein s ∈ Z mit x1 = s · m + x2 ; und da y1 ≡ y2 mod m ist,
gibt es ein t ∈ Z mit y1 = t · m + y2 . Damit erhält man
x1 ⊕ y1 = x1 + y1
=
=
=
=
s · m + x2 + t · m + y2
x2 + y2 + ( s + t ) · m
x2 + y2
x2 ⊕ y2
Der entscheidende Schritt des Beweises liegt darin, dass x2 + y2 + (s + t) · m = x2 + y2 ,
also x2 + y2 + (s + t) · m ≡ x2 + y2 mod m ist. Dies ist aus folgenden Gründen der
Fall: Es ist x2 + y2 + (s + t) · m ≡ x2 + y2 mod m genau dann, wenn m ein Teiler von
( x2 + y2 + (s + t) · m) − ( x2 + y2 ) ist. Diese Bedingung ist aber erfüllt, denn es ist
( x2 + y2 + ( s + t ) · m ) − ( x2 + y2 )
= x2 + y2 + ( s + t ) · m − x2 − y2
= (s + t) · m
und m ist ein Teiler von (s + t) · m. Also ist die Addition ⊕ auf Zm wohldefiniert.
Satz 42 Die Multiplikation auf Zm ist wohldefiniert.
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 41.
68
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
Satz 43 Die algebraische Struktur (Zm , ⊕, ) ist ein Ring.
B EWEIS Der Nachweis lässt sich auf die Eigenschaften von (Z, +, ·) zurückführen und
bleibt dem Leser zur Übung überlassen.
4.4.3 Verknüpfungstafeln
Definition 52 Ist ( M, ◦) eine endliche algebraische Struktur und T eine Tabelle, die für
jedes a ∈ M und b ∈ M den Eintrag a ◦ b enthält, so heißt T Verknüpfungstafel von M
bezüglich der Verknüpfung ◦.
Bemerkung 40 Da der Bemerkung 36 zufolge die Menge Zm für jedes m endlich ist
(nämlich aus genau m Elementen besteht), kann man sich einen vollständigen Überblick
über die Verknüpfungen ⊕ und machen, indem man die Ergebnisse aller möglichen
Summen bzw. Produkte, die sich durch ⊕ bzw. in Zm bilden lassen, in Verknüpfungstafeln einträgt.
Beispiel 42 Für Z4 sieht eine Verknüpfungstafel bezüglich ⊕ folgendermaßen aus:
⊕
0
1
2
3
0
1 2
3
0
1
2
3
1
2
3
0
3
0
1
2
2
3
0
1
Tabelle 4.1: Verknüpfungstafel von (Z4 , ⊕)
Analog erhält man eine Verknüpfungstafel der Multiplikation in Z4 :
0
1
2
3
0
1 2
3
0
0
0
0
0
1
2
3
0
3
2
1
0
2
0
2
Tabelle 4.2: Verknüpfungstafel von (Z4 , )
Bemerkung 41 Aus einer Verknüpfungstafel kann man viele Eigenschaften der zugehörigen algebraischen Struktur ablesen. In der folgenden, nicht unbedingt vollständigen Liste werden für die wichtigsten Eigenschaften Erkennungsmerkmale vorgestellt
und in ihrer Adäquatheit begründet:
4.4 Kongruenzen und Restklassen
69
Abgeschlossenheit Eine algebraische Struktur ( M, ◦) ist abgeschlossen, wenn für alle
x, y ∈ M auch x ◦ y ∈ M ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn in der Tafel nur
Elemente aus M eingetragen sind. So kann man erkennen, dass sowohl (Z4 , ⊕)
als auch (Z4 , ) abgeschlossen sind.
Neutralelement Hat eine algebraische Struktur ( M, ◦) ein Neutralelement und ist e dieses Element, so gilt x ◦ e = e ◦ x = x für alle x ∈ M. Man kann Neutralelemente
daran erkennen, dass in ihrer Zeile (für den Fall e ◦ x = x) alle Elemente in derselben Reihenfolge eingetragen sind wie im Kopf der Tafel und dass in ihrer Spalte
(für den Fall x ◦ e = x) alle Elemente in derselben Reihenfolge eingetragen sind
wie in der linken Beschriftung. So erkennt man, dass 0 in (Z4 , ⊕) und 1 in (Z4 , )
das jeweilige Neutralelement ist.
Inverse Das Element x 0 ist das Inverse von x, wenn x ◦ x 0 = e gilt. Das ist genau dann
der Fall, wenn in der Zeile von x und der Spalte von x 0 das Neutralelement e als
Eintrag in der Tabelle zu finden ist. So findet man bei (Z4 , ⊕) in der Zeile zu 3
das Neutralelement 0 in der Spalte von 1. Also ist 1 das additiv Inverse von 3. In
(Z4 , ) findet man in der Zeile zu 2 nirgendwo das Neutralelement 1. Also hat 2
kein multiplikativ Inverses.
Regularität Eine algebraische Struktur ( M, ◦) ist regulär, wenn jede Gleichung der Form
a ◦ x = b eindeutig nach x lösbar ist (sofern sie überhaupt lösbar ist). Das bedeutet
für die Verknüfungstafel: Die Struktur ist genau dann regulär, wenn in jeder Zeile
jedes Element höchstens einmal als Eintrag auftritt. Denn wäre für ein Element a
die Gleichung a ◦ x = b nicht eindeutig lösbar, d. h. gäbe es beispielsweise zwei
Lösungen x1 und x2 , so stünde b zweimal als Eintrag in der Zeile zu a, nämlich
einmal in der Spalte zu x1 und einmal in der Spalte zu x2 . So ist (Z4 , ⊕) regulär,
denn in jeder Zeile (und auch in jeder Spalte) ist jedes Element nur einmal eingetragen. Dagegen ist (Z4 , ) nicht regulär, denn in der Zeile zu 2 tritt z. B. das
Element 2 zweimal auf, d. h. die Gleichung 2 x = 2 hat zwei Lösungen, nämlich
1 und 3.
Kommutativität Eine algebraische Struktur ( M, ◦) ist kommutativ, wenn x ◦ y = y ◦ x
für alle x, y ∈ M gilt. Dies erkennt man an der Tafel daran, dass sie symmetrisch
zur Diagonalen von oben links nach unten rechts ist. Die Strukturen (Z4 , ⊕) und
(Z4 , ) sind demnach beide kommutativ.
Nullteiler In den Verknüpfungstafeln von Ringen kann man Nullteiler ablesen (sofern
welche vorhanden sind). Dieser Begriff wird im nächsten Abschnitt eingeführt,
und dort wird auch gesagt, wie man Nullteiler in Verknüpfungstafeln erkennt.
Manche Eigenschaften einer algebraischen Struktur kann man an ihrer Verknüpfungstafel nicht erkennen. Beispielsweise lässt aus ihr nichts über die Assoziativität ablesen.
Bei der Assoziativität müsste man prüfen, ob x ◦ (y ◦ z) = ( x ◦ y) ◦ z für alle Elemente
70
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
x, y und z der Struktur gilt. Das ist anhand von Verknüpfungstafeln nicht möglich, da
in ihnen nur die Verknüpfungen von jeweils zwei Elementen eingetragen sind, bei der
Assoziativität jedoch drei betrachtet werden müssen.
4.4.4 Einheiten und Nullteiler
Definition 53 Es sei ( R, +, ·) ein Ring und r ∈ R. Hat r ein multiplikatives Inverses
(d. h. gibt es ein r −1 ∈ R mit r · r −1 = r −1 · r = 1), so heißt r Einheit.
Beispiel 43 Die Menge der Einheiten von Z ist {1, −1} und die von Q ist Q \ {0}.
Definition 54 Es sei ( R, +, ·) ein Ring und a ∈ R. Dann ist a ein Nullteiler von R, wenn
a 6= 0 ist und wenn es ein b ∈ R mit b 6= 0 gibt, sodass a · b = 0 ist.
Bemerkung 42 Die Zahlbereiche N, Z, Q, R und C sind allesamt nullteilerfrei, d. h. man
kann in ihnen aus der Gültigkeit der Gleichung a · b = 0 folgern, dass a oder b gleich
Null ist. Das ist bei Restklassenringen nicht unbedingt so, d. h. es gibt Restklassenringe,
die Nullteiler enthalten. Man sieht beispielsweise an der Verknüpfungstafel aus Beispiel 42, dass (Z4 , ) nicht nullteilerfrei ist: Es gibt Elemente ungleich 0, deren Produkt
0 ist. Es ist nämlich 2 2 = 0.
Satz 44 Es sei a ∈ Zm und a 6= 0. Dann gilt:
1. Wenn ggT ( a, m) > 1 ist, dann ist a ein Nullteiler von (Zm , ⊕, ).
2. Wenn ggT ( a, m) = 1 ist, dann ist a invertierbar bzw. eine Einheit von (Zm , ⊕, ).
Insbesondere gilt: Die Elemente von Zm \ {0} lassen sich in zwei disjunkte Klassen einteilen:
Entweder sind sie Einheiten oder Nullteiler.
B EWEIS Es sei ggT ( a, m) > 1. Zu zeigen ist, dass es dann ein b ∈ Zm gibt, sodass b 6= 0
und a b = 0 ist. Wegen der Repräsentantenunabhängigkeit kann annehmen, dass a
eine positive, d. h. natürliche Zahl ist. Dann gilt nach Satz 20:
a·m
ggT ( a, m)
m
= a·
ggT ( a, m)
kgV ( a, m) =
Nun setze man b =
m
.
ggT ( a,m)
Da ggT ( a, m) > 1 ist, gilt 1 < b < m. Also ist b 6= 0.
Andererseits ist a · b = kgV ( a, m). Da m | kgV ( a, m), also m | a · b gilt, ist a · b = 0.
Insgesamt gilt also a b = 0 mit a 6= 0 und b 6= 0. Also ist a ein Nullteiler.
Nun sei ggT ( a, m) = 1. Zu zeigen ist, dass a invertierbar ist, d. h. dass es ein u ∈ Zm
mit a u = 1 gibt. Es gilt:
1 = au
4.4 Kongruenzen und Restklassen
⇔
⇔
⇔
⇔
⇔
71
0 = au1
a · u − 1 ≡ 0 mod m
m | a·u−1
∃k ∈ Z : m · k = a · u − 1
∃k ∈ Z : 1 = m · k + a · u
Letzteres ist genau dann der Fall, wenn die diophantische Gleichung 1 = m · k + a · u
bezüglich k und u lösbar ist. Da ggT ( a, m) = 1 ist, ist diese Gleichung nach Satz 39
lösbar. Also ist a invertierbar.
Da neben ggT ( a, m) = 1 und ggT ( a, m) > 1 keine weiteren Fällen auftreten, hat
man die Elemente von Zm \ {0} vollständig in die beiden Kategorien Einheiten und
Nullteiler eingeteilt.
Bemerkung 43 Der Beweis ist konstruktiv, d. h. man kann aus ihm ablesen, wie man zu
a im Fall ggT ( a, m) = 1 das multiplikative Inverse von a bzw. im Fall ggT ( a, m) > 1 ein
b berechnen kann mit a · b = 0. Da im Beweis b über kgV ( a, m) ermittelt wird, ist b sogar
die kleinste natürliche Zahl mit der Eigenschaft a · b = 0.
Beispiel 44 Man betrachte Z210 . Da ggT (160, 210) = 10 > 1 ist, ist 160 ein Nullteiler
von Z210 . Man kann dann ein b ∈ Z210 mit a · b = 0 folgendermaßen ermitteln:
b=
210
210
=
= 21
ggT (160, 210)
10
Zur Probe kann man nachrechnen: Es gilt tatsächlich 160 21 = 3360 = 0, da 3360 =
16 · 210, also 210 ein Teiler von 3360 ist (das ist kein Wunder, da 3360 = kgV (160, 210)
ist).
An den Primfaktorzerlegungen 210 = 2 · 3 · 5 · 7 und 143 = 11 · 13 kann man ablesen,
dass ggT (143, 210) = 1 ist. Also ist 143 in Z210 invertierbar. Nun wird das multiplikativ Inverse von 143 berechnet. Nach dem Beweis des vorangegangenen Satzes ist u
genau dann das multiplikativ Inverse zu 143, wenn u eine Lösung der diophantischen
Gleichung 1 = 210 · k + 143 · u ist. Da hier eine einzige Lösung ausreicht, braucht man
nicht die allgemeine Lösung der Gleichung zu ermitteln. Es reicht, wenn man mit dem
Verfahren aus Beispiel 33 eine spezielle Lösung berechnet. Der euklidische Algorithmus
liefert:
210 = 1 · 143 + 67
143 = 1 · 67 + 9
67 = 7 · 9 + 4
9 = 2·4+1
4 = 4·1
72
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
Durch Rückwärtseinsetzen erhält man:
1 = 9−2·4
=
=
=
=
=
=
9 − 2 · (67 − 7 · 9)
−2 · 67 + 15 · 9
−2 · 67 + 15 · (143 − 2 · 67)
15 · 143 − 32 · 67
15 · 143 − 32 · (210 − 1 · 143)
−32 · 210 + 47 · 143
Also ist 47 das multiplikativ Inverse zu 143. Eine Probe macht dies deutlich: 143 47 =
6 721 = 1, da 6 721 = 32 · 210 + 1 ist.
Korollar 21 Der Restklassenring ( Zm , ⊕, ) ist genau dann nullteilerfrei, wenn m eine Primzahl ist.
4.4.5 Homomorphismen
Definition 55 Es seien ( M, ◦) und ( N, ∗) algebraische Strukturen. Eine Abbildung h :
M → N heißt Homomorphismus, wenn für alle x, y ∈ M
h( x ◦ y) = h( x ) ∗ h(y)
gilt.
Beispiel 45 Man betrachte die algebraischen Strukturen (Z, +) und (Q, ·). Es sei h die
Abbildung h : Z → Q : z 7→ 3z . An einem Beispiel sieht man, dass h(1 + 2) = h(1) · h(2)
gilt. Es ist nämlich
h(1 + 2) = h(3) = 33 = 27
h(1) · h(2) = 31 · 32 = 3 · 9 = 27.
Dass allgemein h( x + y) = h( x ) · h(y) gilt, kann man durch die Rechenregel 3x+y =
3x · 3y beweisen.
Bemerkung 44 Homomorphismen sind die einfachste Form strukturerhaltender Abbildungen. Dieser Ausdruck macht deutlich, was an Homomorphismen Besonderes ist: Es
sind Abbildungen, die mit den Verknüpfungsstrukturen der jeweiligen algebraischen
Strukturen verträglich sind. Das heißt anschaulich: Es spielt keine Rolle, ob man eine Verknüpfung zuerst in der einen Struktur ausführt und dann das Ergebnis auf die
andere Struktur abbildet ober ob man erst abbildet und dann die Bilder in der anderen Struktur miteinander verknüpft. In diesem Sinne wird die Verknüpfungsstruktur
4.5 Teilbarkeitsregeln
73
der ersten Struktur durch den Homomorphismus in die zweite Struktur „strukturerhaltend“ hineinübertragen.
Satz 45 Die Abbildung : Z → Zm : a 7→ a ist für alle m ∈ N bezüglich + und · ein
Homomorphismus, d. h. für alle a, b ∈ Z gilt:
a+b = a⊕b
a·b = ab
B EWEIS In Definition 51 sind ⊕ und gerade so definiert, dass ein Homomorphismus
ist.
Bemerkung 45 Dieser Satz ist die Grundlage für Quersummenregeln und für gewisse
Probeverfahren wie z. B. für die Neunerprobe. Beides wird in den nächsten Abschnitten
näher erläutert.
Lemma 26 Es sei a ∈ Z und m ∈ N∗ . Dann gilt ak = ak in Zm für alle k ∈ N.
B EWEIS Übung.
4.5 Teilbarkeitsregeln
4.5.1 Endstellenregeln
Bemerkung 46 Wenn man wissen will, ob 46 720 durch 4 teilbar ist, dann braucht man
nur die letzten beiden Stellen zu betrachten und kann daran erkennen, dass 20 durch
4 teilbar ist, und dann daraus schließen, dass dies auch für die gesamte Zahl gilt. Regeln dieser Art heißen Endstellenregeln. Hier soll geklärt werden, für welche Zahlen es
Endstellenregeln gibt und wie viele Stellen man jeweils berücksichtigen muss. Zugleich
wird die Frage für beliebige Stellenwertsysteme untersucht.
Bevor wir uns dieser Aufgabe im Allgemeinen zuwenden, werden wir schauen, wie
man sich im Fall von 46 720 und 4 die Gültigkeit der Endstellenregel klarmachen kann.
Dieser Spezialfall soll das Leitbild für den Beweis sein. Es gilt
46 720 = 4 · 104 + 6 · 103 + 7 · 102 + 2 · 101 + 0 · 100
= 4 · 24 · 54 + 6 · 23 · 53 + 7 · 22 · 52 + 2 · 21 · 51 + 0 · 20 · 50
= 22 · (4 · 22 · 54 + 6 · 21 · 53 + 7 · 20 · 52 ) + 2 · 21 · 51 + 0 · 20 · 50
= 4 · (4 · 22 · 54 + 6 · 21 · 53 + 7 · 20 · 52 ) + 2| · 21 · 51 {z
+ 0 · 20 · 5}0
|
{z
}
a
b
Man sieht: Ab 102 lässt sich aus jeder Potenz von 10 der Faktor 4 ausklammern. Daher
ist die Zahl a, ganz gleich, welche Koeffizienten vor den Zehnerpotenzen stehen, durch
74
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
4 teilbar. Nach Korollar 4 gilt nun: Die Zahl 46 720 ist genau dann durch 4 teilbar, wenn
sowohl a als auch b durch 4 teilbar sind. Da a ohnehin durch 4 teilbar ist, braucht man
nur noch b zu berücksichtigen, also die Zahl, die aus den letzten beiden Ziffern gebildet
wird. Diese Überlegung wird nun verallgemeinert.
Satz 46 Es sei a ∈ N und ( an an−1 . . . a2 a1 a0 )q die Darstellung von a zur Basis q mit q ∈ N
und q ≥ 2. Es sei m ∈ N∗ . Wenn es eine Potenz qk mit m | qk gibt und qk die kleinste Potenz
mit dieser Eigenschaft ist, dann ist a genau dann durch m teilbar, wenn ( ak−1 ak−2 . . . a2 a1 a0 )q ,
also die Zahl, die aus den letzten k − 1 Ziffern von a gebildet wird, durch m teilbar ist.
B EWEIS Es gebe ein k ∈ N∗ mit m | qk und k sei die kleinste Zahl mit dieser Eigenschaft.
Dann gilt:
m|a
n
⇔ m|
∑ ai · qi
i =0
k −1
⇔ m|
∑
i =0
k −1
⇔ m|
n
ai · qi + ∑ a j · q j
∑ ai · q
j=k
i
i =0
k
+q ·
n
∑ aj · q
!
j−k
j=k
k −1
⇔ m|
∑ ai · qi
i =0
Denn da m | qk gilt, gilt auch m | qk · (∑nj=k a j · q j−k ). Nach Korollar 4 ist a genau dann
durch m teilbar, wenn auch der vordere Summand, also ∑ik=−01 ai · qi , durch m teilbar ist;
und das ist gerade die Zahl ( ak−1 ak−2 . . . a2 a1 a0 )q .
Korollar 22 Es gibt für m ∈ N mit m ≥ 2 genau dann eine Endstellenregel im Stellenwertsystem zur Basis q, wenn die Primfaktorzerlegung von m nur solche Primzahlen enthält, die
auch in der Primfaktorzerlegung von q vorkommen (andernfalls wäre nach Satz 18 keine Potenz
von q durch m teilbar).
Beispiel 46 Im Dezimalsystem gibt es nach dem vorangegangenen Korollar nur Endstellenregeln für die Zahlen der Menge {2a · 5b | a, b ∈ N}. Man kann mit dieser Überlegung und Satz 18 auch genau angeben, wie viele Stellen zu berücksichtigen sind:
Es ist nämlich 10k genau dann die kleinste Potenz, die durch 2a · 5b teilbar ist, wenn
k = max{ a, b} ist. Damit erhält man: Für 4 = 22 sind die letzten 2 Stellen und für
80 = 23 · 52 sind die letzten 3 Stellen zu berücksichtigen.
Wenn man diese Einsicht über das Dezimalsystem hinaus verallgemeinern möchte
(wie das gleich geschehen wird), dann muss man berücksichtigen, dass in der Primfaktorzerlegung einer beliebigen Basis q nicht unbedingt alle Primzahlen in der ersten
4.5 Teilbarkeitsregeln
75
Potenz auftreten müssen. Im Sesagesimalsystem ist beispielsweise 60 = 22 · 3 · 5 die
Basis. Hier tritt 2 in zweiter Potenz auf.
Korollar 23 Es gebe zu m eine Endstellenregel im q-System, d. h. in der Primfaktorzerlegung
von m treten nur Primzahlen auf, die auch in der Primfaktorzerlegung von q vorkommen. Es sei
{ p1 , p2 , . . . , pn } die Menge der Primzahlen, die in der (normierten) Primfaktorzerlegung von
m vorkommen. Es sei
k = max
ord pi (m) − ord pi (q) | 1 ≤ i ≤ n ∪ {0} + 1.
Dann sind in der Endstellenregel zu m im q-System die letzten k Stellen zu berücksichtigen.
Bemerkung 47 Man muss zum Maximum 1 addieren, weil die Stellen ab 1 gezählt werden, die Potenzen jedoch ab dem Exponenten 0, also die nullte Potenz der Basis zum
Koeffizienten der ersten Stelle gehört. Die Eins gleicht die Differenz in der Zählweise
aus.
Der Menge der Differenzen der Exponenten wird Null hinzugefügt, um auch mit etwas „esoterischen“ Fällen zurechtzukommen, in denen die Differenzen der Exponenten
durchweg negativ sind. Ein Beispiel dafür wäre die Endstellenregel zu 5 im 10 000-System. Klarerweise braucht hier nur die letzte Stelle berücksichtigt zu werden. Ohne Null
würde sich jedoch folgendes ergeben: Die Primfaktorzerlegung von 10 000 ist 24 · 54 .
Damit gilt mit p1 = 2 und p2 = 5
=
=
=
=
ord pi (5) − ord pi (10 000) | 1 ≤ i ≤ 2
+1
max ({ord2 (5) − ord2 (10 000), ord5 (5) − ord5 (10 000)}) + 1
max ({−4, −3}) + 1
−3 + 1
−2,
max
was offenbar nicht die richtige Lösung ist (es ist noch nicht einmal eine Lösung, der man
irgendeinen Sinn abgewinnen kann: In Stellenwertsystemen der natürlichen Zahlen gibt
es keine −2. Stelle).
4.5.2 Quersummenregeln
Bemerkung 48 Um zu prüfen, ob eine Zahl durch 3 teilbar ist, braucht man nur zu
testen, ob 3 die Quersumme dieser Zahl teilt. Man muss sich also nicht mit der großen
Zahl 104 211 selbst beschäftigen, sondern kann aus ihrer Quersumme 1 + 0 + 4 + 2 + 1 +
1 = 9 schließen, dass sie durch 3 teilbar ist. Hier soll bewiesen werden, dass diese Regel
oder Regeln dieser Art – nämlich Quersummenregeln – mathematisch korrekt sind und
nicht nur im Dezimalsystem zur Verfügung stehen.
Im Fall von 104 211 kann man sich die Korrektheit der Quersummenregel folgendermaßen klarmachen: Man betrachtet 104 211 modulo 3. Dann braucht man nur noch zu
76
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
überlegen: Die Abbildung ist ein Homomorphismus, und es ist 10 = 1 in Z3 . Damit
ergibt sich:
104 211 = 1 · 105 + 4 · 103 + 2 · 102 + 1 · 101 + 1 · 100
=
=
=
=
5
3
2
1
0
1 10 ⊕ 4 10 ⊕ 2 10 ⊕ 1 10 ⊕ 1 10
5
3
2
1
11 ⊕41 ⊕21 ⊕11 ⊕11
0
1⊕4⊕2⊕1⊕1
1+4+2+1+1
Also ist 104 211 = 1 + 4 + 2 + 1 + 1 in Z3 , und das heißt: 104 211 ist genau dann durch 3
teilbar, wenn 104 211 = 1 + 4 + 2 + 1 + 1 = 9 = 0 in Z3 gilt, und das ist genau dann der
Fall, wenn 9 durch 3 teilbar ist – was sich nur schwer bestreiten lässt. Damit wird die
Frage, ob 104 211 durch 3 teilbar ist, darauf reduziert, ob die Quersumme von 104 211
durch 3 teilbar ist. Diese Überlegung wird nun verallgemeinert.
Definition 56 Es sei a ∈ N und ( an an−1 . . . a2 a1 a0 )q die Darstellung von a zur Basis q
mit q ∈ N und q ≥ 2. Dann ist
n
Qq ( a) =
∑ ai
i =0
die Quersumme von a zur Basis q. Für die Basis 10 schreibt man statt Q10 ( a) auch abkürzend Q( a).
Satz 47 Es seien a ∈ N, m ∈ N∗ und q ∈ N mit q ≥ 2. Wenn m ein Teiler von q − 1 ist,
dann gilt m | a ⇔ m | Qq ( a).
B EWEIS Es gelte m | q − 1. Dann ist q ≡ 1 mod m oder anders ausgedrückt q = 1 in Zm .
Es sei ( an an−1 . . . a2 a1 a0 )q die Darstellung von a zur Basis q. Dann gilt:
m|a
⇔ a=0
n
⇔
∑ ai · qi = 0
i =0
n
⇔
∑ ai · qi = 0
i =0
n
⇔
∑ ai qi = 0
i =0
n
⇔
∑ ai qi = 0
i =0
n
⇔
∑ ai 1
i =0
i
=0
4.5 Teilbarkeitsregeln
77
n
⇔
∑ ai 1 = 0
i =0
n
⇔
∑ ai = 0
i =0
n
⇔
∑ ai = 0
i =0
⇔ Qq ( a) = 0
⇔ m | Qq ( a)
Beispiel 47 Im Dezimalsystem gilt also m | a ⇔ m | Q( a), wenn m | 10 − 1, also
m ∈ T9 = {1, 3, 9} gilt. Damit erhält man die bekannten Quersummenregeln für 3 und 9.
Im 5-System gibt es aus demselben Grund Quersummenregeln für die Teilbarkeit durch
1, 2 und 4. Für a = (120407322)8 erhält man Q8 ( a) = 1 + 2 + 4 + 7 + 3 + 2 + 2 = 21.
Also ist a durch 7 teilbar.
4.5.3 Regeln für die alternierende Quersumme
Definition 57 Es sei a ∈ N und ( an an−1 . . . a2 a1 a0 )q die Darstellung von a zur Basis q
mit q ∈ N und q ≥ 2. Dann ist
n
Aq ( a) =
∑ (−1)i · ai
i =0
die alternierende Quersumme von a zur Basis q. Für die Basis 10 schreibt man statt
A10 ( a) auch abkürzend A( a).
Beispiel 48 Es ist A(8 302 152) = 8 − 3 − 2 + 1 − 5 + 2 = 1.
Satz 48 Es seien a ∈ N, m ∈ N∗ und q ∈ N mit q ≥ 2. Wenn m ein Teiler von q + 1 ist,
dann gilt m | a ⇔ m | Aq ( a).
B EWEIS Es gelte m | q + 1, d. h. es ist q ≡ −1 mod m bzw. q = −1 in Zm . Es sei
( an an−1 . . . a2 a1 a0 )q die Darstellung von a zur Basis q. Dann gilt:
m|a
⇔ a=0
n
⇔
∑ ai · qi = 0
i =0
n
⇔
∑ ai · qi = 0
i =0
78
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
n
⇔
∑ ai qi = 0
i =0
n
⇔
∑ ai qi = 0
i =0
n
⇔
∑ a i −1
i
=0
i =0
n
⇔
∑ (−1)i · ai = 0
i =0
⇔ Aq ( a) = 0
⇔ m | Aq ( a)
Beispiel 49 Im Dezimalsystem gilt also m | a ⇔ m | A( a), wenn m | 10 + 1, also
m ∈ T11 = {1, 11} gilt. Damit erhält man für 11 eine Teilbarkeitsregel bezüglich der
alternierenden Quersumme.
4.6 Rechenproben durch Restklassenrechnung
Beispiel 50 Seit dem Mittelalter benutzt man bestimmte Verfahren, die auf der Restklassenrechnung beruhen, um die Korrektheit von Rechnungen zu überprüfen. Behauptet beispielsweise jemand, es gelte 318 · 531 = 178 858, so muss er sich verrechnet haben,
denn 318 und 531 haben beide eine Quersumme, die durch 3 teilbar ist, d. h. in Z3 gilt
318 = 0 und 531 = 0 und damit 318 531 = 0 0 = 0. Wegen der Homomorphieeigenschaft der Abbildung müsste auch 318 · 531 = 0, also 178 858 = 0 sein. Das ist aber
nicht der Fall, denn 178 858 hat die Quersumme 37. Daher gilt 178 858 = 37 = 1 in Z3 .
Also kann 318 · 531 nicht 178 858 sein.
Bemerkung 49 Mit dem vorangegangenen Beispiel wurde die Dreierprobe vorgestellt.
Sie ist ebenso wie die Neunerprobe seit dem 12. Jahrhundert in Europa bekannt. In
ihnen wird die Homomorphieeigenschaft folgendermaßen ausgenutzt: Man berechnet
die Reste der Faktoren getrennt und multipliziert sie anschließend. Das Ergebnis liegt
in derselben Restklasse wie das Produkt der beiden Zahlen – jedenfalls wenn man das
Produkt korrekt berechnet hat. Bei der Dreierprobe und ebenso bei der Neunerprobe
wird das Verfahren zusätzlich dadurch erleichtert, dass man Quersummenregeln benutzen kann, um die jeweiligen Restklassen zu ermitteln. Damit bieten sich Z3 und Z9
für Tests im Dezimalsystem besonders gut an. Das Verfahren funktioniert jedoch mit
beliebigen Restklassenstrukturen Zm , und nicht nur, wie hier veranschaulicht, für die
Multiplikation, sondern auch für die Addition. Dies zeigt der folgende Satz.
Satz 49 Es seien a, b, n ∈ Z.
1. Gilt a + b = n, so auch a ⊕ b = n in Zm für alle m ∈ N∗ .
4.6 Rechenproben durch Restklassenrechnung
79
2. Gilt a · b = n, so auch a b = n in Zm für alle m ∈ N∗ .
Die logisch äquivalenten Kontrapositionen der beiden Aussagen lauten:
1. Gibt es ein m ∈ N∗ mit a ⊕ b 6= n in Zm , so gilt auch a + b 6= n.
2. Gibt es ein m ∈ N∗ mit a b 6= n in Zm , so gilt auch a · b 6= n.
B EWEIS Der Satz ist eine triviale Folgerung aus Satz 45.
Bemerkung 50 Mit den vorangegangenen Satz kann man (praktisch) nur nachweisen,
dass eine Rechnung Fehler enthält, aber nicht zeigen, dass sie korrekt ist. Um Korrektheit nachzuweisen, müsste man alle Moduln m überprüfen, was vom Zeitaufwand sicherlich nicht akzeptabel ist und wohl umständlicher und fehleranfälliger wäre, als die
strittige Rechnung gewissenhaft ein zweites Mal durchzuführen. Aus der Kontraposition des Satzes erkennt man aber, dass man Fehler (unter günstigen Umständen) leicht
finden kann. Trifft man auf ein m, sodass a ⊕ b 6= n bzw. a b 6= n in Zm ist, so kann man
daraus schließen, dass die entsprechende Rechnung in Z falsch ist. Allerdings muss
man dafür ein geeignetes m finden. Das folgende Beispiel zeigt, dass nicht jedes m in
jedem Fall geeignet ist. Für die Wahl der Moduln lassen sich im Allgemeinen keine
Empfehlungen geben.
Beispiel 51 Man möchte prüfen, ob die Rechnung 320 024 · 6 402 = 2 048 793 658 korrekt
ist. Zuerst wählt man z. B. den Restklassenring Z10 zum Testen. Diese Wahl könnte von
daher motiviert sein, dass man 2 048 793 658 = 8 wegen der Endstellenregel zu 10 leicht
ablesen kann. Für das Produkt ergibt sich (ebenfalls wegen der Endstellenregel):
320 024 · 6 402
= 320 024 6 402
= 42
= 8.
Beide Reste stimmen also überein. Die Rechnung könnte richtig sein. Das ist sie aber
nicht, und das erkennt man, wenn man statt Z10 den Restklassenring Z8 benutzt. Hier
gilt (wegen der Endstellenregel für die letzten beiden Stellen) einerseits
2 048 793 658 = 58 = 2,
andererseits erhält man für das Produkt
320 024 · 6 402
= 320 024 6 402
= 24 2
= 02
80
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
= 0.
Die Reste 2 und 0 stimmen nicht überein. Also ist die Rechnung falsch.
Bemerkung 51 Verwendet man Tests mit Moduln, zu denen es Endstellenregeln gibt,
hat man einen Vorteil: Man kann die Restklassen der beteiligten Zahlen relativ einfach
ablesen. Diesen Vorteil erkauft man sich mit einem großen Nachteil: Gerade wegen der
Endstellenregeln hängen die jeweiligen Reste nur von einigen der letzten Ziffern ab.
Daher entdeckt man mit diesen Verfahren nur Fehler in den letzten Stellen.
Aus diesem Grund haben wohl die Dreier- und die Neunerprobe historisch größere
Bedeutung gehabt: Mit ihnen werden alle Stellen berücksichtig, und wegen der Quersummenregeln ist es dennoch nicht allzu schwierig, die Reste der beteiligten Zahlen zu
bestimmen. Wie man leicht nachvollziehen kann, ist die Neunerprobe die zuverlässigere von beiden, denn jeden Fehler, den man mit der Dreierprobe entdeckt, entdeckt man
auch mit der Neunerprobe, aber nicht umgekehrt. Daher ist die Neunerprobe leistungsfähiger, allerdings (wie jede andere Restklassenprobe auch) nicht dazu in der Lage, alle
Fehler zu entdecken.
4.7 Rechenregeln für die Modulorelation
Lemma 27 Es seien a, b, c, d ∈ Z und m ∈ N∗ . Es gelte a ≡ b mod m und c ≡ d mod m.
Dann gilt auch a + c ≡ b + d mod m, a − c ≡ b − d mod m und a · c ≡ b · d mod m.
B EWEIS Da a ≡ b mod m und c ≡ d mod m gilt, d. h. m | a − b und m | c − d, gibt es
s, t ∈ Z mit s · m = a − b und t · m = c − d. Durch Addition dieser beiden Gleichungen
erhält man a − b + c − d = s · m + t · m, also a + c − (b + d) = (s + t) · m. Daher ist m ein
Teiler von a + c − (b + d), und daher gilt a + c ≡ b + d mod m. Analog zeigt man, dass
auch a − c ≡ b − d mod m gilt.
Multipliziert man s · m = a − b mit d und t · m = c − d mit a, so erhält man die
Gleichungen d · s · m = a · d − b · d und a · t · m = a · c − a · d. Durch Addition dieser
beiden Gleichungen ergibt sich d · s · m + a · t · m = a · d − b · d + a · c − a · d und damit
(d · s + a · t) · m = a · c − b · d. Also ist m ein Teiler von a · c − b · d, und damit gilt
a · c ≡ b · d mod m.
Korollar 24 Es seien a, b, c ∈ Z und m ∈ N∗ . Es gelte a ≡ b mod m. Dann gilt auch
a + c ≡ b + c mod m, a − c ≡ b − c mod m und a · c ≡ b · c mod m.
Lemma 28 Es seien a, b ∈ Z und m ∈ N∗ , und es gelte a ≡ b mod m. Dann gilt ak ≡ bk mod
m für alle k ∈ N.
B EWEIS Induktionsanfang) Für k = 1 gilt a1 ≡ b1 mod m nach Voraussetzung (für k = 0
ist die Äquivalenz ebenfalls erfüllt, da 1 ≡ 1 mod m ist).
4.7 Rechenregeln für die Modulorelation
81
Induktionsschritt) Für k sei als Induktionsvoraussetzung bereits gezeigt, dass ak ≡ bk
mod m gilt. Da a ≡ b mod m nach Voraussetzung erfüllt ist, gilt a · ak ≡ b · bk mod m
nach Lemma 27, also ak+1 ≡ bk+1 mod m.
Lemma 29 (Erste Kürzungsregel für Kongruenzen) Es seien a, b, c ∈ Z und m ∈ N∗ .
Wenn ggT (c, m) = 1 und a · c ≡ b · c mod m ist, so gilt a ≡ b mod m.
B EWEIS Da a · c ≡ b · c mod m gilt, ist m ein Teiler von a · c − b · c = ( a − b) · c. Da
ggT (c, m) = 1 gilt, ist m nach Lemma 17 ein Teiler von a − b. Also ist a ≡ b mod m.
Lemma 30 (Zweite Kürzungsregel für Kongruenzen) Es seien a, b, c ∈ Z und m ∈ N∗ .
Wenn a · c ≡ b · c mod m ist, so gilt
a ≡ b mod
m
ggT (c, m)
B EWEIS Da a · c ≡ b · c mod m gilt, ist m ein Teiler von a · c − b · c = ( a − b) · c. Dann
ist auch ggTm(c,m) ein Teiler von ( a − b) · ggT (cc,m) . Da aber ggT
gilt a ≡ b mod ggTm(c,m) nach Lemma 29.
m
c
,
ggT (c,m) ggT (c,m)
= 1 ist,
82
Kapitel 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen
Kapitel 5
Die rationalen Zahlen
5.1 Konstruktion der rationalen Zahlen
Definition 58 Es sei Z∗ = Z \ {0}.
Definition 59 Es sei
∼= {(( a, b), (c, d)) ∈ Z × Z∗ | a · d = b · c}
bzw.
( a, b) ∼ (c, d) :⇔ a · d = b · c
für alle a, c ∈ Z und b, d ∈ Z∗ .
Satz 50 Die Relation ∼ ist eine Äquivalenzrelation auf Z × Z∗ .
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 27.
Beispiel 52 Es gilt beispielsweise (−3, 4) ∼ (9, −12) oder auch (3, 4) ∼ (−3, −4).
Definition 60 Man nennt man die Menge
Q := {[( a, b)] | a ∈ Z ∧ b ∈ Z∗ }
der Äquivalenzklassen von ∼ in Z × Z∗ die Menge der rationalen Zahlen.
5.1.1 Addition
Definition 61 Es seien [( a, b)] und [(c, d)] Elemente aus Q. Dann ist
[( a, b)] ⊕ [(c, d)] := [( a · d + b · c, b · d)]
die Summe von [( a, b)] und [(c, d)] und ⊕ die Addition in Q.
Satz 51 Die Addition ⊕ auf Q ist wohldefiniert.
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 28.
84
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
Satz 52 Das Paar (Q, ⊕) ist eine kommutative Gruppe. Dabei ist [(0, 1)] das Neutralelement
von (Q, ⊕) und zu [( a, b)] ∈ Q ist [(− a, b)] das inverse Element.
B EWEIS Analog zu den Beweisen zu Satz 29 und Lemma 22.
5.1.2 Multiplikation
Definition 62 Es seien [( a, b)] und [(c, d)] Elemente aus Q. Dann ist
[( a, b)] [(c, d)] := [( a · c, b · d)]
das Produkt von [( a, b)] und [(c, d)] und die Multiplikation in Q.
Satz 53 Die Multiplikation auf Q ist wohldefiniert.
B EWEIS Analog zum Beweis von Satz 28.
Definition 63 Es sei Q∗ = Q \ {[(0, 1)]}.
Satz 54 Das Paar (Q∗ , ) ist eine kommutative Gruppe. Dabei ist [(1, 1)] das Neutralelement
von (Q, ) und zu [( a, b)] ∈ Q∗ ist [(b, a)] das inverse Element.
B EWEIS Abgeschlossenheit, Assoziativität und Kommutativität können analog zum Beweis von Satz 28 gezeigt werden. Dieser Nachweis bleibt dem Leser überlassen. Hier
werden nur die Behauptungen über das Neutralelement und über die Inversen bewiesen.
Neutralität von [(1, 1)]: Es sei [( a, b)] ∈ Q. Dann gilt [( a, b)] [(1, 1)] = [( a · 1, b ·
1)] = [( a, b)]. Also ist [(1, 1)] das multiplikative Neutralelement von (Q, ) (wegen der
Kommutativität braucht man die Neutralität nur von einer Seite her zu prüfen) .
Inverse: Es sei [( a, b)] ∈ Q∗ . Dann gilt [( a, b)] [(b, a)] = [( a · b, b · a)] = [( a · b, a · b)] =
[(1, 1)]. Also ist [(b, a)] das multiplikativ Inverse zu [( a, b)].
Lemma 31 Das Element [(0, 1)] ∈ Q hat kein multiplikativ Inverses.
B EWEIS Übung.
Definition 64 Es sei [( a, b)] ∈ Q. Dann sei
a
:= [( a, b)].
b
Diese Darstellung rationaler Zahlen nennt man gemeine Brüche.
Bemerkung 52 Mit Definition 64 wird für die Äquivalenzklassen der ∼-Relation die
Bruchschreibweise eingeführt, die auch in der Schule für rationale Zahlen benutzt wird.
Im Weiteren wird auch hier diese Schreibweise verwandt. Ebenso werden von nun an
statt ⊕ und die üblichen Additions- und Multiplikationszeichen + und · benutzt.
5.2 Körper
85
5.2 Körper
Definition 65 Es sei K eine nichtleere Menge und + : (K × K ) → K und · : (K × K ) → K
Verknüpfungen von K. Das Tripel (K, +, ·) heißt Körper, wenn gilt:
1. Das Paar (K, +) ist eine kommutative Gruppe, d. h. es gilt:
a) Für alle x, y, z ∈ R gilt x + (y + z) = ( x + y) + z (Assoziativität).
b) Es gibt ein Element 0 ∈ K, sodass 0 + x = x für alle x ∈ K gilt (Existenz eines
additiven Neutralelementes).
c) Für jedes x ∈ K gibt es ein − x ∈ R mit x + (− x ) = 0 (Existenz additiver
Inverser).
d) Für alle x, y ∈ K gilt x + y = y + x (Kommutativität).
2. Das Paar (K ∗ , ·) ist eine kommutative Gruppe (dabei ist K ∗ = K \ {0}), d. h. es gilt:
a) Für alle x, y, z ∈ K gilt x · (y · z) = ( x · y) · z (Assoziativität).
b) Es gibt ein Element 1 ∈ K mit 1 6= 0, sodass 1 · x = x · 1 = x für alle x ∈ K gilt
(Existenz eines multiplikativen Neutralelementes).
c) Für jedes x ∈ K ∗ gibt es ein x −1 ∈ K mit x · x −1 = 1 (Existenz multiplikativer
Inverser).
d) Für alle x, y ∈ K gilt x · y = y · x (Kommutativität).
3. Für alle x, y, z ∈ K gilt x · (y + z) = x · y + x · z (Distributivität).
Satz 55 Das Tripel (Q, +, ·) ist ein Körper.
B EWEIS Die Behauptung folgt bis auf die Distributivität unmittelbar aus Satz 52 und
Satz 54. Die Distributivität lässt sich analog zu den Beweisen dieser Sätze leicht überprüfen.
5.3 Die Ordnung der rationalen Zahlen
Definition 66 Es seien ba , dc ∈ Q mit b, d ∈ N∗ . Dann gilt
a
c
≤ :⇔ a · d ≤Z c · b,
b
d
wobei ≤Z die Ordnungsrelation von Z ist, und
a
c
a
c a
c
< :⇔ ≤ ∧ 6= .
b
d
b
d b
d
Satz 56 Die Relation ≤ ist eine lineare Ordnung auf Q, d. h. für alle x, y, z ∈ Q gilt:
86
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
1. x ≤ x (Reflexivität),
2. x ≤ y ∧ y ≤ z ⇒ x ≤ z (Transitivität),
3. x ≤ y ∧ y ≤ x ⇒ x = y (Antisymmetrie oder Identitivität) und
4. x ≤ y ∨ y ≤ x (Konnektivität).
B EWEIS Übung.
Satz 57 Die Ordnung ≤ ist in Q verträglich mit der Addition und Multiplikation, d. h. es gilt
für alle x, y, z ∈ Q:
1. x ≤ y ⇒ x + z ≤ y + z und
2. x ≤ y ∧ 0 ≤ z ⇒ x · z ≤ y · z.
B EWEIS Übung.
5.4 Darstellung rationaler Zahlen
5.4.1 Die unendliche geometrische Reihe
Bemerkung 53 Der Begriff der unendlichen geometrischen Reihe lässt sich formal exakt nur mit Methoden der Analysis definieren.
Definition 67 Es sei q ∈ Q. Dann ist
∞
∑ q i = 1 + q + q2 + q3 + . . .
i =0
die unendliche geometrische Reihe zur Basis q.
Satz 58 Es sei q ∈ Q mit −1 < q < 1. Dann ist
∞
1
∑ qi = 1 − q .
i =0
B EWEIS Dieser Satz lässt sich exakt nur mit Methoden der Analysis beweisen. An dieser
Stelle wird versucht, den Satz mit einem anschaulichen vorhandenen Grenzwertbegriff
plausibel zu machen. Bekanntlich gilt für die endliche geometrische Reihe
m
∑ qi =
i =0
1 − qm
.
1−q
Intuitiv kann man nun argumentieren: Wenn m „unendlich groß wird“, dann nähert
sich qm immer dichter an Null an, d. h. für die unendliche geometrische Reihe ist qm
„verschwindend klein“ und kann daher weggelassen werden.
5.4 Darstellung rationaler Zahlen
87
5.4.2 Systembrüche
Definition 68 Es sei x ∈ Q mit 0 ≤ x < 1 und q ∈ N∗ mit q ≥ 2, und x1 , x2 , x3 . . . sei
eine unendliche Folge von Elementen aus {0, 1, . . . , q − 1}, sodass
∞
x=
1
∑ xi · qi
i =1
= x1 ·
1
1
1
+ x2 · 2 + x3 · 3 + . . .
q
q
q
gilt. Dann heißt die Summe ∑i∞=1 xi · q1i Systembruch von x zur Basis q mit den Koeffizienten x1 , x2 , x3 . . .. Man schreibt abkürzend
∞
(0, x1 x2 x3 . . .)q =
1
∑ xi · qi
i =1
und für die Basis 10
∞
0, x1 x2 x3 . . . =
1
∑ xi · 10i .
i =1
Die Systembrüche zur Basis 10 nennt man Dezimalbrüche.
Definition 69 Es sei (0, x1 x2 x3 . . .)q ein Systembruch zur Basis q.
1. (0, x1 x2 x3 . . .)q heißt endlich oder abbrechend, wenn es ein u ∈ N∗ gibt, sodass
xm = 0 für alle m ∈ N mit m > u gilt. Man schreibt dann statt (0, x1 x2 x3 . . .)q
abkürzend (0, x1 x2 x3 . . . xu−1 xu )q .
2. (0, x1 x2 x3 . . .)q heißt reinperiodisch, wenn es ein n ∈ N∗ gibt, sodass xi = xi+k·n
für alle i ∈ N∗ und k ∈ N gilt. Man schreibt dann statt (0, x1 x2 x3 . . .)q abkürzend
(0, x1 x2 x3 . . . xn )q . Man nennt die endliche Folge x1 x2 x3 . . . xn−1 xn die Periode des
Systembruchs und n die Länge der Periode.
3. (0, x1 x2 x3 . . .)q heißt gemischtperiodisch, wenn es ein u ∈ N∗ und ein n ∈ N∗ gibt,
sodass xi = xi+k·n für alle i ∈ N∗ mit i > u und alle k ∈ N gilt. Man schreibt dann
statt (0, x1 x2 x3 . . .)q abkürzend (0, x1 x2 x3 . . . xu xu+1 xu+2 . . . xu+n )q und wählt in
der Regel u möglichst klein. Man nennt die endliche Folge x1 x2 x3 . . . xu die Vorperiode, u die Länge der Vorperiode, xu+1 xu+2 . . . xu+n die Periode des Systembruchs
und n die Länge der Periode.
4. Andernfalls heißt (0, x1 x2 x3 . . .)q nichtperiodisch.
Man fasst die rein- und gemischtperiodischen Systembrüche unter dem Begriff der periodischen Systembrüche zusammen.
Beispiel 53 Für jede Art von Systembrüchen werden nun Beispiele aus dem Dezimalsystem angegeben:
1. Endliche oder abbrechenden Dezimalbrüche sind 0, 4 und 0, 7345.
88
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
2. Reinperiodisch sind die Dezimalbrüche 0, 7 und 0, 31074.
3. Gemischtperiodisch sind die Dezimalbrüche 0, 2427 und 0, 23534. Nach Definition ist 0, 23534 = 0, 235345 = 0, 2353453 = 0, 23534534 usw. Vereinbarungsgemäß
wählt man jedoch die Schreibweise 0, 23534, um die Länge der Vorperiode möglichst gering zu halten.
4. Der Dezimalbruch, der zur Kreiszahl π gehört, ist nichtperiodisch. Es gilt π =
3, 14 159 265 358 979 . . ..
Bemerkung 54 Im 16. Jahrhundert hat der in Hildesheim geborene Mathematiker Ludolph van Ceulen die ersten 35 Dezimalstellen von π berechnet. Er benutzte dazu ein
geometrisches Verfahren, das auf Archimedes zurückgeht, und brauchte für seine Berechnungen 30 Jahre. Er ließ das Ergebnis auf seinem Grabstein einmeißeln. Gelegentlich wird auch heute noch π die Ludolphsche Zahl genannt.
5.4.3 Von gemeinen Brüchen zu Systembrüchen
Satz 59 Es sei x ∈ Q mit 0 ≤ x < 1. Dann gibt es einen Systembruch (0, x1 x2 x3 . . .)q zur
Basis q, sodass x = (0, x1 x2 x3 . . .)q ist.
B EWEIS Nach Definition 60 gibt es a ∈ Z und b ∈ N∗ mit x = ba . Da x nicht negativ
ist, kann man wegen der Repräsentantenunabhängigkeit annehmen, dass a ∈ N und
b ∈ N∗ und ggT ( a, b) = 1 gilt. Wegen 0 ≤ x < 1 gilt dann a < b. Nun seien die beiden
unendlichen Folgen x1 , x2 , x3 , . . . und r0 , r1 , r2 , r3 , . . . folgendermaßen rekursiv definiert:
Es sei r0 = a der Startwert. Dann seien xi+1 und ri+1 diejenigen natürlichen Zahlen mit
q · r i = x i +1 · b + r i +1
und 0 ≤ ri+1 < b. Diese Zahlen sind durch Division mit Rest nach Satz 21 eindeutig
bestimmt. Außerdem gilt xi+1 ∈ {0, 1, . . . , q − 1}, denn andernfalls wäre ri ≥ b. Die
schematische Darstellung dieser Definition sieht folgendermaßen aus:
a = 0 · b + r0
q · r0 = x1 · b + r1
q · r1 = x2 · b + r2
q · r2 = x3 · b + r3
.. .. ..
. . .
Wenn man jede Zeile ab der zweiten durch q teilt, so erhält man:
a = 0 · b + r0
x
1
r0 = 1 · b + · r1
q
q
5.4 Darstellung rationaler Zahlen
89
x2
·b+
q
x3
r2 =
·b+
q
.. .. ..
. . .
r1 =
1
· r2
q
1
· r3
q
Durch Einsetzen ergibt sich dann:
a = r0
x
1
= 1 · b + · r1
q
q
x1
x
=
· b + 22 · b +
q
q
x1
x2
=
·b+ 2 ·b+
q
q
.. .. ..
. . .
1
· r2
q2
x3
1
·
b
+
· r3
q3
q3
und damit insgesamt (an dieser Stelle müsste man die Argumentation mit einigen Anleihen aus der Analysis vervollständigen, die im Rahmen dieses Textes leider keinen
Platz haben):
x
x1
x
· b + 22 · b + 33 · b + . . .
q
q
q
x1 x2 x3
+ 2 + 3 +...
⇔ a = b·
q
q
q
!
∞
x
⇔ a = b · ∑ ii
i =1 q
a=
⇔
Also ist
a
b
∞
a
x
= ∑ ii
b
i =1 q
= (0, x1 x2 x3 . . .)q , d. h. man kann x =
a
b
als Systembruch zur Basis q darstellen.
Bemerkung 55 Man kann analog zu Satz 59 zeigen, dass sogar jede reelle Zahl eine
Darstellung als Systembruch hat. Interessanter als diese Gemeinsamkeit sind jedoch die
Unterschiede: Rationale Zahlen lassen sich als endliche oder periodische Systembrü√
che darstellen; echt reelle Zahlen jedoch, d. h. Elemente aus R \ Q wie z. B. π oder 2,
entsprechen hingegen nichtperiodischen Systembrüchen. Das soll im Weiteren untersucht werden. Dabei wird zunächst eine Fallunterscheidung gemacht, unter welchen
Bedingungen eine rationale Zahl einen endlichen, reinperiodischen bzw. gemischtperiodischen Systembruch hat. Dabei zeigt sich, dass jede rationale Zahl unter einen dieser
drei Fälle einzuordnen ist. Damit ist insgesamt gezeigt, dass jede rationale Zahl einem
endlichen oder periodischen Systembruch entspricht.
90
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
Dass die Systembrüche irrationaler Zahlen nichtperiodisch sind, hat nicht allein die
Konsequenz, dass man sie nie komplett aufschreiben und daher schlecht (d. h. nur näherungsweise) mit Rechnern verarbeiten kann; es lassen sich noch viel abstrusere Folgerungen daraus ziehen: In manchen nichtperiodischen Systembrüchen kommt jede beliebige Ziffernfolge an irgendeiner Stelle vor. Diese Zahlen, zu denen beispielsweise auch
π gehört, nennt man normale Zahlen. Das heißt zum Beispiel: Wenn man das Alphabet
als Ziffern benutzt, dann kommt irgendwo im Systembruch von π dieses Skript, das
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und das Nibelungenlied (mit all seinen
neuhochdeutschen Nachdichtungen) vor.
Lemma 32 Es sei x ∈ Q mit 0 ≤ x < 1. Es gelte x = ba mit a ∈ N und b ∈ N∗ und
ggT ( a, b) = 1. Falls es ein n ∈ N mit b | qn gibt und falls n die kleinste Zahl mit dieser
Eigenschaft ist, so gibt es im q-System genau einen endlichen Systembruch (0, x1 x2 . . . xn−1 xn )q
mit x = (0, x1 x2 . . . xn−1 xn )q .
B EWEIS (E RSTE VARIANTE DURCH E RWEITERUNG DES B RUCHES ) Es gelte b | qn , und
n sei die kleinste natürliche Zahl mit dieser Eigenschaft. Dann gibt es ein s ∈ N mit
s · b = qn . Dadurch erhält man:
a·s
a·s
a
=
= n
b
b·s
q
Ist ( ak ak−1 . . . a2 a1 a0 )q die Darstellung von a · s zur Basis q, so ist wegen a < b auch
k ≤ n. Damit gilt
a
a·s
=
b
qn
=
a k · q k + . . . a2 · q2 + a1 · q + a0
qn
0 · q n −1 + 0 · q n −2 + . . . 0 · q k +1 + a k · q k + a k −1 · q k −1 + . . . a 2 · q 2 + a 1 · q + a 0
qn
0
0
0
a
a 1
a1
a0
=
+ 2 + . . . + n−k−1 + n−k k + n−k−k+
+
.
.
.
+
+
1
q q
q n −1 q n
q
q
q
=
Damit ist (0, 00 . . . 0ak ak−1 . . . a2 a1 a0 )q ein Systembruch zur Basis q, der x entspricht. Wegen der eindeutigen Darstellung von a · s im q-System ist auch der Systembruch eindeutig bestimmt.
1
durch Erweitern in einen
Beispiel 54 Aus dem Beweis kann man ablesen, wie man 16
4
Dezimalbruch umwandeln kann. Es gilt 10 = 625 · 16. Damit erhält man
1
1 · 625
625
0
6
2
5
=
=
=
+ 2+ 3+ 4
16
16 · 625
10 000
10 10
10
10
Also ist
1
16
= 0, 0625.
5.4 Darstellung rationaler Zahlen
91
B EWEIS (Z WEITE VARIANTE ÜBER DAS D IVISIONSVERFAHREN AUS S ATZ 59) Wie im Beweis zu Satz 59 seien die Folgen x1 , x2 , x3 , . . . und r0 , r1 , r2 , r3 , . . . rekursiv definiert: Es
sei r0 = a der Startwert. Dann seien xi+1 und ri+1 diejenigen natürlichen Zahlen mit
q · r i = x i +1 · b + r i +1
und 0 ≤ ri+1 < b. Dadurch gilt:
a = r0
1
x
= 1 · b + · r1
q
q
x
x
= 1 · b + 22 · b +
q
q
x
x
= 1 · b + 22 · b +
q
q
.. .. ..
. . .
1
· r2
q2
x3
1
· b + 3 · r3
3
q
q
und damit insbesondere (durch Multiplikation der n-ten Zeile mit qn und Ausklammern
von b):
a · q n = b · x 1 · q n −1 + x 2 · q n −2 . . . + x n −1 · q + x n + r n
Da b den ersten Summanden auf der rechten Seite teilt und außerdem nach Voraussetzung a · qn , so teilt b auch rn . Da aber (wie bei allen Resten) 0 ≤ rn < b gilt, ist daher
rn = 0. Deswegen ist auch rm = 0 für alle m ≥ n. Also ist die Systembruchentwicklung
von ba endlich und xn der letzte Koeffizient ungleich Null.
Beispiel 55 Auch aus dem Divisionsverfahren lässt sich eine Methode entwickeln, mit
der man die Systembruchentwicklung eines gemeinen Bruches berechnen kann: Gesucht sei ein Dezimalbruch mit demselben Wert wie 58 . Man kann die Zahlen 5 und 8 als
a = 5 und b = 8 in das Divisionsschema des Beweises zu Satz 59 einsetzen und erhält
dadurch den gesuchten Dezimalbruch:
5 = 0·8+5
10 · 5 = 6 · 8 + 2
10 · 2 = 2 · 8 + 4
10 · 4 = 5 · 8 + 0
Das Verfahren endet hier, da Null als Rest aufgetreten ist (und daher alle folgenden
Zeilen die Form 10 · 0 = 0 · 8 + 0 hätten). Teilt man jede Zeile ab der zweiten durch 10,
so erhält man:
5 = 0·8+5
92
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
6
·8+
10
2
2 =
·8+
10
5
·8
4 =
10
5 =
1
·2
10
1
·4
10
Durch Einsetzen erhält man dann:
5 =
=
=
=
=
=
6
1
·8+
·2
10
10 6
1
2
1
·8+
·
·8+
·4
10
10
10
10
6
2
1
·8+
·8+
·4
10
100
100 6
2
1
5
·8+
·8+
·
·8
10
100
100
10
6
2
5
·8+
·8+
·8
10 100
1000
6
2
5
8·
+
+
.
10 100 1000
Also gilt
6
2
5
5
=
+
+
.
8
10 100 1000
Damit ist 0, 625 der gesuchte Dezimalbruch. Ebenso wie in Beispiel 29 lässt sich das
Divisionsschema auch einfacher notieren:
5 : 8 = 0,625
-0
50
-48
20
-16
40
-40
0
Lemma 33 Es sei x ∈ Q mit 0 ≤ x < 1. Es gelte x = ba mit a ∈ N und b ∈ N∗ und
ggT ( a, b) = 1. Falls auch ggT (b, q) = 1 ist, so gibt es im q-System genau einen reinperiodischen Systembruch (0, x1 x2 . . . xn−1 )q mit x = (0, x1 x2 . . . xn−1 )q .
5.4 Darstellung rationaler Zahlen
93
B EWEIS Wie im Beweis zu Satz 59 seien die Folgen x1 , x2 , x3 , . . . und r0 , r1 , r2 , r3 , . . . rekursiv definiert: Es sei r0 = a der Startwert. Dann seien xi+1 und ri+1 diejenigen natürlichen Zahlen mit
q · r i = x i +1 · b + r i +1
und 0 ≤ ri+1 < b. Für den k-ten Rest rk gilt dann analog zum zweiten Beweis von
Lemma 32
k
k −1
k −2
a · q = b · x1 · q
+ x2 · q
. . . + x k −1 · q + x k + r k .
Da b nach Voraussetzung zu q teilerfremd ist, gilt auch b - qk . Aus diesem Grund gilt
b - rk , d. h. 0 < rk < b. Also ist keiner der Reste gleich Null, d. h. der Systembruch ist
nicht endlich. Nun ist noch zu zeigen, dass er periodisch, sogar reinperiodisch mit der
Periodenlänge n ist. Da es bezüglich b nur b − 1 verschiedene Reste ungleich Null gibt,
nämlich 1, 2, . . . , b − 1, wiederholt sich spätestens nach b − 1 Schritten das Verfahren.
Nun wird gezeigt, dass es eine Periode gibt und dass sie mit r0 beginnt. Es sei rk ein
Rest der sich im l-ten Schritt wiederholt, d. h. es gelte rk = rl mit l > r. Nach Definition
des Divisionsverfahrens gilt dann
q · r l −1 = x l · b + r l
q · r k −1 = x k · b + r k
Eine Subtraktion der Gleichungen liefert wegen rk = rl , dass
q · ( r l −1 − r k −1 ) = ( x l − x k ) · b
gilt, also b | q · (rl −1 − rk−1 ), und da b teilerfremd zu q ist, gilt sogar b | (rl −1 − rk−1 ).
Wegen 0 < rl < b und 0 < rk < b folgt daraus rl −1 − rk−1 = 0, also rl −1 = rk−1 . Analog
zeigt man rl −2 = rk−2 , rl −3 = rk−3 , . . . rl −k = rk−k , also rl −k = r0 . Damit ist ist dreierlei
gezeigt: Ersten handelt ist sich hierbei um eine Periode, zweitens beginnt die Periode
mit r0 und dadurch mit x1 in der Systembruchentwicklung, und drittens hat die Periode
höchstens die Länge l − k.
Beispiel 56 Gesucht sei ein Dezimalbruch mit demselben Wert wie 57 . Da ggT (7, 10) =
1 ist, ist der gesuchte Systembruch reinperiodisch. Man kann die Zahlen 5 und 7 als
a = 5 und b = 7 in das Divisionsschema des Beweises von Satz 59 einsetzen und erhält
dadurch den gesuchten Dezimalbruch:
5 = 0·7+5
10 · 5 = 7 · 7 + 1
10 · 1 = 1 · 7 + 3
10 · 3 = 4 · 7 + 2
10 · 2 = 2 · 7 + 6
10 · 6 = 8 · 7 + 4
94
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
10 · 4 = 5 · 7 + 5
10 · 5 = 7 · 8 + 1
Das Verfahren wiederholt sich, da mit 5 derselbe Rest aufgetreten ist wie in der ersten
Zeile. Damit ist 0, 714285 der gesuchte Dezimalbruch. Ebenso wie in Beispiel 29 lässt
sich das Divisionsschema auch einfacher notieren:
5 : 7 = 0,714285
-0
50
-49
10
-7
30
-28
20
-14
60
-56
40
-35
5
Lemma 34 Es sei x ∈ Q mit 0 ≤ x < 1. Es gelte x = ba mit a ∈ N und b ∈ N∗ und
ggT ( a, b) = 1. Falls es v, w ∈ N∗ \ {1} gibt, sodass b = v · w, v | qu für ein minimales u ∈ N
und ggT (w, q) = 1 ist, so gibt es im q-System genau einen gemischtperiodischen Systembruch
(0, x1 x2 x3 . . . xu xu+1 xu+2 . . . xu+n−1 )q mit x = (0, x1 x2 x3 . . . xu xu+1 xu+2 . . . xu+n−1 )q .
B EWEIS Da v | qu gilt, gibt es ein s ∈ N∗ mit s · v = qu . Daher gilt
a
a·s
a·s
s a
a
=
=
= u
= u· .
b
v·w
v·w·s
q ·w
q w
Da ggT (w, q) = 1 ist, hat wa nach Lemma 33 eine reinperiodische Systembruchentwicklung und qsu nach Lemma 32 eine endliche Systembruchentwicklung der Länge u. Durch
Multiplikation der beiden Systembrüche erhält man einen gemischtperiodischen Systembruch mit einer Vorperiode der Länge u.
5
Beispiel 57 Gesucht sei ein Dezimalbruch mit demselben Wert wie 28
. Da 28 = 4 · 7 und
2
4 | 10 gilt, ist der gesuchte Systembruch gemischtperiodisch mit einer Vorperiode von
2 Stellen. Man kann die Zahlen 5 und 28 als a = 5 und b = 28 in das Divisionsschema
des Beweises von Satz 59 einsetzen und erhält dadurch den gesuchten Dezimalbruch:
5 = 0 · 28 + 5
5.4 Darstellung rationaler Zahlen
95
10 · 5 = 1 · 28 + 22
10 · 22 = 7 · 28 + 24
10 · 24 = 8 · 28 + 16
10 · 16 = 5 · 28 + 20
10 · 20 = 7 · 28 + 4
10 · 4 = 1 · 28 + 12
10 · 12 = 4 · 28 + 8
10 · 80 = 2 · 28 + 24
Das Verfahren wiederholt sich, da mit 24 derselbe Rest aufgetreten ist wie in der ersten
Zeile. Damit ist 0, 17857142 der gesuchte Dezimalbruch. Ebenso wie in Beispiel 29 lässt
sich das Divisionsschema auch einfacher notieren:
5 : 28 = 0,17857142
-0
50
-28
220
-196
240
-224
160
-140
200
-196
40
-28
120
-112
80
-56
24
Satz 60 Es sei x ∈ Q. Dann lässt sich x als
x = ±( an an−1 . . . a2 a1 a0 )q + (0, x1 x2 x3 . . .)q
darstellen. Dabei ist ( an an1 . . . a2 a1 a0 )q die Darstellung einer natürlichen Zahl im q-System,
(0, x1 x2 x3 . . .)q ein endlicher oder periodischer Systembruch zur Basis q und ± eines der Vorzeichen + oder −. Man schreibt dann abkürzend
x = ±( an an−1 . . . a2 a1 a0 , x1 x2 x3 . . .)q
96
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
und darüber hinaus
x = ± a n a n −1 . . . a 2 a 1 a 0 , x 1 x 2 x 3 . . .
im Dezimalsystem. Perioden werden wie in Definition 69 notiert.
B EWEIS Der Satz folgt unmittelbar aus Satz 24 und Satz 59.
5.4.4 Von Systembrüchen zu gemeinen Brüchen
Satz 61 Ist ±( an an−1 . . . a2 a1 a0 , x1 x2 x3 . . .)q eine Darstellung im q-System, so gibt es einen
gemeinen Bruch ba mit
a
= ±( an an−1 . . . a2 a1 a0 , x1 x2 x3 . . .)q .
b
B EWEIS Der Satz folgt unmittelbar aus Satz 58.
Beispiel 58 Die Darstellung 24, 1425376 im Dezimalsystem wird in einen gemeinen Bruch
umgewandelt:
24, 1425376 = 24 + 0, 142 + 0, 0005376
142
1
= 24 +
+
· 0, 5376
1 000 1 000
!
∞
1
5 376
142
+
· ∑
= 24 +
i
1 000 1 000
i =1 10 000
1
142
+
· 5 376 ·
= 24 +
1 000 1 000
142
1
5 376
= 24 +
+
·
·
1 000 1 000 10 000
142
1
5 376
= 24 +
+
·
·
1 000 1 000 10 000
=
=
=
=
1
∑ 10 000i
i =1
!
∞
!
∞
!
1
∑ 10 000i
i =0
1
∑ 10 000i
i =0
142
1
5 376
1
+
·
·
1 000 1 000 10 000 1 − 10 1000
142
1
5 376
1
24 +
+
·
· 9 999 1 000 1 000 10 000 10 000
142
1
5 376 10 000
24 +
+
·
·
1 000 1 000 10 000 9 999
142
1
5 376
24 +
+
·
1 000 1 000 9 999
142
5 376
24 +
+
1 000 9 999 000
24 · 9 999 000
142 · 9 999
5 376
+
+
9 999 000
1 000 · 9 999 9 999 000
= 24 +
=
∞
5.4 Darstellung rationaler Zahlen
97
241 401 234
9 999 000
40 233 539
=
1 666 500
Beispiel 59 Man kann einen mit 24, 1425376 wertgleichen gemeinen Bruch auch anders,
d. h. ohne Verwendung der unendlichen geometrischen Reihe ermitteln. Dieses Verfahren wird nun vorgestellt. Seine Adäquatheit kann hier leider nicht begründet werden,
weil dazu tiefere Kenntnisse der Analysis nötig wären.
Zuerst zerlegt man 24, 1425376 additiv in den periodischen und nichtperiodischen
Anteil:
24, 1425376 = 24, 142 + 0, 0005376
=
Für den nichtperiodischen Anteil ist es nicht schwer, einen passenden gemeinen Bruch
zu finden:
24 142
24, 142 =
1000
Also gilt
24 142
+ 0, 0005376
1 000
24 142
1
=
+
· 0, 5376
1000
1 000
24, 1425376 =
Nun braucht man nur noch den reinperiodischen Dezimalbruch 0, 5376 als gemeinen
Bruch auszudrücken. Dazu multipliziert man zunächst so mit einer Zehnerpotenz, dass
die Periode einmal vollständig vor dem Komma steht:
5 376, 5376 = 10 000 · 0, 5376
Daher gilt also:
5 376 = 5 376, 5376 − 0, 5376
⇔ 5 376 = 10 000 · 0, 5376 − 1 · 0, 5376
⇔ 5 376 = (10 000 − 1) · 0, 5376
⇔ 5 376 = 9 999 · 0, 5376
5 376
= 0, 5376
⇔
9 999
Dieses Resultat könnte man auch über die geometrische Reihe ermitteln:
∞
0, 5376 =
5 376
∑ 10 000
i =1
∞
= 5 376 ·
1
∑ 10 000
i =1
!
98
Kapitel 5 Die rationalen Zahlen
1
·
= 5 376 ·
10 000
=
5 376
·
10 000
∞
1
∑ 10 000
i =0
!
∞
1
∑ 10 000
i =0
!
1
5 376
·
10 000 1 − 10 1000
5 376
1
=
· 9 999 10 000 10 000
5 376 10 000
=
·
10 000 9 999
5 376
=
9 999
=
Dieses Ergebnis kann man nun einsetzen:
24, 1425376 =
=
=
=
=
=
=
=
=
24 142
+ 0, 0005376
1 000
24 142
1
+
· 0, 5376
1 000
1 000
24 142
1
5 376
+
·
1 000
1 000 9 999
5 376
24 142
+·
1 000
9 999 000
24 142
5 376
+·
1 000
9 999 000
5 376
24 142 · 9 999
+·
1 000 · 9 999
9 999 000
5 376
241 395 858
+·
9 999 000
9 999 000
241 401 234
9 999 000
40 233 539
1 666 500
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