6 Folgerungen aus den Hauptsätzen 6.1 6.1.1 Die natürlichen Variabeln der Energie Entropie und Volumen als unabhängige Variabeln Nach dem II. HS besitzt ein homogenes System das Wärmedifferential dQ = T dS. Gewünschte Änderungen δS und δV von Entropie bzw. Volumen lassen sich also gemäß δQ = T δS, δW = −pδV (131) durch eindeutig bestimmte Wärmezufuhr δQ und Arbeitsverrichtung δW erzielen. Auf diese Weise ist jedes Wertepaar (S, V ) erreichbar. Somit läßt sich die Energie, mit dem Differential dU = T dS − pdV als Funktion U(S, V ) der unabhängigen Variablen S und V konstruieren. Sie hat die partiellen Ableitungen ∂U ∂U = T (S, V ), = −p(S, V ). (132) ∂S V ∂V S 6.1.2 Veränderliche Stoffmenge n und chemische Arbeit In einem chemisch reinen aber offenen Systems ist neben den Werten von S und V auch die Stoffmenge n erforderlich, um den Systemzustand vollständig zu bestimmen. 5 Bsp.: Beim idealen Gas ist die Energie als Funktion von S, V und n gegeben durch S − ns V −2/f f f 0 . (133) exp nR T (S, V, n) = nRT0 U(S, V, n) ≡ f 2 2 nv0 nR 2 Hier wurde in Gl. (82) p = nRT V gesetzt und nach T (S, V, n) aufgelöst. In Erweiterung von Gl. (132) gilt jetzt ∂U ∂U = T (S, V, n), = −p(S, V, n), ∂S V,n ∂V S,n ∂U ∂n S,V = µ(S, V, n). (134) Als Ableitung der extensiven Größe U nach der extensiven Größe n ist das chemische Potential µ eine neue Intensitätsgröße. Im Differential dU = T dS − pdV + µdn 5 Die Stoffmenge n ist äquivalent zur Teilchenzahl N = NA n, mit der Avogadrokonstante NA = 6.022 × 1023 mol−1 . Dabei gilt nR = N kB , mit der Boltzmannkonstante kB = 1.3807 · 10−23 JK−1 . 36 (135) bezeichnet man den neuen Term dWchem = µdn (136) als chemische Arbeit, im Gegensatz zur mechanischen Arbeit dWmech = −pdV . Man nennt (T, S), (p, V ) und (µ, n) Paare zueinander konjugierter Variabeln. Mit (∂U/∂S)V,n = T (S, V, n) > 0 ist U(S, V, n) bezüglich der Variable S invertierbar, S = S(U, V, n). Wegen dU = T dS − pdV + µdn oder dS = T1 dU + Tp dV − Tµ dn gilt ∂S ∂S ∂S 1 p(U, V, n) µ(U, V, n) = = =− , , . (137) ∂U V,n T (U, V, n) ∂V U,n T (U, V, n) ∂n U,V T (U, V, n) 6.1.3 Das chemische Potential Um das chemische Potential µ zu identifizieren, wechseln wir zu molaren Größen, u := U , n s := S , n v := V . n Da U eine extensive Größe ist, so gilt n U(S, V, n) ≡ U(ns, nv, n) = U(n0 s, n0 v, n0 ) ≡ n u(s, v) n0 wobei u(s, v) := 1 n0 (138) (n0 = 1 mol), (139) U(n0 s, n0 v, n0 ) eine reine Funktion von s und v ist. Es gilt also d U(ns, nv, n) dn ∂U d(ns) ∂U d(nv) ∂U = + + ∂S V,n dn ∂V S,n dn ∂n S,V ∂U . = T (S, V, n) · s − p(S, V, n) · v + ∂n S,V u(s, v) = Das chemische Potential ist somit gegeben durch ∂U = u − T s + pv. µ := ∂n S,V (140) (141) Als Intensitätsgrößen sind T und p reine Funktionen von s und v, T (ns, nv, n) = Te(s, v), und wir erhalten ausführlicher p(ns, nv, n) = pe(s, v), µ(S, V, n) = u(s, v) − Te(s, v) · s + pe(s, v) · v = µ e(s, v). 37 (142) (143) Bsp.: Beim idealen Gas folgt aus Gl. (133) tatsächlich µ(S, V, n) = u + 2 −s0 f nR − (S − ns0 )f R u−U ·2 = u + pv − T s, f (f nR)2 (144) da beim idealen Gas u = f2 RT ≡ f2 pv ist. 6.1.4 Die Gibbs-Duhem-Beziehung Das Ergebnis µ = u − T s + pv läßt sich auch folgendermaßen herleiten: Mit λ > 0 gilt U(λS, λV, λn) = λU(S, V, n), (145) da U eine extensive Größe ist. Differentiation nach λ ergibt d U(λS, λV, λn) ≡ T (λS, λV, λn) S − p(λS, ...) V + µ(λS, ...) n dλ = U(S, V, n). (146) Setzen wir jetzt λ = 1, so folgt sofort T S − pV + µn = U ⇔ µ = u − T s + pv. (147) Wegen dU = T dS − pdV + µdn folgt sofort die Gibbs-Duhem-Beziehung SdT − V dp + ndµ = 0. 6.2 6.2.1 (148) Folgerungen aus dem Entropieprinzip Nicht-isolierte Systeme Das System Σ sei jetzt nicht mehr isoliert, sondern werde durch thermischen Kontakt mit einem Wärmereservoir Σ ′ auf konstanter Temperatur T und durch mechanischen Kontakt mit einem Volumenreservoir Σ ′′ auf konstantem Druck p gehalten. Man denke wieder an ein Gas, das in ein vertikales Zylindergefäß mit beweglichem Kolben eingeschlossen ist. Ein Gewichtstück auf dem Kolben garantiert konstanten Druck p; der metallene Zylinder sei in Wasser der Temperatur T eingetaucht. 38 Obwohl Σ im thermischen und mechanischen Gleichgewicht ist (konstantes T und p), soll es sich nicht im thermodynamischen Gleichgewicht befinden. Wir wollen sehen, ob in Σ (bei konstanten T und p) ein Prozeß (chemische Reaktion, Phasenumwandlung, etc.) ablaufen kann. Da das Gesamtsystem Σ ∪ Σ ′ ∪ Σ ′′ isoliert ist, gilt nach Entropieprinzip δS + δS ′ + δS ′′ ≥ 0. (149) Da das Volumenreservoir (Gewichtstück) keine Wärme austauscht, gilt δS ′′ = 0. Für das Wärmereservoir gilt δS ′ = −δQ , wenn δQ die von Σ absorbierte Wärme ist, T δS + −δQ ≥ 0. T (150) Da in Σ irreversible Prozesse ablaufen können, ist jetzt im allg. δQ 6= T δS. Nach dem I. HS gilt δQ = δU − δW ≡ δU + pδV , wobei δU und δV die Änderungen von Energie bzw. Volumen des interessierenden Systems Σ sind, δS − δU + pδV ≥0 T δG ≡ δ(U − T S + pV ) ≤ 0, ⇔ (151) mit der Gibbsschen Freien Enthalpie G := U − T S + pV von Σ . Obwohl also Σ kein isoliertes System ist, liefert das Entropieprinzip eine Gleichgewichtsbedingung, T, p = const : δG ≤ 0, (152) die ausschließlich Zustandsgrößen von Σ (und nicht solche von Σ ′ oder Σ ′′ ) enthält! Bei konstant gehaltenem Volumen, δV = 0, ist in Gl. (150) δQ = δU zu setzen, T, V = const : δF ≤ 0, (153) mit der Helmholtzschen Freien Energie F := U − T S des Systems. 6.2.2 Thermodynamische Stabilitätsbedingungen Nach dem Entropieprinzip kann in einem isolierten System ein Vorgang nur ablaufen, wenn dabei die Entropie nicht abnimmt. Die Bedingung eines isolierten Systems, weder Wärme noch Arbeit mit der Umgebung auszutauschen, entspricht den Forderungen U = const., V = const. (154) Wir fassen zwei identische Systeme zu einem isolierten Gesamtsystem zusammen. Beide Teilsysteme haben Energie U und Volumen V und also die Entropie S(U, V ). Bei einer virtuellen Zustandsänderung (die aus dem Gleichgewicht heraus führt) mögen Energie 39 und Volumen im einen Teilsystem um δU bzw. δV zunehmen, im anderen um die gleichen Werte abnehmen. Die Entropie des isolierten Gesamtsystems kann dabei nicht zunehmen, 0 ≥ S(U + δU, V + δV ) + S(U − δU, V − δV ) − 2S(U, V ) ∂2S ∂2S ∂2S 2 = δUδV + δU + 2 δV 2 . ∂U 2 V ∂U∂V ∂V 2 U (155) Damit die rechte Seite nicht positiv werden kann, muß mit Gl. (137) also gelten ∂2S ∂U 2 V ≡ ∂ 1 < 0, ∂U T V ∂2S ∂V 2 U ≡ ∂ p < 0. ∂V T U (156) Hieraus kann man folgern (vgl. Sommerfeld, Abschnitt 17E), daß gilt ∂U ∂T V > 0, ∂p ∂V T < 0. (157) Die erste dieser beiden Stabilitätsbedingungen folgt direkt aus der ersten der beiden vorausgehenden Ungleichungen, die ja gleichbedeutend ist mit (∂T /∂U)V > 0. Um zwei weitere Stabilitätsbedingungen zu gewinnen, betrachten wir ein System bei konstantem Druck p und konstanter Temperatur T . Befindet es sich im Gleichgewicht, so gilt nach Gl. (152) für jede virtuelle Zustandsänderung mit S → S + δS und V → V + δV δG = δU − T δS + p δV > 0. (158) Entwickeln wir δU bis zur zweiten Ordnung nach δS und δV , so ergibt sich ∂U ∂U δS + δV − T δS + p δV ∂S V ∂V S ∂2U 1 ∂2U 1 ∂2U 2 δS + δS δV + δV 2 > 0. + 2 2 2 ∂S V ∂S∂V 2 ∂V S δG = (159) Wegen Gl. (132) heben sich die linearen Terme der ersten Zeile weg. Damit die verbleibende quadratische Form positiv definit ist, muß gelten ∂2U ∂S 2 V > 0, ∂2U ∂2U ∂ 2 U 2 > 0, − ∂S 2 V ∂V 2 S ∂S∂V ∂2U ∂V 2 S > 0. (160) Die erste und die dritte dieser Ungleichungen sind nach Gl. (132) gleichbedeutend mit ∂T ∂S V > 0, ∂p ∂V 40 S < 0. (161) 6.3 Die thermodynamischen Potentiale Die Funktion U(S, V, n) heißt ein thermodynamisches Potential, da ihre partielle Ableitung nach jeder ihrer Variablen die jeweils konjugierte Variable ergibt, Gl. (134). 6.3.1 Helmholtzsche Freie Energie und Enthalpie Wegen der Stabilitätsbedingungen (161) sind die Funktionen T (S, V, n) und p(S, V, n) bezüglich der Variablen S bzw. V invertierbar, S = S(T, V, n), V = V (S, p, n). (162) Durch Legendre-Transformation (Abschnitt 6.3.2) definieren wir die Funktionen (“Freie Energie” bzw. ”Enthalpie“) F (T, V, n) := U S(T, V, n), V, n − T S(T, V, n), (163) H(S, p, n) := U S, V (S, p, n), n + pV (S, p, n) (164) und berechnen ihre partiellen Ableitungen. Die Kettenregel ergibt etwa ∂F ∂S ∂U ∂S = − S(T, V, n) − T = −S(T, V, n). (165) ∂T V,n ∂S V,n S=S(T,V,n) ∂T V,n ∂T V,n {z } | =T Einfacher sieht man dies direkt am Differential, dF = dU − d(T S) = (T dS − pdV + µdn) − (T dS + SdT ) = −SdT − pdV + µdn. Daraus liest man sofort ab ∂F = −S, ∂T V,n ∂F ∂V T,n = −p, ∂F ∂n T,V = µ. Auf entsprechende Weise findet man für die Funktion H(S, p, n) die Ableitungen ∂H ∂H ∂H = T, = V, = µ. ∂S p,n ∂p S,n ∂n S,p (166) (167) (168) Neben der Funktion U(S, V, n) sind also auch F (T, V, n) und H(S, p, n) thd. Potentiale. F , H und G := U −T S +pV = G(T, p, n) sind extensive Größen. Die entsprechenden molaren Größen haben (wie intensive Größen) nur zwei unabhängige Variable, f (T, v) = u − T s, h(s, p) = u + pv, Ihre partiellen Ableitungen sind ... 41 g(T, p) = u − T s + pv (169) 6.3.2 Legendre-Transformation Gegeben sei eine Funktion U(S) und ihre Ableitung T (S) := U ′ (S). Diese sei invertierbar, S = S(T ). (170) Wir definieren zwei neue Funktionen, f (T ) := U(S(T )), F (T ) := U(S(T )) − T · S(T ) ≡ f (T ) − T · S(T ). (171) Aus f (T ) läßt sich U(S) nicht eindeutig rekonstruieren, denn aus U = f (U ′ (S)) = U(S) (172) folgt nur eine DGl 1. Ordnung für U(S), U ′ (S) = f −1 (U(S)). (173) Deren Lösung U(S + C) enthält eine willkürliche Integrationskonstante C. Bsp.: Für die Funktion U(S) = (S + C)2 , mit einer beliebigen Konstante C, finden wir T (S) = 2(S + C) und S(T ) = 21 T − C, also f (T ) ≡ U(S(T )) = (( 12 T − C) + C)2 = 41 T 2 (174) Dagegen läßt sich aus F (T ) jedes Wertepaar (S, U) der ursprünglichen Funktion U(S) rekonstruieren, S = −F ′ (T ) ⇒ U(S). (175) F (T ) ⇒ U = F (T ) + T · F ′ (T ) Anschaulich sieht man dies wie folgt: Im SU-Diagramm (S als x-Achse und U als y-Achse) ist die Gerade mit Steigung a = T und y-Achsen-Abschnitt b = F (T ) eine Tangente an den Graphen der Funktion U(S), denn U −F = T. (176) S Aus der Funktion F (T ) lassen sich also alle Tangenten von U(S) konstruieren. Die Einhüllende dieser Tangentenschar ist dann der Graph von U(S). 6.3.3 Maxwell-Relationen Jedes Paar gemischter zweiter partrieller Ableitungen eines thd. Potentials ergibt eine sog. Maxwell-Relation. Als Beispiel betrachten wir ∂S ∂p ∂ ∂F ∂ ∂F ≡− =− ≡ . (177) ∂V T,n ∂V ∂T V,n ∂T ∂V T,n ∂T V,n 42