Eine Einführung in die klassische Logik Grundzüge der Logik Prof. Dr. Heinrich Wansing Ruhr Universität Bochum Institut für Philosophie II Vorlesung im Wintersemester 2014/2015 1 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Geschichte der Logik Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) Die Aristotelische Logik ist eine Termlogik. Es wird angenommen, dass jeder Aussagesatz aus einem Subjekt(term) und einem Prädikat(term) besteht. Ein Satz ist bejahend, wenn das Prädikat dem Subjekt zugesprochen wird, verneinend, wenn es dem Subjekt abgesprochen wird. Ein Satz ist darüber hinaus allgemein oder partikulär. Aristoteles unternahm eine systematische Erforschung von Prinzipien des logischen Schlussfolgerns und untersuchte so genannte Syllogismen, Schlussfolgerungen, die aus genau zwei Annahmen und einer Konklusion bestehen. 2 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Euklid (360 v. Chr. – ca. 280 v. Chr.) Euklid wendete die so genannte axiomatische Methode des logischen Schließens auf die Geometrie an. 3 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) Leibniz formulierte als erster das Ziel einer universellen formalen Sprache (characteristica universalis) und eines Kalküls zur Herleitung aller wahren Aussagen. Das Leibnizsche Gesetz: die Identität ununterscheidbarer Dinge die Ununterscheidbarkeit identischer Dinge Verwendung des Begriffs der möglichen Welt. 4 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik George Boole (1815 – 1864) Boole legte die erste (publizierte) Formalisierung der Aussagenlogik als Algebra vor. (An Investigation of The Laws of Thought, 1854) 5 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Georg Cantor (1845 – 1918) Cantor entwickelte die Mengenlehre, den Begriff der transfiniten Menge, das Diagonalverfahren, und formulierte die so genannte Kontinuumshypothese, eine Hyopthese über den möglichen Umfang unendlicher Mengen. Es gibt keine Menge, deren Mächtigkeit zwischen der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen und der Mächtigkeit der reellen Zahlen (des Kontinuums) liegt. 6 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Gottlob Frege (1848 – 1925) Frege entwickelte eine Formalisierung der Prädikatenlogik mittels einer graphischen Notation (Begriffsschrift, 1879). 7 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Bertrand Russell (1872 – 1970) Russell leitete eine Krise der Logik ein mit dem Russell-Paradox und entwickelte mit Alfred N. Whitehead die moderne Prädikatenlogik und die so genannte Typentheorie (Principia Mathematica, 1910 – 1913). 8 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Kurt Gödel (1906 – 1978) Gödel zeigte die Vollständigkeit und damit die Widerspruchsfreiheit der Prädikatenlogik (1930) und leitete ein Krise der Logik ein, indem er zeigte, dass (i) in der Peano Arithmetik nicht alle zahlentheoretischen Wahrheiten bewiesen werden können und (b) die Widerspruchsfreiheit der Arithmetik nicht innerhalb der Arithmetik beweisbar ist (1931). 9 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Gerhard Gentzen (1909 – 1945) Gentzen entwickelte den Kalkül des natürlichen Schließens und den Seqenzenkalkül für die Prädikatenlogik (1934). 10 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Alonzo Church (1903 – 1995) Church entwickelte den Lambda-Kalkül, die Grundlage der funktionalen Programmiersprachen, und zeigte die Unentscheidbarkeit der Allgemeingültigkeit prädikatenlogischer Formeln. 11 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Alfred Tarski (1901 – 1983) Tarski entwickelte wesentlich die Modelltheorie. In der analytischen Sprachphilosophie spielen sein Arbeiten zur Wahrheitstheorie ein wichtige Rolle, insbesondere seine so genannte T-Konvention (Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen, 1935). 12 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Saul Kripke (1940 – ) Kripke entwickelte u.a. die so genannte “mögliche Welten Semantik” für nicht-klassische Logiken. 13 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Nur Männer? Helena Rasiowa (1917 – 1994) Larisa Maksimova (1943 – ) Siehe http://loriweb.org/women-in-philosophy-of-logic-and-philosophical-logic/ 14 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Was ist Logik? Eine nicht unkontroverse Antwort: Die Logik ist die Theorie des korrekten Denkens. Die korrekte, unkontroverse Antwort: Die Logik ist die Theorie der gültigen Schlussfolgerungen. Die Frage, worum es in der Logik geht, zerfällt damit in zwei Teilfragen: Was ist eine Schlussfolgerung? Wann ist eine Schlussfolgerung gültig? 15 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Logik versus Logiken Wird von Logiken (im Plural) oder einer Logik im Gegensatz zu der Logik gesprochen, dann sind in der Regel Logiksysteme gemeint. Ein logisches System ist aufgebaut aus einer formalen Sprache, einer Klasse von Situationen (Modellen, Strukturen), und einem Beweissystem. Eine Sprache umfasst eine Menge von Ausdrücken. Modelle sind Ausschnitte der Realität oder Repräsentationen von Ausschnitten der Realität, und ein Beweissystem ist eine Menge von Regeln, deren input und output Ausdrücke oder Ansammlungen von Ausdrücken bestimmter Art sind. Wird von der Logik (im Singular) gesprochen, dann ist die Disziplin gemeint. 16 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Logik als interdisziplinäre Theorie ' $ Informatik ' Mathematik & ' $ Logik $ Philosophie & % % Linguistik & % Abbildung: Die Logik als Teilsdisziplin anderer Disziplinen. 17 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Teilgebiete der Logik, klassische Logik Die Logik zerfällt in verschiedene Teilgebiete: algebraische Logik Mengenlehre Rekursionstheorie Modelltheorie Beweistheorie. Klassische versus nicht-klassische Logik. In der klassischen Logik werden Annahmen zugrunde gelegt, die plausibel und unproblematisch sind für Schlussfolgerungen in der üblichen Mathematik und vielen anderen Bereichen der Wissenschaft. Zu diesen Grundannahmen gehört z.B. die Annahme, dass jeder Behauptungssatz entweder wahr oder falsch ist (aber nicht beides). In der nicht-klassischen Logik werden einige dieser Annahmen aufgegeben. 18 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Aussagenlogik versus Prädikatenlogik In der Aussagenlogik werden Schlussfolgerungen untersucht, die, wenn sie gültig sind, gültig sind allein aufgrund der Bedeutung von Aussageverknüpfungen. Aussageverknüpfungen (Junktoren) sind Ausdrücke, die Behauptungssätze miteinander verbinden, wie: “und”, “oder”, “falls”, “es ist nicht der Fall, dass”. Die in der Aussagenlogik untersuchten Sprachen heißen aussagenlogische Sprachen. In diesen formalen Sprachen sind Sätze, die keine Junktoren enthalten, intern nicht weiter strukturiert. Die Sätze ohne Junktoren bilden die kleinsten, atomaren Bestandteile komplexer Sätze, die unter Verwendung von Junktoren aufgebaut werden. 19 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Aussagenlogik versus Prädikatenlogik Die Betrachtung aussagenlogischer Sprachen ist dadurch gerechtfertigt, dass viele Schlussfolgerungen gültig sind ausschließlich aufgrund der Bedeutung von Junktoren. Es gibt Schlussfolgerungen, die, wenn sie gültig sind, nicht gültig sind allein aufgrund der Bedeutung von Junktoren, sondern auch aufgrund der Bedeutung von Ausdrücken anderen syntaktischen Typs. Eine besonders wichtige Rolle spielen Ausdrücke, die in einem sehr allgemeinen Sinne quantitative Angaben machen, wie z.B. die Ausdrücke “alle”, “einige”, “keiner” usw. Derartige Ausdrücke heißen Quantoren. 20 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Aussagenlogik versus Prädikatenlogik Beispiele Maria ist eine Professorin und Peter ist ein Student. Also: Peter ist ein Student. Alle Studenten sind aufmerksam. Peter ist ein Student. Also: Peter ist aufmerksam. 21 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Aussagenlogik versus Prädikatenlogik Beispiele Maria ist eine Professorin und Peter ist ein Musiker. Also: Peter ist ein Musiker. Alle Studenten sind aufmerksam. Max ist ein Student. Also: Max ist aufmerksam. 22 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Aussagenlogik versus Prädikatenlogik Beispiele Maria ist eine Professorin und Peter ist ein Musiker. Also: Peter ist ein Musiker. Alle Studenten sind intelligent. Max ist ein Student. Also: Max ist intelligent. 23 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Aussagenlogik versus Prädikatenlogik Die Sprachen der Prädikatenlogik sind formale Sprachen, in denen Sätze ohne Junktoren eine interne Struktur besitzen. Neben Junktoren enthalten prädikatenlogische Sprachen auch Quantoren, Namen für Gegenstände (sogenannte Individuenkonstanten), und Ausdrücke die Eigenschaften von oder Beziehungen zwischen Gegenständen bezeichen (sogenannte Prädikatsymbole). Die Aussagenlogik kann daher als eine Teildisziplin der Prädikatenlogik verstanden werden. Die Bezeichnung “Prädikatenlogik” verdankt sich der Verwendung von Prädikatausdrücken. Prädikatsymbole werden häufig auch kurz “Prädikate” genannt. 24 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Abweichungen von der klassischen Logik Das Gebiet der Logik kann aber auch auf andere Weise in Teildisziplinen gegliedert werden. Einteilungskriterien bilden dabei Hinsichten, in denen logische Systeme sich von der klassischen Logik unterscheiden. Wir können differenzieren zwischen Erweiterungen, Modifikationen, Verallgemeinerungen und Teilsystemen der klassischen Logik. 25 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Erweiterungen: Modallogiken, Zeitlogiken, epistemische Logiken, Handlungslogiken, dynamische Logiken 6 Modifikationen: mehrwertige Logiken, freie Logiken, parakonsistente Logiken klassische Aussagen- und Prädikatenlogik - Verallgemeinerungen: höherstufige Logiken, infinitäre Logiken ? Teilsysteme: intuitionistische Logik, substrukturelle Logiken, intermediäre Logiken Abbildung: Abweichungen von der klassischen Logik. 26 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Schlussfolgerungen Eine Schlussfolgerung ist ein abstraktes Gebilde und besteht aus (a) (b) (c) einer Menge von Annahmen (Prämissen) einem Ableitungszeichen einer Konklusion ∆ A (in linearer Notation: ∆/A) 27 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Schlussfolgerungen Beispiele: (1) {Peter lacht oder Marie lacht. Peter lacht nicht.} Marie lacht. (2) Wenn Peter gewinnt, dann freut sich Marie. Wenn Marie sich freut, dann freut sich Hans. Wenn Peter gewinnt, dann freut sich Hans. (3) ∅ Wenn Peter gewinnt, dann freut sich Hans. “∅” ist eine Bezeichnung für die leere Menge. Prämissenmengen dürfen unendlich oder auch leer sein. Die Anordnung der Prämissen spielt keine Rolle. 28 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Gültige Schlussfolgerungen Definition Eine Schlussfolgerung ∆/A ist gültig (symbolisch: ∆ |= A) genau dann, wenn gilt: immer wenn alle Prämissen in ∆ wahr sind, dann ist auch die Konklusion wahr. (Informelle Erklärung einer gültigen Schlussfolgerung) Ein Gegenbeispiel für ∆/A ist eine (mögliche) Situation, in der alle Prämissen in ∆ wahr sind (d.h., in der keine der Prämissen falsch ist), in der die Konklusion aber falsch ist. Eine Schlussfolgerung ∆/A ist ungültig (symbolisch: ∆ 6|= A) genau dann, wenn ein Gegenbeispiel für ∆/A existiert. 29 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Schlussfolgerungen Beispiele: (4) Bochum ist die Hauptstadt von Norwegen. Wenn Bochum die Hauptstadt von Norwegen ist, dann spielt Marie Piano. Marie spielt Piano. Gültige Schlussfolgerung. (5) Bochum ist die Hauptstadt von Norwegen. Wenn Bochum die Hauptstadt von Norwegen ist, dann ist Paris die Hauptstadt von Sachsen. Paris ist die Hauptstadt von Sachsen. Gültige Schlussfolgerung. 30 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Schlussfolgerungen (6) Marie spielt Piano oder Peter spielt Piano. Marie spielt Piano. Ungültige Schlussfolgerung. Gegenbeispiel: Eine Situation, in der Marie nicht Piano spielt und Peter Piano spielt. Besser: Eine Situation, in der eine Person namens Marie nicht das macht, was als Piano Spielen bezeichnet wird, während eine Person namens Peter das macht, was als Piano Spielen bezeichnet wird. (7) Wenn Peter Marie liebt, dann liebt Hans Sabine. Wenn Peter Marie nicht liebt, dann liebt Hans Sabine nicht. Ungültige Schlussfolgerung. Gegenbeispiel: Eine Situation, in der Peter Marie nicht liebt und Hans Sabine liebt. 31 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Schlussfolgerungen (8) Alle F sind G . Alle H sind G . Alle H sind F . Ungültige Schlussfolgerung. Gegenbeispiel: Eine Situation, in der einige H keine F sind, aber jedes F und auch jedes H ein G ist. (9) Jedes F ist ein G . Es gibt ein F . Einige G sind keine H. Einige F sind H. Ungültige Schlussfolgerung. Gegenbeispiel: Eine Situation, in der es ein F gibt, jedes F ein G ist, einige G keine H sind und in der es kein F gibt, das ein H ist. 32 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Schlussfolgerungen (10) Alle F sind G . Alle G sind H. Einige F sind H. Ungültige Schlussfolgerung. Gegenbeispiel: Eine Situation, in der es kein F gibt, aber jedes G ein H ist. In dieser Situation ist die erste Prämisse wahr, weil sie soviel besagt wie “Es gibt kein F , das nicht ein G ist.” 33 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Schlussfolgerungen Richard Feldman, Voluntary Belief and Epistemic Evaluation, in: M. Steup (ed.), Knowledge, Truth, and Duty, Oxford UP, 2001, p. 79: The Voluntarism Argument People do not have voluntary control over their beliefs. If deontological judgements about beliefs are sometimes true, then people have voluntary control over their beliefs. Deontological judgements about beliefs are not sometimes true. nicht p wenn q, dann p nicht q 34 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Situationen Sind Prämissen und Konklusionen einfach nur wahr oder falsch oder vielleicht immer nur wahr oder falsch in Situationen ? Was bedeutet es, dass eine Prämisse oder Konklusion wahr bzw. falsch ist in einer Situation? Was ist eine Situation? Während Konklusionen und Prämissen abstrakte Entitäten sind, gibt es sowohl abstrakte Situationen, als auch konkrete Situationen, die von konkreten, sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen in Raum und Zeit ‘bevölkert’ werden. 35 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Situationen Beispiele: ({Peter, Walter, Marie}, raucht, liebt, ist Ehemann von) (N, <) ({Peter, Walter, Marie},f ), wobei f eine Funktion ist, die den vorhandenen Individuen ihren bevorzugten Tennispartner zuordnet, z.B. Peter 7→ Marie, Marie 7→ Peter, Walter 7→ Marie. Bestanddteile der ersten Struktur sind nicht die Wörter “raucht”, “liebt” und “ist Ehemann von”, sondern die Eigenschaft zu rauchen, die Beziehung, die zwischen zwei Individuen besteht, wenn sie einander lieben, und die Beziehung, die zwischen zwei Individuen besteht, wenn das eine der Ehemann des anderen ist. Der Satz “Zu jeder Zahl existiert eine kleinere” ist falsch in (N, <) aber wahr in (Z, <). 36 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Situationen Definition Ein aussagenlogisches Modell ist eine Funktion v , die jedem nicht weiter zerlegbaren Aussagesatz einer gegebenen Sprache genau einen der Werte “wahr” (W) oder “falsch”(F) zuordnet. Wenn das Modell M ein aussagenlogisches Modell v ist, dann ist ein nicht weiter zerlegbarer Aussagesatz p wahr in M genau dann, wenn v (p) = W. Angenommen, Peter liebt Marie. Dieser Ausschnitt der Welt kann repräsentiert werden durch das Modell v , das dem Satz “Peter liebt Marie” den Wert W zuordnet. Der Satz wird in v als wahr interpretiert . 37 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Gültige Schlussfolgerungen Definition (Gültige Schlussfolgerung) Sei K eine nicht-leere Klasse von Modellen (für die betrachtete Sprache). ∆/A ist gültig bezüglich K genau dann, wenn für jedes Modell M ∈ K gilt: Wenn jede Prämisse aus ∆ wahr ist in M, dann ist A wahr in M. ∆/A heißt logisch gültig (symbolisch ∆ |= A) genau dann, wenn ∆/A gültig ist bezüglich der Klasse aller Modelle (der betrachteten Sprache). 38 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Idee der realistischen, modelltheoretischen Semantik Welt Repräsentation (Modelle repräsentieren Ausschnitte der Welt) Modelle Interpretation (Sprachliche Ausdrücke werden in Modellen interpretiert) sprachliche Ausdrücke 39 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Interpretation durch Übersetzung Modelle Interpretation (Sprachliche Ausdrücke werden in Modellen interpretiert) Ausdrücke einer formalen Sprache Übersetzung (Ausdrücke einer natürlichen Sprache werden in Audrücke einer formalen Sprache übersetzt) Ausdrücke einer natürlichen Sprache 40 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? (i) Formale Sprachen sind besonders übersichtlich. Sie können verwendet werden, um die aussagen- und die prädikatenlogische Struktur komplexer Behauptungssätze und damit auch komplexer Prämissen und Konklusionen deutlich zu machen. Beispiele: (11) Wenn Peter gewählt wird, dann ärgert sich Sybill oder Max tritt zurück, und wenn Max zurücktritt, dann freut sich Hans. Wenn Peter gewählt wird, dann freut sich Hans oder Sybill ärgert sich. 41 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? (12) Wenn Peru in den Anden liegt, dann ärgert sich Sybill oder Max tritt zurück, und wenn Max zurücktritt, dann freut sich Hans. Wenn Peru in den Anden liegt, dann freut sich Hans oder Sybill ärgert sich. “Peter wird gewählt.” “Sybill ärgert sich.” “Max tritt zurück.” “Hans freut sich.” 7→ 7 → 7 → 7 → p s m h Wenn p, dann s oder m, und wenn m, dann h. Wenn p, dann h oder s. 42 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? “wenn ..., dann “...und−−− ” “...oder−−− ” −−− ” 7→ 7 → 7 → ⊃ (→) ∧ ∨ ((p ⊃ (s ∨ m)) ∧ (m ⊃ h)) (p ⊃ (h ∨ s)) Gültige Schlussfolgerung 43 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? (ii.) Formale Sprachen sind syntaktisch (strukturell) eindeutig, natürliche Sprachen nicht. Beispiele: “Flying planes can be dangerous.” (N. Chomsky) Zwei Lesarten: (a) Fliegende Flugzeuge können gefährlich sein. (b) Flugzeuge zu fliegen kann gefährlich sein. “die Kritik der reinen Vernunft” (I. Kant) Zwei Lesarten: (a) die Kritik, die von der reinen Vernunft geübt wird (b) die Kritik, die an der reinen Vernunft geübt wird 44 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? (13) Wenn Arthur nicht weint und Sherry trinkt, dann ist er glücklich. Es existieren drei Lesarten: (a) Wenn Arthur nicht sowohl weint als auch Sherry trinkt, dann ist Arthur glücklich. (b) Wenn Arthur nicht weint aber Sherry trinkt, dann ist Arthur glücklich. (c) Wenn Arthur sowohl nicht weint als auch nicht Sherry trinkt, dann ist Arthur glücklich. 45 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? Formalisierung liefert: “Arthur weint.” “Arthur trinkt Sherry.” “Arthur ist glücklich.” “wenn ..., dann “... und−−− ” “nicht ...” (a)∗ (b)∗ (c)∗ −−− ” 7→ 7→ 7→ w s g 7→ 7→ 7→ ⊃ ∧ ¬ (¬(w ∧ s) ⊃ g ) ((¬w ∧ s) ⊃ g ) ((¬w ∧ ¬s) ⊃ g ) 46 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? Wird (13) gelesen als (b)∗ (((¬w ∧ s) ⊃ g )), dann ist die Schlussfolgerung ¬w s (13) g gültig (bezüglich der Klasse aller aussagenlogischen Modelle, d.h. aller Zuordnungen von Wahrheitswerten zu den Symbolen “w”, “s”, und “g”). Wird (13) aber verstanden als (c)∗ (((¬w ∧ ¬s) ⊃ g )), dann ist die Schlussfolgerung ungültig. 47 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? Nota bene: Die Verwender natürlicher Sprachen sind nicht zur syntaktischen Mehrdeutigkeit verurteilt. Syntaktisch mehrdeutige Sätze können dadurch desambiguiert werden, dass mögliche Lesarten durch natürlichsprachliche Formulierungen auseinander gehalten werden. (iii) In formalen Sprachen wird von bestimmten syntaktischen Phänomenen natürlicher Sprachen abstrahiert, die für die Gültigkeit oder Ungültigkeit von Schlussfolgerungen keine Rolle spielen. Beispiel: Die Nebensatzstellung im Deutschen. (iv) Durch die Verwendung einer formalen Sprache können wir uns auf bestimmte Aspekte der Bedeutung/Verwendung natürlichsprachlicher Junktoren (aber auch Quantoren) beschränken. 48 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? Z.B. sind natürlichsprachliche “und”-Verknüpfungen nicht immer kommutativ: Die Sätze “Peter stiehlt 100.000 Euro und kommt ins Gefängnis.” und “Peter kommt ins Gefängnis und stiehlt 100.000 Euro.” haben unterschiedliche Wahrheitsbedingungen, d.h. sind nicht in denselben Situationen wahr oder falsch. Wir werden festlegen, dass eine “und”-Verknüpfung A ∧ B wahr ist in einem Modell M genau dann, wenn A wahr ist in M und B wahr ist in M. Damit haben A ∧ B und B ∧ A dieselben Wahrheitsbedingungen. Wir werden auch eine Normierung der Bedeutung des “wenn..., dann−−− ” und des “...oder−−− ” vornehmen. 49 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? (v) Durch die Verwendung einer formalen Sprache können wir eine natürliche Sprache als sogenannte Metasprache gebrauchen, um über die formale Sprache als sogenannte Objektsprache zu sprechen. Beispiel: Amsterdam besteht aus neun Buchstaben. “ Amsterdam |{z} | {z } ” | besteht aus neun {z Buchstaben.} Metaspr. Objektsprache Metasprache Wenn eine Sprache reichhaltig genug ist, Aussagen nicht nur über ihre eigene Syntax, sondern auch über die Bedeutung ihrer Ausdücke zu bilden, führt dies zu semantischen Paradoxien. Der Satz: “Dieser Satz ist falsch” z.B. ist falsch, wenn angenommen wird, dass er wahr ist, und er ist wahr, wenn angenommen wird, dass er falsch ist. Beides zusammen liefert einen Widerspruch. 50 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? (vi) Die Sprache der Prädikatenlogik spielt die eine zentrale Rolle in den symbolischen Wissenschaften, z.B. Mathematik Informatik formale Linguistik KI (Künstliche Intelligenzforschung) formale Philosophie Wenn in diesen Wissenschaften eine Fragestellung eindeutig formuliert werden soll, dann wird sie in der Regel unter Rückgriff (u.a.) auf die sprachlichen Mittel der Prädkatenlogik formuliert. Wie wir sehen werden, ist die Sprache der Prädikatenlogik eine Sprachenfamilie, deren Mitglieder allerdings über dasselbe Inventar an Junktoren und Quantoren verfügen und sich lediglich hinsichtlich des nicht-logischen, ‘deskriptiven’ Vokabulars unterscheiden. 51 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Wozu formale Sprachen? (vii) Ausdrücke formaler Sprachen gehören zu genau einem syntaktischen Typ. Gegenbeispiel für natürliche Sprachen: “Peter spricht gelegentlich laut und deutlich.” “Peter spricht gelegentlich laut und Peter spricht gelegentlich deutlich.” (viii) Es existiert kein Beweissystem für (komplette) natürliche Sprachen. 52 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von Beweissystemen Ein Beweissystem ist eine Menge von schematischen Regeln, die Ableitungsregeln genannt werden. Anwendungen von Ableitungsregeln heißen Ableitungsschritte, und Ergebnisse der Anwendung von Ableitungsregeln werden Ableitungen genannt. Jeder Ableitung entspricht eine Schlussfolgerung. Beispiel: Drei Ableitungsregeln, wobei A, B und C schematische Buchstaben für Aussagesätze sind: ∅ ((A ⊃ B) ⊃ ((C ⊃ A) ⊃ (C ⊃ B))) ∅ (B ⊃ (A ⊃ B)) A, (A ⊃ B) B 53 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von Beweissystemen ∅ ((A ⊃ B) ⊃ ((C ⊃ A) ⊃ (C ⊃ B))) ∅ (B ⊃ (A ⊃ B)) A, (A ⊃ B) B In diesem Ableitungssystem ist ((C ⊃ B) ⊃ (C ⊃ (A ⊃ B))) aus der leeren Menge ableitbar: ∅ ∅ (B ⊃ (A ⊃ B)) ((B ⊃ (A ⊃ B)) ⊃ ((C ⊃ B) ⊃ (C ⊃ (A ⊃ B)))) ((C ⊃ B) ⊃ (C ⊃ (A ⊃ B))) 54 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von Beweissystemen Bedingungen an Ableitungen in einem Beweissystem: Jede Ableitung muss endlich sein. Jeder Ableitungsschritt muss effektiv (in endlicher Zeit) auf Korrektheit hin überprüfbar sein, d.h., darauf hin, ob es sich tatsächlich um die Anwendung einer Ableitungsregel handelt. Es muss möglich sein, die Prämissenmenge (den Ausgangspunkt der Ableitung) und die Konklusion (den Endpunkt) der Ableitung effektiv feststellen zu können. Definition Sei S ein Beweissystem. Die Ableitung ∆/A ist korrekt bezüglich S genau dann, wenn A in S aus ∆ ableitbar ist. 55 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von Beweissystemen Definition Sei K eine nicht-leere Klasse von Modellen. Ein Beweissystem S heißt korrekt bezüglich K genau dann, wenn jede bezüglich S korrekte Schlussfolgerung gültig ist bezüglich K. Definition Sei K eine nicht-leere Klasse von Modellen. Ein Beweissystem S heißt vollständig bezüglich K genau dann, wenn jede bezüglich K gültige Schlussfolgerung korrekt ist bezüglich S. 56 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von Beweissystemen Sei S ein bezüglich der (nicht-leeren) Modellklasse K korrektes Beweissystem. Dann gilt: eine Ableitung von A aus ∆ in S zeigt, dass ∆/A gültig ist bezüglich K; ein Gegenbeispiel zu ∆/A aus K zeigt, dass keine Ableitung von A aus ∆ in S existiert. Sei S bezüglich K vollständig. Dann gilt: für jede bezüglich K gültige Schlussfolgerung ∆/A existiert eine Ableitung von A aus ∆ in S. 57 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Sprache Q Q Q Q Alphabet Q Syntax Semantik Definition Das Alphabet der Sprache der klassischen Aussagenlogik besteht aus abzählbar unendlich vielen Aussagebuchstaben p0 , p1 , p2 , . . . , den Junktoren genannten Symbolen ¬, ∧, ∨, ⊃, ≡, den Hilfssymbolen “(”, “)”. 58 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Variationen dieser Sprache ergeben sich dadurch, dass andere Aussagebuchstaben oder eine andere Menge von Junktoren verwendet wird. Die Menge der aussagenlogischen Formeln ist unendlich und wird induktiv definiert. Eine induktive Definition besteht aus drei Teilen: (1) einem Basisschritt, in dem bestimmte Dinge zu Objekten einer gewünschten Sorte erklärt werden, (2) einem oder mehreren Aufbauschritten, die Konstruktionsprinzipien beschreiben, um aus gegebenen Objekten weitere zu konstruieren, (3) einer Abschlussbedingung, die besagt, dass alles was nicht in endlichen Schritten, mit Hilfe von (1) und (2) gebildet werden kann, kein Objekt der gewünschten Art ist. 59 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Definition Die Menge der aussagenlogischen Formeln ist wie folgt induktiv definiert: Jeder Aussagebuchstabe ist eine Formel. Wenn A eine Formel ist, dann ist auch ¬A eine Formel. Wenn A und B Formeln sind, dann sind auch (A ∧ B), (A ∨ B), (A ⊃ B), (A ≡ B) Formeln. Nichts anderes ist eine Formel. Wir verwenden Kleinbuchstaben p, q, r , s, t, u als Variablen für Aussagenbuchstaben und Großbuchstaben A, B, C , D, E , F als Variablen für Formeln. 60 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Aussagenlogische Formeln Formel ¬A (A ∧ B) (A ∨ B) (A ⊃ B) (A ≡ B) Aussprache Formelname nicht A A und B A oder B wenn A, dann B A genau dann, wenn B Negation Konjunktion Disjunktion Implikation syntaktischer Typ der Aussagenverknüpfung einstelliger Junktor zweistelliger Junktor zweistelliger Junktor zweistelliger Junktor Äquivalenz zweistelliger Junktor Beispiele: ¬p1 , (p1 ∧ p2 ) und (p2 ⊃ ¬p0 ) sind Formeln. 61 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Welche der folgenden Symbole sind Formeln? • (¬(p2 ⊃ p3 )) keine aussagenlogische Formel • (p1 ⊃ (p1 ⊃ p0 )) Formel • (p1 ∧ p1 ∨ p0 )) keine Formel • (⊃ p1 ∧ p4 ) keine Formel • (p0 ∧ p0 ) ⊃ p1 keine Formel Konvention: Äußere Klammern von Formeln können weggelassen werden. Also ist z.B. auch A ∧ B eine Formel, falls A und B Formeln sind. 62 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Einschub: Einige mengentheoretische Begriffe Elementbeziehung a ∈ X (a ist Element von Menge X ) a 6∈ X (a ist nicht Element von X ) Mengenschreibweise {a1 , a2 , a3 , . . . , an } endliche Mengen {a ∈ X | a hat Eigenschaft E } endliche und unendliche Mengen die Menge derjenigen Elemente von X , die die Eigenschaft E haben Teilmengenbeziehung X ⊆ Y (X ist Teilmenge von Y ) X ⊆ Y genau dann, wenn jedes Element von X auch Element von Y ist. Schnittmengenoperation X ∩ Y (der Durchschnitt von X und Y ) X ∩ Y = {a | a ∈ X und a ∈ Y } 63 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Einschub: Einige mengentheoretische Begriffe Vereinigungsmengenoperation X ∪ Y (die Vereinigung von X und Y ) X ∪ Y = {a | a ∈ X oder a ∈ Y } relatives Komplement X \Y {a ∈ X | a 6∈ Y } Cartesisches Produkt X ×Y die Menge der geordneten Paare (a, b) mit a ∈ X und b ∈ Y {(a, b) | a ∈ X , b ∈ Y } n-faches Cartesisches Produkt Xn die Menge der n-Folgen von Elementen aus X {(a1 , . . . , an ) | ai ∈ X , 1 ≤ i ≤ n} 64 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Einschub: Einige mengentheoretische Begriffe Potenzmengenoperation P(X ) (Menge aller Teilmengen von X ) P(X ) = {Y | Y ⊆ X } immer: ∅ ∈ P(X ) und X ∈ P(X ) Beispiele: {1, 2, 3} = {3, 1, 2}, N = {a ∈ Z | a > 0} N ⊆ Z. N ∪ Z = Z, N ∩ Q = N {a ∈ N | a < 3} ∩ {a ∈ Z | a > −3} = {1, 2} N \ {a ∈ N | a ≥ 5} = {1, 2, 3, 4} {(1, 2, 3)} = 6 {(3, 1, 2)} Extensionale Mengenauffassung: die Mengen X und Y sind identisch genau dann, wenn sie dieselben Elemente haben, d.h., X = Y genau dann, wenn gilt: X ⊆ Y und Y ⊆ X . 65 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Einschub: Einige mengentheoretische Begriffe Relationen R ⊆X ×Y Eine zweistellige Relation R zwischen (Elementen aus) X und (Elementen aus) Y ist eine Teilmenge von X × Y , d.h. eine Menge von Paaren, deren erste Komponente ein Element von X und deren zweite Komponente ein Element von Y ist. R ⊆ X × X ist eine zweistellige Relation über X . R ⊆ X n ist eine n-stellige Relation über X . Funktionen f ⊆ X × Y , wobei für jedes a ∈ X genau ein b ∈ Y existiert mit (a, b) ∈ f . D.h., eine zweistellige Funktion f von X nach Y ist eine zweistellige Relation zwischen X und Y , die eine bestimmte Eigenschaft hat, nämlich für jedes a aus X existiert genau ein b aus Y mit (a, b) ∈ X × Y . 66 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Einschub: Einige mengentheoretische Begriffe Wenn R ⊆ X × Y , dann heißt X der Vorbereich und Y der Nachbereich von R. Wenn f eine Funktion von X nach Y ist, dann wird X als der Definitionsbereich und Y als der Wertebereich von f bezeichnet. Funktionen können einige interessante und wichtige Eigenschaften haben. Eine Funktion f heißt injektiv (oder 1-1) genau dann, wenn voneinander verschiedene Elemente des Definitionsbereichs auf voneinander verschiedene Elemente des Wertebereichs abgebildet werden: Wenn a, b ∈ X und a 6= b, dann gilt f (a) 6= f (b). Eine Funktion f heißt surjektiv (im Englischen “onto”) genau dann, wenn für jedes Element b des Wertebereichs ein Element a des Definitionsbereichs existiert, so dass b = f (a). Und schließlich heißt eine Funktion f bijektiv genau dann, wenn f sowohl injektiv, als auch surjektiv ist. 67 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Einschub: Einige mengentheoretische Begriffe f -r r r -r 1 r Die Funktion f ist surjektiv aber nicht injektiv. g -r r rP P r PP q r P Die Funktion g ist injektiv aber nicht surjektiv. 68 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Einschub: Einige mengentheoretische Begriffe h -r r r -r 1 r r Die Funktion h ist weder surjektiv noch injektiv. 0 h -r r rP r PP 1 P q r P r Die Funktion h0 ist bijektiv. 69 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Definition (Alternative Definition der Menge der aussagenlogischen Formeln) Die Menge der aussagenlogischen Formeln ist die kleinste Menge Γ, so dass (1) jeder Aussagebuchstabe zu Γ gehört, (2) wenn A ∈ Γ, dann ¬A ∈ Γ, (3) wenn A und B ∈ Γ, dann auch (A ∧ B), (A ∨ B), (A ⊃ B), (A ≡ B) ∈ Γ. Wozu ist die induktive Definition der Menge der aussagenlogischen Formeln gut? 70 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Behauptung Sei E (A) eine Abkürzung für “Formel A hat Eigenschaft E ”. Jede Formel hat die Eigenschaft E , genau dann, wenn (i) jeder Aussagebuchstabe die Eigenschaft E hat, (ii) wenn E (A), dann E (¬A), (iii) wenn E (A) und E (B), dann E (A ∧ B), E (A ∨ B), E (A ⊃ B) und E (A ≡ B). Beweis. Sei Form die Menge aller aussagenlogischen Formeln und sei ∆ = {A ∈ Form | E (A)}. Dann ist offensichtlich ∆ ⊆ Form. Aber wenn (i), (ii) und (iii) erfüllt sind, dann erfüllt ∆ die Bedingungen (1), (2) und (3) in der alternativen Definition von Form. Da Form die kleinste Menge ist, die (1)–(3) erfüllt, ist Form ⊆ ∆, und damit ∆ = Form. q.e.d. 71 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Behauptung Jede aussagenlogische Formel hat eine gerade Anzahl von Klammern. Beweis. Mit Induktion über den Aufbau der Formel A. Basisschritt: Sei A ein Aussagebuchstabe. Dann ist die Anzahl der Klammern von A gleich Null und Null ist eine gerade Zahl. Aufbauschritte: Sei A eine Formel der Form ¬B und B habe eine gerade Anzahl von Klammern. Dann ist die Anzahl der Klammern von A gleich der Anzahl der Klammern von B, also gerade. Sei A eine Formel der Form (B ∧ C ) und B und C haben jeweils eine gerade Anzahl von Klammern (m und n). A hat dann 2 + m + n Klammern, also eine gerade Anzahl von Klammern. A = (B ∨ C ), A = (B ⊃ C ), A = (B ≡ C ): Analog. q.e.d. 72 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Aussagenlogik Definition Die Menge der Teilformeln TF (A) einer aussagenlogischen Formel A ist wie folgt induktiv definiert: (i) TF (p) = {p} für Aussagebuchstaben p; (ii) TF (¬A) = TF (A) ∪ {¬A}; (iii) TF (A # B) = TF (A) ∪ TF (B) ∪ {(A # B)}, mit # ∈ {∧, ∨, ⊃, ≡}. 73 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik Semantische Grundannahmen der klassischen Aussagenlogik Zweiwertigkeitsprinzip (Bivalenzprizip): Jede Formel hat genau einen der Wahrheitswerte (“wahr” oder “falsch”) in einem Modell. (a) tertium non datur: Jede Formel hat mindestens einen der Wahrheitswerte (“wahr” oder “falsch”). (b) Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch: Jede Formel hat höchstens einen der Wahrheitswerte (“wahr” oder “falsch”). Extensionalitätsprinzip (Kompositionalitätsprinzip): Der Wahrheitswert einer zusammengesetzten Formel hängt eindeutig und ausschießlich ab von den Wahrheitswerten der Teilformeln. 74 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik Definition Sei v ein aussagenlogisches Modell. Der Wert einer Formel A unter der Funktion v (symbolisch V (A)) ist wie folgt induktiv definiert: V (p) = V (A ∧ B) = V (A ∨ B) = V (A ⊃ B) = V (A ≡ B) = V (¬A) = v (p) W F F W F W W F W F falls V (A) = V (B) =W sonst falls V (A) = V (B) = F sonst falls V (A) = W und V (B) = F sonst falls V (A) = V (B) sonst falls V (A) = F sonst 75 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik Definition Eine aussagenlogische Formel A ist wahr in M (= v ), (symbolisch M |= A) genau dann, wenn V (A) = W . Dann heißt A auch wahr unter der Belegung v . Wahrheitstabellen A W W F F B W F W F (A ∧ B) W F F F Konjunktion A W W F F B W F W F (A ∨ B) W W W F Disjunktion 76 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik A W W F F B W F W F Implikation A W F (A ⊃ B) W F W W A W W F F B W F W F (A ≡ B) W F F W Äquivalenz ¬A F W Negation 77 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik Wenn eine aussagenlogische Formel n verschiedene Aussagebuchstaben enthält, dann hat die Wahrheitstabelle für diese Formel 2n Zeilen. Bemerkungen Einschließendes “oder”: Dieses Medikament hilft in Fällen von Kopfschmerz oder Unwohlsein. Ausschließendes “oder”: Die Begünstigung einer schweren Straftat kann mit Gefängnis bestraft werden oder mit einer Geldstrafe bis 10.000 EURO. 78 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik A W W F F B W F W F (A ⊃ B) W F W W Implikation: Wenn es regnet, dann ist die Straße nass. Wenn Berlin die Hauptstadt von Deutschland ist, dann liegt Berlin in Europa. Wenn Wasser nicht H2 O ist, dann ist Wasser nicht H2 O. Wenn Wasser nicht H2 O ist, dann ist Eisen kein Metall. Wenn es regnet und gleichzeitig nicht regnet, dann ist Eisen kein Metall. 79 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik p W F p W W F F p W W F F ¬ (p ⊃ p) F W F W q W F W F (p ⊃ q) W F W W q W F W F p ⊃ (q ⊃ p) W W W W W F W W ≡ (¬q ⊃ ¬p) W F W F W W F F W F W W W W W W 80 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Aussagenlogik p W W W W F F F F p W W W W F F F F q W W F F W W F F q W W F F W W F F r W F W F W F W F r W F W F W F W F (p ∧ q) W W F F F F F F (p ⊃ q) W W F F W W W W ∨ W W F W F W F W ¬r F W F W F W F W p W W W W F F F F q W W F F W W F F r W F W F W F W F ¬ (p ⊃ q) F W F W W F W F F W F W F W F W ⊃ r W W W F W W W W ⊃ ( (¬r ∨ p) ⊃ (r ⊃ q) ) W F W W W W W W W W W F W F F W W W W W W F F W W W W W W W W F F W F W W W W W 81 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Tautologien, Kontradiktionen und kontingente Formeln Definition Sei A eine aussagenlogische Formel. Ein aussagenlogisches Modell M (= v ) heißt Modell von A genau dann, wenn A wahr ist in M, d.h. V (A) = W , symbolisch M |= A. Definition Eine aussagenlogische Formel A heißt allgemeingültig (oder tautologisch), wenn für jedes aussagenlogisches Modell M gilt: M |= A. Eine aussagenlogische Formel A heißt kontradiktorisch, wenn für kein aussagenlogisches Modell M gilt: M |= A. Eine aussagenlogische Formel A heißt kontingent (neutral, faktisch), wenn A weder allgemeingültig noch kontradiktorisch ist. 82 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Logische Äquivalenz Definition Zwei aussagenlogische Formeln A und B heißen logisch äquivalent genau dann, wenn die Formel (A ≡ B) tautologisch ist. Beispiele: A und ¬¬A sind logisch äquivalent A W F (A ≡ ¬ ¬A) W W F W F W ¬A und ¬¬A sind nicht logisch äquivalent A W F (¬A ≡ ¬ ¬A) F F W F W F F W 83 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Logische Äquivalenz A ⊃ B und ¬B ⊃ ¬A sind logisch äquivalent A W W F F B W F W F (A ⊃ B) ≡ (¬B ⊃ ¬A) W W F W F F W W F F W W F W W W W W W W A ⊃ B und ¬A ∨ B sind logisch äquivalent A W W F F B W F W F (A ⊃ B) ≡ (¬A ∨ B) W W F W W F W F F F W W W W W W W W W F 84 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Logische Äquivalenz Die folgenden Bikonditionale sind tautologisch: DE MORGANsche Gesetze ¬(A ∧ B) ≡ (¬A ∨ ¬B) ¬(A ∨ B) ≡ (¬A ∧ ¬B) Distributivgesetze (A ∧ (B ∨ C )) ≡ ((A ∧ B) ∨ (A ∧ C )) (A ∨ (B ∧ C )) ≡ ((A ∨ B) ∧ (A ∨ C )) Assoziativgesetze (A ∧ (B ∧ C )) ≡ ((A ∧ B) ∧ C ) (A ∨ (B ∨ C )) ≡ ((A ∨ B) ∨ C ) Kommutativgesetze (A ∧ B) ≡ (B ∧ A) (A ∨ B) ≡ (B ∨ A) 85 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Terminologie und Notation Definition Wenn die Implikation (A ⊃ B) wahr ist, dann heißt A hinreichende Bedingung für B und B heißt notwendige Bedingung für A. Aufgrund der Assoziativgesetze, können wir verabreden, (A1 ∧ (A2 ∧ . . . (An−1 ∧ An ) . . .)) zu schreiben als A1 ∧ . . . ∧ An und (A1 ∨ (A2 ∨ . . . (An−1 ∨ An ) . . .)) zu schreiben als A1 ∨ . . . ∨ An Falls n = 1, dann ist A1 ∨ . . . ∨ An = A1 = A1 ∧ . . . ∧ An 86 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Disjunktive Normalform Existiert zu jeder aussagenlogischen Formel A eine logisch äquivalente Formel, die nur aus den Aussagebuchstaben aus TF (A), ¬, ∧ und ∨ aufgebaut ist? Definition Eine aussagenlogische Formel A befindet sich in disjunktiver Normalform genau dann, wenn A die folgende Gestalt hat: A1 ∨ . . . ∨ An , wobei jedes Ai entweder (i) ein Aussagebuchstabe oder ein negierter Aussagebuchstabe ist oder (ii) eine Konjunktion B1 ∧ · · · ∧ Bm von Aussagebuchstaben oder negierten Aussagebuchstaben ist. Die folgenden Formeln befinden sich in disjunktiver Normalform: p1 , ¬p2 , (p1 ∨ p2 ), (p1 ∧ (¬p3 ∧ p4 )), (¬p2 ∨ (p3 ∧ ¬p2 )) Die folgende Formel befindet sich nicht in disj. Normalform: (p1 ∧ (¬p3 ∨ p4 )) 87 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Disjunktive Normalform Definition (Alternative Definition von “befindet sich in disjunktiver Normalform”) Jeder Aussagebuchstabe ist eine Basiskonjunktion. Jeder negierte Aussagebuchst. ist eine Basiskonjunktion. Wenn A und B Basiskonjunktionen sind, dann ist auch (A ∧ B) eine Basiskonjunktion. Nur was aufgrund der genannten Bedingungen eine Basiskonjunktion ist, ist eine Basiskonjunktion. Jede Basiskonjunktion befindet sich in disj. Normalform. Wenn A und B sich in disj. Normalform befinden, dann befindet sich auch (A ∨ B) in disj. Normalform. Nur was sich aufgrund der genannten Bedingungen in disj. Normalform befindet, befindet sich in disj. Normalform. 88 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Disjunktive Normalform Eine Basiskonjunktion A ist maximal in einer Formel B in disj. Normalform genau dann, wenn gilt: A ist eine Teilformel von B aber keine Teilformel einer anderen Basiskonjunktion in B. Behauptung Wenn A eine aussagenlogische Formel ist, dann existiert eine Formel A∗ in disjunktiver Normalform, so dass A und A∗ logisch äquivalent sind. 89 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Disjunktive Normalform Beispiele: p W W W W F F F F q W W F F W W F F r W F W F W F W F (p ≡ q) ⊃ r W W W F F W F W F W F W W W W F ((p ∧ q) ∧ r ) ∨ ((p ∧ ¬q) ∧ r ) ∨ ((p ∧ ¬q) ∧ ¬r ) ∨ ((¬p ∧ q) ∧ r ) ∨ ((¬p ∧ q) ∧ ¬r ) ∨ ((¬p ∧ ¬q) ∧ r ) 90 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Disjunktive Normalform Existiert zu jeder aussagenlogischen Formel A genau eine logisch äquivalente Formel A∗ in disjunktiver Normalform? p W W F F q W F W F (p ⊃ q) (¬p ∨ q) W (p ∧ q)∨ F W F F F W (¬p ∧ q)∨ W W (¬p ∧ ¬q) W W W p W W F F q W F W F (p ∧ q) ∨ ((¬p ∧ q) ∨ (¬p ∧ ¬q)) W W F F F F F F F F F W W W F F W F W W p W W F F q W F W F 91 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Definition Sei ∆ eine endliche Menge von Junktoren. ∆ heißt funktional vollständig genau dann, wenn jede aussagenlogische Formel A logisch äquivalent ist zu einer Formel B, die allein Junktoren aus ∆ enthält. Die Menge {¬, ∧, ∨, ⊃, ≡} ist funktional vollständig, da sie alle Junktoren enthält, die in der Definition der Menge der aussagenlogischen Formeln erwähnt werden. 92 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Folgende Formeln sind Tautologien: 1. (A ≡ B) ≡ ((A ⊃ B) ∧ (B ⊃ A)) 2. (A ⊃ B) ≡ (¬A ∨ B) (A ≡ B) ≡ ((¬A ∨ B) ∧ (¬B ∨ A)) 3. (A ∧ B) ≡ ¬(¬A ∨ ¬B) (A ≡ B) ≡ ¬(¬(¬A ∨ B) ∨ ¬(¬B ∨ A)) 4. (A ∨ B) ≡ ¬(¬A ∧ ¬B) 5. (A ⊃ B) ≡ ¬(A ∧ ¬B) (A ≡ B) ≡ (¬(A ∧ ¬B) ∧ ¬(B ∧ ¬A)) 6. (A ∧ B) ≡ ¬(A ⊃ ¬B) 7. (A ∨ B) ≡ (¬A ⊃ B) (A ≡ B) ≡ ((A ⊃ B) ∧ (B ⊃ A)) ≡ ¬((A ⊃ B) ⊃ ¬(B ⊃ A)) 93 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Funktional vollständig sind: (a) {¬, ∧, ∨, ⊃} wegen 1. (b) {¬, ∧, ∨} wegen (a) und 2. (c) {¬, ∧, ⊃} wegen (a) und 7. (d) {¬, ∧} wegen (c) und 5. (e) {¬, ∨} wegen (d) und 3. (f) {¬, ⊃} wegen (d) und 6. (oder wegen (e) und 7.) (g) {¬, ∨, ⊃} wegen (f) 94 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Gibt es eine einelementige Junktorenmenge, die funktional vollständig ist? Wir wählen (A NOR B) als Abkürzung für (¬A ∧ ¬B). Die Menge { NOR } ist funktional vollständig. ¬A ≡ (A NOR A) (A ∧ B) ≡ ((A NOR A) NOR (B NOR B)) (A ∨ B) ≡ ((A NOR B) NOR (A NOR B)) (A ⊃ B) ≡ (((A NOR A) NOR B) NOR ((A NOR A) NOR B))) 95 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Ist es gerechtfertigt zu sagen, dass ∧ durch ¬ und ∨ definiert werden kann, da (A ∧ B) ≡ ¬(¬A ∨ ¬B) tautologisch ist? Definition Das Resultat der Ersetzung des Aussagebuchstabens p durch eine Formel A in der Formel B (symbolisch [A/p] B, lies: “A für p in B”) ist wie folgt induktiv definiert: (i) [A/p] p = A [A/p] q = q (ii) [A/p] ¬C = ¬[A/p] C (iii) [A/p] (C # D) = [A/p] C # [A/p] D (wobei # ∈ {∧, ∨, ⊃, ≡}) 96 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Satz (Ersetzbarkeitssatz) Wenn A und B zwei logisch äquivalente aussagenlogische Formeln sind, dann sind auch (A/p) C und (B/p) C logisch äquivalent. Beweis. Mit Induktion nach C . q.e.d. Ist jede Menge zweistelliger Junktoren funktional vollständig? Wir wollen zeigen, dass {⊃} nicht funktional vollständig ist. 97 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Lemma Jede aussagenlog. Formel A, die nur aus dem Aussagebuchstaben p und dem Junktor ⊃ (und Klammern) aufgebaut ist, ist logisch äquivalent mit p oder mit p ⊃ p. Beweis. Mit Induktion nach A. (i) A = p: Klar. (ii) A = (B ⊃ C ). Nach der Induktionshyp. gilt das Lemma für B und C , d.h. B und C sind logisch äquivalent mit p oder mit (p ⊃ p). Dann existieren vier Fälle: (a) (b) (c) (d) B B B C und C sind beide logisch äquivalent mit p. und C sind beide logisch äquivalent mit (p ⊃ p). ist logisch äquivalent mit p und C mit (p ⊃ p). ist logisch äquivalent mit p und B mit (p ⊃ p). Im Fall (a) ist (B ⊃ C ) logisch äquivalent mit p ⊃ p. Im Fall (b) ist (B ⊃ C ) logisch äquivalent mit (p ⊃ p) ⊃ (p ⊃ p) und damit logisch äquivalent mit p ⊃ p. Im Fall (c) ist (B ⊃ C ) logisch äquiv. mit p ⊃ (p ⊃ p) und damit logisch äquivalent mit p ⊃ p. Im Fall (d) ist (B ⊃ C ) logisch äquiv. mit (p ⊃ p) ⊃ p und damit logisch äquivalent mit p. q.e.d. 98 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Funktionale Vollständigkeit Behauptung {⊃} ist nicht funktional vollständig. Beweis. Wir zeigen, dass keine aussagenlogische Formel A, die ausschließlich aus Aussagebuchstaben und ⊃ aufgebaut ist, logisch äquivalent mit p ∧ ¬p ist. Angenommen, A ist ausschließlich aus Aussagebuchstaben und ⊃ aufgebaut und A ist logisch äquivalent mit (p ∧ ¬p). Sei A∗ das Resultat der Ersetzung aller Aussagebuchstaben in A durch p. Da A falsch ist in jedem Modell ist auch A∗ logisch äquivalent mit (p ∧ ¬p). Aber das ist ein Widerspruch zum vorherigen Lemma. q.e.d. 99 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Terminologie Definition Eine Abbildung von k-Folgen von Wahrheitswerten (k ∈ N) in die Menge {W,F} heißt k-stellige Wahrheitsfunktion. Beispiel: Wir definieren den Junktor ♥ durch die Festlegung: ♥(A, B, C , D) =def (A ∧ B) ⊃ (¬C ∧ D) Dieser Junktor bezeichnet eine vierstellige Wahrheitsfunktion. Gibt es 0-stellige Wahrheitsfunktionen? Eine Menge ∆ von Wahrheitsfunktionen heißt funktional vollständig, wenn jede Wahrheitsfunktion durch Elemente von ∆ definiert werden kann. 100 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Bendall Normalform Das Bestreiten ist ein Sprechakt, der ohne Verwendung der Negation ausgeführt werden kann. Es ist z.B. möglich, zu bestreiten, dass Josef Stalin ein weiser Staatsmann war, indem man den Satz “Josef Stalin war ein weiser Staatsmann” ironisch äußert oder behauptet, dass Josef Stalin der weiseste Staatsmann aller Zeiten war. Man könnte allerdings meinen, dass zu bestreiten, dass A, am besten zu analysieren und verstehen ist als das Behaupten der Negation von A. Wenn man dann weiterhin annimmt, dass das Wesen der Negation gerade darin besteht, den Sprechakt des Bestreitens unabhängig von Phänomenen wie der Ironie oder Eigenschaften eines Äußerungskontextes zu ermöglichen, dann ergibt sich ein Problem. Negationen können iteriert werden und innerhalb komplexer Sätze oder Formeln verwendet werden; Sprechakte können nicht derartig verschachtelt werden. 101 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Bendall Normalform Wenn behauptet werden soll, dass der Begriff des Bestreitens grundlegend ist für das Verständnis der Negation, dann wäre es gut, wenn für jeden Satz (jede Formel) A gelten würde, dass A logisch äquivalent ist zu einem Satz (einer Formel), in dem (der) das Negationssymbol wenn überhaupt nur einmal und als Hauptjunktor vorkommt. Für die klassische Logik gilt das. Definition Eine aussagenlogische Formel befindet sich in Bendall Normalform genau dann, wenn sie negationsfrei ist oder die Gestalt ¬B hat und B negationsfrei ist. 102 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Definition Seien B, C negations-freie aussagenlogische Formeln. Die ex-Negation exA einer aussagenlogischen Formel A ist wie folgt induktiv definiert. exB = B ex¬B = ¬B ex¬¬B = B ex(B ∧ ¬C ) = ¬(B ⊃ C ) ex(¬B ∧ C ) = ¬(C ⊃ B) ex(¬B ∧ ¬C ) = ¬(B ∨ C ) ex(B ∨ ¬C ) = (C ⊃ B) ex(¬B ∨ C ) = (B ⊃ C ) ex(¬B ∨ ¬C ) = ¬(B ∧ C ) ex(B ⊃ ¬C ) = ¬(B ∧ C ) ex(¬B ⊃ C ) = (B ∨ C ) ex(¬B ⊃ ¬C ) = (C ⊃ B) 103 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Bendall Normalform Mit Hilfe der Operation ex kann gezeigt werden, dass Lemma Jede aussagenlogische Formel A ist logisch äquivalent zu einer Formel der Gestalt B, ¬B oder ¬¬B, wobei B negationsfrei ist. Behauptung Jede aussagenlogische Formel ist logisch äquivalent zu einer Formel in Bendall Normalform. Beweis. Sei A eine aussagenlogische Formel. Mit dem vorhergehenden Lemma ist A logisch äquivalent zu einer Formel der Gestalt B, ¬B oder ¬¬B, wobei B negatiosnfrei ist. Die Formeln B und ¬B befinden sich in Bendall Normalform. Die Formel ¬¬B ist logisch äquivalent zu B. q.e.d. 104 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Ein einfaches semantisches Faktum Behauptung Sei A eine aussagenlogische Formel, sei at(A) die Menge der in A vorkommenden Aussagebuchstaben und seien v , v 0 aussagenlogische Modelle, so dass für alle p ∈ at(A) gilt: v (p) = v 0 (p). Dann ist V (A) = V 0 (A). Beweis. Mit Induktion nach A. Wir zeigen zunächst, dass die Behauptung gilt, falls A ein Aussagebuchstabe ist. Falls A eine zusammengesetzte Formel ist, zeigen wir, dass die Behauptung für A gilt unter der Annahme, dass die Behauptung bereits für Teilformeln von A gilt, die verschieden von A sind (Induktionsannahme). 105 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Ein einfaches semantisches Faktum (i) A ist ein Aussagebuchstabe. Dann ist V (A) = v (A) = v 0 (A) = V 0 (A) (ii) A ist eine Negation ¬B. Dann haben wir: V (¬B) = W gdw V (B) = F gdw = F gdw 0 V (B) mit der Induktionsannahme V 0 (¬B) = W (iii) A ist eine Konjunktion (B ∧ C ). Dann haben wir: V (B ∧ C ) = W gdw V (B) = V (C ) = W gdw = W gdw = W 0 0 V (B) = V (C ) 0 V (B ∧ C ) Die restlichen Fälle zeigt man analog. mit der Induktionsann. q.e.d. 106 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Ein Schritt zurück: Platons Kratylos Platon gilt als ein Vorläufer der modernen sprachanalytischen Philosophie. In dem Dialog Kratylos lässt er Sokrates für die Ansicht eines gewissen Kratylos von der natürlichen Korrektheit der Bennungen argumentieren. Hermogenes, der anfänglich die Auffassung vertritt, die Bennungen beruhten auf Konventionen, wird von Sokrates dazu gebracht, der Auffassung des Kratylos zuzustimmen. Ein Schritt in diesem Prozess ist die Zurückweisung der These des Protagoras, der Mensch sei das Maß aller Dinge. Platon (Kratylos 386a–d) schreibt: 107 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Ein Schritt zurück: Platons Kratylos Sokrates: Wohlan, lass uns sehen, Hermogenes, ob dir vorkommt, dass es auch mit den Dingen ebenso steht, dass ihr Sein und Wesen für jeden einzelnen in besonderer Weise ist, wie Protagoras meinte, wenn er sagt, der Mensch sei das Maß aller Dinge, dass also die Dinge, wie sie mir erscheinen, so auch für mich wirklich sind, und wiederum wie dir, so auch für dich? Oder dünkt dich, dass sie in sich eine Beständigkeit ihres Wesens haben? Hermogenes: Ich bin wohl sonst schon in der Verlegenheit auch dahin geraten, Sokrates, auf dasselbe, was auch Protagoras sagt; ganz und gar so glaube ich jedoch nicht, dass es sich verhalte. Sokrates: Wie aber? Bist du auch darauf schon geraten, dass du nicht glauben konntest, ein Mensch sei gar schlecht? Hermogenes: Nein, beim Zeus, vielmehr ist mir schon oft begegnet, dass mir Menschen gar schlecht vorgekommen sind, und zwar recht viele. Sokrates: Und wie? Gar gut hast du noch nicht geglaubt, dass Menschen wären? Hermogenes: Nur sehr wenige. Sokrates: Also doch welche? Hermogenes: Oh ja. Sokrates: Wie aber meinst du es? Etwa so, dass die gar guten auch gar vernünftig sind und die gar schlechten auch gar unvernünftig? Hermogenes: Ich meine es gerade so. Sokrates: Können nun wohl, wenn Protagoras wahr redete und dies die Wahrheit ist, dass für jeden, wie ihm etwas erscheint, so es auch ist, als dann einige von uns vernünftig sein und andere unvernünftig? Hermogenes: Nicht füglich. Sokrates: Auch dies, denke ich, glaubst du gar sehr, dass, wenn es Vernunft und Unvernunft gibt, es dann eben nicht sehr möglich ist, dass Protagoras recht habe. Denn es wäre ja in Wahrheit nicht einer vernünftiger als der andere, wenn, was jedem schiene, auch für jeden wahr wäre. Hermogenes: Das ist richtig. 108 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Ein Schritt zurück: Platons Kratylos Die Argumentation des Sokrates kann als die folgende Schlussfolgerung verstanden werden: Die Dinge sind so, wie sie einem jeden einzelnen erscheinen. (These des Protagoras) Wenn die Dinge so sind, wie sie einem jeden erscheinen, dann gibt es keinen Unterschied zwischen vernünftigen und unvernünftigen Menschen. Wenn es keinen Unterschied zwischen vernünftigen und unvernünftigen Menschen gibt, dann existiert kein Unterschied zwischen guten und schlechten Menschen. Es existiert ein Unterschied zwischen guten und schlechten Menschen. Die Dinge sind nicht so, wie sie einem jeden einzelnen erscheinen. 109 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Ein Schritt zurück: Platons Kratylos Diese Schlussfolgerung ist gültig. Sie ist ein Beispiel für eine Einführung der Negation. [p] p ⊃ ¬u ¬u ⊃ ¬g ¬g ¬p g 110 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Beweissysteme Typen von Beweissystemen axiomatische Systeme (Hilbert-Systeme) Systeme des natürlichen Schließens (Stanislaw Jaskowski, Gerhard Gentzen) Sequenzenkalküle (G. Gentzen) semantische Tableaux (Evert Beth) 111 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Beweissysteme Hilbert-Systeme: natürliches Schließen: Sequenzenkalküle: • • viele Axiome(nschemata) (Regeln der Gestalt ∅/A) wenige Regeln (∆/A) • • keine Axiome viele Regeln • nur eine axiomatische Ableitbarkeitsbehauptung “A ist aus A ableitbar” (A ` A) Regeln, um Ableitbarkeitsbehauptungen zu manipulieren • semantische Tableaux • Regeln für die Suche nach Gegenbeispielen 112 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Beweissysteme Ein Axiomensystem für die klassische Aussagenlogik Axiomenschemata: Ableitungsregeln: 1) 2) 3) A ⊃ (B ⊃ A) (A ⊃ (B ⊃ C )) ⊃ ((A ⊃ B) ⊃ (A ⊃ C )) (¬A ⊃ B) ⊃ ((¬A ⊃ ¬B) ⊃ A) modus ponens A A⊃B B Axiome können als Grenzfälle von Ableitungsregeln gesehen werden, als Regeln ohne Input. Sei S ein Beweissystem. Wenn eine Formel A aus einer Formelmenge ∆ mit Hilfe der Regeln von S ableitbar ist, dann schreiben wir ∆ `S A. Wenn aus dem Kontext klar ist, welches Beweissystem betrachtet wird, schreiben wir auch einfach ∆ ` A. 113 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Beweissysteme Eine axiomatische Ableitung einer Formel A aus einer Formelmenge ∆ ist eine endliche Folge A1 , . . . An von Formeln, so dass An = A und jede Formel in der Folge entweder eine Einsetzung eines Axiomenschemas, ein Element von ∆ oder das Erebnis der Anwendung einer Ableitungsregel auf vorhergehende Formeln als Prämissen ist. Beispiel: (A ⊃ ((A ⊃ A) ⊃ A)) (A ⊃ ((A ⊃ A) ⊃ A)) ⊃ ((A ⊃ (A ⊃ A)) ⊃ (A ⊃ A)) ((A ⊃ (A ⊃ A)) ⊃ (A ⊃ A)) ((A ⊃ (A ⊃ A)) (A ⊃ A) Axiom 1 Axiom 2 modus ponens, 1, 2 Axiom 1 modus ponens, 3, 4 114 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Beweissysteme Sei SL das obige Beweissystem. SL ist korrekt und vollständig bezüglich der Klasse aller aussagenlogischen Modelle. Deduktionstheorem Wenn ∆ ∪ {A} `SL B, dann ∆ `SL A ⊃ B. Im System des natürlichen Schließens für die klassische Aussagenlogik wird das Deduktionstheorem als eine Ableitungsregel angenommen. 115 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Einführungsregeln geben an, wie auf Konklusionen bestimmter Gestalt geschlossen werden kann. Beseitigungsregeln geben an, wie Formeln bestimmter Gestalt verwendet werden (um Information zu extrahieren). Beispiele: Jan lacht. 7→ j; Peter lacht. 7→ p; Marie lacht. Annahme: Jan lacht und Peter lacht. Konklusion: Peter lacht oder Marie lacht. 7→ m. (j ∧ p) (∧B) p (∨E ) (p ∨ m) In einem ersten Schritt wird eine Konjunktion beseitigt (∧B) und in einem zweiten Schritt eine Disjunktion eingeführt (∨E ). 116 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Annahmen: Konklusion: Wenn Jan lacht, dann lacht Peter. Wenn Marie lacht, dann lacht Peter. Jan lacht oder Marie lacht. Peter lacht. [j]1 (j ∨ m) (j ⊃ p) p p (⊃B) [m]1 (m ⊃ p) p 1 (⊃B) (∨B) Es wird p aus (j ∨ m) durch Disjunktionsbes. (∨B) abgeleitet. Idee: Wenn p sowohl aus j, als auch aus m ableitbar ist, dann ist p aus (j ∨ m) ableitbar. Um zu sehen, ob p sowohl aus j, als auch aus m ableitbar ist, werden j und m temporär angenommen. Wenn gezeigt werden kann, dass p sowohl aus j, als auch aus m ableitbar ist, können die temporären Annahmen aufgegeben werden. Sie werden mit der ∨-Beseitigung getilgt. Die Tilgung wird durch eckige Klammern um j und m kenntlich gemacht. Die Ableitung von p hängt nur noch von den nicht getilgten Annahmen ab. 117 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Annahmen: Konklusion: Wenn Jan lacht, dann ist es so, dass Peter lacht, falls Jan lacht. Wenn Jan lacht, dann lacht Peter. [j]1 [j]1 p j ⊃p j ⊃ (j ⊃ p) j ⊃p (⊃B) (⊃B) (⊃E )1 Die Konklusion in diesem Beispiel ist eine Implikation: j ⊃ p. Um die Konklusion aus j ⊃ (j ⊃ p) abzuleiten, genügt es zu zeigen, dass p aus j und j ⊃ (j ⊃ p) ableitbar ist. Also wird die temporäre Annahme j gemacht. Mit (⊃ B) kann (j ⊃ p) abgeleitet werden, und unter nochmaliger Verwendung von j kann wieder mit (⊃ B) schließlich p abgeleitet werden. Die temporäre Annahme j wird aufgegeben, und j ⊃ p damit aus j ⊃ (j ⊃ p) allein abgeleitet. 118 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen [j]1 1 [j] p j ⊃p j ⊃ (j ⊃ p) j ⊃p (⊃B) (⊃B) (⊃E )1 In diesem Beispiel werden mit der Anwendung der Regel (⊃ E ) zwei Vorkommnisse der temporären Annahme j getilgt. Die Regel (⊃ E ) gestattet es, bei der Einführung einer Implikation (A ⊃ B) beliebig viele Vorkommnisse von A in einer Ableitung von B aufzugeben. 119 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Auch die folgenden Gebilde stellen Ableitungen dar: [j]1 j j ⊃ (j ⊃ p) j ⊃p p j ⊃p (⊃B) (⊃E )1 (⊃B) j j j ⊃ (j ⊃ p) (⊃B) j ⊃p (⊃B) p (⊃E ) j ⊃p Diese Ableitungen hängen aber von j ab, da nicht alle Vorkommnisse von j aufgegeben werden. Die Regel (⊃ E ) gestattet es in diesem Fall, Vorkommnisse von j aufzugeben, aber die Tilgung ist nicht obligatorisch. 120 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Annahmen: Konklusion: ∅ Wenn Jan lacht, dann ist es so, dass Jan lacht, falls Peter lacht. [j]1 (⊃E ) (p ⊃ j) (⊃E )1 j ⊃ (p ⊃ j) Hier begegnen wir einer leeren Implikationseinführung. Die Einführung der Implikation (p ⊃ j) im ersten Ableitungsschritt ist insofern leer oder irrelevant, als dass das Antezedens p nicht tatsächlich verwendet wird, um j abzuleiten. Dennoch ist der Ableitungsschritt korrekt: Wenn j wahr ist, dann sicherlich auch p ⊃ j. Die Regel (⊃ E ) ist so zu verstehen, dass leere Implikationseinführungen gestattet sind. In sogenannten Relevanzlogiken sind irrelevante Implikationseinführungen nicht erlaubt. 121 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Die Regeln des natürlichen Schließens für die klassische Aussagenlogik. Die Formelmengen ∆, Γ und Θ sind endlich. Regeln für die Konjunktion: small ∆ .. Γ.. .. .. A B (∧E ) (A ∧ B) ∆ .. .. (A1 ∧ A2 ) (∧B) Ai i = 1, 2 (∧E ): Aus einer Ableitung von A aus der Prämissenmenge ∆ und einer Ableitung von B aus Γ erhält man eine Ableitung von (A ∧ B) aus ∆ ∪ Γ. (∧B): Hier handelt es sich um zwei Regeln. Wenn (A1 ∧ A2 ) aus ∆ ableitbar ist, dann ist jedes der beiden Konjunktionsglieder aus ∆ ableitbar. 122 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen ∆ .. .. Ai (∨E ) (A1 ∨ A2 ) i = 1, 2 ∆ .. .. (A ∨ B) Γ, [A] Θ, [B] .. .. .. .. C C (∨B) C (∨E ): Wenn A1 (bzw. A2 ) aus ∆ ableitbar ist, dann auch (A1 ∨ A2 ). (∨B): Betrachten wir zunächst den Fall, dass ∆, Γ und Θ leer sind: [A] .. .. (A ∨ B) C C [B] .. .. C (∨B) C ist aus (A ∨ B) ableitbar ist, wenn C sowohl aus A, als auch aus B ableitbar ist. Regel (∨B) verallgemeinert den Spezialfall. Angenommen (A ∨ B) ist aus ∆ ableitbar und C ist sowohl aus Γ ∪ {A}, als auch aus Θ ∪ {B} ableitbar. Dann ist C aus ∆ ∪ Γ ∪ Θ ableitbar. 123 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen ∆, [A] .. .. B (⊃ E ) (A ⊃ B) ∆ .. .. A Γ. .. . (A ⊃ B) (⊃ B) B (⊃ E ): Aus einer Ableitung von B aus den Prämissen in ∆ zusammen mit A erhält man eine Ableitung von (A ⊃ B) aus ∆. (⊃ B): Aus einer Ableitung von A aus ∆ und einer Ableitung von (A ⊃ B) aus Γ erhält man eine Ableitung von B aus ∆ ∪ Γ. 124 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen ∆, [A] Γ, [A] .. .. .. .. B ¬B (¬E ) ¬A ∆ .. .. B Γ. .. . ¬B (¬B) A ∆, [¬A] .. .. B A Γ, [¬A] .. .. ¬B (¬B)∗ (¬E ): Betrachten wir zunächst den Fall, dass ∆ = Γ = ∅: [A] .. .. B [A] .. .. ¬B ¬A (¬E ) ¬A ist ableitbar, wenn die Annahme, dass A der Fall ist, zu einem Widerspruch führt: Wenn aus A eine Formel B ableitbar ist und deren Negation ¬B. Die Regel (¬E ) verallgemeinert diesen Fall: Aus einer Ableitung von B aus ∆ ∪ {A} und einer Ableitung von ¬B aus Γ ∪ {A} erhält man eine Ableitung von ¬A aus ∆ ∪ Γ. 125 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen ∆, [A] Γ, [A] .. .. .. .. B ¬B (¬E ) ¬A ∆ .. .. B Γ. .. . ¬B (¬B) A ∆, [¬A] .. .. B A Γ, [¬A] .. .. ¬B (¬B)∗ (¬B): Die Regel ist seit der Antike unter dem Namen ex contradictione quodlibet (aus einem Widerspruch ist Beliebiges ableitbar) bekannt. (¬B)∗ : Diese zweite Negationsbeseitigungsregel ist als die Regel der klassischen reductio ad absurdum (Zurückführung auf etwas Absurdes) bekannt. Eine Formel A (welche Gestalt auch immer sie haben mag) kann abgeleitet werden, wenn die Annahme, dass ¬A der Fall ist, zu einem Widerspruch führt. 126 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Definition SN (das System des natürlichen Schließens für die klassische Aussagenlogik) ist die Menge der Regeln des natürlichen Schließens für die klassische Aussagenlogik. Wir nehmen an, dass jede Formel A eine Ableitung von A aus {A} darstellt. Beispiele: (a) Ableitung von p ⊃ ¬¬p aus ∅. Da aus ∅ abgeleitet werden soll, dürfen nur temporäre Annahmen gemacht werden, die getilgt werden. [p]2 [¬p]1 (¬E )1 ¬¬p (⊃E )2 p ⊃ ¬¬p 127 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen [p]2 [¬p]1 (¬E )1 ¬¬p (⊃E )2 p ⊃ ¬¬p Wie findet man diese Ableitung von p ⊃ ¬¬p aus ∅? Abzuleiten ist eine Implikation. Das geschieht normalerweise mit Implikationseinführung. Damit erhält man p als temporäre Prämisse, aus der die Negation ¬¬p abzuleiten ist. Die kanonische Ableitung einer Negation erfolgt durch Negationseinführung, d.h. hier, dass die temporäre Annahme ¬p zu einem Widerspruch führen soll. Die Annahme ¬p widerspricht bereits der anderen temporären Annahme. Der benötigte Widerspruch zwischen einer Formel B und ihrer Negation liegt damit vor, und die Annahme ¬p kann getilgt werden. Die Annahme p wird mit der Anwendung von (⊃ E ) getilgt. Die Indizes heben hervor, an welcher Stelle welche temporäre Prämisse aufgegeben wird. 128 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen (b) Ableitung von (p ⊃ (q ⊃ r )) ⊃ ((p ⊃ q) ⊃ (p ⊃ r )) aus ∅. [p]1 [p ⊃ q]2 q (⊃B) [p]1 [p ⊃ (q ⊃ r )]3 q⊃r (⊃B) (⊃B) r (⊃E )1 (p ⊃ r ) (⊃E )2 (p ⊃ q) ⊃ (p ⊃ r ) (p ⊃ (q ⊃ r )) ⊃ ((p ⊃ q) ⊃ (p ⊃ r )) (⊃E )3 Zu beweisen ist eine Implikation. Das geschieht normalerweise mit (⊃ E ). Wir erhalten so sukzessive die Formeln p ⊃ (q ⊃ r ), p ⊃ q und p als temporäre Annahmen und müssen aus diesen Prämissen die atomare Formel r ableiten. Auf die atomare Prämisse p kann keine Bes.regel angewandt werden. Die anderen Prämissen sind Implikationen. Um auf sie die Regel (⊃ B) anzuwenden, wird jeweils das Antezedens der Implikation benötigt. Die Prämissen p und p ⊃ q liefern offensichtlich q, und q zusammen mit q ⊃ r liefert r . Die drei Anwendungen von (⊃ E ) erlauben es, die temporären Annahmen aufzugeben. 129 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen (c) Ableitung von p ⊃ q aus {¬p ∨ q}. ¬p ∨ q [¬p]1 [p]2 (¬B) q q (⊃E )2 p⊃q [q]1 (∨B)1 Die Implikation p ⊃ q wird mit (⊃ E ) abgeleitet, was die temporäre Annahme p liefert. Die einzige Prämisse, auf die eine Bes.regel anwendbar ist, ist die gegebene Annahme ¬p ∨ q. Auf diese Formel wird die Beseitigungsregel für ihren Hauptjunktor angewendet: (∨B). Die Formel q ist also jeweils aus den beiden Disjunktionsgliedern und eventuell weiteren Annahmen abzuleiten. Das rechte Disjunktionsglied stellt eine Ableitung von q aus q dar; das linke Disjunktionsglied ¬p liefert zusammen mit der temporären Annahme und (¬B) ebenfalls q. Die Disjunktionsglieder werden mit der Anwendung von (∨B) als zwischenzeitliche Annahmen aufgegeben. 130 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen (d) Ableitung von (p ∨ (q ∧ r )) ⊃ ((p ∨ q) ∧ (p ∨ r )) aus ∅. [p ∨ (q ∧ r )]3 [p]1 p∨q p∨q (∨E ) [q ∧ r ]1 (∧B) q (∨E ) p∨q [p ∨ (q ∧ r )]3 1 (∨B) (p ∨ q) ∧ (p ∨ r ) (p ∨ (q ∧ r )) ⊃ ((p ∨ q) ∧ (p ∨ r )) [p]2 p∨r p∨r (∨E ) [q ∧ r ]2 (∧B) r (∨E ) p∨r 2 (∨B) (∧E ) (⊃E )3 Abzuleiten ist eine Implikation. Das geschieht mit (⊃ E ). Wir erhalten p ∨ (q ∧ r ) als temp. Prämisse, aus der (p ∨ q) ∧ (p ∨ r ) abzuleiten ist. Die kanonische Ableitung einer Konj. erfolgt mit (∧E ). Das linke Konj.glied ist p ∨ q. Typischerweise werden Disj. mit (∨E ) abgeleitet. Diese Überlegung führt jedoch nicht zum Ziel. Wenn p ∨ q aus p abgeleitet werden soll, muss p aus der einzigen zur Verfügung stehenden Annahme abgeleitet werden, einer Disj.. Diese zu verwenden, bedeutet die Regel (∨B) anzuwenden. D.h., dass p (i) aus p und (ii) aus q ∧ r abgeleitet werden muss. Die Aufgabe (i) ist trivial; (ii) nicht lösbar. 131 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen [p ∨ (q ∧ r )]3 [p]1 p∨q p∨q (∨E ) [q ∧ r ]1 (∧B) q (∨E ) [p ∨ (q ∧ r )]3 p∨q 1 (∨B) (p ∨ q) ∧ (p ∨ r ) (p ∨ (q ∧ r )) ⊃ ((p ∨ q) ∧ (p ∨ r )) [p]2 p∨r p∨r (∨E ) [q ∧ r ]2 (∧B) r (∨E ) p∨r 2 (∨B) (∧E ) (⊃E )3 Wann kann man tun? Man kann schauen, ob die abzuleitende Formel p ∨ q direkt aus der zur Verfügung stehenden Prämisse ableitbar ist. Das ist der Fall. Die Formel p ∨ q erhält man aus dem linken Disj.glied der temp. Annahme mit (∨E ) und aus dem rechten Disj.glied mit (∧B) und (∨E ). Die Anwendung von (∨B) auf die temp. Annahme erlaubt es, die Disjunktionsglieder zu tilgen. Die temp. Annahme selbst wird im letzten Ableitungsschritt getilgt. Das rechte Disj.glied von ((p ∨ q) ∧ (p ∨ r )) kann analog abgeleitet werden. 132 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen (e) Ableitung der Kontrapositionsregel p ⊃ q ` ¬q ⊃ ¬p. [p]1 p⊃q q (⊃B) ¬p ¬q ⊃ ¬p [¬q]2 (¬E )1 (⊃E )2 (f) Ableitung von ¬¬p ⊃ p aus ∅. [¬¬p]2 [¬p]1 (¬B ∗ )1 p (⊃E )2 ¬¬p ⊃ p In dieser Ableitung wird von der Regel der klassischen reductio ad absurdum, (¬B)∗ , Gebrauch gemacht. Aus der Annahme ¬¬p ist p nicht direkt ableitbar. Wenn aber mit (¬B)∗ temporär ¬p angenomen wird, liegt ein Widerspruch vor und ¬p kann aufgegeben werden. 133 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen (g) Ableitung von ¬(¬p ∨ q) ⊃ (p ∧ ¬q) aus ∅. [¬(¬p ∨ q)] p 3 [¬p]2 ¬p ∨ q (∨E ) ∗ 2 (¬B ) 3 [¬(¬p ∨ q)] ¬q p ∧ ¬q ¬(¬p ∨ q) ⊃ (p ∧ ¬q) [q]1 ¬p ∨ q (∨E ) (¬E )1 (∧E ) (⊃E )3 Die ersten beiden Schritte der Beweissuche sind klar. Abzuleiten sind die zwei Konj.glieder p und ¬q. Negationen werden typischerweise mit (¬E ) abgeleitet. Hier wird die temp. Annahme q zum Widerspruch geführt. Zu einem Widerspruch wozwischen? Mit der tem. Annahme ¬(¬p ∨ q) liegt schon eine negierte Formel ¬B vor, und es ist leicht zu sehen, dass q mit (∨E ) ¬p ∨ q liefert. Für die Ableitung von p steht eine Prämisse zur Verfügung: ¬(¬p ∨ q). Mittels (¬B) kann p daraus nicht abgeleitet werden. Die Regel (¬B)∗ gestattet es, ¬p temporär anzunehmen, so dass mit (∨E ) die Formel ¬p ∨ q abgeleitet werden kann. 134 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen (h) Ableitung von ¬(p ∧ q) ⊃ (¬p ∨ ¬q) aus ∅. 3 [¬(¬p ∨ ¬q)] p [¬p]1 ¬p ∨ ¬q (∨E ) (¬B ∗ )1 p∧q 3 [¬(¬p ∨ ¬q)] q [¬q]2 ¬p ∨ ¬q (∨E ) (¬B ∗ )2 (∧E ) ¬p ∨ ¬q ¬(p ∧ q) ⊃ (¬p ∨ ¬q) [¬(p ∧ q)]4 (¬B ∗ )3 (⊃E )4 Im vorletzten Bew.schritt ist ¬p ∨ ¬q aus ¬(p ∧ q) abzuleiten. Es gibt zunächst zwei Strategien für die Beweissuche: (1) ¬p ∨ ¬q kann mit (∨E ) abgeleitet werden; (2) die Anwendung von (¬B) auf ¬(p ∧ q) führt zu ¬p ∨ ¬q. Die Vermutung, dass ¬p ∨ ¬q durch (∨E ) abgeleitet werden kann, führt nicht zum Ziel. Auch ist nicht klar, wie (¬B) auf ¬(p ∧ q) anwendbar sein sollte. Damit sind aber nicht alle Optionen erschöpft: ¬p ∨ ¬q kann mit (¬B)∗ abgeleitet werden. Aus der Negation von ¬p ∨ ¬q ist ein Widerspruch abzuleiten. Da die Annahme ¬(p ∧ q) eine Negation ist, ist es nicht abwegig, zu versuchen, (p ∧ q) aus ¬(¬p ∨ ¬q) abzuleiten. 135 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen (i) Ableitung einer Einsetzung in Peirce’s Gesetz: [p ⊃ q]2 3 [¬p] ¬(p ⊃ q) [(p ⊃ q) ⊃ p]4 p 2 ((p ⊃ q) ⊃ p) ⊃ p. (⊃B) [p]1 (¬E ) p ((p ⊃ q) ⊃ p) ⊃ p [¬p]3 (¬B) q (⊃E )1 p⊃q ∗ 3 (¬B ) (⊃E )4 Wie kann p aus (p ⊃ q) ⊃ p) abgeleitet werden? p kann nicht mit einer Einf.regel abgeleitet werden, und für die Anwendung von (⊃ B) auf die temp. Prämisse wird p ⊃ q benötigt. Als Option für die Beweissuche bleibt, dass p mit (¬B)∗ ableitbar ist. Gesucht ist also eine Formel B und ihre Negation ¬B. Aus den temp. Annahmen ¬p und (p ⊃ q) ⊃ p ergibt sich p (und somit ein Widerspruch zu ¬p), wenn (p ⊃ q) angenommen wird. Diese neue temp. Annahme kann aufgegeben werden, wenn aus p und ¬p mit (¬E ) die Formel ¬(p ⊃ q) und damit eine Formel der Gestalt ¬B abgeleitet wird. Die Formel B = p ⊃ q erhält man dann leicht unter Verwendung der temp. Annahme ¬p. 136 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Die Beispiele (a) – (i) legen folgende Heuristik für die Suche nach Ableitungen in SN nahe: Zur Ableitung einer zusammengesetzten Formel A nehme man zunächst an, dass der letzte Schritt in der Ableitung von A die Einführung des Hauptjunktors von A ist. Dieses Vorgehen iteriere man. Wenn schließlich eine atomare Formel p abzuleiten ist, betrachte man die zur Verfügung stehenden Prämissen und versuche, aus diesen Formeln durch Anwendung der Beseitigungsregeln für die Hauptjunktoren p abzuleiten. [(a), (b), (c), (e)] Wenn diese Strategie nicht zum Ziel führt, versuche man, die Prämissen zu verwenden, bevor durch sukzessive Anwendung von Einführungsregeln die Formel A vollständig in atomare Bestandteile zerlegt ist. [(d)] Ist auch dieses Vorgehen ergebnislos, versuche man, in einem möglichst späten Schritt der bisherigen erfolglosen Beweissuche durch Anwendung von (¬B)∗ eine Ableitung zu finden. [(f), (g), (h)] 137 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Ableitungen in SN haben die Gestalt sich maximal dreifach verzweigender endlicher Bäume, mit der Konklusion als Wurzel. Die obige Ableitung (d) z.B. hat die folgende Baumstruktur: r r r r r r r @ @r Q Q Q Q Q r r r r @ @r r Qr r 138 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Regeln, die es erlauben, zwischenzeitliche Annahmen aufzugeben, gestatten die Tilgung dieser Prämissen nur in dem Teilbaum oberhalb der Regelanwendung. Prämissentilgungen z.B. der Form: [A]1 A A A [A]1 A A A 1 (A ⊃ B)(⊃E ) A A C @@ @ @ @ (A ⊃ B) ∧ C sind nicht zulässig. 139 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen Definition Eine aussagenlogische Formel A heißt ableitbar aus der Prämissenmenge ∆ in SN genau dann, wenn eine endliche Teilmenge Γ von ∆ und eine Ableitung von A aus Γ in SN existiert. Wenn A aus ∆ ableitbar ist, schreiben wir ∆ `SN A oder kurz ∆ ` A. A heißt beweisbar in SN genau dann, wenn ∅ ` A. Wir schreiben stattdessen auch einfach ` A. Eine Ableitung von A aus ∅ wird auch als Beweis bezeichnet. 140 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Konsistenz und Inkonsistenz Definition Eine aussagenlogische Formel A wird erfüllbar genannt gdw A keine Kontradiktion ist. A wird falsifizierbar genannt gdw A keine Tautologie ist. Eine Formelmenge ∆ heißt erfüllbar genau dann, wenn ein Modell M existiert, so dass für jedes A ∈ ∆ gilt: M |= A. Wir schreiben dann auch M |= ∆. Wenn eine Formel oder Formelmenge erfüllbar ist, wird sie auch als semantisch konsistent bezeichnet. Analog werden unerfüllbare (nicht erfüllbare) Formeln und Formelmengen auch semantisch inkonsistent genannt. Neben diesen semantischen Begriffen der Konsistenz und Inkonsistenz gibt es allerdings auch syntaktische, beweistheoretische Begriffe der Konsistenz und Inkonsistenz. 141 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Konsistenz und Inkonsistenz Definition Eine Formemenge ∆, heißt syntaktisch konsistent genau dann, wenn es keine Formel A gibt, so dass ∆ ` A und ∆ ` ¬A. Behauptung Eine Formelmenge ∆ ist syntaktisch konsistent genau dann, wenn es eine Formel A gibt, so dass ∆ 6` A, d.h. wenn nicht gilt ∆ ` A. Beweis. “⇒” Wenn ∆ konsistent ist, dann existiert kein A mit ∆ ` A und ∆ ` ¬A. D.h. für jede beliebige Formel B gilt entweder ∆ 6` B oder ∆ 6` ¬B. Wenn ∆ 6` B, dann ist B die gesuchte Formel, ansonsten ¬B. “⇐” Mit Kontraposition. Wenn ∆ nicht konsistent ist, dann existiert ein A mit ∆ ` A und ∆ ` ¬A. Dann ist mit der ¬ -Beseitigungsregel (¬B) jede Formel aus ∆ ableitbar. D.h. es gibt keine Formel A mit ∆ 6` A. q.e.d. q.e.d. 142 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Konsistenz und Inkonsistenz Behauptung Wenn ∆ 6` A, dann ist ∆ ∪ {¬A} syntaktisch konsistent. Beweis. Wenn ∆ ∪ ¬A syntaktisch inkonsistent ist, dann gibt es eine Formel B mit ∆ ∪ {¬A} ` B und ∆ ∪ {¬A} ` ¬B. Aber dann ist A aus ∆ ableitbar: ∆, [¬A]1 ∆, [¬A]1 .. .. .. .. ¬B B (¬B)∗ 1 A q.e.d. Die Gegenrichtung gilt ebenfalls, wie leicht durch Anwendung von (¬B) gezeigt werden kann. Wir werden später sehen, dass eine Formelmenge genau dann semantisch konsistent ist, wenn sie syntaktisch konsistent ist. 143 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Ableitungsregeln für die Äquivalenz Das Beweissystem SN enthält keine Einführungs- und Beseitigungsregeln für die Äquivalenz. Das ist kein gravierendes Defizit, da die Äquivalenz ein definierbarer Junktor ist. Andererseits lassen sich leicht Einführungs- und Beseitigungsregeln für die Äquivalenz formulieren: ∆, [B] Γ, [A] .. .. .. .. A B (≡ E ) (A ≡ B) ∆ .. .. A Γ. .. . (A ≡ B) (≡ B) B ∆ .. .. B Γ. .. . (A ≡ B) (≡ B) A 144 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von SN Satz Das Beweissystem SN ist korrekt bezüglich der Klasse aller aussagenlogischen Modelle: ∆ `SN A impliziert ∆ |= A. Beweis. Mit Induktion über den Aufbau der Ableitungen. Jede Formel A ist eine Ableitung von A aus {A}, und offensichtlich gilt {A} |= A. Es ist noch zu zeigen, dass jede Ableitungsregel von logisch gültigen Schlussfolgerungen zu einer logisch gültigen Schlussfolgerung führt. Das ist aber, wie man leicht sieht, der Fall. q.e.d. 145 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von SN Lemma Angenommen, A und B sind aussagenlogische Formeln in disjunktiver Normalform (DNF). Dann gilt: 1. A ∧ B ist wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF; 2. ¬A ist wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF; 3. A ⊃ B ist wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF; 4. A ≡ B ist wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF. Aus diesem Lemma folgt: Lemma Jede aussagenlogische Formel ist wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF. 146 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von SN Beweis. 1. Mit Induktion über den Aufbau von A ∧ B. Basisschritt. A und B sind beide Aussagebuchstaben. Dann befindet sich A ∧ B in DNF. Aufbauschritt. A und B sind nicht beide Aussageb. aber Basiskonj. (Fall (i)) oder mindestens eine der zwei Formeln ist keine Basiskonj., sondern eine Disjunktion aus Formeln in DNF (Fall (ii)). (i). Wenn A und B beides Basiskonj. sind, dann ist A ∧ B in DNF. (ii). Sei A keine Basiskonjunktion. Dann hat A die Gestalt C ∨ D, wobei C und D sich in DNF befinden. Die folgenden Formeln sind wechselseitig ableitbar: (C ∨ D) ∧ B (C ∧ B) ∨ (D ∧ B) Mit der Induktionsannahme ist sowohl (C ∧ B) als auch (D ∧ B) wechselseitig ableitbar mit einer (nicht notwendigerweise derselben) Formel in DNF. Damit ist (C ∧ B) ∨ (D ∧ B) wechselseitig ableitbar mit einer Disjunktion aus Formeln in DNF und damit wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF. Schließlich ist damit auch (C ∨ D) ∧ B wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF. Der Fall, dass B keine Basiskonjunktion ist, ist ähnlich. 147 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von SN 2. Mit Induktion über den Aufbau von A. Basisschritt. Wenn A ein Aussagebuchstabe ist, dann ist ¬A in DFN. Aufbauschritt. A hat die Gestalt (i) ¬C , oder (ii) C ∨ D oder (iii) C ∧ D. (i). ¬C ist nur dann in DNF, wenn C ein Aussagebuchstabe ist. Die Formel ¬¬C ist wechselseitig ableitbar mit C . (ii) C ∨ D ist nur dann in DNF, wenn sowohl C als auch D in DNF ist. Mit der Induktionsann. sind sowohl ¬C als auch ¬D wechsels. ableitbar mit Formeln in DNF (d.h. die Vorauss. des Lemmas ist erfüllt). Die Formel ¬(C ∨ D) ist wechsels. ableitbar mit ¬C ∧ ¬D, und letztere Formel ist mit Beh. 1. des Lemmas wechselseitig ableitbar mit einer Formel in DNF. (iii) C ∧ D befindet sich nur dann in DNF, wenn C und D Basiskonj. und damit Formeln in DNF sind. Mit der Induktionsann. sind sowohl ¬C als auch ¬D wechsels. ableitbar mit Formeln in DNF. Damit ist auch ¬C ∨ ¬D wechselseitig ableitbar mit einer Disjunktion aus Formeln in DNF, und damit ist ¬C ∨ ¬D wechsels. ableitbar mit einer Formel in DNF. Aber ¬C ∨ ¬D ist wechsels. ableitbar mit ¬(C ∧ D). 3. und 4.: Mit Induktion ber den Aufbau von A ⊃ B bzw. A ≡ B. q.e.d. 148 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von SN Satz (Theoremvollständigkeit) Wenn ∅ |= A, dann ∅ `SN A. Beweis. Angenommen, jedes aussagenlogische Modell v ist ein Modell von A, d.h. V (A) = W für jede Belegung v . Es existiert eine Formel B in DNF, die wechselseitig ableitbar ist mit ¬A. Da angenommen wird, dass A eine Tautologie ist, und da SN korrekt ist, ist B kontradiktorisch. Da B sich in DNF befindet, enthält jede maximale Basiskonjunktion in B einen Aussagebuchstaben p und dessen Negation ¬p. Durch Anwendungen der Regeln (∧B) und (¬B) ist damit aus jeder maximalen Basiskonjunktion für eine bestimmte Formel C , (C ∧ ¬C ) ableitbar. Damit ist aus B mit Hilfe von (∨B) die Formel (C ∧ ¬C ) ableitbar. Da B aus ¬A ableitbar ist, ist (C ∧ ¬C ) aus ¬A ableitbar. Mit der Regel (¬B)∗ erhalten wir ∅ `SN A. q.e.d. 149 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Korrektheit und Vollständigkeit von SN Satz (Kompaktheit) Wenn ∆ |= A, dann existiert eine endliche Teilmenge Γ von ∆, so dass Γ |= A. Satz ((starke) Vollständigkeit) Wenn ∆ |= A, dann ∆ `SN A. Beweis. Angenommen ∆ |= A. Mit dem Kompaktheitssatz folgt A gültig aus endlich vielen A1 , A2 , . . . , An aus ∆. Dann gilt ∅ |= A1 ⊃ (A2 ⊃ (. . . ⊃ A) . . .). Aufgrund der Theoremvollst. folgt ∅ `SN A1 ⊃ (A2 ⊃ (. . . ⊃ A) . . .). Eine n-fache Anwendung der Implikationsbes.regel liefert: {A1 , . . . , An } `SN A und damit ∆ `SN A. q.e.d. 150 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Kompaktheit Behauptung ∆ |= A genau dann, wenn ∆ ∪ {¬A} nicht erfüllbar ist. Beweis. “⇐” Mit Kontraposition. Angenommen ∆ 6|= A. Dann gibt es ein Modell M mit M |= ∆ und M 6|= A. Letzteres impliziert M |= ¬A. M.a.W., M |= ∆ ∪ {¬A}. “⇒” Mit Kontraposition. Angenommen, es gibt ein Model M mit M |= ∆ ∪ {¬A}. Dann gilt M |= ∆ und M 6|= A, und somit ∆ 6|= A. q.e.d. Angenommen, wenn jede endliche Teilmenge einer Formelmenge ∆ erfüllbar ist, dann ist ∆ erfüllbar. Wenn nun ∆ |= A, dann ist ∆ ∪ {¬A} unerfüllbar und damit gilt für jedes endliche Γ ⊆ ∆: Γ ∪ {¬A} ist unerfüllbar, d.h., Γ |= A. 151 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Kompaktheit Beweis des Kompatkheitssatzes. Es genügt es zu zeigen: Wenn jede endliche Teilmenge einer Formelmenge ∆ erfüllbar ist, dann ist ∆ erfüllbar. Sei vn eine Funktion, die den ersten n (n ≥ 1) Aussagebuchstaben aus der Folge p0 , p1 , p2 , . . . einen der Werte W oder F zuordnet. v0 = ∅. Die Eigenschaft E von vn sei wie folgt definiert: E (vn ) gdw Für jedes endliche Γ ⊆ ∆ existiert ein Modell v , das mit vn in der Zuordnung von Wahrheitswerten zu p0 , p1 , . . . , pn−1 übereinstimmt und v |= Γ E (v0 ) besagt: Für jedes endliche Γ ⊆ ∆ existiert ein Modell v mit v |= Γ. 152 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Kompaktheit Angenommen, wir haben vn mit E (vn ) konstruiert. Wir konstruieren vn+1 mit E (vn+1 ) wie folgt. Wenn vn ∪ {(pn , W)} die Eigenschaft E besitzt, setzen wir vn+1 = vn ∪ {(pn , W)}. Ansonsten setzen wir vn+1 = vn ∪ {(pn , F)} und zeigen (*): dass vn+1 = vn ∪ {(pn , F)} die Eigenschaft E hat, wenn vn+1 = vn ∪ {(pn , W)} die Eigenschaft E nicht besitzt. (*): Sei vn+1 = vn ∪ {(pn , W)} und gelte E (vn+1 ) nicht. Dann existiert eine endl. Teilmenge Θ von ∆, wobei für jedes Modell v , das mit vn+1 übereinstimmt gilt (**) v 6|= Θ. Sei Ψ eine beliebige endl. Teilmenge von ∆. Da Θ ∪ Ψ endlich ist und E (vn ) gilt, existiert ein Modell v 0 , das mit vn (in der Zuordnung von Wahrheitsw. zu p0 , p1 , . . . , pn−1 ) übereinstimmt und für das gilt: v 0 |= Θ ∪ Ψ. Angenommen, v 0 (pn ) = W. Dann stimmt v 0 mit vn+1 überein und v 0 |= Θ: Widerspruch zu (**). D.h., v 0 (pn ) = F, und für vn+1 = vn ∪ {(pn , F)} stimmt v 0 mit vn+1 in der Zuordnung von Wahrheitsw. zu p0 , p1 , . . . , pn überein, und es gilt v 0 |= Ψ. Aber Ψ war eine beliebige Teilmenge von ∆. D.h., für jedes endl. Ψ ⊆ ∆ existiert ein Modell v 0 , das mit vn+1 in der Zuordnung von Wahrheitsw. zu p0 , p1 , . . . , pn übereinstimmt und so dass gilt v 0 |= Ψ. M.a.W., E (vn+1 ). 153 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Kompaktheit Wir können also eine Folge v0 , v1 , v2 , . . . konstruieren, so dass für jedes vn gilt E (vn ) und vn+1 stimmt mit vn in der Zuordnung von Wahrheitswerten zu p0 , p1 , . . . , pn−1 überein. Sei nun v= [ vn (= {a | a ∈ vn für mindestens ein n ∈ N}). n∈N Die Funktion v stimmt also mit allen vn in der Zuordnung von Wahrheitswerten überein. Es zeigt sich, dass v |= ∆. Sei A irgendein beliebiges Element von ∆. Sei pm derjenige Aussagebuchstabe in A mit dem höchsten Index. Da E (vm+1 ) und v mit vm+1 in der Zuordnung von Wahrheitswerten zu p0 , p1 , . . . , pm übereinstimmt, gilt v |= Γ für jedes endliche Γ ⊆ ∆. Da {A} endlich ist, gilt v |= A, und da A ein beliebiges gewähltes Element von ∆ ist, gilt v |= ∆. q.e.d. 154 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Prädikatenlogik Beispiele: Aristotelische Syllogismen: Jeder Parlamentarier ist intelligent. Max ist Parlamentarier. Max ist intelligent Jeder P ist I . m ist P. m ist I . Kein Professor ist vergesslich. Arthur ist vergesslich. Arthur ist kein Professor. 155 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Prädikatenlogik Beispiele für Zuschreibungen von Eigenschaften und Beziehungen: P 1 (a) S 2 (p, m) S 2 (m, p) L2 (p, p) L2 (p, p) Z 3 (a, l, b) Arthur ist Parlamentarier. Peter sucht Marie. Marie sucht Peter. Peter liebt Peter. Peter liebt sich selbst. Amsterdam liegt zwischen London und Berlin. 156 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Natürliche Sprache Prädikatenlogische Sprache Eigennamen - Erik, Marie, Hans Individuenkonstanten - e, m, h Verben, Prädikate - . . . ist klug, . . . lacht - . . . liebt−−− , . . . sucht−−− - . . . liegt zwischen−−− und ∗∗∗ Prädikatsymbole - K 1 , L1 , einstellig - L2 , S 2 , zweistellig - L3 , dreistellig funktionale Ausdrücke - die Hauptstadt von . . . - der einzige Sohn von . . . und Funktionssymbole - h1 , einstellig - s 2 , zweistellig −−− natürlichsprachliche Quantoren - alle, jeder, jedes Ding - ein, einige, irgendein, jemand, etwas Quantoren -∀ -∃ Individuenvariablen - x, y , z 157 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Wenn die Stelligkeit von Prädikatsymbolen (Relationsausdrücken) klar ist, schreiben wir statt R n (t1 , . . . , tn ) oft auch einfach R(t1 , . . . , tn ). Sprachliche Ausdrücke vom syntaktischen Typ der Eigennamen heißen Terme. Es gibt natürlichsprachliche Terme, die keine echten Eigennamen sind: “Maries Mutter”, “die Hauptstadt von Frankreich” “das Fahrrad von Peters Mutter” f 1 (m1 (p)) Quantoren: - der Allquantor - der Existenzquantor ∀ ∀x ∃ ∃x “für jedes Objekt” “für jedes Objekt x” “es gibt mindestens ein Objekt” “es gibt mindestens ein Objekt x” 158 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Beispiele: (1) Alles ist intelligent. ∀x I 1 (x) (2) Jeder Delphin ist intelligent. ∀x (D 1 (x) ⊃ I 1 (x)) (3) Es gibt etwas intelligentes. ∃x I 1 (x) (4) Es gibt einen intelligenten Professor. ∃x (I 1 (x) ∧ P 1 (x)) (5) Jemand sucht jemanden. ∃x ∃y S 2 (x, y ) (6) Einige Menschen sind nett. ∃x (M(x) ∧ N(x)) 159 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Beispiele: (7) Alle Delphine sind Fische. ∀x (D(x) ⊃ F (x)) (8) Es gibt Menschen, die nicht nett sind. ∃x (M(x) ∧ ¬N(x)) (9) Kein Politiker lügt. ¬∃x (P(x) ∧ L(x)) (10) Jemand sucht sich selbst. ∃x S(x, x) (11) Jeder Mann liebt irgendeine Frau. ∀x (M(x) ⊃ ∃y (F (y ) ∧ L(x, y ))) (12) Es gibt einen Mann, der von jeder Frau geliebt wird. ∃x (M(x) ∧ ∀y (F (y ) ⊃ L(y , x))) 160 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Was ist die Rolle der Individuenvariablen? Wozu brauchen wir Individuenvariablen? Unterscheidung von Aktiv- und Passivkonstruktionen ∃x∀yL(x, y ) versus ∃x∀yL(y , x) Übersetzung von Sätzen mit Reflexivpronomia ∃xL(x, x) Übersetzung von Relativsätzen ∃x (M(x) ∧ ¬N(x)) allgemein: Offenlegung von Quantifikationsmustern. 161 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Beispiele: Jeder Mann liebt irgendeine Frau. Jeder Mann wird von irgendeiner Frau geliebt. ∀x (M(x) ⊃ ∃y (F (y) ∧ L(x, y))) ∀x (M(x) ⊃ ∃y (F (y) ∧ L(y, x))) ∀ (M( ) ⊃ ∃ (F ( ) ∧ L( , ))) ∀ (M( ) ⊃ ∃ (F ( ) ∧ L( , ))) Individuenvariablen sind Platzhalter, die angeben, auf welche Argumentstellen von Prädikat- und Funktionssymbolen sich Quantoren beziehen. 162 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Das Alphabet der Sprache der Prädikatenlogik Definition Das Alphabet der Sprache der Prädikatenlogik besteht aus: abzählbar unendlich vielen Individuenkonstanten: a, b, c, . . . , r , s a1 , a2 , a3 , . . . Prädikatsymbolen: An , An1 , An2 , An3 , . . . Funktionssymbolen: f n , f1n , f2n , f3n , . . . den logischen Symbolen: g n , g1n , g2n , . . . ¬, ∧, ∨, ⊃, ≡, ∃, ∀ Individuenvariablen: x, y , z Hilfszeichen: B n , B1n , B2n , . . . x1 , x2 , . . . (, ) und das Komma dem Identitätssymbol (einem gesondert aufgeführten zweistelligen Prädikatsymbol): = 163 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Terme der Sprache der Prädikatenlogik Definition Die Menge der Terme der Sprache der Prädikatenlogik ist wie folgt induktiv definiert: (i) Alle Individuenvariablen und –konstanten sind Terme. (ii) Wenn f k ein k-stelliges Funktionssymbol ist und t1 , . . . , tk Terme sind, dann ist auch f k (t1 , . . . , tk ) ein Term. (iii) Nichts anderes ist ein Term. Ein Term, in dem keine Variablen vorkommen, heißt geschlossen. Wir verwenden die Symbole t1 , t2 , t3 , . . . als (metasprachliche) Variablen für Terme. 164 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Formeln der Sprache der Prädikatenlogik Definition Die Menge der Formeln der Sprache der Prädikatenlogik ist wie folgt induktiv definiert: (i) Wenn P n ein n-stelliges Prädikatsymbole ist und t1 , . . . , tn Terme sind, dann ist P n (t1 , . . . , tn ) eine Formel. (ii) Wenn t1 und t2 Terme sind, dann ist (t1 = t2 ) eine Formel. (iii) Wenn A und B Formeln sind, dann sind auch ¬A, (A ⊃ B), (A ∧ B), (A ∨ B), (A ≡ B) Formeln. (iv) Wenn A eine Formel und x eine Individuenvariable ist, dann sind ∃xA und ∀xA Formeln. (v) Nichts anderes ist eine Formel. Formeln der Gestalt P n (t1 , . . . , tn ) und (t1 = t2 ) heißen atomare Formeln. 165 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Prädikatenlogische Sprachen werden z.B. dadurch erhalten, dass nur eine gewisse endliche Anzahl von Prädikat- und Funktionssymbolen mit bestimmter Stelligkeit verwendet wird. Eine prädikatenlogische Sprache L wird durch ihre Signatur σ(L) festgelegt. Eine Signatur gibt an, wieviele Relationssysmbole und Funktionssymbole welcher Stelligkeit und wieviele Individuenkonstanten in L verwendet werden. Werden in einer Sprache L z.B. nur zwei zweistellige Relationssymbole, ein einstelliges Funktionssymbol und drei Individuenkonstatnen verwendet, ist die Signatur σ(L) = (2,2;1;3). Die Interpretation der Relationssysmbole, Funktionssymbole und Individuenkonstanten kann von Modell zu Modell variieren. 166 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Definition Der Bereich (Skopus) des anfänglichen Vorkommens des Allquantors ∀ in ∀xA (des Existenzquantors ∃ in ∃xA) ist die Symbolreihe xA. Ein Vorkommnis einer Variablen x in einer prädikatenlgischen Formel A heißt frei, wenn dieses Vorkommnis von x nicht im Bereich eines Vorkommnisses eines Quantors ∀ oder ∃ liegt. Ansonsten wird das Vorkommnis von x als (durch ∀ oder ∃) gebunden bezeichnet. Wenn x in A frei (gebunden) vorkommt, dann heißt x freie (gebundene) Variable von A. Eine prädikatenlogische Formel heißt offen, wenn sie mindestens eine freie Variable enthält, ansonsten heißt sie geschlossen. Eine geschlossene Formel wird gelegentlich auch als Satz bezeichnet. 167 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Beispiele: Formel ∀y L(x, y ) ∀x (M(x) ⊃ ∃y L(x, y )) ∀x M(x) ⊃ ∃y L(x, y ) freie Var. x keine x wahrheitsfähig nein, da offen ja, da geschlossen nein Wir schreiben A(x1 , . . . , xn ), um mitzuteilen, dass die Formel A die Variablen x1 , . . . , xn als freie Variablen enthält. 168 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Übersetzungen in die Prädikatenlogik Definition Geschlossene Formeln vom Typ ∀xA(x) heißen Allbehauptungen, Geschlossene Formeln vom Typ ∃xA(x) Existenzbehauptungen. Existenzbehauptungen, in denen der Bereich der Objekte, über die eine Existenzbehauptung gemacht wird, eingeschränkt wird, sind verdeckte Konjunktionen. Beispiel: Einige Menschen sind sterblich. 7→ ∃x(M(x) ∧ S(x)) Semantische Erklärung: Wenn das Prädikatsymbol M interpretiert wird als die Menge aller Menschen (= I(M)), d.h., wenn dem Ausdruck M die Menge aller Menschen als bezeichneter Gegenstand zugeordnet wird, und wenn S interpretiert wird als die Menge der sterblichen Objekte (= I(S)), dann besagt “Einige Menschen sind sterblich” offenbar, dass die Menge der Objekte, die menschlich und sterblich sind, nicht leer ist: I(M) ∩ I(S) = {x | x ∈ I(M) und x ∈ I(S)} = 6 ∅ 169 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Übersetzungen in die Prädikatenlogik Allbehauptungen, in denen der Bereich der Objekte, über die eine Allbehauptung gemacht wird, eingeschränkt wird, sind verdeckte Implikationen. Beispiel: Alle Menschen sind sterblich. 7→ ∀x(M(x) ⊃ S(x)) Semantische Erklärung: Wenn das Prädikatsymbol M interpretiert wird als die Menge aller Menschen (= I(M)), d.h., wenn dem Ausdruck M die Menge aller Menschen als bezeichneter Gegenstand zugeordnet wird, und wenn S interpretiert wird als die Menge der sterblichen Objekte (= I(S)), dann besagt “Alle Menschen sind sterblich” offenbar, dass jedes Objekt sterblich ist, wenn es menschlich ist: I(M) ⊆ I(S) 170 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Desambiguierung durch Übersetzung Jeder Mann liebt eine Frau. + Jeder Mann liebt irgendeine Frau. ∀x (M(x) ⊃ ∃y (F (y ) ∧ L(x, y ))) Q Q Q s Q Es gibt eine Frau, die jeder Man liebt. ∃y (F (y ) ∧ ∀x (M(x) ⊃ L(x, y ))) 171 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Übersetzungen in die Prädikatenlogik Frage: Bedeuten in den folgenden Paaren von Formeln (a) und (b) intuitiv jeweils dasselbe? (a) ∀x (M(x) ⊃ ∃y L(x, y )) (b) ∀x (M(x) ⊃ ∃z L(x, z)) (a) ∀x (M(x) ⊃ ∃y L(x, y )) (b) ∀x (M(x) ⊃ ∃x L(x, x)) (a) ∀x M(x) ⊃ ∃y L(a, y ) (b) ∀x M(x) ⊃ ∃x L(a, x) 172 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Übersetzungen in die Sprache der Prädikatenlogik Es gibt einen Typus von Sätzen natürlicher Sprachen, die, obschon sie auf den ersten Blick unauffällig und unkompliziert zu sein scheinen, nicht der Oberflächensyntax folgend angemessen in prädikatenlogische Formeln übersetzbar sind. Diese Sätze heißen Eselssätze, weil die meistdikutierten Beispiele für derartige Sätze Variationen auf folgende Beispiele sind: Wenn eine Bäuerin einen Esel besitzt, dann schlägt sie ihn. Eine Bäuerin, die einen Esel besitzt, schlägt ihn. Die Übersetzungsprobleme mit diesen Sätzen entstehen durch die anaphorische Verwendung von Personalpronomina. Hier ist ein etwas einfacheres Beispiel, in dem nur ein Personalpronomen anaphorisch verwendet wird. (*) Wenn jemand von Rudolf beeinflusst wird, wird er von Bertrand beinflusst. 173 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Übersetzungen in die Sprache der Prädikatenlogik Die folgenden Übersetzungen sind inadäquat: 1. ∃xB(r , x) ⊃ B(b, x) 2. ∃x(B(r , x) ⊃ B(b, x)) 3. ∃xB(r , x) ⊃ ∃xB(b, x) Formel 1. ist eine offene Formel und deshalb kein deklarativer Ausdruck, wohingegen (*) jedoch ein Deklarativsatz ist. Die geschlossene Formel 2. ist eine Existenzbehauptung, aber (*) ist keine Existenzbehauptung sondern eine Implikation. Übersetzung 3. ist sowohl geschlossen als auch eine Implikation, aber trotzdem keine angemessene Übersetzung von (*), weil 3. soviel besagt wie Wenn jemand von Rudolf beeinflusst wird, dann wird jemand von Bertrand beeinflusst. Der Rückbezug von er auf das durch den Quantor jemand als existent eingeführte Individuum wird durch 3. nicht erfasst. Korrekt ist offenbar die folgende, den Allquantor verwendende Übersetzung: ∀x(B(r , x) ⊃ B(b, x)). 174 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Prädikatenlogische Formeln werden interpretiert in Strukturen D = hD, R, Oi, wobei D ein nicht-leerer Individuenbereich ist, d.h. eine nicht-leere Menge von Gegenständen (alias Objekten, Individuen) R eine Menge von Relationen zwischen Objekten aus D ist und O eine Menge von Operationen (d.h. Funktionen) ist, die auf D definiert sind. Falls D unendlich ist heißt auch D unendlich. 175 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Prädikatenlogische Formeln werden in einer Struktur hD, R, Oi interpretiert durch eine Interpretationsfunktion I: I ordnet jeder Individuenkonstante a genau ein Objekt I(a) ∈ D zu, I ordnet jedem einstelligen Prädikatsymbol P 1 eine Teilmenge von D zu (die Objekte mit der durch P 1 bezeichneten Eigenschaft). I(P 1 ) ⊆ D, I ordnet jedem k-stelligen Prädikatsymbol P k (k > 1) eine k-stellige Relation zu (die Menge der k-Folgen von Objekten, die in der durch P k bezeichneten Relation zueinander stehen). I(P k ) ⊆ D k , I ordnet jedem k-stelligen Funktionssymbol f k eine k-stellige Funktion zu, die über D definiert ist. 176 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Einstellige Prädikatsymbole, d.h., Ausdrücke zur Bezeichnung von Eigenschaften, werden durch Mengen interpretiert. Eigenschaften werden als Mengen aufgefasst. (Dies wird auch die extensionale Auffassung von Eigenschaften genannt.) Allgemein werden n-stellige Prädikatsymbole, d.h., Ausdrücke zur Bezeichnung n-stelliger Beziehungen, durch Mengen von n-Tupeln interpretiert. (Mengen werden als einstellige Relationen aufgefasst.) Definition Ein Paar M = hD, Ii wird ein prädikatenlogisches Modell genannt. 177 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Wenn die Menge der Relationen, der Operationen und der Funktionen einer Struktur jeweils endlich ist und wenige Elemente enthält, werden diese Elemente auch explizit aufgelistet. Beispiele: D = hN, <, +i Diese Struktur ist geeignet, um eine zweistelliges Prädikatsymbol P und ein zweistelliges Funktionssymbol f zu interpretieren. I(P) = <, I(f ) = die Additionsoperation über N. D = hFamilie Müller, {x | x wohnt in Bochum}, {hx, y i | x ist Mutter von y }, {hx, y i | x ist Bruder von y }i Diese Struktur ist geeignet, um ein einstelliges und zwei zweistellige Prädikatsymbole zu interpretieren. 178 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Gesucht ist eine Wahrheitsdefinition für prädikatenlogische Formeln, die das Kompositionalitätsprinzip erfüllt. Beispiel: Die Wahrheit von ∃xP(x) in einem Modell hängt allein und eindeutig ab von der Wahrheit von P(x) in dem Modell. Aber: P(x) ist eine offene Formel, und x bezeichnet nichts. Lösung des Problems: Tarskis Wahrheitsdefinition Da Individuenvariablen nichts bezeichnen, werden für jedes Modell ‘Hilfsinterpretationen’ der Variablen eingeführt, so dass relativ zu einer solchen Hilfsinterpretation jede Variable ein Objekt aus dem Individuenbereich denotiert. 179 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Definition Eine Belegung α in D ist eine Funktion, die jeder Individuenvariable x ein Objekt α(x) ∈ D zuordnet. Mit α[d/x] (lies: “α mit d für x”) bezeichnen wir diejenige Belegung, die sich von α höchstens dadurch unterscheidet, dass der Variablen x das Objekt d zugeordnet wird. Mit Hilfe von I und einer Belegung α können wir jetzt zunächst definieren, was der semantische Wert eines beliebigen Terms t in einem prädikatenlgischen Modell M unter der Belegung α ist. Wir schreiben dafür: VM,α (t). 180 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Definition Sei M = hD, Ii ein Modell und α eine Belegung in D. Der semantische Wert von Termen ist wie folgt induktiv definiert: VM,α (x) = α(x), für Individuenvariablen x, VM,α (b) = I(b), für Individuenkonstanten b, VM,α (f (t1 , . . . , tn )) = I(f )(VM,α (t1 ), . . . , VM,α (tn )). Beispiel: Sei M = hD, Ii ein Model, D = hN, +i, I(f ) = die Addition über N, und I(a) = 3. Sei α eine Belegung in D mit α(x) = 9. Dann gilt: VM,α (f (x, a)) = I(f )(VM,α (x), VM,α (a)) = I(f )(α(x), I(a)) = +(9, 3) = 9 + 3 = 12 181 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Definition Sei M = hD, Ii ein Modell und α eine Belegung in D. Der Wahrheitswert einer prädikatenlogischen Formel in M unter der Belegung α ist wie folgt induktiv definiert: (i) VM,α (P(t1 , . . . , tn )) = W gdw I(P)(VM,α (t1 ), . . . , VM,α (tn )), VM,α ((t1 = t2 )) = W gdw VM,α (t1 ) = VM,α (t2 ), (ii) VM,α (¬A) = W gdw VM,α (A) = F , (iii) VM,α (A ∧ B) = W gdw (iv) VM,α (∃xA) = W gdw VM,α[d/x] (A) = W , VM,α (A) = VM,α (B) = W , es gibt ein d ∈ D, so dass (v) VM,α (∀xA) = W gdw für alle d ∈ D gilt: VM,α[d/x] (A) = W . Anstelle von VM,α (A) = W schreiben wir auch M, α |= A. 182 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Beispiel: Sei M = hD, Ii ein Model mit D = hN, <i und I(R) = <. Sei α eine Belegung in D mit α(y ) = 5. Dann gilt: gdw gdw gdw gdw gdw gdw M, α |= ∀x(R(y , x) ⊃ ∃zR(x, z)) für alle n ∈ N : M, α[n/x] |= (R(y , x) ⊃ ∃zR(x, z)) für alle n ∈ N : (wenn M, α[n/x] |= R(y , x), dann M, α[n/x] |= ∃zR(x, z)) für alle n ∈ N : (wenn I(R)(VM,α[n/x] (y ), VM,α[n/x] (x)), dann existiert m ∈ N, mit M, α[n/x][m/z] |= R(x, z)) für alle n ∈ N : (wenn < (5, VM,α[n/x] (x)), dann existiert m ∈ N, mit I(R)(VM,α[n/x][m/z] (x), VM,α[n/x][m/z] (z))) für alle n ∈ N : (wenn < (5, VM,α[n/x] (x)), dann existiert m ∈ N, mit < (n, m)) für alle n ∈ N : (wenn 5 < n, dann existiert m ∈ N, mit n < m) ∀x(R(y , x) ⊃ ∃zR(y , z)) ist wahr in M unter α: M, α |= ∀x(R(y , x) ⊃ ∃zR(y , z)). 183 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Für alle Modelle M = hD, Ii und Belegungen α in D gilt: M, α |= ∀xA ≡ ¬∃x¬A M, α |= ∃xA ≡ ¬∀x¬A Definition Eine prädikatenlogische Formel A heißt gültig in einem Modell M = hD, Ii (symbolisch M |= A) genau dann, wenn A wahr ist in M unter jeder Belegung in D. Die Formel A heißt allgemeingültig (symbolisch |= A) genau dann, wenn A gültig ist in jedem prädikatenlogischen Modell. Definition Zwei prädikatenlogische Formeln A und B heißen logisch äquivalent genau dann, wenn |= A ≡ B. 184 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Eine Übersetzung des Syllogismus Alle Menschen sind sterblich. Platon ist ein Mensch. Platon ist sterblich. in prädikatenlogisches Vokabular macht eine Sprache L mit Signatur σ(L) = (1, 1; −; 1) erforderlich. In prädikatenlogischen Formeln lässt sich die Schlussfolgerung als ∀ x(M(x) ⊃ S(x)), M(a) / S(a) übersetzen. Diese Schlussfolgerung ist gültig genau dann, wenn ((∀ x(M(x) ⊃ S(x)) ∧ M(a)) ⊃ S(a)) allgemeingültig ist. 185 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Sei M ein Modell passend zur Signatur σ(L) mit M = (D, {I(S), I(M)}, ∅, I), wobei I(a) ∈ D und I(S), I(M) ⊆ D. Die Wahl der Belegung β ist irrelevant, da es sich bei der betrachteten Formel um einen Satz handelt. Dann gilt: M, β|=((∀ x(M(x) ⊃ S(x)) ∧ M(a)) ⊃ S(a)) gdw gdw gdw gdw gdw [wenn M, β|=∀ x(M(x) ⊃ S(x)) und M, β|=M(a)], dann M, β|=S(a) [wenn für alle d ∈ D gilt, falls M, β[d/x]|=M(x), dann M, β[d/x]|=S(x), und I(a) ∈ I(M)], dann I(a) ∈ I(S) [wenn für alle d ∈ D gilt, falls β[d/x](x) ∈ I(M), dann β[d/x](x) ∈ I(S), und I(a) ∈ I(M)], dann I(a) ∈ I(S) [wenn für alle d ∈ D gilt, falls d ∈ I(M), dann d ∈ I(S), und I(a) ∈ I(M)], dann I(a) ∈ I(S) [wenn I(M) ⊆ I(S) und I(a) ∈ I(M)], dann I(a) ∈ I(S) 186 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Die letzte Aussage ist offensichtlich gültig unabhängig von dem gewählten Modell, d.h. unabhängig von der Interpretation der auftretenden Relationssymbole und Konstanten. Es handelt sich um eine allgemeingültige Formel, also ist der betrachtete Syllogismus eine gültige Schlussfolgerung. Ein weiteres Beispiel: Die Signatur der Sprache ist σ(L) = (2; 2; −). Ein Modell M sei mit M = (N, {<},{+}, I) gegeben, wobei I(R) = < (= {(x, y )|x < y } ⊆ N × N) und I(f ) = + (= {(x, y )|x + y ∈ N}) und I(a) = 0. Für die Belegung β gelte β(z) = 4. 187 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Dann kann die folgende Formel in M unter β ausgewertet werden. M, β|=∀ x(R(z, x) ⊃ ∃ yR(x, f (z, y ))) gdw gdw gdw gdw für alle d ∈ D, wenn M, β[d/x]|=R(z, x), dann M, β[d/x]|=∃ yR(x, f (z, y )) für alle d ∈ D, wenn I(R)(β[d/x](z), β[d/x](x)), dann existiert d 0 ∈ D mit M, β[d/x][d 0 /y ]|=R(x, f (z, y )) für alle d ∈ D, wenn 4 < d, dann existiert d 0 ∈ D mit I(R)(β[d/x][d 0 /y ](x), I(f )(β[d/x][d 0 /y ](z), β[d/x][d 0 /y ](y )) für alle d ∈ D, wenn 4 < d, dann existiert d 0 ∈ D mit d < 4 + d 0 Diess Aussage in wahr M unter β. Sie ist aber in M auch unter jeder Belegung von z wahr, so dass ∀ x(R(z, x) ⊃ ∃ yR(x, f (z, y ))) in M gültig ist. Die Formel ist jedoch nicht allgemeingültig. Im Modell M0 = (N, {<}, {−}, I) mit I(f )(x, y ) = x − y ist sie falsch, da die Aussage, dass für alle d ∈ D, wenn β(z) < d, dann existiert d 0 ∈ D mit d < β(z) − d 0 , für mindestens eine Belegung β falsch ist. In M0 ist sie sogar für alle Belegungen falsch. 188 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Sei M = hD, Ii ein Modell. Eine geschlossene Formel A ist wahr in M unter jeder Belegung in D genau dann, wenn A wahr ist in M unter einer Belegung in D. Behauptung Sei M = hD, Ii, seien x1 , . . . , xn die freien Variablen der prädikatenlogischen Formel A, und seien α und β zwei Belegungen in D mit α(xi ) = β(xi ); für i = 1, . . . , n. Dann gilt: M, α |= A gdw M, β |= A. 189 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Behauptung |= ∀x(A ∧ B) ≡ (∀xA ∧ ∀xB) |= ∃x(A ∨ B) ≡ (∃xA ∨ ∃xB) |= ¬∀xA ≡ ∃x¬A |= ¬∃xA ≡ ∀x¬A |= ∀x∀yA ≡ ∀y ∀xA |= ∃x∃yA ≡ ∃y ∃xA |= ∀xA ≡ A, falls x nicht frei in A. |= ∃xA ≡ A, falls x nicht frei in A. Die Anordnung von Quantoren derselben Art ist also irrelevant, und ein Quantorpräfix Qx in QxA kann vernachlässigt werden, falls x in A nicht frei vorkommt. 190 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Eine zentrale Rolle von Modellen ist ihre Rolle als Gegenbeispiele zu ungültigen Schlussfolgerungen. Die folgenden Schlussfolgerungen z.B. sind offensichtlich nicht gültig. ∀x(A(x) ∨ B(x)) ∀xA(x) ∨ ∀xB(x) ∃xA(x) ∧ ∃xB(x) ∃x(A(x) ∧ B(x)) Ein Gegenbsp. zu beiden Schlussfolgerungen ist das Modell: M = hD = {Hans, Fritz}, R = { {Hans}, {Fritz} }, O = ∅, Ii, wobei I(A) = {Hans} und I(B) = {Fritz}. Die Relationenmenge R enthält zwei 1-stellige Relationen, d.h. Eigenschaften, d.h. Mengen von Objekten. Die durch das einstellige Relationssymbol A bezeichnete Eigenschaft wird von Hans besessen; die andere, durch das einstellige Relationssymbol B bezeichnete Eigenschaft hat Fritz. 191 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Auch die folgenden Schlussfolgerungen sind ungültig. (∗) ∀xA(x) ⊃ ∀xB(x) ∀x(A(x) ⊃ B(x)) (∗∗) ∃xB(x) ⊃ ∃xA(x) ∃x(A(x) ⊃ B(x)) Ein Gegenbeispiel zu (∗) ist das obige Modell M. Ein Gegenbeispiel zu (∗∗) ist: M0 = hD = {Hans, Fritz}, R = { {Hans, Fritz}, ∅}, O = ∅, Ii, wobei I(A) = {Hans, Fritz} und I(B) = ∅. 192 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Endliche Modelle hD, Ii, in denen prädikatenlogische Formeln mit nur einem zweistelligen Prädikatsymbol (z.B. S) interpretiert werden, erlauben eine einfache graphische Darstellung. Die Objekte des Individuenbereichs können z.B. durch Punkte wiedergegeben werden, und die durch S bezeichnete Relation I(S) kann durch Pfeile angedeutet werden, z.B.: v 6 v v v 193 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Semantik der Prädikatenlogik Die folgende Schlussfolgerung ist ungültig: (∗ ∗ ∗) ∀x∃yS(x, y ) ∃y ∀xS(x, y ) Ein Gegenbeispiel ist: v v 194 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Eigenschaften binärer Relationen Definition Eine zweistellige Relation reflexiv nicht-reflexiv irreflexiv symmetrisch nicht-symmetrich asymmetrisch antisymmetrisch transitiv nicht-transitiv intransitiv seriell euklidisch konfluent konnex (total) R heißt gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw gdw ∀xR(x, x) ∃x¬R(x, x) ∀x¬R(x, x) ∀x∀y (R(x, y ) ⊃ R(y , x)) ∃x∃y (R(x, y ) ∧ ¬R(y , x)) ∀x∀y (R(x, y ) ⊃ ¬R(y , x)) ∀x∀y ((R(x, y ) ∧ R(y , x)) ⊃ (x = y )) ∀x∀y ∀z((R(x, y ) ∧ R(y , z)) ⊃ R(x, z)) ∃x∃y ∃z((R(x, y ) ∧ R(y , z)) ∧ ¬R(x, z)) ∀x∀y ∀z((R(x, y ) ∧ R(y , z)) ⊃ ¬R(x, z)) ∀x∃yR(x, y ) ∀x∀y ∀z((R(x, y ) ∧ R(x, z)) ⊃ R(y , z)) ∀x∀y ∀z((R(x, y ) ∧ R(x, z)) ⊃ ∃u(R(y , u) ∧ R(z, u))) ∀x∀y ((R(x, y ) ∨ R(y , x)) ∨ (x = y )) 195 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Kann man in der Sprache der Prädikatenlogik ausdrücken, dass eine zweistellige Relation über einer Menge eine Funktion ist? Eine zweistellige Relation R über einer Menge X ist eine Teilmenge von {hx, y i | x ∈ X und y ∈ X }. Die Relation ist eine Funktion, wenn für jedes x aus X genau ein y aus X existiert, so dass hx, y i ∈ R. Kann man “es gibt genau ein x” in der Sprache der Prädikatenlogik ausdrücken? Und vielleicht auch “es gibt mindestens zwei x” und “es gibt genau 2 x”? Kann man für jede natürliche Zahl n ausdrücken “es gibt genau n x”? 196 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Die Sprache der Prädikatenlogik Es gibt mindestens einen Philosophen. ∃xP(x) Es gibt höchstens einen Philosophen. ∀x∀y ((P(x) ∧ P(y )) ⊃ (x = y )) Es gibt genau einen Philosophen. ∃x(P(x) ∧ ∀y (P(y ) ⊃ (x = y ))) Abkürzung: ∃!xP(x) Es gibt genau zwei Philosophen. ∃x(P(x) ∧ ∃y ((P(y ) ∧ ¬(x = y )) ∧ ∀z(P(z) ⊃ ((z = x) ∨ (z = y )))) Definition Eine zweistellige Relation R heißt funktional gdw ∀x∃!yR(x, y ). 197 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Klassen relationaler Strukturen Einige wichtige Klassen von Strukturen sind durch die Kombination mehrerer relationaler Eigenschaften definiert. Definition Eine nicht-leere Menge D mit einer zweistelligen Relation R über D heißt Präordnung partielle Ordnung gdw gdw lineare Präordnung lineare Ordnung gdw gdw strikte Ordnung gdw R reflexiv und transitiv ist R reflexiv, transitiv und anti-symmetrisch ist R reflexiv, transitiv und konnex ist R reflexiv, transitiv, anti-symmetrisch und konnex ist R irrreflexiv und transitiv ist 198 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Klassen relationaler Strukturen Jede irreflexiv transitive Relation ist asymmetrisch, d.h., die folgende Schlussfolgerung ist gültig: ∀x¬R(x, x) ∀x∀y ∀z((R(x, y ) ∧ R(y , z)) ⊃ R(x, z)) ∀x∀y (R(x, y ) ⊃ ¬R(y , x)) 199 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Frage: Ist jede prädikatenlogische Formel logisch äquivalent zu einer Formel, die aus einem Quantorpräfix gefolgt von einer quantor-freien Formel besteht? Definition Eine prädikatenlogische Formel A ist in pränexer Normalform (PNF) genau dann, wenn A aus einer endlichen (eventuell) leeren Folge von Quantorpräfixen besteht, auf die eine quantorfreie Formel folgt. Wenn A sich in pränexer Normalform befindet, heißt A auch pränex. Pränexe Formeln sind zerlegt in eine Kette von Quantifikationen gefolgt von einem quantorfreien, Booleschen Teil: Q1 x1 . . . Qn xn A, wobei Q ∈ {∃, ∀} und A quantorfrei ist. 200 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Wir hatten bereits gesehen, dass |= ∀x(A ∧ B) ≡ (∀xA ∧ ∀xB) |= ∃x(A ∨ B) ≡ (∃xA ∨ ∃xB) Auch die folgenden Beispiele für allgemeingültige Formeln sind instruktiv für ‘das Vorziehen’ von Quantoren. Theorem |= ∀x(A(x) ∨ B) ≡ (∀xA(x) ∨ B), falls x nicht frei in B vorkommt |= ∃x(A(x) ∧ B) ≡ (∃xA(x) ∧ B), falls x nicht frei in B vorkommt 201 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Um von einer beliebigen Formel zu einer logisch äquivalenten Formel in PNF zu gelangen, ist auch die folgende Beobachtung hilfreich, die erneut verdeutlicht, dass die Variablen nur zu Festlegung von Quantifikationsmustern verwendet werden. Theorem (Umbenennung gebundener Variablen) Wenn z nicht in A vorkommt, dann gilt: |= ∀xA(x) ≡ ∀zA(z) |= ∃xA(x) ≡ ∃zA(z) 202 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Wir werden einen simplen Algorithmus angeben, mit dem jede beliebige Formel in eine logisch äquivalente pränexe Formel umgeformt werden kann. Diese Umformungen erfolgen, indem logisch äquivalente Formeln (in Formeln) füreinander eingesetzt werden. Das ist zulässig, wenn die wechselseitige Ersetzung logisch äquivalenter Formeln keinen Einfluß hat auf die Wahrheitsbedingungen der Formeln, in denen ersetzt wird. M.a.W., wir benötigen ein Ersetzungstheorem. Wir definieren induktiv den Begriff der Ersetzung eine Formel A für eine atomare Formel p in einer Formel B (symbolisch [A/p]B). Theorem (Ersetzungstheorem) |= A ≡ B impliziert |= [A/p]C ≡ [B/p]C 203 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Definition Eine Formel A ist in Negationsnormalform (NNF) genau dann, wenn für jede Teilformel ¬B von A gilt, dass B atomar ist. Theorem (Negationsnormalform) Zu jeder Formel A existiert eine logisch äquivalente Formel A0 in NNF. Beweis. Die Behauptung folgt mit dem Ersetzungstheorem und: |= ¬∀xA ≡ ∃x¬A, |= ¬∃xA ≡ ∀x¬A, |= ¬¬A ≡ A |= ¬(A ∧ B) ≡ (¬A ∨ ¬B) |= ¬(A ∨ B) ≡ (¬A ∧ ¬B) |= ¬(A ⊃ B) ≡ (A ∧ ¬B) |= ¬(A ≡ B) ≡ ((A ∧ ¬B) ∨ (B ∧ ¬A)) 204 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Die aufgelisteten Äquivalenzen liefern einen Algorithmus, um eine beliebige Formel A in eine logisch äquivalente Formel A0 in NNF zu transformieren. Theorem (pränexe Normalform) Zu jeder Formel A existiert eine logisch äquivalente Formel A∗ in PNF. 205 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Beweis. Zunächst eliminieren wir alle Vorkommnisse von ⊃ und ≡ in der Formel A unter Verwendung des Ersetzungstheorems und folgender Fakten: |= (A ⊃ B) ≡ (¬A ∨ B) |= (A ≡ B) ≡ ((A ⊃ B) ∧ (B ⊃ A)) Dann bringen wir die so erhaltene Formel in Negationsnormalform und erhalten eine Formel A0 . Nun verwenden wir Induktion über den Aufbau von A0 . Wenn A0 eine atomare Formel oder eine negierte atomare Formel ist, dann ist A0 pränex. 206 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Wenn A0 = (B ∨ C ), können wir mit der Induktionsannahme davon ausgehen, dass B und C logisch äquivalent sind zu Formeln B ∗ und C ∗ in PNF. D.h., B ∗ = Q1 x1 . . . Qn xn B1 , und 0 y C , C ∗ = Q10 y1 . . . Qm m 1 wobei Q ∈ {∀, ∃} und B1 , C1 quantorfrei sind. Wir können alle gebundenen Variablen so wählen, dass sie verschieden sind und dass keine Variable sowohl gebunden als auch frei vorkommt. Wir erhalten: 0 ym (B1 ∨ C1 ) |= A0 ≡ Q1 x1 . . . Qn xn Q10 y1 . . . Qm und sind fertig. 207 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Wenn A0 = (B ∧ C ), verfahren wir analog. Wenn A0 = ∀xB or A0 = ∃xB, wählen wir ∀zB ∗ bzw. ∃zB ∗ für eine frische Variable z. q.e.d. Beispiele. Wir transformieren die Formel: ¬∀x∃y ¬∃z(R(x, y ) ⊃ P(y , z)) ∧ ∃xR(a, x) sukzessive in PNF: ¬∀x∃y ¬∃z(R(x, y ) ⊃ P(y , z)) ∧ ∃xR(a, x) ¬∀x∃y ¬∃z(¬R(x, y ) ∨ P(y , z)) ∧ ∃xR(a, x) ∃x∀y ∃z(¬R(x, y ) ∨ P(y , z)) ∧ ∃xR(a, x) ∃x∀y ∃z(¬R(x, y ) ∨ P(y , z)) ∧ ∃x1 R(a, x1 ) ∃x∀y ∃z∃x1 ((¬R(x, y ) ∨ P(y , z)) ∧ R(a, x1 )) 208 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Wir transformieren die Formel: ∃xQ(z, x) ⊃ ∀x(R(x, y ) ⊃ P(x)) sukzessive in PNF: ∃xQ(z, x) ⊃ ∀x(R(x, y ) ⊃ P(x)) ¬∃xQ(z, x) ∨ ∀x(¬R(x, y ) ∨ P(x)) ∀x¬Q(z, x) ∨ ∀x(¬R(x, y ) ∨ P(x)) ∀x¬Q(z, x) ∨ ∀x1 (¬R(x1 , y ) ∨ P(x1 )) ∀x(¬Q(z, x) ∨ ∀x1 (¬R(x1 , y ) ∨ P(x1 ))) ∀x∀x1 (¬Q(z, x) ∨ (¬R(x1 , y ) ∨ P(x1 ))) 209 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Pränexe Normalform Wir transformieren die Formel: ∀yK (y ) ⊃ ∃xT (x) sukzessive in PNF: ∀yK (y ) ⊃ ∃xT (x) ¬∀yK (y ) ∨ ∃xT (x) ∃y ¬K (y ) ∨ ∃xT (x) ∃y (¬K (y ) ∨ ∃xT (x)) ∃y ∃x(¬K (y ) ∨ ∃xT (x)) Man beachte, dass ∀yK (y ) ⊃ ∃xT (x) und ∀y ∃x(K (y ) ⊃ T (x)) nicht logisch äquivalent sind. 210 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Regel der ∃-Einführung Motivation der ∃-Einführungsregel ∆ .. . ∆ .. . ∆ .. . L(a, b) ∃xL(x, b) L(a, b) ∃yL(a, y ) L(a, b) ∃yL(a, y ) ∃x∃yL(x, y ) ∆ .. . ∆ .. . ∆ .. . L(c, c) ∃xL(x, c) L(c, c) ∃yL(c, y ) L(c, c) ∃xL(x, x) 211 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik ∆ .. . ∆ .. . ∆ .. . ∀xL(x, b) ∃y ∀xL(x, y ) ∀xL(x, b) ∃x∀xL(x, x) ∀yL(y , y ) ∃x∀yL(x, y ) nicht korrekt nicht korrekt Es muss vermieden werden, dass die Einführung des Existenzquantors bestehende Quantifikationsmuster antastet. 212 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Definition Mit [t/x]A bezeichnen wir das Ergebnis der Ersetzung jedes freien Vorkommnisses der Variablen x in der Formel A durch den Term t. Definition Der Term t ist frei für x in A genau dann, wenn keine Variable von t in einem substituierten Vorkommnis von t in [t/x]A gebunden vorkommt. 213 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Definition (Alternative Definition von “frei für”) Der Begriff “Term t ist frei für x in A” ist induktiv wie folgt definiert: t ist frei für x in A, wenn A atomar ist. t ist frei für x in ¬B, wenn t frei für x in B ist. t ist frei für x in B]C (] ∈ {∧, ∨, ⊃, ≡}), wenn t frei für x in B ist und frei für x in C . t ist frei für x in ∃yB, wenn y nicht in t vorkommt und t frei ist für x in B. t ist frei für x in ∀yB, wenn y nicht in t vorkommt und t frei ist für x in B. 214 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik ∆ .. . (∃E ) A(t) ∃xA falls t frei ist für x in A(x), wobei A(t) = [t/x](A). In dem Beispiel ∆ .. . ∀yL(y , y ) ∃x∀yL(x, y ) haben wir ∀yL(y , y ) = [y /x]∀yL(x, y ), aber y ist nicht frei für x in ∀yL(x, y ). 215 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Auch das vorletzte Beispiel ist keine Einsetzung in die Regel (∃E ): ∆ .. . ∀xL(x, b) 6= [b/x]∀xL(x, x) = ∀xL(x, x) ∃x∀xL(x, x) 216 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Regel der ∀-Beseitigung Motivation der ∀-Beseitigungsregel ∆ ∆ .. .. . . ∀x∃yL(y , x) ∀x∃yL(y , x) ∃yL(y , z) ∃yL(y , y ) (korrekt) ∆ .. . (nicht korrekt) (∀B) ∀xA(x) A(t) falls t frei ist für x in A(x). 217 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Regel der ∀-Einführung Motivation der ∀-Einführungsregel Alle F sind G Alle G sind H Alle F sind H ∀x(F (x) ⊃ G (x)) ∀x(G (x) ⊃ H(x)) ∀x(F (x) ⊃ H(x)) Eine informelle Ableitung: Sei x ein beliebiges Objekt. Angenommen x ist F . Alle F sind G , also ist x G . Alle G sind H, also ist x H. Also, wenn x F ist, dann ist x H. Aber x war beliebig gewählt. Also gilt: Alle F sind H. 218 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik [F (x)]1 ∀x(F (x) ⊃ G (x)) (∀B) F (x) ⊃ G (x) ∀x(G (x) ⊃ H(x)) (⊃B) (∀B) G (x) G (x) ⊃ H(x) (⊃B) H(x) 1 (⊃E ) F (x) ⊃ H(x) (∀E ) ∀x(F (x) ⊃ H(x)) An der Stelle F (x) ⊃ H(x) ∀x(F (x) ⊃ H(x)) (∀E ) der Ableitung wird nichts Spezifisches über x angenommen. Die Annahme, dass x F ist, wurde bereits als temporäre Annahme im (⊃ E ) Schritt aufgegeben. 219 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Beispiele: [F (x)1 ] (∀E ) nicht korrekt ∀xF (x) (⊃E )1 F (x) ⊃ ∀xF (x) (∀E ) korrekt ∀x(F (x) ⊃ ∀xF (x)) (∀B) F (a) ⊃ ∀xF (x) [F (y )]1 (∀E ) nicht korrekt ∀xF (x) (⊃E )1 F (y ) ⊃ ∀xF (x) (∀E ) korrekt ∀x(F (x) ⊃ ∀xF (x)) (∀B) F (a) ⊃ ∀xF (x) 220 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik ∀-Einführungsregel: ∆ .. . (∀E ) A(x) ∀xA(x) falls x in keiner Annahme frei vorkommt, von der A(x) abhängt. 221 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Beispiele: [∀x(A(x) ∧ B(x))]1 [∀x(A(x) ∧ B(x))]1 (∀B) A(x) ∧ B(x) A(x) ∧ B(x) (∧B) (∧B) A(x) B(x) (∀E ) (∀E ) ∀xA(x) ∀xB(x) (∧E ) ∀xA(x) ∧ ∀xB(x) (⊃E )1 ∀x(A(x) ∧ B(x)) ⊃ (∀xA(x) ∧ ∀xB(x)) (∀B) In den (∀E )-Schritten hängt A(x) bzw. B(x) jeweils von einer Prämisse ab, in der die Variable x allerdings nicht frei vorkommt. 222 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik [∀x∀yL(x, y )]1 (∀B) ∀yL(x, y ) (∀B) L(x, y ) (∀E )1 ∀xL(x, y ) (∀E ) ∀y ∀xL(x, y ) (⊃E ) ∀x∀yL(x, y ) ⊃ ∀y ∀xL(x, y ) 223 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Regel der ∃-Beseitigung Motivation der ∃-Beseitigungsregel Jemand ist F Alle F sind G Jemand ist G ∃xF (x) ∀x(F (x) ⊃ G (x)) ∃xG (x) Eine informelle Ableitung: Jemand ist F; nennen wir dieses Objekt y . Alle F sind G , also ist y G . Also ist jemand G . Alles was wir über y angenommen hatten, war, dass y F ist. M.a.W., y war ein beliebiges F . Da jemand F ist, hängt die Konklusion (dass jemand G ist) also nicht von der Annahme ab, dass y F ist. 224 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik [F (y )]1 ∃xF (x) ∃xG (x) ∀x(F (x) ⊃ G (x)) (∀B) F (y ) ⊃ G (y ) (⊃B) G (y ) (∃E ) ∃xG (x) 1 (∃B) 225 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik ∃-Beseitigungsregel: Γ ∆, [A(y )] .. .. . . ∃xA (∃B) B B wenn x 6∈ fv (B) und für alle C ∈ ∆ mit C 6= A(y ), x 6∈ fv (C ), wobei fv (B) die Menge der in B frei vorkommenden Variablen ist. 226 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik Beispiele: (a) ∃xG (x) [G (x)]1 G (x) (∀E ) ∀xG (x) (∃B)1 ‡ [F (x)]1 [G (x)]2 (∧E ) F (x) ∧ G (x) (∃E ) ∃xF (x) ∃x(F (x) ∧ G (x)) (∃B)1 ∃xG (x) ∃x(F (x) ∧ G (x)) (∃B)2 ∃x(F (x) ∧ G (x)) ‡ ‡: nicht korrekte Anwendung von (∃B) 227 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik (b) {∃x(F (x) ∧ G (x))} ` ∃xF (x) ∧ ∃xG (x) [(F (x) ∧ G (x))] [(F (x) ∧ G (x))] F (x) G (x) ∃x(F (x) ∧ G (x)) ∃xF (x) ∃x(F (x) ∧ G (x)) ∃xG (x) ∃xF (x) ∃xG (x) ∃xF (x) ∧ ∃xG (x) 228 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Natürliches Schließen für die Prädikatenlogik (c) {∃x(A(x) ∧ B(x)), ¬∃x(B(x) ∧ C (x))} ` ¬∀x(A(x) ∧ C (x)) [∀x(A(x) ∧ C (x))] [A(x) ∧ B(x)] (A(x) ∧ C (x) B(x) C (x) (B(x) ∧ C (x)) ∃x(A(x) ∧ B(x)) ∃x(B(x) ∧ C (x)) ∃x(B(x) ∧ C (x)) ¬∃x(B(x) ∧ C (x)) ¬∀x(A(x) ∧ C (x)) 229 / 230 Eine Einführung in die klassische Logik Nicht korrekte Ableitung von (∀ xA(x) ≡ ¬∃ x¬A(x)). Wo liegt der Fehler? 3 [¬A(x)] ∃ x¬A(x) ∀xA(x) (∀E) 2 4 [¬∃ x¬A(x)] [¬A(x)] A(x) ∗ 3 (¬B) (¬B ) A(x) ∃ x¬A(x) ¬∃ x¬A(x) (∀E) (∃B)4 ∀xA(x) ¬∃ x¬A(x) 1,2 (≡E) (∀ xA(x) ≡ ¬∃ x¬A(x)) (∃E) 230 / 230