Seite I Vorwort Autorenverzeichnis Vorwort zur 2. Aktualisierungslieferung der 2. Auflage Neue Produktentwicklungen sowie die kontinuierliche Neubewertung des Arzneimittelmarktes erfordern fünf Jahre nach der vollständigen strukturellen und inhaltlichen Neubearbeitung und drei Jahre nach der letzten Nachlieferung eine erneute Aktualisierung der „Selbstmedikation“. Präparatelisten wurden auf den derzeitigen Stand gebracht. Die Kapitel Auge und Raucherentwöhnung wurden vollständig überarbeitet. Andere wurden aktualisiert oder teilweise ergänzt, z. B. analgetische Behandlung von Dysmenorrhö und des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes, Mundgeruch, Schluckauf, Gentest zur Diagnose von Pilzinfektionen, Milben, Repellentien, Insektenstich, Haarausall, Hyperhidrosis, Wundheilung, Narben. Seit Erscheinen der letzten Aktualisierung wurden auch einige Arzneimittel, teils nach heftigen Diskussionen in der Öffentlichkeit („Pille danach“) aus der Verschreibungspflicht entlassen. Die hiermit verbundene Anerkennung des pharmazeutischen Berufsstandes ist erfreulich, die Freigabe erfordert aber zugleich eine intensive Beratung. Sie wird zwar durch standardisierte produktspezifische Beratungsempfehlungen sinnvoll unterstützt, kann jedoch die fachlich fundierte individuelle Beratung niemals ersetzen. Von besonderer Bedeutung für die Beratung in der Apotheke ist auch der nach langer politischer Diskussion festgelegte aktuelle rechtli- Tübingen, im Sommer 2015 2. Aktualisierungslieferung che Status der elektrischen Zigarette als Genussmittel und nicht als Arzneimittel oder Medizinprodukt. Neu für die Selbstmedikation verfügbar sind die Wirkstoffe n-Docosanol zur topischen Behandlung von Lippenherpes, Benzydamin gegen Reizungen und Schmerzen im Mund, Racecadotril als systemisches Antidiarrhoikum sowie Levonorgestrel und Ulipristalacetat für die oben erwähnte Notfallkontrazeption. Verschiedene Kapitel betreffend die Patientenberatung bei der Vorbeugung und Behandlung bestimmter Erkrankungen wurden einschließlich empfohlener nicht medikamentöser Maßnahmen ergänzt. Der ständigen Risikobewertung des Arzneimittelmarktes wurde durch die Aufnahme neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse bzw. Empfehlungen Rechnung getragen. Dies betrifft beispielsweise die vergleichende Bewertung des Schwangerschaftsrisikos von Analgetika, des kardiovaskulären Risikos von Paracetamol, Diclofenac und Ibuprofen sowie die aktuelle Risikobewertung von Petasites, Pelargonium oder von symphytumhaltigen Arzneimitteln. Bei der Aktualisierung der einzelnen Kapitel wurde die rasch wachsende Zahl von Richtlinien und Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften zu bestimmten Erkrankungen und deren Behandlung berücksichtigt. H. Hamacher Martin A. Wahl Selbstmedikation 10/2015 Seite II Vorwort Selbstmedikation 10/2015 2. Aktualisierungslieferung Seite 2 - 60 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Tab. 2.3-3: Die aerobe und anaerobe Mikroflora einzelner Abschnitte des Gastrointestinaltrakts. Aus Schulze et al. 2008 Mikroorganismen Magen Jejunum Ileum Kolon Aerob und fakultativ anaerob lebende Keimgruppen Enterobakterien 0–102 0–103 102–106 104–1010 Enterokokken 0–103 0–104 102–106 105–1010 Staphylokokken 0–102 0–103 102–105 104–107 Laktobazillen 0–103 0–104 102–105 106–1010 Pilze 0–102 0–102 102–103 102–106 Bacteroides spp. selten 10–102 103–107 1010–1012 Bifidobakterien selten 10–103 103–105 108–1012 anaerobe Streptokokken selten 10–103 102–104 108–1011 Clostridien selten selten 102–104 106–1011 Eubakterien selten selten selten 109–1012 Anaerob lebende Keimgruppen Angaben in KBE (Koloniebildende Einheiten) pro ml bzw. pro g Darminhalt Reisediarrhoe Die Ätiologie der bei Auslandsreisen, insbesondere in subtropische und tropische Länder sehr häufig beobachteten Diarrhöen, ist keineswegs einheitlich. Sie können bereits durch die Umstellung der Lebensgewohnheiten und der Nahrung oder durch die Stresssituation ausgelöst werden. Die Mehrzahl dieser akuten Diarrhöen aber ist infektiös bedingt, wobei neben den oft mangelnden hygienischen Verhältnissen auch der Wechsel der mikrobiologischen Flora auslösendes Agens sein kann. Dabei kommen einige allgemein seltene Erreger in bestimmten Regionen gehäuft vor. Erreger akuter Diarhöen Escherichia coli Enteropathogene Stämme von Escherichia coli (EPEC) scheinen zu den häufigsten Erregern akuter Darminfektionen einschließlich der Reisediarrhöen zu gehören. Von diesen kommen nicht invasive Stämme wesentlich häufiger vor als invasive Stämme. Die invasiven, zu dysenterischen Diarrhöen führenden Selbstmedikation 10/2015 Stämme (EHEC = enterohämorrhagische) führen zu shigellose-ähnlichen, aber oft leichteren Verlaufsformen. Die diese Erkrankungen auslösenden Stämme werden somit daher als Shigella-like E. coli bezeichnet. Das Enterotoxin der nicht invasiven enterotoxischen Escherichia-coli-Stämme (ETEC) wird über eine Aktivierung der Adenylatcyclase an die Enterozytenmembran, hauptsächlich neu heranwachsender Darmepithelzellen der Kryptenregion gebunden und löst dort die Sekretion von Elektrolyten und Wasser aus. Die Wasserausscheidung kann 5 bis 10 oder sogar 30 l pro Tag erreichen, wobei 10 und mehr Stühle pro Tag keine Seltenheit sind. Bei den nicht invasiven Formen dominieren die diarrhoischen Formen des Durchfalls. Nach einer Inkubationszeit von meist 1 bis 2 Tagen treten schlagartig gelbliche, dann farblose wässrige Stühle und Bauchkrämpfe, Übelkeit und Erbrechen auf. Dehydratation mit Muskelkrämpfen und Hämokonzentration können folgen. Der Krankheitsverlauf ist selbstlimitierend und dauert bis zu 5 Tage. 2. Aktualisierungslieferung Seite 2 - 61 Tab. 2.3-4: Verhalten von Erregern infektiöser Diarrhöen im und ihre Wirkung auf den Darm Erreger Reaktion des Darmes Nicht invasiv: • Vibrio cholerae • nicht invasive Stämme von Escherichia coli • Starke Flüssigkeitszunahme im Darmlumen durch Sekretion von Chlorid, Hydrogencarbonat, Wasser und Hemmung der Natriumresorption • Hypermotilität • Hyperämie Invasiv: • Salmonellen • Yersinien • Campylobacter • Shigellen • Invasive Stämme von Escherichia coli • Amöben Salmonellosen Die Salmonellose (Gastroenteritis salmonellosa) wird durch Salmonellaarten ausgelöst, von denen mehr als 2 000 Serotypen unterschieden werden können. Die pathologisch bedeutendsten sind Salmonella typhimurium, welches für etwa 40 % der in Mitteleuropa ausgelösten Salmonellosen verantwortlich ist, weniger häufig sind S. panama, S. enteritidis und S. infantis. Andere Regionen zeigen eine sich von Zentraleuropa unterscheidende Häufigkeitsverteilung der Salmonellaarten. Aufgrund der Ausgangslage des betroffenen Organismus, der Anzahl der Erreger und deren Virulenz können Salmonelleninfektionen trotz erwiesener Keimausscheidung symptomlos verlaufen oder zu leichten bis schweren Gastroenteritiden führen. Ursache von durch Salmonellen bedingten Gastroenteritiden sind meist kontaminierte Speisen. Die Übertragung von Mensch zu Mensch ist aufgrund der relativ niedrigen Virulenz (bei gesunden Erwachsenen führen je nach Salmonellenart erst Keimzahlen in der Größenordnung von 105 bis 108 zur Erkrankung) eher selten. 12 bis 48 Stunden (meist 18 bis 24 Stunden) nach Aufnahme kontaminierter Nahrung treten schlagartig heftige lokale und systemische Reaktionen mit Erbrechen, Durchfall, abdominalen Krämp2. Aktualisierungslieferung • Hypermotilität durch Enterotoxinbildung • lokale und systemische Wirkung durch Freisetzung von Enterotoxin in der Darmwand fen, oft begleitet von Fieber und Schüttelfrost auf. Obgleich sich die Erreger invasiv verhalten, sind dysenterische Formen mit blutigen Stühlen als Folge einer zellzerstörenden Wirkung eher selten. Es kommt lediglich zu einer entzündlichen Reaktion der Lamina propria mucosae mit erhöhter Motilität und Tonus der Darmwand, erhöhter Sekretionsrate und vermehrter Schleimhautneubildung (erhöhter Zell-turn-over). Der Schweregrad von Salmonellosen wird allgemein eher überschätzt. Eine symptomatische Therapie der Salmonellosen ohne Antibiotika bzw. Chemotherapie ist, abgesehen von Risikopatienten wie Säuglingen, immungeschwächten Patienten, Diabetikern und sehr alten Menschen, meist ausreichend. Yersinia-Diarrhöen Durch Yersinia enterocolitica ausgelöste Durchfälle mit meist gutartigem Verlauf haben zugenommen. Das Ausmaß der Diarrhöen, die von Fieber begleitet sein können, ist unterschiedlich. Sie sind meist selbstbegrenzend, klingen innerhalb weniger Wochen ab, so dass bis auf schwerere Fälle mit systemischer Sepsis auch hier eine antibiotische bzw. chemotherapeutische Behandlung entfallen kann. Bei septikämischem Verlauf Selbstmedikation 10/2015 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Verdauungstrakt Seite 2 - 62 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse können allerdings systemische Erkrankungen wie Erythema nodosum oder Arthritiden die Folge sein. Campylobacter-Enteritiden Campylobacter-Infektionen, die ursprünglich den Zoonosen zugeordnet wurden, haben in jüngerer Zeit auch erhebliche Bedeutung für den Menschen gewonnen. Insbesondere Campylobacter fetus subspecies jejuni ist neuerdings häufig Ursache akuter Durchfallerkrankungen mit vorwiegendem Befall des Dünndarms, die außer durch Wasser und Speisen auch durch Vögel übertragen werden. Nach einer zunächst uncharakteristischen Prodromalphase kommt es 2 bis 5 Tage nach der Infektion zu Diarrhöen. Die Erkrankung wird besonders bei Kindern beobachtet. Sofern im Stuhl Leukozyten und Erythrozyten nachgewiesen werden, ist eine invasive Form der Diarrhoe anzunehmen. Daneben kommen aber auch nicht invasive diarrhoische Formen vor. Eine antibiotische oder Chemotherapie ist nur bei Komplikationen mit allgemeiner Sepsis erforderlich. Shigellosen Shigelleninfektionen (Bakterienruhr) kommen bei uns seltener vor, sind dafür aber schwerwiegender als die bisher genannten infektiösen Diarrhöen. Wegen der hohen Virulenz der Erreger – 102 aufgenommene Keime können bereits eine Infektion auslösen – sind Kontaktinfektionen bei Shigellosen häufiger als bei den übrigen infektiösen Darmerkrankungen. Die wichtigsten Erreger der Bakterienruhr sind Shigella sonnei, Shigella flexneri, wobei heute Letzterer dominiert. Die Inkubationszeit liegt zwischen 1 und 7 Tagen. Die Erkrankung beginnt mit Prodromalerscheinungen wie Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen sowie niedrigem Fieber, so dass zunächst ein grippaler Infekt vermutet werden kann. 12 bis 30 Stunden später setzen Abdominalkrämpfe gefolgt von durch enterotoxinvermittelte SekSelbstmedikation 10/2015 retion im Dünndarm bedingten Durchfällen ein. Infolge Invasivität und zytotoxischer Wirkung der Shigellen, hauptsächlich auf die Epithelzellen des Kolons, werden blutigschleimige Stühle beobachtet, die oft unter heftigen Tenesmen (ständiger, schmerzhafter Stuhldrang) abgesetzt werden. Sie sollten stets Anlass zur Konsultation eines Arztes sein. Shigellosen bedürfen einer antibiotischen Therapie. Amöbiasis Neben der durch Shigellen verursachten bakteriellen Ruhr kommt, wenn auch sehr selten, eine durch Protozoen ausgelöste hinsichtlich ihrer Symptomatik ähnliche Darminfektion, die Amöbenruhr vor. Erreger der Amöbiasis ist Entamoeba histolytica. Die Inkubationszeit bei dieser Durchfallerkrankung ist sehr variabel und kann sich im Bereich von wenigen Tagen bis zu Jahren bewegen. Meist liegt sie zwischen 2 und 4 Wochen. Die Infektion erfolgt durch orale Aufnahme von Amöbenzysten, welche sich im Dickdarm zu Trophozoiten (Minutaformen) entwickeln. Bei latentem Verlauf können sich unter für die Erreger günstigen Konditionen aus den Minutaformen die invasiven Magnaformen (haematophager Trophozoit) entwickeln, welche dann zu Nekrosen und Ulzerationen der Dickdarmschleimhaut führen. Die Erkrankung beginnt meist ohne Fieber, oft mit einer Obstipation, gefolgt von zunächst leichten, dann glasig-schleimigen und blutigen Durchfällen. Schon wegen der gefürchteten systemischen Komplikationen ist eine chemotherapeutische Behandlung erforderlich. Mittel der Wahl ist Metronidazol. Cholera Die durch den Erreger Vibrio cholerae, ein kommaförmig gekrümmtes gramnegatives Stäbchenbakterium, ausgelöste Cholera ist der Prototyp einer diarrhoischen Diarrhoe, die vorwiegend den Dünndarm befällt und insbesondere in Südostasien, Südamerika und in afrikanischen Ländern verbreitet ist. 2. Aktualisierungslieferung Seite 2 - 63 Die Inkubationszeit liegt zwischen 2 und 5 Tagen. Die Cholera ist gekennzeichnet durch starke wässrige Durchfälle und Erbrechen mit extremen Flüssigkeitsverlusten bis zu 20 l täglich mit der Folge einer starken Exsikkose und meist stark ausgeprägter Azidose. Bedingt durch die Exsikkose ergeben sich als Begleitsymptome Blutdruckabfall, Tachykardie, Anurie und eine Untertemperatur. Eine antibiotische Behandlung ist daher unabdinglich. Die Symptome werden durch ein gut untersuchtes Exotoxin der mittleren relativen Molekülmasse 86 000 Dalton ausgelöst. Dieses Enterotoxin enthält eine aus 5 Polypeptidketten (Mr jeweils 11 600), für die Bindung an den Rezeptor der Darmepithelzelle verantwortliche und die wirksame Untereinheit (Mr 28 000). Die Hypersekretion von Chloridionen und Resorptionshemmung der Natriumionen, welche eine hohe Wasserausscheidung zur Folge haben, kommt über eine Aktivierung der Adenylatcyclase zustande. Virale Diarrhöen Ein beachtlicher Teil der infektiös bedingten akuten Durchfallerkrankungen kann trotz noch lückenhafter Kenntnisse auf Viren zurückgeführt werden. Gastroenteritiden verursachende Viren kommen vor allem in den Gruppen der Parvoviren, der REO-Viren und der Rotaviren vor. Immer wieder treten epidemieartige Durchfallerkrankungen bedingt durch den Norovirus auf. Die vor allem bei Kindern verbreiteten viralen Durchfallerkrankungen beginnen in der Regel abrupt, halten 1 bis 21 Tage an und sind meist von leichtem Fieber und Beschwerden des oberen Respirationstrakts begleitet. Eine über die symptomatische hinausgehende Behandlung ist weder nötig noch möglich. Arzneimittelinduzierte Diarrhöen Häufig entwickeln sich infektiöse Durchfälle infolge einer Behandlung mit Antibiotika, da letztere den Schutz durch die natürliche 2. Aktualisierungslieferung Darmflora schwächen, und der Besiedlung des Darms mit pathogenen Erregern Vorschub leisten. Nach Absetzen des Antibiotikums verschwindet die Diarrhö meist von selbst. Der Heilungsprozess kann aber durch die Einnahme von Probiotika beschleunigt werden. Allerdings kann sich durch die Antibiotikatherapie auch eine durch Fieber und abdominelle Beschwerden gekennzeichnete und eventuell von blutigen Durchfällen begleitete lebensbedrohliche pseudomembranöse Kolitis entwickeln. Sie wird durch von Clostridium difficile gebildete Toxine ausgelöst und tritt in der Regel 4 bis 10 Tage nach Beginn der Antibiotikabehandlung auf. Häufige Auslöser einer antibiotikainduzierten pseudomembranösen Kolitis sind Lincomycin, Ampicillin und Cephalosporine. Außer den antibiotikainduzierten infektiösen Durchfällen können akute Diarrhöen als Nebenwirkungen verschiedener weiterer Arzneimittel verursacht werden. Zu ihnen gehören neben den Laxantien Magnesium enthaltende Antazida sowie neurotrope Pharmaka wie Antiadrenergika, Antihypertensiva wie Guanethidin, Methyldopa und Reserpin sowie parasympathomimetische Substanzen. Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich, dass Diarrhöen auch Folge einer Nahrungsmittelallergie oder einer unzuträglichen Ernährung, etwa mit sehr fettreichen Nahrungsmitteln sein können. Nahrungsmittelbedingte Diarrhöen Durch Nahrungsmittel ausgelöste Durchfälle können auf einer unzureichenden Verdauung deren bestimmter Nahrungsbestandteile oder auf einer allergischen Reaktion mit letzteren beruhen. So liegt bei einer Lactoseintoleranz ein Mangel an dem Lactose spaltendem Enzym Lactase vor (vgl. Seite 2–84). Sie darf nicht mit einer Kuhmilchallergie verwechselt werden, welcher eine Immunreaktion mit bestimmten Eiweißbestandteilen zugrungeliegt. Weiteres Beispiel für eine immunologisch bedingte Enteropathie mit dem Symptom Diarrhö ist die Zöliakie (Sprue), welche auf einer Selbstmedikation 10/2015 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Verdauungstrakt Seite 2 - 64 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Überempfindlichkeit gegen Gluten beruht. Der Genuss glutenhaltiger Speisen führt hier zu Veränderungen der Dünndarmschleimhaut mit einer Atrophie der Zotten. Die hierdurch bedingte verminderte Nahrungsresorption führt zu Diarrhö, voluminösen Fettstühlen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Eisenmangel. Wegen des erhöhten Risikos für Autoimmun- und maligne Erkrankungen, insbesondere maligne Lymphome, wird auch bei milden Verlaufsformen eine lebenslange glutenfreie Diät empfohlen. Chronische Diarrhöen Chronische, d.h. länger als 2 Wochen anhaltende Diarrhöen sind meist Symptome verschiedener Grunderkrankungen des Gastrointestinaltrakts. Sie bedürfen daher stets einer ärztlichen Diagnose und können allenfalls nach einer solchen symptomatisch, beispielsweise durch Quellstoffe wie Flohsamen oder Weizenkleie unterstützend behandelt werden. So sind für psychogen bedingte Diarrhöen häufige schmerzhafte Stuhlentleerungen mit kleinen Stuhlmengen charakteristisch. Häufig wird nach einer normalen Stuhlentleerung oder kurz nach den Mahlzeiten wässriger Stuhl abgesetzt. Ursache der psychogen bedingten chronischen Diarrhöen ist eine periodisch auftretende Dominanz des parasympathischen Nervensystems. Sie treten oft alternierend mit Obstipationen auf. Chronische Diarrhöen kommen auch bei 2,5 % aller Diabetiker und bei 22 % neuropathischer Diabetiker vor. Ferner können schwere entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder das Colon irritabile, Karzinome des Gastrointestinaltrakts oder endokrine Tumoren Ursache einer chronischen Diarrhoe sein. Dies unterstreicht die Unverzichtbarkeit einer gründlichen ärztlichen Diagnose. 2.3.2.2 Diätetische Maßnahmen Die früher bei Durchfallerkrankungen empfohlene längere Nahrungskarenz gilt heute Selbstmedikation 10/2015 als überholt, vielmehr ist eine frühe Realimentation nach Substitution der Flüssigkeitsund Elektrolytverluste angezeigt. Hierbei ist mit gewissen Einschränkungen eine spezielle Diät nicht erforderlich. Vorteilhaft ist allerdings bei Säuglingen wegen der möglichen Disaccharidintoleranz bei Enteritiden eine vorübergehende verminderte Lactosezufuhr. Günstiger sind wegen der geringeren osmotischen Aktivität polymere Kohlenhydrate wie Dextrinmaltose, Stärke oder Reisschleim. Empfehlenswert bei Durchfallerkrankungen sind auch Bestandteile der physiologischen Darmflora enthaltende, als Probiotika bezeichnete Milchprodukte, die an späterer Stelle besprochen werden. Die Einschränkung einer normalen Fettzufuhr ist ebenso wenig geboten wie diejenige einer normalen Eiweißnahrung, ausgenommen bei bestehenden Eiweißallergien. Auch sollte das Stillen von Säuglingen unbedingt fortgesetzt werden. Die vor der Erkrankung gegebene altersgemäße Säuglingsnahrung sollte, eventuell zunächst in verdünnter Form, beibehalten werden. 2.3.2.3 Medikamentöse Maßnahmen Trotz der Vielfalt an Erregern und anderer Ursachen ist die therapeutische Behandlung von Durchfallerkrankungen, zumindest im Selbstmedikationsbereich, auf symptomatische Maßnahmen beschränkt. Diese werden daher unabhängig von ätiologischen Aspekten in diesem Kapitel gemeinsam besprochen. Eine Auswahl von Arzneimitteln zur Behandlung von Durchfallerkrankungen findet sich in den Tabellen 2.3-5 und 2.3-6. Orale Rehydratationslösungen Wegen der zum Teil sehr erheblichen Flüssigkeitsverluste ist der Ersatz von Elektrolyten und Wasser als wichtigste therapeutische Maßnahme bei akuten Durchfallerkrankungen heute unumstritten. Dies gilt insbesondere für Säuglinge und Kleinkinder, bei denen die Gewichtsabnahme durch Flüssig2. Aktualisierungslieferung Seite 2 - 65 Tab. 2.3-5: Zusammensetzung oraler Rehydratationslösungen gemäß Empfehlung der WHO (seit 2002) und der ESPGAN WHO (mmol/l) ESPGAN (mmol/l) Natrium 75 60 Chlorid 65 20 Glucose (wasserfrei) 75 74–111 Kalium 20 20 Citrat 10 10 Gesamtmolarität 245 240 keitsverlust bei Durchfällen bis zu 10 % und mehr erreichen kann, aber auch für ältere Patienten über 60 Jahren, bei denen die physiologischen Kompensationsmechanismen deutlich eingeschränkt sind. Bei Diarrhöen im Kleinkindesalter hat der Elektrolyt- und Flüssigkeitsersatz absoluten Vorrang vor allen anderen therapeutischen Maßnahmen. Während bei leichteren Diarrhöen ein Flüssigkeitsersatz durch Tee oder Fruchtsaftgetränke meist ausreicht, ist bei stärkeren Durchfällen ein gezielter Wasser- und Elektrolytersatz mit bilanzierten und möglichst auch Glucose enthaltenden Lösungen zweckmäßig. Der Glucosezusatz bietet neben der vor allem in der Pädiatrie gewünschten Geschmacksverbesserung auch den Vorteil, dass sich die Natriumionen- und Glucoseabsorption bei gleichzeitiger isoosmolarer Aufnahme von Anionen und Wasser gegenseitig stimulieren. Meinungsverschiedenheiten gibt es auch heute noch hinsichtlich der optimalen Zusammensetzung der oralen Rehydratationslösungen (ORL), insbesondere hinsichtlich deren optimalen Natriumionenkonzentration. Ziel jeder Rehydratation ist eine möglichst rasche Substitution der Elektrolyt- und Wasserverluste und zugleich auch eine Kompensation der häufig gleichzeitig beobachteten Azidose. Einigkeit besteht darüber, dass die Substitution nicht mit stark hypertonen Lösungen vorgenommen werden sollte, da Letztere aufgrund ihres osmotischen Drucks die Resorption von Wasser und Elektrolyten 2. Aktualisierungslieferung hemmen und zu einer vermehrten Sekretion von Flüssigkeit in das Darmlumen führen. Als optimal gelten heute schwach hypoosmolare orale Rehydratationslösungen mit einer Gesamtosmolarität um 240 (200 bis 250) mmol/l (Blutisotonie bei 285 mmol/l). Die ursprünglich von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Rehydratationslösung enthält mit 90 mmol/l viel Natriumionen. Diese hohe Natriumionenkonzentration entspricht den bei Kindern mit Cholera beobachteten Natriumausscheidungen im Stuhl. Die Natriumverluste bei anderen bakteriellen Enteritiden und auch bei den bei Kindern häufig vorkommenden durch Rotaviren verursachten Diarrhöen sind mit 35 bis 60 mmol/l deutlich geringer. Aus diesem Grunde senkte die WHO 2002 die empfohlene Natriumkonzentration auf maximal 75 mmol/l und die Gesamtmolarität auf 245 mmol/l. Die Europäische Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (ESPGAN) empfiehlt zumindest für europäische Kinder eine orale Rehydratationslösung mit einer Natriumionenkonzentration von nur 60 mmol/l (Tab. 2.3-5). Der Kaliumgehalt von 20 mmol/l dieser empfohlenen oralen Rehydratationslösung (ORL) beugt der Entwicklung einer Hypokaliämie mit ihren Folgen vor. Der Glucosegehalt der ORL sollte gemäß Empfehlungen der ESPGAN im Konzentrationsbereich von 74 bis 111 mmol/l liegen. Bei Verwendung monomerer Glucose ist zwecks Vermeidung hyperosmolarer Lösung der untere KonzentraSelbstmedikation 10/2015 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Verdauungstrakt Seite 2 - 66 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse tionsbereich zu bevorzugen. Wegen ihres niedrigeren osmotischen Drucks sind daher Glucose enthaltende polymere Kohlenhydrate wie Dextrinmaltose, Stärke oder Reisschleim vorteilhaft. Sie können, bezogen auf die Glucoseeinheit, auch in höherer Konzentration verabreicht werden. Bei schweren Durchfällen ist wegen der Gefahr einer Azidose der Zusatz basischer Substanzen zu den oralen Rehydratationslösungen vorteilhaft. Hierbei ist Natriumcitrat dem früher meist verwendeten Natriumhydrogencarbonat vorzuziehen, da Letzteres die Flüssigkeitsresorption hemmt, zu Instabilitäten der Glucose führen, Blähungen verursachen kann und zudem den Geschmack ungünstig beeinflusst und damit die Akzeptanz der Lösung beeinträchtigen kann. Wegen des großen zu applizierenden Flüssigkeitsvolumens kommen orale Rehydratationslösungen nicht als solche in den Handel, sondern werden vielmehr aus meist einzeldosierten, festen Darreichungsformen vom Patienten selbst durch Auflösen in (abgekochtem!) Wasser hergestellt. Die Zusammensetzung entsprechender handelsüblicher Produkte findet sich in Tabelle 2.3-6. Für die Apothekenrezeptur kann zur oralen Rehydratation folgende Lösung empfohlen werden, die der von der ESPGAN empfohlenen Zusammensetzung etwa entspricht: Natriumchlorid Natriumcitrat-Dihydrat Kaliumchlorid Glucose, wasserfrei Wasser 1,75 g (0,35 g) 3g (0,6 g) 1,5 g (0,3 g) 20 g (4 g) zu 1 000 g (200 g) Das Substanzgemisch kann (z.B. mit den eingeklammerten Mengen der Rezepturformel) in Form einzeln dosierter Pulver hergestellt und daraus vom Patienten mit der angegebenen Menge abgekochten Wassers die fertige orale Rehydratationslösung bereitet werden. Das Feststoffgemisch eignet sich wegen seines geringeren Volumens auch für Reiseapotheken. Antidiarrhoika Unter Antidiarrhoika werden hier in engerem Sinne Wirkstoffe verstanden, welche auf neurotropem Wege die Motilität und die Sekretion des Darmes hemmen und so zu einer raschen Beseitigung der lästigen und schmerzhaften Diarrhösymptome führen. Sofern man sich der Gefahren einer symptomatischen Behandlung stets bewusst bleibt und notwendige andere therapeutische Maßnahmen wie den Wasser- und Elektrolytersatz bzw. im Falle schwerer dysenterischer Erkrankungen eine antibiotische Therapie nicht außer Acht lässt, sind Opioide Tab. 2.3-6: Handelsübliche Präparate zur Herstellung oraler Rehydratationslösungen Handelsname Darreichungsform Zusammensetzung Herstellung der ORL Elotrans® Pulver 1 Beutel (6,03 g): Glucose-wasserfrei 4 g, Natriumchlorid 0,7 g, NatriumcitratDihydrat 0,59 g, Kaliumchlorid 0,3 g Beutelinhalt in 200 ml Flüssigkeit 1 Beutel: 4,869/ 5,2/ 5,2 g enth.: Natriumchlorid 0,47 g Kaliumchlorid 0,3 g, D-Glucose 1H2O 3,56 g, Dinatriumhydrogencitrat 1,5H2O 0,53 g 1 Beutel in 200 ml Flüssigkeit Oralpädon® 240 Pulver Neutral/ – 240 Erdbeere/ – 240 Apfel-Banane Selbstmedikation 10/2015 2. Aktualisierungslieferung Seite 2 - 67 zweifellos hervorragende und unentbehrliche Pharmaka. Sie verbessern, korrekt dosiert und angewandt, durch Beseitigung der Symptome bei durchaus vertretbaren Nebenwirkungen den subjektiv empfundenen Gesundheitszustand der betroffenen Patienten beträchtlich. Loperamid Die als Antidiarrhoika verwendeten Opioide unterscheiden sich zum Teil erheblich hinsichtlich ihrer zentralen Nebenwirkungen einschließlich ihres Suchtpotentials. Als ein diesbezüglich besonders günstiges synthetisches Antidiarrhoikum hat sich Loperamid erwiesen (Tab. 2.3-7). Nachdem die rezeptfreie Anwendung von Loperamid bereits in vielen Staaten, darunter USA, Kanada, Schweiz, Schweden und in den meisten EG-Staaten, mit Erfolg praktiziert worden war, hat endlich auch die zuständige deutsche Behörde dem Patienten und vor allem dem Apotheker den verantwortungsvollen Umgang mit diesem Medikament zugetraut und hat 1993 Loperamid und seine Salze unter bestimmten Voraussetzungen aus der Verschreibungspflicht entlassen. Die Freistellung ist beschränkt auf feste Zubereitungen zur oralen Anwendung bei akuter Diarrhoe in Tagesdosen bis zu 12 mg und in Packungsgrößen bis zu 24 mg, wobei Kinder unter 6 Jahren durch entsprechende Hinweise auf dem Behältnis und dessen äußerer Umhüllung von der Selbstmedikation ausgeschlossen werden. 2. Aktualisierungslieferung Pharmakodynamik Loperamid bindet als Opioid an zentrale und periphere μ-Opiatrezeptoren, besitzt jedoch im Gegensatz zur Mehrzahl der übrigen Vertreter dieser Wirkstoffgruppe keine analgetische Wirkung und führt erfahrungsgemäß nicht zur Abhängigkeit. Sein Suchtpotential ist praktisch vernachlässigbar. Loperamid vermindert über das autonome Nervensystem und die peripheren Opiatrezeptoren die propulsive Motilität des Darmes. Die Aktivität der Longitudinalmuskulatur wird reduziert, der Tonus und die segmentale Aktivität des Darmes hingegen werden erhöht und damit die Passagezeit des Darminhaltes verlängert. Aus der erhöhten Verweilzeit des Darminhaltes resultiert eine vermehrte Wasser- und Elektrolytresorption über die Dünndarmschleimhaut. Experimentell ließ sich ferner eine Bindung des Loperamids an Calmodulin und damit eine Aktivitätshemmung calciumabhängiger Enzyme sowie eine Hemmung der durch Prostaglandin bzw. durch das Choleratoxin stimulierten Flüssigkeitssekretion nachweisen, deren Bedeutung für die therapeutische Wirkung jedoch unklar ist. Neben der motilitätshemmenden und antisekretorischen Wirkung wird für Loperamid eine Funktionsverbesserung des Kontinenzorgans über Neurotransmitter oder den Calmodulinmechanismus angenommen. Als motilitätshemmendes Antidiarrhoikum ist Loperamid heute Mittel der Wahl und kann sowohl zur Behandlung akuter als auch chronischer Diarrhöen (bei Letzteren allerdings nur durch den Arzt!) mit Erfolg eingesetzt werden. Die Frage, inwieweit es durch die Anwendung von Motilitätshemmern zu einer verzögerten Ausscheidung pathogener Erreger und damit zu einem verzögerten Krankheitsverlauf kommen kann, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Aufgrund neuerer Untersuchungen trifft dieses für Loperamid allerdings nicht zu. Die Anfangsdosis bei akuten Durchfällen beträgt für den Erwachsenen 4 mg, gefolgt von Selbstmedikation 10/2015 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Verdauungstrakt Seite 2 - 68 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Tab. 2.3-7: Arzneimittel zur Behandlung von Durchfallerkrankungen außer oralen Rehydrationslösungen Handelsname Darreichungsform Zusammensetzung in Antidarrhoika Imodium® akut Loperamidratiopharm® akut Vaprino® 100 mg Kapseln Filmtabletten 1 Kapsel: Loperamidhydrochlorid 2 mg 1 Tablette: Loperamidhydrochlorid 2 mg Kapseln 1 Kapsel: 100 mg Racecadotril Eichenrinde (DAC) Droge Kohle-Compretten® Kohle-Hevert® Kohle-Pulvis Tannalbin® av Tannalbin® Tabletten Tabletten Pulver Kapseln Tabletten Flohsamen Droge Indische Flohsamen Indische Flohsamenschalen Agiocur® Droge Droge Metamucil kalorienarm – Orange Sachets Mucofalk® Apfel-/ Orange/-Pur Pascomucil Pulver Adsorbentien Rinde jüngerer Stämme und Zweige von Quercus robur L. und Quercus petraea Medizinische Kohle 250 mg pro Tablette Medizinische Kohle 250 mg pro Tablette Medizinische Kohle 1 Kapsel: Tanninalbuminat 250 mg 1 Tablette: Tanninalbuminat 500 mg Quellmittel Reife Samen von Plantago psyllium L. und Plantago indica L. Reife Samen von Plantago ovata FORSSKAL Schalen der reifen Samen von Plantago ovata FORSSKAL 5 g (1 Teelöffel): Plantago-ovata-Samen 3,25 g, Plantago-ovata-Samenschalen 0,11 g 5,8 g (1 Beutel) Flohsamen, indische 3,26 g Granulat Granulat 5 g (1 Beutel): Plantago-ovata-Samenschalen 3,25 g 5 g: Plantago-ovata-Samenschalen 2,5 g Pulver Mittel zur Normalisierung der Darmflora Lactulose enthaltende Präparate Bifiteral® Lactulose Heumann® Lactuflor® Ladulose Hexal Sirup Sirup Sirup Sirup 100 ml: Lactulose 66,7 g 100 ml: Lactulose 60,6 g 100 ml: Lactulose 65 g 100 ml: Lactulose 66,7 g Lebensfähige Mikroorganismen enthaltende Präparate (Auswahl) Mutaflor® mite/Mutaflor magensaftresistente Kapseln Omniflora® Kapseln Perenterol® 50 mg/ Perenterol® forte 250 mg Perocur® forte Kapseln Uzara® Dragees Uzara® N Lösung Saft Kapseln 1 Kapsel: Biotrockenmasse mit 0,5–5 × 109/2,5– 25 × 109 lebensfähigen Bakterien Escherichia coli Stamm Nissle 1917 1 Kapsel: Trockenhefe aus Saccharomyces cerevisiae HANSEN CBS 5926 250 mg mit mind 5 × 109 lebensfähigen Zellen 1 Kapsel enth.: Trockenhefe aus Saccharomyces boulardii 50 mg bzw. 250 mg 1 Kapsel enth.: Saccharomyces cerevisiae HANSEN CBS 5926 250 mg Uzarawurzel Selbstmedikation 10/2015 1 Dragee: Trockenextrakt (4–6 : 1) 40 mg – Auszugsmittel: Methanol 60 % (V/V) 10 ml (1 Messlöffel): Trockenextrakt (4–6 : 1) 75,6 mg – Auszugsmittel: Methanol 60 % (V/V) 2. Aktualisierungslieferung Seite 2 - 69 jeweils 2 mg nach jedem Stuhlgang bei einer maximalen Tagesdosis von 12 mg in der Selbstmedikation. Im Regelfall (50 bis 75 % der Fälle) reichen 8 mg Loperamid zur erfolgreichen Behandlung während der ersten 24 Stunden, am zweiten Tag meist 4 mg aus. Bei länger als 2 Tage andauernder Diarrhoe empfiehlt sich eine diagnostische Abklärung durch den Arzt. Pharmakokinetik Nach peroraler Applikaton von 4 mg Loperamid werden beim Erwachsenen maximale Plasmakonzentrationen von 1 bis 3 ng pro ml nach 3 bis 5 Stunden erreicht. Die absolute Bioverfügbarkeit dürfte, obgleich Vergleichsuntersuchungen nach intravenöser Verabreichung fehlen, aufgrund der hohen Metabolisierungsrate in Darm und Leber und des hieraus resultierenden First-Pass-Effektes nur sehr gering sein. Loperamid wird zu 96 % an Plasmaproteine gebunden. Die Elimination des unveränderten Wirkstoffs erfolgt nach peroraler Applikation nur zu 2 % mit dem Harn, mit dem Stuhl werden 30 % des intakten Wirkstoffs, der Rest in Form von Metaboliten eliminiert. Loperamid gelangt aufgrund seines relativ polaren Charakters, ausgenommen Kleinkinder mit noch nicht vollständig ausgebildeter Blut-HirnSchranke, nicht ins Zentralnervensystem. Hiermit findet das im Gegensatz zu anderen Opioiden fehlende Suchtpotential seine rationale Erklärung. Unerwünschte Wirkungen Die unerwünschten Nebenwirkungen von Loperamid sind bei korrekter therapeutischer Dosierung vernachlässigbar. Gelegentlich beobachtete Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindelgefühle, Bauchkrämpfe, Übelkeit, Mundtrockenheit, Exantheme oder ein Megakolon (Erweiterung und Überfüllung der unteren Mastdarmabschnitte) könnten Zeichen einer Überdosierung sein. Im Übrigen sind diese unerwünschten Wirkungen von den Symptomen der Erkrankung selbst nur schwer zu trennen. 2. Aktualisierungslieferung Gegenanzeigen Gegenanzeigen sind eine bekannte Überempfindlichkeit gegen Loperamid oder ein Darmverschluss. Der Wirkstoff sollte ferner nicht angewandt werden bei Kindern unter 2 Jahren (in der Selbstmedikation unter 12 Jahren!), bei fieberhaften Durchfallerkrankungen mit blutigen Stühlen, bei akuten Schüben einer Colitis ulcerosa. Schwangerschaft und Stillzeit Da aussagekräftige Untersuchungen fehlen, sollte von einer Anwendung des Loperamids in der Schwangerschaft abgesehen werden. Bei der Anwendung in der Stillzeit wird, obgleich die in der Muttermilch zu erwartenden Loperamid-Konzentrationen gering sind, ein Abstillen vor Therapiebeginn empfohlen, da aufgrund der noch unzureichend entwickelten Blut-Hirn-Schranke neurotoxische Wirkungen beim Säugling sonst nicht sicher ausgeschlossen werden können. Beratungstipp Hinweise zu Loperamid in der Selbstmedikation • Erwachsene initial 4 mg Loperamid, dann 2 mg nach jedem ungeformten Stuhl. • In der Selbstmedikation nur für Kinder > 12 Jahre, diese nehmen initial 2 mg Loperamid. • Ohne ärztlichen Rat nicht länger als 2 Tage einnehmen. • Absetzen bei Obstipation oder geblähtem Leib. • Nicht anwenden bei Durchfall mit Fieber o. blutigem Stuhl. Racecadotril Nachteil des Antidiarrhoikums Loperamid ist, dass der Wirkstoff bei Kindern nur begrenzt eingesetzt werden kann. Bei Kindern unter 2 Jahren ist er wegen der Gefahr ileusartiger Zustände kontraindiziert, da bei ihnen die Blut-Hirn-Schranke noch nicht vollständig ausgeprägt ist und somit ein verstärkter Übergang des Wirkstoffs in das Zentralnervensystem erfolgen kann. Selbstmedikation 10/2015 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Verdauungstrakt Seite 2 - 70 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Umso erfreulicher ist, dass mit dem Enkephalinasehemmstoff Racecadotril ein Antidiarrhoikum zur Verfügung steht, welches allerdings nur unter ärztlicher Kontrolle, auch bei Kleinkindern angewandt werden kann. 2013 wurde Racecadotril zur Behandlung von akutem Durchfall bei Erwachsenen in festen Zubereitungen in peroralen Einzeldosen von 100 mg je abgeteilter Form und in einer Gesamtmenge von 1 000 mg mit einer Anwendungsdauer von bis zu 3 Tagen aus der Verschreibungspflicht entlassen. C O SCOCH3 O N C H O Racecadotril Pharmakodynamik Im Gegensatz zu Loperamid ist Racecadotril kein auf neurotropem Wege wirkender Motilitätshemmer, sondern ein Sekretionshemmer, dessen Wirkung auf einer Inhibition der Enkephalinase beruht. Bei akuten Durchfallerkrankungen wird durch Stimulation der intramukosalen Adenylatcyclase die intrazelluläre cAMP-Konzentration erhöht. Diese führt zu einer vermehrten Sekretion von Elektrolyten und Wasser in das Darmlumen und somit zu Durchfall. Die Adenylatcyclase wird durch Enkephalin über eine Stimulation von δ-Opioid-Rezeptoren gehemmt und damit die intrazelluläre cAMP-Konzentration gesenkt. Enkephalin wird durch das Enzym Enkephalinase hydrolytisch abgebaut. Wird nun die Enkephalinase durch Racecadotril gehemmt, so kommt es zu einer Erhöhung der Enkaphelinkonzentration im Gewebe und damit über die Stimulation der δ-Opioid-Rezeptoren und eine Senkung der cAMP-Konzentration zur SekretionshemSelbstmedikation 10/2015 mung im Darm und damit zur Normalisierung des Stuhlgangs. Racecadotril (Vaprino®, Tiorfan®) steht zur Behandlung akuter Durchfallerkrankungen für Erwachsene in Form von Kapseln zu 100 mg, aber auch in Granulatform für Kinder zur Verfügung. Es ist aufgrund klinischer Studienergebnisse an 600 Kindern auf ärztliche Verschreibung auch zur Behandlung von Kleinkindern ab dem 4. Lebensmonat gemeinsam mit oraler Rehydratation und üblichen unterstützenden Maßnahmen, falls diese allein nicht ausreichen, zugelassen. In placebokontrollierten, klinischen Studien an Erwachsenen und Kindern konnten eine Verkürzung der Diarröhdauer sowie eine Reduktion der Frequenz der Stuhlentleerung und des Stuhlgewichts nachgewiesen werden. Unerwünschte Nebenwirkungen traten nach Racecadotrilbehandlung im Vergleich zu Loperamid deutlich seltener auf. Dies betraf insbesondere die nach antidiarrhoischer Therapie mit Loperamid gelegentlich beobachtete Verstopfung. Erwachsene erhalten als Initialdosis 100 mg Racecadotril in oraler Form, danach 3-mal täglich 100 mg vor den Hauptmahlzeiten. Die Behandlung sollte bis zum Auftreten von 2 geformten Stühlen fortgesetzt werden, aber nicht länger als 3 Tage. Pharmakokinetik Das pro drug Racecadotril wird nach peroraler Applikation rasch resorbiert und in peripheren Geweben durch hydrolytische Abspaltung des Acetyl- und Benzylrestes schnell in Thiorphan, die eigentliche Wirkform, überführt. Maximale Plasmakonzentrationen werden nach 60 Minuten, die maximale Hemmung der Plasmaenkephalinase wird nach 2 Stunden erreicht. Die Halbwertszeit, ermittelt über die Plasmaenkepalinasehemmung beträgt 3 Stunden, die Gesamtdauer der Enzymhemmung 8 Stunden. Die Wirkform Thiorphan wird zu 90 % an Plasmaproteine gebunden. Racecadotril wird vorwiegend über die Niere in Form inaktiver Meta2. Aktualisierungslieferung Seite 2 - 71 boliten, zu einem geringeren Teil mit dem Stuhl eliminiert. Unerwünschte Wirkungen Als Nebenwirkungen werden für Racecadotril häufig Kopfschmerzen und gelegentlich Hautauschlag, Übelkeit, Obstipation, Schwindel und Benommenheit, Blähungen, abdominelle Schmerzen, Anorexie, Durst und Fieber angegeben. Ein kausaler Zusammenhang der beobachteten Nebenwirkungen mit der Racecadotrileinnahme kann jedoch nicht als gesichert gelten, da diese auch Folge der Durchfallerkrankung sein können. Gegenanzeigen Nicht angewandt werden darf Racecadotril bei Durchfällen mit Fieber, blutigem oder schleimigem (eitrigem) Stuhl, da hier die Gefahr einer Infektion mit invasiven Erregern besteht. Eine weitere Kontraindikation sind nach einer Antibiotikatherapie auftretende Durchfälle. Chronische Durchfallerkrankungen oder ein akuter Schub einer Colitis ulzerosa gehören in ärztliche Behandlung. Schwangerschaft und Stillzeit Da spezifische Studien zur Anwendung in der Schwangerschaft und zum Übergang in die Muttermilch nicht vorliegen, sollte auf Racecadotril während der Schwangerschaft und Stillzeit verzichtet werden. Bei einem zusammenfassenden Vergleich der beiden Antidiarroika Loperamid und Racecadotril, ergeben sich aufgrund bisheriger Erfahrungen, dass der Sekretionshemmer Racecadotril dem Motilitätshemmer Loperamid hinsichtlich der Wirksamkeit bei eher geringeren Nebenwirkungen gleichwertig ist. Zu beachten ist allerdings, dass er für die Selbstmedikation nur für Erwachsene ab 18 Jahren empfohlen werden darf. Adsorbentien Traditionelle Verwendung finden verschiedene Adsorbentien enthaltende Arzneimittel, 2. Aktualisierungslieferung deren antidiarrhoische Wirkung auf ihrer Fähigkeit, Bakterien, deren Stoffwechselprodukte (Enterotoxine) oder andere Giftstoffe und Viren durch Adsorption an ihrer Oberfläche zu binden, beruht (Tab. 2.3-7). Zu den Wirkstoffen dieser Gruppe gehören anorganische Stoffe, deren adsorptives Bindungsvermögen auf ihre große spezifische Oberfläche (medizinische Kohle) oder zusätzlich auf ihre poröse Struktur (hochdisperses Siliciumdioxid und Kaolin, ein wasserhaltiges Aluminiumsilikat) zurückzuführen ist. Im Falle der Kieselsäureverbindungen sollen die Giftstoffe in die unterschiedlich großen Hohlräume dieser nicht resorbierbaren Verbindungen eindringen und mit diesen über die Faezes unschädlich gemacht und eliminiert werden. Aufgrund ihres Adsorptionsvermögens werden auch Pektine aus Äpfeln und Zitrusfrüchten als Antidiarrhoika eingesetzt. Die Wirksamkeit aller auf ihrem Adsorptionsvermögen beruhenden Antidiarrhoika ist nicht erwiesen und ihr therapeutischer Wert daher mit Ausnahme der Eichenrinde und anderer gerbstoffhaltiger Drogen und Zubereitungen umstritten. Für Eichenrinde, deren antidiarrhoische Wirkung aber außer auf ihrem Adsorptionsvermögen auf ihrer adstringierenden und virustatischen Wirkung beruhen dürfte, liegt eine Aufbereitungsmonographie vor, in welcher die Anwendung bei unspezifischen akuten Durchfallerkrankungen in Tagesdosen von 3 g empfohlen wird. Die Anwendung der Zubereitungen aus Eichenrinde oder anderen gerbstoffhaltigen Drogen ist gleichwertig, sofern deren Gerbstoffgehalt standardisiert ist und die Dosierungszielvorgaben der betreffenden Aufbereitungsmonographien erreicht werden (mittlere Tagesdosis für Tormentillwurzelstock beispielsweise 4 bis 6 g Droge). Zu beachten ist, dass durch die genannten Adsorbentien wie auch durch die im folgenden Kapitel zu besprechenden Quellmittel die Resorption und damit die Bioverfügbarkeit anderer Wirkstoffe beträchtlich vermindert werden kann. Selbstmedikation 10/2015 Erkrankungen des Darms und der Bauchspeicheldrüse Verdauungstrakt