fortschritte in der hirnforschung

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FORTSCHRITTE IN DER
HIRNFORSCHUNG
Ausgabe 2007
Die Neuroethik entwickelt sich
Essay von Steven E. Hyman, MD
FORTSCHRITTE IN DER
HIRNFORSCHUNG
Die Neuroethik entwickelt sich
Essay von Steven E. Hyman, MD
Ausgabe 2007
THE EUROPEAN DANA ALLIANCE
FOR THE BRAIN EXECUTIVE COMMITTEE
William Safire, Chairman
Edward F. Rover, President
Colin Blakemore, PhD, ScD, FRS, Vice Chairman
Pierre J. Magistretti, MD, PhD, Vice Chairman
Carlos Belmonte, MD, PhD
Anders Björklund, MD, PhD
Joël Bockaert, PhD
Albert Gjedde, MD, FRSC
Sten Grillner, MD, PhD
Malgorzata Kossut, MSc, PhD
Richard Morris, Dphil, FRSE, FRS
Dominique Poulain, MD, DSc
Wolf Singer, MD, PhD
Piergiorgio Strata, MD, PhD
Eva Syková, MD, PhD, DSc
Executive Committee
Barbara E. Gill, Executive Director
Die European Dana Alliance for the Brain (EDAB) ist ein Zusammenschluss
von 186 führenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus
27 Ländern. Zu ihren Mitgliedern zählen fünf Nobelpreisträger. Die EDAB
hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft auf die Bedeutung der Gehirnforschung aufmerksam zu machen. Die Organisation wurde 1997 gegründet und versteht sich als Schnittstelle zwischen der medizinischen Laborarbeit, der Forschung sowie der breiten Öffentlichkeit.
Für weitere Informationen:
The European Dana Alliance for the Brain
Dr Béatrice Roth, PhD
Centre de Neurosciences Psychiatriques
Site de Cery
1008 Prilly / Lausanne
E-mail : [email protected]
Deckel:
Jennifer Suehs
FORTSCHRITTE IN DER
HIRNFORSCHUNG
Ausgabe 2007
Die Neuroethik entwickelt sich
5
11
Einleitung
von David C. Van Essen, PhD
Fünf Jahre Neuroethik: Das Gebiet entwickelt sich weiter
von Steven E. Hyman, MD
Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2006
19
In der Kindheit auftretende Störungen
27
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
35
Schädigungen des Nervensystems
43
Neuroethik
51
Neuroimmunologische Erkrankungen
61
Schmerz
69
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen
und Suchtkrankheiten
79
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
87
Stammzellen und Neurogenese
97
Denken und Erinnern
105
Referenzen
117
Stelle Dir eine Welt vor...
Einleitung
von David C. Van Essen, PhD
Präsident der Society for Neuroscience
D
er vorliegende Jahresbericht fasst mehr
als 100 Forschungsbefunde zusammen und
illustriert damit den Beitrag der neurowissenschaftlichen Forschung zum besseren Verständnis und auch zu Diagnose und Behandlung vieler verheerender Krankheiten und
Störungen des Nervensystems. Jedes der
zehn Kapitel stellt Entdeckungen in den
Mittelpunkt, die sich entweder auf eine
bestimmte Krankheitsform oder auf ein übergreifendes Thema, etwa Neuroethik, beziehen. Die einzelnen Befunde („Kleinode der Neurowissenschaft“) und auch
die allgemeinen Themen, die aus dem Bericht als Ganzem hervorgehen,
bilden einen wesentlichen Teil der grossen Herausforderung, das menschliche Gehirn in Gesundheit und Krankheit zu verstehen.
Das menschliche Gehirn ist eine erstaunlich komplizierte Struktur, die
Informationen verarbeitet und sämtliche Aspekte unseres Verhaltens
steuert. Der verworrene Nervenschaltkreis des Gehirns mit Milliarden
von Neuronen und Trillionen von Synapsen ist weitaus komplizierter als
jedes andere Organsystem des Körpers. Diese Komplexität zeigt sich auf
vielen Ebenen. Auf der molekularen und zellulären Ebene etwa kommen
höchst choreographierte molekulare Signale zum Einsatz, um Informationen von einer Zelle zur anderen zu übermitteln und die Stärke dieser
Signale im Laufe der Entwicklung und des Lernens zu regulieren. Auf der
Systemebene ist eine Symphonie von koordinierten neuralen Aktivitätsmustern involviert, die tausende von verschiedenen Hirnstrukturen
umfassen, die ihrerseits über zehntausende von anatomischen Bahnen
miteinander kommunizieren. Hinzu kommt ein hohes Mass an individueller Variabilität von Hirnstruktur und -funktion bei verschiedenen
Personen, woraus die enorme Vielfalt unserer individuellen Persönlichkeiten und intellektuellen Fähigkeiten resultiert. Angesichts dieser
erstaunlichen Komplexität – sie übertrifft jene eines Spaceshuttles oder
5
eines Supercomputers bei weitem – überrascht es wohl nicht, dass im
Nervensystem ungezählte Formen von Fehlfunktion möglich sind.
Tatsächlich wurden bereits über 1000 Störungen und Krankheiten des
Nervensystems genau bestimmt, und die Liste wird immer länger. Von den
meistverbreiteten Beschwerden – Alzheimersche Krankheit, Schizophrenie, Hirnschlag und Lernstörungen – ist ein grosser Teil der Bevölkerung
betroffen; sie auferlegen der Gesellschaft eine grosse Last, sowohl was die
ökonomischen Auswirkungen als auch was Verzweiflung und menschliches Leid anbelangt.
Ohne entscheidende Fortschritte bezüglich Vorbeugung und Behandlung
von Krankheiten des Nervensystems wird diese Bürde aufgrund der steigenden Lebenserwartung der Menschen weiter zunehmen. Zur Beschleunigung des Fortschritts müssen wir die Krankheitsmechanismen und die
normalen Mechanismen von Hirnfunktion und Hirnplastizität, also der
Anpassungsfähigkeit, wesentlich besser verstehen. Entsprechende Fortschritte, dazu gehören auch die im vorliegenden Bericht dargestellten,
werden uns in die Lage versetzen, die Fähigkeit des Nervensystems, sich
selbst zu regenerieren, zu reparieren und mit einer Schädigung umzugehen, besser zu nutzen und zu fördern.
Die Errungenschaften der Hirnforschung im Jahr 2006 haben zu eigenen
Themenbereichen geführt. Einer davon betrifft Fortschritte in der Charakterisierung jener genetischen Faktoren, die zu den unterschiedlichsten
neurologischen und psychiatrischen Krankheiten beitragen. Hierhin
gehört etwa die Klärung, welche Rolle spezifische Gene bei der familiären
Parkinsonschen Krankheit spielen, oder auch die Bestimmung vieler mit
Angst zusammenhängender Gene in einem Mausmodell 1-3.
6
Eine weitere potente Strategie besteht darin, unser Wissen über Gene mit
anderen experimentellen Ansätzen, etwa Neuroimaging, zu kombinieren.
Ein erstaunliches Beispiel im vorliegenden Bericht betrifft den Einsatz der
Magnetresonanz-Tomographie zur Charakterisierung von (sowohl strukturellen als auch funktionellen) Hirnanomalien bei Personen, die zwar Träger
einer bestimmten, bei gewalttätigem Verhalten vorkommenden genetischen
Variante sind, aber keine psychiatrische Krankengeschichte haben 4. Auch
die Entdeckung bestimmter struktureller Hirnanomalien bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) 5 sowie funktioneller Abweichungen bei Autismus 6 belegen die Leistungsfähigkeit des Neuroimaging.
Einleitung
Die Erforschung degenerativer Erkrankungen des Nervensystems – dazu
gehören die Parkinsonsche, die Huntingtonsche und die Alzheimersche
Krankheit sowie die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – steht in vielen
Laboratorien weiterhin im Mittelpunkt. Im Bereich der Zellbiologie verstehen wir heute besser, weshalb es gewissen Proteinen nicht gelingt, sich zu
richtig funktionierenden molekularen Konfigurationen zu falten, und weshalb es zu einer Degeneration kommt, wenn die Mechanismen zur Bewältigung falsch gefalteter Proteine versagen. Ein weiterer Ansatz basiert auf
interventionellen Strategien, bei denen Nervenzellen durch geeignete
Therapien vor Schädigung und Zerstörung geschützt werden 7.
Andere Forschungsarbeiten untersuchen die Rolle des Immunsystems in
Bezug auf das Gehirn. Normalerweise ist das „Zusammenspiel“ gut, doch
wiesen im vergangenen Jahr viele neue Befunde auf die verheerenden
Auswirkungen hin, zu denen es kommen kann, wenn das Immunsystem zu
einem Angriff auf das Gehirn provoziert wird. Hierher gehören etwa entzündliche Reaktionen, welche die Schädigung der Neuronen noch verstärken, die durch degenerative Prozesse des Nervensystems infolge der
Alzheimerschen, der Parkinsonschen, der Huntingtonschen Krankheit
oder der ALS ausgelöst wurden. Diesbezügliche Erkenntnisse haben zu
neuen therapeutischen Verfahren geführt: Um die Schädigung der Neuronen bei all diesen degenerativen Erkrankungen des Nervensystems zu
reduzieren, werden entzündungshemmende Medikamente eingesetzt.
Die Aussicht einer Nervenersatztherapie ist für viele Neurowissenschafter und Neurowissenschafterinnen so etwas wie ein heiliger Gral;
dies vor allem deshalb, weil die Neurogenese bei Adulten in vielen
anderen Spezies verbreitet ist.
Bei Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose scheint die Attacke des
Immunsystems in einem direkten Angriff auf Gliazellen zu bestehen. Neue
Ergebnisse im vergangenen Jahr erbrachten wichtige Erkenntnisse zur
Identität jener Schlüsselproteine, die den Immunangriff vermitteln, und
zur Bestimmung eines Antikörper-Biomarkers, dank dem sich bestimmte
Behandlungen bei Autoimmunkrankheiten besser steuern lassen 8, 9.
Im menschlichen Gehirn sind zerstörte Neuronen insofern unersetzbar
als die Geburt neuer Neuronen (Neurogenese) bei Erwachsenen nur
in bestimmten Hirnregionen vorkommt. Die Aussicht einer Nervenersatztherapie ist für viele Neurowissenschafter und Neurowissenschafterinnen so etwas wie ein heiliger Gral; dies vor allem deshalb, weil die
7
Neurogenese bei Adulten in vielen anderen Spezies verbreitet ist. Haarzellen in der Innenohrschnecke sind diesbezüglich ganz besonders interessant; zum einen sind sie Teil eines relativ einfachen Nervenschaltkreises,
zum andern ist Hörverlust eine sehr häufige und behindernde Funktionsstörung. Neuere Befunde in der Charakterisierung jener Gene, welche
die Proliferation von Haarzellen steuern, lassen weitere Fortschritte erhoffen 10. Weitere intensive Bemühungen gelten sowohl der Frage, wodurch
Neurogenese im Hippokampus und in anderen Hirnregionen, in denen
sie vorkommt, gesteuert wird als auch der Verwendung von Stammzellen,
die eine Neurogenese in weiteren Hirnregionen und im Rückenmark
fördern sollen 11, 12.
Dass Fortschritte in Diagnose und Behandlung von Hirnkrankheiten auch
zu besonderen Herausforderungen mit ethischen und gesundheitspolitischen Implikationen führen können, ist ein allumfassendes Thema. Mitglieder der Dana Alliance for Brain Initiatives trugen entscheidend zur
Ausgestaltung dieses neu entstehenden Gebiets der Neuroethik bei. Steven Hymans Aufsatz zur Neuroethik gibt einen gut durchdachten Überblick über die Geschichte dieses neuen Gebiets und die Probleme, mit
denen es zu ringen hat. Auf letztere konzentriert sich insbesondere das
Kapitel Neuroethik im Hauptteil des vorliegenden Berichts, in dem eine
Reihe von Fragen und Kontroversen beleuchtet werden, darunter auch
Themen im Zusammenhang mit der Intimsphäre des Gehirns, dem Gehirn
ohne Bewusstsein und den Implikationen von Nervenprothesen.
Wie geht es mit der Hirnforschung weiter? Drei eindeutige
Entwicklungen werden das Gebiet auch in Zukunft stark beeinflussen.
Wie geht es mit der Hirnforschung weiter? Drei eindeutige Entwicklungen
werden das Gebiet auch in Zukunft stark beeinflussen:
8
Methoden ermöglichen Entdeckungen. Die meisten hier beschriebenen
Entdeckungen wären vor einem Jahrzehnt nur schon deshalb nicht möglich gewesen, weil entscheidende experimentelle Methoden, etwa die
funktionelle Magnetresonanz-Tomographie und die High-Throughput
Gensequenzierung, entweder gar nicht vorhanden oder nur unzulänglich
waren. Methodenorientierte Fachpersonen im akademischen Bereich und
in der Privatwirtschaft erarbeiten laufend eine Vielfalt von Methoden zur
Beschaffung und Analyse von Informationen über das Gehirn. Um diese
Fortschritte weiter zu beschleunigen, muss in diese Projekte nachhaltig
investiert werden.
Einleitung
Vom Labor zum Krankenbett zum Labor. Der gebräuchliche Ausdruck
„vom Labor zum Krankenbett“ bezeichnet die Umsetzung von Entdeckungen der neurowissenschaftlichen Grundlagen- und Translationsforschung
in eine verbesserte medizinische Betreuung. Heute erkennt man, dass
auch der Informationsfluss in die entgegengesetzte Richtung, also vom
klinischen Bereich zurück zur neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung, sehr wichtig ist. Die Erforschung von Krankheiten und Krankheitsmechanismen vermittelt Forschenden in der Neurowissenschaft oft
Erkenntnisse über die grundlegenden Mechanismen der Hirnfunktion und
-entwicklung. Am Jahrestreffen 2006 der Society for Neuroscience berichteten beispielsweise alle vier Vorsitzenden in ihrem Vortrag, dass ihre
eigene Forschungsarbeit von den bidirektionalen Interaktionen zwischen
neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung und klinischer Neurowissenschaft profitiert hatte.
Bei mir persönlich hat diese Perspektive eine starke Resonanz und widerspiegelt neuere Veränderungen meines eigenen Forschungsprogramms.
Noch vor wenigen Jahren war ich ein „reiner“ neurowissenschaftlicher
Grundlagenforscher, doch gegenwärtig richtet sich die Forschungstätigkeit in meinem Laboratorium hauptsächlich auf bestimmte neurologische
oder psychiatrische Krankheiten; mittels neuer Methoden analysieren
wir die Struktur und Funktion der Grosshirnrinde. Am Jahrestreffen der
Society for Neuroscience sind Krankheiten das Thema der Forschung,
das am raschesten wächst, ein Hinweis darauf, dass sich die Forschungstätigkeit der Neurowissenschaft insgesamt zunehmend mit Krankheiten befasst.
Eine Informationsflut. Die im vorliegenden Bericht beschriebenen Studien repräsentieren nur die Spitze eines grossen und rasch anwachsenden
Eisbergs von Informationen, welche die neurowissenschaftliche Gemeinschaft Jahr für Jahr hervorbringt. Nur ein Bruchteil der potentiell wertvollen Informationen wird publiziert oder in Datenbanken zugänglich
gemacht. Ausserdem ist selbst das in Onlinezeitschriften und Datenbanken zugängliche Material nicht so leicht und effektiv auffindbar, wie man
es sich wünschen würde. Dies wird sich voraussichtlich im kommenden
Jahrzehnt drastisch ändern, da Verbesserungen der Informationstechnologie neue Möglichkeiten eröffnen sollen, von denen wir heute nur träumen
können; dann werden wissenschaftlich und klinisch tätige Fachpersonen
sowie die Öffentlichkeit rasch, zuverlässig und bequem eine Fülle von
Informationen über das Nervensystem abrufen können.
9
Fünf Jahre Neuroethik:
Das Gebiet entwickelt sich weiter
von Steven E. Hyman, MD
G
erade weil das Gehirn für unser Menschsein und unsere wertvollsten Fähigkeiten
von zentraler Bedeutung ist, sind Hirnkrankheiten besonders verheerend und stehen im
Mittelpunkt intensiver Forschungsbemühungen. Indem sich die Wissenschaft intensiv
darum bemüht, die verheerendsten Krankheiten der Menschheit zu bekämpfen, gewinnt sie auch wichtige Erkenntnisse zum
menschlichen Denken, Fühlen und Verhalten
in Gesundheit und Krankheit. Allerdings werfen neue Methoden, dank
denen wir die Tätigkeit des menschlichen Gehirns beobachten und seine
Funktion beeinflussen können, auch entscheidende ethische und politische Fragen auf.
Fortschritte in der Bildgebung des Gehirns könnten es dereinst ermöglichen, in jenen Fällen eine objektive Diagnose zu stellen, bei denen wir
uns heute ausschliesslich auf klinische Beobachtung stützen. Fortschritte
in Genetik und Molekularbiologie lassen hoffen, dass es möglicherweise
binnen einem Jahrzehnt gelingen wird, Behandlungen zu entwickeln, um
die Progredienz degenerativer Erkrankungen des Nervensystems, etwa
der Alzheimerschen und der Parkinsonschen Krankheit, aufzuhalten.
Neben der Genetik macht auch die kognitive und soziale Neurowissenschaft Fortschritte; diese deuten auf neue Methoden hin, um bei Schizophrenie- und Autismuskranken die volle Gesundheit und Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Fortschritte an der Schnittstelle von
Neurowissenschaft und Technik lassen eine Zeit erahnen, in der Interaktionen zwischen Gehirn und Computer dazu führen werden, dass von
einer Lähmung Betroffene eine beachtliche Bewegungsfähigkeit wiedererlangen werden. Vorläufige Versuche mit tiefer Hirnstimulation lassen
darauf schliessen, dass ein besseres Verständnis der Hirnschaltkreise
11
zu wirksameren Behandlungen von Depression, Angstkrankheiten und
anderen Erkrankungen, welche Emotion und Kognition betreffen, führen könnte.
Fortschritte im Kampf gegen Hirnkrankheiten sind in unserer Gesellschaft
zu Recht ein zentrales Ziel. Da das Gehirn sehr kompliziert ist und sich beispielsweise die höchsten Ebenen der menschlichen Kognition nicht leicht
in Tiermodellen untersuchen lassen, müssen diese Fortschritte mühsam
errungen werden. Wirksamer gegen Krankheiten vorzugehen und herauszufinden, wie wir die intelligentesten jungen Menschen für diese Aufgabe begeistern und ihnen das notwendige Rüstzeug geben können, sind
allerdings nicht die einzigen Herausforderungen, vor denen wir stehen.
Dies ist der zweite von der Dana Alliance herausgegebene Bericht über
Fortschritte in der Hirnforschung, der sich mit Neuroethik befasst (der
erste erschien im Jahr 2003). Mitglieder dieser Organisation haben sich in
Artikeln und Vorträgen intensiv mit den ethischen Herausforderungen
auseinandergesetzt, die aus der Hirnwissenschaft hervorgehen. Bedenken,
die sich aus der Erforschung des Gehirns, des Verhaltens und des geistigen Lebens ergeben, waren verschiedentlich bereits früher, in oft kleinen Gruppierungen von Fachpersonen aus der Wissenschaft, Ethik und
anderen Bereichen ansatzweise behandelt worden. Ein weit reichendes
und dauerhaftes Engagement für diese Fragen, die unter der Bezeichnung
„Neuroethik“ zusammengefasst wurden, kristallisierte sich an einer von
der Dana Foundation in San Francisco gesponserten Konferenz mit dem
Titel „Neuroethik – das Gebiet abstecken“ („Neuroethics: Mapping the
Field“) heraus.
Seit diesem Meeting im Mai 2002 liess eine wachsende Zahl von Treffen,
Artikeln und Büchern ein dynamisches interdisziplinäres Gebiet entstehen, zu dem eine vielseitige Gemeinschaft ihre Beiträge leistete; sie
umfasst unter anderem Fachpersonen aus Wissenschaft, Philosophie,
Medizin, Jurisprudenz, Soziologie, Politikwissenschaft sowie politisch Verantwortliche. Angesichts dieses wachsenden Interesses kam im Mai 2006
eine Gruppe in Asilomar, Kalifornien, zusammen und beschloss die Gründung einer Neuroethischen Gesellschaft (www.neuroethicssociety.org).
12
Die Teilnehmenden der Asilomar-Konferenz waren der Ansicht, eine
Gesellschaft würde zur Bildung einer dauerhaften Gesprächsplattform
beitragen, so dass Wissenschafter und Wissenschafterinnen aus ganz
Mit ihrem Bemühen, Aufmerksamkeit auf diesen Bereich zu lenken, ist
diese im Entstehen begriffene Gesellschaft keineswegs allein. Die American Association for the Advancement of Science behandelte an ihren Treffen regelmässig neuroethische Themen. Die Society for Neuroscience bot
auf ihrer jährlichen Konferenz seit 2003 eine Vorlesung zu Neuroethik an
und hielt drei Symposien über Neuroethik ab, unter anderem eines im
Oktober 2006, das sich auf ein weites Spektrum internationaler Fragen
konzentrierte; es ging um Forschende, die Freiwillige und Gemeinschaften
in ärmeren Ländern ausbilden, oder auch darum, dass Regierungen von
reicheren Ländern die ethischen Richtlinien für die Hirnforschung ausarbeiten. Im laufenden Jahr werden die Cognitive Neuroscience Society und
die Association for Psychological Science Symposien zur Neuroethik organisieren. Die Wellcome Trust Bioethics Summer School befasst sich seit
zwei Jahren mit Neuroethik. Die American Academy of Arts and Sciences
hat Anfang 2007 ein Symposium über den Einsatz von Neuroimaging zur
Lügendetektion durchgeführt.
Trotz dieses Wachstums nehmen Publikationsmöglichkeiten erst jetzt zu.
Neue interdisziplinäre Arbeitsbereiche stossen bei Veröffentlichungen aus
zwei Gründen oft auf Schwierigkeiten. Erstens passt ihre Arbeit möglicherweise nicht genau zum Bereich von bestehenden Disziplinen, welche
wissenschaftliche Zeitschriften herausgeben. Zweitens kann es für einen
Arbeitsbereich, dessen Erfolg auf bedeutenden Beiträgen aus mehreren
Disziplinen beruht, schwierig sein, an das relevante Quellenmaterial heranzukommen. Fachleute aus Neurowissenschaft, Rechtswissenschaft und
Philosophie wissen oft nicht, wo sie nach Artikeln suchen sollen, die sich
mit Problemen zur Neuroethik befassen.
Fünf Jahre Neuroethik: Das Gebiet entwickelt sich weiter
unterschiedlichen Fachbereichen in interdisziplinären Arbeitsgebieten interagieren können. Aufgrund der wachsenden Erfahrung und Vertiefung wird
es ihnen hoffentlich möglich sein, grundlegende Probleme anzugehen.
Meiner Ansicht nach ist es der besondere Status des Gehirns,
der die Neuroethik zu einem derart zentralen Anliegen macht.
Es sind daher verschiedene Bemühungen im Gang, um neue Publikationsmöglichkeiten zu schaffen. Die Neuroethics Society traf mit dem American
Journal of Bioethics eine Vereinbarung, um spezielle Nummern (American
Journal of Bioethics – Neuroscience) herauszugeben, die diesem Arbeitsbereich gewidmet sind, und auch das Journal of Cognitive Neuroscience
erweitert gegenwärtig seinen Publikationsbereich.
13
Jetzt, im Anfangsstadium der Neuroethik wird immer wieder die Frage
aufgeworfen, weshalb denn überhaupt ein neuer Arbeitsbereich nötig sei,
warum das grössere Zelt der Bioethik nicht ausreiche? Selbstverständlich
sind viele der Wissenschafter und Wissenschafterinnen, die sich mit
Neuroethik befassen, fest in bestehenden bioethischen Aktivitäten
verwurzelt, und dies soll auch so bleiben. Viele Anliegen der Neuroethik
sind auch für die Bioethik von zentraler Bedeutung, z. B. Einverständniserklärungen von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung oder
Patientenverfügungen.
Hirnforschung erfordert jedoch mehr. Meiner Ansicht nach ist es der
besondere Status des Gehirns, der die Neuroethik zu einem derart zentralen Anliegen macht; eine eingehende Beachtung der Implikationen
der Hirnforschung führt uns weit über die gewohnten Grenzen der Bioethik hinaus.
Die Möglichkeit, mittels Bildgebung des Gehirns neuere Erlebnisse einer
Person zu rekonstruieren oder ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen, wirft
nicht nur herkömmliche bioethische Fragen zur Intimsphäre auf, sondern
betrifft auch weitere Berufsgruppen – unter anderem Fachleute für Strafverfolgung und nationale Sicherheit – die in Diskussionen zur Bioethik oft
nicht vertreten sind.
Was die Neuroethik noch einzigartiger macht, ist die Erkenntnis,
dass das Gehirn nicht nur Objekt ethischer Untersuchungen ist sondern
auch die Basis unserer ethischen Grundsätze.
Analog dazu geben Bestrebungen, die Hirntätigkeit zu beeinflussen oder
zu steuern, zu ethischen Fragen Anlass, die sich nur teilweise mit jenen
decken, die aus der Beeinflussung der Herz- oder Nierentätigkeit hervorgehen. Dies beruht darauf, dass es bei der Steuerung der Hirntätigkeit um
den Kern unseres Selbst und unserer Autonomie geht. Was die Neuroethik noch einzigartiger macht, ist die Erkenntnis, dass das Gehirn nicht
nur Objekt ethischer Untersuchungen ist sondern auch die Basis unserer
ethischen Grundsätze.
14
Dieser letzte Punkt wird allerdings von jenen bestritten, die glauben, ethische Grundsätze beruhten auf einem Naturgesetz oder einer göttlichen
Vorgabe. In einem Land wie den USA, in dem Religion wichtig ist, bleibt
diese Diskussion lebendig und bedeutsam. Nun da wir anfangen, neuronale Grundlagen der sozialen Interaktion – dazu gehören auch Belange
Fünf Jahre Neuroethik: Das Gebiet entwickelt sich weiter
wie Vorurteil und Vertrauen – zu verstehen, und sich Möglichkeiten ergeben, solche Interaktionen (z. B. durch pharmakologische oder elektrische
Stimulation) zu beeinflussen, werden grundlegende Fragen nach der Herkunft unserer unterschiedlichen ethischen Systeme aufgeworfen. Sind sie
von zeitlosen, rationalen Prinzipien abgeleitet? Handelt es sich um Zufallsprodukte eines sich entwickelnden Gehirns? Oder beides? Um mit dem
wissenschaftlichen Fortschritt möglichst sinnvoll umgehen zu können,
braucht es die Neuroethik.
15
Fortschritte
in der
Hirnforschung
im Jahr 2006
17
In der Kindheit
auftretende Störungen
Hirnanomalien bei Autismus
20
Neue Erkenntnisse zur ADHS
23
Zerebrale Lähmung: Der Einfluss von Infektionen
26
19
E
ine der bedeutsamen Studien des Jahres 2006, welche die Kindheit
betrafen, galt der Lokalisierung spezifischer Hirnbereiche, die zum vergrösserten Hirnvolumen bei der Autismusspektrumstörung beitragen. Die
Forschung gewann auch neue Einsichten in gewisse neuroanatomische
und biochemische Veränderungen, die für die kognitiven Schwierigkeiten
verantwortlich zu sein scheinen, unter denen Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung leiden; ausserdem ergaben sich
weitere Hinweise auf den Einfluss von Virusinfektionen auf Entwicklungsstörungen, wie zerebrale Lähmung.
Hirnanomalien bei Autismus
Bei der Autismusspektrumstörung (Autism spectrum disorder, ASD), einer
Gruppierung, die Autismus und ähnliche Störungen umfasst, handelt es
sich um eine tief greifende Entwicklungsstörung, die sich hauptsächlich in
einer stark verminderten Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit
manifestiert. Niemand weiss genau, was zu ASD führt, doch wurden viele
neurologische Anomalien nachgewiesen, die möglicherweise zu den für
ASD typischen sozialen und kognitiven Defiziten beitragen.
Abweichende Aktivitäten in bestimmten Hirnregionen wurden mit ASD in
Verbindung gebracht. Laut einem von Marco Iacoboni, einem Neurowissenschafter an der University of California, Los Angeles, geleiteten Forschungsteam etwa, war bei Kindern mit ASD ein bestimmter Teil des
Gehirns, der so genannte inferiore frontale Gyrus, merklich weniger aktiv
während der Durchführung bestimmter Aufgaben, die mit sozialer Interaktion zusammenhingen 1.
In einer Studie, die in Nature Neuroscience publiziert wurde, untersuchte
das Team von Iacoboni mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomographie die Nervenaktivität von zehn hochbegabten Kindern mit ASD und
zehn sich normal entwickelnden Kindern, während sie emotionale
Gesichtsausdrücke beobachteten und nachahmten. Das Ausmass der verminderten Aktivität korrelierte mit dem Schweregrad ihrer Symptome.
20
Vermutlich gehört der inferiore frontale Gyrus zum so genannten Spiegelneuronsystem (mirror neuron system), das für die Wahrnehmung und den
Ausdruck von Emotionen bedeutsam ist und das Empfinden von Empathie
ermöglicht. Der Befund deutet auf ein fehlerhaftes Spiegelneuronsystem als
mögliche Grundlage der bei Autismus beobachteten sozialen Defizite hin.
Man weiss zwar nicht, welche Bedeutung der Kortexdicke auf der Ebene
einzelner Zellen zukommt, doch vermuten die Forschenden, sie könnte
das Ausmass der „Arborisation“ angeben, also der Verästelung von
Verbindungen zwischen Hirnzellen. Im Verlauf der normalen Entwicklung
des Gehirns findet eine massive Überproduktion von Zellen und Verbindungen mit anderen Hirnzellen (Synapsen) statt. Darauf folgt ein kompetitiver Abbau oder ein „Zurückschneiden“ (pruning) von Neuronen und
ihren Verbindungen. Die Gruppe nimmt an, dieser Abbau führe zu einer
Verdünnung des Kortex.
In der Kindheit auftretende Störungen
Auch Abweichungen der Hirngrösse wurden mit ASD in Verbindung
gebracht. Eine im American Journal of Psychiatry veröffentlichte Untersuchung einer Forschungsgruppe, die von Antonio Hardan, einem Psychiater der Stanford University, geleitet wurde, verglich die Grösse des Kortex
(der Hirnrinde) von 17 Kindern mit Autismus mit jener von 14 Kindern
ohne diese Krankheit 2. Die Kortexdicke ist ein empfindliches Mass der
normalen Hirnentwicklung.
Die Analyse der Aufnahmen des Gehirns zeigte, dass die Kortexdicke in
den Schläfenlappen und Scheitellappen der autistischen Kinder erhöht
war. Die Forschenden nehmen an, diese anatomischen Unterschiede seien
für das grössere Gehirn bei ASD mitverantwortlich.
Aufgrund dieses Befundes werden die Forschenden untersuchen, was die
Verringerung der Kortexdicke normalerweise steuert – dazu gehören auch
genetische Einflüsse. Sie haben vor, die verschiedenen an diesem Prozess
beteiligten Gene zu untersuchen und hoffen, einen Hinweis zu erhalten,
der verstehen lässt, wodurch die dickeren Hirnstrukturen beim Autismus
verursacht werden; dies könnte zu neuen Behandlungen führen.
Einer in Archives of General Psychiatry 3 veröffentlichten Studie zufolge
scheint auch eine vergrösserte Amygdala zum grösseren Gehirn bei
Autismus beizutragen. Die Amygdala ist ein Teil des Gehirns, der für die
sozio-emotionale Funktion bedeutsam ist. In dieser von Stephen Dager
von der University of Washington geleiteten Untersuchung wurde mittels
Magnetresonanz-Tomographie die Grösse der Amygdala bei 45 Kindern
mit ASD im Alter von drei bis vier Jahren gemessen.
Dabei entdeckten die Forschenden einen Zusammenhang zwischen einer
vergrösserten Amygdala – insbesondere der rechten Seite – und der
21
Untersuchung des Autismus
Im Rahmen einer gemeinsam mit Dennis Shaw durchgeführten Studie zur Messung
der Grösse der Amygdala bei Kindern mit einer Autismusspektrumstörung prüft der
Forscher Stephen Dager (im Vordergrund) ein Hirnscan.
Ausprägung der Symptome bei diesen Kindern. Als sie dieselben Kinder
etwa drei Jahre später untersuchten, zeigte sich, dass die sprachlichen
und sozialen Fähigkeiten bei den Kindern mit einer stärkeren Vergrösserung der rechten Amygdala schwächer entwickelt waren.
Diese Ergebnisse zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen Amygdala-Anomalien und den bei Autismus festgestellten Verhaltensstörungen; sie deuten überdies darauf hin, dass die Grösse der rechten
Amygdala zur Vorhersage des klinischen Verlaufs der Krankheit dienen
könnte.
22
Forschende desselben Laboratoriums berichteten in einem neueren Artikel in Neurology, die bei autistischen Kindern im Vergleich zu Kindern mit
einer Entwicklungsverzögerung festgestellten Behinderungen könnten
einer verstärkten „transversalen Relaxation“ von Hirnzellen (graue Hirnsubstanz) zugeschrieben werden 4. Die mittels Magnetresonanz-Tomographie (magnetic resonance imaging, MRI) festgestellte transversale
Die Forschenden verglichen 60 autistische Kinder mit 16, die an einer
Entwicklungsverzögerung litten, und 10, die sich normal entwickelten.
Alle Kinder waren zwischen zwei und vier Jahre alt. Es zeigte sich, dass die
Zellen der sich normal entwickelnden Kinder im Vergleich zu den autistischen Kindern bedeutend dichter angeordnet waren. Kinder mit einer
Entwicklungsverzögerung lagen, was die Dichte anbelangt, zwischen den
sich normal entwickelnden und den autistischen Kindern.
Autismus bleibt eine mysteriöse Krankheit. Diese Bildgebungs-Studien
deuten auf Abweichungen in der Entwicklung der neuronalen Strukturen
hin, die möglicherweise bereits zu Beginn der Schwangerschaft auftreten.
In der Kindheit auftretende Störungen
Relaxation gibt an, wie dicht Hirnzellen angeordnet sind. Dies wird durch
die Wasserverdrängung im Gehirn gemessen, eine Methode, die über den
Zeitverlauf der Hirnreifung Aufschluss gibt.
Neue Erkenntnisse zur ADHS
Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) handelt
es sich um eine Entwicklungsstörung, deren Auswirkungen den schulischen und beruflichen Erfolg verringern und das Risiko von Depression,
Drogenmissbrauch und unfallbedingten Verletzungen, möglicherweise
sogar mit Todesfolge erhöhen. Charakteristisch für ADHS sind Ruhelosigkeit und Ablenkbarkeit, die vermutlich auf der Unfähigkeit beruhen,
gewisse Impulse innerhalb des Gehirns zu unterdrücken.
Die Wissenschaft hatte schon lange vermutet, ADHS beruhe
auf einem Mangel an Dopamin. Neueres Beweismaterial belegt dies.
Mit Medikamenten, welche die Verfügbarkeit des hemmenden Neurotransmitters Dopamin im Gehirn erhöhen, lässt sich ADHS in den meisten
Fällen erfolgreich behandeln. Die Wissenschaft hatte schon lange vermutet, ADHS beruhe auf einem Mangel an Dopamin. Neueres Beweismaterial belegt dies und sieht in Defekten der „Dopamin-Transporter“ die
Hauptursache: Die Transporter nehmen zu viel Dopamin auf, bevor dieses
von einer Hirnzelle zur nächsten weitergegeben werden kann.
Ein von Donald Gilbert, einem Kinderneurologen am Cincinnati Children’s
Hospital Medical Center, geleitetes Forschungsteam untersuchte bei 16 Kindern und Jugendlichen mit ADHS die Bewegungshemmung durch den
motorischen Kortex des Gehirns bevor und nachdem sie Medikamente
erhielten, welche die Verfügbarkeit von Dopamin im Gehirn steigerten 5.
23
Drücken!
Nicht drücken!
Wechseln!
Hirnaktivität bei ADHS
Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zeigten eine reduzierte Hirnaktivität im medialen präfrontalen Kortex, wenn sie eine motorische Reaktion
vermeiden sollten (links) und in frontotemporalen Hirnregionen, wenn sie von einer
Aufgabe zu einer anderen wechseln sollten (rechts).
Die daraus resultierenden grösseren Mengen von Dopamin hemmten
bei allen getesteten Kindern die Aktivität des motorischen Kortex, doch
war die Wirkung des Medikaments bei jenen Kindern wesentlich
grösser, welche die genetische Variante DAT1 aufwiesen, die normalerweise eine zu hohe Aktivität des Dopamintransporters verursacht.
Dies führt zu einem Mangel an hemmendem Dopamin. Diese Untersuchung bringt ADHS mit genetisch veränderten Dopamintransportern
in Verbindung.
Katya Rubia vom Institute of Psychiatry am King’s College in London und
ihre Mitarbeitenden fanden in einem ähnlich angeordneten Versuch bei
19 Knaben mit ADHS, deren Krankheit nie mit Medikamenten behandelt
worden war, einen vergleichbaren Mangel in den für motorische Hemmung und sprunghaftes Verhalten verantwortlichen Hirnregionen 6. Dies,
so betonen sie, ist deshalb bedeutsam, weil die bisherigen Untersuchungen an Kindern erfolgt waren, die bereits Medikamente gegen ADHS
erhalten hatten, was die Resultate beeinflusst haben könnte.
24
Mittels Magnetresonanz-Tomographie stellte Rubias Team bei diesen
„medikamentös unbelasteten” Kindern und Jugendlichen mit ADHS fest,
Wie bei Autismus wurde auch bei ADHS die Kortexdicke
als Indikator für die Hirnentwicklung untersucht.
Wie bei Autismus wurde auch bei ADHS die Kortexdicke als Indikator für
die Hirnentwicklung untersucht. Unter der Leitung von Philip Shaw massen Forschende des National Institute of Mental Health die Kortexdicke
bei einer Gruppe von 166 Kindern mit ADHS 7. Etwa alle zwei Jahre machten sie Magnetresonanz-Aufnahmen von diesen Kindern und verglichen
sie mit Scans von gesunden Kindern.
In der Kindheit auftretende Störungen
dass ihre Hirnaktivität sowohl bei Aufgaben vermindert war, die eine
motorische Hemmung erforderten als auch bei solchen, die einen
Wechsel von einer Aufgabe zur nächsten verlangten (was kognitive
Flexibilität voraussetzt). Der Befund lässt darauf schliessen, dass die
mangelnde Aktivität dieser Patientengruppe nicht mit einer Langzeitbehandlung durch Stimulantien zusammenhängt. Während beiden Aufgaben war eine mangelnde Aktivität in präfrontalen Hirnregionen offensichtlich, ebenso in temporalen und parietalen Regionen, die man bis
anhin nicht mit ADHS in Verbindung gebracht hatte.
Die Analyse dieser Bilder ergab, dass der Kortex von Kindern mit ADHS in
jenen Hirnbereichen, die für die Steuerung der Aufmerksamkeit wichtig
sind, dünner war. Spätere Scans dieser Kinder zeigten, dass bei jenen mit
schlechteren klinischen Ergebnissen der Kortex im vorderen Bereich des
Gehirns besonders dünn war, und zwar in der Nähe einer Region, welche
Aspekte der Aufmerksamkeit, z. B. das Unterdrücken unangemessener
Verhaltensweisen steuert.
Zudem fand sich bei Kindern mit ADHS, deren klinische Ergebnisse besser
waren, ein charakteristisches Muster von kortikalen Veränderungen im
rechten parietalen Kortex, der einige der grundlegendsten Aspekte der
Aufmerksamkeit steuert. An dieser Stelle erreichte der Kortex bis zur
späten Adoleszenz dieselbe Dicke wie bei gesunden Kindern. Bei Kindern
mit schlechten klinischen Resultaten fand diese „Normalisierung“ jedoch
nicht statt. Die Ergebnisse waren unabhängig davon, ob die Kinder Medikamente gegen ADHS erhielten.
Diese Arbeit vermittelt ein sehr detailliertes Bild des Kortex von Kindern
mit ADHS und hebt den Forschenden zufolge Veränderungen des Gehirns
hervor, welche die Besserung dieser Krankheit widerspiegeln oder sogar
bewirken könnten.
25
Wie beim Autismus geben auch bei ADHS Studien mittels Bildgebenden
Verfahren Hinweise darauf, welche Hirnfunktionen schief laufen. Untersuchungen dieser Art können sowohl diagnostisch als auch therapeutisch
von Nutzen sein.
Zerebrale Lähmung: Der Einfluss von Infektionen
Im Jahr 2006 wurden weitere Beweise für den Einfluss von Infektionen auf
Entwicklungsstörungen, wie z. B. die zerebrale Lähmung, erbracht. Bei
der zerebralen Lähmung handelt es sich um eine bleibende und oft
schwerwiegende Hirnkrankheit, die bereits in der frühen Kindheit nachweisbar ist und eine Fehlsteuerung von Körperbewegungen oder Körperhaltungen bewirkt. Die Ursachen der zerebralen Lähmung sind weitgehend unbekannt, und zurzeit kann man ihr nicht vorbeugen.
Catherine Gibsons Team von der University of Adelaide, Australien,
berichtete in einem Artikel im British Medical Journal von Untersuchungen
über einen möglichen Zusammenhang von Virusinfektionen und zerebraler Lähmung 8. Die Forschenden suchten in getrockneten Blutproben
von Neugeborenen, von denen 443 an der Krankheit litten und 883 nicht,
nach Herpesviren, einer Gruppe von Viren, zu der auch jene gehören, die
für Windpocken und Fieberbläschen verantwortlich sind.
Die Ergebnisse zeigten, dass Babys mit zerebraler Lähmung den Herpesviren im Verlauf der Schwangerschaft ihrer Mütter wesentlich öfter ausgesetzt waren als die anderen Babys – ein Hinweis darauf, dass diese Viren
während der Schwangerschaft zur Entstehung der Krankheit beitragen
könnten. Diese Untersuchungen müssen noch an weiteren Populationen
bestätigt werden.
26
Bewegungsstörungen und
andere Störungen der Motorik
Falsch gefaltete Proteine: Freunde oder Feinde?
28
Entzündungen und Parkinsonsche Krankheit
30
Genetik der Parkinsonschen Krankheit
32
Überwachung und Behandlung der Huntingtonschen
Krankheit
32
27
A
uf dem weiten Weg von der Grundlagenforschung bis zu neuen
Therapien zur Behandlung von Krankheiten, die mit der Bewegung des
Menschen zusammenhängen, gab es im Jahr 2006 Fortschritte. Laborstudien über Proteinfaltung, Entzündungen, Wachstumsfaktoren und
Genetik zeigten neue Möglichkeiten zur Überwachung und Behandlung
solcher Krankheiten auf. Einige Therapien werden zurzeit an Tieren und
Menschen getestet.
Falsch gefaltete Proteine: Freunde oder Feinde?
Was ein Protein im Körper macht, wird durch seine Form bestimmt. Zellen
bilden Proteine, die aus langen Ketten von Untereinheiten, so genannten
Aminosäuren, bestehen und sich zu dreidimensionalen Gebilden aufreihen und falten. Fehlerhaft gefaltete Proteine interagieren mit anderen Proteinen. Es kommt auch vor, dass sich falsch gefaltete Proteine aneinander
festmachen und Klumpen bilden, so genannte Inklusionen, die im Gehirn
von Menschen mit neurologischen Krankheiten häufig vorkommen.
Alpha-Synuclein ist eine Hauptkomponente jener Inklusionen (der so
genannten Lewy-Körper), die man typischerweise in Hirnzellen von Personen findet, die an der Parkinsonschen Krankheit leiden, einer Krankheit
die Starre, Zittern und verlangsamte Bewegung verursacht. Lewy-Körper
kommen auch bei einer ähnlichen Form der Demenz vor; man spricht
hier von einer Lewy-Körper-Demenz. Inklusionen mit sehr viel AlphaSynuclein finden sich auch bei der Multiplen Systematrophie, die mit der
Parkinsonschen Krankheit Ähnlichkeiten aufweist und Sprach-, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen hervorrufen kann.
Zwei neuere Untersuchungen von Thomas Südhof und Mitarbeitenden
(über die in Cell berichtet wurde) sowie von Tracey Dickson und Mitarbeitenden (über die in Experimental Neurology berichtet wurde) lassen
darauf schliessen, dass Alpha-Synuclein normalerweise die Aufgabe hat,
Nervenzellen vor Schädigungen zu schützen 1, 2. Demnach scheint ein normales Niveau von richtig gefaltetem Alpha-Synuclein Zellen zu schützen,
während Überproduktion, Fehlfaltung und Anhäufung des Proteins mit
Krankheiten verbunden sind. Wie ist das zu erklären?
28
Zu dieser Frage gibt es zwar kontroverse Ansichten, doch geht man allgemein davon aus, die Fehlfaltung und Anhäufung des Proteins trage
zum Zelltod bei; der Vorgang selbst bleibt jedoch unklar. Möglicherweise
Ausgehend von der Hypothese, wonach Inklusionen zur Schädigung einer
Zelle beitragen, werden zurzeit Therapien entwickelt, welche Anhäufungen und Inklusionen verhindern sollen. Den umgekehrten Ansatz wählte
ein Team unter der Leitung von David Housman und Aleksey Kazantsev,
die ihre Ergebnisse in Proceedings of the National Academy of Sciences
veröffentlichten 5. Sie gingen davon aus, die Anhäufung der falsch gefalteten Proteine könnte ein Vorgang sein, durch den sich eine Zelle gegen die
Verteidigt sich die Zelle?
Möglicherweise um sich selbst vor den schädigenden Auswirkungen falsch gefalteter
Proteine bei degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, etwa der Parkinsonschen Krankheit, zu schützen, produziert eine gestresste Zelle (im Zentrum) mehr
Alpha-Synuclein, ein Hirnprotein.
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
können falsch gefaltete Proteine ihre normale Aufgabe nicht erfüllen;
ausserdem scheinen sie auch andere Funktionen der Zelle zu stören. Eine
von Richard Morimoto geleitete Studie, über die in Science berichtet
wurde, lässt darauf schliessen, dass ein Übermass an falsch gefalteten Proteinen das System der „Qualitätskontrolle“ der Zelle beeinträchtigen kann,
was zur Fehlfaltung weiterer Proteine führt 3. Eine andere Untersuchung,
die Susan Lindquist und Mitarbeitende in Science publizierten, deutet
darauf hin, dass ein Übermass an Alpha-Synuclein die Bewegung von
Proteinen innerhalb von Zellen beeinträchtigt 4.
29
schädliche Wirkung von falsch gefalteten Proteinen schütze; demnach
würden Inklusionen die Zellen schützen und nicht schädigen. Sie machten
Versuche mit einer B2 genannten Substanz, welche die Bildung von Inklusionen fördert, und stellten fest, dass sie das Ausmass der Zellschädigung
in Zell-Modellen der Huntingtonschen und der Parkinsonschen Krankheit
tatsächlich verminderte.
In einem Kommentar, der in Experimental Neurology erschien, bot Mark
Cookson eine Erklärung für die offensichtlich paradoxen Wirkungen
von Alpha-Synuclein 6. Seiner Ansicht nach schützen normale, mässige
Konzentrationen von Alpha-Synuclein Nervenzellen. Sobald eine Zelle
gestresst wird, versucht sie sich vor einer Schädigung zu schützen, indem
sie mehr Alpha-Synuclein produziert. Alpha-Synuclein beginnt kleine
Anhäufungen zu bilden, welche die normale Zelltätigkeit stören. Wenn es
gelingt, diese kleineren Anhäufungen zu Inklusionen zusammenzufassen,
werden sie daran gehindert, die Zelle zu schädigen. Ein besseres Verständnis der Funktion falsch gefalteter Proteine bei degenerativen Erkrankungen des Nervensystems wird die Entwicklung neuer Medikamente
begünstigen, die diese Schädigung verhindern.
Entzündungen und Parkinsonsche Krankheit
Bei der Parkinsonschen Krankheit kommt es bei einer bestimmten Population von Nervenzellen zu einem vorzeitigen Zelltod. Es stellt sich die Frage:
warum? Möglicherweise spielen Entzündungen, also die Ansammlung
reaktiver Zellen, eine Rolle. James Bower und seine Mitarbeitenden am
Mayo Clinic College of Medicine verglichen die Krankengeschichten von
196 Parkinsonkranken mit denen von 196 entsprechenden Kontrollpersonen. Ihre in Neurology publizierte Studie ergab, dass die späteren Parkinson-Kranken häufiger an Asthma, allergischer Rhinitis oder Heuschnupfen
gelitten hatten als die Kontrollpersonen 7.
30
Dieser Befund lässt darauf schliessen, dass bei gewissen Personen Immunreaktionen auftreten, die sowohl an Allergien als auch an der Parkinsonschen Krankheit beteiligt sind. Dazu passt auch die Entdeckung von
Bowers Gruppe, dass Medikamente, die eine Entzündung verhindern,
z. B. nichtsteroide entzündungshemmende Medikamente (nonsteroidal
anti-inflammatory drugs, NSAIDs), einen Schutz bilden können – so
dass die Parkinsonsche Krankheit möglicherweise bei Personen, die
NSAIDs verwenden, mit geringerer Wahrscheinlichkeit auftritt. Insgesamt
lassen diese Befunde einen Zusammenhang von Entzündungen und
Bei gewissen Personen treten Immunreaktionen auf, die sowohl
an Allergien als auch an der Parkinsonschen Krankheit beteiligt sind.
Eine von Miguel Hernán geleitete Gruppe publizierte in Neurology eine
ähnliche Studie 8. Sie hatte entdeckt, dass die Wahrscheinlichkeit, eine
Parkinsonsche Krankheit zu entwickeln, bei Männern, die andere NSAIDs
als Aspirin (z. B. Ibuprofen) verwendeten, um 20% niedriger war als bei
Personen, die keine solchen Medikamente verwendeten; bei Frauen, die
NSAIDs verwendeten, war sie hingegen um 20% höher. Der unerwartete
Geschlechtsunterschied bestätigt die Ergebnisse einiger anderer Studien,
denen zufolge die Risikofaktoren für die Parkinsonsche Krankheit bei
Männern und Frauen unterschiedlich waren.
Eine andere Studie ergab, dass ein Antibiotikum, das seit den 1970er Jahren zur Behandlung von Akne eingesetzt wurde, Entzündungen hemmt
und Neuronen schützt. Raymond Swanson und Mitarbeitende am University of California and Veterans Affairs Medical Center in San Francisco
untersuchten an im Laboratorium gezüchteten Nervenzellkulturen, wie
das Antibiotikum Minocyclin Neuronen schützt 9. In ihrer in Proceedings
of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie wiesen sie
nach, dass Minocyclin PARP-1 hemmt, ein Protein, das als Reaktion auf
eine DNA-Schädigung Entzündungen und den Zelltod begünstigt. Sie
schlossen daraus, dass die entzündungshemmende und neuroprotektive
Wirkung von Minocyclin auf der Hemmung von PARP-1 beruhen könnte.
Dass Minocyclin, Entzündungen hemmt und Neuronen schützt, könnte
klinisch genutzt werden; entsprechende Untersuchungen an Tiermodellen der Parkinsonschen Krankheit, der Huntingtonschen Krankheit
und der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS oder Lou Gehrig-Krankheit)
führten denn auch zu viel versprechenden Ergebnissen. Die in Neurology
veröffentlichten Resultate einer klinischen Pilotstudie sprechen für die
Durchführung weiterer klinischer Minocyclin-Studien bei der Parkinsonschen Krankheit 10. Auch im Zusammenhang mit der Huntingtonschen Krankheit und mit ALS werden klinische Studien mit Minocyclin
vorbereitet.
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
Parkinsonscher Krankheit erkennen, doch braucht es weitere Studien,
um bestimmen zu können, welcher Art diese Beziehung ist. Das Verständnis dieses Zusammenhangs könnte wichtige neue Erkenntnisse
zum Krankheitsprozess ermöglichen und auf neue Behandlungsstrategien hinweisen.
31
Genetik der Parkinsonschen Krankheit
Die familiäre Form der Parkinsonschen Krankheit macht ca. 10% aller
Krankheitsfälle aus, und es sind mindestens fünf Genmutationen bekannt,
die an der ererbten Form dieser Krankheit mitwirken. Die Untersuchung
dieser Gene hat zu Erkenntnissen über den Krankheitsprozess geführt, die
allen Parkinson-Kranken zugute kommen könnten.
Zwei Studien, die in Nature veröffentlicht wurden, befassten sich mit der
Beziehung zwischen zwei verschiedenen Genen, die mit der ererbten
Parkinsonschen Krankheit in Verbindung gebracht werden 11, 12. Es zeigte
sich, dass die Gene „Parkin“ und „PINK1“ zusammenwirken, um die Tätigkeit der Mitochondrien, der Kraftwerke der Zelle, aufrechtzuerhalten.
Diese und weitere Studien bestätigen die seit langem gehegte Ansicht,
Funktionsstörungen der Mitochondrien könnten zur Parkinsonschen
Krankheit beitragen.
Ein Zusammenhang von „Parkin“- und „PINK1“-Mutationen und der Parkinsonschen Krankheit wurde erstmals in Bezug auf Personen beschrieben,
bei denen beide Kopien des „Parkin“-Gens oder des „PINK1“-Gens fehlerhaft waren. Obwohl auch Personen mit einer einzigen fehlerhaften Kopie
diese an ihre Kinder weitergeben können, war die klinische Relevanz unklar.
Zwei in Archives of Neurology und eine in Movement Disorders veröffentlichte Studien zeigten nun, dass sich auch eine einzige fehlerhafte Kopie auf
die Entwicklung der Parkinsonschen Krankheit auswirken kann 13-15.
Bei Personen mit einer einzigen fehlerhaften Kopie von „PINK1“ war
das Risiko, an Parkinson zu erkranken höher als bei ihren Verwandten
mit zwei normalen Kopien dieses Gens.
Bei Personen mit einer einzigen fehlerhaften Kopie von „PINK1“ war das
Risiko, an Parkinson zu erkranken höher als bei ihren Verwandten mit zwei
normalen Kopien dieses Gens. Und Personen mit einer einzigen fehlerhaften Kopie von „Parkin“ waren beim Ausbruch der Parkinsonschen Krankheit jünger als die meisten Betroffenen, einschliesslich ihrer eigenen Verwandten mit zwei normalen Kopien. Da viel öfter nur eine Kopie eines
Gens fehlerhaft ist und nicht beide Kopien, könnten mehr Personen von
diesen Mutationen betroffen sein als bisher angenommen wurde.
Überwachung und Behandlung der Huntingtonschen Krankheit
32
Bei der Huntingtonschen Krankheit handelt es sich um eine genetische
Erkrankung, die gewöhnlich bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 50 Jahren
Die Wahrscheinlichkeit das Krankheitsgen zu erben, beträgt für jedes Kind
eines an Huntington erkrankten Elternteils 50%; mithilfe eines Testes lässt
sich heute mit hoher Treffsicherheit feststellen, ob eine bestimmte Person
es tatsächlich geerbt hat. Viele Risikopersonen ziehen es jedoch vor, sich
nicht testen zu lassen, denn es gibt keine Heilbehandlung, keine Mittel zur
Prävention und nur wenige wirksame Symptombehandlungen.
Sowohl die Progression der Krankheit als auch die Wirksamkeit allfälliger
Behandlungen lassen sich möglicherweise durch eine Überwachung der
immunen „Mikrogliazellen“ verfolgen. Diese Zellen tragen vermutlich
dadurch zur Krankheit bei, dass sie aktiviert werden und Entzündungen
fördernde Substanzen freisetzen. Eine Forschungsgruppe unter Paola
Piccini zeigte mittels Positronen-Emissions-Tomographie, dass das Ausmass der Mikroglia-Aktivierung mit der Schwere der Huntingtonschen
Krankheit korreliert. Dieser in Neurology publizierte Befund bestätigt eine
Beteiligung der Mikroglia an dieser Krankheit 16. Der Befund könnte auch
für andere degenerative Erkrankungen des Nervensystems gelten.
Mithilfe des Wachstumsfaktors GDNF (glial-line derived neurotrophic
factor) lässt sich die Huntingtonsche Krankheit möglicherweise behandeln. Er vermag Nervenzellen zu schützen und fördert sogar deren Regeneration. Ein grosser klinischer GDNF-Versuch mit Menschen war zwar
früher einmal abgebrochen worden, doch gab es im Jahr 2006 kleinere
Studien mit unterschiedlichen Resultaten, in denen GDNF als Behandlungsmöglichkeit der Parkinsonschen Krankheit überprüft wurde 17-19.
Die Verwendung von GDNF zur Behandlung der Huntingtonschen Krankheit wurde auch an einem Mausmodell getestet; die Studie ist in Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen 20. Forschende
unter der Leitung von Jeffrey Kordower brachten GDNF mithilfe eines
Virus ins Gehirn von Mäusen und erzielten dadurch eine Besserung des
Verhaltens, weniger zerstörte Nervenzellen und weniger Inklusionskörper.
Weitere Studien sind notwendig um zu entscheiden, ob GDNF als wirksame Behandlung der Huntingtonschen Krankheit beim Menschen in
Frage kommt.
Obwohl wir zurzeit über keine Therapien verfügen, die auf den der Huntingtonschen Krankheit zugrunde liegenden Krankheitsprozess gerichtet
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
ausbricht. Charakteristisch sind progressive unwillkürliche Bewegungen,
emotionale Störungen und ein Abbau der intellektuellen Fähigkeiten.
33
sind, lässt sich die Lebensqualität dieser Kranken durch Medikamente
welche die Symptome lindern verbessern. Eine klinische Studie mit einer
solchen Behandlung wurde in Neurology vorgestellt 21. Die Studie dauerte
zwölf Wochen und ergab, dass Kranke, die mit dem Medikament Tetrabenazin behandelt wurden, deutlich weniger unwillkürliche Bewegungen
ausführten als Kranke, die ein Placebo erhielten.
34
Schädigungen
des Nervensystems
Gedanken nutzbar machen
36
Instandsetzung des Rückenmarks
37
Hirnschlagforschung
39
Hirntumoren
40
35
B
ei der Erforschung von Schädigungen des Zentralnervensystems (ZNS)
stellt sich allgemein die Frage, was die Grundlagenforschung zur Entwicklung von Therapien beitragen kann. Bezüglich aller entscheidenden
ZNS-Schädigungen – Rückenmarkverletzung, Hirnschlag und Hirntumoren – fehlen Behandlungen, was zu einem grossen Teil an der Komplexität
der zugrunde liegenden Prozesse liegt.
Wenn sich die Forschung vor allem darauf konzentriert, die Prozesse des
Zelltodes, der Nervenregeneration und der Tumorentstehung aufzudecken, hat sie stets das Ziel vor Augen, dieses Wissen in molekular ausgerichtete Behandlungen umzusetzen, um dadurch die Schädigung des
Nervensystems zu verhindern oder zu beheben.
Gedanken nutzbar machen
Zu den am meisten Aufsehen erregenden Schlagzeilen dieses Jahres
gehört jene über einen gelähmten Mann, der mittels seiner Gedanken
einen Computer bediente. Dieser Fortschritt ist der Höhepunkt jahrzehntelanger Grundlagenforschung, die jenem Hirnzentrum galt, das
für die motorische Steuerung verantwortlich ist (dies wird im Kapitel
Neuroethik, S. 45 weiter diskutiert). Eine Pilotstudie über diesen einen
Patienten – John Donoghue von der Brown University und ein in Harvard
stationiertes Team von Mitarbeitenden berichteten darüber in Nature –
bestätigte das Konzept, wonach eine Hirn-Computer Schnittstelle
die Nervenaktivität des primären motorischen Kortex einer Person aufzeichnen und in spezifische Aktionen auf externen Geräten übertragen kann 1.
36
Der in dieser Studie vorgestellte Mann, der infolge einer drei Jahre zuvor
erlittenen Rückenmarkverletzung vom Hals abwärts gelähmt war, konnte
Email-Nachrichten öffnen, einen Fernseh- und einen Lichtschalter betätigen, eine Handprothese öffnen und schliessen sowie rudimentäre Tätigkeiten mit einem aus mehreren Gelenken bestehenden künstlichen Arm
ausführen. Die hier vorgestellte Arbeit ist ein erster Schritt in Richtung
auf gedankenbetriebene Roboter, die als Hilfsmittel dienen könnten, um
Personen, welche infolge einer Schädigung des Zentralnervensystems
gelähmt sind, eine gewisse Unabhängigkeit zu ermöglichen. Die Autoren
weisen deutlich darauf hin, dass die Technik weiter entwickelt werden
muss, bevor eine praktische Anwendung ausserhalb einer Forschungsanordnung ins Auge gefasst werden kann.
Die vielfältigen Aspekte von Rückenmarksverletzungen erfordern entsprechend unterschiedliche Behandlungsansätze, und die Forschung beginnt
erst jetzt, verschiedene therapeutische Strategien in Tierversuchen zu kombinieren. Das Bemühen, Axonen – jene Nervenfasern, welche Signale von
einer Zelle zur andern leiten – zum Nachwachsen zu veranlassen, ist weiterhin mit grundlegenden Schwierigkeiten verbunden. Unter anderem gilt es
herauszufinden, wie man beschädigte Nervenfasern veranlassen kann, in
die richtige Richtung zu wachsen und sich mit den richtigen Zielstrukturen
zu verbinden, so dass die neuronale Kommunikation wiederhergestellt wird.
Zu den Problemen, die diese Schwierigkeiten noch vergrössern, gehören
die Lücke, die entsteht, wenn das Rückenmark durch einen Riss oder eine
Quetschung verletzt wird; die Entstehung einer undurchdringbaren „GliaNarbe“ am Ort der Verletzung; das Vorhandensein von hemmenden Molekülen in der Narbe und im Rückenmark, die ein Nachwachsen von Axonen
(Kommunikationskabeln) verhindern; sowie die komplizierte Dynamik von
richtungsweisenden Axonen. Die Forschung konzentriert sich darauf,
Substanzen zu identifizieren und zu testen, welche diesen körpereigenen
Inhibitoren des Axon-Wachstums entgegenwirken könnten.
Schädigungen des Nervensystems
Instandsetzung des Rückenmarks
Eine Substanz, die zurzeit getestet wird, ist Chondroitinase ABC, ein natürlich vorkommendes bakterielles Enzym, das früheren Forschungsarbeiten
zufolge die Bildung inhibitorischer Moleküle, so genannter Proteoglykane,
in der Glia-Narbe verhindert. James Massey und Mitarbeitende an der
University of Louisville berichteten im Journal of Neuroscience, die Injektion von Chondroitinase ins Stammhirn von Ratten mit einer zervikalen
Rückenmarkverletzung habe das Aussprossen von Nerven am Ort der Verletzung gefördert; dies bestätigt frühere Berichte 2.
Forschende an der Johns Hopkins University und an der University of
Michigan unter der Leitung von Ronald Schnaar berichteten in Proceedings of the National Academy of Sciences ebenfalls, Chondroitinase ABC
habe in einem Tiermodell der Rückenmarkverletzung das Wachstum von
Axonen induziert. Ausserdem entdeckten sie ein zweites bakterielles
Enzym, Sialidase, welches das Wachstum von Axonen bei Ratten mit
Nervenverletzungen zu verdoppeln scheint 3.
Forschende tragen nicht nur dazu bei, die angeborenen Inhibitoren des
Axon-Wachstums zu überwinden, sondern arbeiten auch daran, jene
37
grundlegenden biologischen Vorgänge zu ermitteln, die Axonen zum
Wachsen und Eingehen richtiger Verbindungen veranlassen. Drei Forschungsgruppen berichteten im Jahr 2006 über erste Ergebnisse auf
diesem Gebiet.
Forschende arbeiten daran, jene grundlegenden biologischen
Vorgänge zu ermitteln, die Axonen zum Wachsen und Eingehen
richtiger Verbindungen veranlassen.
Yuqin Yin und Larry Benowitz vom Children’s Hospital Boston berichteten
in Nature Neuroscience, sie hätten einen natürlich vorkommenden
Wachstumsfaktor, Oncomodulin, entdeckt, der bei Ratten mit einer Verletzung des Sehnervs die Regeneration der Nerven um das fünf- bis siebenfache verstärkte 4. Aus dem Laboratorium von Samuel Pfaff im Salk Institute stammt einem Bericht in Neuron zufolge der Nachweis, dass ein
Wachstumsfaktor anderer Art, der Fibroblast-Wachstumsfaktor, wachsende Axonen dazu bringt, sich wieder mit den richtigen Zielzellen in den
Muskeln zu verbinden 5. Und Forschende unter der Leitung von Paul
Forscher in Yale schrieben in Nature Cell Biology, sie hätten neue Funktionen des molekularen „Motor“-Proteins Myosin-II entdeckt, das an der
Spitze von Axonen die Steuerung des Nervenwachstums unterstützt 6.
Diese Berichte geben weiteren Aufschluss darüber, wie Vorgänge, die an
der Entwicklung des Nervensystems beteiligt sind, zur Regeneration von
Nerven nach einer Verletzung genutzt werden könnten.
38
Andernorts, an der Case Western Reserve University, verwendete eine
Forschungsgruppe unter der Leitung von Jerry Silver Chondroitinase ABC
zusammen mit einer „neuralen Brücke“, um in einem Rattenmodell das
Nachwachsen von Axonen über eine Rückenmarkverletzung hinweg zu
erleichtern. Als erstes transplantierte das Team ein Segment des Ischiasnervs des Tieres in die durch die Verletzung entstandene Lücke. Dieses
Transplantat bildete eine Brücke, über die neu sprossende Axonen wachsen konnten. Dann wurde mittels einer implantierten Pumpe eine konstante Dosis des Enzyms Chondroitinase ABC zugeführt, was das Aussprossen förderte und eine weitere Narbenbildung am Ort der Verletzung
verhinderte. Bei diesen Ratten kam es zu einer entscheidenden Verbesserung der Mobilität – dies im Vergleich zu Ratten, welche zwar derselben
Prozedur unterzogen wurden, jedoch statt Chondroitinase ABC eine inaktive Kochsalzlösung erhielten. Bei letzteren zeigte sich weder ein neues
Wachstum von Axonen noch eine verbesserte Mobilität. Die Ergebnisse
erschienen im Journal of Neuroscience 7.
Diese ersten Berichte über Tiermodelle von Rückenmarkverletzungen helfen mit, mögliche Verfahren zu bestimmen, die eines Tages bei Menschen
Anwendung finden könnten.
Schädigungen des Nervensystems
Unter der Leitung von Douglas Kerr verfolgten Forschende an der Johns
Hopkins University einen ähnlichen Ansatz. Sie transplantierten Motoneuronen in Tiere mit einer Rückenmarkverletzung und behandelten dann
dieses Gebiet mit einem Cocktail von Substanzen, der jene Signale neutralisieren sollte, die das Wachstum von Axonen verhindern. Schliesslich
infundierten sie einen Nervenwachstumsfaktor, der Axone dazu veranlasst, die richtigen Verbindungen einzugehen. Auf diese Weise, so ein
Bericht in Annals of Neurology, erreichten sie eine teilweise Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der gelähmten Tiere 8.
Hirnschlagforschung
Dank Medikamenten zur Senkung der beiden hauptsächlichsten Risikofaktoren – Bluthochdruck und Cholesterin – traten seit ein paar Jahrzehnten jedes Jahr drastisch weniger neue Hirnschläge auf.
In den Fällen, in denen der Hirnschlag infolge eines Blutgerinnsels erfolgt
(ischämischer Hirnschlag), hilft ein Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tissue
plasminogen activator, tPA) – vorausgesetzt er wird innert dreier Stunden
nach Eintritt des Schlaganfalls verabreicht – das Gerinnsel aufzulösen und
den Schaden möglicherweise auf ein Minimum zu begrenzen. Allerdings
wird tPA heute viel zu selten zur Akutbehandlung eingesetzt; dies liegt
zum Teil daran, dass nur wenige der dafür in Frage kommenden Kranken
innerhalb der erforderlichen drei Stunden nach Einsetzen der ersten
Symptome in eine Spezialstation für Schlaganfall gelangen.
Daten eines den ganzen Bundesstaat umfassenden Hirnschlag-Registers
in Minnesota ergaben, dass nur 2% der Kranken mit einem Blutgerinnsel
tPA erhielten. Von den Kranken, die kein tPA erhielten, waren 41% erst
nach dem dreistündigen therapeutischen Fenster im Spital angelangt, und
weitere 38% konnten nicht genau angeben, wann die Symptome eingesetzt hatten. Mathew Reeves von der Michigan State University leitete
diese Minnesota-Register-Studie, über die in Neurology berichtet wurde 9.
Diese Untersuchungen unterstreichen die Notwendigkeit, Therapien zu
entwickeln, welche selbst dann wirksam zur Verbesserung der Hirnfunktion und zur Genesung beitragen, wenn sie nicht innerhalb von drei
39
Stunden nach dem Einsetzen eines ischämischen Hirnschlags durchgeführt werden.
In erster Linie geht es weiterhin darum, Gerinnsel auflösende
Mittel mit einem grösseren Zeitfenster zu entwickeln.
In diese Richtung weisen Resultate einer klinischen Studie mit einem neuroprotektiven Medikament zur Eindämmung der unmittelbar nach einem
ischämischen Hirnschlag auftretenden Hirnschädigungen. Bemühungen
um die Entwicklung neuroprotektiver Medikamente gab es zwar schon
seit zwei Jahrzehnten, doch ist das Präparat NXY-059 das erste Medikament, das gemäss den neuen Expertenrichtlinien zur Förderung der klinischen Hirnschlagforschung entwickelt wurde. Wenn das Medikament
innert sechs Stunden nach einem ischämischen Schlaganfall verabreicht
wurde, war eine Behinderung 90 Tage nach dem Hirnschlag seltener.
Warren Wasiewski von der Western Infirmary in Glasgow, Schottland, der
Versuchsleiter dieser Multisite-Studie, über die das New England Journal
of Medicine berichtete, hielt jedoch fest, dass bezüglich der neurologischen Funktion keine Verbesserungen beobachtet wurden 10. In erster
Linie geht es also weiterhin darum, Gerinnsel auflösende Mittel mit einem
grösseren Zeitfenster zu entwickeln.
Hirntumoren
Gliome, tödliche Hirntumoren, sind therapieresistent, und im Allgemeinen
sterben die Betroffenen innerhalb von zwei Jahren nach der Diagnose. Zu
Entstehung, Prävention und Behandlung dieser Tumoren, gibt es erst
wenige wissenschaftliche Anhaltspunkte.
Die im Rahmen der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung vorgenommenen Untersuchungen konzentrierten sich weitgehend auf die
Beziehung von Stammzellen und Tumorzellen und schlossen sich an
frühere Forschungsarbeiten an mit der Frage, ob Stammzellen Substanzen
bilden, die das Krebswachstum fördern. Jeremy Rich und Mitarbeitende
an der Duke University beschrieben in Cancer Research eine spezifische
Art von Gliomzellen, die sie wegen ihrer gemeinsamen Merkmale mit normalen Stammzellen als „stammzellartige Gliom-Krebszelle“ bezeichneten 11.
40
Die Forschenden untersuchten, wodurch diese Art von Gliomzellen das
Tumorwachstum verstärkt. Sie entdeckten, dass diese Zellen grosse
Mengen einer natürlichen Substanz, des so genannten vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (vascular endothelial growth factor, VEGF),
Aufgrund von wissenschaftlichen Arbeiten, die unter der Leitung von
Howard Fine am National Institute of Neurological Disorders and Stroke
sowie am National Cancer Institute durchgeführt und in Cancer Cell vorgestellt wurden, geht man inzwischen davon aus, dass ein als StammzellFaktor (stem cell factor, SCF) bezeichneter Wachstumsfaktor ganz entscheidend zum Tumorwachstum beiträgt 12. Wie VEGF scheint auch SCF
die Progression von Krebs dadurch anzukurbeln, dass es für eine lokale
Umgebung sorgt, welche die Bildung von Blutgefässen anregt. Eine wichtige therapeutische Strategie besteht darin, herauszufinden, wie man das
Wachstum von Blutgefässen rund um einen Tumor hemmen und so die
Tumoren bezüglich Blut und Sauerstoff aushungern kann.
Schädigungen des Nervensystems
produzieren; dieser unterstützt die Bildung von Blutgefässen, welche
Sauerstoff und Nährstoffe zu den Gliomzellen bringen und so deren
Wachstum und Wuchern fördern.
Gegenwärtig wird auch ein allfälliger Einsatz von Stammzellen zur Behandlung von Gliomen untersucht. Ein von Arturo Alvarez-Buylla geleitetes
Team an der University of California, San Francisco, schrieb in Neuron, ein
Signalmolekül, das die Entwicklung von Hirnzellen bei Erwachsenen reguliert, verursache, wenn es übermässig angeregt werde, bei Mäusen ein
invasives tumorartiges Wachstum; werde diese Stimulation aufgehoben,
so bilde sich der Tumor zurück 13. Demnach könnte die Blockierung der
Signalwege eine mögliche Behandlungsstrategie zur Verhinderung von
bösartigen Gliomen darstellen.
41
Neuroethik
Placebos in klinischen Versuchen
44
Intimsphäre des Gehirns
44
Neu entstehende Technologien und
das menschliche Gehirn
45
Abstufungen nicht bewusster Zustände
48
43
M
it der Gründung der Gesellschaft für Neuroethik im Jahr 2006 hat das
Gebiet der Neuroethik eine klarere Gestalt angenommen. Die von hervorragenden Mitgliedern aus den Bereichen Wissenschaft, Jurisprudenz und
Ethik gegründete Gesellschaft betreibt eine Webseite, www.neuroethicssociety.org sowie zwei „Partner-Publikationen“, das American Journal of
Bioethics und das Journal of Cognitive Neuroscience.
In vier Hauptbereichen der Neuroethik kam es dieses Jahr zu entscheidenden (natürlich von grossen Diskussionen begleiteten) Fortschritten. Es
ging dabei um Interventionen bei Affekt- und Verhaltensstörungen, die
Intimsphäre des Gehirns, die Auswirkungen neu aufkommender Technologien, sowie subtile Veränderungen im Verständnis von nicht bewussten
Hirnzuständen, etwa dem dauerhaften vegetativen Zustand.
Placebos in klinischen Versuchen
Dass etwa in klinischen Versuchen Placebos zum Einsatz kommen, führt zu
ethischen Bedenken. Eine im British Journal of Psychiatry veröffentlichte
Studie von Sumant Khanna, in der etwa zwölf Dutzend manisch Kranke
anstelle einer Behandlung mit dem gebräuchlichen antipsychotisch wirkenden Medikament Risperidon ein Placebo erhielten, löste kürzlich eine
Debatte aus 1. Wie Ganapati Mudur im British Medical Journal festhielt,
gab es Ärzte, welche die Gültigkeit der von den Versuchsteilnehmenden
abgegebene Einverständniserklärung bezweifelten 2. Solche Versuche
werfen die Frage auf, ob Gemütskranke überhaupt in der Lage sind, eine
Einverständniserklärung abzugeben.
Intimsphäre des Gehirns
Die Bemühung um zunehmend ausgeklügelte bildgebende Verfahren
stellt alte Ansichten über den Geist, z. B. die Unantastbarkeit der unausgesprochenen Gedanken eines Menschen, in Frage. Unternehmerische
Forschende haben Lügendetektoren entwickelt, die auf funktioneller
Magnetresonanz-Tomographie (functional magnetic resonance imaging,
fMRI) basieren und angeblich eine grössere Treffgenauigkeit bieten als die
herkömmlichen Polygraphen, welche die Reaktionen des sympathischen
Nervensystems messen.
44
In einer fMRI-Studie, bei der die Abklärung einer Schiesserei in einem
Spital simuliert wurde, konnten Feroze Mohamed und Mitarbeitende acht
Hirnregionen bestimmen, die während des Lügens signifikant aktiver
Neuroethik
waren als in einer neutralen Situation und zwei Regionen, die während
einer wahrheitsgemässen Aussage aktiver waren als in einer neutralen
Situation. Sie veröffentlichten ihre Arbeit in Radiology 3. Zurzeit halten sich
die meisten Forschenden der Neurowissenschaft mit ihren Ansichten
zurück, aber ein Leitartikel in Nature fordert die neurowissenschaftliche
Gemeinschaft dringend auf, Bedenken laut und deutlich zu äussern und
sich damit auf eine lange öffentliche Diskussion sowohl über die ethischen
Implikationen dieser Technologien als auch über die grundsätzliche
Bedeutung der Intimsphäre einzulassen 4.
Feroze Mohamed und Mitarbeitende konnten acht Hirnregionen
bestimmen, die während des Lügens signifikant aktiver waren
als in einer neutralen Situation und zwei Regionen, die während
einer wahrheitsgemässen Aussage aktiver waren als in einer
neutralen Situation.
Dank einer neuen Technik zur Prüfung von Neuroimaging-Daten, der so
genannten Mustererkennung, kann die Wissenschaft recht genaue Aussagen darüber machen, was eine Person betrachtet, noch bevor dies der
Person selbst bewusst ist. Zwar könnte diese Möglichkeit die beunruhigende Vorstellung des Gedankenlesens heraufbeschwören, doch gelten
laut einem Leitartikel in Nature Neuroscience für die Bemühungen, mittels
Mustererkennung Lügen aufzudecken, dieselben Einschränkungen wie
für den herkömmlichen Polygraphen – dass etwa emotionale Antworten
das Signal verrauschen. Die Relevanz von Mustererkennungstechniken
dürfte eher im Bereich der Grundlagenforschung liegen, denn sie wird
nicht nur erkennen lassen, „wo“ Informationsverarbeitung im Gehirn stattfindet sondern auch „wie“ 5.
Interessant ist auch der Versuch, biologische Marker zu identifizieren,
etwa Hirnanomalien oder spezifische Genmutationen, die auf eine Neigung
zu Gewalttätigkeit schliessen lassen. Eine durchdachte Übersichtsarbeit
von Nigel Eastman und Colin Campbell in Nature Reviews Neuroscience
wirft die Frage auf, ob solche Marker als Kausalität im juristischen Wortsinn
angesehen werden können und, falls ja, ob eine Person mit einem oder
mehreren solchen Biomarkern zu Recht vorsorglich interniert werden darf,
um die Öffentlichkeit vor einem künftigen Schaden zu schützen 6.
Neu entstehende Technologien und das menschliche Gehirn
Eine einzigartige klinische Studie, bei der Gehirn und Computer zusammenwirken, betrifft BrainGate, eine von Matt Nagle benutzte, massentwickelte
45
Arm- und Handprothese – die Titelgeschichte der Ausgabe von Nature am
13. Juli 2006 (siehe auch das Kapitel Schädigungen des Nervensystems,
S. 36). Nagle, der infolge einer verletzungsbedingten Rückenmarksdurchtrennung an Tetraplegie leidet, betätigt das Gerät nur mit der Kraft seiner
Gedanken – d. h. durch Hirnsignale, welche seine Absicht verkörpern,
den Arm auszustrecken, seine Hand zu öffnen und zu schliessen, usw. Die
von Nagles bewusstem Gehirn ausgesandten Bewegungssignale werden
von einer in den motorischen Kortex implantierten, 96 Elektroden umfassenden Schaltmatrix aufgenommen, übersetzt und weitergeleitet, und
steuern so die Bewegung der Prothese.
Im Gegensatz zu verschiedenen anders gearteten technischen Hilfsmitteln
für Kranke mit einer multiplen Lähmung – eines wird z. B. durch elektrische Aktivität auf der Kopfhaut gesteuert, ein anderes basiert auf Augenbewegungen – erfordert diese neuromotorische Prothese weder ein
monatelanges Training noch die volle Aufmerksamkeit des Benützers. Wie
Leigh Hochberg und seine Mitarbeitenden in Nature berichten, kann
Nagle ein Gespräch führen, während er fingierte Emails öffnet oder die
Robothand bzw. den Arm bewegt 7.
Wenn es gelingt, die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und
damit die Leistungsfähigkeit künftiger neuromotorischer Prothesen zu
steigern, werden sich neue Fragen stellen: Wem sollen sie zugute kommen und nach welchen Kriterien (therapeutisch, finanziell, vielleicht sogar
psychosozial) erfolgt die Auswahl? Stephen Scott weist in derselben Ausgabe darauf hin, dass die Verwendung solcher Prothesen aufgrund von im
Gehirn bereits bestehenden Informations-Rückkoppelungs-Schaltkreisen
die Organisation der Hirnsignale subtil verändern könnte, so dass sich
Gehirn und von Menschenhand angefertigte Geräte immer besser vereinen – eine hoffnungsvolle Perspektive für Menschen mit einer Lähmung 8.
46
Andere technologische Fortschritte im Bereich der Bildgebung des Gehirns
führen zu Bedenken bezüglich „zufälliger Befunde“, unerwarteter Hinweise auf eine mögliche Krankheit, die im Verlauf der Erforschung eines
nicht damit zusammenhängenden Themas entdeckt werden. Berichte über
zufällige Befunde häufen sich. Eine Arbeitsgruppe, der etwa 50 Fachleute
aus den Bereichen medizinische Bildgebung, biomedizinische Ethik und
Rechtswissenschaft angehörten, behandelte in Science die Frage, ob Forschende verpflichtet seien, den an ihren Studien Teilnehmenden solche
zufälligen Befunde mitzuteilen und, falls ja, unter welchen Umständen 9.
Neuroethik
Die Antworten sind alles andere als selbstverständlich. Einige der möglicherweise entdeckten Krankheiten, können sehr schwerwiegend sein,
und falls in einer Versuchsanordnung häufig falsch positive Resultate vorkommen, erhielte man erst durch eine zweite, diesmal von einem diagnostischen Radiologen ausgewertete Aufnahme ein sicheres Resultat. Angenommen zufällige Befunde würden auf einem Forschungsscan sichtbar:
Hat die Versuchsperson ein Recht darauf, diese zu erfahren, oder ein
Recht, sie „nicht“ zu erfahren, oder beides?
Die Arbeitsgruppe fordert alle Forschenden, die mit Bildgebung des
Gehirns arbeiten, dringend dazu auf, die Entscheidung über den Umgang
mit zufälligen Befunden im Voraus zu treffen. Das entsprechende Protokoll sollte im Rahmen der Einverständniserklärung (informed consent)
figurieren. Natürlich kann es sein, dass künftige Erfahrungen mit zufälligen
Befunden zu neuen Empfehlungen führen, doch wird als Richtlinie weiterhin
gelten, dass es darum geht, die wissenschaftliche Integrität und das öffentliche Vertrauen sicherzustellen.
Abstufungen nicht bewusster Zustände
Im Jahr 2006 lenkten Forschungsarbeiten die Aufmerksamkeit auf ungewöhnliche Patienten mit schweren Hirnverletzungen. Im Journal of Clinical
Investigation beschrieben Henning Voss, Nicholas Schiff und weitere Forschende aus New York, New Jersey und Neuseeland die spontane Genesung
eines Mannes, der sich nach einem Autounfall 19 Jahre lang in einem minimal
bewussten Zustand befunden hatte und unfähig war, sich zu bewegen oder
zu sprechen 10. Sein Zustand hatte sich im Laufe der Jahre schrittweise gebessert; dennoch waren die Wiedererlangung des Bewusstseins, der fliessenden
Sprache, der Kognition und der Bewegungsfähigkeit von drei der vier Extremitäten beispiellos. Die Forschenden untersuchten sein Gehirn mittels eines
nicht-invasiven bildgebenden Verfahrens, der Diffusions-Tensor-Magnetresonanz-Tomographie. Sie fanden Hinweise auf ein Nachwachsen von
Axonen, welche die Bildung neuer Verbindungen im Gehirn ermöglichten.
Ein zweiter im selben Artikel beschriebener Patient, der (ebenfalls infolge
eines Autounfalls) mehr als ein Jahr in einem dauerhaften vegetativen
Zustand und weitere vier Jahre in einem minimal bewussten Zustand zugebracht hatte, zeigte zwar weder eine vergleichbare klinische Besserung
noch ein Nachwachsen von Axonen, doch könnte dies noch geschehen.
Die Autoren fordern weitere Bildgebungs-Studien mittels Diffusions-Tensor-Bildgebung und Positronen-Emissions-Tomographie, die bereits kurz
47
Patientin
Gesunde Versuchspersonen
Tennis Spielen
fMRI-Scans
Räumliche Vorstellung
Hirnaktivität bei vegetativem Zustand
Als Reaktion auf gesprochene Aufforderungen, sie solle sich vorstellen, Tennis zu
spielen oder durch ihr Haus zu gehen, reagierte eine Patientin in einem vegetativen
Zustand mit Aktivitäten in denselben Hirnregionen wie gesunde Versuchspersonen.
nach einer Hirnverletzung einsetzen sollten und weitere Einblicke in das
hoffnungsvolle Phänomen einer langfristigen Neuverschaltung des Gehirns
vermitteln könnten.
Auch in einer von Adrian Owen geleiteten Forschungsarbeit, die in
Science erschienen ist, kam es zu einer viel versprechenden Beobachtung
bezüglich der Hirnaktivität einer Patientin in einem dauerhaften vegetativen Zustand (persistent vegetative state, PVS) 11. Bei einer teilnahmslos
wirkenden jungen Frau, die nach einem Autounfall fünf Monate in einem
dauerhaften vegetativen Zustand verbracht hatte, machte man ein fMRIScan des Gehirns; es belegte eindeutig, dass sie verschiedene komplizierte kognitive Aufgaben ganz normal zu bewältigen vermochte.
48
Als Reaktion auf gesprochene Sätze, selbst auf solche, die doppeldeutig
klingende Wörter enthielten („The ,creak‘ came from a beam in the ,ceiling“.
„Das ,Knacken‘ stammte von einem ,Träger‘ in der ,Decke“) entsprach
die Aktivität in den Sprachzentren ihres Gehirns jener von gesunden
Neuroethik
Versuchspersonen. Darüber hinaus reagierte sie auf die gesprochene Aufforderung, sich vorzustellen, sie würde Tennis spielen oder durch die Zimmer ihres Hauses gehen, mit einer normalen Hirnaktivität. Diese Befunde
sind besonders beeindruckend, da sie sehr präzise anzeigen, dass vielen
Aspekten dessen, was wir gemeinhin als Bewusstsein bezeichnen, eine
Hirnaktivität zugrunde liegt: Intention, Körpergefühl, einem (vorgestellten) sich bewegenden Gegenstand nachblicken, und die Erinnerung an
eine (vorgestellte) bekannte Umgebung. Bereits früher hatte die Neurowissenschaft angenommen, Kranke in einem dauerhaften vegetativen
Zustand verfügten über „Inseln“ von erhalten gebliebenen Funktionen, die
mittels herkömmlicher klinischer Methoden nicht aufgespürt werden können. Die geistige Mobilität dieser immobilen Kranken scheint zu bestätigen, dass solche „Inseln“, wie vermutet, vorkommen können, und lässt
hoffen, dass irgendeine Art von Fenster zu diesen Schlupfwinkeln von
nicht bewussten Zuständen gefunden wird.
Diese Befunde sind besonders beeindruckend, da sie sehr
präzise anzeigen, dass vielen Aspekten dessen, was wir gemeinhin
als Bewusstsein bezeichnen, eine Hirnaktivität zugrunde liegt.
Da es nur bei einer winzig kleinen Zahl von Kranken zu einer Besserung
kam, stellt sich die Frage, ob man bei allen Kranken versuchen soll, mittels
kostspieliger experimenteller Eingriffe (z. B. tiefer Hirnstimulation oder
transmagnetischer Stimulation) eine gewisse Kommunikationsfähigkeit
wiederherzustellen. Das Bestreben der gegenwärtigen Forschung herauszufinden, ob und unter welchen Umständen solche Interventionen wirksam sein werden, könnte mithelfen, jene Kranken zu eruieren, die wohl am
ehesten davon profitieren.
49
Neuroimmunologische
Erkrankungen
Multiple Sklerose
52
Ziel eines Autoimmun-Angriffs
53
Die Immunreaktion unter Kontrolle halten
54
Das Immunsystem und die Alzheimersche Krankheit
55
Neuropathischer Schmerz
58
Plastizität
58
Depressionen können Entzündungen hervorrufen
59
51
D
ie Beziehung zwischen dem Immunsystem des Menschen und seinem
Gehirn ist oft getrübt; das Gehirn ist ein „immunprivilegiertes“ Gebiet, in
dem nur eine Art von Immunzellen, die so genannte Mikroglia, vorkommt.
Bakterien, Viren und Toxine können ins Gehirn eindringen, indem sie die
Blut-Hirn-Schranke durchbrechen, jene überaus dichte Schicht von Zellen
in der Wand von Blutgefässen, welche den Übertritt von Substanzen aus
dem Blut ins Gehirn kontrolliert. Sobald dies geschieht, strömen Immunzellen ins Gehirn, um die Eindringlinge zurückzuschlagen.
Manchmal jedoch verwechseln Immunzellen irrtümlicherweise normales
Hirngewebe mit Eindringlingen und greifen es an. Ein Beispiel dafür ist die
Multiple Sklerose, bei der Immunzellen ausrasten und das unentbehrliche,
isolierende Myelin angreifen, das die Axonen in Gehirn und Zentralnervensystem umgibt. Das Immunsystem setzt auch einen Angriff auf die
Amyloid-Proteine in Gang, welche sich im Gehirn von Alzheimer-Kranken
bilden; dieser Angriff ist so aggressiv, dass er eine für Neuronen schädliche Entzündung hervorruft. Bei der Parkinsonschen Krankheit gibt es
möglicherweise einen ähnlichen Vorgang (siehe Bewegungsstörungen
und andere Störungen der Motorik, S. 30).
Worauf es beruht, dass bei Multipler Sklerose gewisse Immunzellen
so umgewandelt werden, dass sie Myelin angreifen, wurde 2006 entdeckt und zählt zu den bedeutendsten Fortschritten auf dem Gebiet
der Neuroimmunologie dieses Jahres. Weitere Forschungsarbeiten untersuchten, wie das Immunsystem eine durch die Alzheimersche Krankheit hervorgerufene Degeneration verhindern oder sogar rückgängig
machen könnte.
Multiple Sklerose
52
Bei Multipler Sklerose führen die wiederholten Angriffe des Immunsystems zu Lücken in der Myelinhülle von Nervenzellaxonen und damit zu
einer Unterbrechung der neuralen Signalübermittlung. Diese Unterbrechung ruft eine Reihe von Symptomen hervor. Bis vor kurzem nahm
man an, solche Angriffe auf das Myelin gingen von fehlerhaften ImmunT-Helferzellen (so genannten TH1-Zellen) aus, welche das Immunsystem
normalerweise über in die Zelle eingedrungene Bakterien oder Viren
informieren. 2005 haben Forschende jedoch herausgefunden, dass eine
andere T-Helferzelle, TH17, als Auslöser eines Autoimmunangriffs auf
Myelin eine entscheidende Rolle spielt. Eine unter der Leitung von
Neuroimmunologische Erkrankungen
Estelle Bettelli durchgeführte und in Nature veröffentlichte Studie von
Forschenden an der Harvard Medical School in Boston ergab, dass TH17Zellen entstehen, wenn unreife T-Zellen der Kombination von zwei
anderen Molekülen ausgesetzt sind 1. Eines dieser Moleküle ist ein
signalgebendes Protein, das als transformierender Wachstumsfaktor Beta
(transforming growth factor-beta, TGF-beta) bezeichnet wird. Das andere
ist ein entzündungsförderndes Immunmolekül, das so genannte Interleukin-6 (IL-6), das von T-Zellen freigesetzt wird. IL-6 defiziente Mäuse
hatten keine TH17-Zellen und entwickelten auch keine Mäuseversion
der Multiplen Sklerose. Yoichiro Iwakura und Harumichi Ishigame entdeckten zudem, dass das Molekül Interleukin-23 (IL-23), ein Wachstumsfaktor, unreife T-Zellen in TH17-Zellen umwandelt 2. Ihre im Journal
of Clinical Investigation veröffentlichte Arbeit zeigte, dass sie im Tiermodell die Entwicklung der Multiplen Sklerose sowie einer weiteren
Auoimmunerkrankung, der entzündlichen Darmerkrankung (inflammatory bowel disease), durch die Blockierung von IL-23 entscheidend unterdrücken konnten.
Zusammengefasst lassen diese beiden Studien darauf schliessen, dass
Therapien, welche die Umwandlung von Immun-T-Zellen in TH17-Zellen
blockieren, zumindest bei einigen Autoimmunerkrankungen, einschliesslich der Multiplen Sklerose, wirksam sein könnten.
Ziel eines Autoimmun-Angriffs
Bei einer weiteren entzündlichen Erkrankung, der Neuromyelitis optica,
greift das Immunsystem das Myelin um den Sehnerv an, was zu teilweiser
oder völliger Blindheit führt. Zwar wird Neuromyelitis optica manchmal irrtümlich für eine erste Manifestation von Multipler Sklerose gehalten, doch
hat man kürzlich entdeckt, dass ein NMO-IgG genannter Antikörper, der
im Falle von Neuromyelitis optica irrtümlicherweise das Myelin angreift,
bei Kranken mit Multipler Sklerose nicht vorkommt. Dieser Befund lässt
darauf schliessen, dass es sich bei Neuromyelitis optica um eine eigenständige Krankheit handelt.
Forschungsarbeiten deuten auch daraufhin, dass NMO-IgG zur transversen Myelitis beiträgt, einer Krankheit, bei der das Immunsystem das Myelin um Axonen im Rückenmark angreift und Bewegungsstörungen oder
Lähmungen verursacht. Brian Weinshenker und Mitarbeitende an der
Mayo Clinic berichteten in Annals of Neurology, ca. 40% der Kranken mit
einer weit reichenden transversen Myelitis seien positiv auf NMO-IgG
53
getestet worden, und bei mehr als der Hälfte dieser positiv getesteten sei
es binnen Jahresfrist zu einem Rückfall gekommen 3. Personen ohne diesen Antikörper im Blut hatten keinen Rückfall.
Vor dieser Entdeckung konnte man nicht feststellen, bei welchen dieser
Kranken, einschliesslich jener mit transverser Myelitis, das Risiko eines
neuerlichen Autoimmunangriffs auf das Rückenmark bestand. Durch den
Nachweis dieses Biomarkers lassen sich nun die Rückfallgefährdeten identifizieren, und man kann den Einsatz von immunsuppressiven Behandlungen erwägen. Aber wogegen richtet sich der Angriff des NMO-IgGAutoimmun-Antikörpers?
Unter der Leitung von Vanda Lennon entdeckten Forschende an der Mayo
Clinic im Jahr 2006, dass NMO-IgG fälschlicherweise auf Aquaporin-4
abzielt, ein kürzlich entdecktes Protein im Zentralnervensystem, dank dem
Wasser in Zellen ein- und ausströmen kann 4. Aquaporin-4 wird im Gehirn
vor allem durch sternförmige Zellen, so genannte Astrozyten gebildet,
welche die Blut-Hirn-Schranke verstärken, schädliche Substanzen im
Blut beseitigen und davon abhalten ins Gehirn zu gelangen. Hohe Konzentrationen von Aquaporin-4 kommen im Sehnerv, im Rückenmark und in
bestimmten Teilen des Hirnstamms vor – lauter Ziele, die das Immunsystem von Kranken mit Neuromyelitis optica angreift. Dies deutet darauf
hin, dass an diesen Orten möglicherweise NMO-IgG aus Blutgefässen
durchsickert, dort auf Aquaporin-4 stösst und es angreift. Jedenfalls ist
die Erkenntnis, dass NMO-IgG einen zuverlässigen Marker für diese
Krankheit darstellt, für die Diagnose der Neuromyelitis optica ein bedeutender Fortschritt.
Die Immunreaktion unter Kontrolle halten
Eine unkontrollierte Immunreaktion im Gehirn kann Multiple Sklerose,
Lupus und andere Erkrankungen verursachen – wodurch aber gerät das
Immunsystem ausser Kontrolle?
Eine unkontrollierte Immunreaktion im Gehirn kann Multiple
Sklerose, Lupus und andere Erkrankungen verursachen – wodurch
aber gerät das Immunsystem ausser Kontrolle?
54
Chemokine sind Signalträger zwischen Zellen und regulieren den Einsatz
der Leukozyten genannten Immunzellen. Ein von Richard M. Ransohoff
geleitetes Team berichtete in Nature Neuroscience, um die Immunreaktion
im Gehirn unter Kontrolle zu halten, seien Fraktalkine, eine ungewöhnliche
c
e
b
d
f
CX3CR1+/–
CX3CR1–/–
Neuroimmunologische Erkrankungen
a
Schwierigkeiten mit der Kontrolle im Immunsystem
Mäuse, denen das Gen für das Fraktalkin-Rezeptorprotein fehlte (unten) ein Protein,
das auf Entzündungszellen des Gehirns vorkommt, entfalten mit der Zeit eine grössere
Aktivität der Mikroglia (von links nach rechts), was im Mäusemodell menschlicher
Krankheiten eine grössere Schädigung von Neuronen bewirkt.
Variante von Chemokinen, unentbehrlich 5. Durch die Freisetzung von
Fraktalkinen verhindern Immunzellen des Gehirns (also die Mikroglia),
dass andere an einer Immunreaktion beteiligte Zellen überreagieren.
Ransohoff entdeckte, dass Mäuse, denen das Gen für Fraktalkine fehlte,
zwar normal aussahen, jedoch während der heftigen Entzündungsreaktionen in Mausmodellen menschlicher Erkrankungen, einschliesslich der
Parkinsonschen Krankheit und der Amyotrophen Lateralsklerose (LouGehrig-Krankheit), wesentlich grösseren Schaden nahmen.
Das Immunsystem und die Alzheimersche Krankheit
Das Immunsystem hält die Beta-Amyloid-Partikel, die sich im Gehirn
von Alzheimerkranken anhäufen, für fremde Eindringlinge, die zerstört
werden müssen. Daraus resultiert eine Entzündung, welche die Krankheit sicher verschlimmert, sie möglicherweise sogar verursacht. Ein klinischer Versuch mit einem therapeutischen Impfstoff zur Dezimierung
dieser Plaques musste im Jahr 2002 abgebrochen werden, da die Immunreaktion bei einigen Teilnehmenden eine schwere Hirnhautentzündung
hervorrief.
55
Aber laut Michal Schwartz und Mitarbeitenden am Weizmann Institute of
Science in Israel lassen sich die immunen T-Zellen, die diese Entzündung
hervorriefen, dennoch wirksam und gefahrlos als Verbündete im Kampf
gegen diese Plaques einsetzen. Die Forschenden beschrieben in Proceedings of the National Academy of Sciences, sie hätten Mäuse, die zur Entwicklung von Amyloiden Plaques gezüchtet wurden, durch die Gabe von
Glatiramer-Acetat (GA), einem zur Behandlung der Multiplen Sklerose
verwendeten Immunsystem-Modulator (Handelsname „Copaxon“), therapeutisch immunisiert. Diese Therapie, welche T-Zellen anregt, reduzierte
die Plaque-Belastung der Mäuse und förderte das Wachstum von Zellen
im Hippokampus, was zu einer Verbesserung von Gedächtnis und Lernfähigkeit führte 6.
Die Forschenden führen die Wirkung dieser Therapie darauf zurück, dass
Mikrogliazellen angeregt wurden, ein als Insulinartiger Wachstumsfaktor-1 (insulin-like growth factor-1, IGF-1) bezeichnetes Hormon zu exprimieren und nicht das destruktive Zytokin, den so genannten Tumor-Nekrose-Faktor-Alpha (TNF-alpha), der Entzündungen auslöst. Mittels einer
derartigen Feinabstimmung der Immunreaktion könnten solche Therapien, wie die Autoren glauben, einen Angriff auf das Beta-Amyloid im
Gehirn anregen, ohne eine destruktive Entzündung auszulösen.
Schwartz wies ausserdem nach, dass ins Gehirn von Mäusen injizierte
immune T-Zellen in gewissen Gebieten zur Neubildung von Neuronen beitragen, und zwar auch im Hippokampus, der durch die Alzheimersche
Krankheit stark geschädigt wird. Sie und ihr Team verglichen die Gehirne
von zwei Mäusegruppen in einer anregenden Umgebung voller Spielobjekte und neuartiger Gegenstände: normale Mäuse und Mäuse mit einem
schweren kombinierten Immundefekt (severe combined immune deficiency, SCID), der bewirkte, dass die Tiere praktisch keine T-Zellen hatten.
Bei den normalen Mäusen kam es zu einer kräftigen Neurogenese im Hippokampus, wo das Kurzzeitgedächtnis entsteht; bei SCID-Mäusen ohne
T-Zellen war dies praktisch nicht der Fall.
56
Im Zusammenhang mit der Alzheimerschen Krankheit gab es 2006 einen
weiteren, mit der Unterdrückung von Entzündungen einhergehenden,
viel versprechenden Forschungsansatz. Im Rahmen einer sechsmonatigen
von Edward Tobinick geleiteten Pilotstudie behandelten Forschende der
University of California, Los Angeles, 15 Kranke mit einer mässigen bis
schweren Alzheimerschen Krankheit mit Etanercept; diese Therapie wirkt
Die wöchentlichen Injektionen führten bei den Teilnehmenden zu einer
wesentlichen Verbesserung der mentalen Funktion. Die Studie bekräftigt
die Theorie, wonach die Entzündung selbst entscheidend zur Demenz von
Alzheimer-Kranken beiträgt und sich der mentale Abbau durch die Entzündungshemmung verlangsamen oder gar verhindern lässt.
Eine Forschungsgruppe der Case Western Reserve University hält
das Bestreben, die Alzheimersche Krankheit durch die Beseitigung
der Plaques im Gehirn zu heilen, für grundsätzlich falsch.
Forschende an der Case Western Reserve University stellten allerdings die
weit verbreitete Hypothese in Frage, die für die Alzheimersche Krankheit
charakteristischen amyloiden Plaques und die von ihnen ausgelöste Entzündung seien die Ursache der Erkrankung. Sie vermuten vielmehr, die
Symptome rührten von oxidativem Stress, der erhöhten Produktion von
Oxidantien her, welche Neuronen zerstöre. In einem Bericht in Current
Alzheimer Research behaupten Hyoung-gon Lee, Mark Smith, George
Perry und Mitarbeitende, die Plaques seien der Versuch des Gehirns, den
oxidativen Stress zu mindern 8. Ihrer Ansicht nach ist das Bestreben, die
Alzheimersche Krankheit durch die Eliminierung der Plaques im Gehirn
zu heilen, völlig falsch. Sie halten es für sinnvoller, die Ursachen von oxidativem Stress zu identifizieren und ihren Einfluss zu vermindern.
Neuroimmunologische Erkrankungen
TNF-Alpha entgegen und hat sich bei der Unterdrückung arthritischer
Entzündungen als wirksam erwiesen 7.
Inzwischen entdeckten Forschende der Northwestern University Medical
School unter der Leitung von Abdelhak Belmadani, dass Chemokine nicht
nur Signale aussenden und Leukozyten regulieren, sondern ebenso die
Migration von neuralen Vorläuferzellen an alle entzündeten Stellen im
Gehirn regulieren – auch bei der sehr ausgedehnten Entzündung, die durch
die Alzheimersche Krankheit verursacht wird. Sobald eine Entzündung Nervenzellen schädigt, aktivieren Astrozyten Chemokine; diese lenken dann
adulte neurale Vorläuferzellen zur von der Entzündung betroffenen Stelle.
Wie die Forschenden in Journal of Neuroscience schreiben, könnte dieser
Befund zur Entwicklung von Medikamenten gegen Hirnschädigung führen, indem sie die Migration von neuralen Vorläuferzellen an die verletzte
Stelle fördern, wo diese sich zu neuen Neuronen entwickeln könnten 9.
Es wäre denkbar, dass dies zur Wiederherstellung eines durch Alzheimersche Krankheit geschädigten Hippokampus beitragen könnte.
57
Neuropathischer Schmerz
Andere Forschungsarbeiten liessen eine Verbindung von Mikroglia und
neuropathischem Schmerz erkennen, einer chronischen und oft qualvollen Erkrankung, bei der ein Schmerz noch lange fortdauert, nachdem die
Verletzung, die Infektion oder das Toxin, das ihn ausgelöst hatte, beseitigt
wurde (vgl. auch das Kapitel Schmerz, S. 62).
Neuropathischer Schmerz kann als Folge einer Verletzung von „peripheren“ Nerven (jenen ausserhalb von Gehirn und Rückenmark) entstehen.
Zu dieser abnormen Schmerzreaktion kommt es, wenn Mikrogliazellen,
die einzigen in Gehirn und Rückenmark vorhandenen Immunzellen, aktiviert werden und einen aus dem Hirn stammenden neurotrophen Faktor
freisetzen, der die Schmerzsignale zwischen Mikroglia und Neuronen verstärkt – dies die Ansicht eines von Michael Salter geleiteten Forschungsteams der University of Toronto.
Dieser Vorgang bringt die normale Schmerzbekämpfung zum Erliegen, so
dass Neuronen selbst ohne das Vorhandensein irgendwelcher schmerzhaften Stimuli überempfindlich sind. Die Forschenden stellten ihre Ergebnisse im European Journal of Physiology vor 10. Diese Forschungsarbeit lässt
darauf schliessen, dass die Signal gebenden Komponenten der Mikrogliazellen viel versprechende therapeutische Angriffspunkte zur Linderung
von chronischen peripheren Nervenschmerzen darstellen könnten.
Andernorts, am Columbia University Medical Center, beantragten Forschende ein Patent zur Entwicklung von Medikamenten, die ein als Protein
Kinase G (PKG) bekanntes Enzym ausschalten und dadurch chronischen
Schmerz hemmen sollen. Wie sie in Neuroscience berichteten, führt PKG
zu einer neuronalen Hypererregbarkeit, die bewirkt, dass andauernd
Schmersignale erzeugt werden 11. Sie beobachteten, dass der Schmerz
aufhörte, sobald das PKG ausgeschaltet wurde; das Enzym eignet sich
somit ideal als Angriffspunkt für Medikamente.
Plastizität
58
Solange das Gehirn jung ist, reagiert es mit einer kräftigen Neuverkabelung auf Verletzungen. Eine solche Neuverkabelung, die so genannte
Plastizität, wird mit zunehmendem Alter langsamer; nun haben Forschende an der Harvard Medical School entdeckt, dass möglicherweise
ein Protein des Immunsystems, der so genannte Paired-immunoglobulinlike receptor-B (PirB), im Verlauf der Zeit die Plastizität hemmt und
Neuroimmunologische Erkrankungen
Mikroglia vermittelt Schmerz
Nach einer Verletzung peripherer Nerven wird die Mikroglia im dorsalen Horn des
Rückenmarks aktiviert; dadurch werden Neuronen überempfindlich, und es kommt
selbst dann zur Empfindung von Schmerz, wenn kein schmerzhafter Reiz vorhanden ist.
dadurch Hirnverbindungen stabiler macht. Ein von Josh Syken geleitetes
Team publizierte diese Ergebnisse in Science 12. Sie beobachteten, dass
PirB-deprivierte Mäuse während ihres ganzen Lebens über eine grössere
Fähigkeit zur Neuverkabelung verfügten. Würde man einen Weg finden,
um PirB zu reduzieren, könnten Verbindungen zwischen Neuronen, die
durch Rückenmarkverletzungen, Hirnschlag oder andere Traumen geschädigt wurden, möglicherweise leichter wiederhergestellt werden.
Depressionen können Entzündungen hervorrufen
Forschende der Emory University School of Medicine in Atlanta entdeckten, dass das Immunsystem von depressiven Männern, die in ihrer
Jugend unter Stress gelitten hatten, bei Stress übertriebene Entzündungsreaktionen aufweist, was zur schlechten Prognose bei Entzündungskrankheiten beitragen könnte.
Stresserlebnisse führen gewöhnlich zu einer erhöhten Produktion von
Interleukin-6 (IL-6) und diese fördert Entzündungen. Unter der Leitung
von Andrew H. Miller und Christine Heim unterzogen die Forschenden
28 Männer – bei der Hälfte von ihnen waren eine Major Depression und
Stress in der Jugend diagnostiziert worden – einem Test. Nachdem sie
59
Aufgaben ausgeführt hatten, die Stress erhöhen, z. B. rechnen und öffentlich sprechen, wurden Blutproben entnommen und auf das Vorhandensein von IL-6 getestet. Wie die Forschenden im American Journal of
Psychiatry berichteten, nahm IL-6 zwar bei allen Teilnehmenden zu, doch
stiegen die Konzentrationen bei der depressiven Gruppe fast doppelt
so stark an 13. Die Untersuchung liefert erste Hinweise auf einen
Zusammenhang von Major Depression, jugendlichem Stress und Gesundheitszustand.
60
Schmerz
Hauptschalter für chronische Schmerzen identifiziert
62
Die Erwartung von Schmerz kann ebenso schlimm sein,
wie der Schmerz selber
63
Schmerzbekämpfung dank Schädlingsbekämpfung
64
„Emotionale Ansteckung“ bei Schmerz
65
Die Art eines Placebos wirkt sich aus
66
61
S
chmerz stellt für Ärzte und Ärztinnen sowie für die Allgemeinheit
gleichermassen ein enormes Problem dar; laut der gemeinnützigen Organisation Partners Against Pain belaufen sich der daraus resultierende
Produktivitätsverlust und die Kosten im Gesundheitswesen auf jährlich
insgesamt fast 100 Milliarden Dollars. Weltweit gelang es der Schmerzforschung im Jahr 2006, besser zu verstehen, was akuten und chronischen
Schmerzen zugrunde liegt und wie man sie lindern kann.
Eine Studie entdeckte einen „Hauptschalter“ für die Entwicklung von
neuropathischen Schmerzen – eine chronische Art von Schmerzen, die
sich grundlegend von akuten, verletzungsbedingten Schmerzen unterscheidet. Eine zweite ergab, dass es schlimmer sein kann, Schmerzen
zu erwarten als sie tatsächlich zu erleiden. Auf der Suche nach einem
Schädlingsbekämpfungsmittel stiessen Forschende auf einen Enzymhemmer, der möglicherweise Entzündungsschmerzen lindert und
zugleich das mit Medikamenten wie Rofecoxib (Vioxx) verbundene Herzinfarktrisiko verringert. Kanadische Forschende stellten fest, dass Mäuse
Empathie entwickeln und schmerzempfindlich werden, wenn sie beobachten, dass eine andere Maus Schmerzen hat. Ausserdem erkannten
Forschende, dass die Art eines Placebos und die Umstände, unter denen
es verabreicht wird, den Placeboeffekt bezüglich Schmerzempfindung
steigern können.
Hauptschalter für chronische Schmerzen identifiziert
Charakteristisch für neuropathischen Schmerz, der von einer Verletzung
„peripherer“ Nerven ausserhalb von Gehirn und Rückenmark herrührt,
ist die Empfindung von chronischen einschiessenden oder brennenden
Schmerzen. Auf die Behandlung mit Opiaten, den stärksten Schmerzmitteln, zu denen etwa Morphium, Codein und Oxycodon (mit dem
Markennamen Oxycontin) zählen, spricht dieser Schmerztyp nur
schlecht an.
62
In der Zeitschrift Neuron berichteten Forschende der Harvard Medical
School, sie hätten einen „Hauptschalter“ für die Entwicklung neuropathischer Schmerzen gefunden 1. Dieser Schalter, das Runx1-Gen, wird nur in
sensorischen Nervenzellen, den nozizeptiven Zellen, exprimiert, die mit
Schmerzempfindung zu tun haben. Via Ionenkanäle, besondere Poren in
der Membran von Nervenzellen, übersetzen diese Zellen schmerzhafte
Stimuli in Nervensignale.
Schmerz
Die von Qiufu Ma geleitete Gruppe setzte „Knockout“-Mäuse (deren
Runx1-Gen entfernt worden war) thermischen, mechanischen, entzündlichen und neuropathischen Reizen aus und nahm die Dauer, während der
die Tiere daraufhin ihre Pfote entweder anhoben oder leckten, als Mass
für die Schmerzreaktion.
Die Runx1-defizienten Mäuse reagierten auf den mechanischen Schmerzreiz, nicht jedoch auf schmerzhafte thermische, neuropathische oder
entzündliche Reize. Die Entwicklung ihrer Schmerzrezeptorzellen war beeinträchtigt, und die Ionenkanäle, die bekanntlich zur Empfindung von thermischen und neuropathischen Schmerzen nötig sind, waren nichtexistent.
Wie die Forschenden festhielten, könnte dieser Befund weit reichende
Implikationen für die Entwicklung neuer, besser wirksamer Behandlungsstrategien bei neuropathischem Schmerz haben, die möglicherweise
darauf beruhen, dass man die Expression des Runx1-Gens bei Kranken mit
chronischen Schmerzen ausschaltet.
Die Erwartung von Schmerz kann ebenso schlimm sein,
wie der Schmerz selber
Während sie in der Arztpraxis auf eine Injektion warten oder einem
schmerzhaften medizinischen Eingriff entgegensehen, denken manche
Leute: Wenn es nur schon vorbei wäre. Egal, wie weh es tut!“ Die Wissenschaft hat heute möglicherweise eine Erklärung dafür: Für manche
Menschen ist es ebenso schlimm, einen Schmerz zu erwarten, wie ihn
tatsächlich zu erleiden.
Ein Forschungsteam an der Emory University School of Medicine verwendete Hirnscans, um die Biologie der Furcht zu untersuchen; dabei stellte
sich heraus, dass beinahe ein Drittel der Versuchspersonen, die bereit
waren, sich einem Elektroschock auszusetzen, einen stärkeren Schock
wählte, wenn dadurch die Wartezeit abgekürzt wurde und sie nicht auf
einen schwächeren warten mussten. Die Freiwilligen wurden in einem
Magnetresonanz-Tomographie-Gerät platziert und erhielten am Fuss eine
Serie von 96 unterschiedlich starken Elektroschocks. Die meisten Freiwilligen zogen es vor, einem stärkeren Elektroschock ausgesetzt zu werden,
wenn dafür die Wartezeit vor dem Schock kürzer war.
Die von Gregory Berns und Mitarbeitenden in Science veröffentlichten
Ergebnisse lassen erkennen, dass die meisten Versuchspersonen während
63
des Wartens den Schock fürchteten 2. Jene, die keinen Aufschub ertrugen
und einen unverzüglichen und schmerzhafteren Schock wählten, wurden
als „extrem Furchtsame“ eingestuft, während die „mässig Furchtsamen“
mit der Aussicht auf einen leichteren Schock einen Aufschub ertrugen.
Die Magnetresonanz-Scans zeigten, dass Teile der „Schmerzmatrix“ des
Gehirns – ein Netzwerk von Hirnregionen, die auf schädliche Stimuli, einschliesslich Schmerz, reagieren -aktiv wurden, noch bevor den Versuchspersonen ein Schock verabreicht wurde. Aufgrund von Reaktionen anderer, für Angst und Angstgefühle zuständiger Hirnregionen unterschieden
sich die mässig und die extrem Furchtsamen vor dem Schock nicht. Die
Ergebnisse zeigen, dass die Schmerzzentren des Gehirns der Zeit, bis ein
Ereignis eintritt, umso mehr Aufmerksamkeit schenken, je mehr jemand
dieses Ereignis fürchtet.
Die Schmerzzentren des Gehirns schenken der Zeit, bis ein
Ereignis eintritt, umso mehr Aufmerksamkeit, je mehr jemand
dieses Ereignis fürchtet.
Man weiss zwar noch nicht, welcher Zusammenhang zwischen diesen Präferenzen und dem Umgang mit bekanntlich unangenehmen Ereignissen,
etwa einem mit einem schmerzhaften Eingriff verbundenen Arztbesuch,
besteht, doch könnten die neurobiologischen Grundlagen der Furcht dereinst gewisse Anhaltspunkte für ein besseres Schmerzmanagement liefern.
Schmerzbekämpfung dank Schädlingsbekämpfung
Nachdem das verbreitete Schmerzmittel Vioxx (Rofecoxib) wegen Sicherheitsbedenken aus dem Handel genommen wurde, stiessen Forschende
der University of California, Davis, möglicherweise auf einen unbedenklicheren Weg, Menschen mit Arthritis oder anderen Entzündungskrankheiten die nötige Schmerzlinderung zu gewährleisten.
Die Forschenden hatten ursprünglich ein ganz anderes Ziel: Sie suchten
ein biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel, um die Entwicklung von
Insektenlarven zu beeinflussen. Im Verlauf ihrer Studie entdeckten sie
jedoch ein neues menschliches Enzym, das indirekt die Produktion der mit
Schmerz und Entzündung zusammenhängenden COX2-Proteine hemmt.
64
Eine kombinierte Anwendung der beiden Therapien könnte Entzündungsschmerzen lindern und die Nebenwirkungen der zur Schmerzlinderung
verwendeten Medikamente verringern. Tests an Nagetieren ergaben, dass
Schmerz
der Enzymblocker ebenso wirksam war wie niedrige Dosen von Rofecoxib
und einem anderen COX2-Hemmer, Celecoxib (Celebrex), ohne jedoch
jene chemischen Veränderungen im Blut zu bewirken, die im Rahmen
einer früheren Studie mit schweren kardiovaskulären Komplikationen,
einschliesslich Herzinfarkt, in Zusammenhang gebracht worden waren;
dieser Befund hatte dazu geführt, dass Vioxx aus dem Handel gezogen
wurde. Diese neue Untersuchung wurde in Proceedings of the National
Academy of Sciences publiziert 3.
Eine Kombination dieser beiden Arten von COX2-Hemmern könnte die
Konzentration der für eine wirksame Behandlung von Entzündungen
notwendigen COX2-Inhibitoren entscheidend verringern, meinten die
Forschenden. Diese Kombination führt offensichtlich zu chemischen Veränderungen des Blutes, die der Entwicklung von Blutgerinnseln, einem
Hauptfaktor des Herzinfarkts, entgegenwirken. Eine derartige Kombinationstherapie könnte mithelfen, das Dilemma zu lösen, ob zur Behandlung
von Entzündungsschmerzen wirksame COX-2-Inhibitoren zum Einsatz
kommen sollen.
„Emotionale Ansteckung“ bei Schmerz
Bereits früher hat die Schmerzforschung nachgewiesen, dass Erfahrungen
der Jugendzeit und gewisse soziale Faktoren chronische Schmerzen verschlimmern können. In Deutschland hatte man z. B. festgestellt, dass
durch soziale Faktoren hervorgerufene Veränderungen der Hirnfunktion
zu verstärkten Schmerzempfindungen führen können 4. Eine andere Studie hatte ergeben, dass in der Jugendzeit erlittene Schmerzen einen Einfluss darauf haben können, wie Schmerz im Erwachsenenalter empfunden
wird 5. Eine neue Untersuchung, über die Jeffrey Mogil und Mitarbeitende
in Science berichteten, zeigt nun, dass die Schmerzreaktion einer Maus
verstärkt wird, wenn eine andere Maus da ist, die ebenfalls Schmerzen
hat; dies deutet darauf hin, dass bei Schmerz Empathie eine Rolle spielt 6.
Mittels eines Essigsäure-Writhing-Tests, der leichte Magenschmerzen vortäuscht, konnten die Forschenden am McGill University’s Pain Genetics
Laboratory bei untereinander vertrauten Mäusen, eine bestimmte Art von
Empathie, die so genannte „emotionale Ansteckung“ nachweisen; diese
besteht darin, dass eine Maus den emotionalen Zustand einer anderen
erkennt und sich ihm anpasst. Die Forschenden stellten fest, dass eine
Maus empfindlicher auf Essigsäure reagierte, wenn sie gleichzeitig sah,
dass eine andere Maus unter einem schmerzhaften Hitzestimulus litt.
65
Für die Interaktion unter ihresgleichen sind Mäuse auf Pheromone (chemische Substanzen, welche Signale zwischen Mitgliedern derselben Spezies
übermitteln) angewiesen. Selbst wenn die Forschenden den Geruchsinn,
die Sicht sowie das Gehör der Nagetiere blockierten, wussten diese um
den Schmerz der andern; die Kommunikation der Schmerzreaktion war
offenbar auf andere Weise erfolgt.
Da der Umgang mit chronischen Schmerzen stark von sozialen Interaktionen abhängig ist, könnte McGills Befund für die Schmerzforschung bei
Menschen bedeutsam sein. Ausgehend von den am Mausmodell gefundenen Ergebnissen könnte man sowohl die an der Schmerzempfindung
beteiligten Hirnmechanismen von Menschen als auch den Einfluss sozialer
Faktoren auf das Schmerzmanagement untersuchen.
Die Art eines Placebos wirkt sich aus
Vor über 50 Jahren beschrieb Henry K. Beecher, ein Anästhesiologe in
Harvard, erstmals die medizinische Bedeutung von Placebos. Als Placeboeffekt bezeichnet man das Phänomen, dass sich die Symptome von
Kranken infolge einer an sich unwirksamen Behandlung bessern, weil die
Betroffenen diese Wirkung erwarten oder an sie glauben.
Der Placeboeffekt lässt sich durch die Art des verabreichten
Placebos und durch die Umstände, unter denen es abgegeben
wird, beeinflussen.
In zwei Untersuchungen, die im British Medical Journal und im Journal of
Neuroscience veröffentlicht wurden, wies ein von Ted Kaptchuk geleitetes
Forschungsteam am Harvard Medical School’s Osher Institute nach, dass
sich der Placeboeffekt durch die Art des verabreichten Placebos und durch
die Umstände, unter denen es abgegeben wird, beeinflussen lässt 7, 8.
Um festzustellen, welche Placebo-Behandlung wirksamer war, führte
Kaptchuks Gruppe in der ersten Studie an 135 Kranken mit starken Armschmerzen eine Schein-Akkupunktur durch, während weitere 135 eine
inaktive Pille bekamen. Keine der Behandlungen übertraf die andere. In
einer späteren Studie wurde bei der Hälfte einer jeden Gruppe die
ursprüngliche Placebo-Behandlung fortgesetzt, während die andere
Hälfte eine wirkliche Behandlung erhielt.
66
Die Personen, die einer Schein-Akkupunktur unterzogen wurden, berichteten von einer grösseren Schmerzlinderung, als jene, die unwirksame
Schmerz
Pillen einnahmen. Laut Kaptchuk deutet dieser Befund darauf hin, dass
der grössere Placeboeffekt der Schein-Akkupunktur darauf beruhen
könnte, dass die Behandlung bei diesem „Ritual“ mit einem Instrument
erfolgt – eine mögliche Erklärung, der er und seine Mitarbeitenden nun
weiter nachgehen.
In dem Testdurchgang, in welchem einige Personen eine wirkliche
Behandlung erhielten, bestimmten die Forschenden ausserdem mittels
funktioneller Magnetresonanz-Tomographie, welche Netzwerke des Gehirns
durch die Schein-Akkupunktur aktiviert wurden. Ausgehend von früheren
Studien, denen zufolge Bahnen im präfrontalen Kortex, im Striatum und im
Hirnstamm an der Verarbeitung von Placebos mitwirken, entdeckten sie,
dass bestimmte Hirnbereiche besonders eng mit dem Placeboaffekt verknüpft sind. Einer davon ist der anteriore insulare Kortex, der Körperempfindungen, einschliesslich Schmerz, aktiviert. Diese Studien bestätigen
frühere Hinweise darauf, dass der so genannte Placeboeffekt auf veränderten Hirnfunktionen beruht.
67
Psychiatrische Erkrankungen,
Verhaltensstörungen
und Suchtkrankheiten
Schizophrenie
70
Gewalt und Aggression
73
Angsterkrankungen
74
Depression
74
Suizid bei Teenagern
76
Kokainsucht
77
69
W
ie schon im Jahr 2005 konzentrierte sich die Erforschung psychischer
Krankheiten auch 2006 auf den Einfluss von Genen bei psychiatrischen
Erkrankungen und auf die Interaktion dieser Gene mit Umweltfaktoren.
Allerdings richtete sich die Erforschung der klinischen und genetischen
Behandlung dieser Erkrankungen 2006 auf einen neuen Fokus.
Die Schizophrenieforschung verglich die klinische Wirksamkeit neuerer
Neuroleptika mit der ihrer Vorgänger. Genetische Studien zur Depression
konzentrierten sich auf mögliche Prädiktoren für die therapeutische
Wirksamkeit von Antidepressiva; auf einen allfälligen Zusammenhang
einer Behandlung mit Antidepressiva und Suizid; sowie auf die Frage,
inwiefern die Behandlung depressiver Mütter einen Einfluss darauf hat, ob
ihre Kinder depressive Symptome entwickeln bzw. als depressiv diagnostiziert werden.
Schizophrenie
An Schizophrenie Erkrankte wurden lange Zeit hauptsächlich mit Neuroleptika behandelt. Leider haben viele herkömmliche Medikamente eine
Menge unangenehmer Nebenwirkungen, die mit der Unterdrückung des
Neurotransmitters Dopamin zusammenhängen. Deshalb verschreibt man
heute in der Psychiatrie oft Neuroleptika der zweiten Generation, d. h.
„atypische“ Neuroleptika, da die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Dopaminübertragung in von der Krankheit nicht direkt betroffenen Hirngebieten hemmen, kleiner ist. Aber ist diese neue Klasse therapeutischer Wirkstoffe wirksamer, und wird sie von den Kranken besser ertragen als die
Medikamente der ersten Generation?
Für die meisten trifft dies nicht zu, so die Arbeiten von Jeffrey Lieberman
und Mitarbeitenden in den Jahren 2005 und 2006. Eine im Jahr 2005 publizierte Forschungsarbeit ergab für Neuroleptika der ersten und zweiten
Generation keine unterschiedliche Wirksamkeit 1. Hinsichtlich der Verträglichkeit wurde Olanzapin, ein Medikament der zweiten Generation, von
den Kranken zwar etwas seltener eigenmächtig abgesetzt als andere
Medikamente, aber es führte zu unerfreulichen Gewichtszunahmen und
hatte Nebenwirkungen auf den Stoffwechsel.
70
Liebermans Gruppe setzte ihre Arbeit im Jahr 2006 fort und publizierte im
American Journal of Psychiatry zwei Aufsätze, welche die Behandlung mit
Neuroleptika detaillierter beleuchteten. Es zeigte sich, dass chronisch
Schizophreniekranke die Behandlung mit Olanzapin und Risperidon eher
fortsetzten als mit anderen atypischen Neuroleptika 2.
Dementsprechend untersuchten die Forschenden bei Kranken, die auf
atypische Neuroleptika überhaupt nicht angesprochen hatten, die Wirksamkeit von Clozapin, einem Medikament mit starken Nebenwirkungen,
das bei therapieresistenten Kranken als „letzter Ausweg“ eingesetzt wird.
Sie stellten fest, dass diese auf Clozapin besser ansprachen als auf ein
zweites atypisches Neuroleptikum 3.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
Unterschiedliche antipsychotische Medikamente
Der Forscher Jeffrey Lieberman verglich die Wirksamkeit von Neuroleptika der ersten
und zweiten Generation und stellte fest, dass die jüngere Generation im Grossen und
Ganzen weniger wirksam ist.
Ganz unabhängig davon untersuchten auch Peter Jones und sein Forschungsteam in Cambridge die Wirksamkeit von Neuroleptika der zweiten
Generation zur Behandlung von chronischer Schizophrenie. Die am Versuch Teilnehmenden erhielten zufällig ein Neuroleptikum der ersten oder
der zweiten Generation und wurden ein Jahr lang durch einen Arzt/eine
Ärztin beurteilt, der/die nicht wusste, wem welches Medikament zugeteilt
worden war.
Erfasst und verglichen wurden Symptome, Nebenwirkungen und die
Lebensqualität. Jones Team hatte eigentlich erwartet, dass die atypischen
71
Medikamente wirksamer wären als ihre Vorgänger, doch das Gegenteil
war der Fall. Kranke, welche Medikamente der ersten Generation einnahmen, sprachen auf die Behandlung besser an und erzielten auf Lebensqualität-Skalen eine höhere Punktzahl 4.
Im Zusammenhang mit der Forschungsarbeit von Lieberman rief dieser
Befund in der Psychiatrie eine gewisse Konsternation hervor. Insgesamt
deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Versuche mit atypischen Neuroleptika im Allgemeinen vor allem dann erfolgen sollten, wenn Kranke auf
Neuroleptika der ersten Generation resistent sind.
Die Erforschung der schwer fassbaren Ursachen der
Schizophrenie konzentriert sich weiterhin auf den Einfluss
dopaminerger Neuronen.
Die Erforschung der schwer fassbaren Ursachen der Schizophrenie konzentriert sich weiterhin auf den Einfluss dopaminerger Neuronen. Erste
Arbeiten brachten eine exzessive Dopaminübertragung mit den Verhaltensauffälligkeiten der Krankheit in Verbindung. Aber Michael O’Donovan, Michael Owen und weitere Mitarbeitende untersuchten die abweichende Funktion von Hirnzellen, der so genannten Glia, als einen weiteren
möglichen Wegbereiter der Krankheit; sie stützten sich dabei auf frühere,
mittels Autopsie und Neuroimaging gewonnene Hinweise auf strukturelle
sowie das Volumen betreffende Unterschiede der weissen Substanz des
Gehirns (den neuralen Verbindungen) bei Schizophreniekranken und
gesunden Kontrollpersonen. Gliazellen produzieren in Interaktion mit
Neuronen das Myelin, einen fetthaltigen Isolator, der die Übertragung
elektrischer Signale von einer Hirnzelle zur nächsten begünstigt.
Die in Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten
Resultate der Gruppe besagen, dass Personen mit Varianten des Gens
OLIG2, das die Bildung von Myelin reguliert, für Schizophrenie anfällig
sind. Dies lässt erwarten, dass aus der weiteren Erforschung jener Gene,
welche den Einfluss der Glia auf die Myelinproduktion steuern, wichtige
Einblicke in den komplizierten Vorgang der Schizophrenie hervorgehen
könnten 5.
Gewalt und Aggression
72
Seit Jahrhunderten bemüht sich die Wissenschaft genau zu bestimmen,
was der menschlichen Gewalt und Aggression zugrunde liegt. Während
der Einfluss der sozialen Umwelt eingehend erforscht wurde, erwies sich
Am besten gesichert ist bisher der genetische Zusammenhang von gewalttätigem Verhalten und Monoamin Oxidase A (MAOA), einem Enzym, das
direkt am metabolischen Abbau des Neurotransmitters Serotonin beteiligt
ist. In einer Arbeit, die in Proceedings of the National Academy of Sciences
veröffentlicht wurde, berichteten Andreas Meyer-Lindenberg und Mitarbeitende von den Ergebnissen einer Studie, in welcher der Einfluss von
MAOA mittels voxelbasierter Morphometrie, einer Computergestützten
neuroanatomischen Methode zur Messung der unterschiedlichen Konzentrationen im Hirngewebe, und funktioneller Magnetresonanz-Tomographie untersucht wurde. Sie entdeckten, dass das Gehirn von Personen,
die zwar nie an einer gewalttätigen psychiatrischen Störung gelitten
hatten, bei denen aber eine Genvariante vorkam, welche die Expression
des MAOA-Enzyms verminderte, im Vergleich zu Personen mit einer
höheren MAOA-Expression deutliche strukturelle und funktionelle Unterschiede aufwies.
Bei Personen mit einer verminderten MAOA-Expression war das Volumen
der grauen Substanz im cingulären Gyrus, in der Amygdala und im anterioren cingulären Kortex reduziert; ausserdem kam es bei ihnen zu einer
Zusammenhang eines Gens mit Gewalt
Die Gruppenergebnisse zweier Arten von Magnetresonanz-Scans zeigen auf, dass das
Volumen und die Aktivität des so genannten anterioren cingulären Kortex bei Personen
mit einer Genvariation, die mit Aggression verbunden ist, reduziert sind (in dunklem
grau dargestellt). Dieser Bereich ist an der Steuerung von emotionalen und aggressiven
Reaktionen beteiligt.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
die Untersuchung der zugrunde liegenden genetischen Komponenten als
schwieriger und widersprüchlicher.
73
stärkeren Aktivierung der Amygdala und der limbischen Regionen – Bereiche, die an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt sind – wenn sie
wütende und ängstliche Gesichtern voneinander unterscheiden sollten.
Die Untersuchung machte auch eine Geschlechtskomponente sichtbar:
Während einer emotionalen Gedächtnisaufgabe war die Aktivität von
Amygdala und Hippocampus bei männlichen Teilnehmenden stärker
erhöht als bei weiblichen. Obwohl viele Faktoren zu gewalttätigem Verhalten beitragen, deutet der Befund darauf hin, dass insbesondere bei Männern mit dieser besonderen Genvariante, eine mögliche biologische
Disposition zu impulsiver Gewalttätigkeit besteht 6.
Angsterkrankungen
Auch die Erforschung von angstbedingten Erkrankungen konzentrierte
sich im Jahr 2006 auf Gene. Anhand von Mausmodellen identifizierte Carrolee Barlows Gruppe am Salk Institute 17 Gene, deren Expressionsmuster
mit typischen Symptomen von Angsterkrankungen verbunden waren. Als
mögliche Ursachen für angstbedingte Erkrankungen diskutieren sie in
ihrem in Nature publizierten Aufsatz auch zwei Gene, die in den oxidativen
Stressmetabolismus involviert sind, also in die vermehrte Produktion von
Oxidantien, die zur Degeneration von Neuronen führt. Barlows Team transferierte diese Gene mittels Viren in Zellen und stellte fest, dass die übermässige Expression der Gene bei Mäusen ängstliches Verhalten verstärkte 7.
Auf ähnliche Art und Weise untersuchte eine von David Goldman geleitete Gruppe Gene, die mit einer ganz bestimmten Angsterkrankung, der
Zwangskrankheit (obsessive compulsive disorder, OCD) zusammenhängen. Die Gruppe stellte fest, dass HTT, ein Serotonin-Transporter-Gen, an
OCD beteiligt ist. In einem Aufsatz, der im American Journal of Human
Genetics veröffentlicht wurde, diskutieren sie den Befund, dass HTTLPR
über drei und nicht, wie bisher angenommen, über zwei Genvarianten verfügt. Multiple Genotyp-Methoden deckten eine bisher unbekannte Genvariante auf, die zu einem neuen Verständnis der Neurobiologie der OCD
führen könnte 8. Bisher konnte man die Grundlagen dieser Verhaltensauffälligkeiten nur schwer erkennen. Möglicherweise werden diese neueren
genetischen Ansätze zu eindeutigeren Informationen führen.
Depression
74
Tiefe Hirnstimulation als mögliche Behandlung von Personen, deren
Depression auf herkömmliche Medikamente nicht anspricht, stösst
Daneben gab es unter anderem Untersuchungen von genetischen Faktoren, welche die Reaktion auf Behandlungen mit herkömmlichen Antidepressiva beeinflussen könnten. Forschende unter der Leitung von Francis
McMahon suchten nach genetischen Grundlagen für die individuell unterschiedlichen Resultate von Behandlungen mit Antidepressiva. Sie untersuchten die DNA von 1953 Kranken mit einer Major Depression, die mit
dem gebräuchlichen Antidepressivum Citalopram behandelt wurden, und
wiesen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen einer erfolgreichen
Behandlung und der für die Serotoninaufnahme verantwortlichen Genvariante A, HTR2A, nach. Die Ergebnisse dieser Studie sind im American
Journal of Human Genetics dargestellt 10.
Des Weiteren stellten sie fest, dass diese A-Variante bei weissen Kranken
sechsmal häufiger vorkam als bei afroamerikanischen Kranken, die entsprechend schlechter auf eine Behandlung mit Citalopram ansprachen.
Der Befund liefert ein überzeugendes Argument dafür, dass dieses Gen
die Wirksamkeit von Antidepressiva beeinflusst, und könnte zur Erklärung
von rassenbedingt unterschiedlichen Reaktionen auf Behandlungen mit
Antidepressiva beitragen.
Eine dreimonatige erfolgreiche medikamentöse antidepressive Behandlung
von Müttern führte dazu, dass bei ihren Kindern depressive und
andere Symptome sowie die entsprechende Diagnose seltener wurden.
Andernorts veranschaulichten Myrna Weissman und Mitarbeitende ein
interessantes Phänomen bezüglich Depression bei Kindern. Dass Kinder
depressiver Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst auch eine depressive Krankheit entwickeln, war längst bekannt. Weissmans Gruppe berichtete nun im Journal of the American Medical Association, eine dreimonatige erfolgreiche medikamentöse antidepressive Behandlung der Mütter
hätte dazu geführt, dass bei ihren Kindern depressive und andere Symptome sowie die entsprechende Diagnose seltener wurden.
Umgekehrt litten Kinder von Müttern, deren Depression fortdauerte,
unter vermehrten Symptomen. Dies lässt darauf schliessen, dass auch
Umweltfaktoren die Psychopathologie dieser risikoreichen Gruppe von
Kindern beeinflussen können 11.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
weiterhin auf Interesse. Ob diese Behandlung bei einer weiter gefassten
Gruppe von Kranken wirksam ist, könnten weitergehende Studien von
Helen Mayberg und Mitarbeitenden an der Emory University zeigen 9.
75
Suizid bei Teenagern
Forschende unter der Leitung von Mark Olfson untersuchten einen
anderen Aspekt der Behandlung mit Antidepressiva: ihre Beziehung zu
Suizidversuchen und vollendeten Suiziden bei Erwachsenen und Kindern.
Die in Archives of General Psychiatry veröffentlichten Ergebnisse ihrer
Fallstudie mit entsprechender Kontrollgruppe zeigten, dass bei Erwachsenen kein Zusammenhang zwischen der Behandlung mit Antidepressiva
und Suizidversuchen oder vollendeten Suiziden bestand; bei Kindern und
Jugendlichen hingegen war der Zusammenhang sowohl mit Suizidversuchen als auch mit vollendeten Suiziden signifikant. Der Befund legt
zumindest nahe, dass die medikamentöse Behandlung von jüngeren
Kranken durch Fachpersonen im Spital und durch Eltern gut überwacht
werden muss 12.
Das Augenmerk der Forschungsgruppe von Eric Nestler galt der Neurobiologie von stressbedingten Depression. In einer in Nature Neuroscience
publizierten Studie wurden Mäuse dem Stress andauernder sozialer
Niederlagen, einem häufigen Vorläufer depressiver Erkrankungen, ausgesetzt und anschliessend einer Dauerbehandlung mit dem Antidepressivum Imipramin unterzogen. Nestlers Gruppe stellte fest, dass dieser
durch Niederlagen hervorgerufene Stress zu einer Abnahme des neurotrophen Proteins BDNF (brain-derived neurotrophic factor) im Hippokampus führte und zu einer vermehrten Modifikation bestimmter mit
der Gentranskription assoziierter Proteine, der so genannten Histon
Methylierung.
Das Antidepressivum machte diesen Vorgang rückgängig, ebenso eine
Infusion von BDNF selbst. Der Befund deutet darauf hin, dass Histon
Methylierung und die damit zusammenhängenden neurobiologischen
Vorgänge ein neues Interessengebiet für die Therapie von Depressionen
eröffnen könnten 13.
76
Inzwischen entdeckten Michel Lazdunski und seine Mitarbeitenden ein
anderes Interessengebiet für die künftige Entwicklung von Antidepressiva. Lazdunskis Gruppe berichtete in Nature Neuroscience, sie hätten
entdeckt, dass bei Mäusen ein „background“ Kaliumkanal, TREK-1, der
durch Serotonin reguliert wird, an der Resistenz gegen Depressionen
beteiligt war. Tiere ohne den TREK-1-Kanal waren unter Stress depressionsresistent – ein Hinweis darauf, dass dieser Kanal als Angriffspunkt für
neue medikamentöse Behandlungen der Depression in Frage kommt 14.
Liegt dem heftigen Verlangen nach Drogen eine erhöhte Freisetzung von
Dopamin zugrunde? Forschende unter der Leitung von Nora Volkow
untersuchten eingehend, woran es liegt, dass von Drogen ausgelöste
Reize bei ehemals Süchtigen dauerhafte konditionierte Reaktionen hervorrufen können; sie kamen zum Schluss die Antwort auf obige Frage
könnte Ja lauten.
Frühere, mittels Bildgebung des Gehirns durchgeführte Studien brachten
diese Reaktionen mit einer Aktivierung bestimmter limbischer Strukturen
in Verbindung. Mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie konnte
Volkows Gruppe bei ehemals Kokainsüchtigen, denen ein Video zum
Thema Kokain gezeigt wurde, eine konditionierte Dopaminfreisetzung im
dorsalen Striatum nachweisen.
Diese im Journal of Neuroscience publizierten Resultate lassen darauf
schliessen, dass Therapien, welche die Zunahme von Dopamin einschränken, eine Suchtbehandlung unterstützen könnten 15.
Schliesslich zeigten mit funktioneller Bildgebung des Gehirns durchgeführte Studien auf, dass verschiedene Hirnregionen, unter anderem der
präfrontale Kortex und die Amygdala, durch mit Drogen assoziierte Reize
aktiviert werden. Diese Regionen stehen mit einer anderen Region des
Gehirns, dem ventralen tegmentalen Bereich (ventral tegmental area,
VTA) in Verbindung. Veränderungen der Synapsen im VTA könnten der
Forschung Hinweise auf die neurobiologischen Ursachen von Drogensucht, Entzug und Rückfall geben.
Mu-Ming Poo und Mitarbeitende untersuchten die dopaminergen Neuronen im VTA von Ratten nach einem Kokainentzug und berichteten darüber
in Nature Neuroscience. Sie fanden in jenen Zellen eine Erhöhung des
neurotrophen Faktors BDNF. Möglicherweise werden die dopaminergen
Zellen des VTA während eines Entzugs durch diese verstärkte Expression
von BDNF stimuliert und setzen eine Kette von Ereignissen in Gang,
die dazu führen, dass ein heftiges Verlangen nach der Droge einsetzt,
sobald jemand mit Erinnerungen an den früheren Drogengebrauch konfrontiert wird 16.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
Kokainsucht
77
Störungen der Sinnesund Körperfunktion
Das Gehör: Regeneration von Haarzellen
bei Säugetieren
80
Weshalb Gesichter vertraut sind
81
Pheromon-Erkennung
82
REM-Schlaf-Schaltkreise
83
Zirkadiane Uhren und Ernährung
83
Rezeptor für sauren Geschmack identifiziert
85
Stammzellen und Sehvermögen
86
79
D
ank der Spitzentechnologie hat die Wissenschaft heute mehr denn je
Einblick in die innere Tätigkeit des Gehirns, was zu einem besseren Verständnis der komplizierten Beziehung zwischen dem Gehirn, den Sinnen
und den Körperfunktionen führt. Das riesige Gebiet reicht von spezialisierten Genom-Techniken zur Erforschung des Mechanismus des REMSchlafs (rapid-eye-movement) über Studien zum Einfluss zirkadianer
Uhren auf die Ernährung bis hin zur Entdeckung, dass ein Teils des Gehirns
nur eine einzige Aufgabe hat: Gesichter zu erkennen. Andere Untersuchungen des Jahres 2006 brachten neue Informationen in Bezug auf das
Gehör, den Geruch- und Geschmacksinn sowie das Sehvermögen;
dadurch wurden alte Fragen beantwortet und neue aufgeworfen.
Das Gehör: Regeneration von Haarzellen bei Säugetieren
Die zentrale Hörstörung, eine zurzeit irreversible Krankheit, ist in den USA
die häufigste Form der Taubheit. Verursacht wird sie durch eine Schädigung von spezialisierten Haarzellen des Innenohrs aufgrund von Alter, lauten Geräuschen oder Nebenwirkungen gewisser Medikamente. Wissenschafter und Wissenschafterinnen, die sich für die Entwicklung neuer
Therapien bei gewissen Formen des Hörverlusts interessierten, bekamen
2006 grossen Auftrieb, da Forschungsergebnisse darauf schliessen lassen,
dass diese für das Gehör unerlässlichen, spezialisierten Haarzellen möglicherweise regenerieren können.
Zwar können beschädigte sensorische Zellen im Innenohr der Cochlea,
von Vögeln und anderen niedrigen Wirbeltieren regenerieren, doch sind
Zellen in der Cochlea von Säugetieren, einschliesslich des Menschen,
dazu nicht in der Lage. Die Erforschung neuer Therapien der zentralen
Hörstörung hatte ihr Augenmerk schon lange auf Haarzellen gerichtet.
Neil Segil, Andy Groves und Mitarbeitende am House Ear Institute in Los
Angeles berichteten in Nature über ihre Entdeckung, dass das Gen
p27Kip1 die Zellteilung im Innenohr verhindert 1.
80
Die Forschenden untersuchten sensorische Zellen von Mäusen in Zellkulturen. Dabei stellten sie fest, dass dieses Gen bei neugeborenen Mäusen
ausgeschaltet war und sich die Bindegewebszellen stark vermehren und
zu Haarzellen differenzieren konnten. Untersuchungen an Kulturen von
zwei Wochen alten Mäusen ergaben hingegen, dass dieses Gen, kurz p27,
nun angeschaltet war und die Zellteilung stoppte. Jedoch konnten Zellen
von zwei Wochen alten Mäusen, denen das Gen p27 aufgrund einer
genetischen Manipulation fehlte, Haarzellen hervorbringen; dies deutet
darauf hin, dass es möglich sein könnte, die Hörfähigkeit wiederherzustellen, wenn es gelingt, dieses Gen auszuschalten und so das Wachstum von
Haarzellen im Innenohr anzuregen.
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
Hören, Haar
Das mittels eines Hochleistungs-Scanner-Elektronenmikroskops erhaltene Bild einer
Haarzelle zeigt Haarbündel,
die auf der Zelloberfläche
hervorstehen. Forschende stellten bei Mäusen fest, dass
durch Stilllegung eines Gens
das Wachstum von Haarzellen
ermöglicht wird, wodurch das
Gehör wieder hergestellt werden könnte.
Im Hinblick auf die Entwicklung neuer Therapien zur Heilung
der Taubheit von Menschen ist die Arbeit viel versprechend.
Obwohl dieser Vorgang nur in Mäusekulturen nachgewiesen wurde, ist
die Arbeit auch im Hinblick auf die Entwicklung neuer Therapien zur Heilung der Taubheit von Menschen viel versprechend.
Weshalb Gesichter vertraut sind
In der anhaltenden Diskussion der Neurowissenschaften, ob das Gehirn
in spezialisierte Bereiche mit einer je spezifischen Aufgabe unterteilt ist,
führt eine in Science veröffentlichte Studie zu neuen Einsichten 2.
Forschende der Harvard Medical School und der Universität Bremen in
Deutschland identifizierten im visuellen Kortex eine Region, in der fast alle
Neuronen für eine einzige Aufgabe spezialisiert sind: die Wahrnehmung
von Gesichtern.
Mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomographie bestimmte ein von
Margaret Livingstone geleitetes Team im Kortex von Makak-Affen drei
Regionen, die für das Erkennen von Gesichtern bedeutsam sein sollen.
Den Affen wurden 96 Abbildungen von Gesichtern, Körpern, Früchten,
Spielsachen, Händen und wirren Gittermustern gezeigt. Dabei wurden
die neuronalen Impulse der einzelnen Zellen in der grössten dieser drei
81
Hirnregionen registriert. Man stellte fest, dass beinahe alle Neuronen
(97%), die überhaupt auf visuelle Reize ansprachen, 50-mal häufiger auf
Gesichter reagierten als auf die anderen visuellen Reize. Die einzigen
anderen Bilder, die bei diesen Neuronen eine Reaktion auslösten, waren
runde Objekte, deren Form Gesichtern ähnlich war.
Menschen verfügen möglicherweise über spezialisierte Zellen,
die ausschliesslich dem Erkennen von Gesichtern dienen.
Die grosse physiologische Ähnlichkeit des Gehirns von Makaken und
Menschen lässt darauf schliessen, dass Menschen über ebensolche spezialisierte Zellen verfügen, die ausschliesslich dem Erkennen von Gesichtern
dienen. Die Verwendung der Bildgebung, um den Vorgang der Gesichtererkennung zu analysieren, könnte somit zu neueren Methoden führen,
um Lügen zu detektieren (siehe auch Neuroethik, S. 45).
Pheromon-Erkennung
Bei vielen Tieren ist das Gehirn so aufgebaut, dass es Pheromone erkennt,
chemische Signale, die dazu dienen, Partner anzulocken. Dem Gehirn des
Menschen scheint diese Fähigkeit zu fehlen – ein wissenschaftliches
Rätsel angesichts neuerer Befunde, denen zufolge Menschen auf Pheromone reagieren können. Es wäre allerdings möglich, dass das olfaktorische Epithel, das über Neuronen verfügt, welche gewöhnliche Gerüche
erkennen, auch Pheromone aufspürt.
Forschende am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle untersuchten eine allfällige Beteiligung des Epithels an der Pheromon-Erkennung bei Mäusen. In ihrer in Nature veröffentlichten Arbeit identifizierten
Stephen Liberles und Linda Buck einen Satz von olfaktorischen Rezeptoren in der Nase von Mäusen, die so genannten TAA-Rezeptoren (trace
amine-associated receptors, TAARs) 3.
Diese Rezeptoren sind anders als jene, die Gerüche wahrnehmen, und frühere Studien deuteten darauf hin, dass einige von ihnen durch Substanzen
aktiviert werden, die im sehr pheromonhaltigen Urin von Mäusen vorkommen. In ihrer Studie fanden Liberles und Buck heraus, dass Isoamylamin,
eine der Substanzen, die von TAARs erkannt werden, als ein Pheromon
fungiert, das die Geschlechtsreife weiblicher Mäuse beschleunigt.
82
Zusammen mit anderen Befunden lässt dies darauf schliessen, dass TAARs
eine weitere Methode der Pheromon-Erkennung bieten. Da die Gene, die
REM-Schlaf-Schaltkreise
Vor über 50 Jahren entdeckte die Wissenschaft den mit Träumen assoziierten REM-Schlaf (rapid-eye-movement sleep). Wie das Gehirn vom
REM- in den Non-REM-Schlaf wechselt, ist aber immer noch unklar. Forschende der Harvard Medical School haben 2006 Ergebnisse vorgelegt,
die auf ein neues Erklärungsmodell für den Vorgang, wie das Gehirn den
Übergang in und aus dem REM-Schlaf steuert, schliessen lassen. Die Studie von Clifford Saper und Mitarbeitenden, über die in Nature berichtet
wurde, untersucht ausserdem, was die Traumphasen und den während
des REM-Schlafs auftretenden Verlust des Muskeltonus aktiviert 4.
Frühere Modelle basierten auf Interaktionen zwischen cholinergen Neuronen, die während des REM-Schlafs aktiv sind, und monoaminergen Neuronen, die während des REM-Schlafs inaktiv sind. Das vom Harvard-Team
entwickelte Modell, der so genannte „Flip-Flop-Wechsel“ zeigte jedoch,
dass eine Deaktivierung dieser beiden Neuronen-Arten den REM-Schlaf
nur wenig beeinflusste.
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
TAARs kodieren, auch bei Fischen und Menschen vorkommen, könnte es
sein, dass Menschen Pheromone mithilfe dieser Rezeptoren erkennen.
Stattdessen fanden sie heraus, dass eine wechselseitige Interaktion zwischen Neuronen zur Freisetzung des chemischen Botenstoffs GammaAminobutyric-Säure führt; dieser ist im Gehirn weit verbreitet, bindet an
Neuronen und vermindert deren Aktivität.
Probleme bei der Steuerung dieser Interaktion könnten eine Reihe rätselhafter Schlafstörungen erklären, etwa die REM-Verhaltensstörung, bei der
die Betroffenen ihre Träume ausleben, und hypnagoge Halluzinationen,
bei denen sie im Wachzustand traumartige Halluzinationen erleben. Bei
den bisherigen Ansätzen, Schlaf anstossende Medikamente zu entwickeln, wurden die unterschiedlichen Schlafstadien im Allgemeinen nicht
berücksichtigt. Das Verständnis der Steuerung dieser Stadien könnte zu
besseren Therapien von Schlafstörungen führen.
Zirkadiane Uhren und Ernährung
Die Wissenschaft weiss seit langem, dass Tiere, denen nur während ihrer
normalen Schlafzyklen Zugang zu Nahrung gewährt wird, ihre Schlafmuster und biologische Funktionen so ändern, dass sie dann wach und aktiv
sind, wenn Nahrung zur Verfügung steht. Zwei voneinander unabhängige
83
Kortikosteroid Wachheit, Nahrungsaufnahme
Ausschüttung
Kortex
Hypothalamus
CRH
0,4 mm seitlich zur Mittellinie
Orexin
MCH
PVH
Schlaf
LHA
GABA
VLPO
dSPZ
Thermoregulation
Glutamat
TRH
MPO
vSPZ
DMH
VMH
SCN
ARC
Hunger Gefühl
Leptin
Ghrelin
Essen und schlafen um zu überleben
Der dorsomediale Nukleus des Hypothalamus (DMH) koordiniert unter anderem die
Zyklen von Schlaf und Wachheit, der Nahrungsaufnahme und der Körpertemperatur. Die
Forschung hat ergeben, dass diese Region die biologische Uhr des Gehirns, den suprachiasmatischen Nukleus (SCN), über die zeitliche Steuerung des Futterangebots ausser
Kraft setzen kann.
Studien, die im Jahr 2006 von Teams der Harvard Medical School und dem
University of Texas Southwestern Medical Center veröffentlicht wurden,
erklären vielleicht, was die Tiere zu dieser Umstellung befähigt.
Forschende stellten fest, dass der DMH die biologische Uhr
des Gehirns ausser Kraft setzen und eine neue Uhrzeit etablieren
kann, um die Verfügbarkeit von Futter auszunützen.
84
Das eine Team – es wurde von Saper in Harvard geleitet – konzentrierte sich
auf den dorsomedialen Nukleus des Hypothalamus oder DMH, eine Hirnregion, die mit Teilen des Gehirns kommuniziert, die unter anderem an Vorgängen mitwirken, welche die Ernährung, den Energieverbrauch, die Regulierung von Wachheit und Schlafen sowie die Körpertemperatur betreffen.
Laut einem Bericht in Nature Neuroscience stellten die Forschenden fest,
dass der DMH die biologische Uhr des Gehirns ausser Kraft setzen und eine
neue Uhrzeit etablieren kann, um die Verfügbarkeit von Futter auszunützen 5.
Die Ergebnisse dieser beiden Studien setzen der künftigen Erforschung
von zirkadianen Uhren und Ernährung neue Ziele und lassen erwarten,
dass sich diese Arbeit eines Tages auch auf die Behandlung von Fettleibigkeit auswirken könnte.
Rezeptor für sauren Geschmack identifiziert
Der Mensch schmeckt Nahrungsmittel mithilfe von Geschmacksknospen
auf der Zunge, die fünf spezifische Geschmäcke erkennen: bitter, süss, salzig, sauer und umami (den Geschmack von Natriumglutamat).
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
Die zweite Studie wurde von Masashi Yanagisawa und Mitarbeitenden in
Proceedings of the National Academy of Sciences publiziert; sie zeigt, dass
DMH-Neuronen über eine Uhr verfügen, die normalerweise keine Funktion hat, sich aber, wenn die Verfügbarkeit der Nahrung eingeschränkt ist,
der Zeit anpasst, in der Nahrung zur Verfügung steht. Auf diese Weise
kann die DMH ihre eigenen zirkadianen Rhythmen etablieren, welche die
biologische Uhr des Gehirns ausser Kraft setzen 6.
Im Jahr 2006 identifizierten zwei voneinander unabhängige Forschungsgruppen in ihren Studien ein Protein, dank dem Menschen und gewisse
Tiere saure Geschmäcke wahrnehmen können, unter anderem auch
Aromen, die vor dem Verzehr verdorbener oder unreifer Nahrung
warnen. Die Forschenden berichteten in Nature und Proceedings of
the National Academy of Sciences über ihre Arbeiten und gaben dem
Protein die Bezeichnung PKD2L1. Es kommt in einigen Geschmacksknospen vor, allerdings nicht in jenen, die süsse, bittere und umami
Geschmäcke erkennen 7, 8.
Eine von Charles Zuker geleitete Gruppe an der University of California,
San Diego, die ihre Arbeit in Nature vorstellte, veränderte Mäuse gentechnisch so, dass ihnen PKD2L1 fehlte. Diese Mäuse reagierten zwar auf
andere Geschmäcke, nicht aber, wenn man ihnen Zitronensäure, Essig
oder andere saure Geschmäcke gab.
Inzwischen wies ein von Hiroaki Matsunami geleitetes Team an der Duke
University in Proceedings of the National Academy of Sciences darauf hin,
dass diese Befunde möglicherweise zu einem besseren Verständnis der
sensorischen Informationsverarbeitung des Gehirns führen und eines
Tages von der verarbeitenden Industrie zur Veränderung des Geschmacks
von Nahrungsmitteln genutzt werden könnten.
85
Stammzellen und Sehvermögen
Die Erforschung des Sehvermögens erbrachte Hinweise darauf, dass
embryonale Stammzellen zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration in Frage kommen könnten. Diese Krankheit, die häufigste
Erblindungsursache bei über 65jährigen, beruht auf einer Schädigung der
Retina und der in ihrem Zentrum gelegenen Makula, die ein detailliertes,
zentrales Sehen ermöglicht.
Retinale Pigmentepithelzellen, die den Grund der Retina auskleiden, können bei einigen Arten der Makuladegeneration beschädigt sein. In einer
Studie, über die in Cloning and Stem Cells berichtet wurde, transformierte
ein von Raymond Lund geleitetes Team der Oregon Health and Science
University embryonale Stammzellen in solche retinale Pigmentepithelzellen und injizierte diese anschliessend in die erkrankten Augen von
Ratten 9. Etwa sechs Wochen später überprüften die Forschenden die
Sehkraft der Ratten und stellten fest, dass jene, welche die transformierten Stammzellen erhalten hatten, einen grossen Teil ihres Sehvermögens bewahrt hatten, wohingegen die unbehandelten Ratten beinahe
blind waren.
Die Forschenden überprüften die Sehkraft der Ratten und stellten fest,
dass jene, welche die transformierten Stammzellen erhalten hatten,
einen grossen Teil ihres Sehvermögens bewahrt hatten, wohingegen die
unbehandelten Ratten beinahe blind waren.
In einer ähnlichen Studie transplantierten Forschende unter der Leitung
von Robin Ali am University College London Photorezeptoren, also die
empfangenden Zellen der Retina 10. Insgesamt ergeben diese Studien,
dass es möglich sein könnte, Stammzellen und andere primitive Zellen zur
Behandlung der Makuladegeneration einzusetzen.
Diese Ergebnisse sind zwar viel versprechend, doch weisen die Forschenden warnend darauf hin, dass die Augenkrankheit der Ratten nicht mit der
Makuladegeneration des Menschen gleichzusetzen ist; daher sind weitere
Studien nötig um zu bestimmen, ob Stammzellen auch zur Behandlung
der menschlichen Form dieser Krankheit verwendet werden können.
86
Stammzellen
und Neurogenese
Neurogenese im Kortex
88
Eine natürliche Reaktion auf Verletzungen
90
Neurogenese und Epilepsie
92
Antidepressiva verstärken Neurogenese
in einem bestimmten Stadium
93
Krankheitsproteine und die Entwicklung
von Hirnzellen
93
Stützzellen werden krebsartig
95
Das Protein Notch aktiviert Stammzellen
95
87
B
ekanntlich dauert die Neubildung von Neuronen, die so genannte
Neurogenese, in einigen Hirnregionen während des ganzen Lebens an.
Aufgrund der Forschung zeigt sich immer deutlicher, dass dieser Vorgang zu den Selbstheilungsmethoden des Gehirns zählt und therapeutisch
genutzt werden könnte; eine abnormale Neurogenese trägt möglicherweise zu gewissen Krankheiten bei und könnte neue Zugänge zur Therapie eröffnen. Auch die Verwendung von unreifen und wandlungsfähigen
Zellen, so genannten Stammzellen, ist eine viel versprechende Behandlungsmöglichkeit. Im Jahr 2006 gelang es der Forschung, die Wege,
über die sich Stammzellen in Neuronen verwandeln, ein Stück weit
zu enträtseln. Aber können Stammzellen ganz bestimmte Aufgaben im
Gehirn übernehmen?
Neurogenese im Kortex
Seit 1998 weiss man, dass im Hippokampus des erwachsenen menschlichen Gehirns Neurogenese stattfindet. Weniger klar ist, ob auch in anderen Gebieten neue Neuronen gebildet werden und ob die erstaunliche
Anpassungsfähigkeit des Gehirns, seine Plastizität, auf dem Umbau bestehender Zellen oder der Bildung von neuen beruht.
Eine innovative Methode, um das Alter von Hirnzellen zu bestimmen,
besteht in der Zuhilfenahme von Radiokarbon (14C), das im Verlauf
der überirdischen Nukleartests in den 1950er Jahren in riesigen Mengen ausgestossen wurde und seither messbar abgenommen hat, da
es über die Erdatmosphäre in die DNA von Pflanzen, Tieren und Menschen gelangt ist. Im Jahr 2005 stellte ein von Jonas Frisen geleitetes
Team am Karolinska Institute in Stockholm aufgrund der 14C-Datierung
fest, dass die 14C-Konzentrationen im Kortex von erwachsenen Menschen mit jenen übereinstimmten, die zur Zeit ihrer Geburt in der Atmosphäre bestanden hatten – ein Hinweis darauf, dass im Verlaufe des
Lebens, wenn überhaupt, dann nur wenige kortikale Neuronen gebildet wurden.
88
Frisen und seine Mitarbeitenden taten sich mit verschiedenen anderen
Laboratorien für eine weiter ausgedehnte Studie zusammen, über die in
Proceedings of the National Academy of Sciences berichtet wurde 1. Die
Forschenden arbeiteten mit Hirngewebe, das aus der Autopsie von sieben
zwischen 1933 und 1973 geborenen Personen stammte, und erfassten
Neuronen aus allen Lappen des Kortex.
Die Forschenden vermuten, dass Neurogenese im Hippokampus zwar bei
gewissen Arten des Gedächtnisses eine Rolle spielt, dass aber kognitive
Funktionen, etwa lernen und analysieren, von kortikalen Zellen ausgeübt
werden, die von Geburt an vorhanden sind, und dass die Stabilität des
Kortex wichtiger ist als seine Plastizität.
Kortikale Neuronen gehören möglicherweise zu den ersten Zellen,
die gebildet werden, wenn der menschliche Embryo Gestalt annimmt.
Stammzellen und Neurogenese
Wiederum entsprachen die 14C-Konzentrationen bei jeder Person den bei
ihrer Geburt vorkommenden Werten – ein überzeugender Beweis dafür,
dass sich die Neurogenese im Kortex auf die Zeit beschränkt, in der sich
das Gehirn herausbildet.
Der Kortex ist der Sitz von „höheren“ Funktionen wie Denken und Analyse und gilt als jener Teil des Gehirns, der den Menschen von anderen
Arten unterscheidet. Eine in Nature Neuroscience veröffentlichte Studie
macht deutlich, dass kortikale Neuronen möglicherweise zu den ersten
Zellen gehören, die gebildet werden, wenn der menschliche Embryo
Gestalt annimmt.
Unter der Leitung von Colin Blakemore von der University of Oxford und
Pasko Rakic von der Yale University bestimmten Forschende eine besondere Population von Neuronen, die sich in den ersten paar Wochen der
Schwangerschaft herausbilden. Diese Vorläuferzellen entstehen in jenem
Gebiet, das sich zum Kortex entwickelt, und sind vor anderen Neuronen
vorhanden, die tiefer im Gehirn gebildet werden und dann im Laufe der
Hirnentwicklung an Stellen im Kortex wandern.
Die Vorläufer bilden auch eine andere Art von Marker-Proteinen – ein Hinweis darauf, dass es sich bei ihnen um eine einzigartige Zellpopulation
handelt. Der Befund ist ein Hinweis darauf, dass die ersten Zellen des spezifisch „menschlichen“ Gehirns bereits in einem sehr frühen Stadium der
embryonalen Entwicklung vorhanden sind, was für die Entwicklung des
normalen Gehirns und möglicherweise auch für viele kognitive Störungen
von Bedeutung ist 2. So deuten etwa neuere Erkenntnisse über den Autismus
darauf hin, dass bei dieser Krankheit Abweichungen der kortikalen Entwicklung vorliegen (siehe In der Kindheit auftretende Störungen, S. 21).
Die Verwendung von Stammzellen zu Therapiezwecken hängt davon ab,
ob sie sich zu spezifischen Zelltypen entwickeln können, die dann genau
89
jene Funktion übernehmen, die zur Heilung einer bestimmten Krankheit
nötig ist. Laut einem Bericht in Nature Neuroscience ist diese Plastizität
oder „Pluripotenz“ begrenzt 3. Unter der Leitung von Sally Temple vom
Albany Medical College in New York fanden Forschende heraus, dass die
zeitliche Koordinierung, welche die kortikale Entwicklung bestimmt, in
den Vorläuferzellen kodiert ist, aus denen diese Neuronen entstehen – sie
wird also nicht von Faktoren aus der Umgebung der Neuronen signalisiert.
Der Kortex entwickelt sich in Schichten, und die Neuronen einer jeden
Schicht werden gemäss einem vorhersehbaren Zeitplan gebildet.
Die Forschenden stellten fest, dass Neuronen aus neuralen Vorläuferzellen, die Mäusen entnommen und isoliert in Kulturen aufgezogen wurden,
in derselben Reihenfolge in Erscheinung traten, wie dies im Gehirn des
Embryos der Fall gewesen wäre. Mit jedem Stadium büssten die Zellen
etwas von ihrer Plastizität ein. Indem die Forschenden ein Foxg1 genanntes Gen, das für die Entwicklung des Kortex nötig ist, reduzierten, konnten
sie den zeitlichen Ablauf bei Neuronen der mittleren Gestation zurücksetzen, nicht aber den der späten Gestation.
Der Befund hat wichtige Implikationen für die Stammzelltherapie, da er
darauf hindeutet, dass die Abfolge der Entwicklung von allem Anfang an
programmiert ist und die Zellen nur während eines kurzen Zeitfensters von
ihrem „Schicksal“ abgelenkt werden können.
Eine natürliche Reaktion auf Verletzungen
Viele Tierstudien haben aufgezeigt, dass das adulte Gehirn auf Verletzungen oder einen „Insult“ mit einem akuten Anstieg der Neurogenese reagieren kann – eine Fähigkeit, die zur Behandlung von Verletzungen infolge
eines Traumas oder eines Hirnschlags genutzt werden könnte, wenn man
die genauen Schritte verstehen würde. Einem Bericht im Journal of Neuroscience zufolge stellten T. Yamashita und Mitarbeitende fest, dass eine
Gruppe von neuralen Stammzellen, die normalerweise nur olfaktorische
Zellen bildet, nach einem Hirnschlag in der Lage ist, im Striatum, wo die
Schädigung erfolgt war, neue Neuronen hervorzubringen 4. Diese neuen
Neuronen waren fähig, Verbindungen mit angrenzenden Zellen des
Striatum einzugehen. Der Befund hat Implikationen für die Behandlung
des Hirnschlags und anderer neurologischer Erkrankungen.
90
David Greenberg und seine Forschungsgruppe vom Buck Institute for Age
Research wollten herausfinden, welche Auswirkungen Neurogenese auf
Neurogenese könnte auch als natürliche Reaktion auf
Rückenmarkverletzungen vorkommen und zu therapeutischen
Zwecken genutzt werden.
Stammzellen und Neurogenese
die Genesung nach einem Hirnschlag beim Menschen hat und suchten in
Hirnbiopsien aus Hirnschlag-induzierten Hirnläsionen, nach neu gebildeten Neuronen. Wie sie in Proceedings of the National Academy of Sciences berichteten, gab es in den Gebieten rund um die verletzte Stelle molekulare Marker von neu gebildeten Neuronen – insbesondere in der Nähe
von Blutgefässen, die Wachstumsfaktoren bilden, welche die Teilung und
das Wachstum von Neuronen während der Neurogenese fördern 5. Der
Befund lässt darauf schliessen, dass Neurogenese in einem gewissen Ausmass stattfindet und dass es therapeutisch sinnvoll sein könnte, diesen
Vorgang medikamentös zu unterstützen.
Neurogenese könnte auch als natürliche Reaktion auf Rückenmarkverletzungen vorkommen und zu therapeutischen Zwecken genutzt werden.
Im Journal of Neuroscience berichteten Michael Tuszynski, Fred Gage
und weitere Mitarbeitende vom Salk Institute, nach einer experimentell
induzierten Rückenmarkverletzung sei die Zahl der neu geteilten Zellen
Neurogenese und Rückenmarkverletzung
Ein von Fred Gage (oben) und Michael Tuszynski – beide vom Salk Institute – geleitetes
Team stellte fest, dass sich nach einer Rückenmarkverletzung neue Neuronen entwickeln. Dieser Vorgang könnte zu neuen Therapien führen.
91
bei erwachsenen Rhesusaffen um mehr als das 80fache erhöht 6. Sieben
Monate nach der Verletzung hatten sich viele dieser Zellen zu unterschiedlichen Arten von Helferzellen entwickelt; einige bildeten Myelin,
eine für die Axonen von verletzten Neuronen äusserst wichtige fetthaltige
Isolierung. Mit dieser Arbeit wurde nachgewiesen, dass eine gewisse
Neurogenese zur Wiederherstellung nach Rückenmarkverletzungen stattfindet; sie könnte durch entsprechende Therapien gefördert werden.
Neurogenese und Epilepsie
Einigen Tierstudien zufolge regen epileptische Anfälle Neurogenese an.
Allerdings ergab eine Studie, die in einer Spezialausgabe der Zeitschrift
Hippocampus vorgestellt wurde, dass die neu gebildeten Zellen nicht
zu Ersatzneuronen heranwachsen, sondern zu Glia (zu Zellen, die
„Hilfs“ Funktionen wahrnehmen, indem sie z. B. Myelin produzieren, aber
keine Signale übermitteln) 7. Jack Parent und sein Team vom University
of Michigan Medical Center fanden bei Ratten nach chemisch induzierten
Krampfanfällen eine deutliche Vermehrung von Hirnzellen; dies wurde
während der auf den Eingriff folgenden zweiwöchigen Beobachtungszeit durch eine Substanz angezeigt, die an in Teilung begriffenen
Zellen bindet.
Weshalb reagiert das Gehirn auf unterschiedliche Verletzungen
mit der Produktion unterschiedlicher Zellen?
Da sich diese Zellen, im Gegensatz zu jenen neugeborenen Neuronen, die
nach einer hirnschlagbedingten Verletzung entstehen, zu Glia entwickelten, wirft diese Studie eine wichtige Frage auf: Weshalb reagiert das
Gehirn auf unterschiedliche Verletzungen mit der Produktion unterschiedlicher Zellen? Weitere Forschungsarbeiten sollen über Neurogenese zu
Reparaturzwecken Aufschluss geben und möglicherweise Wege zu neuen
Behandlungen der Epilepsie weisen.
92
Ein anderes von Parent geleitetes Team fand heraus, dass die nach einem
Krampfanfall einsetzende Neurogenese selbst zum Problem beitragen
könnte. Bei Menschen mit Temporallappenepilepsie und auch in experimentellen Modellen, weist z. B. ein Teil des Hippokampus, die so genannte Körnerschicht des Gyrus dentatus, häufig Abweichungen auf. Die
Forschenden berichteten in Annals of Neurology, dass bei Ratten mit länger dauernden Krämpfen Vorläuferzellen aus dieser Schicht abwandern
und sich abnormal entwickeln 8. Obwohl also Neurogenese in gewissen
Bereichen des Hippokampus während des ganzen Lebens andauert, wird
Antidepressiva verstärken Neurogenese in
einem bestimmten Stadium
Antidepressiva steigern vermutlich die Neurogenese im Hippokampus.
Allerdings dauert es bei den heute verfügbaren Medikamenten drei bis
vier Wochen, bis sich die Stimmung von Kranken mit einer Depression
bessert, und rund ein Drittel der Kranken spricht auf die Behandlung überhaupt nicht an. Viele Studien deuten darauf hin, dass die Wirkung von
Medikamenten wie Fluoxetin (Prozac) letztlich auf der Förderung von
Neurogenese beruht; ein besseres Verständnis der involvierten Schritte
könnte zur Entwicklung von Medikamenten führen, welche Neurogenese
direkter stimulieren.
Stammzellen und Neurogenese
die Migration der Neuronen – so die Vermutung der Forschenden – durch
Krämpfe gestört, was zu einer fehlerhaften Integration neu gebildeter
Zellen und möglicherweise zu erneuten Krämpfen führt.
In Proceedings of the National Academy of Sciences berichteten Forschende der Cold Spring Harbor Laboratories, sie hätten einen Stamm
von „Reporter“-Mäusen mit einem blau fluoreszierenden Protein im Kern
jener Zellen entwickelt, die aus neuralen Vorläuferzellen stammten 9. Das
Team testete die „blauen“ Neuronen auf verschiedene Markerproteine
und brachte sie dann mit Fluoxetin (Prozac) in Kontakt; so stellten sie
sicher, dass ausschliesslich Stammzellen in einem ganz bestimmten
Entwicklungsstadium Ziel des Medikaments waren. Die Entdeckung von
unmittelbareren Wegen zur Vermehrung dieser Zellpopulation könnte zu
rascher einsetzenden und wirksameren Therapien der Depression führen.
Krankheitsproteine und die Entwicklung von Hirnzellen
Die krankmachende Wirkung des Prion-Proteins ist bestens bekannt:
Falsch gefaltet ist es für Enzephalopathien verantwortlich, etwa Rinderwahn und sein menschliches Äquivalent, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.
Studien der letzten Jahre ergaben jedoch, dass Prion-Proteine nicht definitionsgemäss abnorm sind, sondern sich durch eine Auffaltung und Neufaltung in eine krankmachende Form verwandeln; ob es zu einer Krankheit
kommt, hängt von der Menge der falsch gefalteten Prionen ab. Über den
normalen Beitrag der Prion-Proteine zur Hirntätigkeit weiss man weniger.
Jeffrey Macklis von der Harvard University, Susan Lindquist vom Massachusetts Institute of Technology und Mitarbeitende wiesen nach, dass
Prion-Proteine in jenen Bereichen des Gehirns, in denen Neurogenese
93
Über den
Rinderwahn hinaus
Forschende haben mehr
über die normale Aufgabe
des Prionproteins herausgefunden, das vor allem
für seine Rolle bei Krankheiten bekannt ist. Hier
sieht man das normale
Protein in den Nuklei von
sich entwickelnden Neuronen (weisse Streifen).
Die molekulare SpulenStruktur des normalen
Moleküls ist im Hintergrund sichtbar.
stattfindet, reichlich vorkommen. Ihre Studie, die in Proceedings of the
National Academy of Sciences veröffentlicht wurde, zeigte einen engen
Zusammenhang zwischen der Menge von Prion-Proteinen und der Zahl
der Vorläuferzellen, die zu Neuronen differenzierten; bei experimentellen
Mäusen mit einer Überproduktion des Proteins gab es mehr sich vermehrende Hirnzellen als bei normalen oder Knockout-Mäusen 10. Weitere
Studien werden über die Aufgabe, die dieses Protein im normalen Hirn
erfüllt, Aufschluss geben und möglicherweise zu neuen Methoden führen, um Prion-Erkrankungen zu verhindern oder zu heilen.
Wie Stem Cells Development berichtete, wiesen Forschende unter der
Leitung von Kiminobu Sugaya an der University of Central Florida nach,
dass übermässige Mengen des amyloiden Vorläuferproteins, wie sie z. B.
bei der Alzheimerschen Krankheit vorkommen, die Produktion neuer
Neuronen hemmen könnten, indem sie Stammzellen dazu verleiten, sich
zu Astrozyten zu entwickeln 11.
94
Wenn in Kulturen gezüchtete menschliche neurale Stammzellen mit diesem Protein stimuliert wurden, differenzierten sie häufiger zu Astrozyten,
wohingegen die Hemmung des Proteins mithilfe eines Antikörpers diese
Differenzierung verhinderte. Bei transgenen, Beta-Amyloid produzierenden Mäusen entwickelten sich transplantierte menschliche Stammzellen
zu Glia und nicht zu Neuronen.
Stützzellen werden krebsartig
Derselbe Vorgang, der darüber bestimmt, aus welchen neuralen Stammzellen Neuronen und aus welchen Stützzellen hervorgehen, könnte eine
weitere, verhängnisvollere Beobachtung erklären: Stammzellen können
sich auch zu Tumoren zu entwickeln. Einem Bericht in Neuron zufolge,
identifizierte ein von Arturo Alvarez-Buylla an der University of California
in San Francisco geleitetes Team eine Gruppe neuraler Stammzellen, die
Träger eines Rezeptors für einen Wachstumsfaktor waren 12. Die Infusion
dieses Wachstumsfaktors führte dazu, dass diese Zellen exzessiv wuchsen
und gewisse Charakteristika von Tumoren entwickelten (siehe auch Schädigungen des Nervensystems, S. 40).
Stammzellen und Neurogenese
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass hohe Konzentration des amyloiden
Vorläuferproteins die Selbstheilungsbemühungen des Gehirns dadurch
vereiteln könnten, dass sie den Kurs von Zellen ändern, die sonst zu
Ersatzneuronen herangewachsen wären; diese Funktion gilt es besser zu
verstehen, bevor wir Stammzellen dereinst als Therapie der Alzheimerschen Krankheit und weiterer Erkrankungen einsetzen können.
Derselbe Vorgang, der darüber bestimmt, aus welchen neuralen
Stammzellen Neuronen und aus welchen Stützzellen hervorgehen,
könnte eine weitere, verhängnisvollere Beobachtung erklären:
Stammzellen können sich auch zu Tumoren zu entwickeln.
Inzwischen berichteten Patricia Casaccia-Bonnefil von der Robert Wood
Johnson Medical School und ihre Mitarbeitenden im Journal of Neuroscience, Glia könnte infolge fehlender Apoptose, also des programmierten
Zelltods, krebsartig werden 13. Die Forschenden untersuchten KnockoutMäuse denen das Gen p53, das die Apoptose in Gang setzt, fehlte. Das
Fehlen von p53 hatte nicht automatisch Krebs zur Folge. Wenn man
jedoch die Mäuse einem experimentellen, Krebs verursachenden Stimulus aussetzte, kam es zu drastischen, dem Krebs entsprechenden Veränderungen der neuralen Stammzellen – beispielsweise teilten sie sich
rascher und differenzierten nicht vollständig.
Das Protein Notch aktiviert Stammzellen
Das eigentliche Ziel der Stammzelltherapie besteht darin, „endogene“
Stammzellen zu aktivieren – also jene, die im Körper der Kranken selbst
vorhanden sind. In Nature berichtete Ronald McKay vom National Institute of Neurological Disorders and Stroke über ein Modell der StammzellExpansion, das zur Verwirklichung dieses Ziels beitragen könnte 14.
95
Die Aktivierung des Rezeptors Notch induziert eine Folge von Ereignissen,
die das Überleben von neuralen Stammzellen fördern. Wenn man adulte
Ratten mit einem Molekül behandelte, das an den Notch-Rezeptor bindet,
vermehrte sich die Zahl der Vorläuferzellen, und nach einer Schädigung
durch einen experimentellen Hirnschlag verbesserte sich ihre Bewegungsfähigkeit. Diese Arbeit weist auf eine Methode der StammzellExpansion sowohl in Kulturen als auch in einem mit Transplantaten behandelten Wirtstier hin, dank der Stammzellen sogar erneut angeschaltet
werden könnten.
Das Forschungsgebiet der Stammzellen floriert, aber die oben vorgestellten Studien zeigen, wie viel immer noch nicht wissen. Die Entwicklung von
Stammzellen so zu lenken, dass aus ihnen bestimmte Zelltypen (Nervenzellen oder Glia) werden und nicht etwa Krebszellen, bleibt auch weiterhin
die grosse Herausforderung.
96
Denken und Erinnern
Alzheimersche Krankheit
98
Wer das Vollbild der Alzheimerschen Krankheit
entwickelt
100
Eine Ursache der frontotemporalen Demenz
101
Das normale Gedächtnis – ein grosser Schritt vorwärts
102
97
D
ie Erforschung des Denkens und Erinnerns führte 2006 zu uneinheitlichen Resultaten: in manchen Bereichen gab es bemerkenswerte Entdeckungen, in anderen zeigte sich, dass es notwendig ist, eine Pause
einzulegen und die Ansätze neu zu überdenken.
Alzheimersche Krankheit
Kennzeichnend für die Alzheimersche Krankheit ist das Vorhandensein
von Beta-Amyloid Plaques im Gehirn der Kranken. Seit etwa einem Jahrzehnt konzentrierten sich viele wissenschaftliche Arbeiten auf diese
physiologischen Manifestationen der Krankheit; dahinter stand die
Absicht, die Bildung von Plaques womöglich zu verhindern oder diese zu
beseitigen, um dadurch die Auswirkungen der Krankheit auf das Verhalten
zu mildern.
Doch kamen 2006 verschiedene Gruppen aufgrund ihrer Ergebnisse zum
Schluss, bei den Plaques selbst handle es sich nicht um die eigentliche
Ursache der Krankheit. Die Beta-Amyloid Plaques sind Ansammlungen
eines kleinen Peptids, das von einem grösseren Protein, dem so genannten
Amyloid-Vorläufer-Protein, abgetrennt und in den Bereich zwischen Neuronen freigesetzt wird.
Frühere Arbeiten mit Mäusen, die das menschliche Amyloid-VorläuferProtein exprimieren, zeigten, dass Verhaltensauffälligkeiten, etwa Defizite
im räumlichen Gedächtnis, lange vor dem zu Tage treten von Plaques
bestanden. Somit sind entweder nicht die Proteinfragmente das Problem,
oder aber die Neuronen werden durch kleinere, nicht wie Plaques aussehende Ansammlungen beschädigt.
Eine einzige Plaque besteht aus hunderten oder tausenden von Proteinfragmenten, doch Sylvain Lesné von der University of Minnesota Medical
School in Minneapolis und seine Mitarbeitenden entdeckten, dass zu der
Zeit, als das Gedächtnis der Tiere nachzulassen begann, kleine Ansammlungen von nur gerade zwölf Fragmenten vorhanden waren.
98
Mehr noch, als die Forschenden diese kleinen, dem Gehirn von verstorbenen Tieren entnommenen Klumpen reinigten und ins Gehirn von gesunden Tieren injizierten, verloren diese die Fähigkeit, sich die räumliche
Gestalt eines Labyrinths einzuprägen. Diese Forschungsarbeit wurde in
Nature vorgestellt 1.
Schuld daran schien bei diesen Tieren ein anderes kleines Fragment des
Amyloid-Vorläufer-Proteins zu sein, das so genannte C-31. Die Forschenden folgern daraus, dass die zwischen den Neuronen liegenden Plaques
möglicherweise für den Beginn der Einbussen verantwortlich sind, dass
aber C-31 den vernichtenden Schlag versetzt, indem es ins Innere der Nervenzellen gelangt. Beide Forschungsgruppen vermuten, Medikamente,
welche entweder die Bildung der kleinen Klumpen oder die Freisetzung
von C-31 verhindern, könnten dazu beitragen, beim Menschen das Ausmass der durch die Alzheimersche Krankheit hervorgerufenen Symptome
und Schädigung zu begrenzen.
Denken und Erinnern
Etwas Ähnliches berichteten Forschende des Buck Institute for Age Research in Novato, Kalifornien, in Proceedings of the National Academy of
Sciences; wenn die genetisch veränderten Mäuse eine Proteinvariante
exprimierten, aus der das Beta-Amyloid nicht freigesetzt werden kann,
fehlten ihnen zwar die für die Alzheimersche Krankheit typischen Plaques,
aber es kam dennoch zu Gedächtnisstörungen 2.
Auch Forschungsarbeiten an Menschen stellen heute die Bedeutung der
Beta-Amyloid Plaques als eine Ursache der Krankheitssymptome bei Alzheimer in Frage. Die Wissenschaft weiss seit Jahrzehnten, dass die Krankheit nicht bei allen Personen mit Plaques ausbricht. Um herauszufinden,
wie verbreitet Plaques im Gehirn von gesunden Erwachsenen sind, untersuchten Forschende unter der Leitung von David Bennett vom Rush Alzheimer’s Disease Center an der Universität Chicago mehr als 2000
gesunde Erwachsene in zwei verschiedenen Gemeinden. Ihre Ergebnisse
veröffentlichten sie in Neurology 3.
Die Studienteilnehmenden werden jedes Jahr neuropsychologisch getestet; dadurch soll sichergestellt werden, dass sie bei ihrem Ableben nicht an
Demenz leiden. Von den 134 Teilnehmenden, die bisher gestorben sind
und ihr Gehirn für eine Obduktion zur Verfügung stellten, wiesen zwei Plaques im Neokortex des Gehirns auf, was den aktuellen Kriterien der Pathologie zufolge besagt, dass sie mit grosser Wahrscheinlichkeit an der Alzheimerschen Krankheit litten; bei weiteren 48 wurden Plaques in den
limbischen Regionen des Gehirns festgestellt, was einem mittleren Risiko
entspricht. Der einzige Unterschied, den Bennett und seine Mitarbeitenden
bezüglich der mentalen Funktion dieser 50 Kranken im Vergleich mit den
übrigen 84 Teilnehmenden ohne nachweisbare Plaques fanden, betraf eine
leichte Abnahme des episodischen oder ereignisorientierten Gedächtnisses.
99
Aufgrund dieser Daten kam Bennetts Team zu zwei Schlussfolgerungen.
Erstens weisen sie darauf hin, dass bereits ein geringfügiges Nachlassen
des episodischen Gedächtnisses den Beginn einer Alzheimerschen Krankheit anzeigen kann. Zweitens verfügen Menschen generell über mehr
Neuronen als sie im Alltag brauchen – die Forschenden sprechen von
einer „neurologischen Reserve“. Deshalb können in vielen Fällen beträchtliche neuronale Schädigungen und eine für Alzheimer typische Pathologie
vorliegen, ohne dass es zu einem drastischen Gedächtnisverlust oder
einer Demenz kommt.
Woran es liegt, dass einige Kranke trotz Plaques gesund bleiben,
während die Krankheit bei anderen, welche dieselbe Neuropathologie
aufweisen, ausbricht, ist eine Schlüsselfrage.
Woran es liegt, dass einige Kranke trotz Plaques gesund bleiben, während
die Krankheit bei anderen, welche dieselbe Neuropathologie aufweisen,
ausbricht, ist eine Schlüsselfrage, die heute für viele Forschende im Mittelpunkt steht.
Wer das Vollbild der Alzheimerschen Krankheit entwickelt
Ähnliche Forschungsarbeiten geben Aufschluss darüber, weshalb nicht
alle älteren Erwachsenen mit Gedächtnisstörungen das Vollbild der Alzheimerschen Krankheit entwickeln. Es gibt keinen anerkannten Test um
vorauszusagen, bei welchen Kranken der Zustand stabil bleibt und bei
welchen er sich weiter verschlimmern wird. Ein solches Wissen könnte die
ärztliche Beratung von Kranken und ihren Familien verbessern und dazu
beitragen, das weitere Vorgehen in jenen Fällen zu planen, bei denen die
Alzheimersche Krankheit aller Wahrscheinlichkeit nach ausbrechen wird.
Zwei Studien, über die 2006 berichtet wurde, stellen bedeutende Schritte
in diese Richtung dar.
In der einen Studie beobachteten Forschende des New York State Psychiatric Institute und der Columbia University in New York, unter der Leitung von
Matthias Tabert 63 gesunde Erwachsene und 148 Kranke mit einer leichten
kognitiven Beeinträchtigung, einem Zwischenstadium zwischen normaler
Gedächtnisfunktion und Demenz. Wie die Forschenden in Archives of
General Psychiatry berichten, litten nach drei Jahren 34 der Kranken mit einer
leichten kognitiven Beeinträchtigung an der Alzheimerschen Krankheit 4.
100
Dabei war das Risiko einer Verschlechterung für jene Kranken mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung, die ausschliesslich Gedächtnisdefizite
Denken und Erinnern
aufwiesen, relativ gering; nur bei zwei von 20 Kranken dieser Gruppe
entwickelte sich die Alzheimersche Krankheit. Im Gegensatz dazu, entwickelte sich im selben Zeitraum bei der Hälfte jener 64 Kranken, die
von Anfang an ausser Gedächtnisproblemen auch andere kognitive
Defizite aufwiesen, die Alzheimersche Krankheit. Aufgrund neuropsychologischer Tests könnte man somit bei Kranken mit einer leichten kognitiven
Beeinträchtigung diese beiden Situationen unterscheiden und vorhersagen, wer mit grösster Wahrscheinlichkeit mit weiteren Problemen rechnen muss.
Unterdessen gelang es Forschenden der University of California in Los
Angeles, anhand körperlicher Merkmale, zu bestimmen, welche Kranken
mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung besonders gefährdet
waren, die Alzheimersche Krankheit zu entwickeln 5. Mittels hochauflösender Magnetresonanz-Tomographie stellten sie einem Bericht in Archives of Neurology zufolge fest, dass Kranke, deren Hippokampus ein kleineres Volumen aufwies, mehr gefährdet waren, die Alzheimersche
Krankheit zu entwickeln als solche mit einem grösseren Volumen. Ausserdem wiesen Kranke, bei denen sich später das Vollbild der Krankheit entwickelte, zu Beginn der Studie eine stärkere Atrophie in bestimmten
Regionen des Hippokampus auf als Kranke, deren Zustand stabil blieb.
Falls es gelingen sollte, Therapien zu entwickeln, die den Ausbruch der
Alzheimerschen Krankheit verhindern oder hinausschieben, wäre es äusserst wichtig, diese „Prä-Alzheimer“-Fälle zu identifizieren.
Eine Ursache der frontotemporalen Demenz
Zwar handelt es sich bei der Alzheimerschen Krankheit um jene Art von
Demenz, über die am meisten gesprochen wird, doch ist sie keineswegs
die einzige. Die frontotemporale Demenz ist bei unter 65jährigen die zweithäufigste Art von Demenz. Kranke mit dieser Art Demenz weisen Verhaltensauffälligkeiten sowie Persönlichkeitsveränderungen und eine Enthemmung auf. Im Allgemeinen bleibt jedoch ihr Gedächtnis intakt.
Die frontotemporale Demenz hat eine starke genetische Komponente,
und man weiss bereits, dass einige Formen dieser Krankheit durch Mutationen des Mikrotubuli-assoziierten Proteins Tau verursacht werden. Bei
Kranken ohne Mutationen des Tau-Gens war die Krankheitsursache bisher
jedoch unbekannt. Im Jahr 2006 entdeckten zwei Forschungsgruppen bei
diesen Kranken Mutationen des Gens für einen Wachstumsfaktor, das so
genannte Progranulin.
101
Dieses Gen wird in vielen verschiedenen Neuronen der Hirnrinde und
in Mikrogliazellen, den Immunzellen des Gehirns, exprimiert. In zwei
Studien, über die in Nature berichtet wurde, stellten Forschende die
Hypothese auf, Progranulin sei für das Überleben von Neuronen wichtig
und der Verlust einer einzigen Kopie des Progranulin-Gens reiche aus,
um eine Nervendegeneration zu verursachen 6, 7. In Tiermodellen scheint
Progranulin die Expression anderer Wachstumsfaktoren zu induzieren,
die möglicherweise zum Überleben von Zellen beitragen. Die Identifizierung der Mutation, die dieser Art der frontotemporalen Demenz
zugrunde liegt, eröffnet Möglichkeiten, Therapien für diese Kranken
zu entwickeln.
Das normale Gedächtnis – ein grosser Schritt vorwärts
Die Wissenschaft vermutet seit langem, die Speicherung von Erinnerungen erfolge über Veränderungen der Stärke der synaptischen Verbindungen zwischen Neuronen. Sobald also eine Erinnerung gespeichert wird,
würde die Stärke der Synapse und damit ihre Kommunikationsfähigkeit
mit ihrem Nachbarn wachsen.
Diesen Vorgang nennt man Langzeitpotenzierung (long-term potentiation,
LTP). Heute liegen drei Studien mit entscheidenden Belegen dafür vor,
dass LTP tatsächlich die neurale Grundlage für den Aufbau des Gedächtnisses darstellt.
Forschende richteten ihr Augenmerk auf drei Kriterien: Die Hemmung von
LTP durch chemische Inhibitoren müsste Lernen verhindern; das Erlernen
einer bestimmten Aufgabe oder Information müsste in der dafür zuständigen Hirnregion LTP hervorrufen; und nach erfolgtem Lernen müsste das
Auslöschen der LTP durch chemische Substanzen zu einer Amnesie führen und das erlernte Verhalten beseitigen. Frühere Forschungsarbeiten
hatten nachgewiesen, dass das erste Kriterium erfüllt wurde.
102
In einem der Experimente des Jahres 2006 versetzten Jonathan Whitlock
und Mitarbeitende am Howard Hughes Medical Institute und am Massachusetts Institute of Technology Ratten jedes Mal, wenn sie den dunklen
Bereich ihres Käfigs aufsuchten, einen leichten elektrischen Schock, so
dass sie lernten, diesen Ort zu meiden. Wie die Gruppe in Science
berichtete, kam es, während die Tiere diese räumliche Information lernten,
zu einer LTP im Hippokampus, der bei Nagern für räumliches Lernen
zuständig ist 8.
Denken und Erinnern
Presynaptisches
Neuron
Neurotransmitter
Lernen
Rezeptoren
Postsynaptisches Neuron
Ionen
Protein PKM-Zeta
Danke für das Gedächtnis
Forschende stellten fest, dass die Langzeitpotenzierung, welche dem Gedächtnis
zugrunde liegt, vom Protein PKM-Zeta abhängt. Wenn dieses Protein gehemmt wird,
vergessen Ratten ein gelerntes Verhalten.
Agnès Gruart von der Universidad Pablo de Olavide in Sevilla, Spanien,
berichtete im Journal of Neuroscience von ähnlichen Resultaten 9. Ihr Team
stellte fest, dass Lernen im Hippokampus von Mäusen eine LTP induzierte,
und dass Substanzen, welche die neurale Übermittlung verhinderten,
sowohl das Lernen als auch die Entwicklung von LTP hemmten.
Eine von Eva Pastalkova am SUNY Downstate Medical Center in Brooklyn,
New York, geleitete Gruppe führte diese Idee in ihrer Studie einen Schritt
weiter und berichtete darüber in derselben Ausgabe von Science. Sie
wiesen nach, dass Tiere das erlernte Verhalten vergassen, wenn die LTP
chemisch rückgängig gemacht wurde 10. Die Behandlung verunmöglichte
jedoch nicht jegliche synaptische Übertragung und verhinderte auch nicht
späteres Lernen.
Diese Studien liefern wichtige Hinweise darauf, dass die langjährige Hypothese über den Aufbau von Erinnerungen, wahrscheinlich richtig ist.
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Abbildungen / Fotos
S. 5:
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Photograph courtesy of David C. Van Essen
Photograph courtesy of Steven E. Hyman
Photographs courtesy of Stephen Dager
Image courtesy of Katya Rubia
Image courtesy of Mark Cookson
Image courtesy of Adrian Owen
Image courtesy of Richard Ransohoff
Image courtesy of Simon Beggs
Photograph courtesy of Jeffrey Lieberman
Image courtesy of Andreas Meyer-Lindenberg and Joshua Buckholtz, NIMH/IRP
Image courtesy of House Ear Institute
Illustration by Benjamin Reece
Photograph courtesy of Fred Gage
Image courtesy of Jeffrey Macklis
Illustration by Benjamin Reece
115
Stelle Dir
eine Welt vor . . .
…
in der Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Lou Gehrig (ALS) sowie Retinitis pigmentosa und andere Ursachen von Erblindung jeweils in einem frühen Stadium erkannt
und umgehend mit Medikamenten behandelt
werden, die eine Verschlimmerung, noch vor
dem Auftreten schwerwiegender Schädigungen verhindern.
…
in der die genetischen Bahnen und die
umweltbedingten Auslöser, die Menschen für
Geisteskrankheiten disponieren, bekannt sind,
so dass entsprechende diagnostische Tests
und zielgerichtete Therapien – einschliesslich
Medikamente, Beratung und vorbeugende
Eingriffe – in grossem Umfang zur Verfügung
stehen und umfassend angewendet werden.
…
in der neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns dazu verwendet werden,
die entscheidenden Vorteile des Lernens in
den ersten Lebensjahren zu fördern und mit
dem Altern zusammenhängende Krankheiten
zu bekämpfen.
…
in der Rückenmarksverletzungen nicht
länger zu lebenslänglichen Lähmungen führen,
da das Nervensystem dazu gebracht werden
kann, Nervenschaltkreise neu zu gestalten und
die Bewegung der Muskeln wieder herzustellen.
…
in der Drogenabhängigkeit und Alkoholismus das Leben von Menschen nicht länger
im Griff haben, da leicht zugängliche Behandlungen jene Veränderungen im Gehirn beeinflussen können, die für das Absetzen von
Abhängigkeit erzeugenden Substanzen verantwortlich sind, aber auch Sucht und Verlangen hervorrufen können.
…
118
in der das tägliche Leben der Menschen
nicht mehr von depressiven Episoden oder
Angstattacken beeinträchtigt wird, da wirksamere Medikamente zur Behandlung dieser
Krankheiten verfügbar werden.
Es mag zwar vielen unrealistisch und utopisch
vorkommen, aber wir dürfen festhalten, dass
wir gegenwärtig in einer ausserordentlich
aufregenden Zeit der Geschichte der Neurowissenschaft leben. Die im vergangenen Jahrzehnt erfolgten Fortschritte in der Forschung
haben uns weiter gebracht als wir gehofft
hatten. Wir verstehen die grundlegenden
Mechanismen der Hirntätigkeit wesentlich
besser und sind nun an dem Punkt angelangt,
an dem wir diese Erkenntnisse für therapeutische Zwecke fruchtbar machen können.
Wir haben bereits angefangen, Strategien,
neue Techniken und Behandlungsformen
zur Bekämpfung einer ganzen Reihe neurologischer Krankheiten und Störungen zu entwickeln. Indem wir Therapieziele festlegen
und unser Wissen anwenden, werden wir
wirksame Behandlungen und in einigen Fällen wohl auch Heilmethoden entwickeln.
Bei allem, was wir in letzter Zeit im Bereich
der Neurowissenschaft gelernt haben, erkennen wir immer deutlicher, wie vieles wir nicht
wissen. Dadurch wird es immer dringlicher,
dass wir die Grundlagenforschung vorantreiben, die sich mit der weiterreichenden Frage,
wie lebende Organismen überhaupt funktionieren, befasst. Dies wird dazu beitragen,
jene komplexen Fragestellungen anzugehen,
welche zu wissenschaftlichen Entdeckungen
führen.
Die koordinierte Arbeit von Tausenden, die
in den verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung
wissenschaftlich tätig sind, hat uns eine
grosse Menge an Informationen gebracht;
sie umfassen so unterschiedliche Gebiete
wie die Strukturanalyse von Molekülen, die
gezielte Entwicklung neuer Pharmaka, die Genomforschung, bildgebende Untersuchungen
des Gehirns, kognitive Neurowissenschaft
und klinische Studien. Dieses ganze Wissen
Um unsere Aufgabe erfolgreich zu erfüllen,
sind wir auch auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen. Forschende und Laien
müssen daher aus den neuen Erkenntnissen
der Hirnforschung entstehenden ethischen
und sozialen Konsequenzen gemeinsam
erörtern.
Die Dana Alliance for Brain Initiatives und
die European Dana Alliance for the Brain ist
eine Gemeinschaft von Neurowissenschaftlern und Neurowissenschaftlerinnen, die sich
hochgesteckte Ziele gesetzt haben ; dies
zeigte sich bereits im Jahre 1992, als in Cold
Spring Harbor, New York, ein Forschungsplan
aufgestellt wurde und dann im Jahre 1997, als
die neu gebildete europäische Gruppe sich
auf ihre eigenen Zielsetzungen verpflichtete.
Beide Gruppen sind gegenwärtig daran, ihre
konkreten Zielvorstellungen so anzupassen,
dass sie die erreichten Fortschritte optimal
ausnützen können. Wir stecken uns auch
neue Ziele, die uns den Weg zu bald Erreichbarem weisen, und stellen langfristige Pläne
auf. Indem wir uns ausmalen, welche positiven Auswirkungen diese neue Ära der Neurowissenschaft voraussichtlich haben wird, beschleunigen wir die auf das Erreichen unserer
Ziele ausgerichteten Entwicklungen.
Die Ziele
Die verheerenden Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit bekämpfen. Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zur Ansammlung
eines Proteinfragments von Amyloid, welches
die Nervenzellen schädigt. Der Mechanismus
dieser Ansammlung wurde inzwischen in
Tierversuchen biochemisch genetisch untersucht. Aufgrund dieser Tiermodelle werden
gegenwärtig therapeutische Substanzen und
ein möglicherweise wirksamer Impfstoff entwickelt, die die Anhäufung dieser schädlichen Substanz verhindern oder ihren Abbau
beschleunigen sollen. Diese neuen Therapien,
die schon bald an Menschen erprobt werden
können, wecken die begründete Hoffnung,
dass der Krankheitsverlauf wirkungsvoll behandelt werden kann.
Stelle Dir eine Welt vor ...
können wir nun breit zur Behandlung neurologischer Krankheiten und Störungen einsetzen. Diese wissenschaftliche Arbeit werden
wir auch weiterhin nicht nur individuell und
ausgerichtet auf die das eigene spezifische
Interessengebiet weiterführen, sondern gemeinsam mit Kollegen aller wissenschaftlichen Bereiche nach Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit suchen.
Die optimale Behandlung der ParkinsonKrankheit herausfinden. Medikamente, die
auf die Dopaminbahnen des Gehirns einwirken, wurden erfolgreich zur Behandlung der
motorischen Störungen der Parkinson-Krankheit eingesetzt. Leider verliert sich dieser therapeutische Effekt bei vielen Patienten nach
5 bis 10 Jahren. Nun werden neue Medikamente entwickelt ; sie sollen die Wirkung der
auf Dopamin beruhenden Behandlungen verlängern und den für die Krankheit verantwortlichen selektiven Untergang von Nervenzellen verzögern. Patienten, die auf die
medikamentöse Behandlung nicht ansprechen, könnten von chirurgischen Methoden,
etwa der tiefen Hirnstimulation, profitieren.
Dank neueren Formen der Bildgebung des
Gehirns lässt sich feststellen, ob diese Behandlungsformen tatsächlich Nervenzellen vor dem
Untergang bewahren und die normalen Schaltkreise wieder herstellen können.
Das Auftreten von Hirnschlag reduzieren
und die Therapie des Hirnschlags verbessern. Herzkrankheiten und Hirnschlag treten
beträchtlich seltener auf, wenn Leute aufhören zu rauchen, auf einen tiefen Cholesterinspiegel achten, durch Diät und sportliche
Betätigung ihr normales Gewicht beibehalten und wenn ein vorhandener Diabetes 119
diagnostiziert und behandelt wird. Wenn
ein Hirnschlag aufgetreten ist, können die
rasche Erhebung des Befunds und sofortige
Behandlung eine erstaunliche Verbesserung
mit weniger Folgeerscheinungen bewirken.
Neue Behandlungsmethoden, um die akuten
Auswirkungen eines Schlaganfalls auf Hirnzellen weiter zu reduzieren, sind im Entwicklungsstadium. Weitere Verbesserungen erwarten wir von neuen Rehabilitationsverfahren, die auf der neuen Erkenntnis von
Reorganisationsvorgängen im Gehirn nach
Schädigungen beruhen.
Neue, wirkungsvolle Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung der Multiplen Sklerose finden. Heute stehen uns erstmals
Medikamente zur Verfügung, die erlauben,
den Verlauf dieser Krankheit zu beeinflussen.
Neue Medikamente, die die Immunreaktion
des Körpers verändern, werden Anzahl und
Intensität der Schübe der Multiplen Sklerose
weiter vermindern. Ausserdem werden wir
neue Methoden anwenden, um die langfristige Progression aufzuhalten, die durch
den Untergang von Nervenfasern verursacht
wird.
Erfolgreichere Behandlungen von Gemütskrankheiten entwickeln wie Depression,
Schizophrenie, Zwangserkrankung und
manisch-depressive Erkrankung. Zwar wurden im letzten Jahrzehnt die für diese Krankheiten verantwortlichen Gene noch nicht gefunden, doch dürfte die Sequenzierung des
menschlichen Genoms einige an diesen Krankheiten beteiligte Gene aufdecken. Neue bildgebende Verfahren gepaart mit Erkenntnissen über die Aktivitäten dieser Gene im
Gehirn werden erkennen lassen, was bei
diesen Erkrankungen des Gemüts und des
Denkens in den einzelnen Hirnschaltkreisen
schief läuft. Dies wird die Grundlage für eine
bessere Diagnose, für eine wirksamere Anwendung der heute zur Verfügung stehenden Medikamente und für die Entwicklung
völlig neuartiger therapeutischer Substanzen
bilden.
Bessere Behandlungen bei Hirntumoren
entwickeln. Viele Arten von Hirntumoren, vor
allem die bösartigen und solche, die durch
Ableger einer Krebserkrankung ausserhalb des
Gehirns zustande kommen, lassen sich nur
schwer behandeln. Bildgebende Verfahren,
die Behandlung mit fokussierter Bestrahlung,
verschiedene Methoden, um Medikamente
in den Tumor zu bringen, und die Bestimmung von genetischen Markern, die zur Diagnose beitragen werden, bilden die Grundlage zur Entwicklung innovativer Therapien.
Die genetischen und neurobiologischen
Ursachen der Epilepsie aufdecken und die
Behandlung verbessern. Das Verständnis
der genetischen Grundlagen der Epilepsie
und der neuralen Vorgänge, die zu Anfällen
führen, wird präventive Diagnosen und zielgerichtete Therapien ermöglichen. Die Fortschritte der elektronischen und chirurgischen
Therapien lassen wirkungsvolle Behandlungs120 möglichkeiten erwarten.
Die Erholung nach traumatischen Hirn- und
Rückenmarksverletzungen verbessern. Wir
sind dabei, Behandlungsmöglichkeiten zu erproben, die unmittelbar nach einer Verletzung den Umfang des verletzten Gewebes
verringern sollen. Andere Wirkstoffe zielen
darauf ab, die Schaltkreise der Nervenfasern
wiederherzustellen. Techniken zur Förderung
der Zellregeneration im Gehirn, um die abgestorbenen und beschädigten Nervenzellen
zu ersetzen, werden ausgehend von Tiermodellen schon bald auch an Menschen klinisch erprobt werden. Gegenwärtig werden
elektronische Prothesen entwickelt, die die
Mikrochip-Technik verwenden, um Nervenschaltkreise zu steuern und dadurch die
Bewegungsaktivität gelähmter Gliedmassen
wieder zu ermöglichen.
Die Ursachen der Abhängigkeit auf der
Ebene des Gehirns behandeln. Forschende
konnten jene Nervenschaltkreise im Gehirn
bestimmen, die an der Abhängigkeit aller
gängigen Mittel beteiligt sind, und haben die
wichtigsten Rezeptoren für diese Wirkstoffe
geklont. Neue bildgebenden Verfahren, werden die neurobiologischen Mechanismen
feststellen lassen, die ein normales Gehirn in
ein abhängiges Gehirn verwandeln, und die
Entwicklung von Therapien ermöglichen, um
diese Veränderung entweder rückgängig zu
machen oder zu kompensieren.
Die Hirnmechanismen verstehen, die der
Reaktion auf Stress, Angst und Depression
zugrunde liegen. Geistige Gesundheit ist
eine Vorbedingung für eine gute Lebensqualität. Stress, Angst und Depression schaden
nicht nur dem Leben der davon betroffenen
Personen, sie können auch verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Wenn
es uns gelingt, die Stressreaktion des Organismus sowie die an Angst und Depression
beteiligten Hirnschaltkreise besser zu verstehen, werden wir wirksamere präventive
Massnahmen entwickeln können und auch
bessere Behandlungsverfahren, um ihre Auswirkungen zu lindern.
Die Strategie
Die Entdeckungen der Erforschung des Genoms ausnützen. Die vollständige Sequenz
aller Gene, des menschlichen Genoms wird
schon bald zur Verfügung stehen. Dies
bedeutet, dass wir im Verlauf der nächsten
10 bis 15 Jahre in der Lage sein werden, für
jeden Bereich des Gehirns und für jedes
Lebensstadium – vom frühen embryonalen
Leben an, über die Kindheit, die Adoleszenz
bis zum Erwachsenenalter – zu bestimmen,
welche Gene aktiv sind. Wir werden feststellen
können, welche Gene bei verschiedensten
neurologischen und psychiatrischen Krankheiten verändert sind, so dass ihre Proteinprodukte entweder ganz fehlen oder auf eine
abnorme Weise funktionieren. Dank dieser
Methode ist es bereits möglich, die genetische
Grundlage von Krankheiten wie Huntington,
spinozerebelläre Ataxie, Muskeldystrophie
und fragiles X-Syndrom zu bestimmen.
Stelle Dir eine Welt vor ...
Neue Methoden für den Umgang mit
Schmerzen entwickeln. Der Schmerz muss
heute in der Medizin nicht mehr einfach hingenommen werden. Die Erforschung der
Ursachen von Schmerzen sowie der Nervenaktivität, die für ihn verantwortlich ist, wird
den Neurowissenschaftlern Mittel in die
Hand geben, um wirksamere und zielgerichtete Therapien zur Schmerzbekämpfung
zu entwickeln.
Insgesamt verspricht die Entdeckung von
Genen und ihre Anwendung zur klinischen
Diagnose die Neurologie und Psychiatrie
grundlegend zu verändern und stellt eine der
grössten Herausforderungen der Neurowissenschaft dar. Zum Glück verfügen wir über
Mikroarrays oder „Gen-Chips“, die diese
Entwicklungen sehr beschleunigen und uns
sowohl für die Diagnose als auch für die
Entwicklung neuer Therapien wirkungsvolle
Mittel in die Hand geben.
Unser Wissen über die Entwicklung des
Gehirns anwenden. Von der Empfängnis
bis zum Tod durchläuft das Gehirn ganz
bestimmte Entwicklungsstadien mit jeweils
unterschiedlicher Anfälligkeit für Schädigungen und Fähigkeit zur Entwicklung, Tendenzen, die entweder gefördert oder gehemmt
werden können. Um die Behandlung von
Entwicklungsstörungen wie Autismus sowie
Aufmerksamkeits- und Lernstörungen zu verbessern, wird die Neurowissenschaft eine
detailliertere Darstellung der Hirnentwicklung
erarbeiten. Da gewisse Probleme der Hirnentwicklung mit anderen Entwicklungsphasen 121
wie der Adoleszenz oder dem Altern zusammenhängen, wird uns das Verständnis der
Veränderungen des Gehirns im Verlauf dieser
Perioden neue Therapien ermöglichen.
Das riesige Potential der Plastizität des
Gehirns ausnutzen. Wenn wir die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns sich selbst
wiederherzustellen und anzupassen – ausnutzen, kann die Neurowissenschaft Behandlungen von degenerativen neurologischen
Erkrankungen fördern und Möglichkeiten zur
Verbesserung von gesunden und kranken
Hirnfunktionen bereitstellen. In den kommenden zehn Jahren werden Zellen therapeutisch ersetzt werden und die Förderung
der Neubildung von Zellen wird zu neuen
Behandlungen von Hirnschlag, Rückenmarksverletzungen und der Parkinson Krankheit
führen.
Unser Verständnis des spezifisch Menschlichen vergrössern. Wie funktioniert das Gehirn ? Die Neurowissenschaft ist nun so weit,
dass sie die entscheidenden Fragen nicht nur
stellt, sondern auch anfängt sie zu beantworten. Welche Mechanismen und grundlegenden Nervenschaltkreise ermöglichen es uns,
Erinnerungen zu speichern, aufmerksam zu
sein, unsere Emotionen wahrzunehmen und
auszudrücken, Entscheidungen zu treffen,
Sprache zu gebrauchen und kreativ zu sein ?
Die Bemühungen, eine „einheitliche Feldtheorie“ des Gehirns zu entwickeln, werden
grosse Möglichkeiten eröffnen, das menschliche Potential zu maximieren.
Die Methoden
Zellen ersetzen. Ausgewachsene Nervenzelle können sich nicht replizieren, um die
durch eine Krankheit oder eine Verletzung
verloren gegangenen Zellen zu ersetzen.
Methoden, die sich die Fähigkeit der Nerven122 stammzellen (den Vorläufern von Nervenzel-
len) zunutze machen, sich zu neuen Nervenzellen zu differenzieren, werden die Behandlung neurologischer Erkrankungen möglicherweise revolutionieren. Die Verpflanzung von
Nervenstammzellen, die bisher an Tiermodellen durchgeführt wird, wird schon bald das
Stadium von klinischen Studien an Menschen
erreichen. Wie die Entwicklung dieser Zellen
gesteuert werden kann, wie sie an den richtigen Ort gebracht und veranlasst werden können, die geeigneten Verbindungen zu bilden,
sind aktuelle Themen der Forschung.
Reparaturmechanismen von Nervenzellen.
Dank der dem Nervensystem innewohnenden Fähigkeit der Wiederherstellung – in
gewissen Fällen werden neue Nervenzellen
regeneriert, in andern die Verkabelung wiederhergestellt – hat das Gehirn die Möglichkeit,
sich selbst „wieder in Ordnung zu bringen“.
Wenn es uns gelingt, diese Prozesse zu
fördern, dürfen wir hoffen, Patienten mit Rükkenmarks- oder Kopfverletzungen heilen zu
können.
Verfahren, um die Degeneration des Nervensystems aufzuhalten oder ihr vorzubeugen. Viele Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Huntington und ALS sind die Folge
einer Degeneration spezifischer NervenzellPopulationen in bestimmten Hirnbereichen.
Die heutigen Behandlungsmethoden beeinflussen zwar die Symptome einer Krankheit
wie Parkinson, nicht aber den fortschreitenden Untergang der Nervenzellen. Techniken,
die auf unseren Kenntnissen der Mechanismen
des Zelltods aufbauen, werden vermutlich zu
Methoden führen, die die Degeneration von
Nervenzellen verhindern und damit ein Fortschreiten der Krankheit aufhalten können.
Verfahren, um die Expression von Genen
im Gehirn zu verändern. Es ist möglich, die
Wirkung bestimmter Gene im Gehirn von
Versuchstieren entweder zu verstärken oder
zen Chemie erlauben es Forschenden, neue
Pharmaka in einem nie zuvor gekannten Ausmass hervorzubringen, von welchen viele in
der klinischen Anwendung von beträchtlichem Nutzen sein könnten. Die Entwicklung
neuer, rascher Screening-Verfahren, die auf
„Gen-Chips“ und anderen hochentwickelten
Techniken beruhen, werden in gewissen Fällen das Zeitintervall zwischen der Entdeckung
einer neuen Substanz und ihrer klinischen
Erprobung von mehreren Jahren auf einige
Monate reduzieren.
Stelle Dir eine Welt vor ...
zu blockieren. Mutierte Gene von Menschen,
die neurologische Krankheiten wie Huntington und ALS verursachen, werden bei Versuchstieren eingesetzt, um die Entwicklung
neuer Therapien zur Prävention der Neurodegeneration voranzutreiben. Solche Techniken
haben uns bereits wertvolle Informationen
über normale Vorgänge wie die Entwicklung
des Gehirns, Lernen und die Bildung neuer
Erinnerungen vermittelt. Diese Techniken bieten uns die Möglichkeit, normale und abnorme Hirnprozesse wesentlich intensiver als je
zuvor zu untersuchen; sie werden wohl mit der
Zeit auch klinisch zur Behandlung verschiedener Hirnkrankheiten angewendet werden.
Verbesserte bildgebende Verfahren. Die Abbildungen sowohl der Hirnstrukturen wie
auch der Hirnfunktionen wurden stark verbessert. Dank der Entwicklung von Verfahren, die Hirnfunktionen ebenso rasch und
genau abbilden wie sie stattfinden, sind
„Echtzeit“-Abbildungen von Hirnfunktionen
möglich geworden. Diese Techniken erlauben es den Forschenden genau zu verfolgen,
welche Teile des Gehirns am Denken, Lernen
und Erleben von Emotionen beteiligt sind.
Elektronische Hilfsmittel als Ersatz für nicht
funktionstüchtige Hirnbahnen. Mit der Zeit
wird es wohl möglich sein, verletzte Hirnbahnen zu umgehen. Wir hoffen, dass die Verwendung von Multielektroden-Implantaten
und Mikro-Computer-Vorrichtungen – welche die Aktivität im Gehirn aufzeichnen und
in Signale übersetzen, die ans Rückenmark,
an die motorischen Nerven oder direkt an die
Muskeln weitergeleitet werden – uns so weit
bringen wird, dass Verletzte auf die Wiederherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit hoffen
dürfen.
Neuartige Methoden um Heilmittel zu entdecken. Fortschritte der strukturellen Biologie,
der Genomforschung und der rechnergestüt-
123
Members of EDAB
AGID Yves Hôpital de la Salpêtrière, Paris, France
AGUZZI Adriano University of Zurich, Switzerland
CHERNISHEVA Marina University of St Petersburg,
Russia
ANTUNES João Lobo University of Lisbon, Portugal
CHVATAL Alexandr Institute of Experimental
Medicine ASCR, Prague, Czech Republic
AUNIS Dominque INSERM Strasbourg, France
CLARAC François CNRS, Marseille, France
AVENDAÑO Carlos University of Madrid, Spain
CLEMENTI Francesco University of Milan, Italy
ANDERSEN Per University of Oslo, Norway
BADDELEY Alan University of York, UK
BARDE Yves-Alain University of Basel, Switzerland
BELMONTE Carlos Instituto de Neurosciencias,
Alicante, Spain.
BENABID Alim-Louis INSERM and Joseph Fourier
University of Grenoble, France
BEN-ARI Yehezkel INSERM-INMED, Marseille,
France
COLLINGRIDGE Graham University of Bristol, UK;
President of the British Neuroscience Association
CUÉNOD Michel University of Lausanne,
Switzerland
CULIC Milka University of Belgrade, Yugoslavia
DAVIES Kay University of Oxford, UK
DEHAENE Stanislas INSERM, Paris, France
BERGER Michael University of Vienna, Austria
DELGADO-GARCIA José Maria Universidad
Pablo de Olavide, Seville, Spain; President of the
Spanish Neuroscience Society
BERLUCCHI Giovanni Università degli Studi di
Verona, Italy
DICHGANS Johannes University of Tübingen,
Germany
BERNARDI Giorgio University Tor Vergata-Roma,
Italy
DOLAN Ray University College, London, UK
BENFENATI Fabio University of Genova, Italy
BERTHOZ Alain Collège de France, Paris, France
BEYREUTHER Konrad University of Heidelberg,
Germany
BJÖRKLUND Anders Lund University, Sweden
BLAKEMORE Colin Medical Research Council, UK
BOCKAERT Joel CNRS, Montpellier, France
BORBÉLY Alexander University of Zurich,
Switzerland
DUDAI Yadin Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
ELEKES Károly Hungarian Academy of Sciences,
Tihany, Hungary; President of the Hungarian
Neuroscience Society
ESEN Ferhan Osmangazi University, Eskisehir,
Turkey
EYSEL Ulf Ruhr-Universität Bochum, Germany
BRANDT Thomas University of Munich, Germany
BRUNDIN Patrik Lund University, Sweden
FERRUS Alberto Instituto Cajal, Madrid, Spain
BUDKA Herbert University of Vienna, Austria
FIESCHI Cesare University of Rome, Italy
BUREŠ Jan Academy of Sciences, Czech Republic
FOSTER Russell University of Oxford, UK
BYSTRON Irina University of St Petersburg, Russia
FRACKOWIAK Richard University College
London, UK
CARLSSON Arvid University of Gothenburg,
Sweden
FREUND Hans-Joachim University of Düsseldorf,
Germany
CATTANEO Elena University of Milan, Italy
FREUND Tamás University of Budapest, Hungary
CHANGEUX Jean-Pierre Institut Pasteur, Paris,
France
FRITSCHY Jean-Marc University of Zurich,
Switzerland
GARCIA-SEGURA Luis Instituto Cajal, Madrid,
Spain
KERSCHBAUM Hubert University of Salzburg,
Austria
GISPEN Willem University of Utrecht,
The Netherlands
KETTENMANN Helmut Max-Delbrück-Centre for
Molecular Medicine, Berlin, Germany
GJEDDE Albert Aarhus University Hospital,
Denmark
KORTE Martin Technical University Braunschweig,
Germany
GLOWINSKI Jacques Collège de France, Paris,
France
KOSSUT Malgorzata Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland
GREENFIELD Susan The Royal Institution of Great
Britain, London, UK
KOUVELAS Elias University of Patras, Greece
GRIGOREV Igor Institute of Experimental Medicine,
St Petersburg, Russia
GRILLNER Sten Karolinska Institute, Stockholm,
Sweden
KRISHTAL Oleg Bogomoletz Institute of
Physiology, Kiev, Ukraine
LANDIS Theodor University Hospital Geneva,
Switzerland
LANNFELT Lars University of Uppsala, Sweden
HARI Riitta Helsinki University of Technology,
Espoo, Finland
LAURITZEN Martin University of Copenhagen,
Denmark
HARIRI Nuran University of Ege, Izmir, Turkey;
President of the Turkish Neuroscience Society
LERMA Juan Instituto de Neurociencias,
CSIC-UMH, Alicante, Spain
HERMANN Anton University of Salzburg, Austria
LEVELT Willem Max-Planck-Institute for
Psycholinguistics, Nijmegen, The Netherlands
HERSCHKOWITZ Norbert University of Bern,
Switzerland
HIRSCH Etienne Hôpital de la Salpêtrière, Paris,
France
HOLSBOER Florian Max-Planck-Institute of
Psychiatry, Munich, Germany
HOLZER Peter University of Graz, Austria
HUXLEY Sir Andrew University of Cambridge, UK
INNOCENTI Giorgio Karolinska Institute,
Stockholm, Sweden
IVERSEN Leslie University of Oxford, UK
IVERSEN Susan University of Oxford, UK
JACK Julian University of Oxford, UK
JEANNEROD Marc Institut des Sciences Cognitives,
Bron, France
LEVI-MONTALCINI Rita EBRI, Rome, Italy
LIMA Deolinda University of Porto, Portugal
LOPEZ-BARNEO José University of Seville, Spain
MAGISTRETTI Pierre University of Lausanne,
Switzerland
MALACH Rafael Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
MARIN Oscar Universidad Miguel HernandezCSIC, Spain
MATTHEWS Paul University of Oxford, UK
MEHLER Jacques SISSA, Trieste, Italy
MELAMED Eldad Tel Aviv University, Israel
MONYER Hannah University Hospital of
Neurology, Heidelberg, Germany
JOHANSSON Barbro Lund University, Sweden
MORRIS Richard University of Edinburgh,
Scotland; President, Federation of European
Neuroscience Societies
KACZMAREK Leszek Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland.
MOSER Edvard Norwegian University of Science
and Technology, Trondheim, Norway
KASTE Markku University of Helsinki, Finland
KATO Ann Centre Médical Universitaire, Geneva,
Switzerland
NALECZ Katarzyna Nencki Institute of Experimental
Biology, Warsaw, Poland
KENNARD Christopher Imperial College School
of Medicine, London, UK
NEHER Erwin Max-Planck-Institute for Biophysical
Chemistry, Göttingen, Germany
NIETO-SAMPEDRO Manuel Instituto Cajal,
Madrid, Spain
SINGER Wolf Max-Planck-Institute for Brain
Research, Frankfurt, Germany
NOZDRACHEV Alexander State University of
St Petersburg, Russia
SMITH David University of Oxford, UK
OERTEL Wolfgang Philipps-University, Marburg,
Germany
STEWART Michael The Open University, UK
OLESEN Jes Glostrup Hospital, Copenhagen,
Denmark; Chairman, European Brain Council
ORBAN Guy Catholic University of Leuven, Belgium
PÁRDUCZ Árpád Hungarian Academy of Sciences,
Szeged, Hungary
PEKER Gonul University of Ege Medical School,
Izmir, Turkey; President, Turkish Neuroscience Society
PETIT Christine Institut Pasteur & Collège de
France, Paris, France
POCHET Roland Université Libre de Bruxelles,
Belgium
POEWE Werner Universitätsklinik für Neurologie,
Innsbruck, Austria
POULAIN Dominique Université Victor Segalen,
Bordeaux, France; President, French Neuroscience
Society
PROCHIANTZ Alain CNRS and Ecole Normale
Supérieure, Paris, France
PYZA Elzbieta Jagiellonian University, Krakow,
Poland
SPERK Günther University of Innsbruck, Austria
STOERIG Petra Heinrich-Heine University,
Düsseldorf, Germany
STRATA Pierogiorgio University of Turin, Italy
SYKOVA Eva Institute of Experimental Medicine
ASCR, Prague, Czech Republic
THOENEN Hans Max-Planck-Institute for
Psychiatry, Martinsried, Germany
TOLDI József University of Szeged, Hungary
TOLOSA Eduardo University of Barcelona, Spain
TSAGARELI Merab Beritashvili Institute of
Physiology, Tblisi, Republic of Georgia
VETULANI Jerzy Institute of Pharmacology,
Krakow, Poland
VIZI Sylvester Hungarian Academy of Sciences,
Budapest, Hungary
WALTON John Lord of Detchant University of
Oxford, UK
WINKLER Hans Austrian Academy of Sciences,
Innsbruck, Austria
RAFF Martin University College London, UK
RAISMAN Geoffrey Institute of Neurology,
University College London, UK
RIBEIRO Joaquim Alexandre University of
Lisbon, Portugal
ZEKI Semir University College London, UK
ZILLES Karl Heinrich-Heine-University, Düsseldorf,
Germany
RIZZOLATTI Giacomo University of Parma, Italy
ROSE Steven The Open University, UK
ROTHWELL Dame Nancy University of
Manchester, UK
RUTTER Sir Michael King’s College London, UK
BAW Term Members
AZOUZ Rony Ben-Gurion University of the Negev,
Israel
BATTAGLINI Paolo University of Trieste, Italy
SAKMANN Bert Max-Planck-Institute for Medical
Research, Heidelberg, Germany
SCHWAB Martin University of Zurich, Switzerland
CASTRO LOPES José University of Porto, Portugal
CLARKE Stephanie University of Lausanne,
Switzerland; President, Swiss Society of Neuroscience
SEGAL Menahem Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
DEXTER David Imperial College, London, UK
SEGEV Idan Hebrew University, Jerusalem, Israel
DE ZEEUW Chris Department of Neuroscience,
Erasmus MC, Rotterdam, The Netherlands
SHALLICE Tim University College London, UK
DIETRICHS Espen University of Oslo, Norway
GRAUER Ettie Israel Institute of Biological
Research, Israel
HAGOORT Peter F.C. Donders Centre for
Cognitive Neuroimaging, The Netherlands
LYTHGOE Mark University College London, UK
MALVA João University of Coimbra, Portugal
MOHORKO Nina University of Ljubljana, Slovenia
MOLDOVAN Mihai The Panum Institute, University
of Copenhagen, Denmark
NALEPA Irena Polish Academy of Sciences,
Warsaw, Poland
HUCHO Ferdinand Freie Universität Berlin,
Germany; President, European Society for
Neurochemistry
JOËLS Marian University of Amsterdam, The
Netherlands; President, The Dutch Neurofederation
KHECHINASHVILI Simon Beritsashvili Institute
of Physiology, Tblisi, Republic of Georgia; President,
Georgian Neuroscience Association
KOSTOVIC Ivica Institute for Brain Research,
Zagreb, Croatia; President, Croatian Society for
Neuroscience
REPOVS Grega Washington University, St Louis,
USA
MENDLEWICZ Julien ULB Erasme Hospital,
Brussels, Belgium; President, European College of
Neuropsycopharmacology
SKALIORA Irini Biomedical Research Foundation
of the Academy of Athens, Greece
PITKÄNEN Asla University of Kuopio, Finland;
FENS Secretary General
STAMATAKIS Antonis University of Athens,
Greece
STOOP Ron University of Lausanne, Switzerland
PRZEWLOCKI Ryszard Polish Academy of
Sciences, Krakow, Poland; President, Polish
Neuroscience Society
ZAGREAN Ana-Maria Carol Davila University of
Medicine and Pharmacy, Bucharest, Romania
ROTSHENKER Shlomo The Hebrew University of
Jerusalem; President, Israel Society of Neuroscience
ZAGRODZKA Jolanta Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland
SAGVOLDEN Terje University of Oslo, Norway;
President, Norwegian Neuroscience Society
Federation of European Neuroscience
Societies Presidents
BÄHR Mathias University Hospital Göttingen,
Germany; President, German Neuroscience Society
BARTH Friedrich G. Austrian Academy of
Sciences, Austria; President, Austrian Neuroscience
Society
STENBERG Tarja Institute of Biomedicine/
Physiology Biomedicum, Helsinki, Finland; President,
Finnish Brain Research Society
STYLIANOPOULOU Fotini University of Athens,
Greece; President, Hellenic Society for Neuroscience
SYKA Josef Academy of Sciences, Prague, Czech
Republic; President, Czech Neuroscience Society
ZAGREAN Leon Carol Davila University of
Medicine, Bucharest, Romania; President, National
Neuroscience Society of Romania
BOER Gerard Netherlands Institute for Brain
Research, The Netherlands; President, Dutch
Neurofederation
BRESJANAC Marja Institute of Pathophysiology,
Ljubljana, Slovenia; President, Slovenian
Neuroscience Association (SINAPSA)
DE OLIVEIRA Catarina Resende University of
Coimbra, Portugal; President, Portuguese Society for
Neuroscience
DE SCHUTTER Erik University of Antwerp,
Belgium; President, Belgian Society for Neuroscience
DI CHIARA Gaetano University of Cagliari, Italy;
President, Italian Society for Neuroscience (SINS)
FRANDSEN Aase Copenhagen University Hospital,
Denmark; President, Danish Society for Neuroscience
January 2007
A Dana Alliance for the Brain Inc Publication prepared by EDAB,
the European subsidiary of DABI
Gedruckt in der Schweiz 6.2007
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