Gehirnleistung und sportliche Betätigung – Thesen und Schlussfolgerungen. Eva-Maria Götz & Dr. Matthias Zimmermann: „Übe unablässig den Leib, mache ihn kräftig und gesund, um ihn weise und vernünftig zu machen“ (Rousseau 1778) Lernvermögen positiv beeinflusst und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Durchblutungsstörungen wächst. In den letzten Jahren war die Wissenschaft immer häufiger bestrebt, mögliche Zusammenhänge zwischen sportlicher Aktivität und der Gehirnleistung bei Menschen aufzuzeigen. Wer kennt es nicht: das hilfreiche Auf- und Abgehen oder das laute Vorsprechen beim Einprägen neuer Vokabeln, die bessere Erinnerung an einen Vortrag durch das bloße Mitnotieren von Inhalten, die spontanen, kreativen Ideen beim Spazieren gehen oder beim Joggen. Oder die bessere Speicherung eines Lernstoffes durch Gestik und Mimik. Der Reifungsprozess der Hirnareale dauert ca. bis zum 17. Lebensjahr. Der Grund für diese lange Entwicklungsdauer ist v. a. die Einreifung des Botenstoffes Dopamin. Dopamin veranlasst die Umstrukturierung des neuronalen Netzes des Stirnhirns durch Bildung synaptischer Kontakte (Verbindungen zwischen den Neuronen). Somit sind Lernprozesse von entsprechenden Aktivitäten abhängig. Beispiele wie diese lassen die Vermutung aufkommen, dass bei Verarbeitungs-, Lern- und Erinnerungsvorgängen eine Beteiligung der motorischen Zentren im Gehirn positive Auswirkungen hat. Dieses Phänomen wird mit der doppelten Kodierung der Lerninhalte, also die motorische und kognitive Verarbeitung, erklärt. Genutzt wird dieses Zusammenspiel unter anderem auch für therapeutische Zwecke, z. B. zur Überwindung von Lern- und Sprachschwierigkeiten. Stand der Forschung Der Stand der Forschung im Hinblick auf die Beziehung zwischen Gehirn und körperlicher Aktivität ist vergleichbar mit dem, den die Wissenschaft vor 40 Jahren bezüglich. des Zusammenhanges zwischen Herz-Kreislaufsystem und Bewegung hatte. Die erheblichen Erkenntnisfortschritte in den vergangenen Jahren sind auf die Entwicklung nicht invasiver, Bild gebender Verfahren PET (Positronen-Emissions-Tomographie) und fMRT (funktionale Magnetresonanztomographie) zurück zu führen. Damit können Einflüsse von Bewegungen auf das menschliche Gehirn „sichtbar“ gemacht werden. Regionale hämodynamische und metabolische Gehirnreaktionen, also Veränderungen wie z.B. eine erhöhte regionale Durchblutung oder eine veränderte Konzentration an Stoffwechselprodukten werden transparent. Alle Funktionsabläufe und aktuellen Zustände des Körpers stehen im Zusammenhang mit dem Gehirn: Muskelaktivität, Enzymhaushalt, Botenstoff-Konzentrationen usw. sind Basis für Denk- und Lernvorgänge. Dabei arbeiten unterschiedlichen Gehirnregionen nicht unabhängig voneinander. Sensorische Signale aktivieren den motorischen Kortex sowie sensorische und motorische Assoziationsfelder. Unabhängig von äußerlich wahrnehmbaren Bewegungen ist das motorische Regelsystem ständig aktiv. Es finden Rückkoppelungen statt, die bislang wenig erforscht sind. Das zerebrale Nervenzellnetzwerk besitzt zudem die Fähigkeit, Kontakte zwischen den Nervenzellen verändern zu können. Somit kann es auf eingehende Reize sehr flexibel reagieren. Neurowissenschaftler bezeichnen diesen Vorgang als Plastizität. Insgesamt hat der Mensch rund 100 Milliarden Neuronen. Jede dieser Neuronen kann rund 10.000 Verbindungsstellen/ Synapsen mit anderen Nervenzellen herstellen. Dies hat neuroprodektive Bedeutung für das Überleben der Neuronen. Zusätzlich wird hierdurch das Das menschliche Gehirn: Auswirkungen von Bewegung Bewegungsmangel stört nicht nur in den ersten Entwicklungsjahren, sondern auch noch im Erwachsenenalter diese lernnotwendige Synapsenbildung erheblich. Durch Sport erhöht sich zudem erwiesenermaßen die Anzahl der Dopaminrezeptoren, was eine verbesserte und effektivere Gehirnleistung mit sich bringt. Bei Bewegung verändert sich die Durchblutung in den betroffenen Gehirnregionen. Untersuchungen mit einer Fahrradergometerbelastung von nur 25 Watt ergaben signifikante Durchblutungssteigerungen in verschiedenen Gehirnregionen. Im Mittel konnten Zuwächse von 20% beobachtet werden. Erstaunlich ist, dass unsere Hände nur ca. 2% der Körpermasse bilden, jedoch auf 60% der Großhirnrinde repräsentiert sind. Folglich können Fingerbewegungen analog zum Klavierspielen in fast 60% der Großhirnfläche Durchblutungssteigerungen von 20 – 30% bewirken. Ausdauersportler kennen das Gefühl des Flows. Man läuft und läuft und im Verlauf der Belastung kommt es zu einem drogenähnlichen Glücksgefühl. Ursache ist die durch die motorische Belastung verursachte Ausschüttung des Botenstoffs Serotonin. Im Gegenspielerprinzip mit Dopamin aktiviert es die Bildung synaptischer Verbindungen. Bemerkenswert sind aktuelle Forschungserkenntnisse, wonach sogar neue Gehirnzellen gebildet werden (Neurogenese). Altersbedingte Gehirnveränderungen und körperliche Aktivität Im Kindesalter fördert koordinative Beanspruchung nicht nur die Synapsenbildung. Auch der Überschuss an vorhandenen Gehirnneuronen bleibt erhalten. Studien ergaben, dass Kinder, die bei koordinativen Tests gut abschnitten, bei Konzentrationstests positivere Ergebnisse erzielten. Gleichzeitig war ihre Lernbereitschaft und ihre Motivation erhöht und sie zeigten seltener aggressives Verhalten. Bei Erwachsenen kann der Verlust von präfrontalen und temporalen Gehirngewebe durch sportliche Aktivität verringert werden. Diese beiden Regionen sind für unser Kurzzeitgedächtnis verantwortlich. Gleichzeitig führt Bewegung zu einer Plastizitätsförderung. Untersuchungen ergaben, dass Ältere bei gleicher geistiger Leistung größere Gehirnareale aktivieren. Die Probanden jedoch, die über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr 2 bis 3 Mal pro Woche längere Bewegungseinheiten (Minimum 45min, Spaziergänge oder Wandern) betrieben haben, wiesen bei der Aktivierung deutlich geringere Unterschiede zu 20 Jahre jüngeren Versuchspersonen, die keinen Ausdauersport betrieben, auf. Des Weiteren ist die Anzahl an Alzheimererkrankungen bei sportlich Aktiveren geringer als bei Unsportlichen Dabei stellen neuere Ansätze der Forschung auf die so genannte Neurogenese ab. Entgegen althergebrachten Theorien vom „statischen Gehirn“ konnte nachgewiesen werden, dass aus so genannten neuronalen Vorläuferzellen im Hippocampus tatsächlich neue Neuronen gebildet werden, die darüber hinaus besonders aktiv sind. Die zentrale Voraussetzung hierfür: interessante, abwechslungsreiche und intensive Reize durch körperliche und geistige Aktivität! Fazit: Ähnlich dem Herzkreislaufsystem wirkt sich körperliche Bewegung auch auf das menschliche Gehirn positiv aus. Der Zusammenhang zwischen geistiger und körperlicher Lern- und Leistungsfähigkeit hat enorme Bedeutung für die Lebensführung im Kindes- und Jugendalter. Mindestens so bedeutsam aber ist ein aktiver Lebensstil gerade für älter werdende. So werden degenerative Hirnveränderungen (beispielsweise bei Alzheimer oder Parkinson) verlangsamt oder durch Neurogenese und Synapsenbildung kompensiert. Insbesondere die Neurogeneseforschung lässt Hinweise auf die qualitative Gestaltung sportlicher Aktivität im Hinblick auf die Forschung der Hirnleistung erwarten. Gesundheitsorientiertes Fitnesstraining auch in hohem Alter erfährt damit eine völlig neue Dimension. Die Verantwortung von Trainerinnen und Trainern erweitert sich um einen wesentlichen Aspekt. Darauf wird die Qualifikation von Lehrern und Trainern künftig verstärkt auszurichten sein. 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