SNTZ-Saarbruecker-Zeitung

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KULTUR
MITTWOCH, 22. JANUAR 2014
NR. 18
SEITE B5
Filmfestival Max Ophüls Preis
Heute schauen wir auf die Wettbewerbe des Festivals, die gestern begonnen haben: Die Spielfilmkonkurrenz
bietet vier neue Filme, dazu ein Überblick der Kurzfilme und der Dokumentationen, die um die ganze Welt führen.
Tod, Trauer und irre Typen
im Kurzfilm-Wettbewerb
Als eines der Herzstücke des Festivals gilt der Kurzfilm-Wettbewerb. Hier zeigen die Regisseure
von morgen ihre ersten Arbeiten.
In diesem Jahr sind 27 Werke dabei, über sechseinhalb Stunden
Programm mit vielen unterschiedlichen Themen.
Von SZ-Redakteur
Thomas Reinhardt
Saarbrücken. Sie heißen „Dornröschen“ oder „Schneeglöckchen“ – das klingt märchenhaft
und weckt bestimmte Erwartungen. Doch Vorsicht: Im Kurzfilmwettbewerb des Ophüls-Preises
geht’s meist nicht kuschelig zu, da
wartet so manche Überraschung.
Viel harte Kost steht auf dem
Programm des Festivals. Die jungen Regisseurinnen und Regisseure beschäftigen sich in der
Mehrzahl mit ernsten, oft sogar
todernsten Themen. In „Dornröschen“ von Maria Hilbert und
Svenja Baumgärtner geht es um
das heikle Thema Sterbehilfe. Da
überlegt eine verzweifelte Mutter, ob sie ihrer im Koma liegenden Tochter die lebenserhaltenden Geräte abschalten soll. Doch
die Tochter wehrt sich.
„Schneeglöckchen“ hat Jenny
Gand ihren Film über Flüchtlinge genannt, die aus Osteuropa
den Weg in den Westen suchen –
und dabei nicht selten in den tief
verschneiten Wäldern buchstäblich auf der Strecke bleiben. Im
Frühjahr werden an der EU-Außengrenze zwischen der Ukraine
und der Slowakei regelmäßig die
Leichen erforener Flüchtlinge
entdeckt – im Volksmund heißen
sie „Schneeglöckchen“.
Um den Tod eines geliebten
Menschen, um Trauer und Bewältigung geht es auch in Viviane
Andereggens grotesk-verspielten
Sieben-Minuten-Beitrag
„Für
Eine Szene aus „Linnea“ von Sven
Gielnik. FOTO: MOP
Lotte“. Und in „Alter Egon“ von
Levin Hübner sorgt ausgerechnet
der Tod der Mutter dafür, dass
Vater Egon und Sohn Olaf mal
wieder miteinander ins Gespräch
kommen. Ein feiner Film mit
schönen Bildern ist Sven Gielnik
mit „Linnea“ gelungen: Linnea
und ihre Eltern trauern über den
Unfalltod von Clara, der älteren
Schwester. Über dessen Umstände weiß Linnea viel mehr, als die
Eltern ahnen.
Womit wir auch schon bei dramatischen Familiengeschichten
sind: In „Dünnes Eis“ von Anne
Chlosta entdeckt ein Mann, dass
sein vor kurzem verstorbener
Bruder pädophil war. Als er ein
Missbrauchs-Opfer darauf hin
anspricht, kommt es zur Katastrophe. Ein starker, aufwühlender Film. Das gilt auch für „Wo
wir sind“ von Ilker Catak, in dem
eine drogenabhängige Mutter,
der das Sorgerecht entzogen wurde, ihre Tochter mit Gewalt zurückzuholen will. „Von Hunden
und Löwen“ von Kristine Nrecaj
schildert eindringlich das Dilemma des Albaners Bashkim. Der
lebt in Deutschland, hat eine Frau
und einen Sohn, doch als sein Vater stirbt, ist es dessen letzter
Wunsch, dass sich Bashkim
scheiden lässt und eine albanische Frau heiratet.
Die meisten der 27 Beiträge im
Kurzfilm-Wettbewerb sind von
der Machart her nicht besonders
aufregend. Man wolle insbesondere „innovative Tendenzen“ fördern, hatte Festivalleiterin Gabriella Bandel angekündigt. Nun,
zumindest in einigen Kurzfilmen
sind die erfreulicherweise vorhanden. So legt Robert Gwisdek
mit „Circuit“ ein originelles Experiment um das außergewöhnliche Dilemma eines Elektrikers
vor. Und mit „Lothar“ vom
Schweizer Luca Zuberbühler ist
eine witzige Groteske mit einer
eindeutigen Aussage im Programm: Niesen macht einsam.
Stilistisch interessant gemacht
sind auch „Tauchä“ von Dominik
Locher und vor allem „Impuls“
von Igor Plischke, die beide von
Jugendlichen, Frustration und
Gewalt handeln – und dies mit
wilden, drastischen Bildern umsetzen. In meinem Lieblingsfilm
geht’s a auch nicht zimperlich zu:
„Kosherland“ von Pyotr Magnus
Nedov ist eine lakonischschwarzhumorige Geschichte aus
Lettland mit irren Typen – die
könnte glatt von den Coen-Brüdern oder Tarantino stammen.
Saarbrücken. Die Saarland Medien GmbH lädt am Freitag zu einer Diskussion über die „Zusammenarbeit und Filmfinanzierung
in der Großregion Saarlorlux“. Es
diskutieren Gerd Bauer (Geschäftsführer der Saarland Medien), André Sommerlatte (Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgien), Guy
Daleiden (Direktor des Media
Desk Luxembourg) und Bertrand
Masson (Regionaler Kulturbeauftragter der Region Lorraine).
Peter Dinges (Filmförderungsanstalt FFA) moderiert das Gespräch.
red
쐌 Fr, 16 Uhr, Domicil Leidinger.
Freunde, Feinde, Astronauten
Vier Produktionen laufen heute erstmals im Spielfilmwettbewerb
Von SZ-Redakteur
Tobias Kessler
E
s ist ein guter Wettbewerbstag der meist
dunkleren Themen und
der ambitionierten Umsetzung: „Viktoria – A tale of grace
and greed“ führt uns von Budapest auf den Straßenstrich in Zürich. Dort schafft die junge Viktoria an; zuhause hat sie keine Perspektive, in der Schweiz verdient
sie wenigstens Geld – oder wie es
ihr Zuhälter in einem seiner netteren Momente ausdrückt: „Ich
weiß, dass es schwer ist. Aber
Kloputzen ist auch schwer.“ Der
Schweizer Regisseur und Co-Autor Men Lareida erzählt in seinem Langfilmdebüt von Selbstbehauptung, Würde und vom
drohenden Zerbrechen. Die eigentliche Geschichte birgt keine
großen Überraschungen – aber
Lareida und sein vorzüglicher
Kameramann Marco Barberi erzählen packend: Auf dem Straßenstrich verschwimmen die
Lichter der Autos auf Beutefahrt
zu abstrakten Lichtflecken, vor
denen sich die zunehmend leblosen Gesichter der Prostituierten
abzeichnen. Mareida führt seine
Darsteller zu natürlichen, schonungslosen Darstellungen, eine
nahezu dokumentarische Atmosphäre stellt sich ein – ein sehr
vielversprechendes Debüt. (Heute 19.30 Uhr, Cinestar 1; Do 10
Uhr, CS 3; Fr 12.30 Uhr, CS 3; So
18 Uhr, CS 3).
Ebenfalls in die Halb- und Unterwelt führt das Langfilmdebüt
von Numan Acar, der bisher als
Schauspieler gearbeitet hat („Kokowääh“, Ophüls-Gewinner „Ein
Augenblick Freiheit“). „Vergrabene Stimmen“ hat er geschrieben,
inszeniert und unabhängig produziert. Kaan (Acar) kommt acht
Jahre nach einem sogannten Ehrenmord aus dem Gefängnis frei,
rückt aber nicht vor bis auf Los,
sondern versinkt im großen
Nichts. Die Mutter ist tot, der Vater will nichts von ihm wissen, die
Fast-Freunde (die ihn nie besuchten) machen das, was sie immer gemacht haben – nichts.
Oder geben sich als Gangster und
sind nur Laufburschen. Kaan
rutscht ab, arbeitet für eine Unterweltgröße. Es mag im Film
manchmal in der Dramaturgie
knirschen, wenn sich düstere Milieuzeichnungen an künstlich
überhöht wirkenden Szenen
(manchmal rückwärts) reiben;
aber es nötigt Respekt ab, wie
konsequent und mutig Acar seine
Figur in die Finsternis schickt.
Gangstermilieu,
Pseudo-Männerfreundschaften – dies alles
wird entmystifiziert, bis nichts
mehr bleibt. (Heute 22.15 Uhr,
CS 1; Do 19.45, CS 4; Fr 10 Uhr,
FH; So 15 Uhr, CS 2).
Stilistisch das Gegenteil von
der düsteren Milieuzeichnung ist
„Die Geschichte vom Astronauten“, das Debüt von Godehard
Giese (auch Buch und eine Rolle
im Film). Ein Schriftstellerin arbeitet auf einer Mittelmeerinsel
an einem neuen Buch, beobachtet ihre Nachbarn und freundet
sich mit einer älteren Dame an,
die ihr eine tragische Liebesgeschichte erzählt – die ihrer eigenen zu ähneln scheint. Ganz sicher kann man sich nicht sein,
denn der Film erzählt mit Leerstellen, verrätselt, bisweilen
spröde, die Dialoge klingen merkwürdig entrückt, und die Menschen wirken so verlassen wie das
nie fertig gebaute, vor sich hin
bröckelnde Hotel, das die Hauptfigur auf Sinnsuche gerne durchwandert. Ein sperriges, ehrgeiziges, willkommenes Stück Kino.
(Heute 22.30 Uhr, CS 3; Do 20.30
Uhr, FH; Fr 17.15 Uhr, CS1; So
12.15 Uhr, FH).
Leichter und luftiger kommt da
Ivana Lalovics Debüt „Sitting
next to Zoe“ daher. Die Freundinnen Zoe und Asal haben jeder einen Wunsch: die eine will in Paris
eine gefeierte Visagistin werden,
die andere ihre Jungfräulichkeit
verlieren. Als zumindest der letztere Wunsch erfüllt wird, strapaziert das die Freundschaft. Manches mag hier etwas schematisch
angelegt sein, und manche Figuren kommen einem irgendwie
bekannt vor: die blonde gutherzige Pummelige, die Migrantin mit
strengen Eltern, der neue Stiefvater, der sich in die Erziehung einmischt, der potente Schönling auf
der Durchreise. Aber Lalovic erzählt mit viel Herz, sehr guten
Darstellern und geschickt eingesetzter Popmusik von den großen
Träumen der Jugend – auch von
ihrer zwangsweisen Angleichung
an die Realität und den Verletzungen, die man sich dabei zuzieht oder anderen zufügt. Ein
gelungener, bittersüßer Film.
(Heute 19.45 Uhr, Cinestar 4;
Donnerstag 11 Uhr, CS 2; Freitag
15.30 CS2 ; Sonntag 20 Uhr, CS 4).
Jamaika, Kanada, Tansania, Westjordanland und zwei Mal Indien: Ein erster Blick auf den Ophüls-Dokumentarfilm-Wettbewerb
Er gleicht einer Rundreise zu den
entlegendsten Winkeln der Erde,
der diesjährige Ophüls-Dokumentarfilm-Wettbewerb. Wir stellen
sechs Filme vor, die uns von Indien
über den Kilimandscharo bis in die
Weiten Nord-Kanadas führen.
Von SZ-Redakteur
Johannes Kloth
Diskussion:
Filmfinanzierung
in der Großregion
FOTO: LANGFILM
Geschichten vom anderen Ende der Welt
SR-„Tatort“ hat am
Freitag Uraufführung
Saarbrücken. „Adams Alptraum“,
der dritte „Tatort“ des SR mit Devid Striesow, erlebt am Freitag
seine
Uraufführung
beim
Ophüls-Festival: am Freitag, 22
Uhr, im Cinestar 1. Am Sonntag
läuft der Krimi von Hannu Salonen dann um 20.15 Uhr in der
ARD. > Kritik auf Seite A 10. red
Freundinnen fürs Leben? Durchaus möglich. Asal (Lea Bloch, links) und Zoe (Runa Greiner) in „Sitting next to Zoe”.
Ist der Ophüls-DokumentarfilmWettbewerb ein Seismograf für
das Genre, so kann man sagen:
Länder- und Sprach-Grenzen
spielen für junge Filmemacher
keine Rolle mehr. Manch einer
reiste ans andere Ende der Welt –
und kam mit einer spannenden
Geschichte zurück.
Zum Beispiel Clara Trischler:
In „Das erste Meer“ erzählt sie
vom Projekt einer israelischen
Friedensorganisation, das es palästinensischen Kindern in der
Westbank ermöglicht, die Sperranlagen zu überwinden, um einen Tagesausflug ans Meer zu
machen. Trischler zeigt, welch
emotionale Wallungen ein solches Projekt hervorruft – ohne
sich mit einer Seite zu verbrüdern. Israelische Zeitungen beschimpfen die Organisatoren als
linke Quertreiber, Eltern verweigern ihren Kindern die Teilnahme an Projekten der „Besatzer“.
Mit der Nüchternheit einer Journalistin dokumentiert der Film
einen Konflikt in seiner ganzen
Härte und Unerbittlichkeit. (Do
17 Uhr, CS 5; Fr 12.30 Uhr, CS 2;
Sa 15.45 Uhr, CS 5)
Leben schenken, um zu (über-)
leben – auf diese Formel lässt sich
das zynische Geschäftsprinzip
bringen, von dem „Ma na sapna –
a mother’s dream“ handelt. Valerie Gudenus hat die Schwangerschaft junger indischer Frauen
begleitet, die als Leihmütter die
Babys fremder Paare zur Welt
bringen. Neun Monate verbringen die werdenden Mütter getrennt von eigenen Kindern, zusammengepfercht in schäbigen
Klinikräumen. Die einfühlsamen
Porträts zeigen Frauen, die gesellschaftliche Ächtung in Kauf
nehmen, in der vagen Hoffnung,
der Armut entkommen zu können. Die Kamera ist sogar dabei,
als ein Kind geboren wird, zeigt
den Kampf der Mutter mit ihren
Gefühlen, bevor ein Paar das Baby abholt. Stille Szenen, die unter
die Haut gehen. (Heute 13 Uhr,
CS 5; Do 20.30 Uhr, CaZ 3)
Ein Frau des Bhil-Stammes: Szene
aus „Kalyug“. FOTO: MOP
Was sind das für Bilder! Für seinen Beitrag „Kalyug“ ist auch Juri
Mazumdar nach Indien gereist –
allerdings in die Provinz. Fernab
der Metropolen lebt der indigene
Stamm der Bhil. Seine Mitglieder
sind mit einem Fluch belegt – jedenfalls erklären sich die Menschen so selbst ihr Leiden. Nur
wenige verstehen den jungen
Dorf-Krankenpfleger, der versucht zu erklären, dass der Fluch
einen Namen hat: Aids. Dieser
Film ist von Kamerafrau Anke
Riester grandios fotografiert. Wir
sehen Gesichter, so zerfurcht wie
die vertrocknete, staubige Landschaft, in der diese Menschen leben. Der Film gleitet zwischen
Gegenwartsschilderung und Ausflügen in die mythischen Erzählungen der Stammesväter hinund her, Archaik und Moderne
prallen aufeinander. Ein herausragender Beitrag. (Heute 18 Uhr,
Achteinhalb; Do, 12.45 Uhr, CS 2,
Fr, 17.45 Uhr, CS 5)
Zwei Männer, für die Jamaika
mehr bedeutet als die Verheißung
von Sonne und Strand, stehen im
Zentrum von „Journey to Jah“:
der Kölner Reggae-Musiker Gentleman und sein sizilianischer
Kollege Alborosie. Letzterer
wanderte schon vor Jahren auf
die Karibik-Insel aus, Gentleman
verbringt zumindest viel Zeit
dort. Doch worin liegt der Zauber
dieses Ortes, an dem „sowohl
Gott als auch Satan“ leben, wie es
Alborosie formuliert? Ist es die
Musik, der vielzitierte „spirit“?
Nach dem unterhaltsam erzählten Film von Noel Dernesch und
Moritz Springer, dem trotzdem
etwas Straffung gut getan hätte,
meint man der Antwort näher zu
sein. (Do 17.30 Uhr, CS 3; Fr 20.30
Uhr, CS 2; Sa 15.30 Uhr, CS 3).
Ein paar Längen hat auch „The
teachers country“ von Benjamin
Leers, wenngleich wir seiner Reise durch das moderne Tansania
im Großen und Ganzen gerne folgen. Mit dem Sohn von Gründungspräsident Nyere besteigen
wir den Kilimandscharo, blicken
zwischendurch in den Alltag einer Köchin in Dar-es-Salaam und
dem eines Lehrers in der Provinz.
Leer zeigt ein Land mit Potenzial,
beschäftigt sich aber leider mehr
mit der Formulierung der Frage,
warum es den Menschen kaum
besser geht als früher, statt mit
möglichen Antworten. (Heute
20.30 Uhr, CS 5; Do 18 Uhr, Achteinhalb; Fr 10.30 Uhr, CS 5)
Das Knirschen des Schnees und
das Knattern des Presslufthammers – das ist der Sound von Andreas Horvaths Dokumentation
„Earth’s golden playground“ über
Männer, die – wie einst vor über
100 Jahren – auf eigene Faust in
den Weiten Nordkanadas auf
Goldsuche gehen. Wir begegnen
urigen Charakteren, sehen Bilder
von karger Schönheit – und doch
trägt das Ganze nicht über die
Zeit von fast zwei Stunden. (Do 21
Uhr, CaZ 2; Fr 12.45 Uhr, CS 5; Sa
13 Uhr, CS 5)
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