wissenschaft & forschung | Begutachtetes Original Eingereicht: 21. 7. 2008 Akzeptiert: 24. 11. 2008 Die Folatzufuhr mit der Ernährung reicht in Deutschland nicht aus. Die Analytik dieser Vitamingruppe erfordert dabei spezifische und empfindliche Verfahren, um einerseits die Folatgehalte in Lebensmitteln richtig zu bestimmen, andererseits auch deren Bioverfügbarkeit sicher zu erfassen. Erst mit beiden Datengruppen sind eindeutige Ernährungsempfehlungen möglich. Der Einsatz von mit stabilen (also nicht radioaktiven) Isotopen markierten Folaten verhilft hier zu aussagekräftigen Analysewerten. Analytik von Folaten – neue Methoden und aktuelle Folgerungen PD Dr. Michael Rychlik Lebensmittelchemikerin Sabine Mönch Lehrstuhl für Lebensmittelchemie der Technischen Universität München Lichtenbergstr. 4 85748 Garching E-Mail: michael. [email protected] 270 Die Vitamine der Folsäuregruppe sind im Stoffwechsel vor allem an der Übertragung von Methylgruppen beteiligt und erfüllen wichtige Funktionen im Stoffwechsel der Aminosäuren und Nukleinsäuren. Da die Folate vom menschlichen Organismus nicht selbst hergestellt werden können, müssen sie mit der Nahrung zugeführt werden. Durch Ernährungserhebungen hat sich aber herausgestellt, dass die Bevölkerung in Deutschland durchschnittlich nur 55 % der täglich empfohlenen Menge zu sich nimmt. Dies ist insofern besorgniserregend, als dass ein Folatmangel mit einem gehäuften Auftreten einer besonderen Art von Missbildungen bei Neugeborenen, den Neuralrohrdefekten, verbunden ist. Daneben mehren sich Anzeichen, die eine ungenügende Folatzufuhr mit der Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Dickdarmkrebs und der Alzheimerschen Erkrankung in Verbindung bringen [1]. Aufgrund bisheriger Erkenntnisse wird allen Frauen in gebärfähigem Alter empfohlen, täglich 400 µg Folat durch Nahrungsergänzungsmittel oder folatreiche Lebensmittel zu sich zu nehmen [2]. Da die Zufuhrempfehlungen häufig nur unzureichend befolgt werden, werden in einigen Ländern Grundnahrungsmittel prinzipiell angereichert, so z. B. Weizenmehl in den USA mit 140 µg/100 g Folsäure. Zur Bestätigung der Folatgehalte in Lebensmitteln ist jedoch eine sichere Analytik erforderlich, die einige Besonderheiten aufweist. Ernährungs Umschau | 5/09 Bestimmung der Folate in Lebensmitteln Die Gruppe der Folate zeichnet sich durch eine große Vielzahl an Verbindungen aus. Neben den sog. Pteroylmonoglutamaten liegen die Folate in Lebensmitteln überwiegend als Pteroylpolyglutamate vor, die zwei bis sieben Glutamatreste im Molekül enthalten können (쏆 Abbildung 1). Pteroylmonoglutamate werden auch als freie Folate bezeichnet, die ohne weitere Enzymbehandlung aus Lebensmitteln durch Extraktion bestimmt werden können. Die Polyglutamate als Speicherform der Folate müssen jedoch durch sog. Konjugasen in die Monoglutamate umgewandelt werden, da nur diese mit den meisten Verfahren erfassbar sind. Inzwischen werden eine Vielzahl von Methoden verwendet, die sich in drei Kategorien einteilen lassen: die mikrobiologischen, die chemischinstrumentellen und die bioanalytischen Bestimmungen. Bei mikrobiologischen Methoden zeigen Mikroorganismen exogene Folate in Lebensmittelextrakten an, da sie diese für das Wachstum brauchen. Dabei werden auch die Polyglutamate größtenteils erfasst. Häufig werden Lactobacillus casei-Kulturen verwendet, die eine Vielzahl von Folaten detektieren und sich somit als Standardmethode etabliert haben. Diese Bestimmung weist aber den entscheidenden Nachteil M O OH HN 10 C COOH HN CH N CH2 5 N 6 CH2 7 8 H 2N Abb. 1: Grundstruktur der Folsäure (n=0) und deren Variationen, die zu Lebensmittelfolaten führen auf, dass eine Differenzierung der Vitamere nicht möglich ist. Zudem ist sie langwierig, arbeitsintensiv und sehr störanfällig. Auch können spezielle Wachstumsfaktoren oder Inhibitoren eine Stimulation oder Hemmung der Mikroorganismen hervorrufen. Die bioanalytischen Methoden verwenden Folatbindungsproteine (FBP), die spezifisch an Folate binden. Es werden entweder radioaktiv markierte Analyte (Radioassays) oder Enzyme (Enzymproteinbindungsassays) genutzt und bei letzteren mit Hilfe der Enzymkinetik die Konzentration der zu bestimmenden Lösung ermittelt. Radioassays werden heute vorwiegend im klinischen Bereich zur Bestimmung der Plasma- und Erythrozytenspiegel verwendet [3]. Für Lebensmittelbestimmungen haben diese Methoden nur eine geringe Bedeutung, da auch hier eine Differenzierung der einzelnen Vitamere nicht möglich ist und zudem die FBPs unterschiedliche Affinitäten zu den einzelnen Vitameren zeigen. Die chemisch-analytischen Methoden besitzen gegenüber den vorher beschriebenen Methoden den Vorteil, dass sie die einzelnen Folate unterscheiden können. Die selektivste Detektion der Folate über flüssigchromatographische Methoden ist die Massenspektrometrie. Um Verluste der labilen Folate während der Extraktion und Ionisationsstörungen bei der Massenspektrometrie zu kompensieren, haben sich Stabilisotopenverdünnungsanalysen (SIVA) sowohl N N O COOH C HN CH O CH2 Variationsmöglichkeiten: CH2 O Oxidationsform des Pterinringes C M Art und Verknüpfung mit C1-Resten n Zahl der Glutaminsäurereste in der Bestimmung von Lebensmitteln [4] als auch in der Untersuchung von Humanproben bewährt [5, 6]. Diese Methoden nutzen stabilisotopenmarkierte Folate als interne Standards, die vor der Extraktion dem Lebensmittel in definierten Mengen zugegeben werden. Durch massenspektrometrische Erfassung des Verhältnisses der stabilisotopenmarkierten zu den natürlich vorhandenen, unmarkierten Vitameren im Lebensmittelextrakt kann auf die Konzentration der letzteren geschlossen werden. So ist eine selektive Bestimmung der einzelnen Vitamere möglich und Aufarbeitungsverluste können einfach kompensiert werden. Durch SIVA (쏆 Tabelle 1) konnten grüne Gemüse, Hülsenfrüchte, Hefe und Leber als gute Folatquellen bestätigt werden [7]. Analytik zur Erfassung der Bioverfügbarkeit von Folaten Für Ernährungsempfehlungen zur Vermeidung oben genannter Mangelerscheinugen ist nicht nur die Kenntnis der Folatgehalte in Lebensmitteln, sondern auch deren Bioverfügbarkeit (BV) entscheidend. Darunter versteht man in der Ernährungswissenschaft klassischerweise das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der eine Substanz nach der Zufuhr am Wirkort verfügbar wird. Die am häufigsten eingesetzten Verfahren zur Erfassung der BV basieren darauf, dass der betreffende Nährstoff nach seiner Verabreichung in Blut oder Urin quantifiziert wird. O OH n Diese Studien können nach Kurzzeitoder Langzeitprotokollen ablaufen, die im Anschluss an die Nährstoffgabe entweder kurzfristig die Änderung der Plasmaspiegelkurven oder die Veränderung eines Markers für die langfristige Speichersättigung erfassen. Zur Ermittlung der Bioverfügbarkeit steht eine Reihe von Verfahren zur Auswahl. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass die sog. Methode der AUC (area under the curve) zur Bestimmung der Bioverfügbarkeit von Mikronährstoffen aus Lebensmitteln geeignet ist [8]. Dabei wird die postresorptive Blutspiegelkurve ermittelt und die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve bestimmt (쏆 Abbildung 2). Für Folate ist damit die Bestimmung der absoluten Bioverfügbarkeit schwer möglich, da Folate stoffwechselbe- μg/100g SIVA Eig. Messungen MBA Lit daten [7] Spinat 96–159 143–338 Camembert 48–65 55–96 318 190–520 27–62 63 Mungobohnen 277 438–625 Vollkornbrot 7–58 39–51 Kartoffeln, roh 1,9–14,5 5–14 Bier 5,8–15,9 4–8 Weizenkeime Brokkoli Tab. 1: Folatgehalte einiger Lebensmittel, ermittelt durch Stabilisotopenverdünnungsanalyse (SIVA) und mikrobiologische Bestimmung (MBA) Ernährungs Umschau | 5/09 271 쑺 wissenschaft & forschung | Begutachtetes Original (Folatlösung = 100 %) ermittelt werden. Die Bestimmung der Bioverfügbarkeit von Folaten erfolgt dabei meist durch Bestimmung des Plasma, Serum- und/oder Erythrozytenfolatspiegels. 40 35 30 nmol/L 25 20 15 AUC = area under the curve 10 5 0 0 2 4 6 8 10 12 Zeit in h Abb. 2: Verlauf des Plasmafolatspiegels nach einmaliger Folatdosierung und schematische Darstellung der AUC zur Bestimmung der Bioverfügbarkeit die Spiegel der Körperflüssigkeiten vermessen. Im Falle der Folate wird im Plasma das 5-Methyltetrahydrofolat vermessen, das von uns durch SIVA in Kombination mit LC-MS/MSKopplung erfasst wurde (쏆 Abbildung 3). Aus den berechneten AUCs kann so die relative Bioverfügbarkeit dingt in Körperflüssigkeiten und Geweben permanent vorhanden sind. Zur Bestimmung der relativen Bioverfügbarkeit werden den Probanden daher das Lebensmittel und in zeitlichem Abstand eine Folatlösung mit möglichst identischem Vitamingehalt oral oder intravenös verabreicht und RT: 2,28 300000 μAU 250000 200000 UV (280 nm) 150000 100000 50000 0 Relative Intensität 100 RT: 11,93 SN: 804 O OH 80 O 60 CH3 NH N HN O m/z 460 씮 312 NH 40 H 2N 20 N N H O HO 0 Relative Intensität 100 80 O 60 OH D CH3 NH N HN RT: 11,91 SN: 1223 O D NH O m/z 464 씮 316 D 40 D 20 H 2N N 3 4 N H HO O 9 10 0 0 1 2 5 6 7 8 11 12 13 14 15 16 Zeit (min) Abb. 3: LC-MS/MS-Chromatogramm einer Plasmaprobe. Unter der Spur des 5-Methyltetrahydrofolats diejenige des als Standard verwendeten, isotopenmarkierten 5-Methyltetrahydrofolats. UV: UV-Absorption 272 Ernährungs Umschau | 5/09 In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Polyglutamatformen von Folaten schlechter verfügbar sind als die Monoglutamatformen [9] und sich auch der Verzehr von Weizenmehl mit Bestandteilen der Kleie (Vollkornmehl) negativ auf die Bioverfügbarkeit von Folaten auswirkt. Gut verfügbar hingegen sind die Folate aus Spinat und weißem Weizenmehl [10]. Weiter konnte gezeigt werden, dass die einzelnen Monoglutamatformen der verschiedenen Vitamere unterschiedliche Bioverfügbarkeiten zeigen [11] und so die Vitamerendifferenzierung bei der Bestimmung der Lebensmittelfolate zur Voraussage der Bioverfügbarkeit wichtig ist. Bewertung der Anreicherung von Lebensmitteln mit Folsäure Während in Europa noch mögliche Varianten sowie die Vor- und Nachteile einer Zwangsanreicherung mit synthetischer Folsäure diskutiert werden, gibt es aus Nordamerika bereits Ergebnisse der seit 1998 laufenden Supplementierung von Weizenmehl. Dabei konnte gezeigt werden, dass innerhalb von fünf Jahren die durchschnittliche Folatzufuhr um ca. 200 µg pro Tag gesteigert [12] und das Auftreten von Neuralrohrerkrankungen um bis zu 3,8 Fälle pro 1 000 Schwangerschaften gesenkt werden konnte [13]. Fragen hinsichtlich der möglichen Maskierung eines Vitamin-B12-Mangels sowie der Auswirkung des Auftretens der natürlicherweise nicht vorkommenden Folsäure im Blutserum wurden jedoch noch nicht hinreichend beantwortet. Zur Verhinderung letzterer Nebenwirkungen befürworten manche Wissenschaftler eine Anreicherung mit dem natürlich vorkommenden 5-Methyltetrahydrofolat. Daneben gibt es Ver- suche, Folate auf natürliche Weise in Lebensmitteln durch die sog. Biofortifikation anzureichern. Aktuelle Ansätze hierfür sind die Auswahl von folatreichen Hefen, Milchsäurebakterien oder die Keimung von Getreide und anderen Samen. Perspektiven der Folatanalytik Die Folatanalytik hat mit der Einführung der LC-MS sowie von isotopenmarkierten Folaten in den letzten Jahren einen deutlichen Entwicklungssprung erfahren. Damit ist es zunehmend möglich, sichere Folatwerte in Lebensmitteln zu ermitteln. Von einer fundierten Abstufung der Bioverfügbarkeit der Lebensmittelfolate sind wir aber noch weit entfernt. Die Annahmen der Bioverfügbarkeit reichen von 50 % bis 100 %, wobei viele nationale Gesellschaften (inklusive der DGE) die konservative Annahme von 50 % heranziehen. Dies spiegelt sich in der Definition von Folatäquivalenten wider, bei denen Folsäure als Zusatz in Lebensmitteln mit einer 80 % höheren Bioverfügbarkeit gegenüber den natürlichen Lebensmittelfolaten angenommen wird. Es hat sich inzwischen herausgestellt, dass dies nicht pauschal gilt und wir noch mehr Untersuchungen über die Bioverfügbarkeit einzelner Lebensmittel und gemischter Diäten benötigen. Der tatsächliche Beitrag einzelner Lebensmittel für eine bessere Folatzufuhr wird somit erst mittelfristig abschätzbar und kann anschließend die Grundlage für bessere Ernährungsempfehlungen sein. Literatur 왎 1. Brönstrup A. (2008) Folat und Folsäure – Herausforderungen für die Praxis. Ernährungs Umschau 54: 538–543 2. Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung, Schweizerische Vereinigung für Ernährung: D-A-CH-Referenzwerte für die Nähr- stoffzufuhr. Umschau/Braus, Frankfurt (2000) 3. Arcot J, Shrestha A (2005) Folate: methods of analysis. Tr. Food Sci & Technol 16: 253–266 4. Freisleben A et al. (2003) Specific and sensitive quantification of folate vitamers in foods by stable isotope dilution assays using high-performance liquid chromatography-tandem mass spectrometry. Anal. Bioanal. Chem. 376: 149–156 5. Rychlik M et al. 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Erst mit beiden Datengruppen sind eindeutige Ernährungsempfehlungen möglich. Der Beitrag vergleicht die Vor- und Nachteile der etablierten Methoden zur Folatanalytik mit der neuen Methode der Stabilisotopenverdünnungsanalyse (SIVA). Summary Analysis of folates – new methods and insights Michael Rychlik, Sabine Mönch Inadequate folate supply can lead to neural tube defects in neonates and is a possible risk factor for various diseases, including cardiovascular diseases, colon cancer and Alzheimer’s disease. Analysis of this group of vitamins therefore necessitates specific and sensitive procedures, which can be used for both the reliable determination of the folate content in foods and to record its bioavailability. Clear recommendations on nutrition can only be made if both these parameters are known. The present article compares the advantages and disadvantages of the established methods of folate analysis with the new method of stable isotope dilution analysis (SIDA). Key words: folic acid, folate vitamers, folate analysis, stable isotope dilution analysist Ernährungs Umschau 56 (2009) S. 270–273 Ernährungs Umschau | 5/09 쎱 273