Fakultät MathNat, Fachrichtung Psychologie, Institut für Klinische Psychologie, Professur Dr. Jürgen Hoyer Fakultät MathNat, Fachrichtung Psychologie, Institut für Klinische Psychologie, Professur Dr. Jürgen Hoyer Fakultät MathNat, Fachrichtung Psychologie, Institut für Klinische Psychologie, Professur Dr. Jürgen Hoyer Vorlesung Gesundheitspsychologie X Selbstmedikation und alternative Medizin Prof. Dr. Jürgen Hoyer Dresden, 21. Juni 2012 Übersicht 1. Selbstmedikation 2. Der Placebo-Effekt 3. Alternative Medizin TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 4 1. Selbstmedikation Selbstmedikation = Behandlung von Krankheiten/Beschwerden oder Einnahme von Medikamenten ohne ärztliche Rücksprache • rezeptfreie Medikamente (und Hausmittel) • 4,3 Milliarden EUR jährlich (~1/5 der verschriebenen) • durch Praxisgebühr Verzicht auf Arztbesuch oder Einnahme von „Restbeständen“ • Stiftung Warentest (2002): 40% der getesteten Medikamente „nicht geeignet“ TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 5 1. Selbstmedikation Beispiel Generalisierte Angststörung Diffuse Symptome laden zur Selbstmedikation ein TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 6 DSM-IV Kriterien für Generalisierte Angststörung (GAS) A. Übermäßige Angst und Sorge (furchtsame Erwartung) bezüglich mehrerer Ereignisse oder Tätigkeiten (wie etwa Arbeit oder Schulleistungen), die während mindestens 6 Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten. B. Die Person hat Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren. TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 7 C. Drei der folgenden Symptome: Ruhelosigkeit, leichte Ermüdbarkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Muskelspannung, Schlafstörungen D. Sorgen sind nicht auf eine andere Achse-I-Störung beschränkt (z.B. Angst, sich zu blamieren) E. Relevante Beeinträchtigung F. Symptome nicht direkt auf Drogen, medizinische Störungen, affektive oder psychotische Störungen zurückzuführen (Abgrenzung zur Depression) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 8 Fakultät MathNat, Fachrichtung Psychologie, Institut für Klinische Psychologie, Professur Dr. Jürgen Hoyer Häufigkeit, Dauer und Verlauf • Über mehrere Studien weltweit konsistent: Lebenszeitprävalenz 5% • Punktprävalenz 1,5 - 3% • Häufiger bei Frauen • Hohe Dauer (retrospektive Daten) • Hohe Inzidenz im Alter (anders als bei anderen Angststörungen) Wittchen & Hoyer, 2001 1. Selbstmedikation Beispiel Generalisierte Angststörung Hauptproblem bei der Generalisierten Angststörung in der Versorgung: Die Störung wird zu selten erkannt und zu selten angemessen versorgt (Wittchen, Kessler, Beesdo, Krause, Höfler & Hoyer, 2002) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 10 1. Selbstmedikation Beispiel Generalisierte Angststörung Alles, was gegen „Ängste und Nervosität“ hilft: • Kava-Kava • Klosterfrau Melissengeist • „Kuren“ • Ginkgo biloba (Tebonin) • Lavendelöl • Bibliotherapie • Gute Ratschläge TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 11 1. Selbstmedikation Sorge Dich nicht .. • weltweite Auflage: über 15 Millionen • weit über 100 Monate auf diversen Bestsellerlisten • Erstauflage: 1944 TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 12 1. Selbstmedikation Don‘t worry „Don´t worry!“ funktioniert nicht mehr: Patienten mit GAS können zum Beispiel einer Fernsehsendung nicht mehr richtig folgen, weil sie eigentlich mit ihren Sorgen beschäftigt sind und diese eben nicht „abstellen“ können TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 13 1. Selbstmedikation TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 14 1. Selbstmedikation Johann Wolfgang von Goethe: "West-östlicher Divan" Ginkgo Biloba Dieses Baumes Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut, Gibt geheimen Sinn zu kosten, Wie's den Wissenden erbaut. Ist es ein lebendig Wesen, Das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, Dass man sie als eines kennt? TU Dresden, 21.6.2012 Solche Frage zu erwidern, Fand ich wohl den rechten Sinn; Fühlst du nicht an meinen Liedern, Gesundheitspsychologie Dass ich eins und doppelt bin? Folie 15 1. Selbstmedikation TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 16 1. Selbstmedikation Ginkgo biloba bei Angststörungen? (Wölk, Arnoldt, Kieser1 & Hoerr1, 2007; 1Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG) • eingesetzt als Demenzmedikament (Wirkung umstritten) • bei Älteren angstreduzierender Effekt beobachtet • auch bei Jüngeren? • N = 107 (> ¾ GAS; Rest Anpassungstörung) • 3 Gruppen: Placebo, niedrige Dosis, hohe Dosis • Outcomes: HAMA, CGI, EAAS (Erlanger Skala für Angst, Aggression, Spannung), Beschwerdeliste Ergebnis: G.b. war dem Placebo überlegen (in allen Maßen) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 17 1. Selbstmedikation HAMA: Fremdbeurteilungsskala zur Einschätzung der Schwere einer Angststörung TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 18 1. Selbstmedikation Hamilton Anxiety Scale (HAMA) • Zur Ermittlung des Schweregrads – nicht der Diagnose – einer Angststörung • 14 Items • Fremdrating: 0 (nicht vorhanden) bis 4 (ernst) • Beispielitems: – intellekt. Beeinträchtigung: Konzentration & Gedächtnis – somatische Beschwerden: Muskelschmerz, Bruxismus – kardiovaskuläre Symptome: Schwäche, Herzklopfen, Brustschmerzen, Tachykardien (Puls ) – ängstliche Stimmung: Sorgen, Katastrophisieren – Furcht: vor Fremden, allein zu sein, der Dunkelheit TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 19 1. Selbstmedikation Ginkgo biloba als Alternative? (Wölk, Arnoldt, Kieser1 & Hoerr1, 2007; J. Psychiatr. Res.; 1Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG) • G.b. ist sicher und gut akzeptiert, bes. unter Älteren • keine Gefahr der Abhängigkeit (vs. z.B. Benzodiazepine) Aber: • HAMA erfasst auch intellektuelle und körperliche Symptome • Wirkmechanismus weitestgehend unklar • Diagnostik in der Studie rein klinisch (orientiert am DSM, aber keine standardisierte Diagnosestellung) • Co-Autoren TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 20 …ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 21 …ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz (2) Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 22 Alternative Medizin und Generalisierte Angst: Effekte wie durch Psychotherapie!(?) (Hoyer & Moeser, in Vorb.) ES = 2.8 Alternative Behandlungsmethoden für GAS (withineffects) Studie Methode Dubois et al (2010) Woelk & Schläfke (2010) Sherman et al (2010) Balneotherapie Lavendelöl (Silexan) Massage Klassische Homeopathie Rosenwurz Bonne et al (2003) Bystritsky, Kerwin & Feusner (2008) Boerner et al (2003) Woelk et al (2007) ® (Rhodax ) Kava Ginko biloba (EGb ®) 761 480 mg 240 mg prä post HAM-A Score Behandlungs HAM-A Score mean (SD) -dauer mean (SD) 24.4 (3.7) 8 Wochen 12.4 (4.8) 25.0 (4.0) 6 Wochen 13.7 (6.7) 24.8 (5.7) 12 Wochen 14,9 (6.2) N total 237 77 69 N treat 117 40 23 44 22 31.4 (7.2) 10 Wochen 21.7 (11.6) 10 129 10 43 23.4 (6.0) 23.14 (3.19) 10 Wochen 8 Wochen 14.10 (8.06) 8.37 (7.44) 107 67 32 35 4 Wochen 30.7 (5.2) 29.7 (5.5) 14.3 (7.3) 12.1 (8.6) 1. Selbstmedikation Johanniskraut (Hypericum; St. John‘s Wort) eingesetzt als „natürliches“ Antidepressivum. • bei leichten und mittelschweren Depressionen Wirkung vergleichbar mit Antidepressiva; überlegen gegenüber Placebo (Röder, Schäfer & Leucht, 2004; Linde et al. 2005); jüngst in Frage gestellt: die neuesten und besten Studien zeigen kleinere Effekte (Werneke, Horn & Taylor, 2004) • potentielle Nebenwirkung: Lichtallergie; Wechselwirkungen mit Asthma-, Herzmedikamenten oder der Pille • beschleunigt Abbau anderer Medikamente in der Leber: bis zu 10fache Dosen nötig (z.B. SSRI - Antidepressiva) • Was, wenn Johanniskraut nicht hilft – katastrophisierende Interpretation? TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 24 Befunde von der Güte der Studien abhängig Linde K, Berner M, Egger M, Mulrow C. St John's wort for depression: Meta-analysis of randomised controlled trials. British Journal of Psychiatry 2005;186:99107. TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 25 Vorteil (?): Weniger Absetzen des „Medikaments“ Linde K, Berner M, Egger M, Mulrow C. St John's wort for depression: Meta-analysis of randomised controlled trials. British Journal of Psychiatry 2005;186:99107. TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 26 1. Selbstmedikation Beispiel für Nebenwirkungen bei der Selbstmedikation: „Bestäubungsmittel“ • • TU Dresden, 21.6.2012 (SZ-Magazin) Ich bin nasensprayabhängig. Meine Nase ist immer verstopft. Frei atmen kann ich nur, wenn ich mir alle fünf bis sechs Stunden ein Schnupfenmedikament in die Nase sprühe. Tue ich das nicht, fühle ich mich, als wäre eine Vakuumpumpe an meine Nase angeschlossen, als würden die Nasenlöcher zubetoniert .. Entzug: Man kann wochenlang nicht schlafen, denn vor allem nachts ist die Nase ständig verstopft. Man hat Kopfschmerzen, wird übellaunig, befindet sich in einem permanenten Dämmerzustand, der Mund ist ausgetrocknet, man hechelt wie ein Hund. Und überhaupt: Wenn man andauernd durch den Mund atmet, sieht man ja auch etwas dümmlich aus. Trotzdem, ich will nicht länger Junkie sein. Gesundheitspsychologie Folie 27 1. Selbstmedikation Selbstmedikation – Gefahren • Medikamentencocktails (auch bei Selbstmedikation parallel zu Behandlung ohne Wissen des Arztes) • Verzögerung des Arztbesuchs • Nebenwirkungen beachten (wirklich den Apotheker gefragt?) • „natürlich“ ≠ ungefährlich: Nebenwirkungen (Kava Kava: Leberschäden vermutet; Zulassung ausgesetzt) • Abhängigkeitspotential: Schmerz-/Abführmittel, sogar Nasenspray – 1,5 Mio. Medikamentenabhängige in D, davon – >1 Mio. Benzodiazepin-Abhängige TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 28 TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 29 1. Selbstmedikation Selbstmedikation – Fazit • nur bei leichten, diagnostisch sicher einzuschätzenden Beschwerden • zeitlich beschränkt (maximal 1-2 Wochen), niemals Dauergebrauch • bei Verschlechterung sofort zum Arzt • Packungsbeilage beachten, Apotheker fragen • Viel hilft nicht zwangsläufig viel, sondern kann auch viel schaden (Keine Wirkung ohne Nebenwirkung) • Wechselwirkungen beachten (chronische Erkrankungen)! • Aber: nicht selten hilft es doch -> TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 30 2. Placeboeffekt Der Placeboeffekt (I) (Kaptchuk, 2002) = unspezifischer Effekt durch das Ritual der Behandlung und den (gestärkten) Glauben an Besserung, bei Anwendung nicht wirksamer Medikamente oder Behandlungen. • einige Jahrhunderte neben Erbrechen und Schwitzen der medizinische Wirkmechanismus • Wirkung der Hälfte aller Medikamente vor 1950 vermutlich durch Placebowirkung (biochemische Wirksamkeit in Folge zweifelhaft, Shapiro & Shapiro, 1997) • kulturabhängig: Wirkung bei Magengeschwüren: Deutschland 60%; Brasilien 6% – Schamanen und Rituale von heute? • auch Tiere & Kinder sprechen auf Placebos an TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 31 2. Placeboeffekt Der Placeboeffekt (II) (Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Placebo • daher sog. „aktive Placebos“ Placebo • Patienten können oft anhand von Nebenwirkungen des Medikaments erkennen, ob sie in der Versuchsgruppe sind – Erwartungen werden bestärkt (rechts) Medikament • Trennung spezifischer Effekt (Medikament) vs. unspezifischer Effekt (Placebo) problematisch Placebo Medikament Placebo • Placeboeffekt wird in klinischen Studien berücksichtigt (links) Folie 32 2. Placeboeffekt Der Placeboeffekt (III) (de Saintonge & Herxheimer, 1994) • Ausmaß des (zusätzlichen) Placeboeffekts ~ Behandlungsart bzw. -ritual: – Infusion > große Kapseln > kleine Tabletten • Qualität: – gelbe Pillen wirken eher stimulierend/antidepressiv – weiße eher schmerzlindernd • Richtung: – wenn Ärzte ärgerlich, abweisend: negativ (Nocebo) – Steigerung wenn sie zeigen, dass sie an Wirkung glauben TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 33 2. Placeboeffekt Placeboeffekt negativ: Nocebo-Effekt (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) • Placebos (Medikamente ohne Wirkstoffe) können ebenfalls unerwünschte Nebenwirkungen haben: Müdigkeit, Kopfschmerz, Nervosität, Übelkeit, Durchfall, • die nicht durch die pharmakologische Wirkung des Medikaments erklärt werden können = Nocebo-Effekt • Eine Erklärung: leichte körperliche Symptome sind in der Bevölkerung weit verbreitet, diese werden durch das Placebo besser wahrgenommen und auf das Medikament attribuiert TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 34 2. Placeboeffekt Placeboeffekt negativ: Nocebo-Effekt (II) (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) • Circa 20% der gesunden Vergleichpersonen in einer Medikamentenstudie erlebten Nebenwirkungen, obwohl sie in der Placebo-Bedingung waren (Rosenzweig, Brohier & Zipfel, 1993). • Rief et al. (2009): Nebenwirkungen in Depressions-Behandlungsstudien in der Placebobedingung höher, wenn es um Trizyklika (relativ starke Nebenwirkungen) gegenüber SSRI (geringere Nebenwirkungen) ging! • Nocebo-Effekte häufiger, wenn behandelnder/verschreibender Arzt verärgert oder zurückweisend • kann Ursache für Non-Compliance sein Überschneidung mit optimalem Arztverhalten (Vorlesung 9) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 35 2. Placeboeffekt Zurück zum Placebo-Effekt: Moseley et al. (2002) Arthrose – Schmerzen im Knie: • Kniespülung plus Glättung des Knorpels • Vergleich: – tatsächliche therapeutische Arthroskopie (Spülung; mit/ohne Glättung) vs. – einfache Schnitte (nur Operationswunde = Placebo) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 36 2. Placeboeffekt Moseley et al. (2002): Chirurgie als Placebo Ergebnis: • keine Unterschiede hinsichtlich Knieschmerzen und Beschwerden nach 1 und 2 Jahren • jährlich in Dtld. ca. 400.000 Arthroskopien TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 37 2. Placeboeffekt „Sham surgery“ (2): McRae et al., 2004 • Ebenfalls kein Unterschied zwischen der tatsächlichen und der nur vorgetäuschten (sham surgery) OP (Stammzellentransplantation bei Parkinson-Erkrankung). • Diejenigen Patienten verbesserten sich am meisten, die glaubten, sie hätten tatsächlich die OP erhalten. TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 38 2. Placeboeffekt TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 39 2. Placeboeffekt Vom Placebo lernen (I) (Kaptchuk, 2002) Der Placeboeffekt ist Element jeder (guten) medizinischen Behandlung: • Aufmerksamkeit & Anteilnahme • Beeinflussung und Steuerung von: – Erwartungen (Wirksamkeit der Behandlung/Handlungs-ErgebnisErwartungen) – Angst (Optimismus vs. Risikowahrnehmung) – Selbstaufmerksamkeit • Aktivierung sehr früh konditionierter Reaktionen: krank: Arzt (weißer Kittel) -> Besserung Therapeutisches Verhalten, das den Placeboeffekt verstärkt, findet sich oft in unkonventionellen Therapiesettings! (TCM) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 40 2. Placeboeffekt Vom Placebo lernen (II) Placeboeffekt schon in der Ausbildung explizit als therapeutischen Mechanismus berücksichtigen! • Faktoren identifizieren und nutzen, die Wirkung maximieren & Nebenwirkungen minimieren • Placeboeffekt am größten, wenn Kombination mit spezifischer Behandlung • langfristige, alleinige Wirkung zweifelhaft: vgl. emotions-orientierte Bewältigungsstrategien (vs. problem-orientierte) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 41 2. Placeboeffekt Bewusste Gabe von „Placebo“: ethisch vertretbar? (Engelhardt, 2004) Transparenz und Partnerschaft (Compliance) vs. gute Unterhaltung mit positivem Effekt (Placebo)? • Dilemma: je besser Patient informiert und aufgeklärt, desto resistenter gegenüber Placebowirkungen • Bedeutung für Arzt (Lüge?) und Arzt-Patient-Verhältnis? • langfristige Folgen, wenn Placeboeinsatz bekannt wird? • Wirkung von Placebos früher als Beweis für einen „eingebildeten Kranken“ – schlicht falsch Der Placeboeinsatz i.e.S. (Scheinbehandlung) ist ethisch problematisch und vermutlich auch gar nicht notwendig! TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 42 3. Alternative Medizin TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 43 3. Alternative Medizin TCM – Akupunktur (I) (Kaptchuk, 2002) Akupunktur wirkt • gegen Erbrechen nach Operation/Chemotherapie und Übelkeit bei Schwangerschaft • gegen Zahnschmerzen unklar: • chronischer Schmerz • Rückenschmerz (LBP) • Kopfschmerz TU Dresden, 21.6.2012 A. ist bei chronischem Knieschmerz (Arthrose) und chr. Rückenschmerzen (Lendenwirbelsäule) Kassenleistung! Gesundheitspsychologie Folie 44 3. Alternative Medizin TCM – Akupunktur (II) (Leibing et al., 2002) Akupunktur bei chronischem Rückenschmerz (low back pain) besser als Placebo? • N = 131; Patienten mit mind. 6 Monaten LBP • 3 Gruppen: - Gruppe 1: Physiotherapie - Gruppe 2: Physiotherapie + 20 x Verum-Akupunktur - Gruppe 3: Physiotherapie + 20 x Sham-Akupunktur = Placebo-Akupunktur: oberflächlich (nicht so tief) und nicht an Akupunkturpunkten, sonst identisch = aktiver Placebo! (s.o.) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 45 3. Alternative Medizin TCM – Akupunktur (III) (Leibing et al., 2002) Ergebnis: • (Verum)-Akupunktur ist Kontrollgruppe (1) überlegen bzgl.: – Schmerzintensität – Behinderung durch Schmerz – psychischer Stress • auch noch nach 9 Monaten, aber schwächer • V-Akupunktur ist S-Akupunktur nur in der Reduktion des psychischen Stress überlegen; nicht aber in Bezug auf: Schmerzintensität, Behinderung durch Schmerz spricht das jetzt für oder gegen Akupunktur? TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 46 3. Alternative Medizin Inanspruchnahme (u.a. Astin, 1998) Wer nimmt alternative Medizin in Anspruch? • eher Frauen • höhere Bildung • hohe Körpersensibilität, Gesundheitsverhalten • chronische Krankheit, Schmerzen, fortgeschrittener Tumor • verminderte Lebensqualität • psychische Belastung • ökologische Grundeinstellung, Interesse an Spiritualität • aber nicht unzufriedener mit Schulmedizin TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 47 3. Alternative Medizin Homöopathie (Jonas, Kaptchuk & Linde, 2003) 1. Vergleich mit Placebo: selten effektiver als Placebo 2. Wirksamkeit bei bestimmten Erkrankungen: vereinzelt für Grippe, Allergien und Durchfall bei Kindern (negative Befunde für sehr viel mehr Symptome) 3. biologische Effekte: unklar 4. hohe Individualisierung der Therapie 5. Therapeut hat Zeit Fazit: Keine Belege für Wirksamkeit, aber mit Sicherheit ein guter Placebo. TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 48 3. Alternative Medizin Massage (Meyer, Rounds & Hannum, 2004) • einmalige Anwendung senkt: – Angst, Blutdruck, Puls, – nicht aber Schmerz • mehrere Anwendungen vermindern Angst, depressive Symptome, Schmerzempfinden • Mechanismen weitgehend unklar, aber 2 Pfade: – psychologischer: Zuwendung, Intimität – körperlicher/physiologischer: gate control, Durchblutung, Parasympathicus, Förderung gesunden Schlafes TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 49 3. Alternative Medizin Servan-Schreiber • Herzkohärenztraining (Harmonisierung von Herzschlag und Atmung) = Biofeedback HRV • EMDR • Tagesrhythmus steuern durch Sonnenaufgangssimulation • Akupunktur • Omega-3-Fettsäuren • Bedeutung körperlicher Aktivität („Prozac or Puma") • emotionale Kommunikation • Liebe TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 50 3. Alternative Medizin Alternative Medizin: Alternative wozu? – Schulmedizin vs. evidence based medicine (Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.) • EbM = beweisgestützte Medizin, d.h. 1. beantwortbare Frage aus dem klinischen Fall ableiten („Könnte es dadurch besser werden, dass…“) 2. Recherche in klinischer Literatur 3. kritische Bewertung der recherchierten Literatur (Evidenz) bezüglich Validität/Brauchbarkeit 4. Anwendung der ausgewählten und bewerteten Evidenz beim individuellen Fall 5. Bewertung der eigenen Leistung TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 51 3. Alternative Medizin Schulmedizin vs. evidence based medicine Großteil gängiger medizinischer Praxis ist nicht evidenzbasiert. Beispiel: Infusion bei Hörsturz • mit durchblutungsfördernden Substanzen • nur im deutschsprachigen Raum • heute: kein Unterschied zu Placebo (Infusion mit NaCl) Grenzen der EbM: Mangel an Evidenz & Reproduzierbarkeit • monokausales Geschehen sehr selten • klinische Studien nicht immer umsetzbar (seltene Krankheiten; doppelblind bei Akupunktur/Placebo-Studien?) TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 52 3. Alternative Medizin Fazit – alternative Medizin • oberstes Kriterium: keinen Schaden anrichten • kein Ersatz für konventionelle Therapien bei ernsten Erkrankungen gefährlich, wenn als Ersatz gesehen evtl. Ressource, wenn ergänzend eingesetzt • unspezifischer Placeboeffekt sehr wahrscheinlich • je nach Passung Krankheit – Arzt – Setting – Patient sogar Verstärkung des Placeboeffekts TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 54 Direkte Wirkung ist unwahrscheinlich! (mindert) Gingko/ Rotwein/ Johanniskraut... TU Dresden, 21.6.2012 Depression Gesundheitspsychologie Folie 56 Indirekte und unspezifische Effekte sind wahrscheinlicher (kein Effekt) Gingko/ Rotwein/ Johanniskraut... Depression Pos. Erwartungen Mehr Aktivität Erleichterung TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 57 Fragen • Erklären Sie den Placeboeffekt – auch an einem Beispiel! Überlegen Sie sich Mechanismen, über die ein Placebo Wirkung entfalten kann! • Was verstehen Sie unter Selbstmedikation? Wie bewerten Sie sie? Begründen Sie Ihre Antwort! • Was ist ein Nocebo-Effekt? Nennen Sie Einflussgrößen! • Wie kann man die Wirkung unkonventioneller Therapien vor dem Hintergrund des Placeboeffekts und Ihnen bekannter Konzepte wie Selbstaufmerksamkeit, Optimismus und Selbstwirksamkeit erklären? • Sie erfahren vom Patient, dass dieser sich neben der Behandlung bei Ihnen auch noch von einem Geistheiler in Hinblick auf seinen Bluthochdruck behandeln lässt. Wie sollten Sie reagieren? Ihr Ziel: Arzt-Patienten-Verhältnis und Compliance fördern/sichern. TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 58 Klausur • 19.07.2012; • 3. DS (11:10 - 12:40 Uhr) • HSZ/AUDI/H Hörsaalzentrum Audimax • An vorausgefüllte Leistungsscheine denken! TU Dresden, 21.6.2012 Gesundheitspsychologie Folie 59