1 Angaben zu internationalen/kulturellen Unterschieden beim Placeboeffekt • Placebo-Heilungsrate von Magengeschwüren: – 7 % in Brasilien und 59 % in Deutschland (Moermann 2000) • Placebo-Ansprechrate bei Migräne: – 29 % bei Afroamerikanern und 21 % bei weißen Amerikanern (Burke-Ramirez 2001) • Antidepressive Wirkung eines Placebos bei Patienten mit HIV und Depression: – 80 % bei Spanischstämmigen, 43 % bei Weißen und 36 % bei Afroamerikanern (Wagner 1998) Belege für soziokulturelle Einflüsse auf Placebowirkungen bzw. den Placeboeffekt • Teure Placebos wirken signifikant besser schmerzlindernd als preiswerte Placebos (Waber et al, 2008) • Patienten erleben weniger Wirksamkeit und mehr Nebenwirkungen, wenn sie ein preiswertes Generikum erhalten im Vergleich zum Originalpräparat (Himmel et al, 2005) • Nahezu die Hälfte der Hausärzte berichtet von Wirkungs- und Nebenwirkungsunterschieden zwischen Originalpräparaten und Generika (Simmenroth-Nayda et al, 2006) • Aber: wenn Hausärzte die Patienten gut über den nichtvorhandenen Unterschied aufklären, dann bemerken die Patienten auch (fast) keine Unterschiede! Erklärungsansätze Placeboreaktion versus Placeboeffekt (Ernst & Resch, 1995) - Placeboeffekt - Natürlicher Verlauf - Regression - Zeiteffekte - Zeitgleiche andere Interventionen Placeboreaktion = Placeboeffekt + konfundierte Effekte Placebo Wirksamkeit Intendierte Wirkung Spezifische Wirkung nicht erwiesen Maximierung des spezifischen Effekts rein Keine spezifische Wirkung Maximierung des Placeboeffekts aktiv Spezifische Nebenwirkung Maximierung des Placeboeffekts unrein Nocebo Keine spezifische Wirkung Umkehrung des Placeboeffekts Mechanismen des Placeboeffekts Zwei Erklärungsansätze 1. Assoziativ 2. Mentalistisch Der assoziative Ansatz Klassische Konditionierung Unkonditionierter Stimulus Unkonditionierte Reaktion Zeitliche Paarung Schmerzmittel Schmerzlinderung Konditionierter Stimulus Konditionierter Stimulus Spritze ohne Schmerzmittel Konditionierte Reaktion Schmerzlinderung Der mentalistische Ansatz Kognitionen modulieren den Placeboeffekt •Erwartungen •Hoffnung •Wahrgenommene Bedürftigkeit/Not •Wunsch/Glaube Placeboeffekt und Verumeffekt Zwei Seiten der gleichen Medaille? Ethische Problem des Placeboeinsatzes in Klinischen Studien und in der therapeutischen Praxis 10 11 Placebo in Klinischen Studien • Wenn es keine andere wirksame Behandlung („no current proven intervention“) gibt. Ausnahmen sind möglich, wenn zwingende („compelling“) und wissenschaftlich schlüssige („scientifically sound“) methodologische Gründe vorliegen, um die Wirksamkeit und/oder Sicherheit einer Intervention zu bestimmen. Dazu kann auch die erforderliche Stichprobengröße bei seltenen Erkrankungen zählen. • Auch dürfen Patienten in der Placebogruppe nicht dem Risiko einer schweren oder irreversiblen Schädigung („any risk of serious or irreversible harm“) ausgesetzt seien. 12 Placebo in Klinischen Studien • Außerdem kann Placebo zusätzlich zur Standardtherapie (add-on) gegeben werden. • Ein „Scheineingriff“ (sham surgery) ist nur dann vertretbar, wenn die Patientengruppe mit Scheinoperation durch den Eingriff nicht dem Risiko einer schweren oder irreversiblen Schädigung ausgesetzt ist. 13 Placeboanwendung in der therapeutischen Praxis • Es ist keine geprüfte wirksame (Pharmako-)therapie vorhanden. • Es handelt sich um relativ geringe Beschwerden und es liegt der ausdrückliche Wunsch des Patienten nach einer Behandlung vor • Es besteht Aussicht auf Erfolg einer Placebobehandlung. 14 15 Nicht-verdeckte Placebo-Gabe bei Reizdarm-Patienten Ergebnis nach 21-tägigem Studienverlauf für Warteliste und Placebogruppe T. Kaptchuk et al, Placebos without Deception. A Randomized Controlled Trial in Irritable Bowel Syndrome. PlosOne 2010, 5, 12: 1-7 16 17 Placeboeffekt und therapeutische Praxis Placeboeffekte sind in der medizinischen Praxis nutzbar Frage ist nicht ob, sondern wie Erwartung/Bedeutung einer Behandlung maximiert wird Bedeutung kann erhöht werden durch - therapeutische Rituale (Setting/Behandlungsform) erhöht werden - Aktivierung relevanter Selbstbezüge des Patienten (Bsp.: Schmerzanalgesie) - Sicheres Auftreten des Arztes/Therapeuten bzgl. der Wirkung der Behandlung - Arbeiten mit, nicht gegen Erwartungen des Patienten - Ausräumen negativer Erwartungen gegenüber der Behandlungsform - Empathische, auf die Belange des Patienten bezogene Interaktion - Klare, positive Kommunikation - Placebo- und pharmakologische Effekte synergistisch nutzen Therapieerfolg durch spezifische und unspezifische Effekte