Marktversagen Externalitäten, öffentliche Güter und begrenzte Rationalität Vorlesung Mikroökonomik 24. und 31.1.2005 Marktversagen: Sozial unerwünschtes oder ökonomisch ineffizientes Marktergebnis ? Nicht-ökonomische Betrachtung „ungerechte“ Verteilung Handel mit und Konsum von „Verbotenem“ ethische Bedenken Verletzung von Gleichheits- oder Fairness-Postulaten Unterlaufen von Regulierungs- oder Steuerungsabsichten Ökonomische Sicht Monopole & Oligopole Informationsdefizite externe Effekte öffentliche Güter Exkurs: Die nicht-ökonomische Sicht Beispiele Schwarzarbeit Drogenmarkt Hehlerei Elfenbeinhandel Prostitution Markt für „Scheinehen“ Zigarettenschmuggel Aber: Aus ökonomischer Sicht liegt nicht automatisch Marktversagen vor; diese Märkte sind nicht selten Ausdruck tatsächlicher Nachfrage trotz Verboten und sozialer Ächtung, oder sie sind Reaktion auf hohe Steuern und Abgaben. Marktversagen durch Informationsasymmetrie Beispiel Gebrauchtwagenmarkt („lemons“ market) Fahrzeuge gleichen Alters und Kilometerstands befinden sich in unterschiedlichem Zustand Nur der Verkäufer kennt den wahren Zustand seines Wagens Bei einem am Durchschnitt ausgerichteten Preis werden keine überdurchschnittlich erhaltenen Wagen angeboten, sondern vor allem solche mit versteckten Mängeln. Da die potentiellen Käufer dies wissen, gibt es keinen funktionierenden Markt für gute Gebrauchtwagen Andere Beispiele: Kreditmarkt Versicherungsmarkt Arbeitsmarkt Negative Auslese und Moral Hazard Beispiel Versicherungsmarkt: Würde eine Versicherung gegen Lawinenschäden in unterschiedlichen Regionen mit eine gleich hoher Prämie angeboten, fände sie in engen Tälern reissenden Absatz, würde aber in flachen Regionen überhaupt nicht nachgefragt negative Auslese (adverse Selektion) Wer eine Diebstahlversicherung hat, wird weniger in Alarmanlagen oder einen Wachdienst investieren, als jemand ohne eine solche Versicherung. Folge dieses Verhaltens ist, dass es wegen der Versicherung zu mehr Schadensfällen kommt Moral Hazard Beispiele für Gegenmassnahmen: Signale (Zertifikate), Zwangsmitgliedschaften, Vertrauensbildung Externalitäten “Ein externer Effekt ist die Auswirkung ökonomischen Handelns auf die Wohlfahrt eines unbeteiligten Dritten, für die niemand bezahlt oder niemand einen Ausgleich erhält.” (Mankiw, S. 221) positive Externalität wenn jemand etwas erhält, ohne dafür zahlen zu müssen negative Externalität wenn jemand geschädigt wird, ohne dafür kompensiert zu werden soziale Kosten bezahlte Kosten Beispiel: Alkoholkonsum (negative Konsumexternalität) Grenzkosten der Alkoholproduktion PAlkohol Grenznutzen des Alkoholkonsums 14 Nachfrage Angebot 12 10 Marktoptimum 8 6 4 2 0 0 2 4 6 8 Alkohol 10 12 14 Beispiel: Alkoholkonsum (negative Konsumexternalität) Aber: die sozialen Kosten des Alkoholkonsums (Unfälle, PAlkohol Gesundheit ...) werden nicht 14 dargestellt. Die soziale Nachfragekurve liegt tiefer, weil: die negativen Nutzen von den positiven abgezogen werden die Alkoholtrinker weniger konsumieren würden, wenn sie Geschädigten kompensieren müssten Nachfrage Angebot 12 10 Marktoptimum 8 6 soziale Kosten 5 4 soziale Nachfrage 2 0 0 soziales Optimum 2 3 4 6 8 Alkohol 10 12 14 Beispiel: Grundlagenforschung (positive Produktionsexternalität) Grenzkosten der Wissensproduktion PForschung Grenznutzen des Wissenskonsums 14 Nachfrage Angebot 12 10 Universitäten erforschen DNA Marktoptimum 8 6 4 Pharmaindustrie nutzt Ergebnisse um neue Medikamente zu entwickeln 2 0 0 2 4 6 8 10 12 Grundlagenforschung Biologie 14 Beispiel: Grundlagenforschung (positive Produktionsexternalität) Wenn wir die positiven Externalitäten berücksichtigen, sollte mehr Wissen als im Marktoptimum produziert werden. PForschung 14 Nachfrage Angebot 12 10 soziales Angebot 8 sozialer Wohlfahrtsgewinn 6 4 soziales Optimum 2 Marktoptimum 0 0 2 4 6 8 10 12 Grundlagenforschung Biologie 14 Beispiel: Lastwagentransport (negative Produktionsexternalität) Grenznutzen der Nachfrager von Transportdienstleistungen PL-Transport Nachfrage 14 12 Angebot 10 Marktoptimum 8 6 4 Grenzkosten der Transportunternehmer 2 0 0 2 4 6 8 10 12 14 Lastwagentransport Mrd.t/km Soziale Kosten Negative Externalitäten: Abgase, Lärm, Verkehrsstau, Unfälle ... 4 2 0 0 2 4 6 8 10 12 14 Lastwagentransport Mrd.t/km PL-Transport Angebot bei Steuer Beispiel: Nachfrage 14 Lastwagentransport (negative Produktionsexternalität) 12 3 10 Angebot 8 6 4 2 Entschädigung durch Transfer Steuereinnahmen 0 0 2 4 6 8 10 12 14 Lastwagentransport Mrd.t/km Soziale Kosten 4 3 2 0 0 2 4 6 8 10 12 14 Lastwagentransport Mrd.t/km PL-Transport Angebot bei Steuer Beispiel: Nachfrage 14 Lastwagentransport (negative Produktionsexternalität) 12 3 10 Angebot 8 6 gesellschaftliche Grenznutzen = private Grenzkosten 4 2 Marktoptimum 0 0 2 4 6 8 10 12 14 Lastwagentransport Mrd.t/km Soziale Kosten Die Lastwagen produzieren weniger Abgase, und die Transportunternehmer zahlen einen Preis dafür. 4 3 2 0 0 2 4 6 8 10 12 14 Lastwagentransport Mrd.t/km Ökonomische Handlungsanweisung: Internalisierung von Externalitäten Regulierung: der Staat legt fest wieviel Schadstoff ausgestossen werden darf oft einfachster Weg, negative Externalität zu beschränken Pigou-Steuer = Steuer, die auf die Internalisierung einer negativen Externalität zielt Beispiele: Benzin, Alkohol, Tabak, Abwasser Vorteil: ökonomischer Anreiz Verschmutzung zu verringern Patente: Beispiel für die Internalisierung positiver Effekte von Forschung und Entwicklung Fusion der Verursacher mit den Geschädigten (oder Begünstigten z.B. Papierfabrik und Fischereibetrieb z.B. Imker mit Fruchtbaumplantage Öffentliche Güter Güter, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann und bei denen keine Rivalität im Konsum besteht. Problem: Solche Güter werden bei vollkommener Konkurrenz möglicherweise nicht produziert. Ausschliessbarkeit NEIN JA JA Private Güter Kleidung Badeanstalt im Juli Öffentliche Ressourcen Fisch im Ozean Strand im Juli Rivalität Beispiele für Güter natürlicher Monopole NEIN Kabelfernsehen Badeanstalt im April Öffentliche Güter Armee Wissen Strand im April Wieso führen öffentliche Güter zu Marktversagen? Einzelne Konsumenten können das öffentliche Gut konsumieren, ohne etwas dafür zu bezahlen. Es ist technisch nicht möglich (oder zu teuer), potentielle Nutzer vom Konsum auszuschliessen. Sie sind “Trittbrettfahrer”. Beispiel: Bau einer Strasse zu 2 Häusern 1 2 PStrasse 600 Hausbesitzer 1 und 2 verfügen je über 500 Fr. 400 Kosten einer Strasse ist 400 Fr. Reservationspreis 1 Reservationspreis 2 Hausbesitzer 1 und 2 sind jeweils für sich bereit, 300 für die Strasse zu zahlen. 200 0 zur Verfügung: 500 Fr. Preis der Strasse: 400 Fr. “Reservationspreis” (=Nutzen) 300 Fr. 1 Wenn Hausbesitzer 1 die Strasse baut, kann er den anderen nicht daran hindern, sie ebenfalls zu gebrauchen. Hausbesitzer 1 hat dann einen Gesamtnutzen von 300 (Nutzen der Strasse) + 100 (Einkommen 500 - Kosten 400) = 400 lohnt sich nicht ! Hausbesitzer 2 hat dann einen Gesamtnutzen von 300 (Nutzen der Strasse) + 500 (Einkommen 500) = 800 2 1 2 Hausbesitzer 1 Nutzen Hausbesitzer 1 zahlen nicht zahlen Nutzen Hausbesitzer 2 600 600 800 400 400 800 500 500 zahlen Hausbesitzer 2 nicht zahlen Wenn jeder Hausbesitzer individualistisch denkt und handelt, wird die Strasse nicht gebaut. 1 2 Hausbesitzer 1 zahlen zahlen 600 600 < 800 400 400 800 < 500 500 Hausbesitzer 2 nicht zahlen nicht zahlen 1 paretooptimale Lösung zahlen Hausbesitzer 1 zahlen nicht zahlen 600 600 800 400 400 800 500 500 Hausbesitzer 2 nicht zahlen 2 Rationales Verhalten ? Unsere Erfahrung und empirische Studien zeigen, dass sich Haushalte und Unternehmen oft nicht in dem Sinne rational verhalten, wie wir es in den ökonomischen Modelle annehmen (Nutzen und Gewinn maximieren). Wirkliche Menschen sind Gemeinschaftswesen und keine Optimierungsrechner. individualpsychologische Faktoren soziale Komponente der menschlichen Natur unsichere Informationen beschränkte Informationsverarbeitungskapazität Begrenzte Rationalität Die Welt ist zu komplex und die Menge der Informationen zu gross. Wir können keine optimalen, sondern nur befriedigende Entscheidungen treffen. (Herbert Simon) Typische systematische Fehler Zu viel Selbstvertrauen in eigene Fähigkeiten (z. B. an den Aktienbörsen) Zu grosses Gewicht für direkte und lebendige Erfahrungen Bestehende Meinungen sind schwer zu ändern Typische systematische Fehler: „sunk costs“ beeinflussen Entscheidungen Wetter ist schön, und ich möchte eigentlich an den See. Trotzdem gehe ins Kino, weil ich die Karten schon gekauft habe. Wohne in Zürich und habe Tickets für ein Konzert in Basel. Es herrscht aber ein Schneesturm. Was mache ich, wenn ich die Tickets gekauft habe? Wenn ich sie geschenkt bekommen habe? Typische systematische Fehler: Berechnung von Wahrscheinlichkeiten Wir wissen: David ist entweder Bibliothekar oder Handelsvertreter schüchtern 80% der Bibliothekare, aber nur 20% der Handelsvertreter sind schüchtern Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Bibliothekar ist? 8 schüchterne Bibliothekare 18 schüchterne Handelvertreter 2 nicht schüchterne Bibliothekare Hier: rund 30% 72 nicht schüchterne Handelsvertreter Gerechtigkeit ist wichtig Experiment „Ultimatum Spiel“: Zwei Teilnehmer können bei einem Spiel gemeinsam 100 Fr. gewinnen. Einer der beiden wird zufällig als Diktator ausgewählt: Er darf die Aufteilung zwischen sich und dem anderen Spieler wählen. Der andere Spieler kann nur annehmen oder ablehnen. Wenn er ablehnt, ist das Spiel zu Ende und niemand gewinnt. Wenn der Diktator nur 1 Fr. anbietet und 99 Fr. für sich behält, wäre es trotzdem rational anzunehmen (besser als gar nichts). Aber viele nehmen 1 Fr. nicht an. Funktionen des Staates Ziele der Staatstätigkeit aus ökonomischer Sicht: Sicherstellung stabiler rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen Behebung von Marktversagen Korrektur des Einkommensverteilung Makroökonomische Stabilisierung (Vorlesung Makroökonomik) Stabile rechtliche und politische Rahmenbedingungen Ohne einen Minimalstaat, welcher Eigentumsrechte und die Einhaltung von Verträgen garantiert, könnte die Marktwirtschaft nicht funktionieren. Die detaillierte Untersuchung der Rahmenbedingungen ist Gegenstand der „Ordnungspolitik“ sowie von Nachbardisziplinen der VWL. Viele („neoklassische“) Ökonomen meinen, der Staat solle sich darauf beschränken, diese Rahmenbedingungen zu garantieren („Nachtwächter“-Staat). Diese Diskussion ist häufig durch Wertvorstellungen geprägt („weniger Staat“ versus „Verantwortung für das Ganze“) Behebung von Marktversagen Externalitäten Nutzen von Konsumenten oder Gewinn von Unternehmen wird direkt vom Verhalten anderer Wirtschaftssubjekte beeinflusst. Durch Steuern / Subventionen kann der Staat versuchen, die „Internalisierung der Externalitäten“ zu bewirken. Wo dies nicht praktikabel oder akzeptabel ist, wird durch den Staat häufig direkt per Verbot / Gebot in das Wirtschaftsgeschehen eingegriffen (sogenannte „zweitbeste Lösungen“). Behebung von Marktversagen Öffentliche Güter Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschliessbarkeit im Gebrauch. Private Anbieter werden diese Güter nicht, oder nicht in sozial optimaler Menge produzieren. Der Staat kann diese Güter anbieten. Probleme: Welche Menge soll der Staat anbieten? Wie soll er die Mittel dafür aufbringen? Diese Fragen werden im Rahmen der Finanzwissenschaft („Public Choice“) untersucht . Behebung von Marktversagen Monopolistische Marktformen Durch Absprachen der Unternehmen und steigende Skalenerträge in der Produktion können Monopole und Oligopole bzw. Kartelle entstehen. Durch staatliche Intervention kann versucht werden, die allokative Effizienz wiederherzustellen. Regulierung administrierte Preise Verpflichtung zum Angebot bestimmter Güter (Finanzierung per Quersubvention) Kartellgesetzgebung, Beschränkung von Fusionen Produktion in staatlicher Regie (Service Publique) Verteilung Distributive Ziele Die aus den marktwirtschaftlichen Aktivitäten folgende Einkommensverteilung deckt sich nicht unbedingt mit der gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellung von “Gerechtigkeit”. Der Staat kann durch öffentliche Einnahmen und Ausgaben die Einkommensverteilung direkt modifizieren. „Gerechtigkeit“ wird heute vorwiegend angestrebt als „Chancengleichheit“ (nicht als „Gleichheit“): z. B. durch Bildungsförderung (kostenlose Bildung oder Subventionen und Bildungskredite) Erbschaftssteuern