Interprofessionalität Dr. Gerald Neitzke, Medizinethiker Vorsitzender des Klinischen Ethik-Komitees der MHH Abteilung Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin Medizinische Hochschule Hannover (MHH) [email protected] Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Interprofessionelles Arbeiten Approbationsordnung für Ärzte vom 27.6.2002 • „§ 1: [...] Die Ausbildung soll auch [...] die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten und mit Angehörigen anderer Berufe des Gesundheitswesens fördern.“ • „§ 6: Der dreimonatige Krankenpflegedienst [...] hat den Zweck, den Studienanwärtern oder Studierenden in Betrieb und Organisation eines Krankenhauses einzuführen und ihn mit den üblichen Verrichtungen der Krankenpflege vertraut zu machen.“ Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung vom 07.05.2004 • „Bei seiner Entscheidungsfindung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden Mitarbeitern einen Konsens suchen.“ Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Interprofessioneller Ethikunterricht Modelle: • Praktika (Krankenpflegepraktikum) • „Nesting“ • gemeinsame Lehrveranstaltungen • gemeinsame Stationsarbeit Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Interprofessioneller Ethikunterricht gemeinsam lernen Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 gemeinsam arbeiten Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Abb. 1: Hauptmotivationen in den Heilberufen und eine ‚integrierte Motivation‘ Krankenschwestern/Pfleger Ärztinnen/Ärzte Pflege Heilen Fürsorge Behandeln Zuwendung Betreuung kranker Menschen in ihrem Kranksein ‚integrierte Motivation‘ Aus: Neitzke, G.: Motivation und Identitätsbildung in den medizinischen Professionen. Konsequenzen für die klinische Praxis. In: v. Engelhardt; v. Loewenich & Simon (Hrsg.): Die Heilberufe auf der Suche nach ihrer Identität. Lit-Verlag, Münster 2001, 48-61 Professionen und Kompetenzen Heilenwollen Pflege / Betreuung behandeln, verändern, Krankheit bekämpfen beistehen, unterstützen, akzeptieren, zulassen Therapeutischer Aktionismus / Ungeduld Bereich „akzeptierter“ Einstellungen „Negative“, nicht akzeptierte Haltungen Lethargie / Abstinenz vernachlässigen, verlassen (be-)schädigen = Mögliche Konflikte Abb. 2: Spektrum von Haltungen im Umgang mit kranken Menschen Aus: Neitzke, G.: Motivation und Identitätsbildung in den medizinischen Professionen. Konsequenzen für die klinische Praxis. In: v. Engelhardt; v. Loewenich & Simon (Hrsg.): Die Heilberufe auf der Suche nach ihrer Identität. Lit-Verlag, Münster 2001, 48-61 Interprofessioneller Ethikunterricht Seminargestaltung • Kleingruppen • 10 Medizinstudierende + 10 Auszubildende der Krankenpflege (jeweils aus dem ersten und zweiten Ausbildungsjahr) • Dozentenpaar (Medizin + Pflege) • 8 Unterrichtsstunden (Freitag + Samstag) • Ethische Falldarstellung (ein realer Fall pro Seminar) Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Interprofessioneller Ethikunterricht Unterrichts-Methoden • Sequentielle Falldarstellung (realitätsnah) • Rollenspiele (schult kommunikative Kompetenz) • Kleingruppen-Diskussionen (fördert Beteiligung aller) • Entscheidungsfindung im Team (Verbindlichkeit simulieren) • Lernenden-zentriert • Lehrer-Auszubildender-Beziehung als Modell der HelferPatient-Beziehung • Niedrige Hierarchien (minimiert moralische Beeinflussung) • Evaluation (Respekt) Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Interprofessioneller Ethikunterricht Ein Fall • Sönke Tiede, 68-jähriger Landwirt, Leberzellkarzinom • Überbringen schlechter Nachrichten: Diagnoseaufklärung („Es ist Krebs“) • „Informed consent“: Aufklärung und Einwilligung vor Operation • Patientenwünsche (S.T. möchte vor OP noch einmal heim) • Therapieentscheidung während der OP: OP-Umfang ausweiten? • Wahrheit am Krankenbett (Ehefrau: „Sagen Sie es ihm nicht...“) • Therapieabbruch / Therapieverzicht, Stellvertreter-Entscheidung • Palliativmedizin / Sterbebegleitung Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Interprofessioneller Ethikunterricht Professionelle Ethik Explizite Fragestellungen nach der Falldiskussion: • Erfahrung der gemeinsamen Fallbearbeitung („interprofessionell“) • berufsspezifische Pflichten (Aufklärung, Einwilligung etc.) • gemeinsame Verpflichtungen vs. spezifische Pflichten • professionelle Rolle im Stations-Team („Was ist ein Team?“) • Motivationen in Medizin und Krankenpflege (‚care‘ vs. ‚cure‘) • „gute“ Entscheidungsfindung („Was ist ein Konsens?“) • eigenes Berufsverständnis / Verständnis der anderen Professionen Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke Haltung der Lehrenden / Vorbilder Das Verhältnis Lehrender-Lernender ist ein Modell für die spätere Arzt/Helfer-Patient-Beziehung (zuhören, respektieren). Die Auszubildenden/Studierenden werden sich ihren späteren Patient/innen gegenüber so verhalten, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten haben (pädagogische Verantwortung). Daraus folgt: • Verantwortung wird vorgelebt (Prüfungen!) • Es gibt keine moralisch höherwertige Meinung • Lehrende interessieren sich für die Überzeugungen der Lernenden (Respekt!) • Konsens entsteht in der Gruppe (Verbindlichkeit!) Ev. Akademie Tutzing, 09.-11.07.2004 Ethik in den Heilberufen. Lernen und Lehren Dr. Gerald Neitzke