Depression im Kindes- u. Jugendalter Dr. med. Tomasz A. Jarczok 15.02.2017 Entwicklungspsychiatrie 70 % psychischer Erkrankungen beginnen vor dem 18. Lebensjahr (Paus 2008) Bester Prädiktor für psychische Erkrankungen im jungen Erwachsenenalter ist Dauer und Anzahl der Phasen psychischer Erkrankung in Adoleszenz (Prospektive Kohortenstudie) (Patton 2014) “(...) psychogeriatrics starts right after adolescence” (Parellada 2013) 15.02.2017 1 Immer mehr depressive Kinder und Jugendliche..? 15.02.2017 2 Affektive Erkrankungen - Klassifikation Klassifiziert unter Kapitel F3 in ICD-10: Affektive Störungen F32: depressive Episode Leicht, mittel, schwer; ohne / mit psychotischen Symptomen F33: rezidivierende depressive Störung mehrere wiederkehrende Episoden wie F32, F34.1: Dysthymia chronische depressive Verstimmung (geringerer Schweregrad) F92.0: kombinierte Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung Falls jemals manische Episode in der Vergangenheit => Depressive Störung bei Bipolarer Störung (-> E-Psych Vorlesung) Depressiver Symptome können im Rahmen zahlreicher unterschiedlicher Störungen auftreten 15.02.2017 3 Depression - Symptomatik Mindestens zwei Wochen: Obligate Symptome (mindestens zwei): Gedrückte Stimmung Interessenverlust/Freudlosigkeit Verminderung des Antriebs mit erhöhter Ermüdbarkeit Weitere Symptome: Konzentrationsminderung Vermindertes Selbstwertgefühl Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Suizidgedanken oder –handlungen Schlafstörungen Appetitminderung Fakultativ: psychotische Symptome (Wahn, Halluzination, Stupor) bei Kindern/ Jugendlichen selten 15.02.2017 4 dass sich die Symptome nicht unbedingt in einer melancholischen Grundstimmung mit Traurigkeit, Interesselosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Grübeln oder Antriebslosigkeit zeigen, sondern häufi g hinter körperlichen Symptomen, hinter krankhafter Unruhe, Aggressionen oder selbstverletzendem Verhalten verborgen sein können. Diese unterschiedlichen Bilder der Depression führen dazu, dass Depressionen im Kindesund Jugendalter oft nicht oder sehr spät erkannt wer den. unberechenbar und verlieren Eltern den Zugang zu den Gefühlen des Kindes, sollten sie möglichst umgehend eine Praxis oder Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie anrufen und um einen schnellstmöglichen Termin bitten. Im Fall von konkr eten Suizidandrohungen können Eltern zum Schutze der Kinder den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt oder die Polizei benachrichtigen. Entwicklungsabhängigkeit der Symptomatik Die sich zeigenden Symptome einer Depr ession im Kindesund Jugendalter sind alters- und entwicklungsabhängig. Siehe hierzu die nachfolgende Tabelle: Eine Depression ist eine Krankheit, die behandelt w erden kann. Vorschulalt er (4–6 Jahre) Schulkinder (7–12 Jahre) Pubert ät s-/Jugendalt er (13–18 Jahre) vermehrt es Weinen w irkt t raurig t rauriger Gesicht sausdruck Wort bericht e über Traurigkeit vermindert es Selbst vert rauen (Selbst zw eif el) Ausdrucksarmut psychomot orische Hemmung psychomot orische Hemmung Lust losigkeit , Apat hie, Konzent rat ionsmangel erhöht e Irrit abilit ät Ängst lichkeit , krankhaf t e Ängst e Zukunf t sangst , Ängst lichkeit Kleinkindalt er (1–3 Jahre) gest ört es Essverhalt en Appet it losigkeit Appet it losigkeit (Ein-)Schlaf st örungen (Ein-)Schlaf st örungen (Ein-)Schlaf st örungen Spielunlust unzugängliches / kont akt armes, aber auch aggressives Verhalt en suizidale Gedanken Schulleist ungsst örungen St immungsanf älligkeit psychosomat ische Beschw erden, Gew icht sverlust Ein- und Durchschlafstörungen rhyt mische Schw ankungen des Befi ndens Suizidalit ät Tabelle: Alt erst ypische Anzeichen bei Depressionen im Kindes- und Jugendalt er 15.02.2017 5 Entwicklungsabhängigkeit der Symptomatik Depressive Symptomatik im Kleinkindalter (1 - 3 Jahre) vermehrtes Weinen, wirken traurig ausdrucksarmes Gesicht erhöhte Reizbarkeit, Irritabilität gestörtes Essverhalten Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen oder übergroßes Schlafbedürfnis) überanhänglich, können schlecht alleine sein Teilnahmslosigkeit, Spielunlust und auffälliges Spielverhalten (mangelnde Fantasie) 15.02.2017 6 Entwicklungsabhängigkeit der Symptomatik Depressive Symptomatik im Vorschulalter (3 - 6 Jahre) trauriger Gesichtsausdruck verminderte Gestik und Mimik, psychomotorische Hemmung leicht irritierbar, stimmungslabil, auffällig ängstlich mangelnde Fähigkeit sich zu freuen Teilnahmslosigkeit und Antriebslosigkeit, introvertiertes Verhalten vermindertes Interesse an motorischen Aktivitäten innere Unruhe und Gereiztheit zeigen sich in unzulänglichem/kontaktarmen, aber auch aggressivem Verhalten Ess- und Schlafstörungen 15.02.2017 7 Entwicklungsabhängigkeit der Symptomatik Depressive Symptomatik bei jüngeren Schulkindern (6 - ca. 12 Jahre) verbale Berichte über Traurigkeit Denkhemmungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisstörungen Schulleistungsstörungen Zukunftsangst, Ängstlichkeit unangemessene Schuldgefühle und unangebrachte Selbstkritik psychomotorische Hemmung Appetitlosigkeit (Ein-)Schlafstörungen suizidale Gedanken 15.02.2017 8 Entwicklungsabhängigkeit der Symptomatik Depressive Symptomatik im Pubertäts- und Jugendalter (13 - 18 Jahre) Im Vordergrund psychischen Symptome: vermindertes Selbstvertrauen (Selbstzweifel) Apathie, Ängste, Lustlosigkeit, Konzentrationsmangel Stimmungsanfälligkeit tageszeitabhängige Schwankungen des Befindens Leistungsstörungen/ Konzentrationsstörungen Gefühl, den sozialen und emotionalen Anforderungen nicht gewachsen zu sein Gefahr der Isolation, des sozialen Rückzugs Anstieg der Suizidgedanken und -versuche Körperliche Symptome: psychosomatische Beschwerden (z.B. Kopfschmerzen) Gewichtsverlust Ein- und Durchschlafstörungen (häufig auch übermäßiges Schlafbedürfnis) 15.02.2017 9 Immer mehr depressive Kinder und Jugendliche..? 15.02.2017 10 Immer mehr depressive Kinder und Jugendliche..? Depressionsprävalenz steigt nicht an Depression ist eine häufige Erkrankung Gefühlte Zunahme durch höheres Bewusstsein für Erkrankung 15.02.2017 11 Global Burden of Disease Studie 15.02.2017 12 Global Burden of Disease Studie - WHO Depression gehört zu den im Kindes- und Jugendalter am stärksten beeinträchtigenden Erkrankungen Suizide als Folge von Depression gehören zu den häufigsten Todesursachen bei Minderjährigen 15.02.2017 13 Depressive Störungen 6-Monatsprävalenz im Kindesalter: ca. 1-3% 6-Monatsprävalenz im Jugendalter: ca. 8% 6-Monatsprävalenz im Erwachsenen: ca. 10% Ab Jugendalter höhere Raten bei Mädchen (ca. 2:1) Komorbide Störungen Angststörungen Störungen des Sozialverhaltens Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung Jugendalter: Substanzabusus Somatoforme Störungen Persönlichkeitsstörungen 15.02.2017 14 Risikofaktoren - Ätiologie Genetische Prädisposition Heritabilität ca. 40% Umweltfaktoren fehlende Zuwendung durch prim. Bezugspersonen Deprivation chron. elterliche Konflikte körperliche Misshandlung akute Lebensereignisse (insbes. Scheidung, Trennung, Tod eines Elternteils) traumatische Erfahrungen niedriger SES, Armut Lernen am Modell bei depressiven Eltern Gen-Umweltinteraktion zentral Exemplarisch: Interaktion 5-HTTLPR X belastende Lebensereignisse (Caspi et al. 2003, Science) 15.02.2017 15 Gen x Umweltinteraktion Eley et al. 2004 15.02.2017 16 Pathophysiologische Hypothesen Neurotransmission Serotonin-Mangel, Überlappung mit Angststörungen Katecholaminmangel Heute eher: Dysbalance zwischen unterschiedlichen Neurotransmittersystemen Neuroendokrinologie Dysregulation des Systems Hypothalamus / Hypophyse / Nebennierenrinde Hyperkortisolismus: CRH hoch, ACTH-Antwort niedrig; Suppression der Ausschüttung von CRH und ACTH durch Dexamethason nicht mehr vorhanden Einfluss von Geschlechtshormonen 15.02.2017 17 Diagnostik Anamnese Insbesondere: Symptome der Depression Verlauf: frühere Episoden Somatische Erkrankungen Risikofaktoren, Medikamente, Drogen, Alkohol Klinisches oder standardisiertes Interview mit Eltern und Kind Kinder-DIPS / Kiddie-SADS Fragebögen für Eltern und Kind: Screening (siehe Literatur) Psychopathologischer Befund Körperliche Untersuchung Ggf. weiterführende Testdiagnostik, EEG, EKG, Laboruntersuchungen Klinische Diagnose Zusammenschau 15.02.2017 der Befunde / Bewertung des Schweregrades 18 Differentialdiagnosen Angststörungen (Komorbidität möglich und häufig) Bipolare Störung (beginnt meist mit depressiver Episode) Somatoforme Störungen (Komorbidität möglich) Schizophrene Psychosen Somatische Erkrankung, z.B. Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus, Hypopituitarismus, Morbus Cushing Infektionskrankheiten Anämie Multiple Sklerose Medikamenten- oder Drogen-induziert 15.02.2017 19 Kognitive Verhaltenstherapie aus Abel und Hautzinger 2013 15.02.2017 20 Psychotherapie Kognitive Verhaltenstherapie (am besten wissenschaftlich evaluiert) – problemorientiert, strukturiert Aufbau positiver Aktivitäten Besserung sozialer Kompetenz Umstrukturierung dysfunktionaler kognitiver Schemata - Zusammenhang (Denken, Fühlen, Handeln) Interpersonelle Therapie (gut evaluiert) Gruppentherapie (basierend auf kognitiver VT) bei Jugendlichen mit leichteren depressiven Störungen (gut evaluiert) Einbeziehung der Familie: Reduktion von Belastungsfaktoren, Therapie psychiatrischer Erkrankungen der Eltern Elterliche Unterstützung bei Alltagsbewältigung; Förderung Eigeninitiative 15.02.2017 21 Kognitive Verhaltenstherapie aus Abel und Hautzinger 2013 15.02.2017 22 Wirksamkeit antidepressiver Behandlung bei Depression Treatment for Adolescents With Depression Study (TADS) Randomized Controlled Trial Fluoxetin + CBT > Fluoxetin > CBT = Placebo (March et al., 20014) 15.02.2017 23 Psychopharmakotherapie Pharmakotherapie bei schweren depressiven Episoden und Suizidalität, bei mittelschweren Episoden optional Orientierung der Behandlungsverfahren an klinischem Bild (nicht an ätiologischen Hypothesen) Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer: Insbesondere für Fluoxetin Wirksamkeitsnachweis (Meta-Analysen) (Usala et al., 2008; Hetrick et al., 2007) Cave: möglichen Anstieg von Suizidgedanken und Suizidalität beachten Trizyklische Antidepressiva wirken im Kindes- und Jugendalter nicht Duloxetin, MAO-Inhibitoren, Mirtazapin, Johanniskraut (Hypericum perforatum) kaum untersucht bei Kindern / Jugendlichen Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie: bessere Effekte Cave: Depression bei bipolarer Störung => Behandlung mit Phasenprophylaktika 15.02.2017 24 Bündnis gegen Depression Frankfurt Schirmherr 15.02.2017 25 Bündnis gegen Depression Frankfurt 15.02.2017 26 Danke für die Aufmerksamkeit! [email protected] 15.02.2017 27