Depression: Früherkennung und Prävention Winterthur, 29. November 2012 «Merk»male und Verlauf depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen Dr. med. Kurt Albermann Chefarzt Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) Departement Kinder- und Jugendmedizin Definition und Häufigkeit Introversive Störungen Lebenszeitprävalenz Depression 10.5 14.9 % 10 - 20 % Diagnose depressiver Störungen ab ca. 3 J. möglich (Präsentation mit typischer Symptomatik) Egger et al. 2006 Costello et al. 2006 Häufigkeit depressiver Störungen 2 5J 2.1 % Egger et al. 2006 2J 0.3 % 5J 3.0 % 1.5 J 2.8 % Lavigne et al. 2009 3 1.12 % Domenech-Llaberia et al. 2009 6J Häufigkeit depressiver Störungen Schwere Depression bei Kindern 1-3% Schwere Depression bei Jugendlichen 1-6% Kinder m=w Jugendliche m/w Von Gontard 2010 Costello 2006 1:2 Definition und Klassifikation Keine für das Vorschulalter angepassten ICD-10 Unterscheidung: - leichte (F32.0) - mittelschwere (F32.1) - schwere Episoden (F32.2) - rezidivierende Episoden (F33) - Dauer ab 14 Tage Dysthymie (F34.1) Chronisch depressive Verstimmung geringer ausgeprägte Symptomatik Dauer: mind. 2 Jahre ICD-10 Kriterien Definition und Klassifikation Spezielle Hinweise für Kinder: - statt depressivem Affekt: irritable Stimmung - statt Gewichtsverlust: fehlende Gewichtszunahme (Wachstumsalter) Unterscheidung: Major Depressive Disorder einfach / rezidivierend mild / mässig / schwer Minor Depressive Disorder Dysthymie (Kindesalter) DSM-IV Dauer: 1 Jahr Definition und Klassifikation Anpassung für Kinder (RDC-PA) meist nicht durchgängig depressive Symptome grössere Fluktuation affektiver Zustände Symptome - über den grössten Teil des Tages - über der Hälfte der Tage in 2 Wochen Beschäftigung mit dem Tod bei jungen Kindern nicht in Gedanken, sondern im Spiel Wichtigstes Merk -mal bei Vorschulkindern: Anhedonie bei Aktivitäten und Spiel RDC-PA Luby et. Al. 2002, 2003 Was heisst denn depressiv? Länger anhaltende bedrückte Stimmung ohne erkennbare Ursache Verlust von Freude und Interessen Knick in den Schulleistungen Sozialer Rückzug Erhöhte Müdigkeit, Beschleunigung oder Verlangsamung Aufmerksamkeits-, Konzentrationsprobleme Aggressives Verhalten Verlust von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, Selbstvorwürfe Selbstverletzung Gedanken an Tod oder Suizid Schlaf- und Appetitstörungen Körperliche Beschwerden Körperliche Hinweise Das macht mich müde kaputt Das macht mir - schlaflose Nächte - Kopfschmerzen - Bauchschmerzen Übelkeit, Schwindel Das hat mir den Appetit verschlagen ich mag nichts essen Symptomatik Kleinkindalter (0 3 Jahre) erhöhte Irritabilität vermehrtes Weinen Spielunlust Appetitverlust, gestörtes Essverhalten / Fütterprobleme Ausdrucksarmut, Teilnahmslosigkeit Trauriges Gesicht Bindungsprobleme Trennungsangst Pr ogn ose u n d Ve r la u f utter-Kind-Interaktion als Schutzfaktor ächeln des Säuglings in der Interaktion mit der Mutter Quelle: Mannheimer Risikokinderstudie, 2009 Symptomatik Vorschulalter (4 - 6 Jahre) Stimmungslabilität Psychomotorische Hemmung Ängstlichkeit Bauchweh Zurückgezogenes Verhalten / Kontaktarmut Spielunlust Mangelnde Fähigkeit, sich zu freuen Wutanfälle / Agitiertes Verhalten Enuresis / Enkopresis Auf was ist bei Klein- und Vorschulkindern besonders zu achten? Spielverhalten: mangelndes Interesse, reduzierte körperliche Aktivität Essverhalten: verminderter oder gesteigerter Appetit Schlafverhalten: Ein- und Durchschlafstörungen, Früherwachen, Alpträume Depressionen sind meist keine vorübergehenden Störungen Kein Herauswachsen Sensibelstes Symptom: Traurigkeit / Irritabilität Luby et al 2003 Symptomatik Schulkinder (7-12 Jahre) Verbale Berichte über Traurigkeit Aufmerksamkeits-, Konzentrationsprobleme Schulleistungsstörung Ängstlichkeit Schlafstörungen Aggression, Wutanfälle Befürchtung, von den Eltern nicht genügend be- und geachtet zu werden Symptomatik Pubertät /Jugendalter (13-18 Jahre) vermindertes Selbstvertrauen, Gefühl der Wertlosigkeit Lustlosigkeit, Angst Sozialer Rückzug Konzentrationsmangel, Leistungsstörungen Schwankungen der Befindlichkeit Aggression, Straffälligkeit selbstverletzendes Verhalten Substanzkonsum Was ist zu tun? Gefühlen trauen zuhören, ernst nehmen Krisen: Notfallplan Hilfsangebote nutzen Vertrauensperson Suizidphantasien ansprechen und zuhören verbindlicher Kontakt Grenzen der eigenen Belastbarkeit Suizidalität Warnzeichen erkennen und ernst nehmen Gefährdung auch bei jüngeren Kindern Manchmal Impulshandlungen (keine / diskrete Vorankündigung) Suizidalität Quelle: Todesursachenstatistik2005/2006, BfS 2008 18 May 2012 16 244 Kinder Baseline 2007 4 066 Kinder, 4-11 Jahre (2009/2010) 8 europäische Länder 19 Prävalenz Psychosomatische Störungen 45.7% min. 1 psychosomatische / emotionale Symptome (PES) 38.2% geringes emotionales Wohlbefinden vergangene Woche Keine Geschlechtsunterschiede Korrelation PES Alter der Kinder Ungünstige Einflüsse mit vs. ohne PES Peer-Probleme 13.3% vs. 3.9% Abweichende Familienstruktur: 25.4% vs. 17.4% Anzahl ungünstiger Einflüsse : Risiko für PES Angebote Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) Beratung Einschätzen Ausmass der Depression Ambulant: nach Lösungen / Entlastung suchen medikamentöse Behandlung Therapie stationär: Entlastung, intensive Abklärung, Therapie Keine Behandlung akuter Suizidalität Verlegung Nützliche Adressen Haus-/ Allgemeinarzt Kinderarzt Kinderpsychologie /-psychiatrie Jugend- / Familienberatung SPD, KJPD SPZ www.147.ch (pro juventute) www.143.ch (Dargebotene Hand) www.tschau.ch www.feelok.ch www.elternnotruf.ch www.ipsilon.ch www.depression.ch www.wikip.ch Kinder depressiver Eltern Vielfach erhöhtes Risiko für depressive oder andere psychische Störung, u.a. Suchterkrankung Vermehrt Schwierigkeiten im sozialen, emotionalen und kognitiven Bereich Schulleistungsprobleme Risiko affektiver Störungen 2-3 x erhöht Risiko für MDD ca. 6 x erhöht Depression beider Eltern: Lebenszeitprävalenz für Kind 70% Sitzung der Teilprojektleitenden 8. Dezember 2011 Psych isch e r k r a n k t e Pe r son e n m it / oh n e Kin de r W oh n sit u a t ion [ % ] 40 30 20 10 Patientinnen (n=124) Patienten (n=67) 0 tP i m tn ar e o n ru e hn in K d P tn ar d e ern r, m in ti K d ern Albermann, Gurny, Cassée, Gavez, Los 2007 Winterthurer Prävalenzstudie Vergessene Kinder e al l in W oh n im he nik i l K Wirksamkeit universeller und selektiver Prävention von Depression im Kindes- und Jugendalter Evidenz selektiver, indizierter und universeller Prävention 121 kontrollierte Studien - 52 universelle (1990 - 46 selektive 2012) - 19 indizierte Präventionsprogramme Ergebnis: alle vs. Placebo kurzfristig / follow-up 9 M selektiv 12 M Schulte-Körne G. et al. 2012 4 Säulen Modell Prävention und Früherkennung Soziale Unterstützung / Beratung für betroffene Eltern und Kinder Therapie Kindesschutz Zusammenfassung Depressive Symptomatik bei Kindern altersabhängig, entspricht nur teilweise den für Erwachsenen gültigen Kriterien Ursachen häufig Kombination von genetischer Disposition, ungünstigen Entwicklungsbedingungen, belastenden Lebensereignissen und Erfahrungen in Interaktion mit Bezugspersonen Komorbidität beachten ( Angst, Zwang, Hyperaktivität, St. Sozialverhalten, Substanzkonsum etc.) Diagnostik und Therapie bedürfen enge Kooperation mit Bezugspersonen des Kindes, v.a. Kleinkinder Nutzen-Risiko-Verhältnis von Antidepressiva kontrovers Bridging the gaps vielen Dank!