MICHI - eine Gruppen-Kurzzeitpsychotherapie zur Behandlung von Depressionen bei Jugendlichen: randomisierte kontrollierte Studie Joana Straub1; Paul L. Plener1; Ferdinand Keller 1; Jörg M. Fegert 1; Nina Spröber1,3, Michael G. Kölch1,2,3 Kinder- und JugendPsychiatrie/Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm 1 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universität Ulm; 2 Vivantes Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Berlin; 3 geteilte Letztautorenschaft Hinführung Resultate Die Prävalenz depressiver Episoden nimmt im Jugendalter zu, zeigt häufig einen chronischen Verlauf und hohe Rückfallraten. Laut aktueller deutscher Leitlinien (1) ist der Psychotherapie, bei der Behandlung leichter bis mittelgradig depressiver Episoden, Vorrang zu geben. Effektstärken von Meta-Analysen, die die Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren zur Behandlung von Depressionen im Kindes- und Jugendalter seit dem Jahr 2000 untersuchen, liegen zwischen 0,29 (2) und 1,03 (3) mit einer gemittelten Effektstärke von 0,58 (SD=0,30). In Deutschland gab es bisher drei kognitiv-behaviorale Therapieprogramme, für die Behandlung von Depressionen im Jugendalter, die zwischen 8 und 17 Sitzungen und zwischen 45 und 120 Minuten dauern. Keines dieser Programme wurde bis dato an einer deutschen Stichprobe auf Effektivität hin überprüft. Dem AufwandWirkungs-Modell (4) zufolge findet eine besonders große Veränderung der Symptomatik in frühen Therapiephasen statt, was in diversen Studien bestätigt werden konnte (5, 6, 7) und zur Entwicklung einer Gruppen-Kurzzeit-Therapie namens MICHI (Manualized Intervention to Cope with depressive symptoms, Help strengthen ressources and Improve emotion regulation) (8) führte, deren Effektivität an einer deutschen Stichprobe untersucht wurde. Charakteristika der Teilnehmer: •38 Jugendliche wurden randomisiert der IG oder KG zugeordnet •Durchschnittlich besuchten die TN der IG 5,39 (SD=0,70) Sitzungen von 6 •Keine Unterschied zwischen den Gruppen hinsichtlich Alter, Geschlecht, IQ und anfänglicher Depressionssymptomatik Veränderung der depressiven Symptomatik: •CDRS-R-Summenwert verringerte sich von prä nach post sowohl in der IG (p<,001) als auch in der KG (p=,019) signifikant mit einer moderaten ES (d=,75) •BDI-II-Summenwert verringerte sich von prä nach post sowohl in der IG (p<,001) als auch in der KG (p=,003) mit einer kleinen ES (d=,39) •Symptomatik verbesserte sich von der prä- zur Nachuntersuchungs-Messung signifikant, blieb aber von der post- zur Nachuntersuchungs-Messung stabil Methoden Diagnostik: Eingangsdiagnostik: Erfassung psychischer Störung mittels K-SADS; Erfassung des Intelligenzniveaus Ergebnisvariable: Erfassung der depressiven Symptomatik im Selbst (BDI-II) - und Fremdurteil (CDRS-R) Einschlusskriterien: 13-18 Jahre alt; IQ>80; Leichte, mittelgradig, schwere depressive Episode; CDRS-R Summenwert ≥36 Ausschlusskriterien: Aktuelle Diagnose einer Schizophrenie, Suchterkrankung und bipolare Störung; Instabile Medikationseinnahme Veränderung der Suizidalität: •Vor MICHI berichteten 10 Jugendliche und nach MICHI 4 Jugendliche von moderaten bis schweren Suizidgedanken •Abnahme der Suizidalität, gemessen anhand Item 13 der CDRS-R, war in der IG aber nicht in der KG signifikant (Interaktion nicht signifikant) Zuordnung: Ergebnisse blieben vergleichbar nach Ausschluss medizierter Patienten. Schlussfolgerung Interventionsgruppe Behandlungselemente von MICHI: Psychoedukation, kognitive Umstrukturierung, Verhaltensaktivierung, Ressourcenaktivierung, Steigerung des Selbstwertgefühls, schrittweises Problemlösen, Emotionsregulation, Krisenmanagement Rückfallprophylaxe. Sitzungsanzahl: 5 Sitzungen + 1 Auffrischungssitzung Sitzungsdauer: durchschnittlich 74,78 Minuten (SD=9,57) je Sitzung Durchführungsintegrität: 98,24% und Kontrollgruppe Erhielt kinder- und jugendpsychiatrische Regelversorgung (≈ Treatment As Usual/TAU) durchschnittlich 1,74 (SD=1,35) Termine á ca. 30 Minuten bei einem Kinder- und Jugendpsychiater/–psychotherapeuten Literaturverzeichnis (1) Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie. (2013). Behandlung von depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Evidenz- und konsensbasierte Leitlinie. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-043.html; (2) Erford, B. T., Erford, B. M., Lattanzi, G., Weller, J., Schein, H., Wolf, E., et al. (2011). Counseling Outcomes From 1990 to 2008 for School-Age Youth With Depression: A Meta-Analysis. Journal of Counseling and Development, 89, 439-457; (3) McDermut, W., Miller, I., & Brown, R. (2001). The efficacy of group psychotherapy for depression: a meta-analysis and review of emprirical research. Clinical Psychology: Science and Practice, 8, 98-116. (4) Howard, K. I., Kopta, S., Krause, M. S., & Orlinsky, D. E. (1986). The dose-effect relationship in psychotherapy. American Psychologist, 41(2), 159-164. (5) Harrington, R., Whittaker, J., Shoebridge, P., & Campbell, F. (1998). Systematic review of efficacy of cognitive behavior therapies in childhood and adolescent depressive disorder. British Medical Journal, 316, 1559-1563. (6) Weisz, J., Thurber, C., Sweeney, L., Proffitt, V., & LeGagnoux, G. (1997). Brief treatment of mild to moderate child depression using primary and secondary control enhancement training. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 65, 703-707. (7) Goodyer, I. M., Dubicka, B., Wilkinson, P., Kelvin, R., Roberts, C., Byford, S., et al. (2008). A randomized controlled trial of cognitive behaviour therapy in adolescents with major depression treated by selective serotonin reuptake inhibitors. The ADAPT trial. Health Technology Assessment, 12(14). (8) Spröber, N., Straub, J., Fegert, J., & Kölch, M. (2012). Depression im Jugendalter: MICHI - Manual für die Gruppentherapie. Weinheim: Beltz. (9) Cuijpers, P., Huibers, M., Ebert, D. D., & Koole, S. L. (2013). How much psychotherapy is needed to treat depression? A metaregression analysis. Journal of Affective Disorders, 149, 1-13. (10) National Collaborating Centre for Mental Health. Depression in Children and Young People. Identification and Management in Primary Community and Secondary Care. London: The British Psychological Society & The Royal College of Psychiatrists. Das Ergebnis einer kleinen Effektstärke im Selbsturteil und einer moderaten Effektstärke im Klinikerurteil ist vergleichbar mit Effektstärken anderer Therapieprogramme, wobei MICHI halb bzw. viermal so kurz ist wie diese. Auch in der Meta-Analyse von Cuijpers et al. (9) konnte kein Zusammenhang zwischen der Dauer der Behandlung wohl aber zwischen der Intensität der Therapie und deren Wirksamkeit gezeigt werden. Vorteile einer Gruppen-Kurzzeitintervention liegen erstens im geringeren zeitlichen Aufwand, was sich positiv auf die Inanspruchnahmeschwelle auswirken kann. Zweitens in der Möglichkeit mehrere Jugendliche zeitgleich zu behandeln, was wiederum deren Wartezeiten auf einen Therapieplatz verkürzt. Drittems ist das Ergebnis aus gesundheitsökonomischer Sicht interessant. Fazit für die Praxis: Depressive Jugendliche könnten – im Sinne eines „first line treatments“- zunächst an einer Gruppen-Kurzzeitintervention teilnehmen. Gegeben den Fall, dass keine ausreichende Besserung der Symptomatik eintritt, könnte eine länger andauernde Psychotherapie oder eine Änderung der Behandlung (z.B. medikamentöse Behandlung) entsprechend der britischen NICE Guidelines (10) immer noch erwogen werden.