QUALITÄTSZIRKEL DER MEDIZINISCHEN PRAXISASSISTENTINNEN THAL ARZTVORTRAG VOM 21.09.2016 Grippe, Erkältungen und andere Infektionen der Atemwege Cahenzli Claudio Allgemeine Medizin FMH ÄrzteHaus Balsthal Bahnhofstrassse 1 4710 Balsthal Saisonale Grippe • Akute Erkrankung der Atemwege, die auf der Nordhalbkugel alljährlich zwischen Dezember und März auftritt. • Eine der häufigsten Atemwegsinfektionen des Menschen. jährliche Infektionsrate in der CH: 5-20% • Menschen > 60 LJ. haben ein erhöhtes Risiko für Komplikationen • ca. 5000 Hospitalisationen in der CH • 400-1000 Todesfälle pro Jahr in der CH • • Ursache ist der Influenzavirus. Saisonale Grippe Influenzavirus • Typ A: Wirte sind nebst dem Menschen auch Vögel, Schweine, Pferde, Hunde, Nerze, Wale und Seehunde. • Typ B: Wirte sind nur Mensch und Seehund. • Typ C: Wirte sind nur Mensch und Schwein. Infektionen mit Typ C verlaufen meist sehr milde und oft unbemerkt. • Übertragung: Tröpfcheninfektion (durch Niesen und Husten) und Schmierinfektion (durch Berührung). Influenzavirus • Virus infiziert in einem ersten Schritt die Bindehaut und die Nasenschleimhaut. Virus vermehrt sich dort in den Schleimhautzellen und breitet sich danach auf die unteren Atemwege aus. • Zwei Oberflächeneiweisse der Viren vermitteln diese Vorgänge: Hämagglutinin (H): Anhaftung und Eindringung • 18 Typen • H1, H2 und H3 beim Menschen wichtig • Neuraminidase (N): Freisetzung • 11 Typen • N1 und N2 beim Menschen wichtig • Influenzavirus • Durchmesser 80-120nm (zum Vergleich: Erythrozyt 7’500nm). • Hämagglutinin (H): Anhaftung und Eindringung; Ziel der Antikörper. • Neuraminidase (N): Freisetzung; Ziel der Neuraminindasehemmer. Influenzavirus • Eine infizierte Zelle der menschlichen Schleimhaut produziert 1’000-20’000 Viren. • Befallen werden bevorzugt die Flimmerzellen der menschlichen Atemwege. Influenzavirus • Oberflächeneiweisse sind instabil und wechseln ihre Merkmale sehr rasch. • Oberflächeneiweisse sind das Ziel der menschlichen Antikörper. • Zwei Mechanismen: Antigendrift (alle Typen): kleine Veränderungen • Ursache der jährlichen Grippeepidemie • Antigenshift (nur Typ A): grosse Veränderungen • Ursache der Pandemien • zwei unterschiedliche Viren müssen einen Wirt gleichzeitig infizieren, so dass diese grosse Teile des genetischen Matrials austauschen können • Symptome der Grippe • Ausmass der Beschwerden kann stark variieren; dies hängt von Viruseigenschaften wie auch von Wirtseigenschaften ab. • Plötzlicher, schlagartiger Beginn: aus völliger Gesundheit innert einer Stunde schwer krank. • • • • 1. Phase: allgemeines Unwohlsein, Abgeschlagenheit, hohes Fieber, Appetitlosigkeit, Schwindel, Lichtscheu, Schmerzen des Kopfes, der Glieder und der Augen, Tränenfluss 2. Phase: trockener Husten, Halsschmerzen, Heiserkeit, Nasenfluss Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall sind nicht ungewöhnlich bei Kindern oft auch Fieberkrämpfe Symptome der Grippe Verlauf der Grippe • Inkubationszeit: 1-4 Tage • Maximum der Krankheit: 48 Stunden nach Krankheitsbeginn • Dauer des Fiebers: 3-8 Tage • Virusausscheidung: 1 Tag vor Krankheitsbeginn bis 5 Tage nach Krankheitsbeginn • Rekonvaleszenz: meistens 1-2 Wochen, zuweilen aber auch 4-6 Wochen Komplikationen der Grippe • Häufig: • Entzündung von Nasennebenhöhlen, Mittelohr, Kehlkopf, Bronchien und Lungen. • Selten: Entzündung von Brustfell, Skelettmuskulatur, Herzmuskel, Herzbeutel, Hirnhaut, Gehirn, Rückenmark und Nervenwurzeln. • Herzversagen, Herzinfarkt, toxisches Kreislaufversagen. • Erschöpfung des Immunsystems: Blinddarmentzündung und Gallenblasenentzündung. • Behandlung der Grippe • Symptomatische Behandlung • • • • • fiebersenkende physikalische und medikamentöse Massnahmen Hustenhemmer, abschwellende Nasensprays, NSAR Hausmittel Bettruhe Antibiotika nützen nur bei Komplikationen durch Bakterien! Behandlung der Grippe • Ursächliche Behandlungen: • Neuraminidasehemmer: Oseltamivir (Tamiflu) und Zanamivir (Relenza) • Beginn in ersten 48 Std. der Krankheit • Wirkung auf Typ A und B • Resistenzen sind bekannt • • Hemmer des Kanals M2: Amantadin (Symmetrel, PK-Merz) und Rimantadin • Wirkung auf Typ A • sehr hohe Resistenzraten • • Die propylaktische und therapeutische Wirkung beider medikamentösen Strategien ist sehr bescheiden! Vorbeugung der Grippe • Ausgewogene Ernährung, regelmässige Bewegung und genügend Schlaf. • Nicht rauchen. • Grippeimpfung: wirksamste vorbeugende Massnahme. • Regelmässiges und gründliches Händewaschen. • Hand, Ellenbeuge und/oder Papiertaschentuch vor Mund und Nase beim Niesen und Husten. • • Bei Gebrauch der Hand: Hände waschen Bei Gebrauch des Papiertaschentuchs: Tuch entsorgen und Hände waschen • Anderen Menschen nicht die Hände schütteln; Kontakte zu anderen Menschen meiden. Grippeimpfung • Injektion von (toten) Virusteilen, die das Immunsystem anregen, passende Antikörper zu bilden. • Jährliche Anpassung an die aktuell zirkulierenden Viren, weshalb die Impfung jährlich verabreicht werden muss. • Impfung idealerweise im Oktober und November; Schutz hält 4-6 Monate an. • Wirksamkeit: • • • • Schutz vor Infektion bei Menschen <50. LJ.: 70-90% Schutz vor Infektion bei Menschen >65. LJ.: 30-50% Reduktion der Hospitalisationen bei Menschen >60. LJ.: 25-45% Reduktion der Todesrate bei Menschen >60. LJ.: 40-75% Grippeimpfung: Nebenwirkungen • Leichte Nebenwirkungen Rötung, Schwellung, Jucken und Schmerzen der Injektionsstelle (10-64%). • Fieber, Übelkeit, Gliederschmerzen und grippeähnliche Beschwerden für 1-2 Tage (<5%). • • Schwere Nebenwirkungen allergische Reaktionen (extrem selten). • autoimmune Erkrankungen (extrem selten). • Grippeimpfung: Wem wird die Impfung empfohlen? • Personen > 65. LJ. • Personen mit chronischen Krankheiten von Herz, Lunge, Nieren, Immunsystem und Blut, sowie Personen mit Zuckerkrankheit • Bewohner von Alters- und Pflegeheimen • Medizinal- und Pflegepersonal • Alle Personen mit nahem Kontakt mit Risikopersonen (Risikopersonen sind auch Säuglinge vor dem 6. LMo.) • Personen, die in der Tierseuchenbekämpfung arbeiten, die in Geflügelschlachthöfen arbeiten, die Geflügel halten, oder die oft engen Kontakt zu Wild- und Hausvögeln haben • Auslandsreisende: Tropen (ganzes Jahr), südliche Halbkugel (Juni bis September) • Schwangere. • Ehemalige Frühgeborene ab dem 6. LMo. Erkältungen = grippeähnliche Erkrankungen • Akute entzündliche Reaktion der oberen Atemwege auf Infektionserreger; diese tritt vorwiegend im Winterhalbjahr auf. • Weit überwiegend ausgelöst durch Viren: Rhinoviren (117 Typen) • Coxsackie- und Echoviren (64 Typen) • Adenoviren (41 Typen) • Parainfluenzaviren (4 Typen) • Coronaviren (11 Typen) • RSV-Viren (2 Typen) • selten Bakterien: Chlamydia pneumoniae und Mykoplasma pneumoniae (beide mit spontan gutartigem Verlauf!) • • Übertragung vorwiegend durch Tröpfchen und durch Schmierinokulation. Erkältungen • Es ist nur eine symptomatische Behandlung möglich: Paracetamol und NSAR gegen Fieber und Schmerzen • abschwellende Nasensprays für maximal 7 Tage • Inhalationen mit Dampf und Alkaloiden • hustenstillende Medikamente (Codein, Dextrometorphan, Hydrocodon, NSAR) • lokal betäubende Medikamente gegen Halsweh • Umckaloabo • Mischung aus Eukalyptusöl, Süßorangenöl, Myrtenöl (Myrtol), Zitronenöl • Stimmschonung • Antibiotika nützen nichts bei einer unkomplizierten Erkältung! • Hausmittel (vor allem Bienenhonig!) • • bakterielle Komplikationen können eine Antibiotika-Behandlung notwendig machen: • Nasennebenhöhlenentzündung, Mittelohrentzündung, Lungenentzündung. Erkältungen • Vorbeugung: • • • • • • • gesunder Lebensstil: ausgewogene Kost, Bewegung an der frischen Luft, genügend Schlaf, Stressreduktion. nicht rauchen gute Händehygiene Vitamin C und Knoblauch: Wirksamkeit ist bestätigt, wenn als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt Zink und Probiotika: Wirksamkeit nachgewiesen Echinacea: geringe bis fehlende Wirksamkeit Homöopathie: kein Nachweis der Wirksamkeit Akute Nasennebenhöhlenentzündung Akute Nasennebenhöhlenentzündung • Ursachen: • zu Beginn in der Regel Viren • in der Folge Bakterien: Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, andere • Entzündung auch möglich im Kindesalter: • Siebbeinzellen: ab Säuglingsalter Kieferhöhlen: ab Kleinkindesalter • Stirnhöhle: ab Vorschulalter • Keilbeinhöhle: ab Schulalter • • Behandlung: • Paracetamol oder NSAR • abschwellende Nasensprays für maximal 10 Tage • Inhalationen mit Dampf und Alkaloiden • Antibiotika nur in Ausnahmen (starke Beschwerden, Fieber, anhaltende Erkrankung) • Kortisonsprays ohne sichere Wirksamkeit • nur bei wiederholten Entzündungen lohnt sich eine Suche nach begünstigenden Faktoren Akute Mandelentzündung Akute Mandelentzündung • Entzündung der Gaumenmandeln, oft auch der Zungengrundmandel und der Rachenseitenstränge, selten der Rachenmandel. • Erreger: Viren ca. 70% • Bakterien ca. 30% • Pilze selten • • Beschwerden: bei viraler Ursache: Beschwerdebild wie bei der Erkältung • bei bakterieller Ursache: Schluckschmerzen, Fieber, Ohrenschmerzen und schmerzhafte Halslymphknoten; bei Kindern auch oft Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen • Akute Mandelentzündung: Streptokokken-Angina • Infektion der Mandeln mit einem bestimmten Bakterium (Streptokokkus BHSA) • • • • ca. 5-20% aller Mandelentzündungen selten bei Kindern < 3 Jahren Übertragung durch Tröpfchen typische Befunde: • • • hochrote, geschwollene Mandeln mit mehreren gelblichen Stippchen vergrösserte schmerzhafte Lymphknoten eventuell auch Ausschlag (Scharlach) Akute Mandelentzündung: Streptokokken-Angina Wahrscheinlichkeit für eine Streptokokkenangina • Abschätzung mittels McIsaac-Score: • • • • • • • Kein Husten Geschwollene Halslymphknoten Erhöhte Temperatur >38°C Belegte und/oder geschwollene Mandeln Alter 3-14 Jahre Alter > 45 Jahre +1 Punkt +1 Punkt +1 Punkt +1 Punkt +1 Punkt -1 Punkt Bei einer Zahl von <2 Punkten ist eine Angina tonsillaris unwahrscheinlich und somit kann auf den Rachenabstrich und auf Antibiotika verzichtet werden. Akute Mandelentzündung: Streptokokken-Angina • Komplikationen: rheumatisches Fieber: Gelenksentzündungen (Polyarthritis), Herzklappenentzündung (Endokarditis), Veitstanz (Chorea minor) • Entzündung der Nierenkörperchen (Glomerulonephritis) • Abszesse der Gewebe in der Umgebung der Mandeln • Blutvergiftung (Sepsis) • • Behandlung: Penicillin • Mandelentfernung bei Komplikationen oder bei sehr häufigen Infekten (>4x innert 12 Monaten); Mandelentfernung bei Schnarchen mit Atemaussetzern (unabhängig von Entzündungen) • Akute Mandelentzündung: Pfeiffersches Drüsenfieber • Infektion der Mandeln (aber auch anderer Organe des Immunsystems) mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) sehr oft beschwerdefreier Verlauf • hohe Durchseuchung bei Erwachsenen (>90%) • Übertragung durch Speichel (Küssen) • • typische Befunde: weissliche Membranen der Mandeln • vergrösserte schmerzhafte Lymphknoten • vergrösserte Milz • Akute Mandelentzündung: Pfeiffersches Drüsenfieber • Komplikationen: Milzriss • Blutarmut, Plättchenmangel • Ausschlagneigung (verstärkt durch Aminopenicillin) • sehr selten: Lymphdrüsenkrebs, Autoimmunerkrankungen • • Behandlung: Behandlung der Beschwerden • eventuell Infusionen bei Austrocknung • • andere virale Infekte können sehr ähnlich verlaufen, insbesondere HIV-Erstinfekt Akute Mittelohrentzündung Akute Mittelohrentzündung • Entzündung des Mittelohrs: • zu Beginn in der Regel Viren; in der Folge Bakterien: Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Moraxella, andere • sehr häufig bei Kindern Ohrtrompete ist kurz und flach ansteigend • oft Vergrösserung der Rachenmandel • • 2/3 aller Kinder < 3 Jahren haben mindestens eine Mittelohrentzündung durchgemacht, 1/3 sogar 3 mal Akute Mittelohrentzündung • Komplikationen: • Riss des Trommelfells • Mittelohrerguss mit Einschränkung des Gehörs, später auch Sprach- und Lernstörungen Warzenfortsatzentzündung Abszesse der Hirnhäute und des Gehirns • • Akute Mittelohrentzündung • Behandlung: abschwellende Nasentropfen • Paracetamol oder NSAR zur Schmerzlinderung • Antibiotika sind nicht immer nötig; bei leichtem Verlauf darf 1-2 Tage ohne Antibiotika zugewartet werden, sofern eine ärztliche Nachkontrolle gesichert ist • Parazentese (Trommelfellschnitt) und/oder Paukenröhrchen sind selten notwendig • Entfernung der Rachenmandel nur bei sehr häufigen oder kompliziert verlaufenden Mittelohrentzündungen • Akute Mittelohrentzündung • Indikation für sofortige Antibiotika-Therapie: • • • • • beidseitige Otitis media Trommelfellperforation mit eitrigem Ausfluss hohe Anfälligkeit zur Otitis media, Immunschwäche Befall des hörenden Ohres bei einseitig Ertaubten, Fehlbildungen Kind <2 Jahren mit reduziertem Allgemeinzustand • bei Kindern > 2 Jahren darf 2 Tage zugewartet werden • bei Kindern < 2 Jahren darf 1 Tag zugewartet werden Akute Bronchitis Akute Bronchitis • Erreger: • überwiegend Viren • seltener Bakterien: Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Staphylokokken, andere • Farbe des Auswurfs entscheidet nicht über die Ursache! • Beschwerden: • Husten mit oder ohne Auswurf, Brustschmerzen, Bluthusten, pfeifende Atemgeräusche; selten Fieber und Atemnot • bei Fieber und Atemnot ist eine Lungenentzündung wahrscheinlicher Akute Bronchitis • Behandlung: • hustenlindernde Mittel, schleimfördernde Mittel, NSAR • Antibiotika sind selten angezeigt am ehesten bei gleichzeitigem Fieber und schlechtem Allgemeinzustand • auch bei chronisch-obstruktiver Pneumopathie nicht immer nötig • • Inhalationen mit bronchienerweiterenden Medikamenten • • akute obstruktive Bronchitis, Asthma bronchiale, COPD Behandlung mit inhaliertem Kortison oder mit systemischem Kortison • Asthma bronchiale, COPD ...und wenn der Husten längere Zeit dauert? • lange anhaltender Husten (>2 Wochen) ohne weitere Beschwerden: Keuchhusten • infektiöse Lungenentzündung mit atypischem Keim • nicht-infektiöse Lungenentzündung (Farmerlunge, Staublunge, Sarkoidose) • chronische Bronchitis (insbesondere Raucherbronchitis und COPD) • Asthma bronchiale • Übererregbarkeit der Bronchien • Bronchiektasen • chronische Nasennebenhöhlenentzündung • gastro-ösophageale Refluxkrankheit • ACE-Hemmer-Nebenwirkung • Lungenkrebs, Brustfellkrebs, Metastasen • Danke für die Aufmerksamkeit.