Molekulare Grundlagen des Lernen und Erinnerns Michael Kiebler Abt. Neuronale Zellbiologie Zentrum für Hirnforschung [email protected] www.meduniwien.ac.at/kieblerlab Montag, den 27.4.2009 Heutige Themen 1. Einführung: historischer Exkurs in die Hirnforschung im allgemeinen und in die Gedächtnisforschung im speziellen 2. Hauptteil: Patient HM - Hippokampus - Synapse Pawlow‘sche Konditionierung - Elektrophysiologie/LTP 2-Photonen-Mikroskopie - dendritic spines - Molekküle 3. Ausblick: Viagra fürs Gehirn“ (Eric Kandel‘s Firma Memory Pharmaceuticals) Gedächtnispillen: z. B. Ritalin Genetische Eingriffe ? 2 Lernen & Gedächtnis Eric R. Kandel Nobelpreis für Physiologie & Medizin, 2001 New York Times Magazine „Das Gedächtnis manipulieren: das Rennen hat begonnen, Pharmaka zu entwickeln, die es uns erlauben werden, uns an das Gute zu erinnern - und das Böse zu vergessen“ 3 Herz oder Kopf 1. Platon (429 - 348 vor Christus): Die Seele befindet sich an den folgenden 3 Stellen im Körper: - den Intellekt findet man im Kopf (revolutionär!) - Ärger, Angst, Mut, Stolz im Herzen - die Lust, die Trauer und die “niedrigen Empfindungen” in der Leber und in den Gedärmen 2. Aristoteles (384 - 322 vor Christus): - die Funktion des Gehirns ist hauptsächlich die Kontrolle der einkommenden Gefühle vom Herzen 3. Nemesius (ca. 390 D.C.): - die Empfindungen, das Denken und das Gedächtnis befindet sich in den Ventrikeln des Gehirns 4 Frühe Lobotomie-Versuche Fund aus Peru Musée de l’Homme, Paris Ca. 2000 - 3000 Jahre alt Ca. 10,000 Schädelfunde Überlebensrate: 84 % 5 Phrenologie: das Gehirn ist das Zentrum für alle mentalen Funktionen Phrenologie: Lehre vom Geist, Gemüt Begründer: Franz Josef Gall Zuordnung geistiger Eigenschaften und Zuständen zu bestimmten Hirnarealen Annahme: Zusammenhang zwischen Schädel- und Gehirnform und Charakter bzw. Geistesgaben Gall: das Gehirn als den Sitz aller geistigen Tätigkeit des Menschen Charakter, Gemüt und Intelligenz als Resultat aus dem Zusammenspiel der geistigen Anlagen Damals wurde die erstellte Diagnose eines 6-Jährigen für die Berufswahl verwendet Bewußtsein http://www.bc.edu/bc_org/avp/cas/fnart/phrenology/phrenology_frames.html Phrenologie: spätere Forschungen Der französische Anthropologe Paul Broca und der deutsche Neurologe Carl Wernicke identifizierten im späteren 19. Jahrhundert Gehirnregionen, die bei der Spracherzeugung und dem Sprachverständnis wichtig sind. Das menschliche Gehirn von links gesehen 7 Der Patient H.M. * 1926 in Connecticut, USA Fahrradunfall im Alter von 9 Jahren Starke epileptische Anfälle Operation 1953 durch William Scoville große Teile des sogenannten limbischen System, u.a. Amygdala, anteriore 2/3 des Hippocampus, Gyrus parahipppocampalis wurden entfernt Resultat der Operation (Brenda Milner): kaum noch epileptische Anfälle Starke anterograde Amnäsie HM: Henry Molaison, verstarb letzten Dezember im Alter von 82 Jahren HM‘s obituary: http://www.nytimes.com/2008/12/05/us/05hm.html 8 Hippocampus (Ammonshorn) Hippocampus as relay station Ramón y Cajal, ca. 1880 9 MR des Patienten H.M. HM MR von 1997: Corkin et al., (1997) J. Neurosci. http://www.jneurosci.org/cgi/content/full/17/10/3964 WT 10 HM und Telefonnummern 11 Bilaterale mediale Lobektomie Fakten: - Langzeiterinnerungen betroffen - HM kann aber Dinge im Kurzzeitgedächtnis behalten - keine Probleme beim Erlernen von neuen motorischen Fähigkeiten - keine messbaren Störungen der Intelligenz oder der Sprache 2 unterschiedliche Arten von Speicherung für das Langzeitgedächtnis bzw. das Kurzzeitgedächtnis Problem: Übertragung von einem in das andere Gedächtnis Die medialen Temporallappen spielen bei der Konsolidierung der Erinnerung eine wichtige Rolle („Filterfunktion“) 12 Hippocampus und Navigation Londoner Taxi-Fahrer bei einer virtuellen Fahrt durch London (fMRI) (Maguire et al., 1996) 13 Cognitive mapping Conceptual model of hippocampal representation of a spatial environment according to the cognitive mapping hypothesis 14 Hippocampal place cells 15 Hippocampal place cells 16 Hippocampus (Ammonshorn) Hippocampus as relay station Ramón y Cajal, ca. 1880 17 Episodisches Gedächtnis Linker präfrontaler Kortex Rechter frontaler Kortex 18 Der Neuronale Schaltkreis im Hippokampus Output zm Cortex 2 2 1 Input vom Cortex 1: Granule cells of the Dentate Gyrus 2: Pyramidal cells in the CA1 and CA3 region of the hippocampus, respectively Starke Vereinfachung! Kandel et al., 4th edition 19 The Hebb synapse - When an axon of cell A ... Excites cell B and repeatedly or persistently takes part in firing it, some growth process or metabolic change takes place in one or both cells so that A’s efficiency as one of the cells firing B is increased (D.O. Hebb, 949). - Modern formulation: specifies not only firing, but synaptic change! Die Synapse Axon terminal Dendritic spine Der neuronale Schaltkreis im Hippocampus 22 Assoziatives Lernen (klassische Pavlovsche Konditionierung) auf molekularer Ebene 2 Hund riecht Essen Glocke 1 23 Assoziatives Lernen (klassische Pavlovsche Konditionierung) auf molekularer Ebene Glocke 1 24 Assoziatives Lernen (klassische Pavlovsche Konditionierung) auf molekularer Ebene Offensichtlich ändert sich etwas an dieser Synapse! (genauer gesagt auf der postsynaptischen - empfangenden Seite) 25 Der neuronale Schaltkreis im Hippocampus 26 LTP kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden Wie bei der Speicherung von Gelerntem, kann man auch bei LTP verschiedene Phasen unterscheiden: 1. Kurzzeit-LTP (E- bzw. S-LTP) Dauer ca. 1-3 h Kovalente Modifizierung von Molekülen, z. B. Aktivierung von Kinasen und Phosphatasen 2. Langzeit-LTP (L-LTP) hält für mindestens 24 h an Bliss & Lømo, 1973 benötigt die Neu-Synthese sowohl von RNA wie auch von Proteinen 27 Kann man dem Gehirn beim Lernen zusehen? Verändert sich etwas an dieser Synapse? 28 Fenster ins Gehirn http://www.neuroscience-gateway.org/2007/070607/full/nmeth0607-474.shtml 29 Elektrophysiologie kombiniert mit 2-PhotonenFluoreszenzmikroscopie GFP filled neuron Präparation: hippocampale organotypische Schnitte F. Engert & T. Bonhoeffer, Nature 1999 (Breakthrough of the year 2000 gemäß Science Magazine) 30 Aktivitäts-abhängiges Wachstum neuer Synapsen (dendritic spines) im Hippocampus Ansatz: Electrophysiologie kombiniert mit 2-PhotonenFluoreszenzmikroscopie in hippocampalen organotypischen Schnittkulturen Dendritic spine GFP filled neuron Courtesy of F. Engert and T. Bonhoeffer, Nature 1999 Break-through of the year 2000 According to Science magazine 31 Die Rolle des Hippocampus beim Lernen • • Der Hippocampus (10 Mio Zellen!) ist an der Speicherung beteiligt Nicht nur die empfangende Zelle, sondern eine einzelne Synapse wird beim Lernen modifiziert! Die Synapse ist somit die zentrale Einheit, die die Kommunikation zwischen den Nervenzellen ermöglicht Die Synapse verändert sich dabei sowohl in ihrer Struktur wie auch in ihrer Funktion und ihrer molekularen Zusammensetzung Lernen und Gedächtnis könnte der erste komplexe kognitive Prozess sein, den man auf zellulärer und molekularer Ebene verstehen wird 32 Ramon y Cajal (Nobelpreis 1906): erste Beschreibung von dendritic spines 33 Aktin-abhängige Dynamik von Synapsen (dendritic spines) im Hippocampus GFP filled neuron GFP-Aktin in Neuronen Courtesy of Fischer & A. Matus, Nature Neurosci. 2000 34 Morphologie von dendritic spines Hering & Sheng, 2001, Nature Reviews Neurosci. Kristen Harris: 3D Rekonstruction von dendritic spines Wie kann man sich Lernen und Gedächtnis auf molekularer Ebene vorstellen? „The usual suspects“: 1. CREB abhängige Genexpression im ZNS (Eric Kandel, Nobelpreis 2000) 2. Der mysteriöse synaptische tag (Frey & Morris, 1997, Nature) Wie steht es mit RNA Lokalisierung an die Synapse? „Lernende“ Würmer Video von Rene Garcia und Paul Sternberg, CalTech: C. elegans mating movie Geschichte über Versuche von James McConnell, JV. 1962. Memory transfer through cannibalism in planarians. Journal of Neuropsychiatry 3 (Supplement no. 1): 542-548. Assoziatives Lernen (klassische Pavlovsche Konditionierung) auf molekularer Ebene 2 Hund riecht Essen Glocke 1 39 Die Rolle des NMDA-Rezeptors bei der LTP AMPA-R • Beschränkung auf die erregende Reizweiterleitung • Glutamat als Neurotransmitter • Existenz verschiedener Glutamat-Rezeptoren • AMPA-Rezeptor spielt eine besondere Rolle bei der Ausbildung von EPSP‘s im Ruhezustand Die Rolle des NMDA-Rezeptors bei der LTP Ca2+ Einstrom Graham Collingridge, 1983 Der NMDA-R als Koinzidenz-Detektor (liganden- und spannungsgesteuert) Was passiert nach dem Ca2+ Einstrom durch den NMDA-Rezeptor ? Frühe LTP = Konsolidierung? Späte LTP = Speicherung ? Was passiert nach dem Ca2+ Einstrom durch den NMDA-Rezeptor ? Frühe LTP = Konsolidierung? Kinasen Kovalente Modifikation von z.B. CaMKII, PKA, PKC, MAPK, PI-3K, … folgenden Molekülen: • Rezeptoren • Ionenkanäle • Transkriptions-Faktoren • Komponenten des Zytoskeletts Phosphatasen z.B. PP1, calcineurin Und andere Mechanismen Was passiert nach dem Ca2+ Einstrom durch den NMDA-Rezeptor ? Frühe LTP = Konsolidierung? Kinasen Phosphatasen ? Späte LTP = Speicherung ? Molekular: Genexpression via CREB im Zellkörper • Synaptischer Tag wird an der potenzierten Synapse gebildet • Lokale Proteinsynthese an der Synapse? Strukturell: • Reorganisation des Zytoskeletts • Motilität von dendritischen Spines • Neubildung von Synapsen? • Neurogenese hippocampaler Neurone? Verstehen wir nun, wie man lernt ? E-LTP L-LTP Tiedge Model ? Conserved components of the RNA localization machinery (HFSP team 2001-2004) 1. hnRNPs 2. Zipcode-binding proteins (ZBPs) 3. Staufen 4. And many others... Bruce Schnapp (1999) Curr. Biol. Axon Dendrite ? modified from Tiedge et al., 1999 46 Sichtbarmachen einzelner Moleküle in lebenden hippocampalen Neuronen (Staufen1-GFP) Zellkörper d a gr o er t n a Köhrmann et al. MBC 1999 47 Characterization of two types of neuronal RNA granules Key findings: Stau2 1. Identification of about 60 RNA-binding proteins 2. ~ 90% of factors are shared between both RNPs 3. Majority were translational regulators 4. Two specific kinases identified for Btz 5. 2 molecular motor proteins of the kinesin family 6. Very few, selected RISC / P-body components Visualization of RNAs in living hippocampal neurons by time-lapse videomicroscopy Alexa-labeling of RNA developed by Ilan Davis, Edinburgh, UK: Cell (2001), Mol. Cell (2003) 49 Der Weg einer markierten RNA vom Zellkörper in die Dendriten einer Nervenzelle Alexa-488 labelled CaMK2α 3‘-UTR (a well-studied, dendritically localized mRNA implicated in synaptic plasticity, epilepsy and learning & memory) Fabian Tübing, Georgia Vendra et al. under revision 50 RNA interference pathway Nobel prize in Physiology & Medicine, 2006 from: Dykxhoorn et al., Nature Reviews, MCB 2003 51 Down-regulation of Stau2 in mature neurons leads to a loss in dendritic spines Average # of protrusions: 0.518 ±0.14 0.258 ±0.12 Neurons: 15 +3 DIV Mismatch si-Stau2-2: 0.509 ±0.14 (data not shown) 52 RNA on the move to the synapse Protein synthesis occurs! P P P P Kiebler & Bassell (2006) Neuron Gedächtnis - Morgen: Kann man das Gedächtnis mit Hilfe von Pillen verbessern (Viagra fürs Gehirn)? 54 Gedächtnispillen Eric R. Kandel Nobelpreis für Physiologie & Medizin, 2001 New York Times Magazine „Das Gedächtnis manipulieren: das Rennen hat begonnen, Pharmaka zu entwickeln, die es uns erlauben werden, uns an das Gute zu erinnern - und das Böse zu vergessen“ 55 Gedächtnispillen - MEM1003 -Donezepil Eric Kandel/ Memory Pharmaceuticals Gary Lynch/ Cortex Pharmaceuticals Tim Tully/ Helicon Therapeutics Pfizer - Ritalin* Novartis - Ampakine - CREB ehem. Alzheimer Medikament Modulation von Glutamatrezeptoren Transkriptionsfaktor ehem. Alzheimer Medikament für hyperaktive Kinder Nicht zu vergessen Glückspillen wie Prozac! 56 Gedächtnispillen Ritalin: - Arzneistoff mit stimulierender Wirkung. - Gehört zu den Amphetamin-änlichen Substanzen, - Medikamentöse Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS) - Es wird geschätzt, dass in einigen US-amerikanischen Schulen bis zu einem Drittel der Schüler Ritalin schlucken. - Bei den US-amerikanischen Studenten ist Ritalin als "Brain Booster" weit verbreitet. 57 Center for Brain Research, Vienna, Austria Contributing people in my lab: Martin Köhrmann (now Erlangen, Germany) Massimo Mallardo (now Naples, Italy) Barbara Grunewald (retired) Bernhard Götze (now Zeiss, Germany) Fabian Tübing (now Roche, Germany) Paolo Macchi (now Uni Trento, Italy) Ralf Dahm (now CNIO, Madrid, Spain) Yunli Xie (now IMBA, Vienna, Austria) Daniela Karra (now Düsseldorf, Germany) Anetta Konecna (now Bratislava, Slovakia) Manuel Zeitelhofer (now Vienna, Austria) Luci Schoderböck, Renate Härtel, Sam Herbert, Jacki Heraud Ingrid Kieweg, Sabine Spath, Martin Mikl Technicians: Sabine Thomas, Martina Schwarz, Julia Riefler and Julia Sandholzer Collaborators: Giulio Superti-Furga, CeMM, Vienna, Austria Dusan Bartsch, ZI Mannheim, Germany Dietmar Kuhl, Berlin, Germany Gunter Meister, MPI Munich, Germany Stefan Hüttelmaier, ZAMED, Halle, Germany Witek Filipowicz, FMI, Basel, Switzerland Daniel St Johnston, Cambridge, UK Jernej Ule, LMB MRC, Cambridge, UK Rob Singer, AECOM, Bronx, USA Jim Deshler, Boston U, USA Sally Temple, Rensselaer, NY, USA Ted Abel, UPenn, USA Ende