Vorlesung Zahnmedizin 2011 Umgang mit schwierigen Patienten Prof. Dr. med. Peter Keel Klinik für Psychiatrie & Psychosomatik Bethesda-Spital Basel PD Dr. P. Keel 1 Erfahrungsgemäss können schwierig sein • Persönlichkeitsstörungen • Somatoforme Störungen, Fibromyalgie („ohne Befund“) • Depressive Patienten (Hilflosigkeit) • Suchtpatienten (echte, verdächtigte) • Kommunikationsstörungen (widersprüchliche oder mangelhafte resp. verheimlichte Informationen) • Infauste Prognose (unheilbare, terminale Leiden) PD Dr. P. Keel 2 Interaktionspersönlichkeit • Jeder Interaktionspartner aktiviert (durch Übertragungsphänomene) bei einem Menschen unterschiedliche Persönlichkeitsanteile. Führt zu wechselndem Verhalten je nach Situation und Bezugsperson. • Bsp.: Im Kreis seiner Cliquenkollegen ein arrogantes Grossmaul, vor seiner Chefin, die ihn an seine strenge Mutter erinnert, ganz unterwürfig und kleinlaut. PD Dr. P. Keel 3 Persönlichkeitsstörungen: Allgemeine Merkmale • übernehmen keine Verantwortung für Fehler: immer die anderen sind schuld • überempfindlich, reagieren auf Kritik schnell beleidigt, nehmen alles persönlich. • reagieren aggressiv, wenn andere sich nicht wunschgemäss verhalten • können sich nicht in andere einfühlen, die eigenen Bedürfnisse sind immer zuvorderst • nützen andere Menschen aus und manipulieren sie zum eigenen Vorteil PD Dr. P. Keel 4 Persönlichkeitsstörungen: Typen • • • • • • • • • • zwanghaft (anankastisch) histrionisch (hysterisch, infantil, unreif) schizoid (distanziert, kühl, isoliert, einsam) paranoid (misstrauisch, rechthaberisch, kränkbar) passiv-aggressiv / ängstlich-vermeidend abhängig (anklammernd, unselbständig, schwach) dissozial (soziopathisch, delinquent, rücksichtslos) emotional instabil, Borderlinetypus narzisstisch (exzentrisch) depressiv (zyklothym, thymopathisch) Depression PD Dr. P. Keel 5 Emotional instabile Persönlichkeiten (Borderlinestörung): Merkmale • impulsives Verhalten, starke Emotionen • können Erfahrungen nicht sachlich einordnen • ertragen keine Kritik, verletzlich, stur • Wahrnehmung anderer Menschen schwankt unberechenbar zwischen Idealisierung und totaler Entwertung (Beziehungsstörungen) • leiden unter Gefühlen von Leere und Langeweile • haben massive Angst, verlassen zu werden (Anklammern oder Isolation), Misstrauen PD Dr. P. Keel 6 Emotional instabile Persönlichkeiten (Borderlinestörung): Verhalten • breite Streuung von sozial integriert (anscheinend normal mit abgespalteten pathologischen Anteilen) bis mehrheitlich schwer gestört, isoliert, misstrauisch bis paranoid • Impulsdurchbrüche: fremdaggressiv oder selbstschädigend (Schneiden, Brennen), Substanzmissbrauch, Selbstgefährdung • polyneurotisches Bild: Phobien, Zwänge, dissoziative Störungen, depressive Symptome • kurzdauernde psychotische Episoden (meist paranoid; „Grenze zu Schizophrenie“) • teilweise sehr bedürftig, appellativ mit häufigen suizidalen Krisen, Selbstbeschädigung oder Intoxikationen PD Dr. P. Keel 7 Kommunikationsstörung? PD Dr. P. Keel 8 Es gehören immer mindestens zwei dazu • In der Begegnung mit dem Helfer reagiert der Patient natürlich nicht nur auf seine wahrnehmbaren Äusserungen und Verhaltensweisen, sondern ebenfalls auf die ihm unterstellten Motive, d.h. Patienten reagieren auch auf die unbewussten Motive der Helfer. • Interaktion zwischen Patient und Helfer PD Dr. P. Keel 9 Übertragung/Gegenübertragung • Unbewusster Vorgang, bei dem Gefühle, Einstellungen und Erwartungen, die der Patient seinen früheren Bezugspersonen, vor allem den Eltern, entgegengebracht hatte, auf den Helfer übertragen werden. • Die Gegenübertragung beschreibt die Gefühlsreaktionen, die im Helfer durch das (dieses) Verhalten des Pat. ausgelöst werden. PD Dr. P. Keel 10 Rolle der Übertragung PD Dr. P. Keel 11 Kommunikationstechniken • „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ • 4 Ebenen der Kommunikation • WWSZ-Regeln • Umgang mit Emotionen PD Dr. P. Keel 12 4 Kommunikationsebnen • Selbstaussage Was ich Dir über mich damit mitteilen will • Sachaussage Was ich Dir damit über die Sache sagen will • Appell Was ich damit von Dir erwarte • Beziehungsaussage Was ich Dir damit über unsere Beziehung sagen will PD Dr. P. Keel 13 WWSZ (Aktives Zuhören) Warten, (aktives) Zuhören, Zeit lasssen Wiederholen, bestätigen Spiegeln Zusammenfassen kein vorschnelles Reagieren (Antworten), offene Fragen gleichen Wortlaut wiederholen, „mhm“, „vestehe“, nicken Spiegeln von Inhalten oder Emotionen Pat. hört was man verstanden hat. PD Dr. P. Keel 14 Gesprächsführung: Gezielte Fragen (offen/geschlossen) Fragetyp Beispiel Offen Wie war es? Was geschah? Direkt Wann hat es angefangen? Katalogfrage/ Alternativfrage (geschlossen) Suggestivfrage (do.) Sind die Schmerzen eher im Kreuz, (im Gesäss) oder in den Beinen? Mit ihrer Arbeitssituation sind sie doch zufrieden, oder? PD Dr. P. Keel 15 Gesprächsführung: Offen oder geschlossen? • so offen wie möglich • so geschlossen (direktiv) wie nötig • unterstützend („Auswahlfragen“) ! aber nicht suggestiv reden lassen, aber echt bleiben PD Dr. P. Keel 16 Gesprächsführung: Antworten, Reaktionen • keine Urteile, Wertungen, Vertröstungen und vorschnelle Ratschläge • ermuntern, selbständig Lösungsmöglichkeiten zu erwägen • Möglichkeiten neutral aufzeigen, Entscheidung Klient überlassen • ev. Problem bis später offen lassen PD Dr. P. Keel 17 Umgang mit Emotionen Naming Emotionen benennen Understanding Verständnis zeigen Respecting Respekt äussern Supporting Unterstützung anbieten PD Dr. P. Keel 18 Grundlagen hilfreicher Begegnungen mit Patienten • Empathie: kein Mitleid(en), sondern Mitfühlen, einfühlend nicht wertend • Akzeptanz: Wertschätzung, Achtung (bedingungslos) • Echtheit: Sei Dich selbst. Nicht hinter einer Fassade verstecken. Unzulänglichkeiten zeigen, damit der Pat. spüren kann, dass er es mit dieser Person zu tun hat. PD Dr. P. Keel 19 Therapeutische Grundhaltung (PERLS) • Partnerschaft • Empathie • Respekt • Legitimation • Support Förderung von Autonomie und Selbsteffizienz PD Dr. P. Keel 20 Partnerschaft bedeutet, dass der Berater ... • die Massnahmen zur Lösung der Probleme des Klienten gemeinsam mit diesem planen, entscheiden und umsetzen will. • sich mehr wie ein helfender Berater verhält, statt als "potenter Macher". • dem Klienten dabei eine aktive Rolle überträgt und erwartet, dass dieser selbst seinen Teil zur Lösung der Probleme beitragen muss. PD Dr. P. Keel 21 Empathie (Einfühlung) zeigt ein Berater ... • der in der Lage ist sich in die Situation des Klienten zu versetzen und nachzuempfinden, wie dieser sich fühlt. • der die offen gezeigten und die verdeckten, nonverbal ausgedrückten Gefühle des Klienten beachtet. • der diese Gefühle so spiegeln kann, dass der Klient sich verstanden fühlt. • der durch das Ansprechen seiner Gefühle dem Klienten hilft, sich dieser besser bewusst zu werden. PD Dr. P. Keel 22 Respekt zeigt ein Berater, der ... sich vom Informationsstand des Klienten ein Bild macht. dessen Selbstverantwortung und Mitbestimmung bei der Lösung der Probleme respektiert und dies durch angemessene Information fördert. die Bedürfnisse, Erwartungen, Ideen und Erfahrungen des Klienten klärt, respektiert und ihn diese nutzbar machen lässt. ihn als eigene Persönlichkeit, statt als Fall wahrnimmt ( Einfühlung). PD Dr. P. Keel 23 Legitimation drückt aus ... • wer das Verhalten und die Gefühle des Klienten primär als einfühlbar und verständlich annimmt ohne Vorbehalte oder Vorurteile (der Klient handelt aus "guten Gründen" so). • wer grundsätzlich guten Willen und Aufrichtigkeit bei jedem Klienten annimmt, so lange sich dies nicht klar als unberechtigt erwiesen hat. PD Dr. P. Keel 24 Support (Unterstützung) anbieten heisst, Klienten... • mit dem zur Verfügung stehenden Fachwissen zu beraten. • die möglichen Hilfen anbieten oder vermitteln. • Informationen zeitgerecht, in einer verständlichen Sprache und allenfalls wiederholt zu vermitteln. • helfen, Schwierigkeiten und Hindernisse im Umgang mit dem Leiden zu überwinden. PD Dr. P. Keel 25 Kommunikationsstörungen • Widersprüche zwischen Inhaltsund Beziehungsaspekt (mit saurer Miene): Ich habe ja nichts dagegen, dass Du heute Abend Deine alten Kollegen treffen willst! • Paradoxe Aufforderungen (unmögliche Aufträge): Sei nicht so folgsam! PD Dr. P. Keel 26 Kommunikationstraining: Problemlösen • • • • Problem sachlich (Ich-Form) darstellen: Ich stelle fest, dass ... Dabei stört mich, dass Du ... Keine (globalen) Vorwürfe (Angriffe): Du lässt immer Deine ... Klare (realisierbare) Forderungen stellen: Ich erwarte, dass Du ... Allenfalls Sanktionen ankündigen: Falls Du nichts änderst, werde ich ... PD Dr. P. Keel 27 Ich-Botschaften: Transaktionsanalyse ElternIch EL EL ErwachsenenIch ER ER K K KindIch symmetrisch/komplementär PD Dr. P. Keel 28 Rollenspiele • Jemand spielt „seinen schwierigen Patienten“. • Sie haben die Aufgabe ihm eine unangenehme Botschaft zu überbringen. • Spielen Sie dies zu dritt oder viert (je eine Beobachterin für Patient und Zahnarzt). Besprechen Sie, wie es Ihnen in den verschiedenen Rollen ging. • Versuchen Sie es erneut. PD Dr. P. Keel 29 Für hartnäckige Fälle? • Klassische Verhaltenstherapie: Zuckerbrot und Peitsche – Belohnung / Bestrafung – Lob und Tadel Wirkt in der Erziehung von Kindern und Erwachsenen, Menschen und Tieren PD Dr. P. Keel 30 Pawlow‘sches Experiment Licht Konditionierung des Speichelflusses durch Koppelung von Licht PD Dr. Futter P. Keel nur bei Licht! und Futtergabe: Fliesst auch ohne 31 Für schwierige Situationen oder ganz einfach: Zuckerbrot und Peitsche! Klassische Verhaltenstherapie (Dressur, Erziehung) Bedingter Reflex Extinktion Stimulus erlernter Reiz (erwartetes Signal) fehlender Reiz positiver Verstärker (fehlendes Signal) (Belohnung) aversiver Reiz (Strafe) Response gewünschte Reaktion keine Reaktion Abgeschwächte Reaktion PD Dr. P. Keel Operante Konditionierung vermehrte Reaktion Operante Konditionierung 32 Belohnung/Bestrafung wirkt erstaunlich ... dank Sackgebühren PD Dr. P. Keel 33 The End PD Dr. P. Keel 34