Proseminar Mathematisches Problemlösen Referenten: Anne Dorfmüller, Christine Huchler Thema: Extremalprinzip 11. Mai 2006 Das Extremalprinzip Das Extremalprinzip ist eine Strategie zur Lösung mathematischer Probleme. Es wird verwendet, um zu zeigen, dass in einer Menge ein Objekt mit bestimmten Eigenschaften existiert. Zur Lösung eines Problems werden Extrema betrachtet, wie z.B. Maximum/Minimum, Spezialfälle, Randpunkte usw. Dabei ist es hilfreich, die Elemente zu ordnen, also jedem Element eine Zahl so zuzuschreiben, dass das Element mit der kleinsten bzw. größten Zahl die gewünschte Eigenschaft erfüllt. Anwendung des Extremalprinzips: Das Extremalprinzip ist am besten anhand von Beispielen nachvollziehbar. Dennoch gibt es drei Fakten, die auf die Anwendung des Extremalprinzips hinweisen: i. Jede endliche nichtleere Menge A von reellen Zahlen hat ein kleinstes Element minA und ein größtes Element maxA. ii. Jede beliebige (also endliche oder unendliche) nichtleere Menge A von natürlichen Zahlen hat ein kleinstes Element min A. (Ein größtes Element hat sie natürlich nicht immer.) iii. Eine beliebige Menge A von reellen Zahlen besitzt nicht immer ein kleinstes oder größtes Element. Ist sie nach oben beschränkt, so hat sie eine kleinste obere Schranke (Supremum) supA; ist sie nach unten beschränkt, so hat sie eine größte untere Schranke (Infimum) inf A. Beispiel 1: In einer Schulklasse gibt es 24 Schüler, die in der Summe 241 Jahre alt sind. Stimmt es, dass es darunter 15 Schüler gibt, deren Gesamtalter größer als 150 Jahre ist? Lösung: - Schüler nach ihrem Alter aj anordnen: a1 ≥ a2 ≥ ... ≥ a24 Schüler mit dem größten Gesamtalter betrachten: g = a1 + ... + a15 Annahme: Es gelte g ≤ 150 Dann ist der jüngste unter den 15 ältesten Schülern höchstens 10 Jahre alt: a15 ≤ 10. Daraus folgt: a24 ≤ ... ≤ a15 ≤ 10 Das Gesamtalter der Klasse beträgt dann höchstens G = (a1 + ... + a15) + (a16 + ... a24) ≤ 150 + 9·10 = 240 Widerspruch zur Voraussetzung, dass das Gesamtalter 241 beträgt! Lösungsschema: - Elemente ordnen je nach gestelltem Problem (in Bsp. 1 nach Alter) Bzgl. dieser Ordnung wird ein Extremum ausgewählt (in Bsp. 1 die 15 Schüler mit dem größten Gesamtalter) Extremum nach den gesuchten Eigenschaften untersuchen und abschätzen (Sind die 15 ältesten Schüler älter als 150?) Beispiel 2: In der Ebene sind n Punkte gegeben, von denen man weiß, dass je drei von ihnen ein Dreieck mit Flächeninhalt ≤ 1 bilden. Beweise, dass es ein Dreieck gibt mit der Fläche 4, das alle n Punkte enthält. Lösung: - - - Wähle ABC als das Dreieck mit dem größten Flächeninhalt F mit F 1 Gesucht: Dreieck A’B’C’, das ABC enthält und viermal so groß ist Hinweis: Verbindet man in einem Dreieck die Seitenmitten miteinander, so wird das Dreieck in vier gleich große, zueinander kongruente Dreiecke zerlegt A’B’C’ kann also durch Umkehrung des obigen Satzes konstruiert werden: Zeichne durch die Ecken von ∆ ABC die Parallelen zu seinen Seiten BC, CA und AB. Das so entstandene Dreieck A’B’C’ hat die Fläche 4F ≤ 4 Z.z.: Alle n Punkte liegen im Dreieck A’B’C’ Annahme: der Punkt X liegt außerhalb von A’B’C’ O.B.d.A: Gerade B’C’ trennt die Punkte X und A’ Dann ist der Abstand AH vom Punkt A zur Geraden (BC) kleiner als der Abstand XH vom Punkt X zur Geraden (BC) - Also ist die Fläche XBC = 1 BC XH von Dreieck XBC größer als die 2 1 BC AH von ABC 2 Widerspruch zur Wahl vonABC als Dreieck mit dem größten Flächeninhalt Also ist A’B’C’ das Dreieck mit Fläche F 4, das alle n Punkte enthält. Fläche ABC = - Bei manchen Aufgaben ist es schwierig, aus der Menge der Objekte dasjenige herauszusuchen, welches, wenn man es „extremal“ macht, zum Erfolg führt (siehe Bsp. 4). Beispiel 3: In der Ebene gibt es n Häuser H1,...,Hn und n Brunnen B1,...,Bn. Keine drei der 2n Punkte liegen auf einer Geraden. Zeige, dass man jedes Haus mit jeweils einem Brunnen so durch eine gerade Strecke verbinden kann, dass sich diese Strecken nicht schneiden. Lösung: 1. Ansatz: - Insgesamt gibt es n! verschiedene Wegnetze - Wähle das Wegnetz, das keine Wegkreuzungen enthält - Ordne jedem Wegnetz W i die Anzahl seiner Kreuzungen Ki (Ki N, Ki 0) zu und betrachte nun die Anordnung W j mit minimaler Anzahl an Kreuzungen - Für Kj = 0 ist die gesuchte Lösung gefunden - Ist Kj>0, so existiert eine Kreuzung, z.B. schneidet HiBi die Verbindung HjBj. Ersetze diese Strecken durch HiBj und HjBi. Problem: Es ist nicht sichergestellt, dass das neue Wegnetz jetzt weniger Kreuzungen besitzt. Die Anzahl der Kreuzungen zu betrachten führt deshalb nicht zum Ziel. 2. Ansatz: - - Ordne jedem Wegnetz W i seine Gesamtlänge li zu Betrachte eine Anordnung W j mit minimaler Gesamtlänge Annahme: Es gibt zwei Strecken, die sich in einem Punkt M schneiden O.B.d.A.: Bezeichne diese Strecken mit H1B1 und H2B2 Dann kann ein neues Wegnetz W 1 gebildet werden, indem H1 mit B2 und H2 mit B1 verbunden wird und die restlichen Strecken nicht verändert werden Das neue Wegnetz W 1 hat eine kleinere Gesamtlänge l1 als W j, denn nach der Dreiecksungleichung gilt: H1B2 + H2B1 < ( H1M + MB2 ) + ( H2M + MB1 ) = ( H1M + MB1 ) + ( H2M + MB2 ) = H1B1 + H2B2 - Widerspruch zur Minimalität der Weglänge von W j, deshalb gibt es keine Kreuzungen in W j. Beispiel 4: Zeige dass man in jedem konvexen Fünfeck drei Diagonalen so auswählen kann, dass man aus ihnen ein Dreieck konstruieren kann. Lösung: - Hinweis: Aus drei Strecken a, b, c mit a < b < c lässt sich genau dann ein Dreieck konstruieren, wenn a + b > c ist, d.h. die längste Seite c muss kleiner sein als die Summe der beiden anderen Seiten a und b - Betrachte deshalb die längste der fünf Diagonalen im Fünfeck ABCDE, o.B.d.A sei dies CE. Aus der Dreiecksungleichung folgt: BE + AC > EC + AB > EC , d.h. man kann ein Dreieck konstruieren. Beispiel 5: ist der Turniermodus das sogenannte K.O.–System. Bei fast allen Tennisturnieren Wie viele Spiele finden statt, wenn n Spieler teilnehmen? Lösung: 1.: Konkreter Lösungsweg: Bei 32 Spielern gibt es 1+2+4+8+16 = 31 Spiele (Endspiel+2Halbfinale+4Viertelfinale usw.). k 1 Allgemein: Gibt es n=2k Spieler, so kommen 2 i = 2k – 1 Spiele in k Runden i 0 zustande. 2.: Lösungsweg mit dem Extremalprinzip: Beim K.O.-System scheidet der Spieler aus, der ein Spiel verliert. Der Sieger zeichnet sich durch extremale Eigenschaften aus, denn er hat maximal viele Spiele bestritten und als Einziger kein Spiel verloren, während alle anderen Teilnehmer genau ein Spiel verloren haben. Die Zahl der Spiele ist also n-1. Beispiel 6: Man betrachte n reelle Zahlen a0,...,an-1, die auf einem Kreis angeordnet sind. Jede dieser Zahlen ist kleiner oder gleich dem arithmetischen Mittel ihrer beiden Nachbarzahlen. Beweisen Sie, dass alle n Zahlen gleich sind. Lösung: - Man betrachte die größte der n Zahlen. O.B.d.A. sei dies a0. 1 - Es gilt: a0 ≤ (an-1 + a1), weil jede Zahl kleiner oder gleich dem 2 arithmetischen Mittel ihrer beiden Nachbarzahlen ist. - Außerdem ist a0 die größte Zahl und daher auch größer als an-1 und a1 - Daraus folgt a0 = a1 = an-1 muss noch gezeigt werden, dass die Beh. für alle aj gilt - Nun - Beweis durch Induktion: i. IA: Siehe oben ii. IV: Die Behauptung gelte für alle k ≤ n-1, d.h. ao = ak für k ≤ n+1 1 (ak-1 + ak+1) und a0 = ak IV ak-1 ≥ ak+1 (letzte 2 Ungleichung gilt, weil a0 die größte Zahl ist). Daraus folgt ak ≤ ak+1 und ak ≥ ak+1, also ak = ak+1 Vorgehensweise bei allverneinenden Aussagen („Zeige dass es kein Objekt mit der Eigenschaft E gibt“) mithilfe des Widerspruchsbeweises (siehe Bsp.7): iii. IS: Für k = n gilt: ak ≤ - Nimm an es gibt ein Element B mit Eigenschaft E Benenne Menge aus gleichartigen Elementen Wähle eines aus, das bezüglich einer Ordnung ein Extremum annimmt Zeige: Extremalität dieses Elements ist nicht verträglich mit der Eigenschaft E Widerspruch zur angenommenen Existenz Beispiel 7: a. Gibt es ein konvexes Polygon (außer dem Dreieck), bei dem ein Winkel größer ist, als die Summe der anderen Winkel? b. Gibt es spitzwinklige konvexe n-Ecke? Lösung: Zu a.: - Annahme: Es existiert ein solches Polynom mit den Winkeln 1,..., n - Diese lassen sich nach ihrer Größe ordnen - Wenn es einen Winkel gibt der größer ist als die Summe der übrigen Winkel, so kann dies nur für den größten Winkel 1 gelten - Für die Winkelsumme gilt: (n - 2) 180° = 1+ ... + n < 2 1 - Für n>3 gilt 180° (n - 2) 90°< 1, d.h. 1 > 180°, das Polygon wäre nicht konvex. Zu b.: - Annahme: Es existieren spitzwinklige konvexe n-Ecke (d.h. größter Winkel 1 < 90°) - Für die Winkelsumme gilt: (n – 2) 180° = 1+ ...+ n < n ·90° n < 4 - Nur Dreiecke können spitzwinklig sein Beispiel 8: Sei ABCDEF ein konvexes Sechseck mit der Fläche 1. Zeigen Sie, dass es (mindestens) eine Diagonale dieses Sechsecks gibt, die von dem Sechseck ein 1 Dreieck mit einer Fläche von höchstens abschneidet. 6 Lösung: - - Schnittpunkte der Hauptdiagonalen im Sechseck seien X,Y und Z Betrachte die Dreiecke ABY, BCY, CDZ, DEZ, EFX und FAX Fläche der sechs Dreiecke ist ≤ 1 (ABCDEF ohne Dreieck XYZ) 1 Die Fläche des kleinsten dieser Dreiecke ist also ≤ 6 1 Sei z.B. |ABY| ≤ 6 1 Dann ist entweder die Fläche von ABF oder ABC ≤ 6 Begründung: 1 i. Der Flächeninhalt der Dreiecke ABC, ABY und ABF ist ·|AB|· h 2 ii. Also hängen die Flächeninhalte der drei Dreiecke von der Länge ihrer Höhe ab iii. Die Höhe von Y auf (AB) ist länger als die Höhe von F auf (AB) und kürzer als die Höhe von C auf (AB) oder umgekehrt. 1 iv. Also muss entweder ABC oder ABF ≤ sein 6 Also gibt es eine Diagonale durch ABCDEF, die ein Dreieck mit einem 1 Flächeninhalt ≤ abschneidet! 6 Beispiel 9: (Mathematik-Olympiade 2006, 3.Runde, Klasse 9) es im alten China viele Familien von Flugdrachen. Die Drachen Vor langer Zeit gab dieser Familien transportierten gerne Briefe. Die Fürsten des Landes planten ein landesweites Postsystem. Bei der Ausschreibung zu diesem Projekt erhielten zwei Drachenfamilien gemeinsam den Zuschlag, die anboten, jedes der vielen kleinen chinesischen Städtchen durch Flugdrachen mit jedem anderen direkt zu verbinden. Zur Umsetzung des Projektes wurde jede Direktverbindung genau einer der beiden Drachenfamilien zugeteilt. Jedoch gerieten die Drachen wegen der Aufteilung derart in Streit, dass die beiden Familien danach gänzlich verfeindet waren. Nun waren die Fürsten in einer verzwickten Lage: Zum Ersten wollten sie die Ausschreibung des hohen Verwaltungsaufwandes wegen nicht wiederholen, zum Zweiten beharrte jede Drachenfamilie auf alleinige Bedienung der ihr zugeteilten Direktverbindungen, zum Dritten konnte aber keinem Städtchen zugemutet werden, sich von beiden Drachenfamilien anfliegen zu lassen. Hätten sich nämlich zwei Drachen aus unterschiedlichen Familien bei der Postzustellung in einem der Städtchen getroffen, also in Ausübung gerade der Tätigkeit, die die Feindschaft ausgelöst hatte, hätte schnell wieder ein Streit entbrennen können, bei dem womöglich das Städtchen in Schutt und Asche gelegt worden wäre. Also setzten sich die klugen Fürsten zusammen und beratschlagten, ob die Post mit nur einer Drachenfamilie transportiert werden und dennoch Briefkontakt zwischen beliebigen Städtchen möglich sein könnte. Man zeige, dass es möglich war, mit einer der beiden Drachenfamilien alle Orte des Landes untereinander zu verbinden, wobei nur die dieser Familie ursprünglich zugeteilten Direktverbindungen verwendet wurden. (Umwege über solche Direktverbindungen waren natürlich zugelassen.) Lösung: Die beiden Drachenfamilien seien mit A und B bezeichnet. Man betrachte eine maximale Auswahl von Ortschaften, die mit einer der Drachenfamilien alle untereinander auf die in der Aufgabe beschriebene Art erreichbar sind. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei A die betrachtete Familie. Sind in der Auswahl alle Ortschaften enthalten, so ist nichts mehr zu beweisen. Anderenfalls gibt es eine Ortschaft, X genannt, die nicht in der Auswahl enthalten ist. Der Ort X ist von keinem der Orte in der betrachteten Auswahl mittels A erreichbar, denn sonst wäre er von allen Orten der Auswahl erreichbar und die Auswahl wäre nicht maximal. Folglich fliegt ein Drache der Familie B von X zu jedem Ort in der Auswahl. Daher sind alle bisher betrachteten Ortschaften untereinander erreichbar, wenn die Post lediglich mit B fliegt, indem die Post (jeweils falls notwendig) vom Ausgangsort zunächst zu X und dann zu ihrem Bestimmungsort fliegt. Diese neue Menge von Ortschaften wäre aber größer als die maximale Auswahl und das ist ein Widerspruch. Beispiel 10: (Sylvester-Problem) Es sei S eine Menge aus n verschiedenen Punkten in der Ebene, die die folgende Eigenschaft hat: Jede Gerade, auf der zwei von diesen Punkten liegen, enthält mindestens noch einen Punkt aus S. Beweisen Sie, dass alle diese n Punkte auf einer Geraden liegen. Lösung: - Annahme: Nicht alle Punkte liegen auf einer Geraden Wir betrachten alle Paare (g,A), wobei g eine Gerade ist und A ein Punkt aus der Menge S mit A g - - Unter allen Paaren wählen wir das, für das der Abstand d1 vom Punkt A zur Geraden g am kleinsten ist Auf g liegen mindestens drei Punkte B, C und D aus der Menge S H sei der Lotfußpunkt von A auf g Von den drei Punkten B, C und D müssen mindestens zwei auf der einen Seite von H liegen, seien dies die Punkte B und C, wobei B zwischen H und C liegt (in die Skizze eintragen!) d2 sei der Abstand von B zur Geraden (AC) und H’ der Lotfußpunkt von B auf (AC) die Dreiecke AHC und BH’C sind ähnlich, weil sie in zwei Winkeln übereinstimmen (90°-Winkel und Winkel bei C) BH BC HC d Daraus folgt: 2 1 d1 AH AC AC Also gilt d2 < d1, was unserer Wahl von d1 als kleinstem Abstand widerspricht Also müssen alle n Punkte auf einer Geraden liegen Quellen: - Haas, Nicola (2000): „Das Extremalprinzip als Element mathematischer Denk- und Problemlöseprozesse“. Hildesheim (Verlag Franzbecker) - Engel, Arthur (1998): „Problem-Solving Strategies“. New York (SpringerVerlag) - Priv.-Doz. Dr. Natalia Grinberg (erscheint im Sept.2006): „Mathematisches Problemlösen für Schüler, Lehrer und Studenten“. - www.mathematik-olympiaden.de/Aufgaben/45/3/MO453_L_29.pdf (Stand: 1. Mai 2006)