Russland vor dem Krieg

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Thomas Candrian
Zusammenfassung
Der 1. Weltkrieg
1880 - 1918
Geschichte
08.04.2017
D:\481355704.doc
Thomas Candrian
Inhalt
INHALT
2
SITUATION VOR DEM 1. WELTKRIEG
4
Kolonien 1898
4
Der Balkankrieg
6
Kurz vor dem Krigesausbruch
9
DEUTSCHLAND VOR DEM KRIEG
Wilhelminische Epoche
11
13
FRANKREICH VOR DEM KRIEG
15
RUSSLAND VOR DEM KRIEG
17
URKATASTROPHE DES 20. JAHRHUNDERTS
18
DER 1. WELTKRIEG
20
Kriegsziele
Deutsches Reich
Österreich-Ungarn
Frankreich
Russland
Großbritannien
Italien
Vereinigte Staaten von Amerika
20
20
20
21
21
21
22
22
Propaganda
23
Kriegsbegeisterung
23
Kriegsbeginn (Julikrise)
24
Der Kriegsverlauf 1914
25
Der Kriegsverlauf 1915
27
Der Kriegsverlauf 1916
28
Der Kriegsverlauf 1917
29
Der Kriegsverlauf 1918
30
Kriegsfolgen
Verluste
Kriegskosten
34
34
34
DER ERSTE WELTKRIEG ALS MILITÄRHISTORISCHE ZÄSUR
36
Der industrialisierte Krieg
Bild des Soldaten
Ausrüstung
Ende der Kavallerie
Aberglaube
Urteilsfähigkeit der Militärs
Grabenkrieg
36
36
36
37
37
37
37
FRIEDENSVERTRÄGE
39
Friedensvertrag von Versailles
Territoriale Bestimmungen
Militärische Bestimmungen
Kriegsschuld und Reparationen
39
39
39
39
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Thomas Candrian
Kritik
40
Vertrag von Saint-Germain
40
Vertrag von Neuilly-sur-Seine
40
Vertrag von Trianon
40
Vertrag von Sèvres
40
DOLCHSTOSSLEGENDE
Entstehung
42
43
FOLGEN DES KRIEGES
45
DIE SCHWEIZ WÄHREND DES 1. WELTKRIEGES
46
QUELLEN / LITERATUR
49
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Situation vor dem 1. Weltkrieg
An der Schwelle des 20. Jahrhunderts gab es in Mittel- und Osteuropa wesentlich weniger
Staaten als heute. Das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und Russland teilten sich das
Gebiet im Wesentlichen untereinander auf.
Nach der Industrialisierung der Länder versuchten die neuen Nationen, Ihre weltpolitische
Macht weiter auszubauen. Vor allem Frankreich und England, aber auch einflussärmere Länder
wie Portugal, Spanien, die Niederlande oder Belgien segelten auf dem Erball herum und
nahmen riesige Gebiete in Besitz.
Kolonien 1898
1871 kam Otto von Bismarck im neu entstandenen deutschen Reich an die Macht. Er verfolgte
eine Politik der Kriegsveremidung durch Bildung von Bündnissen. Zudem war Ihm bewusst,
dass die existierenden Mächte in Europa eine neue Kolonialmacht nicht akzeptieren. Darum
nannte der die Deutsche Politik „saturiert“ (lat. gesätigt. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass
das Reich ein mit dem Status quo zufriedener und keineswegs aggressiver gebietshungriger
Staat sei, und damit die Expansionsängste bei den europäischen Großmächten England und
Russland zerstreuen).
Die Industrialisierung beschleunigte sich Ende des 19. Jahrhunderts stark durch Eisenbahn,
Dampfschiff und Telegraphie. Zwischen 1885 und 1905 wurden die letzten weissen Flecken von
Afrika unter den europäischen Nationen aufgeteilt. Deutschland und Italien, welche sich erst um
1870 zu einer Einheit zusammenfanden beteiligten sich erst Mitte der 1880er an der
Konolialisierung. Die Kolonialstaaten glaubten sich geistig überlegen und waren der
Ansicht, den minderbemittelten Völkern der Erde Zivilisation und Religion zu bringen.
Dies führte zur Unterdrückung der Minderheiten innerhalb Deutschlands (Polen, Dänen,
Elsässer). Vor allem gegen die Juden richtete sich der Hass, da diese wegen guter
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Schulbildung sehr oft in Handel und Banken vertreten waren und deshalb den Zorn der
Deutschen auf sich zogen.
Nach dem Tod seines Vaters 1888 wurde Wilhelm II. zum Kaiser Deutschlands ernannt. Er
war recht beliebt, nicht zuletzt wegen seinen sozialen Tendenzen. Allerdings war das mehr
Kalkül als politische Überzeugung, um die Sozialisten auszubooten. Bismarck wollte Russland
als einen starken Verbündeten, Wilhelm II. vertraute hingegen nur auf Österreich-Ungarn.
Darum musste Bismarck gehen. Die Kanzlerzeit seines Nachfolgers, Caprivis, war durch
entschiedene Englandfreundlichkeit geprägt. Er war in der Innenpolitik einer der
Hauptverantwortlichen für den Wandel des Deutschen Reiches von der Agrarwirtschaft zur
industriellen Exportwirtschaft. Die in diesem Zeitraum gemachten Reformen erleichterten es,
dass Deutschland wenig später Großbritannien überholte und zur Weltwirtschaftsmacht Nr. 1
aufstieg.
Wilhelm II galt als unbändiger Anhänger des Militarismus und war ein Freund des
Imperialismus. Da es bei seiner Geburt Komplikationen gab konnte er später del Linken Arm
nur sehr eingeschränkt bewegen. Aus diesem Grund war er gezwungen, seine Körperlichen
Schwächen durch geistige Stärke zu kaschieren, was ihn zu einem unnachgiebigen und
strengen Monarchen machte.
Ab 1898 wurde ein Flottenbauprogramm aufgesetzt um die Seeverbindungen nach Übersee
und zu den Kolonien zu schützen. England blieb daraufhin nicht untätig und startete seinerseits
einen Rüstungswettlauf mit Deutschland. In Deutschland lief die Militärmaschinerie also auf
Hochtouren. Das Heer hatte weitreichende Kompetenzen und stand unter direkter Führung des
Kaisers. Einzig das Budget wurde noch durch das Parlament bestimmt, aber das für jeweils 7
Jahre, so dass auch hier der Einfluss gering war.
Es wurden extrem hochgerüstet und viel in die Flotte investiert, damit auch Deutschland
etwas in der Weltpolitik zu sagen hatte. innerhalb der deutschen Gesellschaft brodelte es
allerdings erheblich. Der Wohlstand der deutschen Arbeiterschaft stieg von Jahr zu Jahr, doch
es gelang nicht, den Arbeitern in den Städten das Gefühl zu geben, anerkannte Mitglieder der
Gesellschaft zu sein. Die Arbeiter waren unzufrieden und dachten an Revolution, der
Fremdenhass erstarkte und man wollte sich auch einen Platz in der Geschichte sichern.
Anfangs des 20. Jahrhunderts war es so gut wie unmöglich, einen leitenden Posten in einem
Unternehmen zu bekommen, ohne mindestens als Offizier gedient zu haben. Umgekehrt war es
so, dass eine Offizierskarriere automatisch den Einzug in die obere Gesellschaft bedeutete.
Durch das extrem vergrösserte Heer gelang es auch nach und nach der Unterschicht, Fuss in
die leitenden Positionen zu erlangen, da die Adligen nicht ausreichten.
Im sozialen Umfeld der Jahrhundertwende bildeten sich auch die verschiedenen
Gesellschaftsschichten weiter aus. Die Adeligen hatten die gesellschaftliche Vorangstellung,
Das Besitzbürgertum versuchte diesen Lebensstil nachzuahmen, entweder durch geldlichen
Einfluss oder durch Anheirat. Die Milltelschicht, bestehend aus selbständigen berufsleuten
(Bauern, Handwerker) und Beamten waren durch die gute Wirtschaftslage auch bemächtigt,
einigen Wohlstand anzuhäufen und darum Ihren Lebensstandard dem der Oberschicht
auszurichten. Daneben gab es aber auch eine sehr grosse Unterschicht, bestehend aus
Fabrikarbeitern, unselbständigen und Taglöhnern sowie arbeitslose, welche am Hungertuch
nagten.
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Diese Unterscheide in der Gesellschaft führte zu Unzufriedenheit und revolutionärem
Denken in Deutschland. Die sozialen Spannungen zwangen Wilhelm, den von Bismarck
eingeleiteten Kurs des Sozialstaates mit Krankenversicherungen weiterzuführen.
Ab 1904 spitzten sich die Probleme im Kampf um Kolonien zu. In der ersten und zweiten
Marokkokriese wollte Deutschland den anderen Nationen zeigen dass es auch Einfluss und
Macht habe und in Weltpolitischen Fragen von anderen Nationen gefragt und angehört werden
wollte. Dies führte allerdings dazu, dass die anderen Statten eine gewisse Furcht vor
Deutschland entwickelten. Das erstarken des deutschen Militärs verschob das
Kräftegleichgewicht in Europa beträchtlich. Immerhin war Deutschland auf bestem Weg,
die grösste Armee und die grösste Flotte aufzubauen. Als Industrienation hatte es bereits
England überholt und war sowohl technisch als auch ideologich weit fortgeschritten.
Andere Staaten, allen voran Grossbritannien, Frankreich und Russland waren durch diesen
Umstand gezwungen, ebenfalls mitzurüsten.
Die Russen waren mit Frankreich bereits seit 1892 in einem Pakt verbündet, und 1907 fanden
England und Russland überraschend eine gemeinsame Übereinkunft über Mittelasien. So
entstand die britisch-französische Entente, welche sich durch Zuzug von Russland zur
Tripelente erweiterte.
Der Balkankrieg
Seit dem 19. Jahrhundert waren auf dem Balkan immer wieder neue Kleinstaaten entstanden,
meistens auf Kosten des Osmanischen Reiches. 1908 brach im Osmanischen Reich die
jungtürkische Revolution aus. Österreich-Ungarn wurde dadurch daran erinnert, dass Bosnien
und die Herzegowina zwar von der Monarchie seit dreißig Jahren okkupiert und verwaltet
wurden, jedoch formal Teile des Osmanischen Reiches geblieben waren. Franz Joseph I. sah
nun die Chance, „Mehrer des Reiches“ zu sein, und stimmte dem Annexionsplan des
Reichsfinanzministers zu. Der einseitige, von keiner internationalen Konferenz unterstützte
Rechtsakt, das Hoheitsgebiet der Monarchie auf Bosnien und Herzegowina zu erstrecken,
verursachte in Europa größere Unruhe, bei der vor allem Russland politisch verlor.
Dem begegnete Russland mit der Schaffung des Balkanbunds zwischen Serbien und Bulgarien
unter russischer Patronage. Nicht Österreich-Ungarn war nun das primäre Ziel, sondern das
Osmanische Reich. Montenegro erklärte dem Osmanischen Reich 8. Oktober 1912, am 16.
Oktober das Osmanische Reich Bulgarien den Krieg, und am Tag darauf erklärten
Serbien, Bulgarien und Griechenland gemeinsam dem Osmanischen Reich den Krieg.
Das Ziel des Kriegs war, durch die Verdrängung des Osmanischen Reiches zusätzliches
Territorium zu erhalten. Die folgenden militärischen Niederlagen des Osmanischen Reiches,
das durch den 1911 verlorenen Italienisch-Türkischen Krieg und verschiedene Aufstände in den
Balkanprovinzen schon vorher geschwächt war, ließen keinen Zweifel zu, dass seine
europäische Herrschaft nicht länger aufrechterhalten werden konnte.
Unter Vermittlung der europäischen Großmächte wurde am 30. Mai 1913 der Londoner
Vertrag geschlossen, der den Krieg beendete. Die Osmanen verzichteten auf alle
europäischen Gebiete westlich der Linie zwischen Midia am Schwarzen Meer und Enos
an der Ägäisküste, die Insel Kreta vereinigte sich offiziell mit Griechenland.
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Nach der vereinbarten Waffenruhe mit den Osmanen kam es wenig später zum Streit über die
Verteilung der Territorien. Die bulgarische Führung war nicht zufrieden mit den eigenen
erzielten Landgewinnen und verlangte von Serbien die Abtretung von weiten Teilen des
eroberten Makedoniens. Die Serben waren damit unzufrieden, dass Albanien ihren Zugang
zur Adria versperrte. Rumänien, das im Ersten Balkankrieg neutral geblieben war, agierte im
Zweiten Balkankrieg selbständig gegen Bulgarien, und das Osmanische Reich ergriff ebenfalls
die Gelegenheit während der Kriegshandlungen zwischen den serbischen, griechischen und
bulgarischen Truppen, um verlorene Territorien zurückzugewinnen.
In der Nacht vom 29. Juni 1913 griffen bulgarische Truppen gleichzeitig die griechischen und
serbischen Armeen an, ohne dass Bulgarien den beiden Staaten den Krieg erklärt hatte. Aber
die Kämpfe zwischen Serres und Saloniki endeten mit einem Sieg der vorbereiteten Verteidiger.
Serbien und Griechenland erklärten Bulgarien am 8. Juli 1913 den Krieg. Am 9. Juli 1913
erklärte Rumänien Bulgarien den Krieg und am 11. Juli folgte auch das Osmanische Reich.
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Damit wurde Bulgarien von allen Seiten angegriffen. Die bulgarischen Streitkräfte mussten sich
in diesem Zweiten Balkankrieg innerhalb weniger Wochen geschlagen geben.
Nach dem Waffenstillstand musste Bulgarien im Friedensvertrag von Bukarest vom 10.
August 1913 fast alle im Ersten Balkankrieg erzielten Gebietsgewinne wieder abtreten. Der
größte Teil der Region Makedonien fiel an Griechenland und Serbien, der Süden der
Dobrudscha ging an Rumänien und Ostthrakien mit Adrianopel zurück an das Osmanische
Reich. Bulgarien erhielt vorerst nur einen kleinen Teil der östlichen Region Makedoniens. Mit
dem Eingreifen Russlands in die Verhandlungen erhielt Bulgarien letztendlich mit dem Vertrag
von Konstantinopel am 29. September 1913 mit Westthrakien doch noch einen Zugang zur
Ägäis.
Durch die Schaffung des neuen Staates Albanien erreichte die Wiener Diplomatie ihr Ziel,
Serbien von der Adria fernzuhalten. In der Frage des serbischen Adriazugangs bei Skutari
stießen die russische und die österreichische Balkanpolitik direkt aufeinander und es kam zu
einer schweren internationalen Krise.
1908 beging Franz Joseph I., Herrsche der Doppelmonarchie von Öserreich-Ungarn, auch sein
Jubiläum, 60 Jahre Kaiser von Österreich zu sein. Kaiser Wilhelm II. und fast alle Oberhäupter
der deutschen Teilstaaten gratulierten aus diesem Anlass persönlich in Wien. Ungarn sah sich
„nicht zu Kundgebungen veranlasst“, war Franz Joseph I. doch bis zu seiner Krönung in Ungarn
1867 als Fremdherrscher empfunden worden. In Prag und Laibach kam es zu Ausschreitungen
gegen die Deutschen als herrschendes Volk des Kaisertums Österreich.
Österreich-Ungarn war eine schwache Grossmacht: Viele ethnische Gruppen, welche
sich nur zum Teil leiden konnten, sehr alter Herrscher (84-jährig) mit wenig
Kriegserfahrung und Probleme im Balkan waren nur ein Teil der Schwäche.
Am 28. Juni 1914 besuchten Franz Ferdinand, der Prinz und einzige Thronanwärter nach
einem möglichen Ableben von Franz Joseph, und seine Frau Sophie Herzogin von Hohenberg
Sarajevo, die Hauptstadt des 1908 annektierten Bosnien. An jenem Tag beging Serbien zum
ersten Mal den Veitstag als offiziellen Staatsfeiertag, den Jahrestag der Schlacht auf dem
Amselfeld, an dem 1389 die Serben vernichtend von den Türken geschlagen worden waren.
Nationalisten, die ein vereintes Serbien (und somit Gebiete der Monarchie, in denen Serben
lebten) forderten, empfanden den Besuch des Paares als Provokation. Während einer
Autofahrt durch Sarajevo wurde das Paar von dem serbischen Attentäter Gavrilo Princip
erschossen, was zu einer schwerwiegenden Staatskrise, der sogenannten Julikrise,
führte.
Daraufhin erhielt Kaiser und König Franz Joseph ein Treuebekenntnis des deutschen Kaisers
Wilhelm II., der ihm versicherte, „im Einklang mit seinen Bündnisverpflichtungen und seiner
alten Freundschaft treu an der Seite Österreich-Ungarns [zu] stehen“. Dieses
Treuebekenntnis, das nicht voraussetzte, dass weit reichende Entscheidungen
Österreich-Ungarns vorher mit dem Deutschen Reich abgesprochen wurden, empfanden
politische Beobachter als Blankoscheck. Wie weit zu diesem Zeitpunkt der europäische
Krieg bereits im Kalkül der deutschen Führung lag, ist in der historischen Forschung bis heute
umstritten (siehe Fischer-Kontroverse).
Es war von den Terroristen zwar nicht geplant, aber es war durchaus damit zu rechnen, dass
sich Österreich-Ungarn nach der Ermordung ihres Thronerben nicht tatenlos dahinstellten und
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die Forderungen erfüllten. Am 23. Juli stellte Österreich-Ungarn ein Ultimatum an Serbien,
da man davon ausging, dass Serbien entscheidenden Anteil an dem Attentat hatte. Die
Antwort aus Belgrad war nachgiebig und kooperativ. Die Serben hatten allerdings nicht alle
Bedingungen der k.u.k. Monarchie hundertprozentig akzeptiert. Österreichisch-ungarische
Spitzenpolitiker und Militärs nahmen daher gern die Gelegenheit wahr, die serbische
Antwort als unzureichend abzulehnen. In völliger Verkennung der Weltlage und der
Schwäche der Monarchie motivierten sie den 84-jährigen Kaiser und König, der seit 48
Jahren keinen Krieg mehr zu führen gehabt hatte, zur Kriegserklärung an das südöstliche
Nachbarland, die am 28. Juli erfolgte.
Dies bewog Russland zur Generalmobilmachung, da sich das Zarenreich als Behüter der
slawischen Völker sah und den Balkan als eigenes Einflussgebiet betrachtete. Das Russische
Reich erklärte Österreich-Ungarn den Krieg. Hierauf trat für das Deutsche Reich der Bündnisfall
ein. Dieses trat an der Seite von Österreich-Ungarn in den Krieg ein. Da Russland mit
Frankreich und Großbritannien verbündet war (Entente), kamen diese beiden Russland zu Hilfe,
womit der „Große Krieg“ – später Erster Weltkrieg genannt – nicht mehr aufzuhalten war.
Kurz vor dem Krigesausbruch
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28. Juni
5./6. Juli
20. bis 23. Juli
23. Juli
25. Juli
25. Juli
27. Juli
28. Juli
30. Juli
31. Juli
31. Juli
31. Juli
August
August
August
August
Attentat von Sarajevo auf Thronfolger Franz Ferdinand
„Mission Hoyos“ und der deutsche „Blankoscheck“
Besuch der französischen Regierung in St. Petersburg
Österreichisches Ultimatum an Serbien
Vorbehalte Serbiens gegen Teile des Ultimatums
Österreichische Teilmobilmachung
Russische Teilmobilmachung
Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien
Russische Generalmobilmachung
Österreichische Generalmobilmachung
Deutsches Ultimatum an Russland, seine Mobilmachung einzustellen
Deutsches Ultimatum an Frankreich, sich neutral zu erklären
Generalmobilmachung und Kriegserklärung Deutschlands an Russland
Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich
Einmarsch deutscher Truppen in Belgien
Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland
Die Mächtigen schafften es daraufhin, sämtliche Probleme in der Gesellschaft in Hass
zumzuformen und diesen auf die „anderen“ zu richten. Inwieweit das Handeln Deutschalnds in
dieser Zeit Kalkuliert war ist immer noch umstritten.
Das Frankreich vor dem Krieg war geprägt durch instabile Kabinette und häufige
Regierungswechsel. Es kam zum Zusammenwirken der „radikalen“ Republik mit den
Sozialisten. Damals lebte ein kämpferischer Nationalismus und das Revanchedenken mit
Forderung nach Rückgewinnung von Elsaß- Lothringen auf
Die Niederlage Russlands im russisch-japanischen Krieg verstärkte die Unzufriedenheit
nur noch und es kam zu großen Demonstrationen und eienr Revolution. Russland war
nach dem verlorenen Krieg jedoch extrem geschwächt und musste zusehen, wie
Österreich-Ungarn mit Rückendeckung des Deutschen Reiches 1908 BosnienSeite 9
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Herzegowina annektierte. Bei Kriegsbeginn 1914 stand die Mehrheit der russischen
Bauern hinter der Zarenregierung.
England war vorzüglich auf den 1. Weltkrieg vorbereitet. Durch den Bau von
Schlachtschiffen war das Wttrüsten vorüber, da die Briten uneinholbar waren. So
netspannte sich erstanlicherweise das Verhältnis von dem 1. Weltkrieg zwischen den
beiden Staaten. Trotzdem war England mit der flexiblen Politik und mit einer sehr guten
Militarisierung gut auf einen allfälligen Krieg vorbereitet.
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Deutschland vor dem Krieg
Otto von Bismarck, der spätere deutsche Reichskanzler, zwang Frankreich 1869/1870 mit der
Kandidatur von Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen aus der katholischen Linie der in
Preußen regierenden Hohenzollern für den spanischen Königsthron indirekt zum Krieg. Durch
diese Kandidatur hatte Napoleon III. keine andere Wahl mehr als den Krieg zu erklären.
Frankreich erschien so, wie von Bismarck beabsichtigt, als Aggressor. In Deutschland war die
öffentliche Meinung nun ganz auf Seiten Preußens und die süddeutschen Staaten sahen den
Bündnisfall als gegeben an.
Als erstes erklärten Baden und Hessen-Darmstadt ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund.
Württemberg und Bayern machten den Weg zur Gründung des Deutschen Reiches frei,
nachdem ihnen Reservatsrechte zugebilligt worden waren.
Am 18. Januar 1871 kam es im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zur
„Kaiserproklamation“. Sie markierte die Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Wenige
Tage später kapitulierte Paris. Der Deutsch-Französische Krieg endete am 10. Mai 1871
mit dem Frieden von Frankfurt.
Bismarck hatte damit den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erreicht. Er wurde in den
Fürstenstand erhoben und Wilhelm I. machte ihm den Sachsenwald in der Nähe Hamburgs
zum Geschenk. Bismarck gehörte nunmehr zu den großen Grundbesitzern des Reiches und
war, auch Dank der geschickten Verwaltung seiner Gelder durch Gerson Bleichröder, ein
reicher Mann. Nach 1871 wurde Friedrichsruh zum Mittelpunkt seines Privatlebens.
Das neue Kaiserreich übernahm weitgehend die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Als
Reichskanzler, Vorsitzender des Bundesrates, preußischer Ministerpräsident und
Außenminister blieb Bismarck so der dominierende Politiker. Dieses wog auch gegenüber
Wilhelm I. schwer, sodass Bismarck seinen Willen gegenüber dem Kaiser meist durchsetzen
konnte. Wilhelm klagte daher: „Es ist nicht leicht unter einem solchen Kanzler Kaiser zu
sein.“
Die Reichsgründung veränderte die europäischen Machtverhältnisse grundlegend. Das neue
Reich stand zunächst außerhalb der Pentarchie, die sich in den letzten hundert Jahren
herausgebildet hatte, besaß es doch eine gänzlich andere machtpolitische Qualität als
das recht kleine Preußen. Daher galt das Reich als Störenfried der internationalen
Ordnung. Nach einem längeren Lernprozess erkannte Bismarck, dass das allgemeine
Misstrauen der übrigen Staaten gegenüber Deutschland nur durch Selbstbeschränkung
und den Verzicht auf weitere territoriale Gewinne abgebaut werden konnte. Er versicherte
daher, dass das Reich saturiert sei. „Wir verfolgen keine Macht-, sondern eine
Sicherheitspolitik“, bekräftigte er 1874.
Ein Grundziel von Bismarcks Außenpolitik blieb es, Frankreich zu schwächen. Um dies zu
erreichen, bemühte er sich um gute Beziehungen zu Österreich und zu Russland, ohne dabei
eine Seite zu präferieren. Ergebnis dieser Strategie war das Dreikaiserabkommen von 1873.
Allerding erlebte er, dass im Zweifelsfall die europäischen Flügelmächte zusammenarbeiteten,
um eine Störung des machtpolitischen Gleichgewichts zu verhindern. Bismarck entwickelte
darum ein diplomatisches Konzept, das darauf abzielte, die Spannungen zwischen den
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Thomas Candrian
Großmächten an die Peripherie zu verlagern, um so die Mitte Europas vor Kriegen zu
bewahren.
Bismarck stilisierte die Katholiken zu Reichsfeinden – auch um aufziehender Kritik an seiner
Amtsführung entgegenzuwirken. Ab 1872 wurden im Rahmen des so genannten Kulturkampfes
verschiedene Sondergesetze gegen die Katholiken beschlossen, die wiederholt verschärft
wurden. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurden Rechte und Machtstellung der Kirche
durch Reichs- und preußische Landesgesetze. Der unerwartet starke Widerstand der
Katholiken zwang Bismarck dazu, nach dem Tod von Pius IX. im Jahr 1878, zur Beendigung
des Konflikts die Sondergesetze schrittweise aufzuheben
Bismarck gelang es aber auch, die Spannungen zwischen Deutschland und Russland
abzubauen und 1881 das Dreikaiserbündnis abzuschließen. Damit war eine enge Verbindung
Russlands mit Frankreich zunächst verhindert worden. Das Bündnissystem wurde 1882 durch
den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, sowie 1883 durch den
Anschluss Rumäniens an den Zweibund ergänzt.
Mitte der 1880er-Jahre schien Bismarck die diplomatische Absicherung des Reiches erfolgreich
abgeschlossen zu haben. Das Konzept der Saturiertheit wurde jedoch durch die
imperialistischen Tendenzen der Zeit immer mehr in Frage gestellt. Bismarck selbst war
eigentlich Gegner kolonialer Erwerbungen. Aber auch in Deutschland bildete sich eine
imperialistische Bewegung, die auf den Erwerb von Kolonien drängte. Deren Druck konnte
sich Bismarck nicht auf Dauer entziehen. Verschiedene innen- und außenpolitische Gründe
führten zu einem Sinneswandel des Reichskanzlers. Dabei spielte auch die von ihm gefürchtete
Thronübernahme des liberalen, englandfreundlichen Kronprinzen, des späteren Kaisers
Friedrich III., eine Rolle. Da der Erwerb von Kolonien die Beziehungen zu Großbritannien
verschlechtern musste, habe die Kolonialpolitik, „nur den Zweck, einen Keil zwischen den
Kronprinzen und England zu treiben.“ 1884 und 1885 kam es zum Erwerb mehrerer Territorien
in Afrika und im Stillen Ozean.
In der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre wurde Bismarcks außenpolitisches System zunehmend
bedroht. Ab 1886 nahmen in Frankreich die revanchistischen Tendenzen zu. Zeitweilig drohte
ein französisch-russisches Bündnis und damit die Gefahr eines Zweifrontenkriegs für das
Deutsche Reich. Bismarck bauschte die Krise mit Frankreich allerdings auf, um seine
innenpolitischen Pläne zur Heeresverstärkung durchsetzen zu können.
Fast zeitgleich entstand eine neue Balkankrise. Bismarck versuchte vergeblich, die
Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten Österreich und Russland auszugleichen. Das
Dreikaiserbündnis zerbrach. In Russland nahmen daraufhin die Stimmen für ein Bündnis
mit Frankreich weiter zu. Probleme durch die Schutzzollpolitik Bismarcks verschärften
die Situation. In Deutschland plädierten einflussreiche Persönlichkeiten aus Militär und
Diplomatie wie Friedrich von Holstein, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Alfred von
Waldersee für einen Präventivkrieg gegen Russland. Bismarck lehnte solche Ideen strikt
ab. Er hielt den Krieg weiter für vermeidbar. Als Macht- und Realpolitiker spielten
nationalistische und sozialdarwinistische Vorstellungen für ihn keine Rolle.
Der Übergang vom Freihandel zum Protektionismus vollzog sich in den folgenden Jahren in
mehreren Schritten. Bismarck hoffte, aus seinem Eingehen auf die Wünsche der Verbindung
von „Roggen und Eisen“ politisches Kapital schlagen zu können, um die konservative Basis des
Reiches auszubauen und seine eigene Position zu festigen.
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Hauptziel von Bismarcks Sozialpolitik war, eine stärkere Staatsbindung zu erzeugen. Geplant
war zunächst nur eine Unfallversicherung, später kamen Versicherungen gegen Krankheit,
Invalidität und Altersarmut hinzu. Diese sollten weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise
sprach Bismarck sogar von Staatssozialismus. Er wollte so „in der großen Masse der
Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der
Pensionsberechtigung mit sich bringt.“ Mit der Sozialgesetzgebung legte Bismarck die
Grundlage des modernen Sozialstaats, erreichte seine machtpolitischen Ziele jedoch nicht.
Aus den Reichstagswahlen vom Februar 1887 ging das Regierungslager aus Konservativen
und Nationalliberalen mit absoluter Mehrheit hervor. Bismarck besaß mit den so genannten
Kartellparteien nun jene parlamentarische Mehrheit, die er in den vergangenen zehn
Jahren angestrebt hatte. Er konnte jetzt sowohl seine militärpolitischen Pläne als auch
Begünstigungen für seine konservative Klientel durchsetzen.
Aufgrund von Bismarcks neuer Machtstellung spielte die Thronbesteigung von Friedrich III. im
März 1888 kaum noch eine Rolle. Als der todkranke neue Kaiser sich weigerte, einer
Verlängerung der Legislaturperiode und des Sozialistengesetzes zuzustimmen, belehrte
Bismarck die Kaiserin, dass der Monarch „als solcher kein Faktor der Gesetzgebung“ sei.[116]
In der politischen Öffentlichkeit wurde der Ruf nach einer Abkehr von der nur bewahrenden
Diplomatie Bismarcks zu Gunsten einer dynamischen und risikobereiten Außenpolitik laut. Nach
der kurzen Herrschaftszeit von Friedrich III. (Das Jahr 1888 ging als Dreikaiserjahr in die
Geschichte ein. Nach dem Tode Wilhelms I. am 9. März 1888 regierte Friedrich III. auf Grund
seines bereits fortgeschrittenen Kehlkopfkrebses nur für 99 Tage (der „99-Tage-Kaiser“) und
starb am 15. Juni in Potsdam.) standen sich mit dem neuen Kaiser Wilhelm II. und Bismarck
zwei ungleiche Persönlichkeiten gegenüber.
Am 15. März 1890 entzog Kaiser Wilhelm dem Kanzler wegen dessen Konfliktkurses endgültig
die Unterstützung. Zwei Tage später überreichte Bismarck Wilhelm sein Entlassungsgesuch.
Die Öffentlichkeit reagierte mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt.
Wilhelminische Epoche
Die dreißigjährige Regentschaft Wilhelms II. im Deutschen Reich (von 1888 bis 1918) wird als
die wilhelminische Epoche bezeichnet. Wesentliches Merkmal war das Streben des Kaisers,
das Reich als wichtige politische Größe unter den bestehenden Weltmächten zu etablieren. Als
Deutscher Kaiser sah er seine Aufgabe darin, allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein,
nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem
Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung, wie sein Großvater Wilhelm I. formuliert
hatte. Wilhelm II. legte viel Wert auf internationales Prestige. Eng verbunden mit diesem
Anspruch war die militärische Aufrüstung des Kaiserreichs sowie die Forcierung der
Kolonialpolitik in Afrika und der Südsee. Dies und die Verwicklung des Deutschen
Reichs in verschiedene internationale Krisen führten zu einer Destabilisierung der
Außenpolitik.
Die Vorliebe Wilhelms für militärischen Prunk, die sich beispielsweise in zahlreichen
Paraden zu den unterschiedlichsten Anlässen ausdrückte, führte auch gesellschaftlich zu einer
Überbetonung des Militärs und der militärischen Hierarchie bis hinein ins zivile Leben der
deutschen Gesellschaft, in der für eine berufliche Laufbahn – nicht nur im Verwaltungsapparat –
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die Ableistung des Militärdienstes und der militärische Rang eines Menschen von
entscheidender Bedeutung war (Militarismus): Einen Rang als Reserveoffizier innezuhaben,
galt im wilhelminischen Bürgertum als Eintrittskarte in die gehobene bzw. privilegierte
Gesellschaft, ebenso wie das Fehlen eines militärischen Ranges ein einschlägiges
Karrierehindernis darstellte.
Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands während Wilhelms Regentschaft, verbunden mit
technologischem, naturwissenschaftlichem und industriellem Fortschritt, begünstigte eine auch
vom Kaiser mit getragene allgemein verbreitete Technik- und Fortschrittsgläubigkeit.
Innenpolitisch setzte er die für ihre Zeit als modern und fortschrittlich geltende Sozialpolitik
Bismarcks fort und erweiterte sie. Er setzte sich für die Abschaffung des Sozialistengesetzes
ein und suchte, teilweise erfolglos, den Ausgleich zwischen ethnischen und politischen
Minderheiten.
Wilhelm II. wollte sowohl die Innen- als auch Außenpolitik des Reiches wesentlich stärker als
sein Großvater Wilhelm I. beeinflussen. Das „persönliche Regiment“ des Kaisers war jedoch oft
eine von häufig wechselnden Beratern gesteuerte Politik, die die Entscheidungen Wilhelms im
Urteil der meisten Historiker oft widersprüchlich und letztlich unberechenbar erscheinen ließen.
Auch war seine Amtszeit von politischen Machtkämpfen zwischen den einzelnen Parteien
geprägt, die es den amtierenden Kanzlern nur schwer möglich machten, längerfristig im Amt zu
bleiben. So wurden im Kampf zwischen dem sogenannten Nationalliberal-Konservativen Kartell,
Bülow-Block und Sozialdemokraten fünf von sieben Kanzlern unter kritischem Mitwirken des
Reichstags vom Kaiser entlassen.
Während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 wurde Wilhelms strategische und taktische
Unfähigkeit offenbar. Ab 1916 enthielt er sich zunehmend relevanter politischer Entscheidungen
und gab die Führung des Reiches faktisch in die Hände der Obersten Heeresleitung,
namentlich in die der Generale von Hindenburg und Ludendorff, die die konstitutionelle
Monarchie während der letzten Kriegsjahre mit starken Zügen einer Militärdiktatur versahen. Als
sich Wilhelm II. nach Ende des „großen Kriegs” in Folge der Novemberrevolution, die zum Ende
der Monarchie und zur Ausrufung der Weimarer Republik führte, zur Abdankung bewegen ließ
und in die Niederlande ins Exil ging, hatte das Deutsche Kaiserreich den Krieg bereits verloren.
Etwa 10 Millionen Menschen waren auf den Schlachtfeldern gefallen.
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Frankreich vor dem Krieg
Die 19 Jahre von 1879 bis 1898 werden oft als Periode des „Opportunismus“ bezeichnet.
Allmählich nahm der politische Einfluß der Mittelschichten zu, die oft überzeugte Republikaner
und später Anhänger der Radikalsozialisten waren. Die Regierungen führten ab 1880
stufenweise mehrere Reformen durch (1881 liberales Pressegesetz, 1882/84
Munizipalordnung, 1883 Justizreform und Ehescheidungsrecht, 1884 Senatsreform). Weitere
wichtige Schritte waren die Amnestie der Kommunarden zur Versöhnung mit der Linken, die
Zulassung von Gewerkschaften und ein Programm, um die öffentlichen Arbeiten zu
organisieren.
Im Bereich des Schulwesens kam es damals ähnlich wie in Deutschland zu einer Art
Kulturkampf. Die Republik verdrängte nämlich die katholische Kirche und ihre Lehrer aus
Schulverwaltung und Unterricht. Ferry baute außerdem in seiner Schulreform die Volksschule
zur kostenlosen, laizistischen, obligatorischen Staatsschule aus. Da es in den 80er Jahren zu
einer großen wirtschaftlichen Depression kam, nahmen antirepublikanische, dem
Parlamentarismus distanziert gegenüberstehende politische Kräfte, wie die Monarchisten und
Bonapartisten, bei den Wahlen von 1885 gewaltig zu.
Damals stieg der populäre General Boulanger, der auf Plebiszite und eine Fraternisierung der
Armee mit der Arbeiterschaft setzte, zum Führer der „Partei der Unzufriedenen“ auf, vermied
jedoch den Staatsstreich. Während die Rechten sich in der Folgezeit zunehmend in außer- und
antiparlamentarischen Verbänden organisierten, schlossen sich die von den „Radikalen“
vertretenen Mittelschichten enger an die „opportunistische“ Republik an.
In den 90er Jahren erschütterten zwei Krisen die Republik und spalteten die Gesellschaft: der
Panamaskandal und die Dreyfusaffäre. Die Affäre des offensichtlich unschuldig wegen
Landesverrats verurteilten jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus erschütterte Frankreich
stark, da es um die Glaubwürdigkeit von Armee und Justiz, Staatsautorität und
Nationalinteresse und außerdem um Antisemitismus ging. Damals konnte das kleine und
mittlere Bürgertum, vertreten durch die „radikale“ Partei, mit der Regierung Waldeck-Rousseau
an die Macht kommen, so daß man für die Jahre bis 1914 von der „radikalen“ Republik spricht.
Der Radikalsozialismus, mehr und mehr von der sich organisierenden linken Arbeiterschaft in
die politische Mitte gedrängt, wurde nun die entscheidende Kraft. Ihr gehörten so bedeutende
Politiker wie Clemenceau, 81 Caillaux, Daladier und Herriot an. Es handelte sich um von
Freimaurern beherrschte, liberale, antiklerikale Parteien mit antietatistischen, aber keinen
antikapitalistischen Zügen. Bei schwacher Organisation, einer Vielzahl von Namen und
Programmen hatten sie letztlich den Charakter von Honorationenparteien. Die damalige Zeit
war geprägt durch instabile Kabinette und häufige Regierungswechsel. Es kam zum
Zusammenwirken der „radikalen“ Republik mit den Sozialisten. Besonders markant waren
innenpolitische Ereignisse wie die ideologisch-politische Überwachung des Offizierskorps durch
Freimaurer und die Reaktion darauf, das Streben nach Modernisierung des Steuersystems
sowie die Einführung des Verhältniswahlsystems und der Bruch mit der katholischen Kirche.
Die Dritte Republik baute das französische Kolonialreich weiter aus. Dabei spielten als Motive
wirtschaftliche Interessen, militärische Gründe sowie Bestrebungen eine Rolle, die französische
Zivilisation zu verbreiten. Basierend auf den Erwerbungen der Monarchie- und Kaiserzeit
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Thomas Candrian
gelang es der Dritten Republik seit den 1880er Jahren, ein gewaltiges Reich an Kolonien,
Protektoraten und Militärterritorien zu gewinnen, das in der Zeit zwischen den Weltkriegen seine
größte Ausdehnung erreichte. Es umfaßte schließlich Französisch Äquatorialafrika, Tunis,
Annam, Tonkin, Madagaskar, Laos, Französisch-Westafrika und Marokko, die größten Teile der
vorher deutschen Kolonien Togo und Kamerun, außerdem die Völkerbundsmandate über
Syrien und den Libanon.
Die französische Kolonialexpansion führte einerseits dazu, daß Frankreich bald nach dem
verlorenen Krieg wieder eine Rolle als Großmacht spielte, die zusätzlich durch wachsenden
Einfluß wegen seiner Kreditvergaben (z.B. an Rußland) noch verstärkt wurde. Andererseits
geriet die Republik jedoch in Auseinandersetzungen mit Großbritannien, die in der
Faschodakrise (1898/99) einen Höhepunkt erreichten. Außerdem spitzte sich in Marokko in den
zwei Krisen von 1905 und 1911 der Konflikt mit Deutschland zu.
Damals lebte ein kämpferischer Nationalismus und das Revanchedenken mit Forderung nach
Rückgewinnung von Elsaß- Lothringen auf. Dabei wurde ein mit Fatalismus erwarteter Krieg in
Kauf genommen. Zur Sicherung der französischen Position gegen das demographisch und
wirtschaftlich überlegene Deutsche Kaiserreich schloß man mit Rußland, das die französischen
Kapitalexporte benötigte, 1891/92 eine Allianz, den „Zweiverband“ und schließlich 1904 mit
England die Entente cordiale ab. Diese wurde dann 1907 durch den britischrussischen
Petersburger Vertrag zur Tripelentente (Dreierbund) ausgeweitet. In dieser gespannten Lage,
als die großen Mächte geprägt waren vom Imperialismus, den damit verbundenen Rivalitäten
und dem angefachten übersteigerten Nationalismus, brach nach den Balkankriegen 1912/13
und dem Mord an dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo (28. Juni
1914) der Erste Weltkrieg (1914-1918) aus.
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Thomas Candrian
Russland vor dem Krieg
Durch ausgebliebene innenpolitische Reformen und den Konflikt zwischen Anhängern einer
Annäherung an den Westen (Westler) und Gegnern einer solchen Annäherung (Slawophile)
geriet Russland wirtschaftlich immer mehr ins Hintertreffen gegenüber den anderen
Großmächten. Die Korruption im Land war weit verbreitet und höher als in den westlichen
Ländern. Zudem war die starke Zentralisierung des Staates nicht immer von Vorteil. In Moskau
und Sankt Petersburg, aber auch in anderen russischen Städten entstanden Kreise von
Intellektuellen, Kommunisten und Anarchisten. Sie wurden von Zar Alexander III. brutal verfolgt.
Sein Nachfolger, Nikolaus II. behielt die Politik seines Vaters bei. Hinzu kamen soziale
Probleme, die im Zuge der Industrialisierung des Landes entstanden, sowie eine Hungersnot im
Jahre 1890.
1898 wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (Vorgängerin der
Kommunistischen Partei Russlands) gegründet, in welcher ab 1903 die Bolschewiki unter Lenin
die Führung übernahmen. Die Niederlage Russlands im russisch-japanischen Krieg verstärkte
die Unzufriedenheit nur noch und es kam zu großen Demonstrationen. Nach dem Petersburger
Blutsonntag 1905 fand von 1905 bis 1907 eine erfolglose Revolution in Russland statt, die
jedoch dem Zaren die Unzufriedenheit im Land zeigte. Zar Nikolaus II. rief unter anhaltendem
Druck ein kurzzeitig existierendes Parlament, die Duma, zusammen, die er jedoch bald wieder
auflösen ließ. Die Duma wird in der Geschichtswissenschaft teilweise als Scheinparlament
bezeichnet.
Folgen der Revolution:



Russland bekam auf Grundlage des Oktobermanifestes Nikolaus II. eine Verfassung, die
eine Volksvertretung (Staatsduma) vorsah.
In der Verfassung wird die dominante Stellung des Zaren betont, in der Folgezeit bemüht
Nikolaus II. sich, die gemachten Zugeständnisse wieder zurückzunehmen. 1907 wird das
Wahlrecht zugunsten eines Zensuswahlrechts geändert, was große Teile der Bauern und
Arbeiter von politischer Repräsentanz ausschließt, auch wenn dies einen
Verfassungsbruch darstellt. Max Weber prägte hierfür den Begriff
"Scheinkonstitutionalismus".
Reformen für Agrarwirtschaft (Stolypinsche Reformen) sollten es den Bauern
ermöglichen, selbst zu wirtschaften und rationale Anbaumethoden einzuführen. Ziel war
die Schaffung eines bäuerlichen Mittelstandes.
Außenpolitisch war Russland nach der 1890 vom Deutschen Kaiser Wilhelm II. verweigerten
Verlängerung des Rückversicherungsvertrages 1892 ein Bündnis mit Frankreich eingegangen.
Nach der Niederlage im Fernen Osten richtete Russland wieder seine Aufmerksamkeit auf
Europa und den Balkan. Russland war nach dem verlorenen Krieg jedoch extrem geschwächt
und musste zusehen, wie Österreich-Ungarn mit Rückendeckung des Deutschen Reiches 1908
Bosnien-Herzegowina annektierte. Die Spannungen auf dem Balkan nahmen immer weiter zu,
denn das Osmanische Reich, "der kranke Mann am Bosporus" war zunehmend im Zerfallen
begriffen. 1907 schloss Russland ein Übereinkommen mit Großbritannien, indem die
Streitigkeiten in Asien ausgeräumt und die gegenseitigen Interessensphären festgelegt wurden.
Es kam in Europa zu einem Rüstungswettlauf. Die allgemeine Lage verdüsterte sich
zunehmend und ein großer europäischer Krieg wurde immer wahrscheinlicher.
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Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
Der Erste Weltkrieg wurde von 1914 bis 1918 in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und
Ostasien geführt und forderte rund 17 Millionen Menschenleben.
Der Krieg wurde zunächst zwischen den Mittelmächten, dem Deutschen Reich und ÖsterreichUngarn, auf der einen Seite und den Entente-Mächten, Frankreich, Großbritannien und
Russland sowie Serbien auf der anderen Seite ausgetragen.
Wider Willen kamen Belgien und Luxemburg als Opfer hinzu, in welche die deutschen
Streitkräfte ungeachtet deren Neutralität nach dem Konzept des Schlieffenplans
einmarschierten. Im Verlauf des Krieges wurden die Mittelmächte durch das Osmanische Reich
und Bulgarien verstärkt, während auf alliierter Seite unter anderem Japan, Italien, Portugal,
Rumänien, Griechenland und die USA in den Krieg eintraten.
Im Ersten Weltkrieg, der auch als der Große Krieg bezeichnet wurde und wird, entluden sich die
machtpolitischen Gegensätze der europäischen Großmächte, die zu einer enormen Aufrüstung
geführt hatten. Zum Ende des Krieges befanden sich 25 Staaten und deren Kolonien, in
denen insgesamt 1,35 Milliarden Menschen lebten, also etwa drei Viertel der damaligen
Erdbevölkerung, im Kriegszustand. Aufgrund der Verwerfungen, die der Erste Weltkrieg
weltweit auslöste, und der Folgen, die noch heute spürbar sind, gilt er bei vielen Historikern als
die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“.
Insgesamt war keiner der Blöcke auf einen langen Krieg eingestellt, beispielsweise war
Winterbekleidung für die Soldaten nicht vorgesehen. Die Führungen gingen davon aus,
einen kurzen Krieg zu führen und diesen noch 1914 erfolgreich beenden zu können.
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Der 1. Weltkrieg
Kriegsziele
Deutsches Reich
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges überwog im Deutschen Reich noch die Auffassung, der
Krieg habe bloßen Verteidigungscharakter. Ausgelöst durch die raschen Erfolge der Armee im
Westfeldzug wurden bald zum Teil fantastische Annexionsprojekte formuliert. Dabei trat das
überwiegend kommerziell dominierte Vorkriegsziel, nämlich die koloniale Expansion des
Deutschen Reiches in Übersee und Vorderasien, zugunsten einer allgemeinen
Machterweiterung in Europa zurück, denn durch die Mittellage in Europa fühlte sich das
Deutsche Reich bedroht. Durch Annexionen in Ost und West in zum Teil extremer
Größenordnung wollte man die gefährdete Hegemonialstellung des Deutschen Reiches auf
dem europäischen Festland für alle Zukunft sichern.[4]
Deutschland hatte im Gegensatz zu den anderen kriegführenden Staaten kein natürliches
Kriegsziel, was eine Suche nach Zielen künstlichen Charakters nach sich zog. Das
Fehlen greifbarer nationaler Ziele führte zu einer Konzentration auf reine
Machtexpansion.
Das Herzstück der deutschen Kriegszielpolitik im Westen war stets Belgien. Zweites
zentrales Kriegsziel war die mehr oder weniger direkte Beherrschung Polens, neben der
Annexion eines je nach Herkunft des Konzeptes unterschiedlich breiten Grenzstreifens.
Österreich-Ungarn
Österreich-Ungarn nahm für sich in Anspruch, um seine Interessen auf dem Balkan und
um seine Existenz schlechthin zu kämpfen, die es insbesondere durch Russland bedroht
sah. Österreich-Ungarn strebte nicht nur die Eingliederung Serbiens, sondern auch
Montenegros und Rumäniens oder Russisch-Polens an. Entgegen den nationalistischen
Tendenzen der damaligen Zeit hielt Österreich-Ungarn an der universalen Idee vom Kaisertum
und somit am Vielvölkerstaat fest.
In den ersten Kriegswochen erlaubten sich die österreichischen Staatsmänner in ihren
Vorstellungen genaue territoriale Ziele. Einige Wochen später verdrängte jedoch das
Überlebensmotiv geplante Erwerbungen.
Wie bei keiner anderen Großmacht standen bei der Monarchie auch negative Kriegsziele im
Vordergrund: die Behauptung des Trentino, des Küstenlandes mit Triest und Dalmatien sowie
der albanischen Küste gegen Italien, die Abwehr der rumänischen Ansprüche auf Siebenbürgen
und die Bukowina, die Zurückweisung der großserbischen und südslawischen Bestrebungen in
Bosnien-Herzegowina, Dalmatien, Kroatien und Slawonien, die Verteidigung gegen die
panslawistischen Pläne Russlands in Galizien und Böhmen und nicht zuletzt der Widerstand
gegen die Hegemonialbestrebungen des Deutschen Reiches.
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Frankreich
Frankreich wollte Revanche für die von den Franzosen als schmerzhaft empfundene
Niederlage von 1871 nehmen und Elsass-Lothringen zurückerobern. Es wollte darüber
hinaus die durch den Deutsch-Französischen Krieg eingeleitete Vormachtstellung des
Deutschen Reiches auf dem europäischen Festland beseitigen.
Das wichtigste Kriegsziel der Nation tauchte bereits in den ersten Kriegstagen auf: die
Rückgewinnung Elsass-Lothringens. Diese Forderung blieb vom Anfang bis zum Ende des
Krieges ein unverrückbares Kriegsziel. Als nach dem Sieg an der Marne beschlossen wurde,
den Krieg bis zum Ende der Hegemonie des preußischen Militarismus fortzuführen, traten bald
auch weitere Ziele an die Öffentlichkeit, vom Saarbecken über linksrheinische Gebiete bis hin
zur Infragestellung der Reichseinheit (in manchen Kreisen) oder zumindest ihrer Schwächung
im föderativen Sinne. Im Herbst 1915 zeichneten sich schließlich jene französischen Kriegsziele
ab, die in den kommenden Jahren immer wieder, mit unterschiedlicher offizieller Unterstützung,
kaum verändert auftauchten. Die Rückkehr von Elsass-Lothringen in den Grenzen von 1814
oder sogar 1790, also mit dem Saargebiet, die Zurückdrängung Deutschlands an den Rhein
durch Annexion oder Neutralisation des Rheinlandes sowie eine wirtschaftliche und militärische
Angliederung Belgiens und Luxemburgs an Frankreich.
Russland
Russland konzentrierte seine internationalen Interessen, nach dem verlorenen Krieg gegen
Japan, auf den Balkan, als dessen natürliche Schutzmacht es sich sah. Dabei kam es
unweigerlich zu starken Spannungen mit Österreich-Ungarn. Das Selbstverständnis Russlands
als Erbe der byzantinisch-orthodoxen Kultur und die traditionelle Feindschaft gegen das
Osmanische Reich kamen in den russischen Kriegszielen ebenfalls zum Ausdruck. Nach dem
osmanischen Kriegseintritt erhoffte man sich auf russischer Seite den Gewinn
Konstantinopels und der Meerengen zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer. Die
russischen Kriegsziele umfassten neben dem alten Ziel der Meerengen aber auch
Galizien und das ins russische Gebiet hineinragende Ostpreußen. Im weiteren Sinne
spielte sicher auch die Idee des Panslawismus, einer Zusammenfassung aller Slawen in einem
Kontinentalblock, eine Rolle.
Großbritannien
Großbritannien wollte sich der wachsenden Wirtschaftskraft Deutschlands entledigen und die
starke deutsche Flotte ausschalten, da es seine Machtstellung durch das seit der
Reichseinigung aufstrebende Deutschland bedroht sah. Die deutsche Invasion Belgiens war
der offizielle Grund für Großbritanniens Kriegseintritt – die Wiederherstellung Belgiens
blieb in den ersten Kriegsjahren daher auch das einzige erklärte wichtige Kriegsziel.
Zum Ziel der Befreiung Belgiens trat aber schon früh die Formel der Zerschlagung des
preußischen Militarismus, zur Wahrung des europäischen Gleichgewichts, das durch die
deutsche Besetzung Belgiens und der Kanalküste bedroht schien. Im Deutschen Reich sollte
das Königreich Hannover wiederhergestellt werden, was gleichzeitig Preußens Vetomacht im
Bundesrat gebrochen hätte. Direkte territoriale Ziele auf dem europäischen Kontinent hatte
Großbritannien jedenfalls zu keiner Zeit, auch außerhalb Europas habe Großbritannien, laut
Premier Asquith, schon jetzt gerade so viel Land wie „we are able to hold“. Dennoch mussten
etwaige Interessen gegenüber Frankreich, Russland und den anderen Verbündeten gewahrt
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bleiben, was britische Erwerbung deutscher und türkischer Besitzungen in Afrika und
Vorderasien bedeutete.
Territoriale Belange wurden offiziell immer, wohl um peinliche Implikationen zu vermeiden, als
sekundär angesehen. Nach dem Ausscheiden des zaristischen Verbündeten konnte der Krieg
propagandistisch hervorragend als Kreuzzug der Demokratie gegen Tyrannei und Despotismus
geführt werden. Aber Ende 1916 wollte die englische Öffentlichkeit schließlich konkret
wissen, wofür ihre Soldaten kämpfen und sterben sollten, was die Formulierung der
Kriegsziele dringend machte. Am 20. März 1917 bezeichnete Lloyd George die Beseitigung
der reaktionären Militärregierungen und die Etablierung von populären Regierungen, als
Basis des internationalen Friedens, als wahre Kriegsziele. Gegen Ende des Jahres einigte
sich das Kabinett auf erste provisorische Kriegsziele. Es unterstützte französische
Bestrebungen auf Elsass-Lothringen, italienische Forderungen, entgegen dem Vertrag von
London, nur auf Basis des Nationalitätenprinzips, sowie die Restauration Belgiens, Serbiens
und Rumäniens. Später traten, neben der Forderung nach Unabhängigkeit Polens und der
Völker der Donaumonarchie, auch eigene Expansionswünsche in Form von Forderungen nach
Selbstbestimmung für die deutschen Kolonien und die schon okkupierten arabischen Teile der
Türkei unter British rule zu Tage.
Italien
Auch Italien betrieb eine expansionistische Politik, die unter anderem auf italienisch besiedelte
Gebiete unter österreichisch-ungarischer Herrschaft zielte.
Durch Zustimmung Russlands, auf italienisches Drängen nach Erwerbung slawischer Gebiete
an der Adria, kam schließlich der Geheimvertrag von London zustande, dem am 23. Mai 1915
die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn und der Angriff u. a. am Isonzo folgte. Der Vertrag
von London spiegelt die Kriegsziele Italiens genau und verlässlich wider, weil durch seine
günstige Verhandlungsposition Italien fast alle seine Forderungen durchsetzen konnte. Italien
sollte demnach erhalten: das Trentino, Südtirol bis zum Brenner, die Stadt und das
Gebiet von Triest, die Grafschaft Görz und Gradisca, ganz Istrien, die istrischen und
einige weitere kleinere Inseln, aber nicht Fiume. Ferner erhielt Italien große Teile der
Provinz Dalmatien. Zuletzt erwarb es noch den strategisch bedeutsamen albanischen
Hafen Valona mit umfangreichem Hinterland. Auch sollte, bei einer etwaigen Teilung der
Türkei, eine noch festzusetzende Region an der Südküste Kleinasiens an Italien gehen.[35]
Dass die Vereinbarung, insbesondere in Bezug auf Dalmatien, im Vertrag von Versailles nicht
zur Gänze verwirklicht wurde, lag vor allem am Widerstand der Serben.
Vereinigte Staaten von Amerika
Ihren Ursprung hatte die amerikanische Kriegszielpolitik bereits in der Neutralitätszeit. Nach
dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten führte Präsident Woodrow Wilson seine Politik ohne
Bruch fort. Genaue Vorstellungen über einen gerechten Frieden hatte er in der ersten Kriegszeit
nicht, jedenfalls kam für ihn ein Friede nur bei Wiedergutmachung an Belgien und der Räumung
Frankreichs in Frage. Ansonsten scheute Wilson, mehr noch als andere Politiker, vor
Festlegungen in territorialen Fragen zurück.
Das Hauptziel Wilsons nach Kriegseintritt war die Beseitigung des deutschen
Militarismus und die Demokratisierung Deutschlands. Wilsons Gesamtstrategie war
anfangs ähnlich der britischen Politik zu Kriegsbeginn. Er wollte den Verbündeten
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gerade so viel Unterstützung zukommen lassen wie nötig. Am Ende des Krieges plante
er, über die bankrotten Ententeländer hinweg seinen eigenen Friedensplan durchsetzen.
Höhepunkt der amerikanischen Kriegszielpolitik waren zweifellos die 14 Punkte Wilsons vom 8.
Januar 1918. Es wird darin die völlige Wiederherstellung der belgischen Unabhängigkeit
gefordert, weiter die Rückgabe Elsass-Lothringens, die Festsetzung italienischer Grenzen
entlang der Nationalitätengrenzen sowie die weitere Existenz Österreich-Ungarns, dessen
Nationen aber eine freie Entwicklung ermöglicht werden sollte.
Propaganda
Ein wesentliches Kennzeichen der Propaganda im Ersten Weltkrieg war, dass zur Motivation
der eigenen Bevölkerung der teilnehmenden Länder zum Kriegsdienst mit fremdenfeindlichen
Vorurteilen und patriotischen Symbolen geworben wurde.
Im deutschsprachigen Teil Österreich-Ungarns konnte man unter anderem
kriegsverherrlichende Zeichnungen in Plakatgröße mit der illustrierten Aussage „Jeder Tritt ein
Britt, jeder Stoß ein Franzos, jeder Schuss ein Russ“ und „Serbien muss sterbien“ finden.
Nachdem beim deutschen Einmarsch in Belgien die Bibliothek der Universität Löwen in
Flammen aufgegangen war, gaben prominente britische Wissenschaftler eine Erklärung ab, in
der dem deutschen Heer Absicht unterstellt wurde, und die dann von deutschen prominenten
Wissenschaftlern mit Gegenerklärungen beantwortet wurde. Die „Hunnenrede“, mit der Wilhelm
II. deutsche Truppen, die 1900 zur Niederschlagung des Boxeraufstands nach China entsandt
wurden, zu einem rücksichtslosen Rachefeldzug aufgefordert hatte, trug den Deutschen in
angloamerikanischen Ländern nachträglich die Bezeichnung „huns“ ein. Andere bekannte
Propagandakampagnen waren etwa die behauptete Kreuzigung von Nonnen an Kirchentoren in
Belgien oder das angebliche Abschlagen der Hände von Kindern durch die deutschen Truppen
in Belgien.
Kriegsbegeisterung
Lange Zeit war in der Forschung, insbesondere aber in populärwissenschaftlichen
Abhandlungen unbestritten, dass die Propaganda auf fruchtbaren Boden fiel und sowohl
in Österreich-Ungarn als auch in Frankreich und vor allem im Deutschen Reich eine
große Kriegsbegeisterung herrschte (Augusterlebnis). Insbesondere für Frankreich ist
jedoch inzwischen eine differenzierte Sichtweise vorherrschend. Zwar zeigte sich ein Großteil
der Bevölkerung bereitwillig zur Verteidigung der Nation, jedoch erst nach der deutschen
Kriegserklärung. Bis dahin beschäftigte sich die Öffentlichkeit vorrangig mit innenpolitischen
Fragen, von einer Erwartung oder gar Begeisterung eines bevorstehenden Krieges kann keine
Rede sein. Lediglich nationalistische Politiker und Intellektuelle waren bereits vor dem Angriff
offen für einen Krieg eingetreten, etwa zur Revanche und zur Rückgewinnung des Elsass und
Lothringens.
Umstritten ist auch, ob sich diese Kriegsbegeisterung in der gesamten Bevölkerung wieder fand
oder – wie der Historiker Jeffrey Verhey behauptet – vor allem in der großstädtischen Mittelund Oberschicht verbreitet war. Im Deutschen Reich wurde ein Notabitur eingeführt, damit
kriegsbegeisterte Oberprimaner vorzeitig ins Heer eintreten konnten.
Am 28. Juli 1914 kam es zu einer ersten Antikriegsdemonstration im Berliner Lustgarten. Am 1.
Mai 1916 sprach Karl Liebknecht vor einer Demonstration von mehreren tausend
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Thomas Candrian
Kriegsgegnern auf dem Potsdamer Platz, was zu seiner Verhaftung und Verurteilung wegen
Hochverrates führte.
Kriegsbeginn (Julikrise)
Aufgrund der europäischen Bündnissysteme war abzusehen, dass der nächste Krieg große
Teile des Kontinents erfassen würde. Der Schrecken des Krieges verblasste, da seit der letzten
militärischen Auseinandersetzung zwischen zwei europäischen Großmächten 43 Jahre
vergangen waren.
In dieser Situation löste das Attentat am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in
Sarajevo am 28. Juni 1914 durch den bosnisch-serbischen Gavrilo Princip eine Kettenreaktion
aus, die nach einem Monat den europäischen Krieg auslöste. Der Grad der Beteiligung des
serbischen Geheimdienstes an dem Komplott zur Ermordung des Thronfolgers war und ist
umstritten, es kann jedoch zumindest von einer Mitwisserschaft ausgegangen werden. Die
hektischen und komplizierten diplomatischen und geheimdienstlichen Aktivitäten, die zwischen
den europäischen Mächten stattfanden, markierten den Beginn einer großen Krise. Die Julikrise
ist geprägt von Drohungen, diplomatischen Fehlern und politischen Fehleinschätzungen.
Die Eröffnung bildete ein Ultimatum (23. Juli 1914), das Österreich-Ungarn drei Wochen nach
dem Mord an Serbien durch Außenminister Graf Berchtold stellen ließ. Es enthielt eine Frist von
48 Stunden. Bis zu diesem Zeitpunkt war die europäische Stimmungslage eher gegen die
Serben gerichtet, die als „blutrünstiger Haufen“ gesehen wurden. Außerdem wurde vermutet,
dass die serbische Führung hinter dem Attentat steckte. Das Ultimatum forderte nicht nur die
Bekämpfung von gegen Österreich-Ungarn agierenden Organisationen, sondern umfasste
zudem Bedingungen, welche die serbische Souveränität bei ihrer Erfüllung eingeschränkt
hätten. Innerhalb der 48 Stunden ging die serbische Regierung auf fast alle Punkte ein,
verwahrte sich jedoch gegen eine Einschränkung der Souveränität Serbiens und
beschloss die Teilmobilmachung der Armee. Trotz dieser Zugeständnisse Serbiens erklärte
Österreich-Ungarn die Antwort für „unbefriedigend“ und brach die diplomatischen Beziehungen
zu Serbien nach Ablauf des Ultimatums am 25. Juli ab, und ordnete ebenfalls die
Teilmobilmachung an. Die österreichischen Ziele sahen zunächst einen lokalen Krieg um die
Vorherrschaft auf dem Balkan vor, zumal die Hauptstadt Belgrad nur unweit der österreichischungarischen Grenze lag. In dieser Situation wurde aus Berlin Rückendeckung in Form der
bereits am 6. Juli zugesicherten Blankovollmacht gegeben. Die anderen europäischen
Staaten interpretierten diese Treueerklärung derart, dass sie sich nicht vorstellen
konnten, dass in diesem Fall Österreich die treibende Kraft hinter den Ereignissen sei.
Die Blankovollmacht sah ein deutsches Eingreifen im Falle eines russischen Eingreifens vor,
hatte also defensiven Charakter. Am 25. Juli beschloss Russland auf dem Kronrat von Krasnoje
Selo, Serbien militärisch zu unterstützen. Gleichzeitig wurde sowohl von russischer als auch
von englischer und deutscher Seite eine Botschafterkonferenz vorgeschlagen. Dieser
Vorschlag blieb jedoch folgenlos. Ein weiteres Missverständnis war, dass man im
Deutschen Reich die Angelegenheit zunächst als einen lokalen ÖsterreichischSerbischen Konflikt interpretierte, während die übrigen Großmächte deutsche
Kriegstreiberei als gegeben ansahen.
Da das Deutsche Reich an seinem Bündnis mit Österreich festhielt, war diese Rückendeckung
entscheidend für die Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli. Am 27. Juli erfolgte
die Teilmobilmachung der russischen Armee. Der Befehlshaber der Mobilisierungsabteilung der
russischen Armee, Sergei Dobrowolski, äußerte rückblickend, dass der Krieg bereits seit dem
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25. Juli für den russischen Generalstab beschlossene Sache gewesen sei. Den russischen
Militärs war bekannt, dass Deutschland im Falle einer Generalmobilmachung Russlands
ebenfalls seine Truppen mobilisieren würde, worauf sie auch konsequent abzielten. Als
Zar Nikolaus II. am Morgen des 30. Juli die Generalmobilmachung der russischen Armee
billigte, war ihm wohl allerdings zunächst nicht bewusst, welche Folgen dieser Vorgang haben
würde. Noch am selben Tag wollte der Zar die Generalmobilmachung rückgängig
machen, wurde jedoch von dem Generalstab der russischen Armee davon abgehalten.
Selbst die beschwörenden Briefe Kaiser Wilhelms II. an seinen „Vetter Nicky“ – Zar
Nikolaus II. – hatten keine Wirkung.
Das Deutsche Reich forderte in einem Ultimatum die sofortige Rücknahme der russischen
Mobilmachung. Nachdem diese ausblieb, machte das Reich ebenfalls mobil und erklärte
Russland am 1. August den Krieg, woraufhin das mit Russland verbündete Frankreich in
Erwartung eines deutschen Angriffes ebenfalls mobil machte. Tatsächlich aber erfolgten die
ersten Kriegshandlungen durch Russland noch am selben Abend mit Überschreiten der
ostpreußischen Grenze.
Daraufhin setzte das deutsche Oberkommando den Aufmarschplan, eine modifizierte
Version des Schlieffenplans in Kraft, der als einzige Siegchance für den drohenden
Zweifrontenkrieg angesehen wurde. Dieser setzte auf Geschwindigkeit, um die langsame
russische Mobilmachung für einen schnellen Schlag gegen Frankreich auszunutzen.
Nachdem das neutrale Belgien die Durchmarschgenehmigung verweigerte, verletzte das Reich
die belgische Neutralität für den Angriff gegen Frankreich, da ein direkter Angriff über die stark
befestigte deutsch-französische Grenze für aussichtslos gehalten wurde. Für die liberale
Regierung in London war dies der Anlass, in den Krieg einzutreten.
Gerade das Verhalten Deutschlands war Ausgangspunkt für die viel diskutierte
Kriegsschuldfrage im Vertrag von Versailles. Dieser Punkt wird auch heute noch diskutiert,
wobei die Ansichten darüber auseinandergehen, ob Inkompetenz und mangelnde
Verhandlungsbereitschaft, nicht nur in der deutschen Führungsschicht, Europa in diesen Krieg
stürzten. Insbesondere in Deutschland und Russland ging die politische Führung stark auf die
kriegsorientierten Forderungen des Militärs ein, was fatale Folgen hatte.
Zu Beginn des Krieges zählte die Bevölkerung der Mittelmächte 118 Millionen, die der Entente
cordiale 278 Millionen Menschen.
Der Kriegsverlauf 1914
Der deutschen Kriegsführung war klar, dass Deutschland einen Zwei-Fronten-Krieg kaum
gewinnen konnte. Daher versuchte sie, den schon vor dem Krieg ausgearbeiteten SchlieffenPlan (Generaloberst Alfred von Schlieffen war zwischen 1891 und 1905 Generalstabschef)
umzusetzen. Dieser Plan sah vor, dass Deutschland mit aller Kraft Frankreich erobern, im
Osten aber die Stellungen nur halten solle. Dazu sollte das starke französische
Verteidigungssystem im Norden mit einer weit ausgreifenden Bewegung durch das neutrale
Belgien umgangen und schnellstmöglich gegen Paris vorgegangen werden.
Als Reichskanzler Bethmann Hollweg am 3. August 1914 sein Rechtfertigungsschreiben an den
englischen Außenminister Edward Grey sandte, war der Erste Weltkrieg seit zwei Tagen mit der
deutschen Mobilmachung und der Kriegserklärung an Russland ausgebrochen. Frankreich
wurde zwei Tage später der Krieg erklärt. Ziel des Schreibens von deutscher Seite aus war es,
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Thomas Candrian
die Engländer dazu zu bewegen, sich in dem Krieg neutral zu verhalten. Dieses Unterfangen
war von vornherein nicht einfach, da England nicht nur in dem Bündnissystem der Entente
involviert war, sondern auch, weil deutsche Truppen am Morgen dieses Tages bereits die
belgische Grenze überschritten und damit die belgische Neutralität verletzt hatten, zu deren
Schutz England sich gegenüber Belgien verpflichtet hatte.
Die Kriegshandlungen begannen am 2. August 1914 ohne offizielle Kriegserklärung mit der
Besetzung Luxemburgs durch deutsche Truppen. Anschließend rückte der rechte Flügel der
deutschen Armee am 3./4. August in das neutrale Belgien ein. Trotz des unerwartet starken
Widerstands wurde die Festung Lüttich genommen.
Gemäß dem ebenfalls offensiv ausgerichteten französischen Aufmarschplan konzentrierten die
Franzosen ihre Angriffe auf Elsaß-Lothringen. In der Schlacht bei Mülhausen (19. August)
sowie in den Schlachten in den Vogesen und in Lothringen (20. bis 22. August) wurden die
ersten Offensiven der französischen Armeen abgewehrt. In den großen Grenzschlachten kam
die französische Offensive zum Erliegen. Die deutschen Armeen erzielten wichtige
Durchbrüche. Das bei Mons geschlagene britische Expeditionskorps mußte sich Richtung
Kanalküste zurückziehen.
Die große Offensive der fünf deutschen Armeen hatte am 18. August begonnen und verlief
weitestgehend planmäßig. Trotz erheblicher Verluste in den verschiedenen Gefechten
erreichten die deutschen Truppen am 30. August die Marne. Angesichts der wenig später
nur noch 60 Kilometer vor Paris stehenden Spitzen der 1. deutschen Armee floh die
französische Regierung am 3. September aus dem bedrohten Paris nach Bordeaux.
Vor Paris bildete der französische Befehlshaber Joseph Joffre eilends eine neue Armee und
befahl den Gegenangriff auf der ganzen Linie zwischen Paris und Verdun. In dieser Schlacht
an der Marne (5. bis 12. September) machte sich der Kräfteverschleiß der deutschen
Offensive bemerkbar. Zudem mangelte es an den nötigen Reserven. Der deutsche
Generalstabschef Helmuth von Moltke beurteilte die Lage seiner Truppen überaus skeptisch
und gab den Befehl zum Rückzug. Damit war die Dynamik der deutschen Offensive gebrochen,
der Schlieffen-Plan war gescheitert.
Mitte Oktober befand sich Belgien fast vollständig in deutscher Hand und wurde unter
Militärverwaltung gestellt. Beim " Wettlauf zum Meer" gelang es den deutschen Truppen aber
nicht, die wichtigen Kanalhäfen an der französischen Küste zu erobern. Den deutschen
Vormarsch brachte heftige Gegenwehr von Engländern und Franzosen am Yserkanal und vor
Ypern zum Stehen. Im Westen erstarrte der Krieg zum Stellungskrieg.
Auch im Osten entwickelte sich das Kampfgeschehen anders als von der Obersten
Heeresleitung (OHL) erwartet. Weit früher als angenommen, hatte Rußland seine Truppen
mobilisiert. Am nördlichen Frontabschnitt standen der in Ostpreußen stationierten 8. Armee
zwei russische Armeen gegenüber, und am südlichen Frontabschnitt mit dem Schwerpunkt
Galizien sahen die vier österreich-ungarischen Armeen sich ebenfalls mit einem zahlenmäßig
deutlich überlegenen Gegner konfrontiert.
Die erste Schlacht im Osten verlief aus deutscher Sicht ausgesprochen negativ. Der
Oberbefehlshaber der 8. Armee brach die Schlacht von Gumbinnen (19./20. August) ab und
zog sich mit seinen Einheiten aus Ostpreußen hinter die Weichsel zurück. Die OHL mißbilligte
diesen Rückzug und ernannte den reaktivierten Paul von Hindenburg zum neuen
Oberbefehlshaber der 8. Armee. Mit zahlenmäßig unterlegenen Kräften gelang ihnen in der
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Thomas Candrian
Schlacht bei Tannenberg die Einschließung der 2. russischen Armee, die vernichtend
geschlagen wurde. Zwei Wochen später wurde die 1. russische Armee in der Schlacht an
den Masurischen Seen ebenfalls vernichtend geschlagen. Damit war die unmittelbare
Gefahr für Ostpreußen zunächst beseitigt.
Doch trotz dieser Erfolge im Osten entsprach die militärische Lage nicht den deutschen
Planungen, die von einem schnellen Sieg über Frankreich ausgegangen waren. Aufgrund der
erstarrten Fronten im Westen rückte die Nachschub- und Versorgungsfrage in den Mittelpunkt
der strategischen Überlegungen.
Obwohl die deutschen Truppen tief im Land des Gegners standen und wichtige Industriegebiete
besetzt hielten, war die Lage für die Alliierten auf längere Sicht günstiger. Die mit großem
Propagandaaufwand und starkem antienglischem Akzent aufgerüstete deutsche Hochseeflotte
blieb im gesamten Kriegsverlauf der britischen Flotte unterlegen. Das einzige größere
Zusammentreffen der beiden Flotten in der Seeschlacht am Skagerrak endete mit Verlusten für
beide Seiten. Danach vermied die britische Flotte jegliche direkte Konfrontation mit größeren
deutschen Verbänden. Die deutsche Flotte ihrerseits war wiederum nicht stark genug, um ihrem
britischen Kontrahenten ein Gefecht aufzuzwingen. Deshalb konzentrierte sich die deutsche
Seekriegsleitung im wesentlichen auf den Einsatz von Minen und U-Booten.
Die in Übersee operierenden deutschen Flottenverbände wurden von der Entente größtenteils
versenkt. Ohne Nachschub und militärischen Schutz gingen die meisten Kolonien wie DeutschSüdwestalfrika schnell verloren. Einzig die Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika leistete bis 1918
erbitterten Widerstand.
Einziger Erfolg der deutschen Flotte blieb die Sperrung der russischen Flotte in der Ostsee.
Zum Schutz vor Angriffen deutscher U-Boote führten die Alliierten jedoch bald Geleitzüge ein
und bestückten zudem ihre Handelsschiffe mit Kanonen. Trotz der vielen Meldungen über die
Versenkung gegnerischer Kriegs- und Handelsschiffe war die deutsche U-Boot-Flotte zu
schwach, um die alliierten Nachschubverbindungen dauerhaft zu unterbrechen.
Der Kriegsverlauf 1915
Auch das Jahr 1915 brachte keine militärische Entscheidung, obwohl der verbissen
geführte Kampf die Zahl der Gefallenen in die Millionen trieb. Die mit immer stärkerem
Artilleriefeuer geführten Schlachten machten ganze Landstriche zu unbelebten, unwirtlichen
Kraterlandschaften.
Das Kriegsjahr begann mit der Winterschlacht in der Champagne (16. Februar bis 20. März), in
der es den Deutschen gelang, französische Durchbruchsversuche abzuwehren. Eine kaum
noch für möglich gehaltene Steigerung des qualvollen Sterbens der Soldaten brachte der
Einsatz von Giftgas, das die deutsche Armee erstmals in der zweiten Schlacht bei Ypern
einsetzte. Die Zahl der gefallenen Soldaten erhöhte sich nochmals dramatisch, als im Zuge der
"großen Offensive" der Franzosen die Herbstschlacht in der Champagne als erste große
Materialschlacht geführt wurde.
Am 7. Mai versenkte ein deutsches Unterseeboot das britische Passagierschiff Lusitania
vor der südirischen Küste, was schwere Spannungen zwischen dem Deutschen Reich
und den USA auslöste.
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Thomas Candrian
Da die militärischen und wirtschaftlichen Kräfte der Mittelmächte einem Zweifrontenkrieg über
keinen längeren Zeitraum gewachsen waren, versuchte die deutsche Kriegsleitung nun,
Russland mit einem Offensivschlag niederzuwerfen. Mit der siegreichen Winterschlacht in
Masuren gelang es den Deutschen, die russische Armee aus Ostpreußen zu vertrieben. Nach
der Neujahrsschlacht (Mitte Dezember 1915 bis Mitte Januar 1916) erstarrte auch der Krieg im
Osten immer mehr zum Stellungskrieg.
Die neue Südfront nach dem Kriegseintritt Italiens erwies sich ebenfalls als starr. Am Isonzo
nördlich von Triest standen sich italienische und österreich-ungarische Truppen auch nach
zahlreichen Gefechten in fast unveränderten Positionen gegenüber. Durch den alliierten Angriff
auf die Dardanellen und den Kriegseintritt Bulgariens an der Seite der Mittelmächte
konzentrierte sich das Kriegsgeschehen in der zweiten Jahreshälfte 1915 zunehmend auf den
Balkan. Die Mittelmächte eroberten bis Jahresende Serbien, Montenegro und Albanien
und stellten so die wichtige Landverbindung zur verbündeten Türkei her. Als Reaktion
darauf besetzte die Entente das bis dahin neutrale Griechenland und nahm dort die Reste der
serbischen Armee auf.
Der Kriegsverlauf 1916
Sowohl die Mittelmächte als auch die Entente suchten 1916 erneut die Entscheidung im
Westen. Der deutsche Oberbefehlshaber Falkenhayn lehnte die von Hindenburg und
Ludendorff gewünschte Entscheidungsoffensive im Osten ab und baute auf einen Sieg an der
französischen Front in Verbindung mit dem U-Boot-Krieg. Sein französischer Gegenspieler
Joffre versprach sich den Sieg von einer großen Offensive an der Somme.
Mit einer von enormem Artillerieeinsatz unterstützten Großoffensive begann am 22. Februar
1916 der deutsche Angriff auf die Festungsanlage von Verdun, den Eckpfeiler der
französischen Front. Mit riesigem Materialeinsatz wollte Falkenhayn die Franzosen zum
"Ausbluten" bringen. Doch trotz unbeschreiblich hoher Verluste hielten die größten Teile der
französischen Festungsanlage unter dem Befehl von Henri Philippe Pétain den viermonatigen
Angriffen stand. Beide Seiten verloren bei den Kämpfen um Verdun zusammen über 700.000
Mann.
Durch den deutschen Angriff auf Verdun wurden dort zwar erhebliche französische Kräfte
gebunden, trotzdem konnten die Alliierten 104 Divisionen in die Schlacht an der Somme (24.
Juni bis 26. November) werfen (1.2 Millionen Tote). Den Alliierten war jedoch nicht mehr als ein
Geländegewinn von 40 Kilometern Breite und 12 Kilometern Tiefe gelungen. Der Krieg
entwickelte sich zum "Abnutzungskrieg" - von Menschen und Material. Den hohen Zahlen
an Verlusten standen nur kurzfristig kleine Geländegewinne gegenüber. So gingen die von den
Deutschen eroberten Teile des Befestigungswerks von Verdun nach erfolgreichen
französischen Angriffen zwischen dem 24. Oktober und 16. Dezember wieder verloren.
Auch im Osten gab es 1916 trotz erheblicher Verluste an Soldaten keine Kriegsentscheidung.
Nach den drei Brussilow-Offensiven mit weit über einer Million Mann an Verlusten war
die russische Kampfkraft erschöpft, die Truppen waren demoralisiert. Der Frontverlauf im
Osten veränderte sich bis zum Ausbruch der russischen Februarrevolution nur wenig.
Demgegenüber konnten die Mittelmächte bei ihrem gemeinsamen Feldzug gegen Rumänien
einen erfolgreichen Bewegungskrieg führen: Am 6. Dezember 1916 wurde Bukarest erobert, bis
Jahresende war der größte Teil Rumäniens mit den Erdölgebieten in der Hand der
Mittelmächte.
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Thomas Candrian
Der Kriegsverlauf 1917
Die militärische Entwicklung wurde 1917 durch zwei Ereignisse maßgeblich beeinflußt:
Zum einen brach in Rußland die Februarrevolution aus, die zu einer erheblichen
Schwächung der russischen Kampfkraft führte; zum anderen verschlechterte der
Kriegseintritt der Vereinigten Staaten die Aussichten der Mittelmächte auf einen
militärischen Erfolg dramatisch. Unter Aufbietung aller verfügbaren Kräfte wollten die
Mittelmächte nun die militärische Entscheidung noch vor dem Eintreffen der ersten
amerikanischen Soldaten in Frankreich erzwingen.
Um die eigenen Verluste bei der Abwehr gegnerischer Durchbruchsversuche möglichst gering
zu halten, wurde die deutsche Front im Westen zwischen Arras und Soissons seit Ende Februar
auf das befestigte Verteidigungssystem der " Siegfriedstellung" zurückgenommen. An dieser
Verteidigungslinie scheiterte ein Durchbruchsversuch der Engländer in der Schlacht bei Arras
ebenso wie die Durchbruchsversuche der Franzosen in der Doppelschlacht an der Aisne und in
der Champagne. Die Erfolglosigkeit ihrer Angriffe und die extrem hohen Verluste verstärkten im
französischen Heer die Unzufriedenheit und führten zu zahlreichen offenen Meutereien gegen
den Oberkommandieren Nivelle, der ihm den Spitznamen "Blutsäufer" einbrachte. Mitte Mai
wurde Nivelle von Pétain als Oberkommandierender abgelöst. Pétain setzte auf eine defensive
Kriegführung und griff gegen die Meuterei hart durch.
Am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg. Anlass war die
Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs durch das Reich, der auch viele zivile
Opfer forderte. Außerdem wurde die Zimmermann-Depesche bekannt, in der das
Deutsche Reich Mexiko aufforderte die USA anzugreifen. Im Dezember 1917 folgte auch
die Kriegserklärung der USA an Österreich-Ungarn.
Während der Krieg im Westen 1917 als verbissener und opferreicher Grabenkampf
geführt wurde, wirkte sich die russische Februarrevolution immer lähmender auf den
Kriegsverlauf aus. Nachdem russische Druchbruchsversuche unter Brussilow nach
anfänglichen Erfolgen gescheitert waren, gingen die Mittelmächte seit dem 19. Juli in
Ostgalizien zur Gegenoffensive über. Fast ganz Galizien und die Bukowina wurden
zurückerobert. Am 3. September fiel Riga in deutsche Hand, und im Oktober nahmen deutsche
Verbände die Inseln Ösel und Dagö vor der liv- und estländischen Küste ein. Da die russische
Armee kaum noch handlungsfähig war, schlug Leo D. Trotzki als Volkskommissar des Äußeren
nach der Oktoberrevolution allen kriegführenden Staaten eine Friedenskonferenz vor. Während
die Entente-Staaten, die sich im Vertrag zu London vom September 1914 verpflichtet hatten,
keinen Separatfrieden zu schließen, Waffenstillstandsverhandlungen ablehnten, erklärten
sich die Mittelmächte zu entsprechenden Verhandlungen bereit. Am 15. Dezember wurde
ein Waffenstillstand zwischen Deutschland und Rußland abgeschlossen, und am 22. Dezember
begannen zwischen beiden Ländern die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk.
Erfolgreich für die Mittelmächte verlief das Kriegsjahr 1917 im Süden. Nachdem den Italienern
dort in der 10. und 11. Isonzoschlacht (Mai bis September) leichte Geländegewinne gelangen,
konnten die Mittelmächte Ende Oktober am oberen Isonzo den Durchbruch zur Piave
erzwingen, wo sie auf englische und französische Hilfstruppen stießen. Rund 275.000 Italiener
gerieten in Gefangenschaft. Massendesertionen offenbarten die Kriegsmüdigkeit des
italienischen Heeres.
Derweil in Deutschland …
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Thomas Candrian
Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) war
eine sozialistische Partei, die von 1917 bis 1922 als Massenpartei,
danach bis zu ihrer Auflösung 1931 als Splittergruppe existierte. Die
USPD ging aus der Gruppe von SPD-Abgeordneten im Reichstag hervor,
die sich seit dem 4. August 1914 immer offener gegen die
Unterstützung des Ersten Weltkriegs und die Burgfriedenspolitik durch
die SPD aussprachen. Diese Gruppe bestand aus zunächst vierzehn
SPD-Reichstagsabgeordneten, die in der Fraktion gegen die
Kriegskredite gestimmt, sich in der entscheidenden Abstimmung aber der
Fraktionsdisziplin gebeugt hatten.
Karl Liebknecht verweigerte im Dezember 1914 als zunächst einziger
Reichstagsabgeordneter die Zustimmung zu weiteren Kriegskrediten.
Nachdem ihm im Dezember 1915 neunzehn SPD-Abgeordnete folgten
und deren erneute Verlängerung nicht mehr mittrugen, entschied die
SPD-Führung um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann ihren
Ausschluss aus Fraktion und Partei. Daraufhin schlossen diese sich zur
Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft im Reichstag
zusammen und organisierten für den 6. bis 8. April 1917 in Gotha, der
Stadt des historischen Vereinigungskongresses von 1875, eine
Reichskonferenz der sozialdemokratischen Opposition. Dort wurde die
Gründung der USPD als eigene Partei neben der SPD beschlossen.
Dadurch wurde der kriegsbejahende Flügel zur
Mehrheitssozialdemokratischen Partei Deutschlands (MSPD) mit
Friedrich Ebert als nun alleinigem Parteivorsitzenden.
An der Gothaer Gründungsversammlung im Volkshaus zum Mohren
nahmen Delegierte aus 91 sozialdemokratischen
Wahlkreisorganisationen und 15 Reichstagsabgeordnete teil. Zu
Vorsitzenden wurden Wilhelm Dittmann und Hugo Haase gewählt, der
bis Januar 1917 neben Ebert die SPD-Fraktion geführt hatte und dann
zurückgetreten war. Die USPD bestand aus heterogenen Mitgliedern:
linken SPD-Abweichlern um Haase oder Kurt Eisner, marxistischen
Programm-Theoretikern wie Karl Kautsky, aber auch „rechten“,
reformorientierten Revisionisten wie Eduard Bernstein, die nur die
Kriegsbeteiligung ablehnten, aber keine Revolution anstrebten.
Der Kriegsverlauf 1918
Schon als der aus seinem Schweizer Exil nach Rußland zurückgekehrte Wladimir I. Lenin die
Diktatur der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte verkündete, war das Ausscheiden Rußlands
aus der Entente absehbar. Um das System der Räte (russisch: Sowjets) durchzusetzen,
akzeptierte Lenin schließlich die Unterzeichnung des von der OHL durchgesetzten
Friedensvertrags von Brest-Litowsk. Trotz Firedensvertrag mußte die OHL vor allem in
Finnland, im Baltikum und in der Ukraine Truppen zur Niederwerfung bolschewistischer
Revolutionsversuche einsetzen. So konnten trotz des Friedensvertrags mit Rußland die
deutschen Truppen in Frankreich nicht nennenswert verstärkt werden.
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Thomas Candrian
Nach der Zusammenfassung aller verfügbaren Kräfte für den Entscheidungskampf im
Westen verfügten die 200 deutschen Divisionen in Frankreich über 3,5 Millionen Soldaten
und waren damit der französisch-englischen Streitmacht numerisch nahezu ebenbürtig.
Um die militärische Entscheidung noch vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen zu
erzwingen, begann am 21. März mit massiver Artillerie- und Fliegerunterstützung die deutsche
Großoffensive in der Picardie mit mehr als 70 Divisionen auf einer Breite von 70 Kilometern. Ziel
der Offensive war die Trennung der englischen Truppen von ihren französischen Verbündeten
und deren Zurückdrängung bis an den Kanal. Nach erfolgreichen Durchbrüchen von 60
Kilometern Tiefe waren zwei der drei deutschen Armeen nach einer Woche so erschöpft, daß
sie trotz der Gefangennahme von 90.000 Engländern die Schließung der gegnerischen Front
nicht verhindern konnten. Auf deutscher Seite fehlten nicht nur frische Reservetruppen, sondern
nun machten sich die mangelhafte Motorisierung der deutschen Artillerie sowie das Fehlen
einer schlagkräftigen Panzerwaffe äußerst nachteilig bemerkbar.
Auch die zweite deutsche Offensive südlich von Ypern brachte einen großen
Geländegewinn und die Erstürmung des Kemmelbergs. Doch wiederum konnte der
anfängliche Erfolg wegen fehlender Reserven nicht operativ genutzt werden. In der dritten
Offensive zwischen Soissons und Reims (27. Mai bis 3. Juni) wurde der Chemin des Dames
gestürmt. Die deutschen Truppen konnten über die Aisne bis an die Marne vordringen, bevor
den Franzosen die Stabilisierung ihrer Front gelang. Während die vierte deutsche Offensive
zwischen Montdidier und Noyon (9. bis 14. Juni) noch einen Geländegewinn und eine große
Beute an gegnerischen Geschützen brachte, brach die fünfte Offensive an der Marne und in der
Champagne (15. bis 17. Juli) schon kurz nach ihren äußerst geringen Anfangserfolgen
zusammen.
Daher gelang den Alliierten bis zuletzt kein entscheidender Durchbruch, was der
sogenannten Dolchstoßlegende nach dem Krieg zum Auftrieb verhalf.
Am 18. Juli begann die alliierte Gegenoffensive unter General Ferdinand Foch, der angesichts
der Erfolge der ersten deutschen Offensive in der Picardie zum Oberbefehlshaber aller alliierten
Truppen in Frankreich und Belgien ernannt worden war. Die alliierte Gegenoffensive (18. Juli
bis 3. August) zwischen Reims und Soissons wurde infolge des Eintreffens der Amerikaner mit
deutlichem Übergewicht an Truppen und Material gegen einen erschöpften Gegner geführt,
dem nur noch der Rückzug blieb.
Das Ende kam mit der Schlacht bei Amiens. Hier setzten die Alliierten 450 Tanks ein, mit denen
ihnen am 8. August ein so tiefer Durchbruch gelang, daß Ludendorff vom "schwarzen Tag des
deutschen Heeres" sprach. Die deutsche Widerstandskraft war gebrochen.
Unter pausenlosen Angriffen der Alliierten wurden die deutschen Truppen Anfang September in
ihre Ausgangsstellungen zurückverlegt. Ohne über eigene Tanks zu verfügen, war an eine
weitere deutsche Offensive nicht zu denken. Gewinnen konnten die Mittelmächte den Krieg
nicht mehr. Aber sie hielten ihre Stellungen bis November gegen einen immer stärker
werdenden Gegner. Nur das flandrische Küstengebiet fiel Mitte Oktober an die Engländer.
Derweil in Deutschland …
Während die kriegsmüden Truppen und die von der kaiserlichen
Regierung enttäuschte Bevölkerung das baldige Kriegsende erwarteten,
plante in Kiel die deutsche Marineleitung unter Admiral Franz von Hipper
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Thomas Candrian
eigenmächtig, die Flotte zu einer letzten Schlacht gegen die Royal Navy
in den Ärmelkanal zu entsenden.
Der Matrosenaufstand begann auf Schillig-Reede vor Wilhelmshaven, wo
die deutsche Hochseeflotte in Erwartung der geplanten Seeschlacht vor
Anker gegangen war. In der Nacht vom 29. zum 30. Oktober 1918 kam
es zur Befehlsverweigerung einiger Schiffsbesatzungen. Auf drei Schiffen
des III. Geschwaders weigerten sich die Matrosen, die Anker zu lichten.
Auf den Schlachtschiffen des I. Geschwaders „Thüringen“ und
„Helgoland“ gingen Teile der Besatzungen zu offener Meuterei und
Sabotageakten über. Als aber am 31. Oktober einige Torpedoboote ihre
Geschütze auf diese Schiffe richteten, ergaben sich die Meuterer und
ließen sich widerstandslos abführen.Da die Marineleitung sich des
Gehorsams der Mannschaften nicht mehr sicher war, ließ sie ihren
Schlachtplan fallen und beorderte das Geschwader nach Kiel zurück.
Die Matrosen und Heizer versuchten nun, ein erneutes Auslaufen zu
verhindern und die Freilassung ihrer Kameraden zu erreichen. Etwa 250
von ihnen trafen sich dazu am Abend des 1. November im Kieler
Gewerkschaftshaus. Sie schickten Delegationen zu den Offizieren, die
aber nicht angehört wurden. Daraufhin suchten sie verstärkt Kontakt zu
Gewerkschaften, USPD und SPD. Nachdem die Polizei das
Gewerkschaftshaus für den 2. November gesperrt hatte, versammelten
sich am Folgetag mehrere tausend Matrosen und Vertreter der Arbeiter
nachmittags auf dem Großen Exerzierplatz. Sie waren einem Aufruf des
Matrosen Karl Artelt und des Werftarbeiters Lothar Popp, beide USPDMitglieder, gefolgt. Die Menge forderte unter der Losung Frieden und
Brot die Freilassung der Meuterer, die Beendigung des Krieges und eine
bessere Lebensmittelversorgung. Zuletzt zogen die Teilnehmer zur
Arrestanstalt, um die verhafteten Matrosen zu befreien.
Um die Demonstranten kurz vor ihrem Ziel am weiteren Vordringen zu
hindern, befahl Leutnant Steinhäuser seiner Patrouille, zunächst
Warnschüsse, dann gezielte Schüsse in die Menge abzugeben. Dabei
wurden sieben Personen getötet und 29 schwer verletzt. Dennoch
wurde aus dem Massenprotest nun ein allgemeiner Aufstand. Damit
war Kiel am Abend des 4. November fest in der Hand von etwa 40.000
revoltierenden Matrosen, Soldaten und Arbeitern.
Abordnungen der Matrosen schwärmten seit dem 4. November in
alle größeren deutschen Städte aus. Am 6. November war
Wilhelmshaven in ihrer Hand; am 7. November erfasste die
Revolution alle größeren Küstenstädte sowie Hannover,
Braunschweig, Frankfurt am Main, Stuttgart und München. Dort
zwang ein Arbeiter- und Soldatenrat den letzten bayerischen König
Ludwig III. zum Thronverzicht. Kurt Eisner von der USPD rief in
Bayern als erstem Land des Reiches die Republik aus. Auch in den
übrigen deutschen Staaten dankten in den nächsten Tagen alle
regierenden Fürsten ab, am 22. November zuletzt Fürst Günther
Victor von Schwarzburg-Rudolstadt.
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Thomas Candrian
Um seinen Anhängern einen Erfolg vorweisen zu können, zugleich aber
die Monarchie zu retten, wurde seit dem 6. November der Thronverzicht
des Kaisers vorgeschlagen. Doch Wilhelm II., der sich weiterhin im
Hauptquartier der Obersten Heeresleitung im belgischen Spa aufhielt,
spielte auf Zeit. Nachdem die Entente am selben Tag
Waffenstillstandsverhandlungen zugesagt hatte, hoffte er, an der Spitze
der bald frei werdenden Fronttruppen ins Reich zurückkehren und die
Revolution gewaltsam niederschlagen zu können.
Am Abend des 8. November hatte die USPD 26 Versammlungen in
Berlin einberufen, auf denen ein Generalstreik und
Massendemonstrationen für den nächsten Tag angekündigt wurden.
Schließlich handelte Max von Baden in Berlin auf eigene Faust. Ohne die
Entscheidung abzuwarten, gab er telegrafisch am Mittag dieses Tages
folgende Erklärung heraus: Der Kaiser und König hat sich entschlossen,
dem Throne zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch so lange im
Amte, bis die mit der Abdankung des Kaisers, dem Thronverzicht des
Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen und der
Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geregelt sind.
Daraufhin floh Wilhelm II. in die Niederlande, wo er bis zu seinem
Tod 1941 lebte. Beim Mittagessen im Reichstag erfuhr der
stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann davon. Er wollte
den Spartakisten nicht die Initiative überlassen und trat kurz
entschlossen auf einen Balkon des Reichstagsgebäudes. Von dort
verkündete er am 9. November vor einer demonstrierenden
Menschenmenge seinerseits die Republik mit den Worten:
Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind
verschwunden, über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie
gesiegt. Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem
Abgeordneten Ebert übergeben. (…) Alles für das Volk. Alles durch
das Volk. Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur
Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewusst. Das alte und
morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue.
Es lebe die deutsche Republik!
Der 10. November: SPD-Führung gegen Revolutionäre Obleute
In der Versammlung, die am Nachmittag des 10. November im Circus
Busch zusammentrat, stand die Mehrheit auf Seiten der SPD: fast alle
Soldatenräte und ein Großteil der Arbeitervertreter. Sie wiederholten nun
die Forderung nach „Einigkeit der Arbeiterklasse“, die am Vortag von den
Revolutionären aufgestellt worden war. Den Ausschlag in der Machtfrage
gab noch am Abend des 10. November ein Telefonat Eberts mit General
Wilhelm Groener, dem neuen 1. Generalquartiermeister im belgischen
Spa. Dieser sicherte Ebert die Unterstützung des Heeres zu und erhielt
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Thomas Candrian
dafür Eberts Zusage, die militärische Rangordnung wieder herzustellen
und gegen die Räte vorzugehen.
In den Turbulenzen dieses Tages war fast untergegangen, dass die
Regierung Ebert am Morgen nach einer erneuten Aufforderung durch die
OHL die harten Bedingungen der Entente für einen Waffenstillstand
akzeptiert hatte.
Am 11. November unterzeichnete der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger im
Auftrag Berlins das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne. Noch am selben Tag
schwiegen die Waffen. Der blutige Krieg hatte über zehn Millionen Menschenleben
gefordert und unendliches Leid erzeugt.
Kriegsfolgen
Verluste
Der Erste Weltkrieg forderte fast zehn Millionen Todesopfer und etwa 20 Millionen Verwundete
unter den Soldaten. Die Anzahl der zivilen Opfer wird auf weitere sieben Millionen geschätzt.[1]
Im Deutschen Reich leisteten im Kriegsverlauf 13,25 Millionen Mann Militärdienst, davon
starben 2,0 Millionen. Das Russische Reich hatte etwa 12 Millionen Männer zum Kriegsdienst
herangezogen, von denen 1,85 Millionen ums Leben kamen. Von den knapp 8,1 Millionen
eingezogenen Franzosen überlebten 1,3 Millionen den Krieg nicht. Das Britische Empire hatte
insgesamt etwa 7 Millionen Soldaten eingesetzt, von denen 850.000 nicht aus dem Krieg
zurückkehrten. Österreich-Ungarn musste bei 7,8 Millionen Soldaten etwa 1,5 Millionen
Todesopfer hinnehmen, auf italienischer Seite waren es bei 5 Million Soldaten fast etwa
700.000. Die anteilsmäßig größten Verluste erlitten Montenegro und Serbien: Von 700.000
serbischen Soldaten starben etwa 130.000. Insgesamt verlor Serbien kriegsbedingt rund
540.000 Menschen, etwa 11 % und Montenegro sogar 16 % seiner Bevölkerung.
Unter den Verwundeten befanden sich zahlreiche mitunter bis zur Unkenntlichkeit entstellte
Invaliden. Unzählige ehemalige Weltkriegssoldaten starben nach dem Ende der
Feindseligkeiten noch an den Folgen von Kriegsverletzungen und mitgebrachten Krankheiten in
relativ niedrigem Lebensalter. Zu den Verwundeten müssen auch zahlreiche Kriegsverweigerer
hinzugezählt werden, die psychisch unfähig zum Militärdienst waren oder wurden – und zur
„Aufrechterhaltung der Moral der Truppe“ entweder zu Gefängnisstrafen verurteilt oder in
entsprechenden Anstalten psychiatrisiert wurden. Zu den militärischen kamen die zivilen Opfer:
Die Blockade gegen das Deutsche Reich und Österreich führte 1917–1919 zu rund einer
Million Hungertoten, der größte Teil davon in Deutschland.
Kriegskosten
Die besonders schwer umkämpften Gebiete in Nordfrankreich und Belgien waren im Krieg
größtenteils zerstört worden. Die Kosten für den Wiederaufbau wurden auf etwa 100 Milliarden
Francs geschätzt. Der Krieg hatte alle beteiligten Mächte insgesamt fast eine Billion
Goldmark (= heutzutage ca. 30 Billionen Franken, d.h. 30 Millionen Millionen Franken)
gekostet. Diese gigantischen Kosten überstiegen bei weitem die Wirtschaftskraft der
europäischen Länder. Im Wesentlichen – mit Ausnahme Englands – wurden sie durch Anleihen
und Inflation aufgebracht. Die Annahme der Sieger, die Kriegskosten durch Reparationen
refinanzieren zu können, erwies sich als Illusion. Großbritannien wurde vom größten
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Thomas Candrian
Gläubiger der Welt zu einem der größten Schuldner. Für Deutschland endete der Krieg in
einer gigantischen Inflation, die Siegermächte wurden zu Schuldnern der USA. Europa hatte
seine weltbeherrschende Stellung durch den Krieg verloren. DeGaulle formulierte später: Es
gab Sieger und Besiegte; wir alle haben verloren.
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Thomas Candrian
Der Erste Weltkrieg als militärhistorische Zäsur
Der industrialisierte Krieg
Der Erste Weltkrieg war der erste vollständig industrialisierte Krieg, in dem man versuchte, alle
verfügbaren personellen und materiellen Reserven aufzubieten. Die Ursprünge des von den
Nationalsozialisten propagierten „Totalen Krieges“ finden sich vor Verdun und an der Somme.
Hatte das Zeitalter der Millionenheere bereits während der Französischen Revolution mit der
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht begonnen, erreichte es während des Ersten
Weltkrieges eine neue Dimension. Das Deutsche Reich hatte während des Krieges
durchschnittlich knapp sieben Millionen Männer unter Waffen, die ausgerüstet werden mussten.
Die Kriegswirtschaft erreichte aufgrund der gewaltigen Material- und Blutschlachten im Ersten
Weltkrieg zuvor ungekannte Ausmaße. An manchen Tagen des Krieges wurde mehr Munition
verschossen als während des gesamten Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71. Die
völlige Industrialisierung der Kriegsführung zeigte sich auch in der tausendfachen Produktion
von Geschützen, Maschinengewehren, Panzern und Kampfflugzeugen, die es zuvor nicht
gegeben hatte. Ohne Rücksicht auf zivile Belange wurden alle Ressourcen an die Front
umgeleitet. Die wirtschaftlichen Probleme in Deutschland bis 1923 (Hungersnöte,
Inflation, Hyperinflation) waren zum erheblichen Teil Spätfolgen dieser Kriegspolitik.
Bild des Soldaten
Der Erste Weltkrieg mit seinen Materialschlachten führte einen starken Mentalitätswechsel
herbei. So war vor dem Ersten Weltkrieg die allgemeine Vorstellung vom Krieg noch von
offenen Feldschlachten geprägt, in denen der Soldat verwegen, ritterlich und heldenmütig dem
Feind die Stirn bieten sollte. Dieses Bild konnte den Erfordernissen und Erfahrungen des
Stellungskrieges nicht standhalten. So verschob sich während und nach dem Krieg das
Idealbild des Soldaten hin zur vollständigen Abhärtung, Emotionslosigkeit und grenzenlosen
Belastbarkeit. Auch die Ausbildung der Soldaten wurde von vielen Armeen der Kriegsteilnehmer
dahingehend abgewandelt. Zum Bild gehörten jedoch auch die verkrüppelten Kriegsteilnehmer,
die mit vorher unbekannten (Gesichts-)Entstellungen und Amputationen in ein Zivilleben
entlassen wurden, das noch keine moderne Prothetik, berufliche und medizinische
Rehabilitation kannte.
Ausrüstung
Auf die wichtig gewordene Tarnung und Deckung im Feld nahmen mehrere Armeen zunächst
keine Rücksicht. Erst seit dem Burenkrieg (1899–1902) hatte sich die Bedeutung von
Felduniformen in gedeckten Farben erwiesen. Zwischen 1903 und 1914 hatte eine Kommission
der französischen Armeeführung versucht, mit verschiedenen Experimentaluniformen
Neuerungen in Schnitt und Farbe durchzusetzen, was letztendlich jedoch bis zum 27. Juli 1914,
sechs Tage vor Kriegsausbruch, ergebnislos blieb. Erst an diesem Tag fiel eine Entscheidung.
Die Franzosen mussten also zunächst mit den alten blau-roten Uniformen in den Krieg, mit
denen sie weithin sichtbar waren. Auch die deutsche Pickelhaube gehörte eigentlich in eine
vergangene Epoche.
Im Laufe des Jahres 1916 wurden die meisten deutschen Frontsoldaten mit einem zeitgemäßen
Stahlhelm ausgestattet.
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Thomas Candrian
Sowohl der Begriff „Tarnung“ als auch das Verb „tarnen“ setzten sich im Umfeld des Ersten
Weltkriegs im deutschen Wortschatz durch. Der Tarnungseffekt von gedeckten Uniformfarben
hatte sich bei den sandfarbenen Uniformen vieler Kolonialtruppen bereits seit dem 19.
Jahrhundert bewährt.. In dieser Situation lebte das lange vergessene, seit dem 19. Jahrhundert,
z. B. in „Tarnkappe“ durch deutsche Literaten wieder aufgegriffene mittelhochdeutsche Wort
„tarnen“ wieder auf.
Ende der Kavallerie
Der häufige Einsatz von Kavallerie in der Anfangsphase des Krieges stellte einen eindeutigen
Anachronismus dar und endete oftmals in einer Katastrophe. In den späteren Kriegsjahren
wurden einige Kavalleristen als Ordnungstruppen im Hinterland der Front eingesetzt, während
sich andere zu Kampfpiloten ausbilden ließen. Lediglich die britische Armee setzte bis zum
Ende des Krieges auch an der Front ihre Reiterei ein. So sollten in der Flandern-Schlacht von
1917 britische Kavallerie-Einheiten flüchtende deutsche Truppen endgültig schlagen, wozu es
jedoch nicht kam. Der letzte erfolgreiche Kavallerieangriff der Geschichte wurde am 31. Oktober
1917 unter General Edmund Allenby von der australischen 4. Light Horse Brigade und der
britischen 5. Mounted Brigade bei der Eroberung von Beerscheba geführt.
Aberglaube
Der während des Ersten Weltkrieges stark verbreitete Aberglaube stand in einem gewaltigen
Gegensatz zu der militärischen Realität. Viele Soldaten erwarben Talismane und „Nothemden“,
mit denen sie sich vor Verwundungen zu schützen suchten. Dasselbe Phänomen trat gehäuft
bereits während des Dreißigjährigen Krieges auf. Angesichts von Maschinengewehren mit einer
Feuerrate von bis zu 600 Schuss pro Minute und Geschützen mit einem Kaliber von bis zu 42
cm wirkt dieser Aberglaube wie ein Überbleibsel aus mittelalterlicher oder sogar vorchristlicher
Zeit.
In dem Film Bataillon der Verlorenen wird gezeigt, wie italienische Soldaten nach antikem
Brauch ihrem tödlich getroffenen Kameraden noch eine Münze in den Mund schieben,
damit er dem Fährmann Charon die Überfahrt über den Styx in das Totenreich bezahlen
kann.
Urteilsfähigkeit der Militärs
Auf beiden Seiten orientierten sich die Militärs zu sehr an den Erfahrungen aus den
vorhergehenden Kriegen und berücksichtigten kaum die militärtechnischen Neuerungen.
Obwohl es im amerikanischen Sezessionskrieg schon Schützengräben, Schnellfeuergewehre,
Materialschlachten und sogar U-Boote gegeben hatte, schenkten die Militärs diesen Aspekten
des Krieges wenig Beachtung. Viele glaubten noch an eine entscheidende Rolle der Kavallerie
und versprachen ihren Regierungen einen schnellen Sieg. Auf beiden Seiten hatte man
Massenheere aufgestellt, hatte aber keine konkrete Vorstellung von deren Führung,
insbesondere was Versorgung und Mobilität betraf.
Grabenkrieg
Mit Ausbruch des Krieges erkannten die deutschen und alliierten Truppen, dass auch die
kleinste Deckung es ermöglichte, einen Angriff problemlos zurückzuschlagen. Frontale Angriffe
führten zu dramatischen Verlusten; daher wurden Flankenangriffe als einzige Möglichkeit zum
Sieg angesehen. Dies führte nach der Marneschlacht zu einer Serie von Umfassungsmanövern,
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Thomas Candrian
die erst endeten, als beide Armeen die Küste erreichten. Das Grabensystem der Westfront
erstreckte sich von der Nordsee bis zur Schweiz. Der Stellungskrieg an der Westfront setzte
sich bis zur deutschen Frühjahrsoffensive im März 1918 fort.
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Thomas Candrian
Friedensverträge
Friedensvertrag von Versailles
Am 28. Juni 1919 kam es, bei weiterhin andauernder Seeblockade und unter starker
militärischer Drohkulisse der Alliierten, zur Unterzeichnung des Versailler Vertrags durch die
deutsche Delegation.
Territoriale Bestimmungen
Aufgrund der Bestimmungen des Vertrages von Versailles musste das Deutsche Reich
Reichsland Elsaß-Lothringen an Frankreich, Posen und Westpreußen an Polen abtreten; das
Memelland wurde unter französische Verwaltung gestellt und 1923 durch Litauen besetzt.
Zudem musste das so genannte Hultschiner Ländchen an die neu gegründete
Tschechoslowakei abgetreten werden. Danzig wurde zur Freien Stadt unter Kontrolle des neu
gegründeten Völkerbundes erklärt. Die ehemaligen deutschen Kolonien wurden zu
„Mandatsgebieten“ des Völkerbundes unter britischer und französischer Kontrolle erklärt. In
Eupen-Malmedy-St.Vith (anschließend belgisch), Nordschleswig (der nördliche Teil
anschließend dänisch), Teilen Ostpreußens (deutsch bleibend) und in Oberschlesien (zwischen
Deutschland und Polen geteilt, obwohl 60 Prozent für den Verbleib beim Deutschen Reich
votierten) wurden bis 1921 Volksabstimmungen über den Verbleib beim Deutschen Reich
angesetzt. Im belgischen Abstimmungsgebiet wurden Wähler in großem Stil eingeschüchtert
und von der Wahl abgehalten. Das Saargebiet wurde für 15 Jahre der Verwaltung des
Völkerbundes unterstellt, wobei Frankreich die Wirtschaftshoheit übernahm. Wahlen im
Memelland erbrachten hohe Stimmenanteile (etwa 80 Prozent) für die deutschen Parteien.
Militärische Bestimmungen
Das Deutsche Reich wurde zur Abrüstung verpflichtet und durfte nur noch über ein Berufsheer
mit einer maximalen Stärke von 100.000 Soldaten verfügen. Das Heer durfte weder schwere
Artillerie noch Panzer besitzen. Im Westen des Deutschen Reiches wurde eine entmilitarisierte
Zone geschaffen, deren Grenze etwa 50 Kilometer östlich des Rheins verlief. An den Grenzen
des Deutschen Reiches wurden Zonen bestimmt, in denen keine Befestigungen errichtet oder
verändert werden durften. Mehrere Flüsse wurden durch die Bestimmungen des Versailler
Vertrags internationalisiert.
Kriegsschuld und Reparationen
Durch den von vielen Deutschen als besonders ungerecht betrachteten Artikel 231 des
Vertrages wurde dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten die alleinige Schuld am
Krieg unterstellt, wodurch die Alliierten die Zahlung von Reparationen begründeten.
Anfangs wurden Reparationen in Höhe von 269 Milliarden Goldmark festgelegt, welche in 42
Jahresraten ausgezahlt werden sollten, die Forderungen und Regelungen zu den
Reparationszahlungen änderten sich mehrfach. Zudem musste das Deutsche Reich zahlreiche
Sachlieferungen leisten. Die Bestimmungen des Versailler Vertrags reichten nicht aus, um die
Großmachtstellung Deutschlands dauerhaft zu beseitigen. Trotzdem waren sie hart genug, um
das Verhältnis Deutschlands zu den Alliierten schwer zu belasten. Der in weiten Teilen der
deutschen Gesellschaft als aufdiktierter Frieden eingestufte Versailler Vertrag verhalf
nationalistischen Kreisen im Reich zu einem starken Zulauf.
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Thomas Candrian
Kritik
Der französische Marschall Foch kommentierte den Versailler Vertrag mit den Worten:
„Das ist kein Frieden. Das ist ein zwanzigjähriger Waffenstillstand.“
Der Vertrag wurde von den USA nicht unterzeichnet. Sie schlossen am 25. August 1921 mit
dem Berliner Vertrag 1921 einen Sonderfrieden mit dem Deutschen Reich, der einige der
härtesten Bestimmungen ausklammerte.
Vertrag von Saint-Germain
Am 10. September 1919 wurde der Vertrag von Saint-Germain der Alliierten mit Österreich in
St. Germain bei Paris unterzeichnet. Österreich musste Südtirol an Italien abtreten, sowie das
Gebiet um Triest. Hinzu kamen Gebietsabtretungen an das neu gegründete Jugoslawien. Die
Beziehungen der Republik Österreich zu anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen
Donaumonarchie, unter anderem in Bezug auf Minderheitenschutz, wurden ebenfalls in diesem
Vertrag geregelt, nachdem der Zerfall des Habsburgerreichs bereits im Jahr 1918 eingetreten
war. Ein Anschluss an das Deutsche Reich wurde Österreich untersagt, zudem wurde eine
Umbenennung des Staates in „Deutsch-Österreich“ verboten. Auch in Österreich wurde die
Wehrpflicht verboten. Die maximale Stärke des österreichischen Heeres wurde bei 30.000
Soldaten angesetzt. Die USA schloßen 1921 mit der Republik Österreich Frieden.
Vertrag von Neuilly-sur-Seine
Im Pariser Vorortvertrag von Neuilly mit Bulgarien, der am 27. November 1919 unterzeichnet
wurde, begrenzte man die Stärke des bulgarischen Heeres auf 20.000 Soldaten. Bulgarien
musste mehrere kleinere Gebiete im Westen an Jugoslawien abtreten. Außerdem fiel der
bulgarisch beherrschte Teil Thrakiens an Griechenland.
Vertrag von Trianon
Am 4. Juni 1920 wurde im Pariser Vorort Trianon der Vertrag von Trianon unterzeichnet. Die
ungarischen Teile der Slowakei mussten an die Tschechoslowakei abgetreten werden, während
Slawonien und der Banat an Jugoslawien fielen. Außerdem musste Ungarn das Burgenland an
Österreich und Siebenbürgen an Rumänien abtreten. Das ungarische Berufsheer wurde auf
35.000 Soldaten begrenzt.
Vertrag von Sèvres
Der letzte Pariser Vorortvertrag wurde am 10. August 1920 in Sèvres unterzeichnet. In dem
Vertrag wurde die Internationalisierung der türkischen Meerengen festgelegt. Die Türkei musste
Ost-Thrakien und die Stadt Smyrna mitsamt Umgebung an Griechenland abtreten, sowie
sämtliche unter türkischer Kontrolle befindliche Ägäis-Inseln bis auf die Dodekanes, die an
Italien fiel. Kilikien und Syrien gerieten unter französische Kontrolle, während Zypern, Ägypten,
Palästina und der Irak unter britische Verwaltung kamen. Kurdistan wurde der Autonomiestatus
zugesprochen, während Armenien unabhängig wurde. Die türkische Heeresstärke wurde auf
50.000 Soldaten begrenzt. Der Vertrag von Sèvres wurde von der türkischen
Nationalversammlung nicht bestätigt. Es kam zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit
Griechenland, die bis 1922 zur Räumung Ost-Thrakiens und Smyrnas durch die Griechen
führten. 1921 wurde der Abzug der Franzosen aus Kilikien vertraglich herbeigeführt, während
Armenien zwischen der Sowjetunion und der Türkei aufgeteilt wurde. In der Folgezeit wurden
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Tausende Armenier Opfer von Verfolgungen durch die Türken. Im Vertrag von Lausanne
wurden am 24. Juli 1923 die türkischen Gebietserwerbungen bestätigt, zudem verzichteten die
Alliierten auf Reparationsforderungen.
Auf dieser Konferenz wurde auch ein Abkommen zwischen der Zionistischen Weltorganisation
und Emir Feisal, dem König von Syrien (später Irak), einem Sohn des Scharifs von Mekka
geschlossen. In diesem, im Januar 1919 geschlossenem Abkommen, bekräftigen beide Seiten:
Es sollen alle nötigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Einwanderung von Juden im
großen Umfang zu fördern und anzuregen und so schnell wie möglich jüdische Einwanderer in
geschlossenen Siedlungen auf dem Land anzusiedeln zur intensiven Nutzung des Bodens. Bei
all diesen Maßnahmen sollen die Rechte der arabischen Bauern und Pächter geschützt und
ihre wirtschaftliche Entwicklung unterstützt werden.
In einer Beifügung wird die Gültigkeit des Abkommens jedoch nur dann festgestellt, wenn die
arabische Unabhängigkeit vom Westen in für den König befriedigendem Maße hergestellt
würde, was dann nicht der Fall war.
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Dolchstosslegende
Die Dolchstoßlegende war eine von führenden Vertretern der deutschen Obersten
Heeresleitung (OHL) initiierte Verschwörungstheorie, die die Schuld an der militärischen
Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf die
Sozialdemokratie abwälzen sollte. Sie besagte, das deutsche Heer sei im Weltkrieg „im
Felde unbesiegt“ geblieben und habe erst durch oppositionelle „vaterlandslose“
Zivilisten aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ erhalten. Antisemiten
verknüpften „innere“ und „äußere Reichsfeinde“ dabei zusätzlich mit der Schimäre vom
„internationalen Judentum“.
Diese Legende diente deutschnationalen, völkischen und anderen rechtsextremen Gruppen
und Parteien zur Propaganda gegen die Novemberrevolution, die Auflagen des Versailler
Vertrags, die Linksparteien, die ersten Regierungskoalitionen der Weimarer Republik und die
Weimarer Verfassung. Sie gilt in der Zeitgeschichte als bewusst konstruierte
Geschichtsfälschung und Rechtfertigungsideologie der militärischen und
nationalkonservativen Eliten des Kaiserreichs, die dem Nationalsozialismus wesentliche
Argumente lieferte und seinen Aufstieg entscheidend begünstigte.
Das Zitat sollte aus vorherigen Artikeln von Maurice in der britischen Zeitung Daily News
stammen. Die beiden OHL-Generäle Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg bekräftigten im
November/Dezember 1919 die Version, einer der gegnerischen englischen Generäle habe
zuerst von diesem Dolchstoß gesprochen. Ludendorff erwähnte in seinen Erinnerungen ein
angebliches Tischgespräch mit General Neill Malcolm im Juli 1919, bei dem er ihm die Gründe
der deutschen Niederlage erläutert habe, worauf Malcolm zurückgefragt habe: You mean that
you were stabbed in the back? Hindenburg behauptete in seiner Aussage vor dem
„Untersuchungsausschuss für Schuldfragen“ im Reichstag ebenfalls, ein englischer General
habe gesagt: Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden. Die Verwendung des
Ausdrucks wurde jedoch von beiden Briten heftig bestritten.
Der Historiker Boris Barth fand die Herkunft des Begriffs in einer Aussage des
Reichstagsabgeordneten Ernst Müller-Meiningen, der am 2. November 1918 bei einem Treffen
im Münchner Löwenbräukeller die zur Revolution bereiten Zuhörer mit den Worten zum
Durchhalten aufforderte:
Solange die Front hält, haben wir in der Heimat die verdammte Pflicht, auszuhalten. Wir
müssten uns vor unseren Kindern und Enkeln schämen, wenn wir der Front in den
Rücken fielen und ihr den Dolchstoß versetzten.
Das Sprachbild verwies auch auf den Mord an Siegfried im Nibelungenlied. Hindenburg
bestätigte diese Assoziation 1920 in seinem Buch Aus meinem Leben: Wie Siegfried unter dem
hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens
hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.
Dabei hatte er an anderer Stelle des Buches festgestellt:[4]
Krieg und Nerven hatten einst die wunderbare Kraft der Truppe geschaffen. Als es aber
dauernd „über die Kraft ging“, da wurde die Nervenkraft der Truppe schließlich
zerbrochen. Das muss unabhängig von allen politischen Einflüssen festgestellt werden.
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Entstehung
Das Grundmuster der Legende bestand darin, die Kriegsniederlage vom militärischen in den
zivilen Bereich abzuschieben und nicht Kriegsziele, Fehler der Kriegs- und Armeeführung, die
Erschöpfung der Soldaten, die wirtschaftliche und militärische Überlegenheit der gegnerischen
Staaten dafür verantwortlich zu machen, sondern bestimmte Personen oder Gruppen in der
Heimat.
Am 8. August 1918, dem sogenannten Schwarzen Tag des deutschen Heeres, durchbrachen
die Truppen der Entente die deutsche Westfront (Siegfriedstellung). Wegen der nun endgültig
aussichtslos gewordenen militärischen Lage forderte die OHL am 29. September 1918 die
Reichsregierung ultimativ auf, eine Verfassungsänderung und Regierungsbeteiligung der SPD
zuzulassen, um die Forderungen von US-Präsident Wilson nach einer Demokratisierung
Deutschlands als Bedingung für einen Waffenstillstand zu erfüllen und die Siegermächte so für
einen milden Friedensschluss zu gewinnen.
Das Kalkül dabei war vor allem, die auf Demokratisierung drängenden Mehrheitsparteien im
Reichstag in die Regierung einzubinden und so für die zu erwartende Kapitulation und deren
Folgen verantwortlich zu machen. Damit sollte eine vollständige Niederlage und eine soziale
Revolution nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution abgewendet und die
Machtstellung des Militärs bewahrt werden. Hindenburg bestätigte diese Absicht in seinen
Memoiren Aus meinem Leben 1920: Wir waren am Ende! [...] Unsere Aufgabe war es
nunmehr, das Dasein der übriggebliebenen Kräfte unseres Heeres für den späteren
Aufbau des Vaterlandes zu retten. Die Gegenwart war verloren. So blieb nur die Hoffnung
auf die Zukunft.
Die Aussage Hindenburgs am 18. November 1919 vor dem von der Weimarer
Nationalversammlung eingesetzten und öffentlich tagenden „Untersuchungsausschuss für
Schuldfragen“ machte die Dolchstoßlegende publik. Er behauptete:
In dieser Zeit [1918] setzte eine planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer als
Fortsetzung ähnlicher Erscheinungen im Frieden ein. Die braven Truppen, die sich von
der revolutionären Zermürbung freihielten, hatten unter dem pflichtwidrigen Verhalten
der revolutionären Kameraden schwer zu leiden; sie mussten die ganze Last des
Kampfes tragen. Die Absichten der Führung konnten nicht mehr zur Ausführung
gebracht werden. So mussten unsere Operationen misslingen, es musste zum
Zusammenbruch kommen; die Revolution bildete nur den Schlussstein. Ein englischer
General sagte mit Recht: 'Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.' Den guten
Kern des Heeres trifft keine Schuld. Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen.
Auch in der Gedankenwelt führender Nationalsozialisten gewann die Dolchstoßlegende
Bedeutung. So schrieb Adolf Hitler im Jahr 1923 im Völkischen Beobachter:
„Wir haben uns immer daran zu erinnern, daß jeder neue Kampf nach außen, mit den
Novemberverbrechern im Rücken, dem deutschen Siegfried sofort wieder den Speer in den
Rücken stieße.“
Die Dolchstoßlegende spielte dann vor allem auch in der zweiten Hälfte des Zweiten
Weltkrieges eine verhängnisvolle Rolle. Viele Offiziere lehnten es ab, sich an einem von einigen
Angehörigen der Wehrmacht geplanten Putsch gegen Hitler zu beteiligen – auch als es keine
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Thomas Candrian
Chancen auf einen militärischen Sieg mehr gab –, weil sie das Entstehen einer neuen
Dolchstoßlegende fürchteten.
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Folgen des Krieges
14. Punkte von Wilson
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Die Schweiz während des 1. Weltkrieges
Dass die Schweiz sich aus dem Ersten Weltkrieg heraushalten konnte, dürfte mehrere Gründe
haben:






Keine der kriegsführenden Mächte hatte direkte Kriegsziele in der Schweiz.
Keine für die Kriegswirtschaft nutzbaren Rohstoffvorräte.
Als Durchgangsland war die Schweiz im Gegensatz zu früheren Konflikten
(napoleonische Kriege) nicht von grossem Interesse.
Schwieriges Gelände (Berge), in dem Ortskenntnisse beim damaligen Stand der
Kartografie und Navigationstechnik einen ausserordentlich grossen "Heimvorteil"
bedeuteten.
Damals topmoderne Gotthardfestung und Sperren im Rhonetal machten die Schweiz als
Durchmarschland zusätzlich unattraktiv
Im Vergleich zur Bevölkerungszahl und Fläche sehr grosse Armee.
Mit anderen Worten: Den Kosten und Risiken eines Angriffs auf die Schweiz hätte kaum ein
militärischer bzw. kriegswirtschaftlicher Nutzen entsprochen. Solche
Nützlichkeitserwägungen der kriegsführenden Mächte, nicht etwa die in der Schweiz
gleichsam mythisch verklärte Neutralität waren also ausschlaggebend dafür, dass die
Schweiz nicht angegriffen wurde. Umgekehrt zeigt der deutsche Angriff auf das ebenfalls
neutrale Belgien (dessen Pech es war, auf einer verlockenden Angriffsroute ins Herz
Frankreichs zu liegen und reichlich über kriegswichtige Rohstoffvorräte (Kohle) zu verfügen) mit aller Deutlichkeit, dass die Neutralität eine Grossmacht nicht von einem Angriff abhalten
konnte.
Die rohstoffarme, aber hoch industrialisierte und daneben vom Tourismus abhängige Schweiz
war wirtschaftlich durch den Krieg stark betroffen: Nur durch Verhandlungen mit beiden
kriegsführenden Parteien konnte eine minimale Versorgung mit Rohstoffen sichergestellt
werden. Die Abhängigkeit von importierter Kohle führte während und nach dem Krieg zu einem
Ausbau der Elektrizitätserzeugung aus (einheimischer) Wasserkraft. Die Pionierrolle der
Schweizer Bahnen bei der Umstellung von Dampflokomotiven auf Elektrolokomotiven ist
weit gehend durch die Erfahrungen des Krieges bedingt.
Während des Krieges bewährte sich das Internationale Kommittee vom Roten Kreuz
(IKRK) mit humanitären Leistungen, insbesondere einer Zentralauskunftsstelle für
Flüchtlinge. Dies wurde international durch die Verleihung des Friedensnobelpreises
1917 anerkannt. Auf Anregung des Bundesrates wurden mit Deutschland, Frankreich,
Grossbritannien, Österreich-Ungarn, und Belgien Abkommen geschlossen, die von 1916 bis
zum Kriegsende 68'000 verwundeten und kranken Soldaten beider Seiten eine Erholung in der
Schweiz ermöglichten.
Der Erste Weltkrieg führte zu einer inneren Zerreissprobe für die Schweiz Schon bei der
Wahl von General Ulrich Wille, dessen Sympathien für Deutschland kein Geheimnis
waren, fühlten sich die Romands brüskiert. Der innere Konflikt verschärfte sich noch nach
dem deutschen Einmarsch in Belgien, "da die deutschschweizerische Presse die
Neutralitätsverletzung im Gegensatz zur welschen weitgehend rechtfertigte". Der eintönige
Militärdienst in Wartestellung drückte auf die Moral der Milizsoldaten. Deshalb schuf General
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Wille im ersten Kriegswinter den so genannten Vortragsdienst. Einerseits sollten die Soldaten
vom eintönigen Dienstalltag abgelenkt werden, andererseits wollte man sie auch
staatsbürgerlich weiterbilden.
Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung der Schweiz hing zu 40% von Importen ab. Trotz
staatlicher Lenkungsmassnahmen (Getreidemonopol 1915 zur besseren Koordination und
Rationierung ab 1917) führte der Krieg zu starker Teuerung. Jeder Soldat leistete im
Durchschnitt etwa 500 Diensttage und erhielt in dieser Zeit weder Lohn noch eine
Verdienstausfallentschädigung. Dies führte in den ärmeren Bevölkerungsschichten zu harten
Notlagen.
1916 kam es zu ersten linken Demonstrationen und Krawallen, Teile der Armee wurden gegen
die eigene Bevölkerung zu "Ordnungsdiensten" eingesetzt. Im Juni 1917 distanzierte sich die
Sozialdemokratische Partei von der Landesverteidigung und die linke Presse begann,
Vorkommnisse in der Armee zu kritisieren - vielleicht etwas aufbauschend, aber nicht ganz
unbegründet, wie sogar General Ulrich Wille zugeben musste: "Die Missstimmung im Volk und
in der Armee gegen Ende des Aktivdienstes war ... einmal durch die wirtschaftlichen
Beeinträchtigungen, dann durch die mancherlei Unvollkommenheiten der Armee selbst
verursacht."
Angeregt durch die russische Oktoberrevolution kam es 1917 in Zürich zu grösseren
Krawallen, bei denen vier Personen getötet und 28 verletzt wurden. Eine ernsthafte
Bedrohung der Demokratie entstand daraus jedoch nicht, weil die grosse Mehrheit des
Volkes sehr wohl zwischen den Verhältnissen im zaristischen Russland und den eigenen
unterscheiden konnte und offenbar auch die Erinnerung an die eigene Geschichte
genügend wach geblieben war, um die Lust auf revolutionäre Experimente zu dämpfen.
Die soziale Notlage war durch das bürgerliche Abblocken der an sich wohl begründeten linken
Forderungen natürlich nicht gelöst. Im Juni 1918 lebte schliesslich ein Sechstel der
Bevölkerung unter dem Existenzminimum. Bei Kriegsende rief das Oltener Komittee der
Gewerkschaften einen landesweiten Generalstreik aus. Bundesrat und Parlament blieben hart
und ordneten einen massiven Armeeeinsatz an. Die Streikleitung musste nach drei Tagen
kapitulieren. Im Sommer 1919 kam es zu weiteren Unruhen in Zürich und Basel, wobei neben
der Armee auch Bürgerwehren zum Einsatz kamen. Die Verbitterung und Entfremdung
zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum verfestigte sich in den folgenden Jahren noch.
War also der Generalstreik von 1918 ein Misserfolg? Betrachtet man den Landesstreik als
isoliertes Ereignis, so könnte man durchaus auf diese Idee kommen. Allerdings gibt es - knappe
hundert Jahre später - nicht eine einzige Forderung des Oltener Komitees, die unerfüllt
geblieben wäre: Was sich mit einem Generalstreik auf die Schnelle nicht erzwingen liess, wurde
nach und nach auf dem ordentlichen demokratischen Weg mittels parlamentarischen
Vorstössen, Volksinitiativen und nicht zuletzt konsequenter Überzeugungsarbeit doch noch
durchgesetzt.
Die Grippeepidemie von 1918/1919
Die schlimmste je bekannt gewordene Grippeepidemie (Spanische Grippe) wütete 1918 1919 und forderte weltweit schätzungsweise 20 - 25 Millionen Todesopfer. Ihre grosse
Ausbreitung ist zumindest teilweise auf den Krieg zurück zu führen (Verschleppung der Erreger
aus den USA nach Europa durch US-Soldaten, Mangelernährung und prekäre hygienische
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Verhältnisse). In der Schweiz erkrankte mehr als die Hälfte der Bevölkerung, die zivilen Spitäler
waren ebenso überfordert wie der militärische Sanitätsdienst, zeitweise brach Panik aus, 1918
waren 20'000 Tote zu beklagen, 1919 und 1920 nochmals je knapp 4'000. Am meisten
gefährdet waren Personen zwischen 20 und 49 Jahren. Dass 1805 Soldaten der Grippe zum
Opfer fielen, davon 926 während des Einsatzes gegen den Generalstreik, führte zu heftigen
politischen Auseinandersetzungen.
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Thomas Candrian
Quellen / Literatur
Artikel in der Wikipedia
1. Weltkrieg
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Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg
Aufklärung
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Spanische Grippe
SPD
Stammliste der Bonaparte
Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten
Staaten
Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
USPD
Wilhelm II. (Deutsches Reich)
Zeitalter der Aufklärung
Zeitalter des Imperialismus
Zeittafel zur Französischen Revolution
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Hartmann, Peter C, - Geschichte Frankreichs
Wolfgang Schmale - Geschichte Frankreichs
Thamer, Hans-Ulrich - Die Französische Revolution
Leo Trotzki - Geschichte Der Russischen Revolution
Deutschland & Europa - Ausgabe 11.1997 - 1848-49 Revolution
Andreas Wirsching - Deutsche Geschichte Im 20. Jahrhundert
Jürgen Kochendörfer, Erhard Rumpf - Geschichte und Geschehen
Morel - Aufklärung oder Indoktrination
Seite 49
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