Thomas Candrian Zusammenfassung Der 1. Weltkrieg 1880 - 1918 Geschichte 08.04.2017 D:\481355704.doc Thomas Candrian Inhalt INHALT 2 SITUATION VOR DEM 1. WELTKRIEG 4 Kolonien 1898 4 Der Balkankrieg 6 Kurz vor dem Krigesausbruch 9 DEUTSCHLAND VOR DEM KRIEG Wilhelminische Epoche 11 13 FRANKREICH VOR DEM KRIEG 15 RUSSLAND VOR DEM KRIEG 17 URKATASTROPHE DES 20. JAHRHUNDERTS 18 DER 1. WELTKRIEG 20 Kriegsziele Deutsches Reich Österreich-Ungarn Frankreich Russland Großbritannien Italien Vereinigte Staaten von Amerika 20 20 20 21 21 21 22 22 Propaganda 23 Kriegsbegeisterung 23 Kriegsbeginn (Julikrise) 24 Der Kriegsverlauf 1914 25 Der Kriegsverlauf 1915 27 Der Kriegsverlauf 1916 28 Der Kriegsverlauf 1917 29 Der Kriegsverlauf 1918 30 Kriegsfolgen Verluste Kriegskosten 34 34 34 DER ERSTE WELTKRIEG ALS MILITÄRHISTORISCHE ZÄSUR 36 Der industrialisierte Krieg Bild des Soldaten Ausrüstung Ende der Kavallerie Aberglaube Urteilsfähigkeit der Militärs Grabenkrieg 36 36 36 37 37 37 37 FRIEDENSVERTRÄGE 39 Friedensvertrag von Versailles Territoriale Bestimmungen Militärische Bestimmungen Kriegsschuld und Reparationen 39 39 39 39 Seite 2 Thomas Candrian Kritik 40 Vertrag von Saint-Germain 40 Vertrag von Neuilly-sur-Seine 40 Vertrag von Trianon 40 Vertrag von Sèvres 40 DOLCHSTOSSLEGENDE Entstehung 42 43 FOLGEN DES KRIEGES 45 DIE SCHWEIZ WÄHREND DES 1. WELTKRIEGES 46 QUELLEN / LITERATUR 49 Seite 3 Thomas Candrian Situation vor dem 1. Weltkrieg An der Schwelle des 20. Jahrhunderts gab es in Mittel- und Osteuropa wesentlich weniger Staaten als heute. Das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und Russland teilten sich das Gebiet im Wesentlichen untereinander auf. Nach der Industrialisierung der Länder versuchten die neuen Nationen, Ihre weltpolitische Macht weiter auszubauen. Vor allem Frankreich und England, aber auch einflussärmere Länder wie Portugal, Spanien, die Niederlande oder Belgien segelten auf dem Erball herum und nahmen riesige Gebiete in Besitz. Kolonien 1898 1871 kam Otto von Bismarck im neu entstandenen deutschen Reich an die Macht. Er verfolgte eine Politik der Kriegsveremidung durch Bildung von Bündnissen. Zudem war Ihm bewusst, dass die existierenden Mächte in Europa eine neue Kolonialmacht nicht akzeptieren. Darum nannte der die Deutsche Politik „saturiert“ (lat. gesätigt. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass das Reich ein mit dem Status quo zufriedener und keineswegs aggressiver gebietshungriger Staat sei, und damit die Expansionsängste bei den europäischen Großmächten England und Russland zerstreuen). Die Industrialisierung beschleunigte sich Ende des 19. Jahrhunderts stark durch Eisenbahn, Dampfschiff und Telegraphie. Zwischen 1885 und 1905 wurden die letzten weissen Flecken von Afrika unter den europäischen Nationen aufgeteilt. Deutschland und Italien, welche sich erst um 1870 zu einer Einheit zusammenfanden beteiligten sich erst Mitte der 1880er an der Konolialisierung. Die Kolonialstaaten glaubten sich geistig überlegen und waren der Ansicht, den minderbemittelten Völkern der Erde Zivilisation und Religion zu bringen. Dies führte zur Unterdrückung der Minderheiten innerhalb Deutschlands (Polen, Dänen, Elsässer). Vor allem gegen die Juden richtete sich der Hass, da diese wegen guter Seite 4 Thomas Candrian Schulbildung sehr oft in Handel und Banken vertreten waren und deshalb den Zorn der Deutschen auf sich zogen. Nach dem Tod seines Vaters 1888 wurde Wilhelm II. zum Kaiser Deutschlands ernannt. Er war recht beliebt, nicht zuletzt wegen seinen sozialen Tendenzen. Allerdings war das mehr Kalkül als politische Überzeugung, um die Sozialisten auszubooten. Bismarck wollte Russland als einen starken Verbündeten, Wilhelm II. vertraute hingegen nur auf Österreich-Ungarn. Darum musste Bismarck gehen. Die Kanzlerzeit seines Nachfolgers, Caprivis, war durch entschiedene Englandfreundlichkeit geprägt. Er war in der Innenpolitik einer der Hauptverantwortlichen für den Wandel des Deutschen Reiches von der Agrarwirtschaft zur industriellen Exportwirtschaft. Die in diesem Zeitraum gemachten Reformen erleichterten es, dass Deutschland wenig später Großbritannien überholte und zur Weltwirtschaftsmacht Nr. 1 aufstieg. Wilhelm II galt als unbändiger Anhänger des Militarismus und war ein Freund des Imperialismus. Da es bei seiner Geburt Komplikationen gab konnte er später del Linken Arm nur sehr eingeschränkt bewegen. Aus diesem Grund war er gezwungen, seine Körperlichen Schwächen durch geistige Stärke zu kaschieren, was ihn zu einem unnachgiebigen und strengen Monarchen machte. Ab 1898 wurde ein Flottenbauprogramm aufgesetzt um die Seeverbindungen nach Übersee und zu den Kolonien zu schützen. England blieb daraufhin nicht untätig und startete seinerseits einen Rüstungswettlauf mit Deutschland. In Deutschland lief die Militärmaschinerie also auf Hochtouren. Das Heer hatte weitreichende Kompetenzen und stand unter direkter Führung des Kaisers. Einzig das Budget wurde noch durch das Parlament bestimmt, aber das für jeweils 7 Jahre, so dass auch hier der Einfluss gering war. Es wurden extrem hochgerüstet und viel in die Flotte investiert, damit auch Deutschland etwas in der Weltpolitik zu sagen hatte. innerhalb der deutschen Gesellschaft brodelte es allerdings erheblich. Der Wohlstand der deutschen Arbeiterschaft stieg von Jahr zu Jahr, doch es gelang nicht, den Arbeitern in den Städten das Gefühl zu geben, anerkannte Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Die Arbeiter waren unzufrieden und dachten an Revolution, der Fremdenhass erstarkte und man wollte sich auch einen Platz in der Geschichte sichern. Anfangs des 20. Jahrhunderts war es so gut wie unmöglich, einen leitenden Posten in einem Unternehmen zu bekommen, ohne mindestens als Offizier gedient zu haben. Umgekehrt war es so, dass eine Offizierskarriere automatisch den Einzug in die obere Gesellschaft bedeutete. Durch das extrem vergrösserte Heer gelang es auch nach und nach der Unterschicht, Fuss in die leitenden Positionen zu erlangen, da die Adligen nicht ausreichten. Im sozialen Umfeld der Jahrhundertwende bildeten sich auch die verschiedenen Gesellschaftsschichten weiter aus. Die Adeligen hatten die gesellschaftliche Vorangstellung, Das Besitzbürgertum versuchte diesen Lebensstil nachzuahmen, entweder durch geldlichen Einfluss oder durch Anheirat. Die Milltelschicht, bestehend aus selbständigen berufsleuten (Bauern, Handwerker) und Beamten waren durch die gute Wirtschaftslage auch bemächtigt, einigen Wohlstand anzuhäufen und darum Ihren Lebensstandard dem der Oberschicht auszurichten. Daneben gab es aber auch eine sehr grosse Unterschicht, bestehend aus Fabrikarbeitern, unselbständigen und Taglöhnern sowie arbeitslose, welche am Hungertuch nagten. Seite 5 Thomas Candrian Diese Unterscheide in der Gesellschaft führte zu Unzufriedenheit und revolutionärem Denken in Deutschland. Die sozialen Spannungen zwangen Wilhelm, den von Bismarck eingeleiteten Kurs des Sozialstaates mit Krankenversicherungen weiterzuführen. Ab 1904 spitzten sich die Probleme im Kampf um Kolonien zu. In der ersten und zweiten Marokkokriese wollte Deutschland den anderen Nationen zeigen dass es auch Einfluss und Macht habe und in Weltpolitischen Fragen von anderen Nationen gefragt und angehört werden wollte. Dies führte allerdings dazu, dass die anderen Statten eine gewisse Furcht vor Deutschland entwickelten. Das erstarken des deutschen Militärs verschob das Kräftegleichgewicht in Europa beträchtlich. Immerhin war Deutschland auf bestem Weg, die grösste Armee und die grösste Flotte aufzubauen. Als Industrienation hatte es bereits England überholt und war sowohl technisch als auch ideologich weit fortgeschritten. Andere Staaten, allen voran Grossbritannien, Frankreich und Russland waren durch diesen Umstand gezwungen, ebenfalls mitzurüsten. Die Russen waren mit Frankreich bereits seit 1892 in einem Pakt verbündet, und 1907 fanden England und Russland überraschend eine gemeinsame Übereinkunft über Mittelasien. So entstand die britisch-französische Entente, welche sich durch Zuzug von Russland zur Tripelente erweiterte. Der Balkankrieg Seit dem 19. Jahrhundert waren auf dem Balkan immer wieder neue Kleinstaaten entstanden, meistens auf Kosten des Osmanischen Reiches. 1908 brach im Osmanischen Reich die jungtürkische Revolution aus. Österreich-Ungarn wurde dadurch daran erinnert, dass Bosnien und die Herzegowina zwar von der Monarchie seit dreißig Jahren okkupiert und verwaltet wurden, jedoch formal Teile des Osmanischen Reiches geblieben waren. Franz Joseph I. sah nun die Chance, „Mehrer des Reiches“ zu sein, und stimmte dem Annexionsplan des Reichsfinanzministers zu. Der einseitige, von keiner internationalen Konferenz unterstützte Rechtsakt, das Hoheitsgebiet der Monarchie auf Bosnien und Herzegowina zu erstrecken, verursachte in Europa größere Unruhe, bei der vor allem Russland politisch verlor. Dem begegnete Russland mit der Schaffung des Balkanbunds zwischen Serbien und Bulgarien unter russischer Patronage. Nicht Österreich-Ungarn war nun das primäre Ziel, sondern das Osmanische Reich. Montenegro erklärte dem Osmanischen Reich 8. Oktober 1912, am 16. Oktober das Osmanische Reich Bulgarien den Krieg, und am Tag darauf erklärten Serbien, Bulgarien und Griechenland gemeinsam dem Osmanischen Reich den Krieg. Das Ziel des Kriegs war, durch die Verdrängung des Osmanischen Reiches zusätzliches Territorium zu erhalten. Die folgenden militärischen Niederlagen des Osmanischen Reiches, das durch den 1911 verlorenen Italienisch-Türkischen Krieg und verschiedene Aufstände in den Balkanprovinzen schon vorher geschwächt war, ließen keinen Zweifel zu, dass seine europäische Herrschaft nicht länger aufrechterhalten werden konnte. Unter Vermittlung der europäischen Großmächte wurde am 30. Mai 1913 der Londoner Vertrag geschlossen, der den Krieg beendete. Die Osmanen verzichteten auf alle europäischen Gebiete westlich der Linie zwischen Midia am Schwarzen Meer und Enos an der Ägäisküste, die Insel Kreta vereinigte sich offiziell mit Griechenland. Seite 6 Thomas Candrian Nach der vereinbarten Waffenruhe mit den Osmanen kam es wenig später zum Streit über die Verteilung der Territorien. Die bulgarische Führung war nicht zufrieden mit den eigenen erzielten Landgewinnen und verlangte von Serbien die Abtretung von weiten Teilen des eroberten Makedoniens. Die Serben waren damit unzufrieden, dass Albanien ihren Zugang zur Adria versperrte. Rumänien, das im Ersten Balkankrieg neutral geblieben war, agierte im Zweiten Balkankrieg selbständig gegen Bulgarien, und das Osmanische Reich ergriff ebenfalls die Gelegenheit während der Kriegshandlungen zwischen den serbischen, griechischen und bulgarischen Truppen, um verlorene Territorien zurückzugewinnen. In der Nacht vom 29. Juni 1913 griffen bulgarische Truppen gleichzeitig die griechischen und serbischen Armeen an, ohne dass Bulgarien den beiden Staaten den Krieg erklärt hatte. Aber die Kämpfe zwischen Serres und Saloniki endeten mit einem Sieg der vorbereiteten Verteidiger. Serbien und Griechenland erklärten Bulgarien am 8. Juli 1913 den Krieg. Am 9. Juli 1913 erklärte Rumänien Bulgarien den Krieg und am 11. Juli folgte auch das Osmanische Reich. Seite 7 Thomas Candrian Damit wurde Bulgarien von allen Seiten angegriffen. Die bulgarischen Streitkräfte mussten sich in diesem Zweiten Balkankrieg innerhalb weniger Wochen geschlagen geben. Nach dem Waffenstillstand musste Bulgarien im Friedensvertrag von Bukarest vom 10. August 1913 fast alle im Ersten Balkankrieg erzielten Gebietsgewinne wieder abtreten. Der größte Teil der Region Makedonien fiel an Griechenland und Serbien, der Süden der Dobrudscha ging an Rumänien und Ostthrakien mit Adrianopel zurück an das Osmanische Reich. Bulgarien erhielt vorerst nur einen kleinen Teil der östlichen Region Makedoniens. Mit dem Eingreifen Russlands in die Verhandlungen erhielt Bulgarien letztendlich mit dem Vertrag von Konstantinopel am 29. September 1913 mit Westthrakien doch noch einen Zugang zur Ägäis. Durch die Schaffung des neuen Staates Albanien erreichte die Wiener Diplomatie ihr Ziel, Serbien von der Adria fernzuhalten. In der Frage des serbischen Adriazugangs bei Skutari stießen die russische und die österreichische Balkanpolitik direkt aufeinander und es kam zu einer schweren internationalen Krise. 1908 beging Franz Joseph I., Herrsche der Doppelmonarchie von Öserreich-Ungarn, auch sein Jubiläum, 60 Jahre Kaiser von Österreich zu sein. Kaiser Wilhelm II. und fast alle Oberhäupter der deutschen Teilstaaten gratulierten aus diesem Anlass persönlich in Wien. Ungarn sah sich „nicht zu Kundgebungen veranlasst“, war Franz Joseph I. doch bis zu seiner Krönung in Ungarn 1867 als Fremdherrscher empfunden worden. In Prag und Laibach kam es zu Ausschreitungen gegen die Deutschen als herrschendes Volk des Kaisertums Österreich. Österreich-Ungarn war eine schwache Grossmacht: Viele ethnische Gruppen, welche sich nur zum Teil leiden konnten, sehr alter Herrscher (84-jährig) mit wenig Kriegserfahrung und Probleme im Balkan waren nur ein Teil der Schwäche. Am 28. Juni 1914 besuchten Franz Ferdinand, der Prinz und einzige Thronanwärter nach einem möglichen Ableben von Franz Joseph, und seine Frau Sophie Herzogin von Hohenberg Sarajevo, die Hauptstadt des 1908 annektierten Bosnien. An jenem Tag beging Serbien zum ersten Mal den Veitstag als offiziellen Staatsfeiertag, den Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld, an dem 1389 die Serben vernichtend von den Türken geschlagen worden waren. Nationalisten, die ein vereintes Serbien (und somit Gebiete der Monarchie, in denen Serben lebten) forderten, empfanden den Besuch des Paares als Provokation. Während einer Autofahrt durch Sarajevo wurde das Paar von dem serbischen Attentäter Gavrilo Princip erschossen, was zu einer schwerwiegenden Staatskrise, der sogenannten Julikrise, führte. Daraufhin erhielt Kaiser und König Franz Joseph ein Treuebekenntnis des deutschen Kaisers Wilhelm II., der ihm versicherte, „im Einklang mit seinen Bündnisverpflichtungen und seiner alten Freundschaft treu an der Seite Österreich-Ungarns [zu] stehen“. Dieses Treuebekenntnis, das nicht voraussetzte, dass weit reichende Entscheidungen Österreich-Ungarns vorher mit dem Deutschen Reich abgesprochen wurden, empfanden politische Beobachter als Blankoscheck. Wie weit zu diesem Zeitpunkt der europäische Krieg bereits im Kalkül der deutschen Führung lag, ist in der historischen Forschung bis heute umstritten (siehe Fischer-Kontroverse). Es war von den Terroristen zwar nicht geplant, aber es war durchaus damit zu rechnen, dass sich Österreich-Ungarn nach der Ermordung ihres Thronerben nicht tatenlos dahinstellten und Seite 8 Thomas Candrian die Forderungen erfüllten. Am 23. Juli stellte Österreich-Ungarn ein Ultimatum an Serbien, da man davon ausging, dass Serbien entscheidenden Anteil an dem Attentat hatte. Die Antwort aus Belgrad war nachgiebig und kooperativ. Die Serben hatten allerdings nicht alle Bedingungen der k.u.k. Monarchie hundertprozentig akzeptiert. Österreichisch-ungarische Spitzenpolitiker und Militärs nahmen daher gern die Gelegenheit wahr, die serbische Antwort als unzureichend abzulehnen. In völliger Verkennung der Weltlage und der Schwäche der Monarchie motivierten sie den 84-jährigen Kaiser und König, der seit 48 Jahren keinen Krieg mehr zu führen gehabt hatte, zur Kriegserklärung an das südöstliche Nachbarland, die am 28. Juli erfolgte. Dies bewog Russland zur Generalmobilmachung, da sich das Zarenreich als Behüter der slawischen Völker sah und den Balkan als eigenes Einflussgebiet betrachtete. Das Russische Reich erklärte Österreich-Ungarn den Krieg. Hierauf trat für das Deutsche Reich der Bündnisfall ein. Dieses trat an der Seite von Österreich-Ungarn in den Krieg ein. Da Russland mit Frankreich und Großbritannien verbündet war (Entente), kamen diese beiden Russland zu Hilfe, womit der „Große Krieg“ – später Erster Weltkrieg genannt – nicht mehr aufzuhalten war. Kurz vor dem Krigesausbruch 28. Juni 5./6. Juli 20. bis 23. Juli 23. Juli 25. Juli 25. Juli 27. Juli 28. Juli 30. Juli 31. Juli 31. Juli 31. Juli August August August August Attentat von Sarajevo auf Thronfolger Franz Ferdinand „Mission Hoyos“ und der deutsche „Blankoscheck“ Besuch der französischen Regierung in St. Petersburg Österreichisches Ultimatum an Serbien Vorbehalte Serbiens gegen Teile des Ultimatums Österreichische Teilmobilmachung Russische Teilmobilmachung Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien Russische Generalmobilmachung Österreichische Generalmobilmachung Deutsches Ultimatum an Russland, seine Mobilmachung einzustellen Deutsches Ultimatum an Frankreich, sich neutral zu erklären Generalmobilmachung und Kriegserklärung Deutschlands an Russland Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich Einmarsch deutscher Truppen in Belgien Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland Die Mächtigen schafften es daraufhin, sämtliche Probleme in der Gesellschaft in Hass zumzuformen und diesen auf die „anderen“ zu richten. Inwieweit das Handeln Deutschalnds in dieser Zeit Kalkuliert war ist immer noch umstritten. Das Frankreich vor dem Krieg war geprägt durch instabile Kabinette und häufige Regierungswechsel. Es kam zum Zusammenwirken der „radikalen“ Republik mit den Sozialisten. Damals lebte ein kämpferischer Nationalismus und das Revanchedenken mit Forderung nach Rückgewinnung von Elsaß- Lothringen auf Die Niederlage Russlands im russisch-japanischen Krieg verstärkte die Unzufriedenheit nur noch und es kam zu großen Demonstrationen und eienr Revolution. Russland war nach dem verlorenen Krieg jedoch extrem geschwächt und musste zusehen, wie Österreich-Ungarn mit Rückendeckung des Deutschen Reiches 1908 BosnienSeite 9 Thomas Candrian Herzegowina annektierte. Bei Kriegsbeginn 1914 stand die Mehrheit der russischen Bauern hinter der Zarenregierung. England war vorzüglich auf den 1. Weltkrieg vorbereitet. Durch den Bau von Schlachtschiffen war das Wttrüsten vorüber, da die Briten uneinholbar waren. So netspannte sich erstanlicherweise das Verhältnis von dem 1. Weltkrieg zwischen den beiden Staaten. Trotzdem war England mit der flexiblen Politik und mit einer sehr guten Militarisierung gut auf einen allfälligen Krieg vorbereitet. Seite 10 Thomas Candrian Deutschland vor dem Krieg Otto von Bismarck, der spätere deutsche Reichskanzler, zwang Frankreich 1869/1870 mit der Kandidatur von Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen aus der katholischen Linie der in Preußen regierenden Hohenzollern für den spanischen Königsthron indirekt zum Krieg. Durch diese Kandidatur hatte Napoleon III. keine andere Wahl mehr als den Krieg zu erklären. Frankreich erschien so, wie von Bismarck beabsichtigt, als Aggressor. In Deutschland war die öffentliche Meinung nun ganz auf Seiten Preußens und die süddeutschen Staaten sahen den Bündnisfall als gegeben an. Als erstes erklärten Baden und Hessen-Darmstadt ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund. Württemberg und Bayern machten den Weg zur Gründung des Deutschen Reiches frei, nachdem ihnen Reservatsrechte zugebilligt worden waren. Am 18. Januar 1871 kam es im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zur „Kaiserproklamation“. Sie markierte die Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Wenige Tage später kapitulierte Paris. Der Deutsch-Französische Krieg endete am 10. Mai 1871 mit dem Frieden von Frankfurt. Bismarck hatte damit den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erreicht. Er wurde in den Fürstenstand erhoben und Wilhelm I. machte ihm den Sachsenwald in der Nähe Hamburgs zum Geschenk. Bismarck gehörte nunmehr zu den großen Grundbesitzern des Reiches und war, auch Dank der geschickten Verwaltung seiner Gelder durch Gerson Bleichröder, ein reicher Mann. Nach 1871 wurde Friedrichsruh zum Mittelpunkt seines Privatlebens. Das neue Kaiserreich übernahm weitgehend die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Als Reichskanzler, Vorsitzender des Bundesrates, preußischer Ministerpräsident und Außenminister blieb Bismarck so der dominierende Politiker. Dieses wog auch gegenüber Wilhelm I. schwer, sodass Bismarck seinen Willen gegenüber dem Kaiser meist durchsetzen konnte. Wilhelm klagte daher: „Es ist nicht leicht unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.“ Die Reichsgründung veränderte die europäischen Machtverhältnisse grundlegend. Das neue Reich stand zunächst außerhalb der Pentarchie, die sich in den letzten hundert Jahren herausgebildet hatte, besaß es doch eine gänzlich andere machtpolitische Qualität als das recht kleine Preußen. Daher galt das Reich als Störenfried der internationalen Ordnung. Nach einem längeren Lernprozess erkannte Bismarck, dass das allgemeine Misstrauen der übrigen Staaten gegenüber Deutschland nur durch Selbstbeschränkung und den Verzicht auf weitere territoriale Gewinne abgebaut werden konnte. Er versicherte daher, dass das Reich saturiert sei. „Wir verfolgen keine Macht-, sondern eine Sicherheitspolitik“, bekräftigte er 1874. Ein Grundziel von Bismarcks Außenpolitik blieb es, Frankreich zu schwächen. Um dies zu erreichen, bemühte er sich um gute Beziehungen zu Österreich und zu Russland, ohne dabei eine Seite zu präferieren. Ergebnis dieser Strategie war das Dreikaiserabkommen von 1873. Allerding erlebte er, dass im Zweifelsfall die europäischen Flügelmächte zusammenarbeiteten, um eine Störung des machtpolitischen Gleichgewichts zu verhindern. Bismarck entwickelte darum ein diplomatisches Konzept, das darauf abzielte, die Spannungen zwischen den Seite 11 Thomas Candrian Großmächten an die Peripherie zu verlagern, um so die Mitte Europas vor Kriegen zu bewahren. Bismarck stilisierte die Katholiken zu Reichsfeinden – auch um aufziehender Kritik an seiner Amtsführung entgegenzuwirken. Ab 1872 wurden im Rahmen des so genannten Kulturkampfes verschiedene Sondergesetze gegen die Katholiken beschlossen, die wiederholt verschärft wurden. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurden Rechte und Machtstellung der Kirche durch Reichs- und preußische Landesgesetze. Der unerwartet starke Widerstand der Katholiken zwang Bismarck dazu, nach dem Tod von Pius IX. im Jahr 1878, zur Beendigung des Konflikts die Sondergesetze schrittweise aufzuheben Bismarck gelang es aber auch, die Spannungen zwischen Deutschland und Russland abzubauen und 1881 das Dreikaiserbündnis abzuschließen. Damit war eine enge Verbindung Russlands mit Frankreich zunächst verhindert worden. Das Bündnissystem wurde 1882 durch den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, sowie 1883 durch den Anschluss Rumäniens an den Zweibund ergänzt. Mitte der 1880er-Jahre schien Bismarck die diplomatische Absicherung des Reiches erfolgreich abgeschlossen zu haben. Das Konzept der Saturiertheit wurde jedoch durch die imperialistischen Tendenzen der Zeit immer mehr in Frage gestellt. Bismarck selbst war eigentlich Gegner kolonialer Erwerbungen. Aber auch in Deutschland bildete sich eine imperialistische Bewegung, die auf den Erwerb von Kolonien drängte. Deren Druck konnte sich Bismarck nicht auf Dauer entziehen. Verschiedene innen- und außenpolitische Gründe führten zu einem Sinneswandel des Reichskanzlers. Dabei spielte auch die von ihm gefürchtete Thronübernahme des liberalen, englandfreundlichen Kronprinzen, des späteren Kaisers Friedrich III., eine Rolle. Da der Erwerb von Kolonien die Beziehungen zu Großbritannien verschlechtern musste, habe die Kolonialpolitik, „nur den Zweck, einen Keil zwischen den Kronprinzen und England zu treiben.“ 1884 und 1885 kam es zum Erwerb mehrerer Territorien in Afrika und im Stillen Ozean. In der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre wurde Bismarcks außenpolitisches System zunehmend bedroht. Ab 1886 nahmen in Frankreich die revanchistischen Tendenzen zu. Zeitweilig drohte ein französisch-russisches Bündnis und damit die Gefahr eines Zweifrontenkriegs für das Deutsche Reich. Bismarck bauschte die Krise mit Frankreich allerdings auf, um seine innenpolitischen Pläne zur Heeresverstärkung durchsetzen zu können. Fast zeitgleich entstand eine neue Balkankrise. Bismarck versuchte vergeblich, die Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten Österreich und Russland auszugleichen. Das Dreikaiserbündnis zerbrach. In Russland nahmen daraufhin die Stimmen für ein Bündnis mit Frankreich weiter zu. Probleme durch die Schutzzollpolitik Bismarcks verschärften die Situation. In Deutschland plädierten einflussreiche Persönlichkeiten aus Militär und Diplomatie wie Friedrich von Holstein, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Alfred von Waldersee für einen Präventivkrieg gegen Russland. Bismarck lehnte solche Ideen strikt ab. Er hielt den Krieg weiter für vermeidbar. Als Macht- und Realpolitiker spielten nationalistische und sozialdarwinistische Vorstellungen für ihn keine Rolle. Der Übergang vom Freihandel zum Protektionismus vollzog sich in den folgenden Jahren in mehreren Schritten. Bismarck hoffte, aus seinem Eingehen auf die Wünsche der Verbindung von „Roggen und Eisen“ politisches Kapital schlagen zu können, um die konservative Basis des Reiches auszubauen und seine eigene Position zu festigen. Seite 12 Thomas Candrian Hauptziel von Bismarcks Sozialpolitik war, eine stärkere Staatsbindung zu erzeugen. Geplant war zunächst nur eine Unfallversicherung, später kamen Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut hinzu. Diese sollten weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise sprach Bismarck sogar von Staatssozialismus. Er wollte so „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt.“ Mit der Sozialgesetzgebung legte Bismarck die Grundlage des modernen Sozialstaats, erreichte seine machtpolitischen Ziele jedoch nicht. Aus den Reichstagswahlen vom Februar 1887 ging das Regierungslager aus Konservativen und Nationalliberalen mit absoluter Mehrheit hervor. Bismarck besaß mit den so genannten Kartellparteien nun jene parlamentarische Mehrheit, die er in den vergangenen zehn Jahren angestrebt hatte. Er konnte jetzt sowohl seine militärpolitischen Pläne als auch Begünstigungen für seine konservative Klientel durchsetzen. Aufgrund von Bismarcks neuer Machtstellung spielte die Thronbesteigung von Friedrich III. im März 1888 kaum noch eine Rolle. Als der todkranke neue Kaiser sich weigerte, einer Verlängerung der Legislaturperiode und des Sozialistengesetzes zuzustimmen, belehrte Bismarck die Kaiserin, dass der Monarch „als solcher kein Faktor der Gesetzgebung“ sei.[116] In der politischen Öffentlichkeit wurde der Ruf nach einer Abkehr von der nur bewahrenden Diplomatie Bismarcks zu Gunsten einer dynamischen und risikobereiten Außenpolitik laut. Nach der kurzen Herrschaftszeit von Friedrich III. (Das Jahr 1888 ging als Dreikaiserjahr in die Geschichte ein. Nach dem Tode Wilhelms I. am 9. März 1888 regierte Friedrich III. auf Grund seines bereits fortgeschrittenen Kehlkopfkrebses nur für 99 Tage (der „99-Tage-Kaiser“) und starb am 15. Juni in Potsdam.) standen sich mit dem neuen Kaiser Wilhelm II. und Bismarck zwei ungleiche Persönlichkeiten gegenüber. Am 15. März 1890 entzog Kaiser Wilhelm dem Kanzler wegen dessen Konfliktkurses endgültig die Unterstützung. Zwei Tage später überreichte Bismarck Wilhelm sein Entlassungsgesuch. Die Öffentlichkeit reagierte mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt. Wilhelminische Epoche Die dreißigjährige Regentschaft Wilhelms II. im Deutschen Reich (von 1888 bis 1918) wird als die wilhelminische Epoche bezeichnet. Wesentliches Merkmal war das Streben des Kaisers, das Reich als wichtige politische Größe unter den bestehenden Weltmächten zu etablieren. Als Deutscher Kaiser sah er seine Aufgabe darin, allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung, wie sein Großvater Wilhelm I. formuliert hatte. Wilhelm II. legte viel Wert auf internationales Prestige. Eng verbunden mit diesem Anspruch war die militärische Aufrüstung des Kaiserreichs sowie die Forcierung der Kolonialpolitik in Afrika und der Südsee. Dies und die Verwicklung des Deutschen Reichs in verschiedene internationale Krisen führten zu einer Destabilisierung der Außenpolitik. Die Vorliebe Wilhelms für militärischen Prunk, die sich beispielsweise in zahlreichen Paraden zu den unterschiedlichsten Anlässen ausdrückte, führte auch gesellschaftlich zu einer Überbetonung des Militärs und der militärischen Hierarchie bis hinein ins zivile Leben der deutschen Gesellschaft, in der für eine berufliche Laufbahn – nicht nur im Verwaltungsapparat – Seite 13 Thomas Candrian die Ableistung des Militärdienstes und der militärische Rang eines Menschen von entscheidender Bedeutung war (Militarismus): Einen Rang als Reserveoffizier innezuhaben, galt im wilhelminischen Bürgertum als Eintrittskarte in die gehobene bzw. privilegierte Gesellschaft, ebenso wie das Fehlen eines militärischen Ranges ein einschlägiges Karrierehindernis darstellte. Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands während Wilhelms Regentschaft, verbunden mit technologischem, naturwissenschaftlichem und industriellem Fortschritt, begünstigte eine auch vom Kaiser mit getragene allgemein verbreitete Technik- und Fortschrittsgläubigkeit. Innenpolitisch setzte er die für ihre Zeit als modern und fortschrittlich geltende Sozialpolitik Bismarcks fort und erweiterte sie. Er setzte sich für die Abschaffung des Sozialistengesetzes ein und suchte, teilweise erfolglos, den Ausgleich zwischen ethnischen und politischen Minderheiten. Wilhelm II. wollte sowohl die Innen- als auch Außenpolitik des Reiches wesentlich stärker als sein Großvater Wilhelm I. beeinflussen. Das „persönliche Regiment“ des Kaisers war jedoch oft eine von häufig wechselnden Beratern gesteuerte Politik, die die Entscheidungen Wilhelms im Urteil der meisten Historiker oft widersprüchlich und letztlich unberechenbar erscheinen ließen. Auch war seine Amtszeit von politischen Machtkämpfen zwischen den einzelnen Parteien geprägt, die es den amtierenden Kanzlern nur schwer möglich machten, längerfristig im Amt zu bleiben. So wurden im Kampf zwischen dem sogenannten Nationalliberal-Konservativen Kartell, Bülow-Block und Sozialdemokraten fünf von sieben Kanzlern unter kritischem Mitwirken des Reichstags vom Kaiser entlassen. Während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 wurde Wilhelms strategische und taktische Unfähigkeit offenbar. Ab 1916 enthielt er sich zunehmend relevanter politischer Entscheidungen und gab die Führung des Reiches faktisch in die Hände der Obersten Heeresleitung, namentlich in die der Generale von Hindenburg und Ludendorff, die die konstitutionelle Monarchie während der letzten Kriegsjahre mit starken Zügen einer Militärdiktatur versahen. Als sich Wilhelm II. nach Ende des „großen Kriegs” in Folge der Novemberrevolution, die zum Ende der Monarchie und zur Ausrufung der Weimarer Republik führte, zur Abdankung bewegen ließ und in die Niederlande ins Exil ging, hatte das Deutsche Kaiserreich den Krieg bereits verloren. Etwa 10 Millionen Menschen waren auf den Schlachtfeldern gefallen. Seite 14 Thomas Candrian Frankreich vor dem Krieg Die 19 Jahre von 1879 bis 1898 werden oft als Periode des „Opportunismus“ bezeichnet. Allmählich nahm der politische Einfluß der Mittelschichten zu, die oft überzeugte Republikaner und später Anhänger der Radikalsozialisten waren. Die Regierungen führten ab 1880 stufenweise mehrere Reformen durch (1881 liberales Pressegesetz, 1882/84 Munizipalordnung, 1883 Justizreform und Ehescheidungsrecht, 1884 Senatsreform). Weitere wichtige Schritte waren die Amnestie der Kommunarden zur Versöhnung mit der Linken, die Zulassung von Gewerkschaften und ein Programm, um die öffentlichen Arbeiten zu organisieren. Im Bereich des Schulwesens kam es damals ähnlich wie in Deutschland zu einer Art Kulturkampf. Die Republik verdrängte nämlich die katholische Kirche und ihre Lehrer aus Schulverwaltung und Unterricht. Ferry baute außerdem in seiner Schulreform die Volksschule zur kostenlosen, laizistischen, obligatorischen Staatsschule aus. Da es in den 80er Jahren zu einer großen wirtschaftlichen Depression kam, nahmen antirepublikanische, dem Parlamentarismus distanziert gegenüberstehende politische Kräfte, wie die Monarchisten und Bonapartisten, bei den Wahlen von 1885 gewaltig zu. Damals stieg der populäre General Boulanger, der auf Plebiszite und eine Fraternisierung der Armee mit der Arbeiterschaft setzte, zum Führer der „Partei der Unzufriedenen“ auf, vermied jedoch den Staatsstreich. Während die Rechten sich in der Folgezeit zunehmend in außer- und antiparlamentarischen Verbänden organisierten, schlossen sich die von den „Radikalen“ vertretenen Mittelschichten enger an die „opportunistische“ Republik an. In den 90er Jahren erschütterten zwei Krisen die Republik und spalteten die Gesellschaft: der Panamaskandal und die Dreyfusaffäre. Die Affäre des offensichtlich unschuldig wegen Landesverrats verurteilten jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus erschütterte Frankreich stark, da es um die Glaubwürdigkeit von Armee und Justiz, Staatsautorität und Nationalinteresse und außerdem um Antisemitismus ging. Damals konnte das kleine und mittlere Bürgertum, vertreten durch die „radikale“ Partei, mit der Regierung Waldeck-Rousseau an die Macht kommen, so daß man für die Jahre bis 1914 von der „radikalen“ Republik spricht. Der Radikalsozialismus, mehr und mehr von der sich organisierenden linken Arbeiterschaft in die politische Mitte gedrängt, wurde nun die entscheidende Kraft. Ihr gehörten so bedeutende Politiker wie Clemenceau, 81 Caillaux, Daladier und Herriot an. Es handelte sich um von Freimaurern beherrschte, liberale, antiklerikale Parteien mit antietatistischen, aber keinen antikapitalistischen Zügen. Bei schwacher Organisation, einer Vielzahl von Namen und Programmen hatten sie letztlich den Charakter von Honorationenparteien. Die damalige Zeit war geprägt durch instabile Kabinette und häufige Regierungswechsel. Es kam zum Zusammenwirken der „radikalen“ Republik mit den Sozialisten. Besonders markant waren innenpolitische Ereignisse wie die ideologisch-politische Überwachung des Offizierskorps durch Freimaurer und die Reaktion darauf, das Streben nach Modernisierung des Steuersystems sowie die Einführung des Verhältniswahlsystems und der Bruch mit der katholischen Kirche. Die Dritte Republik baute das französische Kolonialreich weiter aus. Dabei spielten als Motive wirtschaftliche Interessen, militärische Gründe sowie Bestrebungen eine Rolle, die französische Zivilisation zu verbreiten. Basierend auf den Erwerbungen der Monarchie- und Kaiserzeit Seite 15 Thomas Candrian gelang es der Dritten Republik seit den 1880er Jahren, ein gewaltiges Reich an Kolonien, Protektoraten und Militärterritorien zu gewinnen, das in der Zeit zwischen den Weltkriegen seine größte Ausdehnung erreichte. Es umfaßte schließlich Französisch Äquatorialafrika, Tunis, Annam, Tonkin, Madagaskar, Laos, Französisch-Westafrika und Marokko, die größten Teile der vorher deutschen Kolonien Togo und Kamerun, außerdem die Völkerbundsmandate über Syrien und den Libanon. Die französische Kolonialexpansion führte einerseits dazu, daß Frankreich bald nach dem verlorenen Krieg wieder eine Rolle als Großmacht spielte, die zusätzlich durch wachsenden Einfluß wegen seiner Kreditvergaben (z.B. an Rußland) noch verstärkt wurde. Andererseits geriet die Republik jedoch in Auseinandersetzungen mit Großbritannien, die in der Faschodakrise (1898/99) einen Höhepunkt erreichten. Außerdem spitzte sich in Marokko in den zwei Krisen von 1905 und 1911 der Konflikt mit Deutschland zu. Damals lebte ein kämpferischer Nationalismus und das Revanchedenken mit Forderung nach Rückgewinnung von Elsaß- Lothringen auf. Dabei wurde ein mit Fatalismus erwarteter Krieg in Kauf genommen. Zur Sicherung der französischen Position gegen das demographisch und wirtschaftlich überlegene Deutsche Kaiserreich schloß man mit Rußland, das die französischen Kapitalexporte benötigte, 1891/92 eine Allianz, den „Zweiverband“ und schließlich 1904 mit England die Entente cordiale ab. Diese wurde dann 1907 durch den britischrussischen Petersburger Vertrag zur Tripelentente (Dreierbund) ausgeweitet. In dieser gespannten Lage, als die großen Mächte geprägt waren vom Imperialismus, den damit verbundenen Rivalitäten und dem angefachten übersteigerten Nationalismus, brach nach den Balkankriegen 1912/13 und dem Mord an dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo (28. Juni 1914) der Erste Weltkrieg (1914-1918) aus. Seite 16 Thomas Candrian Russland vor dem Krieg Durch ausgebliebene innenpolitische Reformen und den Konflikt zwischen Anhängern einer Annäherung an den Westen (Westler) und Gegnern einer solchen Annäherung (Slawophile) geriet Russland wirtschaftlich immer mehr ins Hintertreffen gegenüber den anderen Großmächten. Die Korruption im Land war weit verbreitet und höher als in den westlichen Ländern. Zudem war die starke Zentralisierung des Staates nicht immer von Vorteil. In Moskau und Sankt Petersburg, aber auch in anderen russischen Städten entstanden Kreise von Intellektuellen, Kommunisten und Anarchisten. Sie wurden von Zar Alexander III. brutal verfolgt. Sein Nachfolger, Nikolaus II. behielt die Politik seines Vaters bei. Hinzu kamen soziale Probleme, die im Zuge der Industrialisierung des Landes entstanden, sowie eine Hungersnot im Jahre 1890. 1898 wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (Vorgängerin der Kommunistischen Partei Russlands) gegründet, in welcher ab 1903 die Bolschewiki unter Lenin die Führung übernahmen. Die Niederlage Russlands im russisch-japanischen Krieg verstärkte die Unzufriedenheit nur noch und es kam zu großen Demonstrationen. Nach dem Petersburger Blutsonntag 1905 fand von 1905 bis 1907 eine erfolglose Revolution in Russland statt, die jedoch dem Zaren die Unzufriedenheit im Land zeigte. Zar Nikolaus II. rief unter anhaltendem Druck ein kurzzeitig existierendes Parlament, die Duma, zusammen, die er jedoch bald wieder auflösen ließ. Die Duma wird in der Geschichtswissenschaft teilweise als Scheinparlament bezeichnet. Folgen der Revolution: Russland bekam auf Grundlage des Oktobermanifestes Nikolaus II. eine Verfassung, die eine Volksvertretung (Staatsduma) vorsah. In der Verfassung wird die dominante Stellung des Zaren betont, in der Folgezeit bemüht Nikolaus II. sich, die gemachten Zugeständnisse wieder zurückzunehmen. 1907 wird das Wahlrecht zugunsten eines Zensuswahlrechts geändert, was große Teile der Bauern und Arbeiter von politischer Repräsentanz ausschließt, auch wenn dies einen Verfassungsbruch darstellt. Max Weber prägte hierfür den Begriff "Scheinkonstitutionalismus". Reformen für Agrarwirtschaft (Stolypinsche Reformen) sollten es den Bauern ermöglichen, selbst zu wirtschaften und rationale Anbaumethoden einzuführen. Ziel war die Schaffung eines bäuerlichen Mittelstandes. Außenpolitisch war Russland nach der 1890 vom Deutschen Kaiser Wilhelm II. verweigerten Verlängerung des Rückversicherungsvertrages 1892 ein Bündnis mit Frankreich eingegangen. Nach der Niederlage im Fernen Osten richtete Russland wieder seine Aufmerksamkeit auf Europa und den Balkan. Russland war nach dem verlorenen Krieg jedoch extrem geschwächt und musste zusehen, wie Österreich-Ungarn mit Rückendeckung des Deutschen Reiches 1908 Bosnien-Herzegowina annektierte. Die Spannungen auf dem Balkan nahmen immer weiter zu, denn das Osmanische Reich, "der kranke Mann am Bosporus" war zunehmend im Zerfallen begriffen. 1907 schloss Russland ein Übereinkommen mit Großbritannien, indem die Streitigkeiten in Asien ausgeräumt und die gegenseitigen Interessensphären festgelegt wurden. Es kam in Europa zu einem Rüstungswettlauf. Die allgemeine Lage verdüsterte sich zunehmend und ein großer europäischer Krieg wurde immer wahrscheinlicher. Seite 17 Thomas Candrian Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts Der Erste Weltkrieg wurde von 1914 bis 1918 in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Ostasien geführt und forderte rund 17 Millionen Menschenleben. Der Krieg wurde zunächst zwischen den Mittelmächten, dem Deutschen Reich und ÖsterreichUngarn, auf der einen Seite und den Entente-Mächten, Frankreich, Großbritannien und Russland sowie Serbien auf der anderen Seite ausgetragen. Wider Willen kamen Belgien und Luxemburg als Opfer hinzu, in welche die deutschen Streitkräfte ungeachtet deren Neutralität nach dem Konzept des Schlieffenplans einmarschierten. Im Verlauf des Krieges wurden die Mittelmächte durch das Osmanische Reich und Bulgarien verstärkt, während auf alliierter Seite unter anderem Japan, Italien, Portugal, Rumänien, Griechenland und die USA in den Krieg eintraten. Im Ersten Weltkrieg, der auch als der Große Krieg bezeichnet wurde und wird, entluden sich die machtpolitischen Gegensätze der europäischen Großmächte, die zu einer enormen Aufrüstung geführt hatten. Zum Ende des Krieges befanden sich 25 Staaten und deren Kolonien, in denen insgesamt 1,35 Milliarden Menschen lebten, also etwa drei Viertel der damaligen Erdbevölkerung, im Kriegszustand. Aufgrund der Verwerfungen, die der Erste Weltkrieg weltweit auslöste, und der Folgen, die noch heute spürbar sind, gilt er bei vielen Historikern als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. Insgesamt war keiner der Blöcke auf einen langen Krieg eingestellt, beispielsweise war Winterbekleidung für die Soldaten nicht vorgesehen. Die Führungen gingen davon aus, einen kurzen Krieg zu führen und diesen noch 1914 erfolgreich beenden zu können. Seite 18 Thomas Candrian Seite 19 Thomas Candrian Der 1. Weltkrieg Kriegsziele Deutsches Reich Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges überwog im Deutschen Reich noch die Auffassung, der Krieg habe bloßen Verteidigungscharakter. Ausgelöst durch die raschen Erfolge der Armee im Westfeldzug wurden bald zum Teil fantastische Annexionsprojekte formuliert. Dabei trat das überwiegend kommerziell dominierte Vorkriegsziel, nämlich die koloniale Expansion des Deutschen Reiches in Übersee und Vorderasien, zugunsten einer allgemeinen Machterweiterung in Europa zurück, denn durch die Mittellage in Europa fühlte sich das Deutsche Reich bedroht. Durch Annexionen in Ost und West in zum Teil extremer Größenordnung wollte man die gefährdete Hegemonialstellung des Deutschen Reiches auf dem europäischen Festland für alle Zukunft sichern.[4] Deutschland hatte im Gegensatz zu den anderen kriegführenden Staaten kein natürliches Kriegsziel, was eine Suche nach Zielen künstlichen Charakters nach sich zog. Das Fehlen greifbarer nationaler Ziele führte zu einer Konzentration auf reine Machtexpansion. Das Herzstück der deutschen Kriegszielpolitik im Westen war stets Belgien. Zweites zentrales Kriegsziel war die mehr oder weniger direkte Beherrschung Polens, neben der Annexion eines je nach Herkunft des Konzeptes unterschiedlich breiten Grenzstreifens. Österreich-Ungarn Österreich-Ungarn nahm für sich in Anspruch, um seine Interessen auf dem Balkan und um seine Existenz schlechthin zu kämpfen, die es insbesondere durch Russland bedroht sah. Österreich-Ungarn strebte nicht nur die Eingliederung Serbiens, sondern auch Montenegros und Rumäniens oder Russisch-Polens an. Entgegen den nationalistischen Tendenzen der damaligen Zeit hielt Österreich-Ungarn an der universalen Idee vom Kaisertum und somit am Vielvölkerstaat fest. In den ersten Kriegswochen erlaubten sich die österreichischen Staatsmänner in ihren Vorstellungen genaue territoriale Ziele. Einige Wochen später verdrängte jedoch das Überlebensmotiv geplante Erwerbungen. Wie bei keiner anderen Großmacht standen bei der Monarchie auch negative Kriegsziele im Vordergrund: die Behauptung des Trentino, des Küstenlandes mit Triest und Dalmatien sowie der albanischen Küste gegen Italien, die Abwehr der rumänischen Ansprüche auf Siebenbürgen und die Bukowina, die Zurückweisung der großserbischen und südslawischen Bestrebungen in Bosnien-Herzegowina, Dalmatien, Kroatien und Slawonien, die Verteidigung gegen die panslawistischen Pläne Russlands in Galizien und Böhmen und nicht zuletzt der Widerstand gegen die Hegemonialbestrebungen des Deutschen Reiches. Seite 20 Thomas Candrian Frankreich Frankreich wollte Revanche für die von den Franzosen als schmerzhaft empfundene Niederlage von 1871 nehmen und Elsass-Lothringen zurückerobern. Es wollte darüber hinaus die durch den Deutsch-Französischen Krieg eingeleitete Vormachtstellung des Deutschen Reiches auf dem europäischen Festland beseitigen. Das wichtigste Kriegsziel der Nation tauchte bereits in den ersten Kriegstagen auf: die Rückgewinnung Elsass-Lothringens. Diese Forderung blieb vom Anfang bis zum Ende des Krieges ein unverrückbares Kriegsziel. Als nach dem Sieg an der Marne beschlossen wurde, den Krieg bis zum Ende der Hegemonie des preußischen Militarismus fortzuführen, traten bald auch weitere Ziele an die Öffentlichkeit, vom Saarbecken über linksrheinische Gebiete bis hin zur Infragestellung der Reichseinheit (in manchen Kreisen) oder zumindest ihrer Schwächung im föderativen Sinne. Im Herbst 1915 zeichneten sich schließlich jene französischen Kriegsziele ab, die in den kommenden Jahren immer wieder, mit unterschiedlicher offizieller Unterstützung, kaum verändert auftauchten. Die Rückkehr von Elsass-Lothringen in den Grenzen von 1814 oder sogar 1790, also mit dem Saargebiet, die Zurückdrängung Deutschlands an den Rhein durch Annexion oder Neutralisation des Rheinlandes sowie eine wirtschaftliche und militärische Angliederung Belgiens und Luxemburgs an Frankreich. Russland Russland konzentrierte seine internationalen Interessen, nach dem verlorenen Krieg gegen Japan, auf den Balkan, als dessen natürliche Schutzmacht es sich sah. Dabei kam es unweigerlich zu starken Spannungen mit Österreich-Ungarn. Das Selbstverständnis Russlands als Erbe der byzantinisch-orthodoxen Kultur und die traditionelle Feindschaft gegen das Osmanische Reich kamen in den russischen Kriegszielen ebenfalls zum Ausdruck. Nach dem osmanischen Kriegseintritt erhoffte man sich auf russischer Seite den Gewinn Konstantinopels und der Meerengen zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer. Die russischen Kriegsziele umfassten neben dem alten Ziel der Meerengen aber auch Galizien und das ins russische Gebiet hineinragende Ostpreußen. Im weiteren Sinne spielte sicher auch die Idee des Panslawismus, einer Zusammenfassung aller Slawen in einem Kontinentalblock, eine Rolle. Großbritannien Großbritannien wollte sich der wachsenden Wirtschaftskraft Deutschlands entledigen und die starke deutsche Flotte ausschalten, da es seine Machtstellung durch das seit der Reichseinigung aufstrebende Deutschland bedroht sah. Die deutsche Invasion Belgiens war der offizielle Grund für Großbritanniens Kriegseintritt – die Wiederherstellung Belgiens blieb in den ersten Kriegsjahren daher auch das einzige erklärte wichtige Kriegsziel. Zum Ziel der Befreiung Belgiens trat aber schon früh die Formel der Zerschlagung des preußischen Militarismus, zur Wahrung des europäischen Gleichgewichts, das durch die deutsche Besetzung Belgiens und der Kanalküste bedroht schien. Im Deutschen Reich sollte das Königreich Hannover wiederhergestellt werden, was gleichzeitig Preußens Vetomacht im Bundesrat gebrochen hätte. Direkte territoriale Ziele auf dem europäischen Kontinent hatte Großbritannien jedenfalls zu keiner Zeit, auch außerhalb Europas habe Großbritannien, laut Premier Asquith, schon jetzt gerade so viel Land wie „we are able to hold“. Dennoch mussten etwaige Interessen gegenüber Frankreich, Russland und den anderen Verbündeten gewahrt Seite 21 Thomas Candrian bleiben, was britische Erwerbung deutscher und türkischer Besitzungen in Afrika und Vorderasien bedeutete. Territoriale Belange wurden offiziell immer, wohl um peinliche Implikationen zu vermeiden, als sekundär angesehen. Nach dem Ausscheiden des zaristischen Verbündeten konnte der Krieg propagandistisch hervorragend als Kreuzzug der Demokratie gegen Tyrannei und Despotismus geführt werden. Aber Ende 1916 wollte die englische Öffentlichkeit schließlich konkret wissen, wofür ihre Soldaten kämpfen und sterben sollten, was die Formulierung der Kriegsziele dringend machte. Am 20. März 1917 bezeichnete Lloyd George die Beseitigung der reaktionären Militärregierungen und die Etablierung von populären Regierungen, als Basis des internationalen Friedens, als wahre Kriegsziele. Gegen Ende des Jahres einigte sich das Kabinett auf erste provisorische Kriegsziele. Es unterstützte französische Bestrebungen auf Elsass-Lothringen, italienische Forderungen, entgegen dem Vertrag von London, nur auf Basis des Nationalitätenprinzips, sowie die Restauration Belgiens, Serbiens und Rumäniens. Später traten, neben der Forderung nach Unabhängigkeit Polens und der Völker der Donaumonarchie, auch eigene Expansionswünsche in Form von Forderungen nach Selbstbestimmung für die deutschen Kolonien und die schon okkupierten arabischen Teile der Türkei unter British rule zu Tage. Italien Auch Italien betrieb eine expansionistische Politik, die unter anderem auf italienisch besiedelte Gebiete unter österreichisch-ungarischer Herrschaft zielte. Durch Zustimmung Russlands, auf italienisches Drängen nach Erwerbung slawischer Gebiete an der Adria, kam schließlich der Geheimvertrag von London zustande, dem am 23. Mai 1915 die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn und der Angriff u. a. am Isonzo folgte. Der Vertrag von London spiegelt die Kriegsziele Italiens genau und verlässlich wider, weil durch seine günstige Verhandlungsposition Italien fast alle seine Forderungen durchsetzen konnte. Italien sollte demnach erhalten: das Trentino, Südtirol bis zum Brenner, die Stadt und das Gebiet von Triest, die Grafschaft Görz und Gradisca, ganz Istrien, die istrischen und einige weitere kleinere Inseln, aber nicht Fiume. Ferner erhielt Italien große Teile der Provinz Dalmatien. Zuletzt erwarb es noch den strategisch bedeutsamen albanischen Hafen Valona mit umfangreichem Hinterland. Auch sollte, bei einer etwaigen Teilung der Türkei, eine noch festzusetzende Region an der Südküste Kleinasiens an Italien gehen.[35] Dass die Vereinbarung, insbesondere in Bezug auf Dalmatien, im Vertrag von Versailles nicht zur Gänze verwirklicht wurde, lag vor allem am Widerstand der Serben. Vereinigte Staaten von Amerika Ihren Ursprung hatte die amerikanische Kriegszielpolitik bereits in der Neutralitätszeit. Nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten führte Präsident Woodrow Wilson seine Politik ohne Bruch fort. Genaue Vorstellungen über einen gerechten Frieden hatte er in der ersten Kriegszeit nicht, jedenfalls kam für ihn ein Friede nur bei Wiedergutmachung an Belgien und der Räumung Frankreichs in Frage. Ansonsten scheute Wilson, mehr noch als andere Politiker, vor Festlegungen in territorialen Fragen zurück. Das Hauptziel Wilsons nach Kriegseintritt war die Beseitigung des deutschen Militarismus und die Demokratisierung Deutschlands. Wilsons Gesamtstrategie war anfangs ähnlich der britischen Politik zu Kriegsbeginn. Er wollte den Verbündeten Seite 22 Thomas Candrian gerade so viel Unterstützung zukommen lassen wie nötig. Am Ende des Krieges plante er, über die bankrotten Ententeländer hinweg seinen eigenen Friedensplan durchsetzen. Höhepunkt der amerikanischen Kriegszielpolitik waren zweifellos die 14 Punkte Wilsons vom 8. Januar 1918. Es wird darin die völlige Wiederherstellung der belgischen Unabhängigkeit gefordert, weiter die Rückgabe Elsass-Lothringens, die Festsetzung italienischer Grenzen entlang der Nationalitätengrenzen sowie die weitere Existenz Österreich-Ungarns, dessen Nationen aber eine freie Entwicklung ermöglicht werden sollte. Propaganda Ein wesentliches Kennzeichen der Propaganda im Ersten Weltkrieg war, dass zur Motivation der eigenen Bevölkerung der teilnehmenden Länder zum Kriegsdienst mit fremdenfeindlichen Vorurteilen und patriotischen Symbolen geworben wurde. Im deutschsprachigen Teil Österreich-Ungarns konnte man unter anderem kriegsverherrlichende Zeichnungen in Plakatgröße mit der illustrierten Aussage „Jeder Tritt ein Britt, jeder Stoß ein Franzos, jeder Schuss ein Russ“ und „Serbien muss sterbien“ finden. Nachdem beim deutschen Einmarsch in Belgien die Bibliothek der Universität Löwen in Flammen aufgegangen war, gaben prominente britische Wissenschaftler eine Erklärung ab, in der dem deutschen Heer Absicht unterstellt wurde, und die dann von deutschen prominenten Wissenschaftlern mit Gegenerklärungen beantwortet wurde. Die „Hunnenrede“, mit der Wilhelm II. deutsche Truppen, die 1900 zur Niederschlagung des Boxeraufstands nach China entsandt wurden, zu einem rücksichtslosen Rachefeldzug aufgefordert hatte, trug den Deutschen in angloamerikanischen Ländern nachträglich die Bezeichnung „huns“ ein. Andere bekannte Propagandakampagnen waren etwa die behauptete Kreuzigung von Nonnen an Kirchentoren in Belgien oder das angebliche Abschlagen der Hände von Kindern durch die deutschen Truppen in Belgien. Kriegsbegeisterung Lange Zeit war in der Forschung, insbesondere aber in populärwissenschaftlichen Abhandlungen unbestritten, dass die Propaganda auf fruchtbaren Boden fiel und sowohl in Österreich-Ungarn als auch in Frankreich und vor allem im Deutschen Reich eine große Kriegsbegeisterung herrschte (Augusterlebnis). Insbesondere für Frankreich ist jedoch inzwischen eine differenzierte Sichtweise vorherrschend. Zwar zeigte sich ein Großteil der Bevölkerung bereitwillig zur Verteidigung der Nation, jedoch erst nach der deutschen Kriegserklärung. Bis dahin beschäftigte sich die Öffentlichkeit vorrangig mit innenpolitischen Fragen, von einer Erwartung oder gar Begeisterung eines bevorstehenden Krieges kann keine Rede sein. Lediglich nationalistische Politiker und Intellektuelle waren bereits vor dem Angriff offen für einen Krieg eingetreten, etwa zur Revanche und zur Rückgewinnung des Elsass und Lothringens. Umstritten ist auch, ob sich diese Kriegsbegeisterung in der gesamten Bevölkerung wieder fand oder – wie der Historiker Jeffrey Verhey behauptet – vor allem in der großstädtischen Mittelund Oberschicht verbreitet war. Im Deutschen Reich wurde ein Notabitur eingeführt, damit kriegsbegeisterte Oberprimaner vorzeitig ins Heer eintreten konnten. Am 28. Juli 1914 kam es zu einer ersten Antikriegsdemonstration im Berliner Lustgarten. Am 1. Mai 1916 sprach Karl Liebknecht vor einer Demonstration von mehreren tausend Seite 23 Thomas Candrian Kriegsgegnern auf dem Potsdamer Platz, was zu seiner Verhaftung und Verurteilung wegen Hochverrates führte. Kriegsbeginn (Julikrise) Aufgrund der europäischen Bündnissysteme war abzusehen, dass der nächste Krieg große Teile des Kontinents erfassen würde. Der Schrecken des Krieges verblasste, da seit der letzten militärischen Auseinandersetzung zwischen zwei europäischen Großmächten 43 Jahre vergangen waren. In dieser Situation löste das Attentat am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 durch den bosnisch-serbischen Gavrilo Princip eine Kettenreaktion aus, die nach einem Monat den europäischen Krieg auslöste. Der Grad der Beteiligung des serbischen Geheimdienstes an dem Komplott zur Ermordung des Thronfolgers war und ist umstritten, es kann jedoch zumindest von einer Mitwisserschaft ausgegangen werden. Die hektischen und komplizierten diplomatischen und geheimdienstlichen Aktivitäten, die zwischen den europäischen Mächten stattfanden, markierten den Beginn einer großen Krise. Die Julikrise ist geprägt von Drohungen, diplomatischen Fehlern und politischen Fehleinschätzungen. Die Eröffnung bildete ein Ultimatum (23. Juli 1914), das Österreich-Ungarn drei Wochen nach dem Mord an Serbien durch Außenminister Graf Berchtold stellen ließ. Es enthielt eine Frist von 48 Stunden. Bis zu diesem Zeitpunkt war die europäische Stimmungslage eher gegen die Serben gerichtet, die als „blutrünstiger Haufen“ gesehen wurden. Außerdem wurde vermutet, dass die serbische Führung hinter dem Attentat steckte. Das Ultimatum forderte nicht nur die Bekämpfung von gegen Österreich-Ungarn agierenden Organisationen, sondern umfasste zudem Bedingungen, welche die serbische Souveränität bei ihrer Erfüllung eingeschränkt hätten. Innerhalb der 48 Stunden ging die serbische Regierung auf fast alle Punkte ein, verwahrte sich jedoch gegen eine Einschränkung der Souveränität Serbiens und beschloss die Teilmobilmachung der Armee. Trotz dieser Zugeständnisse Serbiens erklärte Österreich-Ungarn die Antwort für „unbefriedigend“ und brach die diplomatischen Beziehungen zu Serbien nach Ablauf des Ultimatums am 25. Juli ab, und ordnete ebenfalls die Teilmobilmachung an. Die österreichischen Ziele sahen zunächst einen lokalen Krieg um die Vorherrschaft auf dem Balkan vor, zumal die Hauptstadt Belgrad nur unweit der österreichischungarischen Grenze lag. In dieser Situation wurde aus Berlin Rückendeckung in Form der bereits am 6. Juli zugesicherten Blankovollmacht gegeben. Die anderen europäischen Staaten interpretierten diese Treueerklärung derart, dass sie sich nicht vorstellen konnten, dass in diesem Fall Österreich die treibende Kraft hinter den Ereignissen sei. Die Blankovollmacht sah ein deutsches Eingreifen im Falle eines russischen Eingreifens vor, hatte also defensiven Charakter. Am 25. Juli beschloss Russland auf dem Kronrat von Krasnoje Selo, Serbien militärisch zu unterstützen. Gleichzeitig wurde sowohl von russischer als auch von englischer und deutscher Seite eine Botschafterkonferenz vorgeschlagen. Dieser Vorschlag blieb jedoch folgenlos. Ein weiteres Missverständnis war, dass man im Deutschen Reich die Angelegenheit zunächst als einen lokalen ÖsterreichischSerbischen Konflikt interpretierte, während die übrigen Großmächte deutsche Kriegstreiberei als gegeben ansahen. Da das Deutsche Reich an seinem Bündnis mit Österreich festhielt, war diese Rückendeckung entscheidend für die Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli. Am 27. Juli erfolgte die Teilmobilmachung der russischen Armee. Der Befehlshaber der Mobilisierungsabteilung der russischen Armee, Sergei Dobrowolski, äußerte rückblickend, dass der Krieg bereits seit dem Seite 24 Thomas Candrian 25. Juli für den russischen Generalstab beschlossene Sache gewesen sei. Den russischen Militärs war bekannt, dass Deutschland im Falle einer Generalmobilmachung Russlands ebenfalls seine Truppen mobilisieren würde, worauf sie auch konsequent abzielten. Als Zar Nikolaus II. am Morgen des 30. Juli die Generalmobilmachung der russischen Armee billigte, war ihm wohl allerdings zunächst nicht bewusst, welche Folgen dieser Vorgang haben würde. Noch am selben Tag wollte der Zar die Generalmobilmachung rückgängig machen, wurde jedoch von dem Generalstab der russischen Armee davon abgehalten. Selbst die beschwörenden Briefe Kaiser Wilhelms II. an seinen „Vetter Nicky“ – Zar Nikolaus II. – hatten keine Wirkung. Das Deutsche Reich forderte in einem Ultimatum die sofortige Rücknahme der russischen Mobilmachung. Nachdem diese ausblieb, machte das Reich ebenfalls mobil und erklärte Russland am 1. August den Krieg, woraufhin das mit Russland verbündete Frankreich in Erwartung eines deutschen Angriffes ebenfalls mobil machte. Tatsächlich aber erfolgten die ersten Kriegshandlungen durch Russland noch am selben Abend mit Überschreiten der ostpreußischen Grenze. Daraufhin setzte das deutsche Oberkommando den Aufmarschplan, eine modifizierte Version des Schlieffenplans in Kraft, der als einzige Siegchance für den drohenden Zweifrontenkrieg angesehen wurde. Dieser setzte auf Geschwindigkeit, um die langsame russische Mobilmachung für einen schnellen Schlag gegen Frankreich auszunutzen. Nachdem das neutrale Belgien die Durchmarschgenehmigung verweigerte, verletzte das Reich die belgische Neutralität für den Angriff gegen Frankreich, da ein direkter Angriff über die stark befestigte deutsch-französische Grenze für aussichtslos gehalten wurde. Für die liberale Regierung in London war dies der Anlass, in den Krieg einzutreten. Gerade das Verhalten Deutschlands war Ausgangspunkt für die viel diskutierte Kriegsschuldfrage im Vertrag von Versailles. Dieser Punkt wird auch heute noch diskutiert, wobei die Ansichten darüber auseinandergehen, ob Inkompetenz und mangelnde Verhandlungsbereitschaft, nicht nur in der deutschen Führungsschicht, Europa in diesen Krieg stürzten. Insbesondere in Deutschland und Russland ging die politische Führung stark auf die kriegsorientierten Forderungen des Militärs ein, was fatale Folgen hatte. Zu Beginn des Krieges zählte die Bevölkerung der Mittelmächte 118 Millionen, die der Entente cordiale 278 Millionen Menschen. Der Kriegsverlauf 1914 Der deutschen Kriegsführung war klar, dass Deutschland einen Zwei-Fronten-Krieg kaum gewinnen konnte. Daher versuchte sie, den schon vor dem Krieg ausgearbeiteten SchlieffenPlan (Generaloberst Alfred von Schlieffen war zwischen 1891 und 1905 Generalstabschef) umzusetzen. Dieser Plan sah vor, dass Deutschland mit aller Kraft Frankreich erobern, im Osten aber die Stellungen nur halten solle. Dazu sollte das starke französische Verteidigungssystem im Norden mit einer weit ausgreifenden Bewegung durch das neutrale Belgien umgangen und schnellstmöglich gegen Paris vorgegangen werden. Als Reichskanzler Bethmann Hollweg am 3. August 1914 sein Rechtfertigungsschreiben an den englischen Außenminister Edward Grey sandte, war der Erste Weltkrieg seit zwei Tagen mit der deutschen Mobilmachung und der Kriegserklärung an Russland ausgebrochen. Frankreich wurde zwei Tage später der Krieg erklärt. Ziel des Schreibens von deutscher Seite aus war es, Seite 25 Thomas Candrian die Engländer dazu zu bewegen, sich in dem Krieg neutral zu verhalten. Dieses Unterfangen war von vornherein nicht einfach, da England nicht nur in dem Bündnissystem der Entente involviert war, sondern auch, weil deutsche Truppen am Morgen dieses Tages bereits die belgische Grenze überschritten und damit die belgische Neutralität verletzt hatten, zu deren Schutz England sich gegenüber Belgien verpflichtet hatte. Die Kriegshandlungen begannen am 2. August 1914 ohne offizielle Kriegserklärung mit der Besetzung Luxemburgs durch deutsche Truppen. Anschließend rückte der rechte Flügel der deutschen Armee am 3./4. August in das neutrale Belgien ein. Trotz des unerwartet starken Widerstands wurde die Festung Lüttich genommen. Gemäß dem ebenfalls offensiv ausgerichteten französischen Aufmarschplan konzentrierten die Franzosen ihre Angriffe auf Elsaß-Lothringen. In der Schlacht bei Mülhausen (19. August) sowie in den Schlachten in den Vogesen und in Lothringen (20. bis 22. August) wurden die ersten Offensiven der französischen Armeen abgewehrt. In den großen Grenzschlachten kam die französische Offensive zum Erliegen. Die deutschen Armeen erzielten wichtige Durchbrüche. Das bei Mons geschlagene britische Expeditionskorps mußte sich Richtung Kanalküste zurückziehen. Die große Offensive der fünf deutschen Armeen hatte am 18. August begonnen und verlief weitestgehend planmäßig. Trotz erheblicher Verluste in den verschiedenen Gefechten erreichten die deutschen Truppen am 30. August die Marne. Angesichts der wenig später nur noch 60 Kilometer vor Paris stehenden Spitzen der 1. deutschen Armee floh die französische Regierung am 3. September aus dem bedrohten Paris nach Bordeaux. Vor Paris bildete der französische Befehlshaber Joseph Joffre eilends eine neue Armee und befahl den Gegenangriff auf der ganzen Linie zwischen Paris und Verdun. In dieser Schlacht an der Marne (5. bis 12. September) machte sich der Kräfteverschleiß der deutschen Offensive bemerkbar. Zudem mangelte es an den nötigen Reserven. Der deutsche Generalstabschef Helmuth von Moltke beurteilte die Lage seiner Truppen überaus skeptisch und gab den Befehl zum Rückzug. Damit war die Dynamik der deutschen Offensive gebrochen, der Schlieffen-Plan war gescheitert. Mitte Oktober befand sich Belgien fast vollständig in deutscher Hand und wurde unter Militärverwaltung gestellt. Beim " Wettlauf zum Meer" gelang es den deutschen Truppen aber nicht, die wichtigen Kanalhäfen an der französischen Küste zu erobern. Den deutschen Vormarsch brachte heftige Gegenwehr von Engländern und Franzosen am Yserkanal und vor Ypern zum Stehen. Im Westen erstarrte der Krieg zum Stellungskrieg. Auch im Osten entwickelte sich das Kampfgeschehen anders als von der Obersten Heeresleitung (OHL) erwartet. Weit früher als angenommen, hatte Rußland seine Truppen mobilisiert. Am nördlichen Frontabschnitt standen der in Ostpreußen stationierten 8. Armee zwei russische Armeen gegenüber, und am südlichen Frontabschnitt mit dem Schwerpunkt Galizien sahen die vier österreich-ungarischen Armeen sich ebenfalls mit einem zahlenmäßig deutlich überlegenen Gegner konfrontiert. Die erste Schlacht im Osten verlief aus deutscher Sicht ausgesprochen negativ. Der Oberbefehlshaber der 8. Armee brach die Schlacht von Gumbinnen (19./20. August) ab und zog sich mit seinen Einheiten aus Ostpreußen hinter die Weichsel zurück. Die OHL mißbilligte diesen Rückzug und ernannte den reaktivierten Paul von Hindenburg zum neuen Oberbefehlshaber der 8. Armee. Mit zahlenmäßig unterlegenen Kräften gelang ihnen in der Seite 26 Thomas Candrian Schlacht bei Tannenberg die Einschließung der 2. russischen Armee, die vernichtend geschlagen wurde. Zwei Wochen später wurde die 1. russische Armee in der Schlacht an den Masurischen Seen ebenfalls vernichtend geschlagen. Damit war die unmittelbare Gefahr für Ostpreußen zunächst beseitigt. Doch trotz dieser Erfolge im Osten entsprach die militärische Lage nicht den deutschen Planungen, die von einem schnellen Sieg über Frankreich ausgegangen waren. Aufgrund der erstarrten Fronten im Westen rückte die Nachschub- und Versorgungsfrage in den Mittelpunkt der strategischen Überlegungen. Obwohl die deutschen Truppen tief im Land des Gegners standen und wichtige Industriegebiete besetzt hielten, war die Lage für die Alliierten auf längere Sicht günstiger. Die mit großem Propagandaaufwand und starkem antienglischem Akzent aufgerüstete deutsche Hochseeflotte blieb im gesamten Kriegsverlauf der britischen Flotte unterlegen. Das einzige größere Zusammentreffen der beiden Flotten in der Seeschlacht am Skagerrak endete mit Verlusten für beide Seiten. Danach vermied die britische Flotte jegliche direkte Konfrontation mit größeren deutschen Verbänden. Die deutsche Flotte ihrerseits war wiederum nicht stark genug, um ihrem britischen Kontrahenten ein Gefecht aufzuzwingen. Deshalb konzentrierte sich die deutsche Seekriegsleitung im wesentlichen auf den Einsatz von Minen und U-Booten. Die in Übersee operierenden deutschen Flottenverbände wurden von der Entente größtenteils versenkt. Ohne Nachschub und militärischen Schutz gingen die meisten Kolonien wie DeutschSüdwestalfrika schnell verloren. Einzig die Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika leistete bis 1918 erbitterten Widerstand. Einziger Erfolg der deutschen Flotte blieb die Sperrung der russischen Flotte in der Ostsee. Zum Schutz vor Angriffen deutscher U-Boote führten die Alliierten jedoch bald Geleitzüge ein und bestückten zudem ihre Handelsschiffe mit Kanonen. Trotz der vielen Meldungen über die Versenkung gegnerischer Kriegs- und Handelsschiffe war die deutsche U-Boot-Flotte zu schwach, um die alliierten Nachschubverbindungen dauerhaft zu unterbrechen. Der Kriegsverlauf 1915 Auch das Jahr 1915 brachte keine militärische Entscheidung, obwohl der verbissen geführte Kampf die Zahl der Gefallenen in die Millionen trieb. Die mit immer stärkerem Artilleriefeuer geführten Schlachten machten ganze Landstriche zu unbelebten, unwirtlichen Kraterlandschaften. Das Kriegsjahr begann mit der Winterschlacht in der Champagne (16. Februar bis 20. März), in der es den Deutschen gelang, französische Durchbruchsversuche abzuwehren. Eine kaum noch für möglich gehaltene Steigerung des qualvollen Sterbens der Soldaten brachte der Einsatz von Giftgas, das die deutsche Armee erstmals in der zweiten Schlacht bei Ypern einsetzte. Die Zahl der gefallenen Soldaten erhöhte sich nochmals dramatisch, als im Zuge der "großen Offensive" der Franzosen die Herbstschlacht in der Champagne als erste große Materialschlacht geführt wurde. Am 7. Mai versenkte ein deutsches Unterseeboot das britische Passagierschiff Lusitania vor der südirischen Küste, was schwere Spannungen zwischen dem Deutschen Reich und den USA auslöste. Seite 27 Thomas Candrian Da die militärischen und wirtschaftlichen Kräfte der Mittelmächte einem Zweifrontenkrieg über keinen längeren Zeitraum gewachsen waren, versuchte die deutsche Kriegsleitung nun, Russland mit einem Offensivschlag niederzuwerfen. Mit der siegreichen Winterschlacht in Masuren gelang es den Deutschen, die russische Armee aus Ostpreußen zu vertrieben. Nach der Neujahrsschlacht (Mitte Dezember 1915 bis Mitte Januar 1916) erstarrte auch der Krieg im Osten immer mehr zum Stellungskrieg. Die neue Südfront nach dem Kriegseintritt Italiens erwies sich ebenfalls als starr. Am Isonzo nördlich von Triest standen sich italienische und österreich-ungarische Truppen auch nach zahlreichen Gefechten in fast unveränderten Positionen gegenüber. Durch den alliierten Angriff auf die Dardanellen und den Kriegseintritt Bulgariens an der Seite der Mittelmächte konzentrierte sich das Kriegsgeschehen in der zweiten Jahreshälfte 1915 zunehmend auf den Balkan. Die Mittelmächte eroberten bis Jahresende Serbien, Montenegro und Albanien und stellten so die wichtige Landverbindung zur verbündeten Türkei her. Als Reaktion darauf besetzte die Entente das bis dahin neutrale Griechenland und nahm dort die Reste der serbischen Armee auf. Der Kriegsverlauf 1916 Sowohl die Mittelmächte als auch die Entente suchten 1916 erneut die Entscheidung im Westen. Der deutsche Oberbefehlshaber Falkenhayn lehnte die von Hindenburg und Ludendorff gewünschte Entscheidungsoffensive im Osten ab und baute auf einen Sieg an der französischen Front in Verbindung mit dem U-Boot-Krieg. Sein französischer Gegenspieler Joffre versprach sich den Sieg von einer großen Offensive an der Somme. Mit einer von enormem Artillerieeinsatz unterstützten Großoffensive begann am 22. Februar 1916 der deutsche Angriff auf die Festungsanlage von Verdun, den Eckpfeiler der französischen Front. Mit riesigem Materialeinsatz wollte Falkenhayn die Franzosen zum "Ausbluten" bringen. Doch trotz unbeschreiblich hoher Verluste hielten die größten Teile der französischen Festungsanlage unter dem Befehl von Henri Philippe Pétain den viermonatigen Angriffen stand. Beide Seiten verloren bei den Kämpfen um Verdun zusammen über 700.000 Mann. Durch den deutschen Angriff auf Verdun wurden dort zwar erhebliche französische Kräfte gebunden, trotzdem konnten die Alliierten 104 Divisionen in die Schlacht an der Somme (24. Juni bis 26. November) werfen (1.2 Millionen Tote). Den Alliierten war jedoch nicht mehr als ein Geländegewinn von 40 Kilometern Breite und 12 Kilometern Tiefe gelungen. Der Krieg entwickelte sich zum "Abnutzungskrieg" - von Menschen und Material. Den hohen Zahlen an Verlusten standen nur kurzfristig kleine Geländegewinne gegenüber. So gingen die von den Deutschen eroberten Teile des Befestigungswerks von Verdun nach erfolgreichen französischen Angriffen zwischen dem 24. Oktober und 16. Dezember wieder verloren. Auch im Osten gab es 1916 trotz erheblicher Verluste an Soldaten keine Kriegsentscheidung. Nach den drei Brussilow-Offensiven mit weit über einer Million Mann an Verlusten war die russische Kampfkraft erschöpft, die Truppen waren demoralisiert. Der Frontverlauf im Osten veränderte sich bis zum Ausbruch der russischen Februarrevolution nur wenig. Demgegenüber konnten die Mittelmächte bei ihrem gemeinsamen Feldzug gegen Rumänien einen erfolgreichen Bewegungskrieg führen: Am 6. Dezember 1916 wurde Bukarest erobert, bis Jahresende war der größte Teil Rumäniens mit den Erdölgebieten in der Hand der Mittelmächte. Seite 28 Thomas Candrian Der Kriegsverlauf 1917 Die militärische Entwicklung wurde 1917 durch zwei Ereignisse maßgeblich beeinflußt: Zum einen brach in Rußland die Februarrevolution aus, die zu einer erheblichen Schwächung der russischen Kampfkraft führte; zum anderen verschlechterte der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten die Aussichten der Mittelmächte auf einen militärischen Erfolg dramatisch. Unter Aufbietung aller verfügbaren Kräfte wollten die Mittelmächte nun die militärische Entscheidung noch vor dem Eintreffen der ersten amerikanischen Soldaten in Frankreich erzwingen. Um die eigenen Verluste bei der Abwehr gegnerischer Durchbruchsversuche möglichst gering zu halten, wurde die deutsche Front im Westen zwischen Arras und Soissons seit Ende Februar auf das befestigte Verteidigungssystem der " Siegfriedstellung" zurückgenommen. An dieser Verteidigungslinie scheiterte ein Durchbruchsversuch der Engländer in der Schlacht bei Arras ebenso wie die Durchbruchsversuche der Franzosen in der Doppelschlacht an der Aisne und in der Champagne. Die Erfolglosigkeit ihrer Angriffe und die extrem hohen Verluste verstärkten im französischen Heer die Unzufriedenheit und führten zu zahlreichen offenen Meutereien gegen den Oberkommandieren Nivelle, der ihm den Spitznamen "Blutsäufer" einbrachte. Mitte Mai wurde Nivelle von Pétain als Oberkommandierender abgelöst. Pétain setzte auf eine defensive Kriegführung und griff gegen die Meuterei hart durch. Am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg. Anlass war die Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs durch das Reich, der auch viele zivile Opfer forderte. Außerdem wurde die Zimmermann-Depesche bekannt, in der das Deutsche Reich Mexiko aufforderte die USA anzugreifen. Im Dezember 1917 folgte auch die Kriegserklärung der USA an Österreich-Ungarn. Während der Krieg im Westen 1917 als verbissener und opferreicher Grabenkampf geführt wurde, wirkte sich die russische Februarrevolution immer lähmender auf den Kriegsverlauf aus. Nachdem russische Druchbruchsversuche unter Brussilow nach anfänglichen Erfolgen gescheitert waren, gingen die Mittelmächte seit dem 19. Juli in Ostgalizien zur Gegenoffensive über. Fast ganz Galizien und die Bukowina wurden zurückerobert. Am 3. September fiel Riga in deutsche Hand, und im Oktober nahmen deutsche Verbände die Inseln Ösel und Dagö vor der liv- und estländischen Küste ein. Da die russische Armee kaum noch handlungsfähig war, schlug Leo D. Trotzki als Volkskommissar des Äußeren nach der Oktoberrevolution allen kriegführenden Staaten eine Friedenskonferenz vor. Während die Entente-Staaten, die sich im Vertrag zu London vom September 1914 verpflichtet hatten, keinen Separatfrieden zu schließen, Waffenstillstandsverhandlungen ablehnten, erklärten sich die Mittelmächte zu entsprechenden Verhandlungen bereit. Am 15. Dezember wurde ein Waffenstillstand zwischen Deutschland und Rußland abgeschlossen, und am 22. Dezember begannen zwischen beiden Ländern die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk. Erfolgreich für die Mittelmächte verlief das Kriegsjahr 1917 im Süden. Nachdem den Italienern dort in der 10. und 11. Isonzoschlacht (Mai bis September) leichte Geländegewinne gelangen, konnten die Mittelmächte Ende Oktober am oberen Isonzo den Durchbruch zur Piave erzwingen, wo sie auf englische und französische Hilfstruppen stießen. Rund 275.000 Italiener gerieten in Gefangenschaft. Massendesertionen offenbarten die Kriegsmüdigkeit des italienischen Heeres. Derweil in Deutschland … Seite 29 Thomas Candrian Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) war eine sozialistische Partei, die von 1917 bis 1922 als Massenpartei, danach bis zu ihrer Auflösung 1931 als Splittergruppe existierte. Die USPD ging aus der Gruppe von SPD-Abgeordneten im Reichstag hervor, die sich seit dem 4. August 1914 immer offener gegen die Unterstützung des Ersten Weltkriegs und die Burgfriedenspolitik durch die SPD aussprachen. Diese Gruppe bestand aus zunächst vierzehn SPD-Reichstagsabgeordneten, die in der Fraktion gegen die Kriegskredite gestimmt, sich in der entscheidenden Abstimmung aber der Fraktionsdisziplin gebeugt hatten. Karl Liebknecht verweigerte im Dezember 1914 als zunächst einziger Reichstagsabgeordneter die Zustimmung zu weiteren Kriegskrediten. Nachdem ihm im Dezember 1915 neunzehn SPD-Abgeordnete folgten und deren erneute Verlängerung nicht mehr mittrugen, entschied die SPD-Führung um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann ihren Ausschluss aus Fraktion und Partei. Daraufhin schlossen diese sich zur Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft im Reichstag zusammen und organisierten für den 6. bis 8. April 1917 in Gotha, der Stadt des historischen Vereinigungskongresses von 1875, eine Reichskonferenz der sozialdemokratischen Opposition. Dort wurde die Gründung der USPD als eigene Partei neben der SPD beschlossen. Dadurch wurde der kriegsbejahende Flügel zur Mehrheitssozialdemokratischen Partei Deutschlands (MSPD) mit Friedrich Ebert als nun alleinigem Parteivorsitzenden. An der Gothaer Gründungsversammlung im Volkshaus zum Mohren nahmen Delegierte aus 91 sozialdemokratischen Wahlkreisorganisationen und 15 Reichstagsabgeordnete teil. Zu Vorsitzenden wurden Wilhelm Dittmann und Hugo Haase gewählt, der bis Januar 1917 neben Ebert die SPD-Fraktion geführt hatte und dann zurückgetreten war. Die USPD bestand aus heterogenen Mitgliedern: linken SPD-Abweichlern um Haase oder Kurt Eisner, marxistischen Programm-Theoretikern wie Karl Kautsky, aber auch „rechten“, reformorientierten Revisionisten wie Eduard Bernstein, die nur die Kriegsbeteiligung ablehnten, aber keine Revolution anstrebten. Der Kriegsverlauf 1918 Schon als der aus seinem Schweizer Exil nach Rußland zurückgekehrte Wladimir I. Lenin die Diktatur der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte verkündete, war das Ausscheiden Rußlands aus der Entente absehbar. Um das System der Räte (russisch: Sowjets) durchzusetzen, akzeptierte Lenin schließlich die Unterzeichnung des von der OHL durchgesetzten Friedensvertrags von Brest-Litowsk. Trotz Firedensvertrag mußte die OHL vor allem in Finnland, im Baltikum und in der Ukraine Truppen zur Niederwerfung bolschewistischer Revolutionsversuche einsetzen. So konnten trotz des Friedensvertrags mit Rußland die deutschen Truppen in Frankreich nicht nennenswert verstärkt werden. Seite 30 Thomas Candrian Nach der Zusammenfassung aller verfügbaren Kräfte für den Entscheidungskampf im Westen verfügten die 200 deutschen Divisionen in Frankreich über 3,5 Millionen Soldaten und waren damit der französisch-englischen Streitmacht numerisch nahezu ebenbürtig. Um die militärische Entscheidung noch vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen zu erzwingen, begann am 21. März mit massiver Artillerie- und Fliegerunterstützung die deutsche Großoffensive in der Picardie mit mehr als 70 Divisionen auf einer Breite von 70 Kilometern. Ziel der Offensive war die Trennung der englischen Truppen von ihren französischen Verbündeten und deren Zurückdrängung bis an den Kanal. Nach erfolgreichen Durchbrüchen von 60 Kilometern Tiefe waren zwei der drei deutschen Armeen nach einer Woche so erschöpft, daß sie trotz der Gefangennahme von 90.000 Engländern die Schließung der gegnerischen Front nicht verhindern konnten. Auf deutscher Seite fehlten nicht nur frische Reservetruppen, sondern nun machten sich die mangelhafte Motorisierung der deutschen Artillerie sowie das Fehlen einer schlagkräftigen Panzerwaffe äußerst nachteilig bemerkbar. Auch die zweite deutsche Offensive südlich von Ypern brachte einen großen Geländegewinn und die Erstürmung des Kemmelbergs. Doch wiederum konnte der anfängliche Erfolg wegen fehlender Reserven nicht operativ genutzt werden. In der dritten Offensive zwischen Soissons und Reims (27. Mai bis 3. Juni) wurde der Chemin des Dames gestürmt. Die deutschen Truppen konnten über die Aisne bis an die Marne vordringen, bevor den Franzosen die Stabilisierung ihrer Front gelang. Während die vierte deutsche Offensive zwischen Montdidier und Noyon (9. bis 14. Juni) noch einen Geländegewinn und eine große Beute an gegnerischen Geschützen brachte, brach die fünfte Offensive an der Marne und in der Champagne (15. bis 17. Juli) schon kurz nach ihren äußerst geringen Anfangserfolgen zusammen. Daher gelang den Alliierten bis zuletzt kein entscheidender Durchbruch, was der sogenannten Dolchstoßlegende nach dem Krieg zum Auftrieb verhalf. Am 18. Juli begann die alliierte Gegenoffensive unter General Ferdinand Foch, der angesichts der Erfolge der ersten deutschen Offensive in der Picardie zum Oberbefehlshaber aller alliierten Truppen in Frankreich und Belgien ernannt worden war. Die alliierte Gegenoffensive (18. Juli bis 3. August) zwischen Reims und Soissons wurde infolge des Eintreffens der Amerikaner mit deutlichem Übergewicht an Truppen und Material gegen einen erschöpften Gegner geführt, dem nur noch der Rückzug blieb. Das Ende kam mit der Schlacht bei Amiens. Hier setzten die Alliierten 450 Tanks ein, mit denen ihnen am 8. August ein so tiefer Durchbruch gelang, daß Ludendorff vom "schwarzen Tag des deutschen Heeres" sprach. Die deutsche Widerstandskraft war gebrochen. Unter pausenlosen Angriffen der Alliierten wurden die deutschen Truppen Anfang September in ihre Ausgangsstellungen zurückverlegt. Ohne über eigene Tanks zu verfügen, war an eine weitere deutsche Offensive nicht zu denken. Gewinnen konnten die Mittelmächte den Krieg nicht mehr. Aber sie hielten ihre Stellungen bis November gegen einen immer stärker werdenden Gegner. Nur das flandrische Küstengebiet fiel Mitte Oktober an die Engländer. Derweil in Deutschland … Während die kriegsmüden Truppen und die von der kaiserlichen Regierung enttäuschte Bevölkerung das baldige Kriegsende erwarteten, plante in Kiel die deutsche Marineleitung unter Admiral Franz von Hipper Seite 31 Thomas Candrian eigenmächtig, die Flotte zu einer letzten Schlacht gegen die Royal Navy in den Ärmelkanal zu entsenden. Der Matrosenaufstand begann auf Schillig-Reede vor Wilhelmshaven, wo die deutsche Hochseeflotte in Erwartung der geplanten Seeschlacht vor Anker gegangen war. In der Nacht vom 29. zum 30. Oktober 1918 kam es zur Befehlsverweigerung einiger Schiffsbesatzungen. Auf drei Schiffen des III. Geschwaders weigerten sich die Matrosen, die Anker zu lichten. Auf den Schlachtschiffen des I. Geschwaders „Thüringen“ und „Helgoland“ gingen Teile der Besatzungen zu offener Meuterei und Sabotageakten über. Als aber am 31. Oktober einige Torpedoboote ihre Geschütze auf diese Schiffe richteten, ergaben sich die Meuterer und ließen sich widerstandslos abführen.Da die Marineleitung sich des Gehorsams der Mannschaften nicht mehr sicher war, ließ sie ihren Schlachtplan fallen und beorderte das Geschwader nach Kiel zurück. Die Matrosen und Heizer versuchten nun, ein erneutes Auslaufen zu verhindern und die Freilassung ihrer Kameraden zu erreichen. Etwa 250 von ihnen trafen sich dazu am Abend des 1. November im Kieler Gewerkschaftshaus. Sie schickten Delegationen zu den Offizieren, die aber nicht angehört wurden. Daraufhin suchten sie verstärkt Kontakt zu Gewerkschaften, USPD und SPD. Nachdem die Polizei das Gewerkschaftshaus für den 2. November gesperrt hatte, versammelten sich am Folgetag mehrere tausend Matrosen und Vertreter der Arbeiter nachmittags auf dem Großen Exerzierplatz. Sie waren einem Aufruf des Matrosen Karl Artelt und des Werftarbeiters Lothar Popp, beide USPDMitglieder, gefolgt. Die Menge forderte unter der Losung Frieden und Brot die Freilassung der Meuterer, die Beendigung des Krieges und eine bessere Lebensmittelversorgung. Zuletzt zogen die Teilnehmer zur Arrestanstalt, um die verhafteten Matrosen zu befreien. Um die Demonstranten kurz vor ihrem Ziel am weiteren Vordringen zu hindern, befahl Leutnant Steinhäuser seiner Patrouille, zunächst Warnschüsse, dann gezielte Schüsse in die Menge abzugeben. Dabei wurden sieben Personen getötet und 29 schwer verletzt. Dennoch wurde aus dem Massenprotest nun ein allgemeiner Aufstand. Damit war Kiel am Abend des 4. November fest in der Hand von etwa 40.000 revoltierenden Matrosen, Soldaten und Arbeitern. Abordnungen der Matrosen schwärmten seit dem 4. November in alle größeren deutschen Städte aus. Am 6. November war Wilhelmshaven in ihrer Hand; am 7. November erfasste die Revolution alle größeren Küstenstädte sowie Hannover, Braunschweig, Frankfurt am Main, Stuttgart und München. Dort zwang ein Arbeiter- und Soldatenrat den letzten bayerischen König Ludwig III. zum Thronverzicht. Kurt Eisner von der USPD rief in Bayern als erstem Land des Reiches die Republik aus. Auch in den übrigen deutschen Staaten dankten in den nächsten Tagen alle regierenden Fürsten ab, am 22. November zuletzt Fürst Günther Victor von Schwarzburg-Rudolstadt. Seite 32 Thomas Candrian Um seinen Anhängern einen Erfolg vorweisen zu können, zugleich aber die Monarchie zu retten, wurde seit dem 6. November der Thronverzicht des Kaisers vorgeschlagen. Doch Wilhelm II., der sich weiterhin im Hauptquartier der Obersten Heeresleitung im belgischen Spa aufhielt, spielte auf Zeit. Nachdem die Entente am selben Tag Waffenstillstandsverhandlungen zugesagt hatte, hoffte er, an der Spitze der bald frei werdenden Fronttruppen ins Reich zurückkehren und die Revolution gewaltsam niederschlagen zu können. Am Abend des 8. November hatte die USPD 26 Versammlungen in Berlin einberufen, auf denen ein Generalstreik und Massendemonstrationen für den nächsten Tag angekündigt wurden. Schließlich handelte Max von Baden in Berlin auf eigene Faust. Ohne die Entscheidung abzuwarten, gab er telegrafisch am Mittag dieses Tages folgende Erklärung heraus: Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Throne zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch so lange im Amte, bis die mit der Abdankung des Kaisers, dem Thronverzicht des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen und der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geregelt sind. Daraufhin floh Wilhelm II. in die Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 1941 lebte. Beim Mittagessen im Reichstag erfuhr der stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann davon. Er wollte den Spartakisten nicht die Initiative überlassen und trat kurz entschlossen auf einen Balkon des Reichstagsgebäudes. Von dort verkündete er am 9. November vor einer demonstrierenden Menschenmenge seinerseits die Republik mit den Worten: Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden, über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt. Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. (…) Alles für das Volk. Alles durch das Volk. Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewusst. Das alte und morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik! Der 10. November: SPD-Führung gegen Revolutionäre Obleute In der Versammlung, die am Nachmittag des 10. November im Circus Busch zusammentrat, stand die Mehrheit auf Seiten der SPD: fast alle Soldatenräte und ein Großteil der Arbeitervertreter. Sie wiederholten nun die Forderung nach „Einigkeit der Arbeiterklasse“, die am Vortag von den Revolutionären aufgestellt worden war. Den Ausschlag in der Machtfrage gab noch am Abend des 10. November ein Telefonat Eberts mit General Wilhelm Groener, dem neuen 1. Generalquartiermeister im belgischen Spa. Dieser sicherte Ebert die Unterstützung des Heeres zu und erhielt Seite 33 Thomas Candrian dafür Eberts Zusage, die militärische Rangordnung wieder herzustellen und gegen die Räte vorzugehen. In den Turbulenzen dieses Tages war fast untergegangen, dass die Regierung Ebert am Morgen nach einer erneuten Aufforderung durch die OHL die harten Bedingungen der Entente für einen Waffenstillstand akzeptiert hatte. Am 11. November unterzeichnete der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger im Auftrag Berlins das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne. Noch am selben Tag schwiegen die Waffen. Der blutige Krieg hatte über zehn Millionen Menschenleben gefordert und unendliches Leid erzeugt. Kriegsfolgen Verluste Der Erste Weltkrieg forderte fast zehn Millionen Todesopfer und etwa 20 Millionen Verwundete unter den Soldaten. Die Anzahl der zivilen Opfer wird auf weitere sieben Millionen geschätzt.[1] Im Deutschen Reich leisteten im Kriegsverlauf 13,25 Millionen Mann Militärdienst, davon starben 2,0 Millionen. Das Russische Reich hatte etwa 12 Millionen Männer zum Kriegsdienst herangezogen, von denen 1,85 Millionen ums Leben kamen. Von den knapp 8,1 Millionen eingezogenen Franzosen überlebten 1,3 Millionen den Krieg nicht. Das Britische Empire hatte insgesamt etwa 7 Millionen Soldaten eingesetzt, von denen 850.000 nicht aus dem Krieg zurückkehrten. Österreich-Ungarn musste bei 7,8 Millionen Soldaten etwa 1,5 Millionen Todesopfer hinnehmen, auf italienischer Seite waren es bei 5 Million Soldaten fast etwa 700.000. Die anteilsmäßig größten Verluste erlitten Montenegro und Serbien: Von 700.000 serbischen Soldaten starben etwa 130.000. Insgesamt verlor Serbien kriegsbedingt rund 540.000 Menschen, etwa 11 % und Montenegro sogar 16 % seiner Bevölkerung. Unter den Verwundeten befanden sich zahlreiche mitunter bis zur Unkenntlichkeit entstellte Invaliden. Unzählige ehemalige Weltkriegssoldaten starben nach dem Ende der Feindseligkeiten noch an den Folgen von Kriegsverletzungen und mitgebrachten Krankheiten in relativ niedrigem Lebensalter. Zu den Verwundeten müssen auch zahlreiche Kriegsverweigerer hinzugezählt werden, die psychisch unfähig zum Militärdienst waren oder wurden – und zur „Aufrechterhaltung der Moral der Truppe“ entweder zu Gefängnisstrafen verurteilt oder in entsprechenden Anstalten psychiatrisiert wurden. Zu den militärischen kamen die zivilen Opfer: Die Blockade gegen das Deutsche Reich und Österreich führte 1917–1919 zu rund einer Million Hungertoten, der größte Teil davon in Deutschland. Kriegskosten Die besonders schwer umkämpften Gebiete in Nordfrankreich und Belgien waren im Krieg größtenteils zerstört worden. Die Kosten für den Wiederaufbau wurden auf etwa 100 Milliarden Francs geschätzt. Der Krieg hatte alle beteiligten Mächte insgesamt fast eine Billion Goldmark (= heutzutage ca. 30 Billionen Franken, d.h. 30 Millionen Millionen Franken) gekostet. Diese gigantischen Kosten überstiegen bei weitem die Wirtschaftskraft der europäischen Länder. Im Wesentlichen – mit Ausnahme Englands – wurden sie durch Anleihen und Inflation aufgebracht. Die Annahme der Sieger, die Kriegskosten durch Reparationen refinanzieren zu können, erwies sich als Illusion. Großbritannien wurde vom größten Seite 34 Thomas Candrian Gläubiger der Welt zu einem der größten Schuldner. Für Deutschland endete der Krieg in einer gigantischen Inflation, die Siegermächte wurden zu Schuldnern der USA. Europa hatte seine weltbeherrschende Stellung durch den Krieg verloren. DeGaulle formulierte später: Es gab Sieger und Besiegte; wir alle haben verloren. Seite 35 Thomas Candrian Der Erste Weltkrieg als militärhistorische Zäsur Der industrialisierte Krieg Der Erste Weltkrieg war der erste vollständig industrialisierte Krieg, in dem man versuchte, alle verfügbaren personellen und materiellen Reserven aufzubieten. Die Ursprünge des von den Nationalsozialisten propagierten „Totalen Krieges“ finden sich vor Verdun und an der Somme. Hatte das Zeitalter der Millionenheere bereits während der Französischen Revolution mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht begonnen, erreichte es während des Ersten Weltkrieges eine neue Dimension. Das Deutsche Reich hatte während des Krieges durchschnittlich knapp sieben Millionen Männer unter Waffen, die ausgerüstet werden mussten. Die Kriegswirtschaft erreichte aufgrund der gewaltigen Material- und Blutschlachten im Ersten Weltkrieg zuvor ungekannte Ausmaße. An manchen Tagen des Krieges wurde mehr Munition verschossen als während des gesamten Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71. Die völlige Industrialisierung der Kriegsführung zeigte sich auch in der tausendfachen Produktion von Geschützen, Maschinengewehren, Panzern und Kampfflugzeugen, die es zuvor nicht gegeben hatte. Ohne Rücksicht auf zivile Belange wurden alle Ressourcen an die Front umgeleitet. Die wirtschaftlichen Probleme in Deutschland bis 1923 (Hungersnöte, Inflation, Hyperinflation) waren zum erheblichen Teil Spätfolgen dieser Kriegspolitik. Bild des Soldaten Der Erste Weltkrieg mit seinen Materialschlachten führte einen starken Mentalitätswechsel herbei. So war vor dem Ersten Weltkrieg die allgemeine Vorstellung vom Krieg noch von offenen Feldschlachten geprägt, in denen der Soldat verwegen, ritterlich und heldenmütig dem Feind die Stirn bieten sollte. Dieses Bild konnte den Erfordernissen und Erfahrungen des Stellungskrieges nicht standhalten. So verschob sich während und nach dem Krieg das Idealbild des Soldaten hin zur vollständigen Abhärtung, Emotionslosigkeit und grenzenlosen Belastbarkeit. Auch die Ausbildung der Soldaten wurde von vielen Armeen der Kriegsteilnehmer dahingehend abgewandelt. Zum Bild gehörten jedoch auch die verkrüppelten Kriegsteilnehmer, die mit vorher unbekannten (Gesichts-)Entstellungen und Amputationen in ein Zivilleben entlassen wurden, das noch keine moderne Prothetik, berufliche und medizinische Rehabilitation kannte. Ausrüstung Auf die wichtig gewordene Tarnung und Deckung im Feld nahmen mehrere Armeen zunächst keine Rücksicht. Erst seit dem Burenkrieg (1899–1902) hatte sich die Bedeutung von Felduniformen in gedeckten Farben erwiesen. Zwischen 1903 und 1914 hatte eine Kommission der französischen Armeeführung versucht, mit verschiedenen Experimentaluniformen Neuerungen in Schnitt und Farbe durchzusetzen, was letztendlich jedoch bis zum 27. Juli 1914, sechs Tage vor Kriegsausbruch, ergebnislos blieb. Erst an diesem Tag fiel eine Entscheidung. Die Franzosen mussten also zunächst mit den alten blau-roten Uniformen in den Krieg, mit denen sie weithin sichtbar waren. Auch die deutsche Pickelhaube gehörte eigentlich in eine vergangene Epoche. Im Laufe des Jahres 1916 wurden die meisten deutschen Frontsoldaten mit einem zeitgemäßen Stahlhelm ausgestattet. Seite 36 Thomas Candrian Sowohl der Begriff „Tarnung“ als auch das Verb „tarnen“ setzten sich im Umfeld des Ersten Weltkriegs im deutschen Wortschatz durch. Der Tarnungseffekt von gedeckten Uniformfarben hatte sich bei den sandfarbenen Uniformen vieler Kolonialtruppen bereits seit dem 19. Jahrhundert bewährt.. In dieser Situation lebte das lange vergessene, seit dem 19. Jahrhundert, z. B. in „Tarnkappe“ durch deutsche Literaten wieder aufgegriffene mittelhochdeutsche Wort „tarnen“ wieder auf. Ende der Kavallerie Der häufige Einsatz von Kavallerie in der Anfangsphase des Krieges stellte einen eindeutigen Anachronismus dar und endete oftmals in einer Katastrophe. In den späteren Kriegsjahren wurden einige Kavalleristen als Ordnungstruppen im Hinterland der Front eingesetzt, während sich andere zu Kampfpiloten ausbilden ließen. Lediglich die britische Armee setzte bis zum Ende des Krieges auch an der Front ihre Reiterei ein. So sollten in der Flandern-Schlacht von 1917 britische Kavallerie-Einheiten flüchtende deutsche Truppen endgültig schlagen, wozu es jedoch nicht kam. Der letzte erfolgreiche Kavallerieangriff der Geschichte wurde am 31. Oktober 1917 unter General Edmund Allenby von der australischen 4. Light Horse Brigade und der britischen 5. Mounted Brigade bei der Eroberung von Beerscheba geführt. Aberglaube Der während des Ersten Weltkrieges stark verbreitete Aberglaube stand in einem gewaltigen Gegensatz zu der militärischen Realität. Viele Soldaten erwarben Talismane und „Nothemden“, mit denen sie sich vor Verwundungen zu schützen suchten. Dasselbe Phänomen trat gehäuft bereits während des Dreißigjährigen Krieges auf. Angesichts von Maschinengewehren mit einer Feuerrate von bis zu 600 Schuss pro Minute und Geschützen mit einem Kaliber von bis zu 42 cm wirkt dieser Aberglaube wie ein Überbleibsel aus mittelalterlicher oder sogar vorchristlicher Zeit. In dem Film Bataillon der Verlorenen wird gezeigt, wie italienische Soldaten nach antikem Brauch ihrem tödlich getroffenen Kameraden noch eine Münze in den Mund schieben, damit er dem Fährmann Charon die Überfahrt über den Styx in das Totenreich bezahlen kann. Urteilsfähigkeit der Militärs Auf beiden Seiten orientierten sich die Militärs zu sehr an den Erfahrungen aus den vorhergehenden Kriegen und berücksichtigten kaum die militärtechnischen Neuerungen. Obwohl es im amerikanischen Sezessionskrieg schon Schützengräben, Schnellfeuergewehre, Materialschlachten und sogar U-Boote gegeben hatte, schenkten die Militärs diesen Aspekten des Krieges wenig Beachtung. Viele glaubten noch an eine entscheidende Rolle der Kavallerie und versprachen ihren Regierungen einen schnellen Sieg. Auf beiden Seiten hatte man Massenheere aufgestellt, hatte aber keine konkrete Vorstellung von deren Führung, insbesondere was Versorgung und Mobilität betraf. Grabenkrieg Mit Ausbruch des Krieges erkannten die deutschen und alliierten Truppen, dass auch die kleinste Deckung es ermöglichte, einen Angriff problemlos zurückzuschlagen. Frontale Angriffe führten zu dramatischen Verlusten; daher wurden Flankenangriffe als einzige Möglichkeit zum Sieg angesehen. Dies führte nach der Marneschlacht zu einer Serie von Umfassungsmanövern, Seite 37 Thomas Candrian die erst endeten, als beide Armeen die Küste erreichten. Das Grabensystem der Westfront erstreckte sich von der Nordsee bis zur Schweiz. Der Stellungskrieg an der Westfront setzte sich bis zur deutschen Frühjahrsoffensive im März 1918 fort. Seite 38 Thomas Candrian Friedensverträge Friedensvertrag von Versailles Am 28. Juni 1919 kam es, bei weiterhin andauernder Seeblockade und unter starker militärischer Drohkulisse der Alliierten, zur Unterzeichnung des Versailler Vertrags durch die deutsche Delegation. Territoriale Bestimmungen Aufgrund der Bestimmungen des Vertrages von Versailles musste das Deutsche Reich Reichsland Elsaß-Lothringen an Frankreich, Posen und Westpreußen an Polen abtreten; das Memelland wurde unter französische Verwaltung gestellt und 1923 durch Litauen besetzt. Zudem musste das so genannte Hultschiner Ländchen an die neu gegründete Tschechoslowakei abgetreten werden. Danzig wurde zur Freien Stadt unter Kontrolle des neu gegründeten Völkerbundes erklärt. Die ehemaligen deutschen Kolonien wurden zu „Mandatsgebieten“ des Völkerbundes unter britischer und französischer Kontrolle erklärt. In Eupen-Malmedy-St.Vith (anschließend belgisch), Nordschleswig (der nördliche Teil anschließend dänisch), Teilen Ostpreußens (deutsch bleibend) und in Oberschlesien (zwischen Deutschland und Polen geteilt, obwohl 60 Prozent für den Verbleib beim Deutschen Reich votierten) wurden bis 1921 Volksabstimmungen über den Verbleib beim Deutschen Reich angesetzt. Im belgischen Abstimmungsgebiet wurden Wähler in großem Stil eingeschüchtert und von der Wahl abgehalten. Das Saargebiet wurde für 15 Jahre der Verwaltung des Völkerbundes unterstellt, wobei Frankreich die Wirtschaftshoheit übernahm. Wahlen im Memelland erbrachten hohe Stimmenanteile (etwa 80 Prozent) für die deutschen Parteien. Militärische Bestimmungen Das Deutsche Reich wurde zur Abrüstung verpflichtet und durfte nur noch über ein Berufsheer mit einer maximalen Stärke von 100.000 Soldaten verfügen. Das Heer durfte weder schwere Artillerie noch Panzer besitzen. Im Westen des Deutschen Reiches wurde eine entmilitarisierte Zone geschaffen, deren Grenze etwa 50 Kilometer östlich des Rheins verlief. An den Grenzen des Deutschen Reiches wurden Zonen bestimmt, in denen keine Befestigungen errichtet oder verändert werden durften. Mehrere Flüsse wurden durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags internationalisiert. Kriegsschuld und Reparationen Durch den von vielen Deutschen als besonders ungerecht betrachteten Artikel 231 des Vertrages wurde dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten die alleinige Schuld am Krieg unterstellt, wodurch die Alliierten die Zahlung von Reparationen begründeten. Anfangs wurden Reparationen in Höhe von 269 Milliarden Goldmark festgelegt, welche in 42 Jahresraten ausgezahlt werden sollten, die Forderungen und Regelungen zu den Reparationszahlungen änderten sich mehrfach. Zudem musste das Deutsche Reich zahlreiche Sachlieferungen leisten. Die Bestimmungen des Versailler Vertrags reichten nicht aus, um die Großmachtstellung Deutschlands dauerhaft zu beseitigen. Trotzdem waren sie hart genug, um das Verhältnis Deutschlands zu den Alliierten schwer zu belasten. Der in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft als aufdiktierter Frieden eingestufte Versailler Vertrag verhalf nationalistischen Kreisen im Reich zu einem starken Zulauf. Seite 39 Thomas Candrian Kritik Der französische Marschall Foch kommentierte den Versailler Vertrag mit den Worten: „Das ist kein Frieden. Das ist ein zwanzigjähriger Waffenstillstand.“ Der Vertrag wurde von den USA nicht unterzeichnet. Sie schlossen am 25. August 1921 mit dem Berliner Vertrag 1921 einen Sonderfrieden mit dem Deutschen Reich, der einige der härtesten Bestimmungen ausklammerte. Vertrag von Saint-Germain Am 10. September 1919 wurde der Vertrag von Saint-Germain der Alliierten mit Österreich in St. Germain bei Paris unterzeichnet. Österreich musste Südtirol an Italien abtreten, sowie das Gebiet um Triest. Hinzu kamen Gebietsabtretungen an das neu gegründete Jugoslawien. Die Beziehungen der Republik Österreich zu anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Donaumonarchie, unter anderem in Bezug auf Minderheitenschutz, wurden ebenfalls in diesem Vertrag geregelt, nachdem der Zerfall des Habsburgerreichs bereits im Jahr 1918 eingetreten war. Ein Anschluss an das Deutsche Reich wurde Österreich untersagt, zudem wurde eine Umbenennung des Staates in „Deutsch-Österreich“ verboten. Auch in Österreich wurde die Wehrpflicht verboten. Die maximale Stärke des österreichischen Heeres wurde bei 30.000 Soldaten angesetzt. Die USA schloßen 1921 mit der Republik Österreich Frieden. Vertrag von Neuilly-sur-Seine Im Pariser Vorortvertrag von Neuilly mit Bulgarien, der am 27. November 1919 unterzeichnet wurde, begrenzte man die Stärke des bulgarischen Heeres auf 20.000 Soldaten. Bulgarien musste mehrere kleinere Gebiete im Westen an Jugoslawien abtreten. Außerdem fiel der bulgarisch beherrschte Teil Thrakiens an Griechenland. Vertrag von Trianon Am 4. Juni 1920 wurde im Pariser Vorort Trianon der Vertrag von Trianon unterzeichnet. Die ungarischen Teile der Slowakei mussten an die Tschechoslowakei abgetreten werden, während Slawonien und der Banat an Jugoslawien fielen. Außerdem musste Ungarn das Burgenland an Österreich und Siebenbürgen an Rumänien abtreten. Das ungarische Berufsheer wurde auf 35.000 Soldaten begrenzt. Vertrag von Sèvres Der letzte Pariser Vorortvertrag wurde am 10. August 1920 in Sèvres unterzeichnet. In dem Vertrag wurde die Internationalisierung der türkischen Meerengen festgelegt. Die Türkei musste Ost-Thrakien und die Stadt Smyrna mitsamt Umgebung an Griechenland abtreten, sowie sämtliche unter türkischer Kontrolle befindliche Ägäis-Inseln bis auf die Dodekanes, die an Italien fiel. Kilikien und Syrien gerieten unter französische Kontrolle, während Zypern, Ägypten, Palästina und der Irak unter britische Verwaltung kamen. Kurdistan wurde der Autonomiestatus zugesprochen, während Armenien unabhängig wurde. Die türkische Heeresstärke wurde auf 50.000 Soldaten begrenzt. Der Vertrag von Sèvres wurde von der türkischen Nationalversammlung nicht bestätigt. Es kam zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit Griechenland, die bis 1922 zur Räumung Ost-Thrakiens und Smyrnas durch die Griechen führten. 1921 wurde der Abzug der Franzosen aus Kilikien vertraglich herbeigeführt, während Armenien zwischen der Sowjetunion und der Türkei aufgeteilt wurde. In der Folgezeit wurden Seite 40 Thomas Candrian Tausende Armenier Opfer von Verfolgungen durch die Türken. Im Vertrag von Lausanne wurden am 24. Juli 1923 die türkischen Gebietserwerbungen bestätigt, zudem verzichteten die Alliierten auf Reparationsforderungen. Auf dieser Konferenz wurde auch ein Abkommen zwischen der Zionistischen Weltorganisation und Emir Feisal, dem König von Syrien (später Irak), einem Sohn des Scharifs von Mekka geschlossen. In diesem, im Januar 1919 geschlossenem Abkommen, bekräftigen beide Seiten: Es sollen alle nötigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Einwanderung von Juden im großen Umfang zu fördern und anzuregen und so schnell wie möglich jüdische Einwanderer in geschlossenen Siedlungen auf dem Land anzusiedeln zur intensiven Nutzung des Bodens. Bei all diesen Maßnahmen sollen die Rechte der arabischen Bauern und Pächter geschützt und ihre wirtschaftliche Entwicklung unterstützt werden. In einer Beifügung wird die Gültigkeit des Abkommens jedoch nur dann festgestellt, wenn die arabische Unabhängigkeit vom Westen in für den König befriedigendem Maße hergestellt würde, was dann nicht der Fall war. Seite 41 Thomas Candrian Dolchstosslegende Die Dolchstoßlegende war eine von führenden Vertretern der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) initiierte Verschwörungstheorie, die die Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf die Sozialdemokratie abwälzen sollte. Sie besagte, das deutsche Heer sei im Weltkrieg „im Felde unbesiegt“ geblieben und habe erst durch oppositionelle „vaterlandslose“ Zivilisten aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ erhalten. Antisemiten verknüpften „innere“ und „äußere Reichsfeinde“ dabei zusätzlich mit der Schimäre vom „internationalen Judentum“. Diese Legende diente deutschnationalen, völkischen und anderen rechtsextremen Gruppen und Parteien zur Propaganda gegen die Novemberrevolution, die Auflagen des Versailler Vertrags, die Linksparteien, die ersten Regierungskoalitionen der Weimarer Republik und die Weimarer Verfassung. Sie gilt in der Zeitgeschichte als bewusst konstruierte Geschichtsfälschung und Rechtfertigungsideologie der militärischen und nationalkonservativen Eliten des Kaiserreichs, die dem Nationalsozialismus wesentliche Argumente lieferte und seinen Aufstieg entscheidend begünstigte. Das Zitat sollte aus vorherigen Artikeln von Maurice in der britischen Zeitung Daily News stammen. Die beiden OHL-Generäle Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg bekräftigten im November/Dezember 1919 die Version, einer der gegnerischen englischen Generäle habe zuerst von diesem Dolchstoß gesprochen. Ludendorff erwähnte in seinen Erinnerungen ein angebliches Tischgespräch mit General Neill Malcolm im Juli 1919, bei dem er ihm die Gründe der deutschen Niederlage erläutert habe, worauf Malcolm zurückgefragt habe: You mean that you were stabbed in the back? Hindenburg behauptete in seiner Aussage vor dem „Untersuchungsausschuss für Schuldfragen“ im Reichstag ebenfalls, ein englischer General habe gesagt: Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden. Die Verwendung des Ausdrucks wurde jedoch von beiden Briten heftig bestritten. Der Historiker Boris Barth fand die Herkunft des Begriffs in einer Aussage des Reichstagsabgeordneten Ernst Müller-Meiningen, der am 2. November 1918 bei einem Treffen im Münchner Löwenbräukeller die zur Revolution bereiten Zuhörer mit den Worten zum Durchhalten aufforderte: Solange die Front hält, haben wir in der Heimat die verdammte Pflicht, auszuhalten. Wir müssten uns vor unseren Kindern und Enkeln schämen, wenn wir der Front in den Rücken fielen und ihr den Dolchstoß versetzten. Das Sprachbild verwies auch auf den Mord an Siegfried im Nibelungenlied. Hindenburg bestätigte diese Assoziation 1920 in seinem Buch Aus meinem Leben: Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken. Dabei hatte er an anderer Stelle des Buches festgestellt:[4] Krieg und Nerven hatten einst die wunderbare Kraft der Truppe geschaffen. Als es aber dauernd „über die Kraft ging“, da wurde die Nervenkraft der Truppe schließlich zerbrochen. Das muss unabhängig von allen politischen Einflüssen festgestellt werden. Seite 42 Thomas Candrian Entstehung Das Grundmuster der Legende bestand darin, die Kriegsniederlage vom militärischen in den zivilen Bereich abzuschieben und nicht Kriegsziele, Fehler der Kriegs- und Armeeführung, die Erschöpfung der Soldaten, die wirtschaftliche und militärische Überlegenheit der gegnerischen Staaten dafür verantwortlich zu machen, sondern bestimmte Personen oder Gruppen in der Heimat. Am 8. August 1918, dem sogenannten Schwarzen Tag des deutschen Heeres, durchbrachen die Truppen der Entente die deutsche Westfront (Siegfriedstellung). Wegen der nun endgültig aussichtslos gewordenen militärischen Lage forderte die OHL am 29. September 1918 die Reichsregierung ultimativ auf, eine Verfassungsänderung und Regierungsbeteiligung der SPD zuzulassen, um die Forderungen von US-Präsident Wilson nach einer Demokratisierung Deutschlands als Bedingung für einen Waffenstillstand zu erfüllen und die Siegermächte so für einen milden Friedensschluss zu gewinnen. Das Kalkül dabei war vor allem, die auf Demokratisierung drängenden Mehrheitsparteien im Reichstag in die Regierung einzubinden und so für die zu erwartende Kapitulation und deren Folgen verantwortlich zu machen. Damit sollte eine vollständige Niederlage und eine soziale Revolution nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution abgewendet und die Machtstellung des Militärs bewahrt werden. Hindenburg bestätigte diese Absicht in seinen Memoiren Aus meinem Leben 1920: Wir waren am Ende! [...] Unsere Aufgabe war es nunmehr, das Dasein der übriggebliebenen Kräfte unseres Heeres für den späteren Aufbau des Vaterlandes zu retten. Die Gegenwart war verloren. So blieb nur die Hoffnung auf die Zukunft. Die Aussage Hindenburgs am 18. November 1919 vor dem von der Weimarer Nationalversammlung eingesetzten und öffentlich tagenden „Untersuchungsausschuss für Schuldfragen“ machte die Dolchstoßlegende publik. Er behauptete: In dieser Zeit [1918] setzte eine planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer als Fortsetzung ähnlicher Erscheinungen im Frieden ein. Die braven Truppen, die sich von der revolutionären Zermürbung freihielten, hatten unter dem pflichtwidrigen Verhalten der revolutionären Kameraden schwer zu leiden; sie mussten die ganze Last des Kampfes tragen. Die Absichten der Führung konnten nicht mehr zur Ausführung gebracht werden. So mussten unsere Operationen misslingen, es musste zum Zusammenbruch kommen; die Revolution bildete nur den Schlussstein. Ein englischer General sagte mit Recht: 'Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.' Den guten Kern des Heeres trifft keine Schuld. Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen. Auch in der Gedankenwelt führender Nationalsozialisten gewann die Dolchstoßlegende Bedeutung. So schrieb Adolf Hitler im Jahr 1923 im Völkischen Beobachter: „Wir haben uns immer daran zu erinnern, daß jeder neue Kampf nach außen, mit den Novemberverbrechern im Rücken, dem deutschen Siegfried sofort wieder den Speer in den Rücken stieße.“ Die Dolchstoßlegende spielte dann vor allem auch in der zweiten Hälfte des Zweiten Weltkrieges eine verhängnisvolle Rolle. Viele Offiziere lehnten es ab, sich an einem von einigen Angehörigen der Wehrmacht geplanten Putsch gegen Hitler zu beteiligen – auch als es keine Seite 43 Thomas Candrian Chancen auf einen militärischen Sieg mehr gab –, weil sie das Entstehen einer neuen Dolchstoßlegende fürchteten. Seite 44 Thomas Candrian Folgen des Krieges 14. Punkte von Wilson Seite 45 Thomas Candrian Die Schweiz während des 1. Weltkrieges Dass die Schweiz sich aus dem Ersten Weltkrieg heraushalten konnte, dürfte mehrere Gründe haben: Keine der kriegsführenden Mächte hatte direkte Kriegsziele in der Schweiz. Keine für die Kriegswirtschaft nutzbaren Rohstoffvorräte. Als Durchgangsland war die Schweiz im Gegensatz zu früheren Konflikten (napoleonische Kriege) nicht von grossem Interesse. Schwieriges Gelände (Berge), in dem Ortskenntnisse beim damaligen Stand der Kartografie und Navigationstechnik einen ausserordentlich grossen "Heimvorteil" bedeuteten. Damals topmoderne Gotthardfestung und Sperren im Rhonetal machten die Schweiz als Durchmarschland zusätzlich unattraktiv Im Vergleich zur Bevölkerungszahl und Fläche sehr grosse Armee. Mit anderen Worten: Den Kosten und Risiken eines Angriffs auf die Schweiz hätte kaum ein militärischer bzw. kriegswirtschaftlicher Nutzen entsprochen. Solche Nützlichkeitserwägungen der kriegsführenden Mächte, nicht etwa die in der Schweiz gleichsam mythisch verklärte Neutralität waren also ausschlaggebend dafür, dass die Schweiz nicht angegriffen wurde. Umgekehrt zeigt der deutsche Angriff auf das ebenfalls neutrale Belgien (dessen Pech es war, auf einer verlockenden Angriffsroute ins Herz Frankreichs zu liegen und reichlich über kriegswichtige Rohstoffvorräte (Kohle) zu verfügen) mit aller Deutlichkeit, dass die Neutralität eine Grossmacht nicht von einem Angriff abhalten konnte. Die rohstoffarme, aber hoch industrialisierte und daneben vom Tourismus abhängige Schweiz war wirtschaftlich durch den Krieg stark betroffen: Nur durch Verhandlungen mit beiden kriegsführenden Parteien konnte eine minimale Versorgung mit Rohstoffen sichergestellt werden. Die Abhängigkeit von importierter Kohle führte während und nach dem Krieg zu einem Ausbau der Elektrizitätserzeugung aus (einheimischer) Wasserkraft. Die Pionierrolle der Schweizer Bahnen bei der Umstellung von Dampflokomotiven auf Elektrolokomotiven ist weit gehend durch die Erfahrungen des Krieges bedingt. Während des Krieges bewährte sich das Internationale Kommittee vom Roten Kreuz (IKRK) mit humanitären Leistungen, insbesondere einer Zentralauskunftsstelle für Flüchtlinge. Dies wurde international durch die Verleihung des Friedensnobelpreises 1917 anerkannt. Auf Anregung des Bundesrates wurden mit Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Österreich-Ungarn, und Belgien Abkommen geschlossen, die von 1916 bis zum Kriegsende 68'000 verwundeten und kranken Soldaten beider Seiten eine Erholung in der Schweiz ermöglichten. Der Erste Weltkrieg führte zu einer inneren Zerreissprobe für die Schweiz Schon bei der Wahl von General Ulrich Wille, dessen Sympathien für Deutschland kein Geheimnis waren, fühlten sich die Romands brüskiert. Der innere Konflikt verschärfte sich noch nach dem deutschen Einmarsch in Belgien, "da die deutschschweizerische Presse die Neutralitätsverletzung im Gegensatz zur welschen weitgehend rechtfertigte". Der eintönige Militärdienst in Wartestellung drückte auf die Moral der Milizsoldaten. Deshalb schuf General Seite 46 Thomas Candrian Wille im ersten Kriegswinter den so genannten Vortragsdienst. Einerseits sollten die Soldaten vom eintönigen Dienstalltag abgelenkt werden, andererseits wollte man sie auch staatsbürgerlich weiterbilden. Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung der Schweiz hing zu 40% von Importen ab. Trotz staatlicher Lenkungsmassnahmen (Getreidemonopol 1915 zur besseren Koordination und Rationierung ab 1917) führte der Krieg zu starker Teuerung. Jeder Soldat leistete im Durchschnitt etwa 500 Diensttage und erhielt in dieser Zeit weder Lohn noch eine Verdienstausfallentschädigung. Dies führte in den ärmeren Bevölkerungsschichten zu harten Notlagen. 1916 kam es zu ersten linken Demonstrationen und Krawallen, Teile der Armee wurden gegen die eigene Bevölkerung zu "Ordnungsdiensten" eingesetzt. Im Juni 1917 distanzierte sich die Sozialdemokratische Partei von der Landesverteidigung und die linke Presse begann, Vorkommnisse in der Armee zu kritisieren - vielleicht etwas aufbauschend, aber nicht ganz unbegründet, wie sogar General Ulrich Wille zugeben musste: "Die Missstimmung im Volk und in der Armee gegen Ende des Aktivdienstes war ... einmal durch die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, dann durch die mancherlei Unvollkommenheiten der Armee selbst verursacht." Angeregt durch die russische Oktoberrevolution kam es 1917 in Zürich zu grösseren Krawallen, bei denen vier Personen getötet und 28 verletzt wurden. Eine ernsthafte Bedrohung der Demokratie entstand daraus jedoch nicht, weil die grosse Mehrheit des Volkes sehr wohl zwischen den Verhältnissen im zaristischen Russland und den eigenen unterscheiden konnte und offenbar auch die Erinnerung an die eigene Geschichte genügend wach geblieben war, um die Lust auf revolutionäre Experimente zu dämpfen. Die soziale Notlage war durch das bürgerliche Abblocken der an sich wohl begründeten linken Forderungen natürlich nicht gelöst. Im Juni 1918 lebte schliesslich ein Sechstel der Bevölkerung unter dem Existenzminimum. Bei Kriegsende rief das Oltener Komittee der Gewerkschaften einen landesweiten Generalstreik aus. Bundesrat und Parlament blieben hart und ordneten einen massiven Armeeeinsatz an. Die Streikleitung musste nach drei Tagen kapitulieren. Im Sommer 1919 kam es zu weiteren Unruhen in Zürich und Basel, wobei neben der Armee auch Bürgerwehren zum Einsatz kamen. Die Verbitterung und Entfremdung zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum verfestigte sich in den folgenden Jahren noch. War also der Generalstreik von 1918 ein Misserfolg? Betrachtet man den Landesstreik als isoliertes Ereignis, so könnte man durchaus auf diese Idee kommen. Allerdings gibt es - knappe hundert Jahre später - nicht eine einzige Forderung des Oltener Komitees, die unerfüllt geblieben wäre: Was sich mit einem Generalstreik auf die Schnelle nicht erzwingen liess, wurde nach und nach auf dem ordentlichen demokratischen Weg mittels parlamentarischen Vorstössen, Volksinitiativen und nicht zuletzt konsequenter Überzeugungsarbeit doch noch durchgesetzt. Die Grippeepidemie von 1918/1919 Die schlimmste je bekannt gewordene Grippeepidemie (Spanische Grippe) wütete 1918 1919 und forderte weltweit schätzungsweise 20 - 25 Millionen Todesopfer. Ihre grosse Ausbreitung ist zumindest teilweise auf den Krieg zurück zu führen (Verschleppung der Erreger aus den USA nach Europa durch US-Soldaten, Mangelernährung und prekäre hygienische Seite 47 Thomas Candrian Verhältnisse). In der Schweiz erkrankte mehr als die Hälfte der Bevölkerung, die zivilen Spitäler waren ebenso überfordert wie der militärische Sanitätsdienst, zeitweise brach Panik aus, 1918 waren 20'000 Tote zu beklagen, 1919 und 1920 nochmals je knapp 4'000. Am meisten gefährdet waren Personen zwischen 20 und 49 Jahren. Dass 1805 Soldaten der Grippe zum Opfer fielen, davon 926 während des Einsatzes gegen den Generalstreik, führte zu heftigen politischen Auseinandersetzungen. Seite 48 Thomas Candrian Quellen / Literatur Artikel in der Wikipedia 1. Weltkrieg 19. Jahrhundert Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg Aufklärung Balkankriege Bismarck Deutsche Revolution 1848/49 Deutsches Kaiserreich Deutschland Dolchstosslegende Erster Weltkrieg Frankreich Französische Revolution Geschichte Russlands Grabenkrieg im Ersten Weltkrieg Industrialisierung Julikrise Kaiser von Österreich Kieler Matrosenaufstand Kolonisation Kriegsziele im Ersten Weltkrieg Landwirtschaftliche Revolution Leipziger Prozesse Militärische Ausrüstung im Ersten Weltkrieg Napoléon Bonaparte Napoléon I. - Beziehungen und Nachkommen Napoléon III. Nationalismus Nationalstaat Novemberrevolution Österreich-Ungarn Österreich-Ungarns Armee im Ersten Weltkrieg Otto von Bismarck Panslawismus Pariser Friedenskonferenz 1919 Phosgen Revolution Russische Revolution Saturiertheit Schwarzer Tod Siebenjähriger Krieg Sozialdemokratische Partei Deutschlands Spanische Grippe SPD Stammliste der Bonaparte Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts USPD Wilhelm II. (Deutsches Reich) Zeitalter der Aufklärung Zeitalter des Imperialismus Zeittafel zur Französischen Revolution Unterrichtsstoff KBMS de.encarta.msn.com/media 121623761/Zeittafel Napoleon.html www.dhm.de/lemo/html/wk1/index.html http://geschichtsverein-koengen.de/Weltkrieg1.htm www.geschichte-schweiz.ch www.geschichtsforum.de www.wissenschaft.de www.epoche-napoleon.de www.unki.de Hartmann, Peter C, - Geschichte Frankreichs Wolfgang Schmale - Geschichte Frankreichs Thamer, Hans-Ulrich - Die Französische Revolution Leo Trotzki - Geschichte Der Russischen Revolution Deutschland & Europa - Ausgabe 11.1997 - 1848-49 Revolution Andreas Wirsching - Deutsche Geschichte Im 20. Jahrhundert Jürgen Kochendörfer, Erhard Rumpf - Geschichte und Geschehen Morel - Aufklärung oder Indoktrination Seite 49