Apokalyptik 1

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Apokalyptik
Die Offenbarung des Johannes ist immer wieder ein Stein des Anstoßes und erregt
Unverständnis.
Apokalyptik ist aber keineswegs nur in der Bibel zu finden. Dieser Kurs beleuchtet das
Thema Apokalyptik von verschiedenen Blickrichtungen und quer durch die Geschichte. Der
Schwerpunkt liegt selbstverständlich auf der biblischen Apokalyptik, und hier wieder auf der
Offenbarung des Johannes.
Inhalt:







Weissagungen, Visionen, Astrologie, Endzeitberechnungen
Apokalyptik im Laufe der Geschichte
Das Buch Daniel
Endzeithoffnungen zur Zeit Jesu
Die Offenbarung des Johannes
Sendschreiben, Visionen, Gericht, ...
Am Ende der Zeit ...
Sollten wir jetzt Ihr Interesse geweckt haben, stellen wir Ihnen den ersten
Teil des Kurses als Leseprobe zur Verfügung. Gerne können Sie sich bei
uns für diesen Kurs auch anmelden.
Der Kursbeitrag (Unterlagen + Kursbetreuung) beträgt 35€.
Apokalyptik 1
1. Aussendung:
 WEISSAGUNGEN
 VISIONEN
 ASTROLOGIE
 ENDZEITBERECHNUNGEN
1.
Einleitung
2
2.
2.1
2.2
2.3
2.4
Apokalyptik - Was ist das?
Begriffsklärung
3
Grundzüge der Apokalyptik
3
Kennzeichen von Apokalyptik und apokalyptischer Literatur
Anliegen apokalyptischer Literatur 5
3
3.
3.1
3.1.1
3.1.2
3.1.3
3.1.4
3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.3
3.3.1
3.3.2
3.3.3
3.3.4
3.3.3
Visionen, Weissagungen, Astrologie
Visionen
6
Visionsfreudige und visionsarme Zeiten 7
Zwei große Phasen bei Visionserzählungen
8
Welche Funktionen haben Visionen?
8
Visionen, Erscheinungen, Privatoffenbarungen - Was sagt die Kirche? 8
Weissagungen
11
Was Propheten von Wahrsagern unterscheidet
12
Nostradamus (1503 - 1566) 13
Gründe für die Übereinstimmung von Vorhergesagtem und Eingetretenem
Astrologie 15
Vulgärastrologie
15
Das Geburtshoroskop
16
Wie oben, so unten 16
Biblische Astrologie?
16
Kritische Würdigung
17
4.
4.1
4.2
4.3
Endzeitberechnungen
Bilder vom Weltende
19
Endzeitberechnungen: Von Daniel bis zu den Zeugen Jehovas 19
Was sagt die Theologie zu apokalyptischen Endzeitprognosen? 22
Kursleitung:
Herausgeber:
Erstellung:
Büro:
4. Auflage:
4
5
14
19
Mag. Ursula Pichler
Dr. Franz Kogler
Mag. Helga Haider und Mag. Stefan Schlager
Michaela Helletzgruber, Claudia Außerwöger
November 1999
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
3
1.
Einleitung
Jahrhundertwechsel waren immer Zeiten, an die Menschen besondere - teils
optimistische, teils pessimistische - Empfindungen und Erwartungen knüpften. So
wird es auch mit dem kommenden Jahrhundert- bzw. Jahrtausendwechsel sein. Das
Interesse an Astrologie, Endzeitankündigungen oder Weissagungen (z. B.
Nostradamus) ist groß. Nicht nur im religiösen, auch im “profanen” Bereich (Ökologie,
Politik, Medien, ...) gibt es Denkmuster und Schreckensvisionen, die Menschen als
“apokalyptisch” bezeichnen. Damit wollen die Menschen ihre Ängste, ihre
Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht ausdrücken.
Im Fernkurs Apokalyptik sollen diese Phänomene beschrieben werden. Es soll
deutlich werden, daß Apokalyptik eine Denkweise ist, die zu bestimmten Zeiten im
Laufe der Geschichte immer wieder auftauchte. Ein wesentlicher Teil des Kurses
wird sich mit apokalyptischen Schriften der Bibel beschäftigen. Dabei werden das
alttestamentliche Buch Daniel und vor allem die Offenbarung des Johannes
besonders eingehend behandelt werden.
Die Offenbarung des Johannes wirft immer wieder Fragen auf und ist für viele
ein Stein des Anstoßes und erregt Unverständnis. Eine unserer Kursteilnehmerinnen
meinte dazu: “Ein Fernkurs über die Offenbarung würde mich persönlich sehr
interessieren. Ich habe sie einmal gelesen, und ich betone einmal, denn sie hat mir
große Angst gemacht. Sicher deshalb, weil ich sie nicht verstehen und deuten
konnte, denn ich bin überzeugt, daß uns die Bibel keine Angst machen möchte.”
Viele der Leserinnen und Leser dieses Fernkurses haben vielleicht ähnliche
Beweggründe, sich mit dem Thema Apokalyptik näher zu befassen.
Um die Schriften der Bibel besser zu verstehen, ist es eine große Hilfe, über
Zeit und Umstände ihrer Entstehung Bescheid zu wissen. So betont auch das Zweite
Vatikanische Konzil (1962 - 1965): “Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen
nach Menschenart gesprochen hat, muß der Schrifterklärer, um zu erfassen, was
Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig ... nach dem Sinn forschen, den der Verfasser
aufgrund einer ganz bestimmten Lage, seiner Zeit und Kultur entsprechend, mit Hilfe
der damals üblichen literarischen Art hat ausdrücken wollen und wirklich zum
Ausdruck gebracht hat.” (Über die göttliche Offenbarung [Dei Verbum], 111.12)
Besonders die Zeit zwischen 165 v. Chr. und 90 n. Chr. ist im Raume
Palästinas von apokalyptischen Strömungen geprägt. So hat die Apokalyptik sowohl
auf späte Schriften des AT als auch auf manche Schriften des NT einen nicht
unwesentlichen Einfluß. Wenn auch viele der apokalyptischen Schriften nicht in den
Kanon der Heiligen Schrift (die Bibel, wie wir sie jetzt vorfinden) aufgenommen
wurden, so wurden sie dennoch hoch geschätzt und immer wieder gelesen.
Für einen guten Zugang zur apokalyptischen Literatur ist es wichtig zu fragen,
aus welcher politischen und geistesgeschichtlichen Situation heraus sie entstanden
ist. Daran anschließend ergibt sich die Frage, zu welchem Zweck sie geschaffen
wurde und worin die besondere Absicht des Verfassers liegt und was seine Botschaft
ist.
Vielleicht gelingt es durch diesen Kurs, eine Vorstellung von der Atmosphäre
zu vermitteln, aus der heraus und in die hinein apokalyptische Schriften produziert
wurden und werden. So könnten auch Wege eröffnet werden, die Sprache der
Apokalyptik, ihre Bilder, ihre Aufgabe und Botschaft - in ihrer Zeitbedingtheit, zugleich
aber auch in ihrer Zeitlosigkeit - besser zu deuten und zu verstehen.
 Dieser Kurs möchte auch Anregungen geben, um mit dem zentralen Inhalt der Apokalyptik,
nämlich der Angst, besser umgehen zu lernen. Bekanntlich hängt das Angstmachen sehr eng mit
dem Ausnützen von Macht zusammen. Auf dieses - auch heute aktuelle - Thema soll wiederholt
aufmerksam gemacht werden.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
4
Anregung: Was war für Sie der Grund, diesen Kurs zu machen?
Was fällt Ihnen zum Stichwort “Apokalyptik” ein?
Halten Sie einige Stichwörter möglichst schriftlich fest.
Gibt es für Sie außer Jahrtausendwende noch Gründe, warum die
Apokalyptik in aller Munde ist?
2.
Apokalyptik - Was ist das?
Grundsätzlich sollte bei der Apokalyptik zwischen der weit verbreiteten profanen
Apokalyptik und der religiösen Apokalyptik unterschieden werden. Während die
profane Apokalyptik den Blick gespannt auf (mögliche) Katastrophen richtet und
verängstigt, ist es das Ziel der biblischen Apokalyptik zu trösten, Mut zu machen, Halt
und Kraft in einer bedrängten Welt zu geben.
2.1 Begriffsklärung
Der griechische Begriff “apokálypsis” meint Offenbarung, Aufdeckung, Enthüllung
von Verborgenem. Inmitten der Wirrnisse sollen Menschen den Blick für das
Wesentliche (neu) entdecken bzw. nicht verlieren.
Es geht um einen Einblick in die Mächte der Welt, in die Herrschaft Gottes,
das eigentliche Ziel der Geschichte, die Rettung der Treuen und um die Deutung von
Leid. Die Schriften, die solches aufdecken und sich dabei auf göttliche Offenbarung
berufen, werden dementsprechend als “Apokalypsen” bezeichnet.
 apokálypsis = Offenbarung, Aufdeckung, Enthüllung von Verborgenem
 Apokalyptik = geistige Strömung, Denk- und Hoffnungsweise, die den
schwierigen und bedrohlichen Weltenlauf deutet und das rettende Eingreifen
Gottes (= Weltende) erwartet.
 Apokalypse = Schrift, die sich mit endzeitlichen Ereignissen befaßt
2.2 Grundzüge der Apokalyptik
Die Apokalyptik ist ein Krisenphänomen. In ihr finden sich folgende Grundzüge:
Pessimismus:
Die Welt ist in sich schlecht, es besteht keine Hoffnung auf eine Besserung der
irdischen Verhältnisse. Sie ist daher zum Untergang bestimmt. Da der Untergang
eine von Gott schon beschlossene Sache ist, kann er unmöglich abgewendet oder
gar verhindert werden. Diese (schlechte) Welt ist endgültig zum Scheitern verurteilt.
Das einzig Mögliche und Sinnvolle ist die Rettung von “gerechten” und “wahren”
Gläubigen.
Determinismus:
Der Ablauf der Geschehnisse ist festgelegt und unabänderlich. Der Mensch kann
nicht in den Geschichtsablauf eingreifen.
Dualistische Sicht - die alte Welt ist schlecht, die neue Welt ist gut
Die jetzige Welt (alter Äon) wird durchwegs negativ gesehen - völlig gegensätzlich
zur zukünftigen Welt. Die Gegenwart wird vom Bösen beherrscht (z. B. Gottlosigkeit,
Verfall der Sitten). Durch die Sünde ist ein endgültiger, radikaler Bruch eingetreten.
Es gibt kein göttliches Heil mehr in dieser Geschichte. Nur mehr eine neue Zukunft
kann Glück und Harmonie bringen. Die Apokalyptik erwartet daher das Heil durch
das von Gott sehr bald gesetzte Ende dieses “Äons”. Gott allein also beendet “diese
Welt” und schafft eine ganz neue.
Der Übergang zum Neuen, Kommenden, von Gott allein Verfügten geschieht
nicht kontinuierlich, sondern unter Katastrophen und durch Abbruch. Auch werden
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
5
diese kommenden Endereignisse meist für die nächste Zukunft erwartet
(Naherwartung). Diese Ungeduld der apokalyptischen Naherwartung wird durch die
Nöte der Gegenwart hervorgerufen.
Unter diesen Voraussetzungen ist verständlich, daß der Apokalyptiker der irdischen
Welt grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Politische Resignation auf der einen
Seite und Revolution auf der anderen drücken beide auf ihre Weise diese völlige
Negation der erfahrenen Geschichte aus; nur ein Ausbrechen aus ihr kann noch Heil
bringen.
Da die Geschichte nicht mehr gestaltbar ist, hat der Apokalyptiker die Funktion
eines “Zuschauers” (Visionen, Deutungen). Während Propheten mit ihrer Botschaft
die Menschen zur Umkehr und zu neuem Handeln in der jetzigen Situation bewegen
wollen, beinhaltet die Botschaft des Apokalyptikers keinen direkten Handlungsauftrag
(mehr).
2.3 Kennzeichen von Apokalyptik und apokalyptischer Literatur
Autor:
Die jetzige Zeit ist schlecht. Gottes Geist wirkt nicht mehr. Deshalb
treten die Autoren von Apokalypsen unter Pseudonymen (=
wichtige Persönlichkeiten, die aber schon seit längerer Zeit
verstorben sind) auf. Um Anerkennung zu finden und wegen
größerer Glaubwürdigkeit, schrieben die Verfasser unter Namen
von bekannten Persönlichkeiten der Frühzeit (z. B. Abraham, Mose, oder in
christlichen Schriften unter Namen der Apostel).
Bezug zur Geschichte:
Bereits geschehene Geschichte wird in die Gestalt von Weissagungen gebracht.
Wenn der Leser z. B. eine Weissagung über das vergangene Jahr liest und eine
Übereinstimmung mit dem Geschehenen feststellt, wird er auch leichter
Weissagungen für die kommenden Jahre für glaubwürdig halten. So wird versucht,
durch diese Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit noch größere
Überzeugungskraft zu erzielen. Dies fasziniert vor allem dann, wenn es um
Aussagen um das Ende der Welt geht.
Art der Offenbarung:
Die Schriften enthalten visionäre (aus dem Lateinischen: video = sehen) Berichte
über Träume, Ekstasen oder Entrückungen. Im Unterschied dazu enthält die
klassische Prophetie meist nur Wortoffenbarungen, Auditionen (aus dem
Lateinischen: audio = hören).
Bildersprache:
Die häufigste Offenbarungsform der Apokalyptik ist die Vision und dem entsprechend
sind die Texte oft reich an Bildern. Viele davon sind der unmittelbaren Erfahrung
entnommen: Feuerbrände, Erdbeben, Flut, Vulkanausbrüche, Dürre, Meteoriten,
Kometen, Mond- und Sonnenfinsternis, Seuchen. Auch die Erfahrung des Todes, der
Vergänglichkeit, von Gewalt und Unterdrückung gehören dazu. Diese Erfahrung von
“kleinen” Untergängen werden - aufgrund der erlebten Krisensituation - ins Große,
Kosmische übertragen. So entstehen Bilder vom Weltenbrand, von der Sintflut,
welche die ganze Erde bedeckt, von herabstürzenden Gestirnen usw. Geschichtliche
Erfahrungen, wie Kriege und Untergänge von Reichen und Kulturen, prägen
ebenfalls die Vorstellung vom Weltende.
Die Bildersprache der Apokalyptik ist reich an Zahlen, Tieren, Orten und
Farben, die in symbolischer Weise gebraucht werden und zu deuten sind. Ein
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
6
Beispiel ist hier die Zahl 666 in der Offenbarung des Johannes (Offb 13,18). In der
hebräischen Sprache werden Zahlenwerte durch Buchstaben ausgedrückt (A = 1, B
= 2,...). Daher hatte jedes Wort und jeder Name einen bestimmten Zahlenwert. Mit
666 kann Nero (Der zur Zeit der Niederschrift der Apokalypse um 95 n. Chr.
regierende Kaiser Domitian wurde oft als “wiedergeborener Nero” bezeichnet.)
gemeint sein. Christengegnern war die Verschlüsselung meist unbekannt, so
bedeutete diese Symbolsprache Schutz vor Anfeindungen. Was in der Vision
geschaut wird, ist oft undeutlich und zusammenhangslos. Daher bedarf es der
Deutung. Diese wird häufig durch einen Deute-Engel gegeben.
2.4 Anliegen der apokalyptischen Literatur
Die Denkweise der Apokalyptik ist Ausdruck von Bedrohung, menschlicher
Überforderung, Enttäuschung und Entmutigung. Zugleich spiegelt sich in ihr aber
auch die Sehnsucht nach Sicherheit, Rettung und Heil. Die Apokalyptiker versuchen,
ihr Leiden an dieser Welt durch phantastische Ausmalungen des Jenseits, der
Herrlichkeit der Seligen und der Qualen der Gottlosen auszugleichen. So steht im
Mittelpunkt der Apokalyptik eigentlich nicht die Zukunft, sondern der Versuch, die
Gegenwart zu deuten und zu bewältigen.
Apokalyptik ist ein Krisenphänomen, das besonders in Zeiten politischnationaler, geistesgeschichtlicher und sozialer Umbrüche auftritt. Sie ist Reaktion auf
den Zerfall religiöser und gesellschaftlicher Strukturen. Nicht zuletzt haben diese
Schriften die Aufgabe, einerseits lau und lax gewordene Gläubige wachzurütteln und
andererseits die durch die Verfolgung Bedrohten zum Durchhalten zu motivieren.
Das
Grundanliegen
apokalyptischer
Schriften
ist
seelsorglicher Natur. Sie wollen den
durch Verfolgung und Not in Bedrängnis
geratenen Gläubigen Trost spenden,
ihnen Mut machen, sie stärken. Apokalyptische Schriften wollen Menschen in
existenzieller Not sagen, was der Wille
Gottes ist, worin der Sinn der Geschichte,
der Zweck der gläubigen Berufung und
die Aufgabe des Lebens liegt. In dieser
Art die menschliche Glaubensexistenz zu
interpretieren, ist apokalyptische Literatur
zugleich faszinierend und ernüchternd.
Mit Hilfe ihrer phantastischen Visionen konfrontiert sie die Leser mit der schwierigen
Wirklichkeit, der Unzulänglichkeit und dem Ende.
Anregung: Was sind für Sie apokalyptische Zustände?
Was macht Ihrer Meinung nach die Apokalyptik so faszinierend?
Fallen Ihnen Bilder aus Ihrer Phantasie oder Ihren Träumen ein, die Sie
apokalyptisch nennen würden?
3.
Visionen, Weissagungen, Astrologie
In Zeiten wachsender Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ist die Bereitschaft
vieler groß, auf wunderbare und außergewöhnliche Botschaften und Weisungen zu
hören. Vor allem jene Botschaften, die mit einer Vision verbunden sind (werden),
finden offene Ohren. Besonders häufig berufen sich endzeitlich-ausgerichtete
Gruppierungen auf Visionen. Die damit zusammenhängenden Botschaften haben im
allgemeinen folgenden Inhalt: Die Welt ist schlecht und von Grund auf verdorben. Sie
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
7
wird bald in einem von Gott herbeigeführten Strafgericht enden. Wer sich retten will,
muß bestimmten Anweisungen folgen.
Gott selbst, Jesus, ein Engel, Maria oder andere Heilige, die in solchen
Visionen angeblich erscheinen, werden als Garanten für die Rechtgläubigkeit der
Visionäre und ihrer Anhänger angeführt. Damit haben diese zugleich eine
vermeintlich unangreifbare Position inne. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit
den jeweiligen Personen und deren Botschaften wird damit schwierig bzw.
unmöglich.
Visionen in der biblischen Apokalyptik:
In bezug auf die Visionen in der biblischen Apokalyptik gilt es zu bedenken: Innerhalb
des Judentums basiert die Entstehung der Apokalyptik auf der Erfahrung extremer
religiöser wie nationaler Bedrohung. Die damalige schwierige Gegenwart wurde als
Zeit des Gerichtes oder des Zornes Gottes angesehen. In diesem Zusammenhang
und in diesem Interesse entstand jene neue apokalyptische Literatur, die den
Anspruch erhob, Kenntnis vom Gericht, von der Auferstehung und von den ewigen
Strafen zu haben, kurz: visionäre Einblicke in Gottes Pläne und
Vorausbestimmungen zu genießen. Vor allem mit Hilfe der Schreckensvisionen
deuten die Apokalyptiker ihre Zeit. In den himmlischen Visionen verdichten sie ihre
Hoffnung auf Gottes rettendes Kommen.
Außerbibilische Visionen:
Auch im Laufe der 2000-jährigen Geschichte des Christentums kommen immer
wieder Visionärinnen und Visionäre vor. Ein bekannter Visionär ist der HI. Paul vom
Kreuz. Dieser schreibt in einem Brief: “Wisse, daß von all den Visionen und
Auditionen ..., die ich selbst gehabt habe, nur ein kleiner Teil wahr und gut gewesen
ist”. Ja, er sagt sogar: “... unter hundert, ja vielleicht tausend dieser artikulierten
Auditionen sind kaum eine oder zwei wahr”.
Die Gefahr von Täuschungen bzw. Selbsttäuschungen wird von Meistern des
geistlichen Lebens als nicht gering eingeschätzt. So schreibt der Jesuit A. Poulain,
daß selbst bei frommen und normalen Menschen drei Viertel ihrer Visionen
gutgemeinte, harmlose, aber eben doch Täuschungen seien. Die kirchliche
Beurteilung von außergewöhnlichen Ereignissen reicht demnach von großer
Akzeptanz (z. B. Lourdes/Bernadette; Fatima/die drei Hirtenkinder) bis zur
entschiedenen Ablehnung (z. B. Engelwerk/Gabriele Bitterlich; Christusbotschaften
der Vassula Ryden).
3.1 Visionen und Visionäre
Das Wort “Vision” kommt aus dem Lateinischen (video = sehen). Visionen sind psychische
Erlebnisse, in denen natürlicherweise Nicht-Sichtbares (Gott, Engel, ...) sowie zukünftige
Ereignisse “gesehen” werden. Dieses bildhafte Sehen im Wach- oder Trancezustand ist oft
nicht klar vom Traum unterscheidbar. Visionen sind eine typische Form des
Offenbarungsempfangs bei Apokalyptikern. Eine Vision liegt vor, wenn ein Mensch das
Erlebnis hat:




aus seiner Umwelt auf außernatürliche Weise in einen anderen Raum versetzt zu werden
daß er diesen Raum als beschreibbares Bild schaut
daß diese Versetzung in Ekstase (oder im Traum) geschieht
daß ihm dadurch Verborgenes offenbar wird
Bei Visionen muß mit vielfachen Täuschungsmöglichkeiten gerechnet werden. Eine
ist die Halluzination (Trugwahrnehmung ohne entsprechenden äußeren Sinnesreiz),
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
8
eine andere die Illusion (Wahrnehmungsverfälschung durch Umgestaltung der
Sinneseindrücke).
Umstritten ist auch die Frage, wie groß der Anteil von eigentlich Krankhaftem
an den Inhalten der Visionen ist. Von der Tiefenpsychologie her wissen wir, daß z. B.
in Höllenvisionen unbewußte Ängste, archetypische Schreckensbilder, Äußerungen
eines Selbstzerstörungstriebes u. ä. ins Bewußtsein drängen und nach Heilung
rufen. Auch die Ängste, die Menschen angesichts der Bedrohungen der Natur
verspüren, können in Visionen eingebracht werden.
Menschen, die ihre Visionen beschreiben, bewegen sich in dem ihnen
vertrauten Weltbild. Die geschauten “Räume” (Himmel, Hölle, ...) passen zu den
entsprechenden Vorstellungen der Welt. Das Geschaute wird in schon bekannten
Modellen und Begriffen “untergebracht”. Die (zunächst einfache) religiöse Bildung,
die Zeitsituation und der Erfahrungshorizont spielen eine große Rolle. So liegt z. B.
die Hölle bei Höllenvisionen (die auf dem ptolemäischen Weltbild beruhen) im
Innersten der Erde. Eine andere Anschauung findet sich beim ägyptischen Mönch
Kosmos Indikopleustes. Hier ist die Erde eine Scheibe, die vom Meer umschlossen
und vom Himmel überwölbt wird. Am sogenannten Ende der Welt würden alle
Gerechten die Erde verlassen und in den Himmel ziehen. Die Erde ist dann wüst und
leer: Als solche ist sie die Hölle der Verdammten.
Im Zentrum der “WeIt” steht die
Geozentrisches Weltbild
Ptolemäus (2 Jhd. n.Chr.)
Heliozentrisches Weltbild
Kopernikus (15. Jhd. n. Chr.)
3.1.1 Visionsfreudige und visionsarme Zeiten
Im Laufe der Geschichte ist eine “Wellenbewegung” zu beobachten, in der
visionsfreudige und visionsarme Zeiten einander abwechseln.
 Die einfachen Kulturen, die vor der eigentlichen Antike gegeben waren, sahen in
religiöser Hinsicht die Ereignisse und Schicksale von Welt und Menschen durch
Götter und Dämonen, gute und böse Geister bestimmt.
 In der Antike kommt es zu einer “Entzauberung” (ein Heraufkommen von
Rationalität), mit deren Hilfe die Eigenwirksamkeit der Kräfte der Natur und der
Menschen durchschaut wird.
 In der Spätantike setzt dann eine Art “Gegenaufklärung” ein. Gott und der Teufel
als sein “Gegenspieler” bestimmen gänzlich das Geschehen.
 Das Frühmittelalter ist von der “Volksfrömmigkeit” beherrscht. Wo Traditionen
gesammelt und überliefert werden, sind volkstümliche und archaische
Vorstellungen dominierend.
 Im Hochmittelalter entwickelt sich die Scholastik. Die rationale Theologie gewinnt
an Bedeutung. Wichtige Akzente: Rationalisierung, Individualisierung,
Humanisierung. Dementsprechend nehmen Visionen ab.
 Das Spätmittelalter in Europa unterscheidet sich in Zuständen und Mentalität
grundsätzlich vom Hochmittelalter. Wirtschaftliche Krisen führten zu schweren
Hungersnöten, die durch Naturkatastrophen verschärft wurden: Kriege,
Pestwellen, Folter und Hinrichtungen bestimmten das Leben. Zu den Ängsten vor
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
9
Pest, Hunger und Krieg kamen die vor dem Fremden und Unbekannten, vor der
Finsternis und Gespenstern. Noch mehr als bei der Jahrtausendwende dachte
man wieder an ein mögliches baldiges “Ende der Welt”. Die Ängste wurden
besonders durch Wanderprediger, durch das religiöse Theater und die leichtere
Herstellung von Schriften (Buchdruck) geschürt. Einflüsse hatten wohl auch die
bildlichen Gerichts- und Höllendarstellungen in den Kirchen.
VISIONEN
3.1.2 Zwei große Phasen bei den Visionserzählungen
Die erste Phase erstreckt sich vom 6. bis zum frühen 13. Jhd. Dabei war
insbesonders die Zeit des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter durch
allgemeine Unsicherheit (Völkerwanderung, Entstehung neuer Reiche) geprägt.
Visionen werden in dieser Zeitspanne in Briefen, Viten (= Lebensbeschreibungen
bes. von Heiligen), religiös-erbaulichen Schriften sowie in Geschichtsbüchern
erwähnt. Eine eigenständige literarische Gattung “Visionsliteratur” beginnt jedoch erst
mit dem späten 7. Jhd. Die Visionen sind vom 6. Jhd. bis zur Mitte des 12. Jhds. fast
reine Männersache. Es dominiert die Beschreibung von “Räumen”, und es tritt bei
den Ausmalungen realistische Detailfreudigkeit hervor.
Eine Zeitlang laufen beide Phasen parallel. Neues beginnt in der zweiten
Hälfte des 11. Jhds., wird deutlicher im 12. Jhd. und etabliert sich im 13. Jhd. Es ist
die Zeit des Hochmittelalters, in der die Höllenvisionen abnehmen. Das Wesentliche
der Visionen verlagert sich weg von einer “Jenseitsgeographie”, hin zu einem großen
Interesse an Personen und Beziehungen. So ist z. B. die Furcht, von Jesus und den
Himmlischen nicht geliebt zu werden, größer als die Angst vor der Hölle. Vom 13.
Jhd. an werden Visionen vorwiegend von Frauen berichtet. Das Hören gewinnt an
Bedeutung gegenüber dem Schauen.
Und noch ein
Männer
Frauen
Phänomen fällt auf: In
der
“klassischen”
Sehen von Räumen
Sehen und Hören von Personen
Visionsliteratur
ist
und Beziehungen
gewöhnlich nur von
meist eine Vision
viele Visionen in einem Leben
einer einzigen großen
Vision in einem Menschenleben die Rede. Ab der Mitte des 12. Jhds. tritt ein anderer Typ von Visionen
auf den Plan: Gerade bei den Frauen sind in einem Menschenleben oft viele
Hunderte von Visionen zu verzeichnen.
3.1.3 Welche Funktionen haben Visionen?
Um die Funktionen der Visionen zu erschließen, ist es notwendig, die einzelnen
Visionserzählungen genau zu analysieren. Es ist zu beachten, in welchem
Zusammenhang und Milieu sie entstanden sind. Unverkennbar sind oft die
sozialkritischen Inhalte der Visionen. Sehr gut kommt diese kritische Funktion in den
verschiedenen Höllenvisionen zutage. Die Visionäre gehen dabei von einer
Hierarchie der Sünden aus. Welche Sünden an oberster Stelle stehen und daher die
meisten Qualen mit sich bringen, hängt von den jeweiligen Erfahrungen und
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
10
Verfehlungen einer bestimmten Epoche ab. Die Kritik an der Kirche und an
generellen Mißständen in ihr war ebenso bevorzugter Inhalt.
Eine besondere Wirkungsgeschichte haben die im letzten Buch der Bibel
(Offb) geschilderten Visionen. Wie die anderen Apokalypsen ist dieses Buch Resultat
einer “Schreibtischarbeit”. Das heißt: Der Autor möchte seinen Lesern eine
bestimmte Botschaft übermitteln. Zu diesem Zweck greift er damals geläufige Bilder
auf. Er verarbeitet diese in seiner Niederschrift, verändert das Material entsprechend
seiner Absicht und verknüpft es mit anderen Erfahrungen und Elementen aus der
Tradition. Texte, die - wie die Johannesapokalypse - eine (außergewöhnliche)
geschichtliche Erfahrung verarbeiten und deuten, sind in besonderer Weise
zeitgebunden. Man muß daher versuchen, sie aus der Entstehungssituation heraus
zu verstehen und ihre Aussagen in unseren Lebenskontext zu übersetzen.
3.1.4 Visionen, Privatoffenbarungen heute - Was sagt die Kirche?
Auch in unserer Zeit üben Erscheinungen, Visionen und Offenbarungen aller Art eine
Faszination aus. Diese Faszination erklärt sich weitgehend aus den Ängsten,
Schwierigkeiten und Sehnsüchten vieler Menschen - gerade in Umbruchsituationen.
Karl Rahner gibt dabei jedoch zu bedenken: “Dort, wo der übernatürliche, von Gott
gewirkte Ursprung einer Vision behauptet wird, ist diese Behauptung zu beweisen,
nicht vorauszusetzen; der Bejaher, nicht der Zweifler oder Verneiner hat nach allen
Grundsätzen der Theologie die Beweislast.” Besonders verbreitet sind
apokalyptische Botschaften in Zusammenhang mit Marienerscheinungen. Zwei
Beispiele seien hier genannt:
a) Das Geheimnis von Fatima (1917)
Lucia, eines der drei Hirtenkinder von Fatima, bekam 1942 von ihrem Bischof den
Auftrag, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Sie berichtet in diesem Zusammenhang
von einem Geheimnis, das sie im Juli 1917 erfahren haben soll.
Das Geheimnis besteht aus drei verschiedenen Teilen, von denen ich zwei
jetzt offenbaren will. Das erste war die Vision der Hölle. ... Diese Vision dauerte nur
einen Augenblick. ... Dann erhoben wir den Blick zu Unserer Lieben Frau, die voll
Güte und Traurigkeit zu uns sprach: Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der
armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu
meinem Unbefleckten Herzen begründen. Wenn man tut, was ich euch sage, werden
viele Seelen gerettet werden, und es wird Friede sein. Der Krieg geht seinem Ende
entgegen, aber wenn man nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter dem Pontifikat
von Papst Pius XI. ein anderer, schlimmerer beginnen. Wenn ihr eine Nacht von
einem unbekannten Licht erhellt seht, dann wißt, daß dies das große Zeichen ist, das
Gott euch gibt, daß Er die Welt für die Missetaten durch Krieg, Hungersnot,
Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters bestrafen wird.
Um das dritte - unveröffentlichte - Geheimnis ranken sich zahlreiche
Spekulationen. Eine kritische Lektüre der “Botschaft von Fatima” zeigt, daß hier die
Zeugnisse der biblischen Offenbarung verändert und sachlich erweiternde Zusätze
hinzugefügt wurden (z. B. die Parallelisierung der “Herzen” Jesu und Marias). Die
Inhalte dieser Fatima-Geheimnisse sind theologisch oft problematisch, vor allem:
 das Bild eines Gottes, der wegen Sünden beleidigt ist und deswegen (in keinerlei
Verhältnis stehende) ewige Strafen verhängt
 ein Gott, der die Ausführung dieser Qualen von den Opferleistungen dreier Kinder
von 7 bis 10 Jahren abhängig macht
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
11
 das Ignorieren des biblischen Wortes: “Barmherzigkeit (bzw. Liebe) will ich, nicht
Opfer” (Hos 6,6; vgl. Mt 9,13.12,7)
 die vielen Worte beim Beten (vgl. dagegen Mt 6,7)
Wer Bedenken dieser Art vorträgt, erhält zur Antwort, die Botschaft von Fatima könne nur
verstehen, wer bereit sei, “Kind zu bleiben”. Es stellt sich die Frage, ob die Hochschätzung
des Kindseins durch Jesus hier nicht mißverstanden wird. Auch ist zu bedenken, daß gerade
bei vielen psychisch angeschlagenen Menschen die Gefahren von Psychosen und Neurosen
durch derartige Botschaften verstärkt werden können.
b) Botschaft von La Salette (1846)
... Die Gerechten werden sehr leiden; ihre Gebete, ihre Buße, ihre
Tränen werden zum Himmel aufsteigen. Das ganze Volk Gottes wird
nur um Verzeihung und Erbarmen flehen und mich (Maria) um Hilfe
und Fürbitte anrufen. Dann wird Christus durch einen Akt seiner
Gerechtigkeit und seiner Barmherzigkeit für die Gerechten seinen
Engeln befehlen, alle seine Feinde zu töten. Sofort und plötzlich
werden die Verfolger Christi untergehen, und die Erde wird wie eine
Wüste sein. (Oder an anderer Stelle:) Wehe den Priestern und
gottgeweihten Personen, die durch ihr schlechtes Leben meinen
Sohn aufs neue kreuzigen! ... Die Rache lauert schon vor ihrer Türe. Gott ist
vorbereitet, hineinzuschlagen auf eine Art, die ihresgleichen nicht hat ...
Bei der Botschaft von La Salette fällt auf, wie sehr Gottes- und Christusbild in
krassem Gegensatz zu biblischen und theologischen Grundaussagen stehen.
Obwohl die Bibel an einigen Stellen durchaus von einem kriegerischen oder
eifersüchtigen Gott spricht, dürfen diese Aussagen nicht absolut gesetzt werden.
Gottes Gericht, seine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind nicht von Zorn und
Rache her zu verstehen, sondern von seiner heilvollen Liebe.
c) Kritische Prüfung durch die Kirche
Über die kirchlich anerkannten Marienerscheinungen hinaus ist in einschlägigen
Büchern von ca. 900 Erscheinungen die Rede. Daneben gibt es
Privatoffenbarungen, die sich auf Jesus (z. B. Pater Pio, Vassula, ...), auf Engel
(Engelwerk, Michaelsvereinigung, ...) oder andere Heilige berufen. Zunächst ist
festzustellen, daß Privatoffenbarungen möglich sind. Wer sie grundsätzlich leugnen
wollte, müßte auch die Möglichkeit göttlicher Offenbarung überhaupt leugnen.
Privatoffenbarungen können und dürfen aber nicht auf die gleiche Ebene gestellt
werden wie die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus. Wenn die Kirche von
Offenbarung spricht, dann meint sie in erster Linie diese Offenbarung Gottes in Jesus
Christus. In den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es: “Gott hat in
seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis
seines Willens kundzutun: daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene
Wort ... Zugang zum Vater haben ... In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott
aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um
sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.” (Über die göttliche
Offenbarung [Dei Verbum], 1.2)
Nach christlichem Glauben hat Gottes Offenbarung in Jesus Christus ihren
Abschluß gefunden. Nach katholischem Verständnis sind sogenannte
“Privatoffenbarungen”
(z. B. Lourdes, Fatima) zwar möglich, gehören aber nicht zur kirchlichen Glaubensgrundlage
und enthüllen keine neuen “Wahrheiten”.
Schon ein erster Überblick über die große Zahl und die verschiedenen Inhalte
an Privatoffenbarungen, Visionen und Erscheinungen zeigt, wie notwendig hier eine
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
12
Klärung ist. Die Kirche behält sich daher zu jeder Zeit eine strenge Prüfung des
Inhaltes solcher außerordentlichen Vorgänge und der beteiligten Personen vor.
 Für die Prüfung der Personen bedient sie sich der heutigen wissenschaftlichen
Methoden und Einsichten, vor allem aus der Medizin und Psychologie. Was den
Menschen in der Tiefe seiner Existenz so sehr betrifft wie gerade Erscheinungen
oder Visionen, unterliegt subjektiven psychischen Faktoren, aber auch häufig
Täuschungen und Fehlinterpretationen; nicht immer müssen außergewöhnliche
Erlebnisse übernatürlichen Ursprungs sein.
 Die Prüfung des Inhalts der Botschaften und Weisungen erfolgt streng nach
theologischen Maßstäben. Was eindeutig den biblischen Aussagen sowie dem
Glauben und der Lehre der Kirche widerspricht, kann niemals Anspruch auf
Anerkennung in der Kirche finden. Wichtige Kriterien sind die Übereinstimmung
mit dem biblischen Gottesglauben, mit dem neutestamentlichen Jesus-Zeugnis
und dem biblisch-theologischen Schöpfungs- und Erlösungsverständnis.
d) Weite anstelle von Enge: Das Gebet eines jüdischen KZ-Häftlings
In Kontrast zu den meist düsteren Botschaften steht auf beeindruckende Weise das
Gebet eines jüdischen KZ-Häftlings. Es ist ein jüdisches Gebet, das aus einem KZ
überliefert ist und dort gebetet wurde. Obwohl es genügend Gründe dafür gäbe, ist in
ihm nirgendwo von Zorn, Rache und Vergeltung die Rede. Die Güte und Größe
dieser Worte - trotz der unvorstellbaren Grauen des Holocaust - läßt eine göttliche
“Barmherzigkeit und Gerechtigkeit” erahnen, die weit über die Enge der Worte von La
Salette und Fatima hinausgehen.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
13
F
riede sei den Menschen, die bösen Willens sind, und ein Ende sei gesetzt aller Rache
und allem Reden von Strafe und Züchtigung. Aller Maßstäbe spotten die Greueltaten;
sie stehen jenseits aller Grenzen menschlicher Fassungskraft, und der Blutzeugen
sind viele.
Darum, o Gott, wäge nicht mit der Waage der Gerechtigkeit ihre Leiden, daß du sie ihren
Henkern zurechnest und von ihnen grauenvolle Rechenschaft forderst, sondern laß es
anders gelten. Schreibe vielmehr allen Henkern und Angebern und Verrätern und allen
schlechten Menschen zu und rechne ihnen an:
All den Mut und die Seelenkraft der andern, ihr Sichbescheiden, ihre hochgesinnte Würde,
ihr stilles Mühen bei allem, die Hoffnung, die sich nicht besiegt gab, das tapfere Lächeln, das
die Tränen versiegen ließ, und alle Liebe und alle Opfer, all die heiße Liebe.
Alle die durchpflügten, gequälten Herzen, die dennoch stark und immer wieder
vertrauensvoll blieben angesichts des Todes und im Tode, ja auch die Stunden der tiefsten
Schwäche.
Alles das, o Gott, soll zählen vor dir für eine
Vergebung der Schuld als Lösegeld, zählen für eine
Auferstehung der Gerechtigkeit. All das Gute soll
zählen und nicht das Böse.
Und für die Erinnerung unserer Feinde sollen wir nicht
mehr ihre Opfer sein, nicht mehr ihr Alpdruck und
Gespensterschreck, vielmehr ihre Hilfe, daß sie von
der Raserei ablassen.
Nur das heischt man von ihnen, und daß wir, wenn alles vorbei ist, wieder als Menschen
unter Menschen leben dürfen und wieder Friede werde auf dieser armen Erde über den
Menschen guten Willens, und daß der Friede auch über die anderen komme.
 aus: Jörg Zink, Wie wir beten können, Stuttgart-Berlin (Kreuz Verlag).
Anregung: Kennen Sie Menschen, denen verschiedene Visionen besonders wichtig
sind?
Was ist Ihnen bei diesen Menschen aufgefallen?
Was widerspricht in der Botschaft von La Salette Ihrem Gottesbild?
Was beeindruckt Sie am Gebet des jüdischen KZ-Häftlings?
3.2 Weissagungen
Das Bedürfnis, in die Zukunft zu schauen, Kommendes im
voraus zu wissen und das eigene Handeln darauf einstellen zu
können, ist wohl so alt wie die Menschheit. Es gibt keinen
Kulturkreis,
keine
Epoche
der
Frühzeit
der
Menschheitsgeschichte, denen sich nicht irgendeine Form des
Orakelglaubens nachweisen ließe. Die griechische Schule der
Stoiker teilte die Vorausschau in zwei Gruppen:

die kunstlos-natürliche, also Traum und Hellsehen, und

die künstliche, zu der man die Eingeweideschau bei den Das Orakel von Delphi
Opfertieren, die Deutung des Vogelfluges und der Rißbildung
in der Erde rechnete, sowie vor allem die Astrologie.
Der einzelne wie die Sippe und der Staat waren natürlich an Personen oder
Institutionen interessiert, die durch ihre Gabe der Zukunftsschau helfen konnten,
wichtige Entscheidungen richtig und frühzeitig zu treffen. Entsprechend hoch
rangierte daher der Schamane, der Priester, der Prophet oder die Sybille in der
gesellschaftlichen Rangordnung.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
14
Astrologie, Tarot (Karten legen), die Sibyllinischen Weissagungen,
Nostradamus und andere Seher (im deutschsprachigen Raum vor allem Alois
Irlmaier und Jakob Lorber) finden auch gegenwärtig wieder große Beachtung. Sehr
gut zeigen das die hohen Verkaufszahlen einschlägiger Bücher. Ein typisches
Beispiel ist der Bestseller “Nostradamus, Historiker und Prophet” von Jean-Charles
de Fontbrune. Das Interesse an diesem Buch ist seit 1981 sprunghaft angestiegen.
Der Grund: Der Autor versuchte die Weissagungen des Nostradamus mit Hilfe eines
Computers zu entschlüsseln. Er schloß dabei aus dem Nostradamus-Hinweis, daß
1981 in Frankreich das “Jahr der Rose” sein werde, auf einen Wahlsieg der
Sozialisten. Die Sozialisten (mit ihrem Rosen-Symbol) haben unter Mitterand am 10.
Mai 1981 die Wahlen tatsächlich gewonnen.
Sehr bekannt sind auch die Weissagungen von Edgar Cayce. Cayce lebte von
1877-1945 in den USA. Er war Fotograf. Berühmtheit erlangte Cayce durch seinen
“medialen” Schlaf. In diesem “Trancezustand” machte er Aussagen über die Zukunft
(Vulkanausbrüche, Überflutungen, Pol-Verschiebung, das Kommen eines neuen
Zeitalters, ...) oder stellte Ferndiagnosen und machte Therapievorschläge. Die
Befragungen des schlafenden Cayce wurden stenographisch protokolliert. In 43
Jahren sammelten sich so 14.000 Protokolle, die sogenannten “Readings” an. In den
Readings der 30-er Jahre sagte Cayce voraus, daß im Jahre 1998 ein neues
Zeitalter anbrechen werde. Bis 1998 sollte unter anderem auch New York zerstört
werden.
3.2.1 Was Wahrsagern von Propheten unterscheidet
Fälschlicherweise werden Menschen, die (angeblich) in die Zukunft schauen, als
“Propheten” bezeichnet. Diese Wahrsager oder Hellseher nehmen für sich in
Anspruch, die Zukunft zu kennen und bestimmte Ereignisse vorhersagen zu können.
Entgegen dieser Annahme, daß bereits alles festgelegt ist, betont der biblische
Glaube, daß die Zukunft dieser Welt offen ist. Der Mensch
ist berufen, die Welt zu gestalten. Er kann frei und
verantwortungsvoll handeln und entscheiden. Es liegt an
ihm, die Geschichte gut oder schlecht zu gestalten.
Ein Prophet deutet die Gegenwart
Die “Prophetien” der biblischen Propheten sind
dementsprechend
von
den
vorher
genannten
Zukunftsvoraussagen zu unterscheiden. Die Propheten
verstehen sich nicht als Hellseher von etwas bereits
Beschlossenem, sie wollen vielmehr warnen, mahnen und
wachrütteln. Sie verkünden nicht die Zukunft, sondern den
Willen Gottes. Ihre Ankündigungen besagen nicht: “So und
nicht anders wird es geschehen!”, sondern: “So wird es
euch ergehen, wenn ihr nicht dieses tut oder unterlaßt!”
Damit wird in prophetischen Ankündigungen gerade der
freie Wille der Menschen bekräftigt: Der Mensch kann
handeln, wie er will, aber er muß dann auch die Folgen
dieses Handelns tragen; er kann sich - frei - zum Guten
und zum Bösen entscheiden. Der Prophet sieht also nicht
die Zukunft, sondern deutet die Gegenwart!
Angesichts der Aufmerksamkeit, die Weissagungen
bei uns derzeit finden, ist die Auseinandersetzung damit
nicht nur interessant, sondern geradezu unerläßlich. Die
nähere Beschäftigung mit diesem Thema zeigt, daß die
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
15
Versuche, sogenannte Weissagungen als Voraussagen der Geschichte zu deuten, in
sich nicht überzeugend sind.
3.2.2 Nostradamus (1503 - 1566)
Am 14. Dezember 1503 wurde Michael Nostradamus in
Frankreich (Provence) geboren. Wahrscheinlich stammt
er von spanischen Juden ab, die vor der Verfolgung in
Spanien in die Provence flohen. Hier genossen sie
größere Glaubensfreiheit. Der Name Nostradamus
weist darauf hin, daß der Vater in einer Kirche, die
Maria geweiht war, zum katholischen Glauben übertrat
(Notre Dame = Unsere Frau).
Nostradamus studierte zunächst antike Rhetorik
(Redekunst) und widmete sich dem Studium der
Medizin. Er ließ sich in einer Stadt an der Garonne als
Arzt nieder und erwarb sich als Bekämpfer des
Schwarzen Todes (der Pest) großes Ansehen. Als er
seine Frau und seine beiden kleinen Kinder durch
Diphtherie verlor, erlebte er die Machtlosigkeit der
Medizin. Die schrecklichen Erfahrungen, die der junge Arzt mit dem Wüten der Pest
in seiner Zeit machte und die damit verbundenen Schicksalsschläge können als
Gründe für das pessimistische Zukunftsbild des Nostradamus angenommen werden.
1548 ließ er sich in der Nähe von Marseille nieder, nachdem er wieder geheiratet
hatte.
Inzwischen hatte er sich mit okkulten Schriften und der Astrologie beschäftigt.
1553 wurde sein Sohn Cäsar geboren. Diesem Sohn widmete Nostradamus die
ersten sieben Centurien (die Prophezeiungen sind in Vierzeilern niedergeschrieben,
wobei eine Centurie jeweils 100 Vierzeiler umfaßt). Im Vorwort zu seinen
Prophezeiungen schreibt Nostradamus: “An Sohn Cäsar Nostradamus Leben und
Glück! Dein spätes Ankommen, mein Sohn Cäsar Nostradamus, hat mich veranlaßt
niederzuschreiben, was ich seit langem in Nachtwachen zusammengetragen habe.
Nach dem Dahinscheiden Deines Vaters sei es Dir als Vermächtnis hinterlassen.
Was mir durch Gottes Wesenheit und astronomische Konstellationen zur Kenntnis
gebracht wurde, soll zum allgemeinen Nutzen der Menschheit werden ... Das
Schlüsselwort zu den okkulten Prophezeiungen bleibt allerdings in meinem Inneren
verschlossen. Man muß auch in Betracht ziehen, daß die Ereignisse letztlich
ungewiß sind und daß alles regiert und verwaltet wird von der unbegreiflichen Macht
Gottes.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
16
Deutung der Schriften
Die Schriften des Nostradamus wurden immer wieder
nachgedruckt und dienten zahlreichen Deutern als
Grundlage ihrer Zukunftsprognosen. Die verschlüsselte
Sprache ist eine Mischung aus Altfranzösisch, Latein und
Wortneu- und Umbildungen. Neben vielen Symbolen
verwendet
Nostradamus
auch
Anagramme
(Buchstabenspiele), um seine Schriften zu “verdunkeln”. Im
Anagramm NIRA kann man z. B. durch Neuordnung der
Buchstaben das Wort IRAN finden. Das bildet die
Voraussetzung
für
vielfältige
Deutungen
und
Kommentierungen, da oft mehrere sinnvolle Kombinationen
der Buchstaben möglich sind.
Als Beispiel sei hier einer der Vierzeiler erwähnt, der
in diesem Jahrhundert vielfach “angewendet” wurde:
Einverleibt in Großdeutschland wird der Brabant und
Flandern,
Gent, Brügge und Bologne. Der Mann des falschen
Friedens,
der große Führer aus Armenien,
wird Wien und Köln bestürmen.
Manche sahen in diesem Vierzeiler eine klare Voraussage der Bestrebungen Hitlers.
Man muß sich aber auch vor Augen halten, daß der Glaube an solche
“Weissagungen” auch politische Auswirkungen haben kann, das belegt z. B. eine
Tagebuchnotiz des Reichspropagandaministers Josef Goebbels aus dem Jahre
1940: “Ausschlachtung der Nostradamus-Verse in Zusammenarbeit mit
Geheimdienst nach Frankreich und ins neutrale Ausland. Etwas wird’s helfen.” Bis
Mitte 1940 wurden tausende Exemplare einer Nostradamus-Broschüre mit
entsprechender Deutung in Umlauf gebracht.
In einer anderen Deutung nach dem Zweiten Weltkrieg werden diese Verse
auf Stalin und seine vergeblichen Versuche, Wien und Berlin (Cölln - alter Name für
Berlin) zu behalten, gedeutet. Doch diese Interpretationen sind nur zwei aus einer
noch breiteren Palette.
Die verschlüsselte Form der Prophezeiungen macht es möglich, daß vieles
hineingelesen werden kann. Zutreffende Deutungen auf eine bestimmte,
geschichtliche Situation sind dabei jedoch immer erst
Zu-”treffende”
nachträglich möglich, d. h. es wird eine passend erscheinende
Voraussage auf die aktuelle Situation hin ausgelegt. Oft ist es
Deutungen sind
verblüffend, bis in welche Einzelheiten hinein diese
immer erst
Voraussagen zu stimmen scheinen. Wie ist das zu erklären?
nachträglich
Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, daß man im
möglich
nachhinein eine beliebige Aussage auf eine bestimmte
Situation anwenden kann. Darüber hinaus sind die
Voraussagen nicht nur sehr allgemein gehalten, sondern auch chronologisch nicht
geordnet (alles kann zu jeder Zeit passieren). Daher ist es nicht besonders schwierig,
aus 400 Jahren Weltgeschichte eine entsprechend deutbare Situation auszuwählen,
die dann oft in Einzelheiten mit der Voraussage übereinzustimmen scheint.
Die Versuche, anhand der Prophezeiungen die zukünftige Geschichte
vorauszusagen, sind nicht überzeugend. Sie haben sich zum größten Teil als falsch
erwiesen. Daß einige in etwa zutreffen, liegt im Bereich der (statistischen)
Wahrscheinlichkeit. Überraschende geschichtliche Entwicklungen (etwa der Fall des
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
17
eisernen Vorhangs, M. Gorbatschow, die Umgestaltung der UdSSR) konnten nicht
vorausgesehen werden, sondern werden (jetzt wiederum erst im nachhinein) in die
Prophezeiungen hineingelesen. Damit soll Nostradamus nicht als Betrüger und Scharlatan hingeste
ist nicht legitim und wissenschaftlich unmöglich.
3.2.3 Gründe für die Übereinstimmung von Vorausgesagtem und
Eingetretenem
Obwohl die diversen “Prophezeiungen” keineswegs so eindeutig sind, wie man auf
den ersten Blick vermutet, gibt es doch manche Aussagen, die recht präzise
zukünftiges Geschehen vorauszusagen scheinen. Mögliche Erklärungen dafür sind:
Varianten:
Durch die mündliche Überlieferung entstanden verschiedene Varianten.
Davon wurden nur die weitergegeben, die offensichtlich am besten auf eine
bestimmte Situation zutrafen.
Anpassung: Es kann angenommen werden, daß bei der mündlichen Weitergabe
eine unbewußte Anpassung an eine in etwa passende und bereits
gewesene Situation erfolgte.
Reduktion:
Unzutreffende oder unverständliche Aussagen gerieten in
Vergessenheit. Insgesamt sind also nur wenige Sprüche überliefert,
die dann aber “passen”.
Vieldeutigkeit: Viele Aussagen sind vieldeutig bzw. allgemein und lassen sich auf
verschiedene Situationen deuten.
Nachtrag:
Es ist damit zur rechnen, daß manche Aussagen nachträglich
geprägt wurden (z. B. ist die Prophezeiung zur Mondfahrt den
Prophezeiungen
des
bayrischen
Sehers
“Müllhiasl”
erwiesenermaßen nachträglich hinzugefügt worden).
3.3 Astrologie
Seit ihrem Entstehen im ersten
vorchristlichen Jahrtausend bis ins 16.
Jhd. waren Astrologie und Astronomie
praktisch das gleiche. Die Stellung der
Planeten und die Gesetze ihrer
Bewegung wurden genützt, um die
Bahnen
der
Wandelsterne
vorauszuberechnen. Den Planeten und
ihrer Stellung zueinander wurden
Auswirkungen auf den Menschen
zugeschrieben. So versuchte man entsprechend den vorausberechenbaren
Bahnen der Gestirne - auch das künftige
Schicksal der Menschen zu deuten.
Die Planeten wurden je nach ihrer
Farbe und Bewegung mit alten mythischen Göttergestalten identifiziert und nach
ihnen benannt (Jupiter, Mars, ...). Deren Eigenschaften wurden auf die Planeten
übertragen und dann als bestimmend für den Menschen betrachtet.
Ab dem 16. Jhd. entwickelte sich die Astronomie zu einer exakten
Naturwissenschaft, die auf mathematisch-physikalischen Grundlagen aufbaute. Die
Astrologie (also die vermeintliche Beeinflussung der Lebewesen durch die Planeten)
aber blühte “daneben” immer wieder, besonders in Kriegs- und Krisenzeiten.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
18
3.3.1 Vulgärastrologie
Jede/r kennt diese Form der Astrologie und begegnet ihr in Tages-, Wochen- oder
Jahresvorhersagen in Zeitungen und Zeitschriften. Hier wird die Menschheit in 12
Gruppen entsprechend den Sternkreiszeichen eingeteilt, und es werden in
Horoskopen meist sehr allgemein gehaltene Vorhersagen gemacht. Diese Art wird
nicht nur von den Gegnern der Astrologie, sondern auch von Anhängern seriöserer
Astrologie abgelehnt. Einige Kennzeichen vulgärer Astrologie sind:
 Fatalismus
Vulgäre Astrologie ist vor allem “fatalistisch” geprägt, indem sie künftige Ereignisse als
nur von außen und oben Verhängtes vorauszuwissen sucht. So verleugnet sie
menschliche Willensfreiheit und lähmt verantwortliches Handeln.
 Illusionen
Mit ihrer Rede vom Glück des einzelnen stellt sich vulgäre Astrologie in den Dienst einer
banalen und illusionären Wunschbefriedigung und Leidvermeidung. Es wird ein
vordergründiges Glücksverlangen mit stereotyp wiederkehrenden Glücks- und
Unglücksprognosen angesprochen.
 Mechanismus
Die Aussagen sind derart allgemein formuliert, daß sie einer subjektiven
Interpretation bedürfen. So können sich selbst-erfüllende Prophezeiungen
entstehen, denen besonders ich-schwache Menschen zum Opfer fallen.
Beispiel: Wird jemand in solch einem Horoskop vor Beleidigungen gewarnt (und
glaubt er daran), so kann es durchaus sein, daß er sich gerade deshalb
besonders überempfindlich und mißtrauisch verhält. Auf diese Weise kann er
genau das “vorhergesagte” Verhalten provozieren.
3.3.2 Das Geburtshoroskop
In Unterschied zur oberflächlichen Vulgärastrologie benötigen seriöse
Astrologen Geburtsort, Geburtsdaten und die genaue Geburtszeit. Auf
dieser Grundlage erstellen sie ein individuelles Horoskop zur Zeit der
Geburtsstunde, wobei in das Horoskop-Formular z. B. der Stand der
Tierkreiszeichen und der Planeten in den “Häusern” eingetragen wird.
Der Blick in die Sterne ist abgelöst vom Blick in die Listen.
Aufgrund seiner Berechnungen und der damit verbundenen
Deutungen glaubt der Astrologe Aussagen machen zu können über das
überdauernde Charaktergefüge eines Menschen, über seine Stärken
und Schwächen.
3.3.3 “Wie oben, so unten”?
Grundvoraussetzung von Astrologie ist die Annahme, daß es eine
Entsprechung zwischen “Oben” und “Unten” gibt. Diese Entsprechung ist
wissenschaftlich jedoch nicht nachweisbar. Das astrologische Motto “wie oben, so
unten” scheint auf den ersten Blick sehr logisch und leicht nachvollziehbar zu sein.
Im konkreten Fall erweist sich das Verstehen und die Deutung dieser Oben-UntenAnalogie aber als äußert kompliziert. So besteht die Horoskop-Struktur (= das
astrologische “Oben”) aus zahlreichen ungleichwertigen Einzelelementen,
zusammengefügt nach Regeln, die als solche kaum einsichtig und überprüfbar sind.
Die Astrologie, um in einem Bild zu sprechen, gleicht einem
uralten, schon sehr baufälligen Tempel, an dem im Laufe der Das “Oben”
Jahrhunderte viele Baumeister herumgeflickt haben. Das astrologische Lehrgebäude
ist wie ein Gemisch von Gesteinsarten aus verschiedenen geologischen Epochen, in
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
19
dem Altes und Neues, Mythos und Wissenschaft, physikalische und psychologische
Erkenntnisse zusammengekleistert wurden.
Ebenso kompliziert und schwer faßbar wie das horoskopische
“Oben” stellt sich beim sorgsamen Betrachten auch das Das “Unten”
entsprechende personhafte “Unten” dar. Es fügt sich zusammen im Verlauf der
aktuellen Begegnung zweier Menschen (Astrologe und Klient) mit ihrer eigenen
vielschichtigen Vergangenheit und undurchsichtigen Gegenwart.
3.3.4 Biblische Astrologie?
Jede/r kennt wohl die “berühmtesten” Sterndeuter in der Bibel, die uns unter dem
irreführenden Namen “Heilige drei Könige” in der Weihnachtszeit begegnen. Beim
Evangelisten Mattäus findet sich die Schriftstelle: “Als Jesus zur Zeit des Herodes in
Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach
Jerusalem ...” (Mt 2,1), bezugnehmend auf das Alte Testament: “Ich sehe ihn, aber
nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein
Zepter erhebt sich in Israel ...” (Num 24,17). In der Erzählung in Mt 2 stehen aber
nicht Sterndeuter im Zentrum, sondern der (wahre) König der Juden. Und dieser
König wird verehrt - sogar von Heiden! Darum - so lädt dieser Text die Leserinnen
und Leser ein - beuge auch du das Knie vor diesem König.
In der biblischen Offenbarungsreligion des AT und NT
hatte Astrologie durchaus ihren Platz. Die Wiege der
Astrologie ist das nahegelegene Zwischenstromland,
umgeben von Euphrat und Tigris. Von hier aus hat die
Astrologie unter hellenistischem Einfluß im ganzen
Mittelmeerraum und bis nach Indien und China Ausbreitung
gefunden. Der Blick zum Sternenhimmel hat zu allen Zeiten
und an allen Orten das menschliche Gemüt beeindruckt.
Tagesanbruch und Sonnenaufgang, sternenübersäter
Nachthimmel und Wechsel der Mondphasen waren auch in
vielen Kulturen Anknüpfungspunkte für religiöse Gefühle und
Überlegungen.
Im Unterschied zu Religionen der Antike sind aber für
Erschaffung der Gestirne
die Bibel die Sterne keine selbständigen Wesen oder Götter.
Freiburger Münster, 14. Jhd.
Der gläubige Mensch sieht sich in eine Welt hineingestellt, in
der Gottes schöpferische Weisheit ordnend wirkt. So sind die Tierkreisdarstellungen
in jüdischen Synagogen Zeugnis der gläubigen Hoffnung, daß Gott der Herr der
Geschichte ist. Sie sind Ausdruck eines Glaubens, der nicht die Gestirne für Götter
hält, sondern “beim Anblick der Werke den Meister” erkennt (Weish 13ff). In der
Umgebung der biblischen Länder war die Astrologie von Bedeutung (religiöse
Orakelkunst in Assyrien und Babylonien), und so begegnet man auch in der Bibel
den Sterndeutern (Jes 47,13f: “Du hast dir große Mühe gemacht mit deinen vielen
Beratern; sollen sie doch auftreten und dich retten, sie, die den Himmel deuten und
die Sterne betrachten, die dir an jedem Neumond verkünden, was kommt”; vgl. Dan
2,2). Auch in der christlichen Kunst gibt es Darstellungen, wo z. B. die 12 Apostel in
der christlichen Kunst den 12 Tierkreiszeichen zugeordnet sind.
Zusammenfassend gesagt spielt die Astrologie aber in der Bibel keine
bedeutende Rolle. Im Galaterbrief wird sogar von einer gefährliche Versuchung für
den Glauben gesprochen, wenn der Glaube an die Sterne den Menschen zum
Sklaven der Elementarmächte macht (vgl. Gal 4,8ff: “Warum achtet ihr so ängstlich
auf Tage, Monate, bestimmte Zeiten und Jahre?”).
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
20
3.3.5 Kritische Würdigung
Vom Blick in die Zukunft kann bei der seriösen Astrologie nicht mehr die Rede sein. Das
Horoskop dient in gegenwärtigen Anwendungsformen vielmehr zur Aufhellung der eigenen
Persönlichkeit, zum Bewußtmachen der Stärken und Schwächen. Diese anspruchsvolle Art
hat nichts zu tun mit Vulgärastrologie (in Zeitungen und auf Jahrmärkten), Biorhythmen und
esoterischer Astrologie.
Das gilt es positiv zu würdigen:
Das gilt es kritisch zu bedenken:
Es gibt eine ernstzunehmende Anwendung mit
deutlich therapeutischem Ansatz. In deren
Zentrum steht die Frage: Wer bin ich? Was kann
ich aus meinem Leben machen? Wo liegen
meine Stärken und Schwächen? Und diese
Fragen nach dem Charakter, nach den
Grundbedingtheiten einer bestimmten
Persönlichkeit werden in gewissen
astrologischen Horoskopen psychologisch sehr
differenziert und gut beantwortet.
Es gibt eine Art Astrologie, welche sich - oft in
großen Inseraten - hauptsächlich mit
Wahrsagung, Zukunftsdeutung und
Glücksversprechen anbietet. Sie zielt
unverkennbar auf die finanzielle Ausbeutung der
Ratsuchenden. Wahrscheinlich erwarten aber die
Konsumenten jener Astrologie auch kaum
therapeutische Hilfe, bei welcher sie selber aktiv
mitarbeiten müßten, sondern eher magische
Wirkung, Nutzen und Gewinn.
Astrologie will die Verbundenheit mit dem
Kosmos und seiner Ordnung bewußtmachen. Sie
hat damit seit jeher eine Nähe zur Religion. Dies
ist auch der tiefere Grund, weshalb die Kirche
immer ein ambivalentes Verhältnis zur
Astrologie hat.
Astrologie, auch jene der anerkannt hohen
Schulen, beantwortet nicht die Fragen nach dem
Iebensschaffenden Ursprung und der
lebenserhaltenden Mitte des Kosmos, die Frage
nach Gott. Sie gibt keine Antwort auf die letzten
Fragen.
Auch aus christlichem Glauben heraus ist es
unbestritten, daß jeder Mensch mit ganz eigenen
Grundbedingungen zur Welt kommt. Diese
Vorgaben sind unaustauschbar und prägen das
Leben. Sowohl nach christlichem Glauben wie
nach astrologischem Verständnis gilt es, mit
diesen Talenten und Begrenzungen klug und
verantwortungsvoll umzugehen.
Im Christentum weist die Vorstellung von
Vorsehung und Schicksal auf die Offenheit für
das Unberechenbare im Leben hin. Die
Astrologie hingegen geht sehr weit in ihrem
Glauben an die Berechenbarkeit für das Leben in
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die
meisten astrologischen Richtungen basieren auf
der Reinkarnationslehre (= Lehre von der
Wiedergeburt). So gesehen erzeugt Astrologie
den Eindruck von Religionsersatz.
Ein Horoskop als Charakter-Spiegel kann einem
offenen und wachen Menschen helfen, sich
selber besser anzunehmen - das Starke, Helle
und Schöne genauso wie das Dunkle und
Schwere.
Astrologie kann zum Aberglauben verführen:
Das Ausschauhalten nach astrologischen
Prognosen kann leicht in Erwartungsangst,
zwanghafte Abhängigkeit und Fatalismus führen
- bis zum Eintreten der sich selbst erfüllenden
Prophezeiungen! Verantwortung wird
abgeschoben und falsche Sicherheit wird
gesucht, die es nicht gibt.
Im Zusammenleben mag die nähere gegenseitige
Kenntnis des Horoskops dazu beitragen, die
Mitmenschen besser zu verstehen und ihnen zu
helfen.
Das Wissen, wie z. B. ein Widder-Mensch zu
sein hat, kann dazu verführen, Mitmenschen
lieblos einzuordnen und zu beurteilen, ja sie
sogar zu beherrschen und auszunutzen.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
21
Es ist ein grundlegendes menschliches
Bedürfnis, sich ein Bild über die Zukunft zu
verschaffen und Vorsorge zu treffen. Eine Stärke
der Astrologie liegt im großen Anteil an Intuition
und assoziativer Logik. Das Horoskop kann als
Meditationsbild für Lebensbesinnung und
Beratung hilfreich benutzt werden.
Problematisch präsentiert sich die Astrologie seit
jeher mit dem Anschein der Wissenschaftlichkeit
- wegen des imposanten mathematischen
Berechnungssystems und des
astrophysikalischen Erklärungszusammenhangs.
Auf diesem Hintergrund können astrologische
Zukunftsprognosen bei heutigen Menschen
übermächtig Druck erzeugen.
Anregung: Was halten Sie von Weissagungen?
Lesen Sie Horoskope in Zeitungen und Zeitschriften?
Warum würde Sie Ihr Geburtshoroskop (nicht) interessieren?
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gefahren bei Leuten, die sich gerne
auf Horoskope verlassen?
4.
Weltende und Endzeitberechnungen
Die Vorstellung vom Weltende findet sich - wenn auch in
jeweils eigener Form - in jeder Religion. Sie spielt auch bei den
verschiedenen apokalyptischen Bewegungen und Sekten eine
zentrale Rolle. Was jedoch wissen wir Christen über das Ende
der Welt wirklich? Können wir etwas über den Zeitpunkt des
Weltuntergangs sagen?
4.1 Bilder vom Weltende und deren Entstehungshintergrund
Sinn und Zweck der Apokalyptik ist es, ein Urteil über die geschichtliche Welt, gerade
auch über jeweils aktuelle politische und gesellschaftliche Verhältnisse, zu fällen. Die
Aussagen werden meist mit Hilfe von Bildern gemacht.
Bei den sehr alten apokalyptischen Bildern handelt es sich nicht um
“Zukunftsreportagen”. Sie beruhen vielmehr auf
Keine Berichte über
unmittelbaren Erfahrungen: Feuerbrände, Erdbeben,
Flut, Vulkanausbrüche, Dürre, Meteoriten, Kometen, zukünftige Ereignisse
Sonnen- und Mondfinsternis, Seuchen.
“Untergänge” verschiedenster Art (in der Natur, in Gesellschaft und Politik, im
eigenen Leben und im religiösen Bereich) sind Bestandteil der Wirklichkeit und des
Lebens. Aber es gibt bestimmte geschichtliche Situationen, in denen sich diese
Untergangserfahrungen verdichten und daher mit größerer Sensibilität
wahrgenommen werden. Das führt nicht selten zur Erwartung der großen
endzeitlichen Katastrophe. Dabei werden die angesprochenen Erfahrungen von
“kleinen” Untergängen ins Große, Kosmische übertragen.
Die einzelnen Motive werden weitererzählt, verarbeitet, miteinander
verflochten und variiert. Die Bilder sind vieldeutig; sie können daher für ganz
verschiedene Situationen verwendet werden. Insbesondere malen die mythischen
Bilder den krassen Unterschied zwischen der gegenwärtigen und der erwarteten Welt
aus: böse - gut, Finsternis - Licht, schlafen - wachen, verdorren - erblühen, Tod Geburt, unrein - rein.
Obwohl diese Endzeit-Bilder in der Vergangenheit verfaßt wurden, vermuteten
immer wieder Menschen darin Aussagen über zukünftiges Geschehen, und so
wurden Berechnungen angestellt.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
22
4.2 Endzeitberechnungen: Von
Daniel bis zu den Zeugen
Jehovas
Das Gottesreich:
Überwindung des “Bestialischen”
Von der christlichen Frühzeit an durch
das Mittelalter hindurch bis in die heutige Zeit versuchten und versuchen Theologen,
Prediger und Sektenführer, das Ende der Welt zu berechnen. Man nahm dazu alle
möglichen biblischen Aussagen zu Hilfe, vor allem natürlich das letzte Buch der
Bibel, aber auch zahlreiche aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen des Alten
Testaments.
4.2.1 Das Monarchien-Bild im Buch Daniel: Ein Schema der vier
Weltreiche
Eine der wichtigsten Aufgaben der jüdisch-christlichen Apokalyptik ist es, in
schwierigen Zeiten der Bedrängnis zum treuen Durchhalten und zum Glauben zu
ermutigen. Zu diesem Zweck versuchen die Apokalyptiker, das eigentliche Ziel der
Geschichte zu “enthüllen” (Apo-kalypse = Ent-hüllung). Sie blicken mit den Augen
ihres Glaubens auf das Ende der Geschichte und auf das bisher Geschehene. So
können sie die Gegenwart deuten.
Ein interessanter Versuch, die Geschichte zu ordnen, Perioden, Epochen und
Zeiten zu unterscheiden, begegnet uns im Buch Daniel (Kapitel 2 und 7). Im
Hintergrund stehen hier die Erfahrungen der Juden im 2. Jhd. v.Chr. Aufgrund der
erlebten massiven inneren und äußeren Bedrohungen (Besetzung des Landes,
Abfall vieler Juden vom Glauben und vom bisherigen Lebensstil, Verfolgung) besitzt
für Daniel eine Frage besondere Dringlichkeit: Wem gehört die Weltherrschaft, die
Macht?
Mit Hilfe seiner Vision von den vier Tieren und vom Menschensohn gibt er
Antwort. Im siebenten Kapitel (7,1-28) schildert Daniel, wie aus dem Meer vier Tiere
aufsteigen (Löwe mit Adlerflügeln, Bär, Panther mit vier Flügeln und ein Tier mit
großen Zähnen aus Eisen und 10 Hörnern). Diese vier Tiere symbolisieren vier
Weltreiche: Babylonier - Meder - Perser - Seleukiden. Die Leser des Danielbuches
sind vom vierten Weltreich bedroht: Dieses ist hart wie Eisen und frißt, zertritt und
zermalmt alle Lande.
Der Gott des Himmels wird jedoch trotz dieser Macht sein Königreich
aufrichten. Er wird die Reiche zerstören und selbst ewig bleiben. Charakteristisch für
das Gottesreich sind aber nicht mehr “tierische” und kalt-metallene (= bedrohliche)
Züge. Es ist vielmehr das “menschliche Reich des Menschensohnes”, das dem “Volk
der Heiligen des Höchsten” gegeben werden wird. Daniel spendet damit Trost und
Hoffnung.
4.2.2 Die Endzeitberechnung des Julius Africanus (3. Jhd. n.Chr.)
Julius setzt die Weltgeschichte parallel zur Schöpfungswoche: für einen Tag bei der
Schöpfung stehen 1.000 Jahre Weltgeschichte. Das 1000-jährige Messias-Reich wird
mit dem Sabbat, also dem siebten Tag, gleichgesetzt. Jesus ist nach seinen
Berechnungen im Jahre 5500 nach der Erschaffung der Welt geboren; damit wird der
Beginn des Friedensreiches für das Jahr 500 n. Chr. erwartet.
Das Schema von den sieben Zeitaltern fand er in der rabbinischen Tradition.
Hier wurden die 7 Schöpfungstage auf die sieben Zeitalter der Geschichte
übertragen. Sind symbolisch 1.000 Jahre “wie ein Tag”, dann dauert die Geschichte
der Welt von der Schöpfung bis zum Ende 6.000 Jahre. Danach soll der endzeitliche
und ewige Sabbat kommen.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
23
4.2.3 Joachim von Fiore (1130 - 1204)
Im 12. Jhd. nehmen die gesellschaftlichen und kirchlichen Verfallserscheinungen zu:
Der Streit um das Verhältnis von Kirche und Staat sowie von Kaiser und Papst
erreicht seinen Höhepunkt. Die Wahl von Gegenpäpsten spaltet die Kirche.
Kreuzzüge finden statt mit verheerenden Folgen. Die Armutsbewegungen entstehen
als Protest gegen eine reiche Feudalkirche.
Joachim (italienischer Theologe, Mönch und Ordensgründer) entwirft ein
Gegenbild zu den ungeordneten Verhältnissen seiner Zeit: Er vertritt auf der einen
Seite eine sehr kritische Sicht der Institution Kirche. Zugleich stellt er die Geschichte
als sinnvolles und geordnetes Geschehen dar. Joachim glaubt einen versteckten
prophetischen Sinn der Bibel und damit ein neues Verständnis von Geschichte
entdeckt zu haben. Seine “Voraussagen” sind das Ergebnis dieser Schriftauslegung.
Er versteht die Geschichte als Aufstieg durch drei Zeitalter und datiert seine eigene
Zeit in die Endphase des 2. Zeitalters, kurz vor Beginn des 1000-jährigen
messianischen Reiches. Er erhofft einen qualitativen Sprung in der Geschichte und
nicht schon deren Ende (Zeitalter des HI. Geistes).
Das Schema von den drei Zeitaltern ist somit ein Bild des positiven
Fortschritts, nicht des apokalyptischen Umsturzes der Macht. Es wurde seit Beginn
der “modernen Welt”, besonders im 19. Jhd., in immer neuen Varianten auf die
Gegenwart angewendet (z. B. Auguste Comte, Karl Marx).
Dauer
Charakterisierung Ordnung
Fixdaten
1. Zeitalter Zeitalter
des
Vaters
1260 v. Chr. Zeit Israels und des Verheira- 42 Generationen
bis zur
AT (“Gesetz”)
tete
(42 x 30 = 1260
Zeitenwende
Jahre) bis Jesus
(Geburt Jesu)
2. Zeitalter Zeitalter Zeitenwende Zeit der Kirche und Kleriker
beginnt mit
des
bis 1260 n.
des Evangeliums
Inkarnation und
Sohnes
Chr.
endet mit Parusie
3. Zeitalter Zeitalter 1260 bis 2260 Zeit der Mystik und Mönche
1000-jährige
des
der Meditation
(die Welt
Herrschaft
als
Christi, die Kirche
Heiligen
allumfass
existiert nicht
Geistes
endes
mehr; endet mit
Zisterzien- dem Jüngsten
serGericht und dem
Kloster)
Beginn der
Herrschaft Gottes
4.2.4 Die Zeugen Jehovas und das Jahr 1914
Die Zeugen Jehovas sind wohl die bekannteste und größte apokalyptisch geprägte
Religionsgemeinschaft. Gegründet wurden die Zeugen Jehovas gegen Ende des
letzten Jahrhunderts in Nordamerika von Charles Taze Russel (1852 - 1916).
Ursprünglich erwarteten Russel und seine Anhänger die Wiederkunft Christi für das
Jahr 1914. Darauf sollte die Errichtung des 1000-jährigen Reiches erfolgen. Nach der
Enttäuschung im Jahr 1914 wurden neue Berechnungen angestellt und immer
wieder neue, nahe bevorstehende Termine genannt (z. B. 1915, 1916, 1918, 1925).
Zuletzt wurde die Wiederkunft Christi für 1975 erwartet. Nach der 1996 erneut
abgeänderten Lehrmeinung der Wachtturmgesellschaft wird kein bestimmter
Zeitpunkt mehr angegeben.
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
24
Bezüglich des Jahres 1914 gibt es von seiten der Zeugen Jehovas die These,
daß in jenem Jahr die Wiederkunft Christi unsichtbar erfolgte, daß Christus also
schon unsichtbar über sein Reich herrscht. Die Kriege, Seuchen, Katastrophen der
Gegenwart sind “Waffen des Satans” und gelten als Zeichen dafür, daß der
Endkampf begonnen hat.
607 v. Chr
= lt. Zeugen Jehovas Zeitpunkt der Zerstörung Jerusalems
 2520 Jahre
= “7 Zeiten” (Dan 4,16.32) = 7 x 360 Tage
 Diese 2520 Tage sind 2520 Jahre, weil nach Num 14,34
für einen Tag ein Jahr gerechnet wird.
=
1914 n. Chr.
(eigentlich käme das Jahr 1913 heraus)
==========
Selbstverständlich ist diese Art und Weise, einzeln aus dem Zusammenhang gerissene
Zitate zu kombinieren, der Bibel völlig unangemessen.
Rösselsprungmethode der
Darüber hinaus stürzt die ganze konstruierte
Berechnung in sich zusammen, da man aus der
Wachtturmgesellschaft
Forschung weiß, daß die Zerstörung Jerusalems erst in
das Jahr 587 zu datieren ist.
4.2.5 St. Michaelsvereinigung
Das Weltende spielt auch in zahlreichen katholischen Gruppierungen eine große
Rolle. Nicht selten wird aber dabei die Rede vom Ende der Zeit zu einer “Drohrede”.
Die eigenen Mitglieder sollen dadurch getröstet werden. So z. B. in der Botschaft 55
der St. Michaelsbruderschaft: “Ihr (die Mitglieder) dürft die Gewißheit haben, als die
Glücklichen gerettet zu werden ...”. Allerdings kündigt die Mutter Gottes darin - sehr
kirchenkritisch - an: “Wenn nicht rasch ein Umdenken in den Kirchen stattfindet,
könnt ihr das Geburtsfest meines Sohnes nicht mehr in Frieden feiern.” Oder die
Botschaft vom 31.3.1988: “Mit großer Kraft lasse ich meinen müde gewordenen Arm
auf die sündige Welt niederfallen und löse mein Versprechen, das schon zu meinen
Jüngern gesprochen wurde, ein ... Wer jedoch die Stimme des Propheten hört und
glaubt, seinen Sinn nach Gottes Willen ausrichtet, in großer Demut seine Knie beugt
und Buße tut, den läßt Gott nicht verderben.”
4.2.6 Warum Endzeitberechnungen faszinieren?
Die Bedeutung und Faszination von Endzeitberechnungen liegt darin, daß sie
Gewißheit zu vermitteln scheinen. Die Geschichte wird dabei in verschiedene
Phasen gegliedert; sie wird so durchschaubar; und man erlangt Gewißheit darüber,
in welcher Zeit man lebt. Die Zukunft verliert ihren bedrohlichen, unbestimmten
Charakter, denn sie ist vorhersagbar, und der Mensch weiß, auf welches Ziel sie
hinläuft.
Je unsicherer die Gegenwart dem Menschen erscheint, etwa durch Kriege,
Verfolgungen und Seuchen, desto dringender versucht er, sich Gewißheit über den
Sinn und das Ziel der Geschichte zu verschaffen.
4.3 Was sagt die
Prognosen?
Theologie
zu
apokalyptischen
Endzeit-
Das eigentliche theologische Problem bei den verschiedenen Berechnungen und
Einteilungen (in 3 oder 4 Reiche bzw. in 2 Weltzeitalter) liegt in der Annahme, daß es einen
vorgefaßten Plan Gottes gäbe. Diesen Plan könnten Menschen in der Bibel oder in den
Sternen entschlüsseln. Demgegenüber gilt es zu betonen: Wenn Gott - wie die Bibel bezeugt
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
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- der Herr der Geschichte ist, dann gibt er seine Verheißungen weder an “Heils- oder
Geschichtspläne” noch an Sterne oder ähnliches ab. Alles bleibt in seiner Hand.
Eine vorausgeplante Geschichte
Der Mensch ist keine Marionette,
(Leben, Ereignisse, Entwicklungen) würde
sondern Gottes Ebenbild.
vor allem der menschlichen Freiheit
widersprechen. Die Freiheit und Personwürde des Menschen liegt aber gerade darin
begründet, sein Leben, die Welt und die Geschichte selber zu gestalten. Die Bibel
drückt das mit dem Satz aus, daß der Mensch Ebenbild Gottes ist. Die Bilder vom
Gericht unterstreichen den Ernst und die große Chance dieser gestalterischen
Eigenverantwortung.
 Christliche Theologie gibt demnach keine apokalyptischen Prognosen. Sie will vor
allem eine Theologie der Hoffnung sein, die sich an Menschen richtet, die ihr
Leben zu bewältigen und zu gestalten haben.
 Die Theologie lehrt nicht, wie der moderne Fortschrittsglaube, daß in Zukunft alles
immer besser werde. Ebensowenig lehrt sie, wie die moderne Apokalyptik, daß in
Zukunft alles immer schlechter werde.
 Sie will vielmehr Augen öffnen, langen Atem und Mut zum gestalterischen
Durchhalten geben, Perspektiven und Orientierung schenken.
Anregung: “Wenn morgen die Welt untergehen würde, würde ich heute noch ein
Apfelbäumchen pflanzen”, so hat Martin Luther einmal gesagt. Was
würden
Sie
tun?
Welche Ereignisse machen es für Sie schwer zu glauben, daß Gott alles
und alle in der Hand hat?
Was (Wer) gibt Ihrem Leben Kraft und Hoffnung?
Wie sehr christlicher Glaube von der Hoffnung lebt, zeigt ein im Anschluß an Psalm
126 formulierter Text von Martin Gutl:
W
enn Gott uns heimführt aus den Tagen der Wanderschaft,
uns heimbringt aus der Dämmerung in sein beglückendes Licht,
das wird ein Fest sein!
Da wird unser Staunen von neuem beginnen.
Wir werden Lieder singen, Lieder, die Welt und Geschichte umfassen.
Wir werden singen, tanzen und fröhlich sein,
denn er führt uns heim: Aus dem Hasten in den Frieden,
aus der Armut in die Fülle.
Wenn Gott uns heimbringt aus den engen Räumen,
das wird ein Fest sein!
Und die Zweifler werden bekennen: Ihr Gott tut Wunder!
Er macht die Nacht zum hellen Tag; er läßt die Wüste blühen!
Wenn Gott uns heimbringt aus den schlaflosen Nächten,
aus den fruchtlosen Reden, aus den verlorenen Stunden,
aus der Jagd nach dem Geld, aus der Angst vor dem Tod,
aus dem Kampf, aus der Gier,
das wird ein Fest sein!
Wenn Gott uns heimbringt, das wird ein Fest sein!
LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung
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Wir werden einander umarmen und zärtlich sein.
Es werden lachen nach Jahren der Armut, die Hunger gelitten.
Es werden singen nach langen unfreien Nächten,
die von Mächten Gequälten.
Es werden tanzen die Gerechten,
die auf Erden kämpften und litten für eine bessere WeIt.
Das wird ein Fest sein!
LITERATURLISTE
Stefan Schlager, Apokalyptik I - Theologische und biblische Impulse für Erwachsenenbildung
und Verkündigung, Linz 1997, 100 Seiten, S 100,-Stefan Schlager, Apokalyptik II - Gestaltungsvorschläge und Material für 4/5 Themenabende, Linz 1997, 60 Seiten, S 100,-Siegfried Böhringer, Astrologie, Kosmos und Schicksal, Mainz 1990 (Grünewald-Verlag), 160
Seiten, S 181,-Beckers Hermann-Josef - Kohle Helmut (Hgg), Kulte, Sekten, Religionen, Augsburg 1994
(Pattloch-Verlag), 381 Seiten, S 398,-Kramer Margret, Apokalypse, Bildungswerk der Erzdiözese Freiburg 1993, 64 Seiten,
S 60,--
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