Apokalyptik Die Offenbarung des Johannes ist immer wieder ein Stein des Anstoßes und erregt Unverständnis. Apokalyptik ist aber keineswegs nur in der Bibel zu finden. Dieser Kurs beleuchtet das Thema Apokalyptik von verschiedenen Blickrichtungen und quer durch die Geschichte. Der Schwerpunkt liegt selbstverständlich auf der biblischen Apokalyptik, und hier wieder auf der Offenbarung des Johannes. Inhalt: Weissagungen, Visionen, Astrologie, Endzeitberechnungen Apokalyptik im Laufe der Geschichte Das Buch Daniel Endzeithoffnungen zur Zeit Jesu Die Offenbarung des Johannes Sendschreiben, Visionen, Gericht, ... Am Ende der Zeit ... Sollten wir jetzt Ihr Interesse geweckt haben, stellen wir Ihnen den ersten Teil des Kurses als Leseprobe zur Verfügung. Gerne können Sie sich bei uns für diesen Kurs auch anmelden. Der Kursbeitrag (Unterlagen + Kursbetreuung) beträgt 35€. Apokalyptik 1 1. Aussendung: WEISSAGUNGEN VISIONEN ASTROLOGIE ENDZEITBERECHNUNGEN 1. Einleitung 2 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 Apokalyptik - Was ist das? Begriffsklärung 3 Grundzüge der Apokalyptik 3 Kennzeichen von Apokalyptik und apokalyptischer Literatur Anliegen apokalyptischer Literatur 5 3 3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.3 Visionen, Weissagungen, Astrologie Visionen 6 Visionsfreudige und visionsarme Zeiten 7 Zwei große Phasen bei Visionserzählungen 8 Welche Funktionen haben Visionen? 8 Visionen, Erscheinungen, Privatoffenbarungen - Was sagt die Kirche? 8 Weissagungen 11 Was Propheten von Wahrsagern unterscheidet 12 Nostradamus (1503 - 1566) 13 Gründe für die Übereinstimmung von Vorhergesagtem und Eingetretenem Astrologie 15 Vulgärastrologie 15 Das Geburtshoroskop 16 Wie oben, so unten 16 Biblische Astrologie? 16 Kritische Würdigung 17 4. 4.1 4.2 4.3 Endzeitberechnungen Bilder vom Weltende 19 Endzeitberechnungen: Von Daniel bis zu den Zeugen Jehovas 19 Was sagt die Theologie zu apokalyptischen Endzeitprognosen? 22 Kursleitung: Herausgeber: Erstellung: Büro: 4. Auflage: 4 5 14 19 Mag. Ursula Pichler Dr. Franz Kogler Mag. Helga Haider und Mag. Stefan Schlager Michaela Helletzgruber, Claudia Außerwöger November 1999 LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 3 1. Einleitung Jahrhundertwechsel waren immer Zeiten, an die Menschen besondere - teils optimistische, teils pessimistische - Empfindungen und Erwartungen knüpften. So wird es auch mit dem kommenden Jahrhundert- bzw. Jahrtausendwechsel sein. Das Interesse an Astrologie, Endzeitankündigungen oder Weissagungen (z. B. Nostradamus) ist groß. Nicht nur im religiösen, auch im “profanen” Bereich (Ökologie, Politik, Medien, ...) gibt es Denkmuster und Schreckensvisionen, die Menschen als “apokalyptisch” bezeichnen. Damit wollen die Menschen ihre Ängste, ihre Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht ausdrücken. Im Fernkurs Apokalyptik sollen diese Phänomene beschrieben werden. Es soll deutlich werden, daß Apokalyptik eine Denkweise ist, die zu bestimmten Zeiten im Laufe der Geschichte immer wieder auftauchte. Ein wesentlicher Teil des Kurses wird sich mit apokalyptischen Schriften der Bibel beschäftigen. Dabei werden das alttestamentliche Buch Daniel und vor allem die Offenbarung des Johannes besonders eingehend behandelt werden. Die Offenbarung des Johannes wirft immer wieder Fragen auf und ist für viele ein Stein des Anstoßes und erregt Unverständnis. Eine unserer Kursteilnehmerinnen meinte dazu: “Ein Fernkurs über die Offenbarung würde mich persönlich sehr interessieren. Ich habe sie einmal gelesen, und ich betone einmal, denn sie hat mir große Angst gemacht. Sicher deshalb, weil ich sie nicht verstehen und deuten konnte, denn ich bin überzeugt, daß uns die Bibel keine Angst machen möchte.” Viele der Leserinnen und Leser dieses Fernkurses haben vielleicht ähnliche Beweggründe, sich mit dem Thema Apokalyptik näher zu befassen. Um die Schriften der Bibel besser zu verstehen, ist es eine große Hilfe, über Zeit und Umstände ihrer Entstehung Bescheid zu wissen. So betont auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962 - 1965): “Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muß der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig ... nach dem Sinn forschen, den der Verfasser aufgrund einer ganz bestimmten Lage, seiner Zeit und Kultur entsprechend, mit Hilfe der damals üblichen literarischen Art hat ausdrücken wollen und wirklich zum Ausdruck gebracht hat.” (Über die göttliche Offenbarung [Dei Verbum], 111.12) Besonders die Zeit zwischen 165 v. Chr. und 90 n. Chr. ist im Raume Palästinas von apokalyptischen Strömungen geprägt. So hat die Apokalyptik sowohl auf späte Schriften des AT als auch auf manche Schriften des NT einen nicht unwesentlichen Einfluß. Wenn auch viele der apokalyptischen Schriften nicht in den Kanon der Heiligen Schrift (die Bibel, wie wir sie jetzt vorfinden) aufgenommen wurden, so wurden sie dennoch hoch geschätzt und immer wieder gelesen. Für einen guten Zugang zur apokalyptischen Literatur ist es wichtig zu fragen, aus welcher politischen und geistesgeschichtlichen Situation heraus sie entstanden ist. Daran anschließend ergibt sich die Frage, zu welchem Zweck sie geschaffen wurde und worin die besondere Absicht des Verfassers liegt und was seine Botschaft ist. Vielleicht gelingt es durch diesen Kurs, eine Vorstellung von der Atmosphäre zu vermitteln, aus der heraus und in die hinein apokalyptische Schriften produziert wurden und werden. So könnten auch Wege eröffnet werden, die Sprache der Apokalyptik, ihre Bilder, ihre Aufgabe und Botschaft - in ihrer Zeitbedingtheit, zugleich aber auch in ihrer Zeitlosigkeit - besser zu deuten und zu verstehen. Dieser Kurs möchte auch Anregungen geben, um mit dem zentralen Inhalt der Apokalyptik, nämlich der Angst, besser umgehen zu lernen. Bekanntlich hängt das Angstmachen sehr eng mit dem Ausnützen von Macht zusammen. Auf dieses - auch heute aktuelle - Thema soll wiederholt aufmerksam gemacht werden. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 4 Anregung: Was war für Sie der Grund, diesen Kurs zu machen? Was fällt Ihnen zum Stichwort “Apokalyptik” ein? Halten Sie einige Stichwörter möglichst schriftlich fest. Gibt es für Sie außer Jahrtausendwende noch Gründe, warum die Apokalyptik in aller Munde ist? 2. Apokalyptik - Was ist das? Grundsätzlich sollte bei der Apokalyptik zwischen der weit verbreiteten profanen Apokalyptik und der religiösen Apokalyptik unterschieden werden. Während die profane Apokalyptik den Blick gespannt auf (mögliche) Katastrophen richtet und verängstigt, ist es das Ziel der biblischen Apokalyptik zu trösten, Mut zu machen, Halt und Kraft in einer bedrängten Welt zu geben. 2.1 Begriffsklärung Der griechische Begriff “apokálypsis” meint Offenbarung, Aufdeckung, Enthüllung von Verborgenem. Inmitten der Wirrnisse sollen Menschen den Blick für das Wesentliche (neu) entdecken bzw. nicht verlieren. Es geht um einen Einblick in die Mächte der Welt, in die Herrschaft Gottes, das eigentliche Ziel der Geschichte, die Rettung der Treuen und um die Deutung von Leid. Die Schriften, die solches aufdecken und sich dabei auf göttliche Offenbarung berufen, werden dementsprechend als “Apokalypsen” bezeichnet. apokálypsis = Offenbarung, Aufdeckung, Enthüllung von Verborgenem Apokalyptik = geistige Strömung, Denk- und Hoffnungsweise, die den schwierigen und bedrohlichen Weltenlauf deutet und das rettende Eingreifen Gottes (= Weltende) erwartet. Apokalypse = Schrift, die sich mit endzeitlichen Ereignissen befaßt 2.2 Grundzüge der Apokalyptik Die Apokalyptik ist ein Krisenphänomen. In ihr finden sich folgende Grundzüge: Pessimismus: Die Welt ist in sich schlecht, es besteht keine Hoffnung auf eine Besserung der irdischen Verhältnisse. Sie ist daher zum Untergang bestimmt. Da der Untergang eine von Gott schon beschlossene Sache ist, kann er unmöglich abgewendet oder gar verhindert werden. Diese (schlechte) Welt ist endgültig zum Scheitern verurteilt. Das einzig Mögliche und Sinnvolle ist die Rettung von “gerechten” und “wahren” Gläubigen. Determinismus: Der Ablauf der Geschehnisse ist festgelegt und unabänderlich. Der Mensch kann nicht in den Geschichtsablauf eingreifen. Dualistische Sicht - die alte Welt ist schlecht, die neue Welt ist gut Die jetzige Welt (alter Äon) wird durchwegs negativ gesehen - völlig gegensätzlich zur zukünftigen Welt. Die Gegenwart wird vom Bösen beherrscht (z. B. Gottlosigkeit, Verfall der Sitten). Durch die Sünde ist ein endgültiger, radikaler Bruch eingetreten. Es gibt kein göttliches Heil mehr in dieser Geschichte. Nur mehr eine neue Zukunft kann Glück und Harmonie bringen. Die Apokalyptik erwartet daher das Heil durch das von Gott sehr bald gesetzte Ende dieses “Äons”. Gott allein also beendet “diese Welt” und schafft eine ganz neue. Der Übergang zum Neuen, Kommenden, von Gott allein Verfügten geschieht nicht kontinuierlich, sondern unter Katastrophen und durch Abbruch. Auch werden LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 5 diese kommenden Endereignisse meist für die nächste Zukunft erwartet (Naherwartung). Diese Ungeduld der apokalyptischen Naherwartung wird durch die Nöte der Gegenwart hervorgerufen. Unter diesen Voraussetzungen ist verständlich, daß der Apokalyptiker der irdischen Welt grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Politische Resignation auf der einen Seite und Revolution auf der anderen drücken beide auf ihre Weise diese völlige Negation der erfahrenen Geschichte aus; nur ein Ausbrechen aus ihr kann noch Heil bringen. Da die Geschichte nicht mehr gestaltbar ist, hat der Apokalyptiker die Funktion eines “Zuschauers” (Visionen, Deutungen). Während Propheten mit ihrer Botschaft die Menschen zur Umkehr und zu neuem Handeln in der jetzigen Situation bewegen wollen, beinhaltet die Botschaft des Apokalyptikers keinen direkten Handlungsauftrag (mehr). 2.3 Kennzeichen von Apokalyptik und apokalyptischer Literatur Autor: Die jetzige Zeit ist schlecht. Gottes Geist wirkt nicht mehr. Deshalb treten die Autoren von Apokalypsen unter Pseudonymen (= wichtige Persönlichkeiten, die aber schon seit längerer Zeit verstorben sind) auf. Um Anerkennung zu finden und wegen größerer Glaubwürdigkeit, schrieben die Verfasser unter Namen von bekannten Persönlichkeiten der Frühzeit (z. B. Abraham, Mose, oder in christlichen Schriften unter Namen der Apostel). Bezug zur Geschichte: Bereits geschehene Geschichte wird in die Gestalt von Weissagungen gebracht. Wenn der Leser z. B. eine Weissagung über das vergangene Jahr liest und eine Übereinstimmung mit dem Geschehenen feststellt, wird er auch leichter Weissagungen für die kommenden Jahre für glaubwürdig halten. So wird versucht, durch diese Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit noch größere Überzeugungskraft zu erzielen. Dies fasziniert vor allem dann, wenn es um Aussagen um das Ende der Welt geht. Art der Offenbarung: Die Schriften enthalten visionäre (aus dem Lateinischen: video = sehen) Berichte über Träume, Ekstasen oder Entrückungen. Im Unterschied dazu enthält die klassische Prophetie meist nur Wortoffenbarungen, Auditionen (aus dem Lateinischen: audio = hören). Bildersprache: Die häufigste Offenbarungsform der Apokalyptik ist die Vision und dem entsprechend sind die Texte oft reich an Bildern. Viele davon sind der unmittelbaren Erfahrung entnommen: Feuerbrände, Erdbeben, Flut, Vulkanausbrüche, Dürre, Meteoriten, Kometen, Mond- und Sonnenfinsternis, Seuchen. Auch die Erfahrung des Todes, der Vergänglichkeit, von Gewalt und Unterdrückung gehören dazu. Diese Erfahrung von “kleinen” Untergängen werden - aufgrund der erlebten Krisensituation - ins Große, Kosmische übertragen. So entstehen Bilder vom Weltenbrand, von der Sintflut, welche die ganze Erde bedeckt, von herabstürzenden Gestirnen usw. Geschichtliche Erfahrungen, wie Kriege und Untergänge von Reichen und Kulturen, prägen ebenfalls die Vorstellung vom Weltende. Die Bildersprache der Apokalyptik ist reich an Zahlen, Tieren, Orten und Farben, die in symbolischer Weise gebraucht werden und zu deuten sind. Ein LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 6 Beispiel ist hier die Zahl 666 in der Offenbarung des Johannes (Offb 13,18). In der hebräischen Sprache werden Zahlenwerte durch Buchstaben ausgedrückt (A = 1, B = 2,...). Daher hatte jedes Wort und jeder Name einen bestimmten Zahlenwert. Mit 666 kann Nero (Der zur Zeit der Niederschrift der Apokalypse um 95 n. Chr. regierende Kaiser Domitian wurde oft als “wiedergeborener Nero” bezeichnet.) gemeint sein. Christengegnern war die Verschlüsselung meist unbekannt, so bedeutete diese Symbolsprache Schutz vor Anfeindungen. Was in der Vision geschaut wird, ist oft undeutlich und zusammenhangslos. Daher bedarf es der Deutung. Diese wird häufig durch einen Deute-Engel gegeben. 2.4 Anliegen der apokalyptischen Literatur Die Denkweise der Apokalyptik ist Ausdruck von Bedrohung, menschlicher Überforderung, Enttäuschung und Entmutigung. Zugleich spiegelt sich in ihr aber auch die Sehnsucht nach Sicherheit, Rettung und Heil. Die Apokalyptiker versuchen, ihr Leiden an dieser Welt durch phantastische Ausmalungen des Jenseits, der Herrlichkeit der Seligen und der Qualen der Gottlosen auszugleichen. So steht im Mittelpunkt der Apokalyptik eigentlich nicht die Zukunft, sondern der Versuch, die Gegenwart zu deuten und zu bewältigen. Apokalyptik ist ein Krisenphänomen, das besonders in Zeiten politischnationaler, geistesgeschichtlicher und sozialer Umbrüche auftritt. Sie ist Reaktion auf den Zerfall religiöser und gesellschaftlicher Strukturen. Nicht zuletzt haben diese Schriften die Aufgabe, einerseits lau und lax gewordene Gläubige wachzurütteln und andererseits die durch die Verfolgung Bedrohten zum Durchhalten zu motivieren. Das Grundanliegen apokalyptischer Schriften ist seelsorglicher Natur. Sie wollen den durch Verfolgung und Not in Bedrängnis geratenen Gläubigen Trost spenden, ihnen Mut machen, sie stärken. Apokalyptische Schriften wollen Menschen in existenzieller Not sagen, was der Wille Gottes ist, worin der Sinn der Geschichte, der Zweck der gläubigen Berufung und die Aufgabe des Lebens liegt. In dieser Art die menschliche Glaubensexistenz zu interpretieren, ist apokalyptische Literatur zugleich faszinierend und ernüchternd. Mit Hilfe ihrer phantastischen Visionen konfrontiert sie die Leser mit der schwierigen Wirklichkeit, der Unzulänglichkeit und dem Ende. Anregung: Was sind für Sie apokalyptische Zustände? Was macht Ihrer Meinung nach die Apokalyptik so faszinierend? Fallen Ihnen Bilder aus Ihrer Phantasie oder Ihren Träumen ein, die Sie apokalyptisch nennen würden? 3. Visionen, Weissagungen, Astrologie In Zeiten wachsender Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ist die Bereitschaft vieler groß, auf wunderbare und außergewöhnliche Botschaften und Weisungen zu hören. Vor allem jene Botschaften, die mit einer Vision verbunden sind (werden), finden offene Ohren. Besonders häufig berufen sich endzeitlich-ausgerichtete Gruppierungen auf Visionen. Die damit zusammenhängenden Botschaften haben im allgemeinen folgenden Inhalt: Die Welt ist schlecht und von Grund auf verdorben. Sie LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 7 wird bald in einem von Gott herbeigeführten Strafgericht enden. Wer sich retten will, muß bestimmten Anweisungen folgen. Gott selbst, Jesus, ein Engel, Maria oder andere Heilige, die in solchen Visionen angeblich erscheinen, werden als Garanten für die Rechtgläubigkeit der Visionäre und ihrer Anhänger angeführt. Damit haben diese zugleich eine vermeintlich unangreifbare Position inne. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den jeweiligen Personen und deren Botschaften wird damit schwierig bzw. unmöglich. Visionen in der biblischen Apokalyptik: In bezug auf die Visionen in der biblischen Apokalyptik gilt es zu bedenken: Innerhalb des Judentums basiert die Entstehung der Apokalyptik auf der Erfahrung extremer religiöser wie nationaler Bedrohung. Die damalige schwierige Gegenwart wurde als Zeit des Gerichtes oder des Zornes Gottes angesehen. In diesem Zusammenhang und in diesem Interesse entstand jene neue apokalyptische Literatur, die den Anspruch erhob, Kenntnis vom Gericht, von der Auferstehung und von den ewigen Strafen zu haben, kurz: visionäre Einblicke in Gottes Pläne und Vorausbestimmungen zu genießen. Vor allem mit Hilfe der Schreckensvisionen deuten die Apokalyptiker ihre Zeit. In den himmlischen Visionen verdichten sie ihre Hoffnung auf Gottes rettendes Kommen. Außerbibilische Visionen: Auch im Laufe der 2000-jährigen Geschichte des Christentums kommen immer wieder Visionärinnen und Visionäre vor. Ein bekannter Visionär ist der HI. Paul vom Kreuz. Dieser schreibt in einem Brief: “Wisse, daß von all den Visionen und Auditionen ..., die ich selbst gehabt habe, nur ein kleiner Teil wahr und gut gewesen ist”. Ja, er sagt sogar: “... unter hundert, ja vielleicht tausend dieser artikulierten Auditionen sind kaum eine oder zwei wahr”. Die Gefahr von Täuschungen bzw. Selbsttäuschungen wird von Meistern des geistlichen Lebens als nicht gering eingeschätzt. So schreibt der Jesuit A. Poulain, daß selbst bei frommen und normalen Menschen drei Viertel ihrer Visionen gutgemeinte, harmlose, aber eben doch Täuschungen seien. Die kirchliche Beurteilung von außergewöhnlichen Ereignissen reicht demnach von großer Akzeptanz (z. B. Lourdes/Bernadette; Fatima/die drei Hirtenkinder) bis zur entschiedenen Ablehnung (z. B. Engelwerk/Gabriele Bitterlich; Christusbotschaften der Vassula Ryden). 3.1 Visionen und Visionäre Das Wort “Vision” kommt aus dem Lateinischen (video = sehen). Visionen sind psychische Erlebnisse, in denen natürlicherweise Nicht-Sichtbares (Gott, Engel, ...) sowie zukünftige Ereignisse “gesehen” werden. Dieses bildhafte Sehen im Wach- oder Trancezustand ist oft nicht klar vom Traum unterscheidbar. Visionen sind eine typische Form des Offenbarungsempfangs bei Apokalyptikern. Eine Vision liegt vor, wenn ein Mensch das Erlebnis hat: aus seiner Umwelt auf außernatürliche Weise in einen anderen Raum versetzt zu werden daß er diesen Raum als beschreibbares Bild schaut daß diese Versetzung in Ekstase (oder im Traum) geschieht daß ihm dadurch Verborgenes offenbar wird Bei Visionen muß mit vielfachen Täuschungsmöglichkeiten gerechnet werden. Eine ist die Halluzination (Trugwahrnehmung ohne entsprechenden äußeren Sinnesreiz), LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 8 eine andere die Illusion (Wahrnehmungsverfälschung durch Umgestaltung der Sinneseindrücke). Umstritten ist auch die Frage, wie groß der Anteil von eigentlich Krankhaftem an den Inhalten der Visionen ist. Von der Tiefenpsychologie her wissen wir, daß z. B. in Höllenvisionen unbewußte Ängste, archetypische Schreckensbilder, Äußerungen eines Selbstzerstörungstriebes u. ä. ins Bewußtsein drängen und nach Heilung rufen. Auch die Ängste, die Menschen angesichts der Bedrohungen der Natur verspüren, können in Visionen eingebracht werden. Menschen, die ihre Visionen beschreiben, bewegen sich in dem ihnen vertrauten Weltbild. Die geschauten “Räume” (Himmel, Hölle, ...) passen zu den entsprechenden Vorstellungen der Welt. Das Geschaute wird in schon bekannten Modellen und Begriffen “untergebracht”. Die (zunächst einfache) religiöse Bildung, die Zeitsituation und der Erfahrungshorizont spielen eine große Rolle. So liegt z. B. die Hölle bei Höllenvisionen (die auf dem ptolemäischen Weltbild beruhen) im Innersten der Erde. Eine andere Anschauung findet sich beim ägyptischen Mönch Kosmos Indikopleustes. Hier ist die Erde eine Scheibe, die vom Meer umschlossen und vom Himmel überwölbt wird. Am sogenannten Ende der Welt würden alle Gerechten die Erde verlassen und in den Himmel ziehen. Die Erde ist dann wüst und leer: Als solche ist sie die Hölle der Verdammten. Im Zentrum der “WeIt” steht die Geozentrisches Weltbild Ptolemäus (2 Jhd. n.Chr.) Heliozentrisches Weltbild Kopernikus (15. Jhd. n. Chr.) 3.1.1 Visionsfreudige und visionsarme Zeiten Im Laufe der Geschichte ist eine “Wellenbewegung” zu beobachten, in der visionsfreudige und visionsarme Zeiten einander abwechseln. Die einfachen Kulturen, die vor der eigentlichen Antike gegeben waren, sahen in religiöser Hinsicht die Ereignisse und Schicksale von Welt und Menschen durch Götter und Dämonen, gute und böse Geister bestimmt. In der Antike kommt es zu einer “Entzauberung” (ein Heraufkommen von Rationalität), mit deren Hilfe die Eigenwirksamkeit der Kräfte der Natur und der Menschen durchschaut wird. In der Spätantike setzt dann eine Art “Gegenaufklärung” ein. Gott und der Teufel als sein “Gegenspieler” bestimmen gänzlich das Geschehen. Das Frühmittelalter ist von der “Volksfrömmigkeit” beherrscht. Wo Traditionen gesammelt und überliefert werden, sind volkstümliche und archaische Vorstellungen dominierend. Im Hochmittelalter entwickelt sich die Scholastik. Die rationale Theologie gewinnt an Bedeutung. Wichtige Akzente: Rationalisierung, Individualisierung, Humanisierung. Dementsprechend nehmen Visionen ab. Das Spätmittelalter in Europa unterscheidet sich in Zuständen und Mentalität grundsätzlich vom Hochmittelalter. Wirtschaftliche Krisen führten zu schweren Hungersnöten, die durch Naturkatastrophen verschärft wurden: Kriege, Pestwellen, Folter und Hinrichtungen bestimmten das Leben. Zu den Ängsten vor LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 9 Pest, Hunger und Krieg kamen die vor dem Fremden und Unbekannten, vor der Finsternis und Gespenstern. Noch mehr als bei der Jahrtausendwende dachte man wieder an ein mögliches baldiges “Ende der Welt”. Die Ängste wurden besonders durch Wanderprediger, durch das religiöse Theater und die leichtere Herstellung von Schriften (Buchdruck) geschürt. Einflüsse hatten wohl auch die bildlichen Gerichts- und Höllendarstellungen in den Kirchen. VISIONEN 3.1.2 Zwei große Phasen bei den Visionserzählungen Die erste Phase erstreckt sich vom 6. bis zum frühen 13. Jhd. Dabei war insbesonders die Zeit des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter durch allgemeine Unsicherheit (Völkerwanderung, Entstehung neuer Reiche) geprägt. Visionen werden in dieser Zeitspanne in Briefen, Viten (= Lebensbeschreibungen bes. von Heiligen), religiös-erbaulichen Schriften sowie in Geschichtsbüchern erwähnt. Eine eigenständige literarische Gattung “Visionsliteratur” beginnt jedoch erst mit dem späten 7. Jhd. Die Visionen sind vom 6. Jhd. bis zur Mitte des 12. Jhds. fast reine Männersache. Es dominiert die Beschreibung von “Räumen”, und es tritt bei den Ausmalungen realistische Detailfreudigkeit hervor. Eine Zeitlang laufen beide Phasen parallel. Neues beginnt in der zweiten Hälfte des 11. Jhds., wird deutlicher im 12. Jhd. und etabliert sich im 13. Jhd. Es ist die Zeit des Hochmittelalters, in der die Höllenvisionen abnehmen. Das Wesentliche der Visionen verlagert sich weg von einer “Jenseitsgeographie”, hin zu einem großen Interesse an Personen und Beziehungen. So ist z. B. die Furcht, von Jesus und den Himmlischen nicht geliebt zu werden, größer als die Angst vor der Hölle. Vom 13. Jhd. an werden Visionen vorwiegend von Frauen berichtet. Das Hören gewinnt an Bedeutung gegenüber dem Schauen. Und noch ein Männer Frauen Phänomen fällt auf: In der “klassischen” Sehen von Räumen Sehen und Hören von Personen Visionsliteratur ist und Beziehungen gewöhnlich nur von meist eine Vision viele Visionen in einem Leben einer einzigen großen Vision in einem Menschenleben die Rede. Ab der Mitte des 12. Jhds. tritt ein anderer Typ von Visionen auf den Plan: Gerade bei den Frauen sind in einem Menschenleben oft viele Hunderte von Visionen zu verzeichnen. 3.1.3 Welche Funktionen haben Visionen? Um die Funktionen der Visionen zu erschließen, ist es notwendig, die einzelnen Visionserzählungen genau zu analysieren. Es ist zu beachten, in welchem Zusammenhang und Milieu sie entstanden sind. Unverkennbar sind oft die sozialkritischen Inhalte der Visionen. Sehr gut kommt diese kritische Funktion in den verschiedenen Höllenvisionen zutage. Die Visionäre gehen dabei von einer Hierarchie der Sünden aus. Welche Sünden an oberster Stelle stehen und daher die meisten Qualen mit sich bringen, hängt von den jeweiligen Erfahrungen und LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 10 Verfehlungen einer bestimmten Epoche ab. Die Kritik an der Kirche und an generellen Mißständen in ihr war ebenso bevorzugter Inhalt. Eine besondere Wirkungsgeschichte haben die im letzten Buch der Bibel (Offb) geschilderten Visionen. Wie die anderen Apokalypsen ist dieses Buch Resultat einer “Schreibtischarbeit”. Das heißt: Der Autor möchte seinen Lesern eine bestimmte Botschaft übermitteln. Zu diesem Zweck greift er damals geläufige Bilder auf. Er verarbeitet diese in seiner Niederschrift, verändert das Material entsprechend seiner Absicht und verknüpft es mit anderen Erfahrungen und Elementen aus der Tradition. Texte, die - wie die Johannesapokalypse - eine (außergewöhnliche) geschichtliche Erfahrung verarbeiten und deuten, sind in besonderer Weise zeitgebunden. Man muß daher versuchen, sie aus der Entstehungssituation heraus zu verstehen und ihre Aussagen in unseren Lebenskontext zu übersetzen. 3.1.4 Visionen, Privatoffenbarungen heute - Was sagt die Kirche? Auch in unserer Zeit üben Erscheinungen, Visionen und Offenbarungen aller Art eine Faszination aus. Diese Faszination erklärt sich weitgehend aus den Ängsten, Schwierigkeiten und Sehnsüchten vieler Menschen - gerade in Umbruchsituationen. Karl Rahner gibt dabei jedoch zu bedenken: “Dort, wo der übernatürliche, von Gott gewirkte Ursprung einer Vision behauptet wird, ist diese Behauptung zu beweisen, nicht vorauszusetzen; der Bejaher, nicht der Zweifler oder Verneiner hat nach allen Grundsätzen der Theologie die Beweislast.” Besonders verbreitet sind apokalyptische Botschaften in Zusammenhang mit Marienerscheinungen. Zwei Beispiele seien hier genannt: a) Das Geheimnis von Fatima (1917) Lucia, eines der drei Hirtenkinder von Fatima, bekam 1942 von ihrem Bischof den Auftrag, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Sie berichtet in diesem Zusammenhang von einem Geheimnis, das sie im Juli 1917 erfahren haben soll. Das Geheimnis besteht aus drei verschiedenen Teilen, von denen ich zwei jetzt offenbaren will. Das erste war die Vision der Hölle. ... Diese Vision dauerte nur einen Augenblick. ... Dann erhoben wir den Blick zu Unserer Lieben Frau, die voll Güte und Traurigkeit zu uns sprach: Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen begründen. Wenn man tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet werden, und es wird Friede sein. Der Krieg geht seinem Ende entgegen, aber wenn man nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter dem Pontifikat von Papst Pius XI. ein anderer, schlimmerer beginnen. Wenn ihr eine Nacht von einem unbekannten Licht erhellt seht, dann wißt, daß dies das große Zeichen ist, das Gott euch gibt, daß Er die Welt für die Missetaten durch Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters bestrafen wird. Um das dritte - unveröffentlichte - Geheimnis ranken sich zahlreiche Spekulationen. Eine kritische Lektüre der “Botschaft von Fatima” zeigt, daß hier die Zeugnisse der biblischen Offenbarung verändert und sachlich erweiternde Zusätze hinzugefügt wurden (z. B. die Parallelisierung der “Herzen” Jesu und Marias). Die Inhalte dieser Fatima-Geheimnisse sind theologisch oft problematisch, vor allem: das Bild eines Gottes, der wegen Sünden beleidigt ist und deswegen (in keinerlei Verhältnis stehende) ewige Strafen verhängt ein Gott, der die Ausführung dieser Qualen von den Opferleistungen dreier Kinder von 7 bis 10 Jahren abhängig macht LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 11 das Ignorieren des biblischen Wortes: “Barmherzigkeit (bzw. Liebe) will ich, nicht Opfer” (Hos 6,6; vgl. Mt 9,13.12,7) die vielen Worte beim Beten (vgl. dagegen Mt 6,7) Wer Bedenken dieser Art vorträgt, erhält zur Antwort, die Botschaft von Fatima könne nur verstehen, wer bereit sei, “Kind zu bleiben”. Es stellt sich die Frage, ob die Hochschätzung des Kindseins durch Jesus hier nicht mißverstanden wird. Auch ist zu bedenken, daß gerade bei vielen psychisch angeschlagenen Menschen die Gefahren von Psychosen und Neurosen durch derartige Botschaften verstärkt werden können. b) Botschaft von La Salette (1846) ... Die Gerechten werden sehr leiden; ihre Gebete, ihre Buße, ihre Tränen werden zum Himmel aufsteigen. Das ganze Volk Gottes wird nur um Verzeihung und Erbarmen flehen und mich (Maria) um Hilfe und Fürbitte anrufen. Dann wird Christus durch einen Akt seiner Gerechtigkeit und seiner Barmherzigkeit für die Gerechten seinen Engeln befehlen, alle seine Feinde zu töten. Sofort und plötzlich werden die Verfolger Christi untergehen, und die Erde wird wie eine Wüste sein. (Oder an anderer Stelle:) Wehe den Priestern und gottgeweihten Personen, die durch ihr schlechtes Leben meinen Sohn aufs neue kreuzigen! ... Die Rache lauert schon vor ihrer Türe. Gott ist vorbereitet, hineinzuschlagen auf eine Art, die ihresgleichen nicht hat ... Bei der Botschaft von La Salette fällt auf, wie sehr Gottes- und Christusbild in krassem Gegensatz zu biblischen und theologischen Grundaussagen stehen. Obwohl die Bibel an einigen Stellen durchaus von einem kriegerischen oder eifersüchtigen Gott spricht, dürfen diese Aussagen nicht absolut gesetzt werden. Gottes Gericht, seine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind nicht von Zorn und Rache her zu verstehen, sondern von seiner heilvollen Liebe. c) Kritische Prüfung durch die Kirche Über die kirchlich anerkannten Marienerscheinungen hinaus ist in einschlägigen Büchern von ca. 900 Erscheinungen die Rede. Daneben gibt es Privatoffenbarungen, die sich auf Jesus (z. B. Pater Pio, Vassula, ...), auf Engel (Engelwerk, Michaelsvereinigung, ...) oder andere Heilige berufen. Zunächst ist festzustellen, daß Privatoffenbarungen möglich sind. Wer sie grundsätzlich leugnen wollte, müßte auch die Möglichkeit göttlicher Offenbarung überhaupt leugnen. Privatoffenbarungen können und dürfen aber nicht auf die gleiche Ebene gestellt werden wie die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus. Wenn die Kirche von Offenbarung spricht, dann meint sie in erster Linie diese Offenbarung Gottes in Jesus Christus. In den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es: “Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun: daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort ... Zugang zum Vater haben ... In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.” (Über die göttliche Offenbarung [Dei Verbum], 1.2) Nach christlichem Glauben hat Gottes Offenbarung in Jesus Christus ihren Abschluß gefunden. Nach katholischem Verständnis sind sogenannte “Privatoffenbarungen” (z. B. Lourdes, Fatima) zwar möglich, gehören aber nicht zur kirchlichen Glaubensgrundlage und enthüllen keine neuen “Wahrheiten”. Schon ein erster Überblick über die große Zahl und die verschiedenen Inhalte an Privatoffenbarungen, Visionen und Erscheinungen zeigt, wie notwendig hier eine LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 12 Klärung ist. Die Kirche behält sich daher zu jeder Zeit eine strenge Prüfung des Inhaltes solcher außerordentlichen Vorgänge und der beteiligten Personen vor. Für die Prüfung der Personen bedient sie sich der heutigen wissenschaftlichen Methoden und Einsichten, vor allem aus der Medizin und Psychologie. Was den Menschen in der Tiefe seiner Existenz so sehr betrifft wie gerade Erscheinungen oder Visionen, unterliegt subjektiven psychischen Faktoren, aber auch häufig Täuschungen und Fehlinterpretationen; nicht immer müssen außergewöhnliche Erlebnisse übernatürlichen Ursprungs sein. Die Prüfung des Inhalts der Botschaften und Weisungen erfolgt streng nach theologischen Maßstäben. Was eindeutig den biblischen Aussagen sowie dem Glauben und der Lehre der Kirche widerspricht, kann niemals Anspruch auf Anerkennung in der Kirche finden. Wichtige Kriterien sind die Übereinstimmung mit dem biblischen Gottesglauben, mit dem neutestamentlichen Jesus-Zeugnis und dem biblisch-theologischen Schöpfungs- und Erlösungsverständnis. d) Weite anstelle von Enge: Das Gebet eines jüdischen KZ-Häftlings In Kontrast zu den meist düsteren Botschaften steht auf beeindruckende Weise das Gebet eines jüdischen KZ-Häftlings. Es ist ein jüdisches Gebet, das aus einem KZ überliefert ist und dort gebetet wurde. Obwohl es genügend Gründe dafür gäbe, ist in ihm nirgendwo von Zorn, Rache und Vergeltung die Rede. Die Güte und Größe dieser Worte - trotz der unvorstellbaren Grauen des Holocaust - läßt eine göttliche “Barmherzigkeit und Gerechtigkeit” erahnen, die weit über die Enge der Worte von La Salette und Fatima hinausgehen. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 13 F riede sei den Menschen, die bösen Willens sind, und ein Ende sei gesetzt aller Rache und allem Reden von Strafe und Züchtigung. Aller Maßstäbe spotten die Greueltaten; sie stehen jenseits aller Grenzen menschlicher Fassungskraft, und der Blutzeugen sind viele. Darum, o Gott, wäge nicht mit der Waage der Gerechtigkeit ihre Leiden, daß du sie ihren Henkern zurechnest und von ihnen grauenvolle Rechenschaft forderst, sondern laß es anders gelten. Schreibe vielmehr allen Henkern und Angebern und Verrätern und allen schlechten Menschen zu und rechne ihnen an: All den Mut und die Seelenkraft der andern, ihr Sichbescheiden, ihre hochgesinnte Würde, ihr stilles Mühen bei allem, die Hoffnung, die sich nicht besiegt gab, das tapfere Lächeln, das die Tränen versiegen ließ, und alle Liebe und alle Opfer, all die heiße Liebe. Alle die durchpflügten, gequälten Herzen, die dennoch stark und immer wieder vertrauensvoll blieben angesichts des Todes und im Tode, ja auch die Stunden der tiefsten Schwäche. Alles das, o Gott, soll zählen vor dir für eine Vergebung der Schuld als Lösegeld, zählen für eine Auferstehung der Gerechtigkeit. All das Gute soll zählen und nicht das Böse. Und für die Erinnerung unserer Feinde sollen wir nicht mehr ihre Opfer sein, nicht mehr ihr Alpdruck und Gespensterschreck, vielmehr ihre Hilfe, daß sie von der Raserei ablassen. Nur das heischt man von ihnen, und daß wir, wenn alles vorbei ist, wieder als Menschen unter Menschen leben dürfen und wieder Friede werde auf dieser armen Erde über den Menschen guten Willens, und daß der Friede auch über die anderen komme. aus: Jörg Zink, Wie wir beten können, Stuttgart-Berlin (Kreuz Verlag). Anregung: Kennen Sie Menschen, denen verschiedene Visionen besonders wichtig sind? Was ist Ihnen bei diesen Menschen aufgefallen? Was widerspricht in der Botschaft von La Salette Ihrem Gottesbild? Was beeindruckt Sie am Gebet des jüdischen KZ-Häftlings? 3.2 Weissagungen Das Bedürfnis, in die Zukunft zu schauen, Kommendes im voraus zu wissen und das eigene Handeln darauf einstellen zu können, ist wohl so alt wie die Menschheit. Es gibt keinen Kulturkreis, keine Epoche der Frühzeit der Menschheitsgeschichte, denen sich nicht irgendeine Form des Orakelglaubens nachweisen ließe. Die griechische Schule der Stoiker teilte die Vorausschau in zwei Gruppen: die kunstlos-natürliche, also Traum und Hellsehen, und die künstliche, zu der man die Eingeweideschau bei den Das Orakel von Delphi Opfertieren, die Deutung des Vogelfluges und der Rißbildung in der Erde rechnete, sowie vor allem die Astrologie. Der einzelne wie die Sippe und der Staat waren natürlich an Personen oder Institutionen interessiert, die durch ihre Gabe der Zukunftsschau helfen konnten, wichtige Entscheidungen richtig und frühzeitig zu treffen. Entsprechend hoch rangierte daher der Schamane, der Priester, der Prophet oder die Sybille in der gesellschaftlichen Rangordnung. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 14 Astrologie, Tarot (Karten legen), die Sibyllinischen Weissagungen, Nostradamus und andere Seher (im deutschsprachigen Raum vor allem Alois Irlmaier und Jakob Lorber) finden auch gegenwärtig wieder große Beachtung. Sehr gut zeigen das die hohen Verkaufszahlen einschlägiger Bücher. Ein typisches Beispiel ist der Bestseller “Nostradamus, Historiker und Prophet” von Jean-Charles de Fontbrune. Das Interesse an diesem Buch ist seit 1981 sprunghaft angestiegen. Der Grund: Der Autor versuchte die Weissagungen des Nostradamus mit Hilfe eines Computers zu entschlüsseln. Er schloß dabei aus dem Nostradamus-Hinweis, daß 1981 in Frankreich das “Jahr der Rose” sein werde, auf einen Wahlsieg der Sozialisten. Die Sozialisten (mit ihrem Rosen-Symbol) haben unter Mitterand am 10. Mai 1981 die Wahlen tatsächlich gewonnen. Sehr bekannt sind auch die Weissagungen von Edgar Cayce. Cayce lebte von 1877-1945 in den USA. Er war Fotograf. Berühmtheit erlangte Cayce durch seinen “medialen” Schlaf. In diesem “Trancezustand” machte er Aussagen über die Zukunft (Vulkanausbrüche, Überflutungen, Pol-Verschiebung, das Kommen eines neuen Zeitalters, ...) oder stellte Ferndiagnosen und machte Therapievorschläge. Die Befragungen des schlafenden Cayce wurden stenographisch protokolliert. In 43 Jahren sammelten sich so 14.000 Protokolle, die sogenannten “Readings” an. In den Readings der 30-er Jahre sagte Cayce voraus, daß im Jahre 1998 ein neues Zeitalter anbrechen werde. Bis 1998 sollte unter anderem auch New York zerstört werden. 3.2.1 Was Wahrsagern von Propheten unterscheidet Fälschlicherweise werden Menschen, die (angeblich) in die Zukunft schauen, als “Propheten” bezeichnet. Diese Wahrsager oder Hellseher nehmen für sich in Anspruch, die Zukunft zu kennen und bestimmte Ereignisse vorhersagen zu können. Entgegen dieser Annahme, daß bereits alles festgelegt ist, betont der biblische Glaube, daß die Zukunft dieser Welt offen ist. Der Mensch ist berufen, die Welt zu gestalten. Er kann frei und verantwortungsvoll handeln und entscheiden. Es liegt an ihm, die Geschichte gut oder schlecht zu gestalten. Ein Prophet deutet die Gegenwart Die “Prophetien” der biblischen Propheten sind dementsprechend von den vorher genannten Zukunftsvoraussagen zu unterscheiden. Die Propheten verstehen sich nicht als Hellseher von etwas bereits Beschlossenem, sie wollen vielmehr warnen, mahnen und wachrütteln. Sie verkünden nicht die Zukunft, sondern den Willen Gottes. Ihre Ankündigungen besagen nicht: “So und nicht anders wird es geschehen!”, sondern: “So wird es euch ergehen, wenn ihr nicht dieses tut oder unterlaßt!” Damit wird in prophetischen Ankündigungen gerade der freie Wille der Menschen bekräftigt: Der Mensch kann handeln, wie er will, aber er muß dann auch die Folgen dieses Handelns tragen; er kann sich - frei - zum Guten und zum Bösen entscheiden. Der Prophet sieht also nicht die Zukunft, sondern deutet die Gegenwart! Angesichts der Aufmerksamkeit, die Weissagungen bei uns derzeit finden, ist die Auseinandersetzung damit nicht nur interessant, sondern geradezu unerläßlich. Die nähere Beschäftigung mit diesem Thema zeigt, daß die LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 15 Versuche, sogenannte Weissagungen als Voraussagen der Geschichte zu deuten, in sich nicht überzeugend sind. 3.2.2 Nostradamus (1503 - 1566) Am 14. Dezember 1503 wurde Michael Nostradamus in Frankreich (Provence) geboren. Wahrscheinlich stammt er von spanischen Juden ab, die vor der Verfolgung in Spanien in die Provence flohen. Hier genossen sie größere Glaubensfreiheit. Der Name Nostradamus weist darauf hin, daß der Vater in einer Kirche, die Maria geweiht war, zum katholischen Glauben übertrat (Notre Dame = Unsere Frau). Nostradamus studierte zunächst antike Rhetorik (Redekunst) und widmete sich dem Studium der Medizin. Er ließ sich in einer Stadt an der Garonne als Arzt nieder und erwarb sich als Bekämpfer des Schwarzen Todes (der Pest) großes Ansehen. Als er seine Frau und seine beiden kleinen Kinder durch Diphtherie verlor, erlebte er die Machtlosigkeit der Medizin. Die schrecklichen Erfahrungen, die der junge Arzt mit dem Wüten der Pest in seiner Zeit machte und die damit verbundenen Schicksalsschläge können als Gründe für das pessimistische Zukunftsbild des Nostradamus angenommen werden. 1548 ließ er sich in der Nähe von Marseille nieder, nachdem er wieder geheiratet hatte. Inzwischen hatte er sich mit okkulten Schriften und der Astrologie beschäftigt. 1553 wurde sein Sohn Cäsar geboren. Diesem Sohn widmete Nostradamus die ersten sieben Centurien (die Prophezeiungen sind in Vierzeilern niedergeschrieben, wobei eine Centurie jeweils 100 Vierzeiler umfaßt). Im Vorwort zu seinen Prophezeiungen schreibt Nostradamus: “An Sohn Cäsar Nostradamus Leben und Glück! Dein spätes Ankommen, mein Sohn Cäsar Nostradamus, hat mich veranlaßt niederzuschreiben, was ich seit langem in Nachtwachen zusammengetragen habe. Nach dem Dahinscheiden Deines Vaters sei es Dir als Vermächtnis hinterlassen. Was mir durch Gottes Wesenheit und astronomische Konstellationen zur Kenntnis gebracht wurde, soll zum allgemeinen Nutzen der Menschheit werden ... Das Schlüsselwort zu den okkulten Prophezeiungen bleibt allerdings in meinem Inneren verschlossen. Man muß auch in Betracht ziehen, daß die Ereignisse letztlich ungewiß sind und daß alles regiert und verwaltet wird von der unbegreiflichen Macht Gottes. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 16 Deutung der Schriften Die Schriften des Nostradamus wurden immer wieder nachgedruckt und dienten zahlreichen Deutern als Grundlage ihrer Zukunftsprognosen. Die verschlüsselte Sprache ist eine Mischung aus Altfranzösisch, Latein und Wortneu- und Umbildungen. Neben vielen Symbolen verwendet Nostradamus auch Anagramme (Buchstabenspiele), um seine Schriften zu “verdunkeln”. Im Anagramm NIRA kann man z. B. durch Neuordnung der Buchstaben das Wort IRAN finden. Das bildet die Voraussetzung für vielfältige Deutungen und Kommentierungen, da oft mehrere sinnvolle Kombinationen der Buchstaben möglich sind. Als Beispiel sei hier einer der Vierzeiler erwähnt, der in diesem Jahrhundert vielfach “angewendet” wurde: Einverleibt in Großdeutschland wird der Brabant und Flandern, Gent, Brügge und Bologne. Der Mann des falschen Friedens, der große Führer aus Armenien, wird Wien und Köln bestürmen. Manche sahen in diesem Vierzeiler eine klare Voraussage der Bestrebungen Hitlers. Man muß sich aber auch vor Augen halten, daß der Glaube an solche “Weissagungen” auch politische Auswirkungen haben kann, das belegt z. B. eine Tagebuchnotiz des Reichspropagandaministers Josef Goebbels aus dem Jahre 1940: “Ausschlachtung der Nostradamus-Verse in Zusammenarbeit mit Geheimdienst nach Frankreich und ins neutrale Ausland. Etwas wird’s helfen.” Bis Mitte 1940 wurden tausende Exemplare einer Nostradamus-Broschüre mit entsprechender Deutung in Umlauf gebracht. In einer anderen Deutung nach dem Zweiten Weltkrieg werden diese Verse auf Stalin und seine vergeblichen Versuche, Wien und Berlin (Cölln - alter Name für Berlin) zu behalten, gedeutet. Doch diese Interpretationen sind nur zwei aus einer noch breiteren Palette. Die verschlüsselte Form der Prophezeiungen macht es möglich, daß vieles hineingelesen werden kann. Zutreffende Deutungen auf eine bestimmte, geschichtliche Situation sind dabei jedoch immer erst Zu-”treffende” nachträglich möglich, d. h. es wird eine passend erscheinende Voraussage auf die aktuelle Situation hin ausgelegt. Oft ist es Deutungen sind verblüffend, bis in welche Einzelheiten hinein diese immer erst Voraussagen zu stimmen scheinen. Wie ist das zu erklären? nachträglich Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, daß man im möglich nachhinein eine beliebige Aussage auf eine bestimmte Situation anwenden kann. Darüber hinaus sind die Voraussagen nicht nur sehr allgemein gehalten, sondern auch chronologisch nicht geordnet (alles kann zu jeder Zeit passieren). Daher ist es nicht besonders schwierig, aus 400 Jahren Weltgeschichte eine entsprechend deutbare Situation auszuwählen, die dann oft in Einzelheiten mit der Voraussage übereinzustimmen scheint. Die Versuche, anhand der Prophezeiungen die zukünftige Geschichte vorauszusagen, sind nicht überzeugend. Sie haben sich zum größten Teil als falsch erwiesen. Daß einige in etwa zutreffen, liegt im Bereich der (statistischen) Wahrscheinlichkeit. Überraschende geschichtliche Entwicklungen (etwa der Fall des LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 17 eisernen Vorhangs, M. Gorbatschow, die Umgestaltung der UdSSR) konnten nicht vorausgesehen werden, sondern werden (jetzt wiederum erst im nachhinein) in die Prophezeiungen hineingelesen. Damit soll Nostradamus nicht als Betrüger und Scharlatan hingeste ist nicht legitim und wissenschaftlich unmöglich. 3.2.3 Gründe für die Übereinstimmung von Vorausgesagtem und Eingetretenem Obwohl die diversen “Prophezeiungen” keineswegs so eindeutig sind, wie man auf den ersten Blick vermutet, gibt es doch manche Aussagen, die recht präzise zukünftiges Geschehen vorauszusagen scheinen. Mögliche Erklärungen dafür sind: Varianten: Durch die mündliche Überlieferung entstanden verschiedene Varianten. Davon wurden nur die weitergegeben, die offensichtlich am besten auf eine bestimmte Situation zutrafen. Anpassung: Es kann angenommen werden, daß bei der mündlichen Weitergabe eine unbewußte Anpassung an eine in etwa passende und bereits gewesene Situation erfolgte. Reduktion: Unzutreffende oder unverständliche Aussagen gerieten in Vergessenheit. Insgesamt sind also nur wenige Sprüche überliefert, die dann aber “passen”. Vieldeutigkeit: Viele Aussagen sind vieldeutig bzw. allgemein und lassen sich auf verschiedene Situationen deuten. Nachtrag: Es ist damit zur rechnen, daß manche Aussagen nachträglich geprägt wurden (z. B. ist die Prophezeiung zur Mondfahrt den Prophezeiungen des bayrischen Sehers “Müllhiasl” erwiesenermaßen nachträglich hinzugefügt worden). 3.3 Astrologie Seit ihrem Entstehen im ersten vorchristlichen Jahrtausend bis ins 16. Jhd. waren Astrologie und Astronomie praktisch das gleiche. Die Stellung der Planeten und die Gesetze ihrer Bewegung wurden genützt, um die Bahnen der Wandelsterne vorauszuberechnen. Den Planeten und ihrer Stellung zueinander wurden Auswirkungen auf den Menschen zugeschrieben. So versuchte man entsprechend den vorausberechenbaren Bahnen der Gestirne - auch das künftige Schicksal der Menschen zu deuten. Die Planeten wurden je nach ihrer Farbe und Bewegung mit alten mythischen Göttergestalten identifiziert und nach ihnen benannt (Jupiter, Mars, ...). Deren Eigenschaften wurden auf die Planeten übertragen und dann als bestimmend für den Menschen betrachtet. Ab dem 16. Jhd. entwickelte sich die Astronomie zu einer exakten Naturwissenschaft, die auf mathematisch-physikalischen Grundlagen aufbaute. Die Astrologie (also die vermeintliche Beeinflussung der Lebewesen durch die Planeten) aber blühte “daneben” immer wieder, besonders in Kriegs- und Krisenzeiten. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 18 3.3.1 Vulgärastrologie Jede/r kennt diese Form der Astrologie und begegnet ihr in Tages-, Wochen- oder Jahresvorhersagen in Zeitungen und Zeitschriften. Hier wird die Menschheit in 12 Gruppen entsprechend den Sternkreiszeichen eingeteilt, und es werden in Horoskopen meist sehr allgemein gehaltene Vorhersagen gemacht. Diese Art wird nicht nur von den Gegnern der Astrologie, sondern auch von Anhängern seriöserer Astrologie abgelehnt. Einige Kennzeichen vulgärer Astrologie sind: Fatalismus Vulgäre Astrologie ist vor allem “fatalistisch” geprägt, indem sie künftige Ereignisse als nur von außen und oben Verhängtes vorauszuwissen sucht. So verleugnet sie menschliche Willensfreiheit und lähmt verantwortliches Handeln. Illusionen Mit ihrer Rede vom Glück des einzelnen stellt sich vulgäre Astrologie in den Dienst einer banalen und illusionären Wunschbefriedigung und Leidvermeidung. Es wird ein vordergründiges Glücksverlangen mit stereotyp wiederkehrenden Glücks- und Unglücksprognosen angesprochen. Mechanismus Die Aussagen sind derart allgemein formuliert, daß sie einer subjektiven Interpretation bedürfen. So können sich selbst-erfüllende Prophezeiungen entstehen, denen besonders ich-schwache Menschen zum Opfer fallen. Beispiel: Wird jemand in solch einem Horoskop vor Beleidigungen gewarnt (und glaubt er daran), so kann es durchaus sein, daß er sich gerade deshalb besonders überempfindlich und mißtrauisch verhält. Auf diese Weise kann er genau das “vorhergesagte” Verhalten provozieren. 3.3.2 Das Geburtshoroskop In Unterschied zur oberflächlichen Vulgärastrologie benötigen seriöse Astrologen Geburtsort, Geburtsdaten und die genaue Geburtszeit. Auf dieser Grundlage erstellen sie ein individuelles Horoskop zur Zeit der Geburtsstunde, wobei in das Horoskop-Formular z. B. der Stand der Tierkreiszeichen und der Planeten in den “Häusern” eingetragen wird. Der Blick in die Sterne ist abgelöst vom Blick in die Listen. Aufgrund seiner Berechnungen und der damit verbundenen Deutungen glaubt der Astrologe Aussagen machen zu können über das überdauernde Charaktergefüge eines Menschen, über seine Stärken und Schwächen. 3.3.3 “Wie oben, so unten”? Grundvoraussetzung von Astrologie ist die Annahme, daß es eine Entsprechung zwischen “Oben” und “Unten” gibt. Diese Entsprechung ist wissenschaftlich jedoch nicht nachweisbar. Das astrologische Motto “wie oben, so unten” scheint auf den ersten Blick sehr logisch und leicht nachvollziehbar zu sein. Im konkreten Fall erweist sich das Verstehen und die Deutung dieser Oben-UntenAnalogie aber als äußert kompliziert. So besteht die Horoskop-Struktur (= das astrologische “Oben”) aus zahlreichen ungleichwertigen Einzelelementen, zusammengefügt nach Regeln, die als solche kaum einsichtig und überprüfbar sind. Die Astrologie, um in einem Bild zu sprechen, gleicht einem uralten, schon sehr baufälligen Tempel, an dem im Laufe der Das “Oben” Jahrhunderte viele Baumeister herumgeflickt haben. Das astrologische Lehrgebäude ist wie ein Gemisch von Gesteinsarten aus verschiedenen geologischen Epochen, in LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 19 dem Altes und Neues, Mythos und Wissenschaft, physikalische und psychologische Erkenntnisse zusammengekleistert wurden. Ebenso kompliziert und schwer faßbar wie das horoskopische “Oben” stellt sich beim sorgsamen Betrachten auch das Das “Unten” entsprechende personhafte “Unten” dar. Es fügt sich zusammen im Verlauf der aktuellen Begegnung zweier Menschen (Astrologe und Klient) mit ihrer eigenen vielschichtigen Vergangenheit und undurchsichtigen Gegenwart. 3.3.4 Biblische Astrologie? Jede/r kennt wohl die “berühmtesten” Sterndeuter in der Bibel, die uns unter dem irreführenden Namen “Heilige drei Könige” in der Weihnachtszeit begegnen. Beim Evangelisten Mattäus findet sich die Schriftstelle: “Als Jesus zur Zeit des Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem ...” (Mt 2,1), bezugnehmend auf das Alte Testament: “Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel ...” (Num 24,17). In der Erzählung in Mt 2 stehen aber nicht Sterndeuter im Zentrum, sondern der (wahre) König der Juden. Und dieser König wird verehrt - sogar von Heiden! Darum - so lädt dieser Text die Leserinnen und Leser ein - beuge auch du das Knie vor diesem König. In der biblischen Offenbarungsreligion des AT und NT hatte Astrologie durchaus ihren Platz. Die Wiege der Astrologie ist das nahegelegene Zwischenstromland, umgeben von Euphrat und Tigris. Von hier aus hat die Astrologie unter hellenistischem Einfluß im ganzen Mittelmeerraum und bis nach Indien und China Ausbreitung gefunden. Der Blick zum Sternenhimmel hat zu allen Zeiten und an allen Orten das menschliche Gemüt beeindruckt. Tagesanbruch und Sonnenaufgang, sternenübersäter Nachthimmel und Wechsel der Mondphasen waren auch in vielen Kulturen Anknüpfungspunkte für religiöse Gefühle und Überlegungen. Im Unterschied zu Religionen der Antike sind aber für Erschaffung der Gestirne die Bibel die Sterne keine selbständigen Wesen oder Götter. Freiburger Münster, 14. Jhd. Der gläubige Mensch sieht sich in eine Welt hineingestellt, in der Gottes schöpferische Weisheit ordnend wirkt. So sind die Tierkreisdarstellungen in jüdischen Synagogen Zeugnis der gläubigen Hoffnung, daß Gott der Herr der Geschichte ist. Sie sind Ausdruck eines Glaubens, der nicht die Gestirne für Götter hält, sondern “beim Anblick der Werke den Meister” erkennt (Weish 13ff). In der Umgebung der biblischen Länder war die Astrologie von Bedeutung (religiöse Orakelkunst in Assyrien und Babylonien), und so begegnet man auch in der Bibel den Sterndeutern (Jes 47,13f: “Du hast dir große Mühe gemacht mit deinen vielen Beratern; sollen sie doch auftreten und dich retten, sie, die den Himmel deuten und die Sterne betrachten, die dir an jedem Neumond verkünden, was kommt”; vgl. Dan 2,2). Auch in der christlichen Kunst gibt es Darstellungen, wo z. B. die 12 Apostel in der christlichen Kunst den 12 Tierkreiszeichen zugeordnet sind. Zusammenfassend gesagt spielt die Astrologie aber in der Bibel keine bedeutende Rolle. Im Galaterbrief wird sogar von einer gefährliche Versuchung für den Glauben gesprochen, wenn der Glaube an die Sterne den Menschen zum Sklaven der Elementarmächte macht (vgl. Gal 4,8ff: “Warum achtet ihr so ängstlich auf Tage, Monate, bestimmte Zeiten und Jahre?”). LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 20 3.3.5 Kritische Würdigung Vom Blick in die Zukunft kann bei der seriösen Astrologie nicht mehr die Rede sein. Das Horoskop dient in gegenwärtigen Anwendungsformen vielmehr zur Aufhellung der eigenen Persönlichkeit, zum Bewußtmachen der Stärken und Schwächen. Diese anspruchsvolle Art hat nichts zu tun mit Vulgärastrologie (in Zeitungen und auf Jahrmärkten), Biorhythmen und esoterischer Astrologie. Das gilt es positiv zu würdigen: Das gilt es kritisch zu bedenken: Es gibt eine ernstzunehmende Anwendung mit deutlich therapeutischem Ansatz. In deren Zentrum steht die Frage: Wer bin ich? Was kann ich aus meinem Leben machen? Wo liegen meine Stärken und Schwächen? Und diese Fragen nach dem Charakter, nach den Grundbedingtheiten einer bestimmten Persönlichkeit werden in gewissen astrologischen Horoskopen psychologisch sehr differenziert und gut beantwortet. Es gibt eine Art Astrologie, welche sich - oft in großen Inseraten - hauptsächlich mit Wahrsagung, Zukunftsdeutung und Glücksversprechen anbietet. Sie zielt unverkennbar auf die finanzielle Ausbeutung der Ratsuchenden. Wahrscheinlich erwarten aber die Konsumenten jener Astrologie auch kaum therapeutische Hilfe, bei welcher sie selber aktiv mitarbeiten müßten, sondern eher magische Wirkung, Nutzen und Gewinn. Astrologie will die Verbundenheit mit dem Kosmos und seiner Ordnung bewußtmachen. Sie hat damit seit jeher eine Nähe zur Religion. Dies ist auch der tiefere Grund, weshalb die Kirche immer ein ambivalentes Verhältnis zur Astrologie hat. Astrologie, auch jene der anerkannt hohen Schulen, beantwortet nicht die Fragen nach dem Iebensschaffenden Ursprung und der lebenserhaltenden Mitte des Kosmos, die Frage nach Gott. Sie gibt keine Antwort auf die letzten Fragen. Auch aus christlichem Glauben heraus ist es unbestritten, daß jeder Mensch mit ganz eigenen Grundbedingungen zur Welt kommt. Diese Vorgaben sind unaustauschbar und prägen das Leben. Sowohl nach christlichem Glauben wie nach astrologischem Verständnis gilt es, mit diesen Talenten und Begrenzungen klug und verantwortungsvoll umzugehen. Im Christentum weist die Vorstellung von Vorsehung und Schicksal auf die Offenheit für das Unberechenbare im Leben hin. Die Astrologie hingegen geht sehr weit in ihrem Glauben an die Berechenbarkeit für das Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die meisten astrologischen Richtungen basieren auf der Reinkarnationslehre (= Lehre von der Wiedergeburt). So gesehen erzeugt Astrologie den Eindruck von Religionsersatz. Ein Horoskop als Charakter-Spiegel kann einem offenen und wachen Menschen helfen, sich selber besser anzunehmen - das Starke, Helle und Schöne genauso wie das Dunkle und Schwere. Astrologie kann zum Aberglauben verführen: Das Ausschauhalten nach astrologischen Prognosen kann leicht in Erwartungsangst, zwanghafte Abhängigkeit und Fatalismus führen - bis zum Eintreten der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen! Verantwortung wird abgeschoben und falsche Sicherheit wird gesucht, die es nicht gibt. Im Zusammenleben mag die nähere gegenseitige Kenntnis des Horoskops dazu beitragen, die Mitmenschen besser zu verstehen und ihnen zu helfen. Das Wissen, wie z. B. ein Widder-Mensch zu sein hat, kann dazu verführen, Mitmenschen lieblos einzuordnen und zu beurteilen, ja sie sogar zu beherrschen und auszunutzen. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 21 Es ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, sich ein Bild über die Zukunft zu verschaffen und Vorsorge zu treffen. Eine Stärke der Astrologie liegt im großen Anteil an Intuition und assoziativer Logik. Das Horoskop kann als Meditationsbild für Lebensbesinnung und Beratung hilfreich benutzt werden. Problematisch präsentiert sich die Astrologie seit jeher mit dem Anschein der Wissenschaftlichkeit - wegen des imposanten mathematischen Berechnungssystems und des astrophysikalischen Erklärungszusammenhangs. Auf diesem Hintergrund können astrologische Zukunftsprognosen bei heutigen Menschen übermächtig Druck erzeugen. Anregung: Was halten Sie von Weissagungen? Lesen Sie Horoskope in Zeitungen und Zeitschriften? Warum würde Sie Ihr Geburtshoroskop (nicht) interessieren? Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gefahren bei Leuten, die sich gerne auf Horoskope verlassen? 4. Weltende und Endzeitberechnungen Die Vorstellung vom Weltende findet sich - wenn auch in jeweils eigener Form - in jeder Religion. Sie spielt auch bei den verschiedenen apokalyptischen Bewegungen und Sekten eine zentrale Rolle. Was jedoch wissen wir Christen über das Ende der Welt wirklich? Können wir etwas über den Zeitpunkt des Weltuntergangs sagen? 4.1 Bilder vom Weltende und deren Entstehungshintergrund Sinn und Zweck der Apokalyptik ist es, ein Urteil über die geschichtliche Welt, gerade auch über jeweils aktuelle politische und gesellschaftliche Verhältnisse, zu fällen. Die Aussagen werden meist mit Hilfe von Bildern gemacht. Bei den sehr alten apokalyptischen Bildern handelt es sich nicht um “Zukunftsreportagen”. Sie beruhen vielmehr auf Keine Berichte über unmittelbaren Erfahrungen: Feuerbrände, Erdbeben, Flut, Vulkanausbrüche, Dürre, Meteoriten, Kometen, zukünftige Ereignisse Sonnen- und Mondfinsternis, Seuchen. “Untergänge” verschiedenster Art (in der Natur, in Gesellschaft und Politik, im eigenen Leben und im religiösen Bereich) sind Bestandteil der Wirklichkeit und des Lebens. Aber es gibt bestimmte geschichtliche Situationen, in denen sich diese Untergangserfahrungen verdichten und daher mit größerer Sensibilität wahrgenommen werden. Das führt nicht selten zur Erwartung der großen endzeitlichen Katastrophe. Dabei werden die angesprochenen Erfahrungen von “kleinen” Untergängen ins Große, Kosmische übertragen. Die einzelnen Motive werden weitererzählt, verarbeitet, miteinander verflochten und variiert. Die Bilder sind vieldeutig; sie können daher für ganz verschiedene Situationen verwendet werden. Insbesondere malen die mythischen Bilder den krassen Unterschied zwischen der gegenwärtigen und der erwarteten Welt aus: böse - gut, Finsternis - Licht, schlafen - wachen, verdorren - erblühen, Tod Geburt, unrein - rein. Obwohl diese Endzeit-Bilder in der Vergangenheit verfaßt wurden, vermuteten immer wieder Menschen darin Aussagen über zukünftiges Geschehen, und so wurden Berechnungen angestellt. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 22 4.2 Endzeitberechnungen: Von Daniel bis zu den Zeugen Jehovas Das Gottesreich: Überwindung des “Bestialischen” Von der christlichen Frühzeit an durch das Mittelalter hindurch bis in die heutige Zeit versuchten und versuchen Theologen, Prediger und Sektenführer, das Ende der Welt zu berechnen. Man nahm dazu alle möglichen biblischen Aussagen zu Hilfe, vor allem natürlich das letzte Buch der Bibel, aber auch zahlreiche aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen des Alten Testaments. 4.2.1 Das Monarchien-Bild im Buch Daniel: Ein Schema der vier Weltreiche Eine der wichtigsten Aufgaben der jüdisch-christlichen Apokalyptik ist es, in schwierigen Zeiten der Bedrängnis zum treuen Durchhalten und zum Glauben zu ermutigen. Zu diesem Zweck versuchen die Apokalyptiker, das eigentliche Ziel der Geschichte zu “enthüllen” (Apo-kalypse = Ent-hüllung). Sie blicken mit den Augen ihres Glaubens auf das Ende der Geschichte und auf das bisher Geschehene. So können sie die Gegenwart deuten. Ein interessanter Versuch, die Geschichte zu ordnen, Perioden, Epochen und Zeiten zu unterscheiden, begegnet uns im Buch Daniel (Kapitel 2 und 7). Im Hintergrund stehen hier die Erfahrungen der Juden im 2. Jhd. v.Chr. Aufgrund der erlebten massiven inneren und äußeren Bedrohungen (Besetzung des Landes, Abfall vieler Juden vom Glauben und vom bisherigen Lebensstil, Verfolgung) besitzt für Daniel eine Frage besondere Dringlichkeit: Wem gehört die Weltherrschaft, die Macht? Mit Hilfe seiner Vision von den vier Tieren und vom Menschensohn gibt er Antwort. Im siebenten Kapitel (7,1-28) schildert Daniel, wie aus dem Meer vier Tiere aufsteigen (Löwe mit Adlerflügeln, Bär, Panther mit vier Flügeln und ein Tier mit großen Zähnen aus Eisen und 10 Hörnern). Diese vier Tiere symbolisieren vier Weltreiche: Babylonier - Meder - Perser - Seleukiden. Die Leser des Danielbuches sind vom vierten Weltreich bedroht: Dieses ist hart wie Eisen und frißt, zertritt und zermalmt alle Lande. Der Gott des Himmels wird jedoch trotz dieser Macht sein Königreich aufrichten. Er wird die Reiche zerstören und selbst ewig bleiben. Charakteristisch für das Gottesreich sind aber nicht mehr “tierische” und kalt-metallene (= bedrohliche) Züge. Es ist vielmehr das “menschliche Reich des Menschensohnes”, das dem “Volk der Heiligen des Höchsten” gegeben werden wird. Daniel spendet damit Trost und Hoffnung. 4.2.2 Die Endzeitberechnung des Julius Africanus (3. Jhd. n.Chr.) Julius setzt die Weltgeschichte parallel zur Schöpfungswoche: für einen Tag bei der Schöpfung stehen 1.000 Jahre Weltgeschichte. Das 1000-jährige Messias-Reich wird mit dem Sabbat, also dem siebten Tag, gleichgesetzt. Jesus ist nach seinen Berechnungen im Jahre 5500 nach der Erschaffung der Welt geboren; damit wird der Beginn des Friedensreiches für das Jahr 500 n. Chr. erwartet. Das Schema von den sieben Zeitaltern fand er in der rabbinischen Tradition. Hier wurden die 7 Schöpfungstage auf die sieben Zeitalter der Geschichte übertragen. Sind symbolisch 1.000 Jahre “wie ein Tag”, dann dauert die Geschichte der Welt von der Schöpfung bis zum Ende 6.000 Jahre. Danach soll der endzeitliche und ewige Sabbat kommen. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 23 4.2.3 Joachim von Fiore (1130 - 1204) Im 12. Jhd. nehmen die gesellschaftlichen und kirchlichen Verfallserscheinungen zu: Der Streit um das Verhältnis von Kirche und Staat sowie von Kaiser und Papst erreicht seinen Höhepunkt. Die Wahl von Gegenpäpsten spaltet die Kirche. Kreuzzüge finden statt mit verheerenden Folgen. Die Armutsbewegungen entstehen als Protest gegen eine reiche Feudalkirche. Joachim (italienischer Theologe, Mönch und Ordensgründer) entwirft ein Gegenbild zu den ungeordneten Verhältnissen seiner Zeit: Er vertritt auf der einen Seite eine sehr kritische Sicht der Institution Kirche. Zugleich stellt er die Geschichte als sinnvolles und geordnetes Geschehen dar. Joachim glaubt einen versteckten prophetischen Sinn der Bibel und damit ein neues Verständnis von Geschichte entdeckt zu haben. Seine “Voraussagen” sind das Ergebnis dieser Schriftauslegung. Er versteht die Geschichte als Aufstieg durch drei Zeitalter und datiert seine eigene Zeit in die Endphase des 2. Zeitalters, kurz vor Beginn des 1000-jährigen messianischen Reiches. Er erhofft einen qualitativen Sprung in der Geschichte und nicht schon deren Ende (Zeitalter des HI. Geistes). Das Schema von den drei Zeitaltern ist somit ein Bild des positiven Fortschritts, nicht des apokalyptischen Umsturzes der Macht. Es wurde seit Beginn der “modernen Welt”, besonders im 19. Jhd., in immer neuen Varianten auf die Gegenwart angewendet (z. B. Auguste Comte, Karl Marx). Dauer Charakterisierung Ordnung Fixdaten 1. Zeitalter Zeitalter des Vaters 1260 v. Chr. Zeit Israels und des Verheira- 42 Generationen bis zur AT (“Gesetz”) tete (42 x 30 = 1260 Zeitenwende Jahre) bis Jesus (Geburt Jesu) 2. Zeitalter Zeitalter Zeitenwende Zeit der Kirche und Kleriker beginnt mit des bis 1260 n. des Evangeliums Inkarnation und Sohnes Chr. endet mit Parusie 3. Zeitalter Zeitalter 1260 bis 2260 Zeit der Mystik und Mönche 1000-jährige des der Meditation (die Welt Herrschaft als Christi, die Kirche Heiligen allumfass existiert nicht Geistes endes mehr; endet mit Zisterzien- dem Jüngsten serGericht und dem Kloster) Beginn der Herrschaft Gottes 4.2.4 Die Zeugen Jehovas und das Jahr 1914 Die Zeugen Jehovas sind wohl die bekannteste und größte apokalyptisch geprägte Religionsgemeinschaft. Gegründet wurden die Zeugen Jehovas gegen Ende des letzten Jahrhunderts in Nordamerika von Charles Taze Russel (1852 - 1916). Ursprünglich erwarteten Russel und seine Anhänger die Wiederkunft Christi für das Jahr 1914. Darauf sollte die Errichtung des 1000-jährigen Reiches erfolgen. Nach der Enttäuschung im Jahr 1914 wurden neue Berechnungen angestellt und immer wieder neue, nahe bevorstehende Termine genannt (z. B. 1915, 1916, 1918, 1925). Zuletzt wurde die Wiederkunft Christi für 1975 erwartet. Nach der 1996 erneut abgeänderten Lehrmeinung der Wachtturmgesellschaft wird kein bestimmter Zeitpunkt mehr angegeben. LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 24 Bezüglich des Jahres 1914 gibt es von seiten der Zeugen Jehovas die These, daß in jenem Jahr die Wiederkunft Christi unsichtbar erfolgte, daß Christus also schon unsichtbar über sein Reich herrscht. Die Kriege, Seuchen, Katastrophen der Gegenwart sind “Waffen des Satans” und gelten als Zeichen dafür, daß der Endkampf begonnen hat. 607 v. Chr = lt. Zeugen Jehovas Zeitpunkt der Zerstörung Jerusalems 2520 Jahre = “7 Zeiten” (Dan 4,16.32) = 7 x 360 Tage Diese 2520 Tage sind 2520 Jahre, weil nach Num 14,34 für einen Tag ein Jahr gerechnet wird. = 1914 n. Chr. (eigentlich käme das Jahr 1913 heraus) ========== Selbstverständlich ist diese Art und Weise, einzeln aus dem Zusammenhang gerissene Zitate zu kombinieren, der Bibel völlig unangemessen. Rösselsprungmethode der Darüber hinaus stürzt die ganze konstruierte Berechnung in sich zusammen, da man aus der Wachtturmgesellschaft Forschung weiß, daß die Zerstörung Jerusalems erst in das Jahr 587 zu datieren ist. 4.2.5 St. Michaelsvereinigung Das Weltende spielt auch in zahlreichen katholischen Gruppierungen eine große Rolle. Nicht selten wird aber dabei die Rede vom Ende der Zeit zu einer “Drohrede”. Die eigenen Mitglieder sollen dadurch getröstet werden. So z. B. in der Botschaft 55 der St. Michaelsbruderschaft: “Ihr (die Mitglieder) dürft die Gewißheit haben, als die Glücklichen gerettet zu werden ...”. Allerdings kündigt die Mutter Gottes darin - sehr kirchenkritisch - an: “Wenn nicht rasch ein Umdenken in den Kirchen stattfindet, könnt ihr das Geburtsfest meines Sohnes nicht mehr in Frieden feiern.” Oder die Botschaft vom 31.3.1988: “Mit großer Kraft lasse ich meinen müde gewordenen Arm auf die sündige Welt niederfallen und löse mein Versprechen, das schon zu meinen Jüngern gesprochen wurde, ein ... Wer jedoch die Stimme des Propheten hört und glaubt, seinen Sinn nach Gottes Willen ausrichtet, in großer Demut seine Knie beugt und Buße tut, den läßt Gott nicht verderben.” 4.2.6 Warum Endzeitberechnungen faszinieren? Die Bedeutung und Faszination von Endzeitberechnungen liegt darin, daß sie Gewißheit zu vermitteln scheinen. Die Geschichte wird dabei in verschiedene Phasen gegliedert; sie wird so durchschaubar; und man erlangt Gewißheit darüber, in welcher Zeit man lebt. Die Zukunft verliert ihren bedrohlichen, unbestimmten Charakter, denn sie ist vorhersagbar, und der Mensch weiß, auf welches Ziel sie hinläuft. Je unsicherer die Gegenwart dem Menschen erscheint, etwa durch Kriege, Verfolgungen und Seuchen, desto dringender versucht er, sich Gewißheit über den Sinn und das Ziel der Geschichte zu verschaffen. 4.3 Was sagt die Prognosen? Theologie zu apokalyptischen Endzeit- Das eigentliche theologische Problem bei den verschiedenen Berechnungen und Einteilungen (in 3 oder 4 Reiche bzw. in 2 Weltzeitalter) liegt in der Annahme, daß es einen vorgefaßten Plan Gottes gäbe. Diesen Plan könnten Menschen in der Bibel oder in den Sternen entschlüsseln. Demgegenüber gilt es zu betonen: Wenn Gott - wie die Bibel bezeugt LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 25 - der Herr der Geschichte ist, dann gibt er seine Verheißungen weder an “Heils- oder Geschichtspläne” noch an Sterne oder ähnliches ab. Alles bleibt in seiner Hand. Eine vorausgeplante Geschichte Der Mensch ist keine Marionette, (Leben, Ereignisse, Entwicklungen) würde sondern Gottes Ebenbild. vor allem der menschlichen Freiheit widersprechen. Die Freiheit und Personwürde des Menschen liegt aber gerade darin begründet, sein Leben, die Welt und die Geschichte selber zu gestalten. Die Bibel drückt das mit dem Satz aus, daß der Mensch Ebenbild Gottes ist. Die Bilder vom Gericht unterstreichen den Ernst und die große Chance dieser gestalterischen Eigenverantwortung. Christliche Theologie gibt demnach keine apokalyptischen Prognosen. Sie will vor allem eine Theologie der Hoffnung sein, die sich an Menschen richtet, die ihr Leben zu bewältigen und zu gestalten haben. Die Theologie lehrt nicht, wie der moderne Fortschrittsglaube, daß in Zukunft alles immer besser werde. Ebensowenig lehrt sie, wie die moderne Apokalyptik, daß in Zukunft alles immer schlechter werde. Sie will vielmehr Augen öffnen, langen Atem und Mut zum gestalterischen Durchhalten geben, Perspektiven und Orientierung schenken. Anregung: “Wenn morgen die Welt untergehen würde, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen”, so hat Martin Luther einmal gesagt. Was würden Sie tun? Welche Ereignisse machen es für Sie schwer zu glauben, daß Gott alles und alle in der Hand hat? Was (Wer) gibt Ihrem Leben Kraft und Hoffnung? Wie sehr christlicher Glaube von der Hoffnung lebt, zeigt ein im Anschluß an Psalm 126 formulierter Text von Martin Gutl: W enn Gott uns heimführt aus den Tagen der Wanderschaft, uns heimbringt aus der Dämmerung in sein beglückendes Licht, das wird ein Fest sein! Da wird unser Staunen von neuem beginnen. Wir werden Lieder singen, Lieder, die Welt und Geschichte umfassen. Wir werden singen, tanzen und fröhlich sein, denn er führt uns heim: Aus dem Hasten in den Frieden, aus der Armut in die Fülle. Wenn Gott uns heimbringt aus den engen Räumen, das wird ein Fest sein! Und die Zweifler werden bekennen: Ihr Gott tut Wunder! Er macht die Nacht zum hellen Tag; er läßt die Wüste blühen! Wenn Gott uns heimbringt aus den schlaflosen Nächten, aus den fruchtlosen Reden, aus den verlorenen Stunden, aus der Jagd nach dem Geld, aus der Angst vor dem Tod, aus dem Kampf, aus der Gier, das wird ein Fest sein! Wenn Gott uns heimbringt, das wird ein Fest sein! LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 26 Wir werden einander umarmen und zärtlich sein. Es werden lachen nach Jahren der Armut, die Hunger gelitten. Es werden singen nach langen unfreien Nächten, die von Mächten Gequälten. Es werden tanzen die Gerechten, die auf Erden kämpften und litten für eine bessere WeIt. Das wird ein Fest sein! LITERATURLISTE Stefan Schlager, Apokalyptik I - Theologische und biblische Impulse für Erwachsenenbildung und Verkündigung, Linz 1997, 100 Seiten, S 100,-Stefan Schlager, Apokalyptik II - Gestaltungsvorschläge und Material für 4/5 Themenabende, Linz 1997, 60 Seiten, S 100,-Siegfried Böhringer, Astrologie, Kosmos und Schicksal, Mainz 1990 (Grünewald-Verlag), 160 Seiten, S 181,-Beckers Hermann-Josef - Kohle Helmut (Hgg), Kulte, Sekten, Religionen, Augsburg 1994 (Pattloch-Verlag), 381 Seiten, S 398,-Kramer Margret, Apokalypse, Bildungswerk der Erzdiözese Freiburg 1993, 64 Seiten, S 60,-- LINZER FERNKURS - APOKALYPTIK: 1. Aussendung 27