ERÖFFNUNG DER KIEFERHÖHLE (MAV) Ein Patient wird vom Zahnarzt nach Entfernungsversuch eines verlagerten Weisheitszahnes 18 notfallmässig überwiesen, mit dem Hinweis auf eine eröffnete Kieferhöhle sowie auf einen fehlenden, wahrscheinlich in die Kieferhöhle luxierten palatinalen Wurzelrestes. Bei der Untersuchung zeigt sich, dass die Gingiva über der Alveole breit offen ist und lädierte Ränder aufweist, so dass eine einfache Adaptation keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die beiden bukkalen Alveolen sind gegen die Kieferhöhle offen. Auch die palatinale Alveole ist offen, der Wurzelrest ist in die Kieferhöhle luxiert, jedoch von der Alveole her sichtbar. Die Öffnung der palatinalen Alveole zur Kieferhöhle wird durch Osteotomie vorsichtig erweitert, bis der an der Schleimhaut hängende Wurzelrest mit einer feinen Klemme erfasst und entfernt werden kann. Die Kieferhöhle ist nun bukkal und palatinal in einer Dimension von ca. 8mm offen. Der Kieferhöhlenverschluss erfolgt zweischichtig durch Mobilisieren des Bichat’schen Fettpfropfes und durch Umschneiden und Verlagern eines Vestibulumlappens. Die Krankenkasse verweigert die Rückerstattung mit der Begründung, es handle sich um eine akzidentelle Eröffnung der gesunden Kieferhöhle anlässlich einer Zahnextraktion. Dies stelle keine Erkrankung, sondern eine Komplikation dar. Somit bestehe keine Leistungspflicht zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Beurteilung Jede Komplikation ausserhalb vom Zahn und Zahnhalteapparat (Odontoparodont) stellt per definitionem eine Erkrankung (Ostitis, Osteomyelitis, Residualzyste, Ermüdungsfraktur, Kieferhöhleneröffnung, Wurzeln in der Kieferhöhle, Sinusitis maxillaris, Abszess usw.) dar. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine dentogene Ursache bzw. um die Folge einer Zahnbehandlung handelt oder nicht. Immer geht es um eine Behandlung ausserhalb vom Odontoparodont, d.h. um eine ärztliche bzw. arztäquivalente Behandlung (Art. 25 KVG). Immer ist die Zielsetzung nicht zahnärztlich sondern ärztlich (Art. 25 KVG). Immer ist die Erkrankung durch den Patienten nicht vermeidbar. Die Erfahrung zeigt, dass eine kleinste Eröffnung der Kieferhöhle bei Auffüllen der Alveole mit Ersatzmaterial und einfacher Adaptation der Gingiva, allenfalls mit zusätzlichem Wundverband problemlos ausheilen kann. Dies sollte jedoch nach Möglichkeit vermieden werden aufgrund eines erhöhten sekundären Infektionsrisikos. Die Erfahrung zeigt ebenfalls, dass beim Vorhandensein gewisser Kriterien das obgenannte Vorgehen keine Chancen hat für eine Ausheilung und mit Sicherheit in einer oroantralen Fistel endet. Diese kann noch so klein sein. Daraus resultiert immer eine chronische Sinusitis maxillaris. Für folgende Kriterien besteht die Indikation für einen nach Möglichkeit sofortigen operativen Kieferhöhlenverschluss: Fehlende und eventuell zusätzlich traumatisierte Gingiva über der Alveole Ein in die Kieferhöhle luxierter Wurzelrest, auch wenn er noch im Bereich des Kieferhöhlenbodens liegt und noch keine Sinusitis ausgelöst hat Eine Eröffnung der Kieferhöhle in der Dimension von 5 und mehr Millimetern, trotz fehlender lokaler Entzündungszeichen Fehlender Knochen an einem Nachbarzahn Reaktive lokale Ostitis unabhängig der MAV-Ausdehnung Dentogene chronische Sinusitis maxillaris unabhängig der MAV-Ausdehnung Eine Verbindung zwischen kontaminierter Mundhöhle und steriler Kieferhöhle kann in kürzester Zeit eine akute Kieferhöhlenvereiterung zur Folge haben. Bei einem akut entzündlichen Geschehen muss mit dem sofortigen operativen Kieferhöhlenverschluss abgewartet werden, bis die geeigneten lokalen (z.B. KH-Spülung) und medikamentösen Massnahmen (z.B. abschwellende Nasentropfen, Antibiotika) zu einer Chronifizierung des eingetretenen Krankheitsprozesses geführt hat. Der operative Kieferhöhlenverschluss stellt eine rein ärztliche bzw. arztäquivalente Massnahme mit rein ärztlicher und ohne jede zahnärztliche Zielsetzung gemäss Art. 25 KVG dar. Wie das Loch entstanden ist, ob durch die nichtpflichtige Extraktion eines kariösen Zahnes oder durch die pflichtige operative Entfernung eines verlagerten Zahnes mit Krankheitswert, spielt für die Leistungspflicht des Kieferhöhlenverschlusses keine Rolle. Dafür müssen auch nicht die Kriterien von Art. 31 KVG herangezogen werden. Der Defekt der Kieferhöhlenwand kann unter seltenen Umständen bis unmittelbar an den angrenzenden Zahn heranreichen. Dann ist ein operativer Verschluss zwangsläufig nicht möglich. Ein Gingiva- oder Mucosaperiostlappen kann nicht an der Zahnhartsubstanz angenäht oder anders fixiert werden. Es käme immer zu einem Rezidiv entlang der Zahnoberfläche. In solchen seltenen Fällen muss dieser unmittelbar angrenzende Zahn extrahiert werden. Diese Zahnextraktion und der spätere Zahnersatz würden eine zahnärztliche Massnahme mit zahnärztlicher Zielsetzung, im Grunde genommen also eine zahnärztliche Nichtpflichtleistung darstellen. Nur für diesen Sonderfall muss Art. 31 KVG, speziell Art. 17 e.2. KLV herangezogen werden. Die Zahnbehandlung ist hier die Folge einer Erkrankung, nämlich der offenen Kieferhöhle bzw. der Notwendigkeit eines operativen Kieferhöhlenverschlusses. Der Operateur, der für den Kieferhöhlenverschluss den Nachbarzahn opfern muss, ist verpflichtet, dies per Zahnschadenformular anzumelden, damit die Leistungspflicht des später notwendigen Zahnersatzes gewährleistet ist. Aber auch der Zahnarzt, der den Zahn ersetzt, muss erkennen oder sich informieren lassen, dass der Zahn zur Realisierung des Kieferhöhlenverschlusses hatte geopfert werden müssen. Dies gilt auch bei kariöser oder parodontaler Vorschädigung des betroffenen Zahnes. Streng davon abzugrenzen ist die Nichtpflichtleistung für den Ersatz des Zahnes, der ursprünglich anlässlich der Entfernung zu einer Kieferhöhleneröffnung geführt hatte. Die Schwierigkeit für Nichtspezialisten, die Logik der durch eine Erkrankung bedingten Leistungspflicht für eine Zahnbehandlung zu verstehen, kommt nirgends derart prägnant zum Ausdruck wie am Beispiel der Kieferhöhleneröffnung.