Verstand Bestimmen, Trennen, Abstrahieren sind miteinander zusammenhängende Ausdrücke, die für Hegel schon ab seinen frühen Frankfurter Fragmenten bis zu den reifen Berliner Schriften den Verstand, der eine Tätigkeit des denkenden Ichs ist, kennzeichnen. Verständig ist derjenige, der „den Standpunkt der Endlichkeit als einen letzten festzuhalten“ vermag, wogegen es für „eine Vermessenheit des Denkens [gilt ,…] über ihn hinausgehen zu wollen“ (E3 §386A). Dies zeigt sich u.a. in der Entwicklung der Momenten des Logischen oder des Wahren überhaupt. Das Erste ist das abstrakte oder verständige: „Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen; ein solches beschränktes Abstraktes gilt ihm als für sich bestehend und seiend“ (E3 §80). Im zweiten, dialektischen oder negativ-vernünftigen Moment erweisen sich diese seine Bestimmungen aber als endliche und heben sich auf, indem sie in ihre entgegengesetzte Bestimmungen übergehen. Das dritte, spekulative Moment des Logischen fasst die Einheit dieser entgegengesetzten Bestimmungen und führt so den Verstand über seine Endlichkeit hinaus zu einem positivvernünftigen Resultat. „In der spekulativen Logik ist [also] die bloße Verstandes-Logik enthalten und kann aus jener sogleich gemacht werden; es bedarf dazu nichts, als daraus das Dialektische und Vernünftige wegzulassen“ (E3 §82A), gleich wie der Verstand die Vernunftbestimmungen als metaphysische Gegenstände isoliert betrachtet. Trotz dieser anscheinend negativen Bewertungen ist es für Hegel evident, dass ohne die bestimmende Tätigkeit des Verstandes nicht philosophiert, ja sogar nicht gedacht werden kann. Denn nur durch den Verstand nimmt das Ich nicht nur einzelne sinnliche Eindrücke wahr, sondern diese sind für ihn etwas Inneres und Allgemeines, was bedeutet, dass es erst der Verstand ist, in dem die Mannigfaltigkeit des Sinnlichen im Bewusstsein eines Gegenstandes aufgehoben ist (E3 §422). Zugleich ist er aber nicht imstande, das Wahre als ein Ganzes zu erkennen, weil er seine endlichen Bestimmungen als etwas Absolutes fixiert. Dieses zweite Moment der Wirkung des Verstandes wird von Hegel geistesgeschichtlich verbunden mit der (Philosophie der) Aufklärung, insbesondere mit dem Sieg der aufklärenden Vernunft über den Glauben. Denn bei Lichte besehen ist dieser Sieg kein anderer, „als daß weder das Positive, mit dem sie sich zu kämpfen machte, Religion, noch daß sie, die gesiegt hat, Vernunft blieb,“ sondern eigentlich nur Verstand ist (GW 4, 315). Damit „[drückt] die Aufklärung schon in ihrem Ursprung und an und für sich die Gemeinheit des Verstandes, und seine eitle Erhebung über die Vernunft aus“ (GW 4, 125). In dem Frankfurter Syst wie in den JKS wird die Verstandestätigkeit mit derjenigen der Reflexion gleichgesetzt. Nach jenem wird die Reflexion vorwiegend in einem kritischen Sinne gedeutet, indem sie das Leben als ein unendlich Endliches oder ein unbeschränkt Beschränktes fixiert; sie ist ein Setzen, sodass zugleich etwas Anderes nicht gesetzt, ausgeschlossen ist. Trotzdem ist die Reflexion oder der Verstand zugleich im lebendigen Ganzen gesetzt als ein Teil desselben, obwohl Hegel hier noch nicht imstande ist zu erklären, wie dieses Verhältnis sich denken lässt, und sich damit begnügt zu sagen, dass, indem die Reflexion ihre Verstandesbestimmungen vervollständigt, sie ihre Entgegensetzung gegen das unendliche Leben ‚fühlt’ und das wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises setzt (Nohl, 347-8). Obwohl in den JKS der Verstand nicht mehr mit der Philosophie als solcher gleichgesetzt wird, bleiben dessen wesentliche Kennzeichen erhalten, einschließlich Hegels Unklarheit über das Verhältnis des Verstandes zum spekulativen Wissen. Der Verstand stellt ein Gebäude zwischen den Menschen und das Absolute und dehnt es ins Unendliche aus, aber „es ist darin die ganze Totalität der Beschränkungen zu finden, nur das Absolute selbst nicht“ (GW 4, 13). Trotzdem bedeutet Hegels kritische Beurteilung des Verstandes nicht, dass die Philosophie sich gegen die Entgegensetzung und Beschränkung überhaupt setze; sie setzt sich nur gegen das absolute Fixieren der Entzweiung durch den Verstand, und um so mehr, wenn die absolut Entgegengesetzten selbst aus der Vernunft entsprungen sind. Ebenso wie die Entzweiung notwendig ist und ein Faktor des Lebens ist, ist die Reflexion das Instrument des Philosophierens (GW 4, 16). In geistesgeschichtlicher Hinsicht stellt Hegel in GuW dar, wie sich das reflexive Grundprinzip der Aufklärung in den Philosophien Kants, Jacobis und Fichtes verschärft und vollendet hat (GW 4, 315ff). In der Phän ist der Verstand die dritte Gestalt des Bewusstseins. Mittels seiner Kategorien, der Denkbestimmungen des Seins, ist er imstande, hinter der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen der Wahrnehmung die innere Wahrheit der Dinge und deren Einheit zu erkennen, oder das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Diese Einheit der Dinge drückt sich aus in Gesetzen, die eine Art übersinnliche, wahre Welt zu bilden scheinen, wovon der Verstand aber dann erkennt, dass sie seine eigenen Gesetze sind: „Im Innern der Erscheinung [ist] der Verstand in Wahrheit nicht etwas anders, als die Erscheinung selbst, aber nicht wie sie als Spiel der Kräffte ist, sondern dasselbe in seinen absolut-allgemeinen Momenten und deren Bewegung, und in der That [erfährt er] nur sich selbst“ (GW 9, 102). Gerade diese Konzeption, dass der Verstand eine aus der Erfahrung isolierte, zweite Welt ausbildet, bestimmt Hegels Kritik der Metaphysik der Naturwissenschaft insgesamt. Am Anfang der subjektiven L kritisiert Hegel den gewöhnlichen Unterschied zwischen Verstand und Vernunft. Im Allgemeinen (und insbesondere bei Kant) wird jener als „das Vermögen der Begriffe überhaupt“ ausgedrückt, während diese das „Vermögen der Schlüsse“ genannt wird (GW 12, 32). Diese Unterscheidung beruhe aber darauf, dass es nur bestimmte (Verstandes)Begriffe gebe, wie Hegel sie GW 12, 43f vorführt, und etwa keine spekulativen, die der Vernunft angehören. Wenn man die Vernunft nur auf diese formelle Weise als Schluss (und nicht dialektisch) auffasst, ist sie aber ebenso ‚verständig’ als der Verstand selbst, indem „sie unter der Form der abstracten Begriffsbestimmtheit steh[t]“ (GW 12, 32). Peter Jonkers