Litauisch-Deutsche kulinarische Beziehungen

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LITAUEN – SCHWERPUNKTLAND DER LEIPZIGER BUCHMESSE 2017
WIE DER GEPÖKELTE STIER NACH KONSTANZ FUHR.
KULINARISCHE WECHSELBEZIEHUNGEN ZWISCHEN LITAUEN UND DEUTSCHLAND
MIT 31 REZEPTEN
LITAUISCH-DEUTSCHE BEZIEHUNGEN … KULINARISCH
Das Verhältnis zwischen zwei Ländern lässt sich als Geschichte wirtschaftlicher oder politischer
Beziehungen sehen – aber zu seiner Betrachtung darf man sich auch einmal einen Blick durch das Küchenfenster
erlauben. Zwei litauische Wissenschaftler mit Herz für die Küchengeschichte, Rimvydas Laužikas und Antanas
Astrauskas, haben Kochbücher des 17. bis 20. Jahrhundert nach Rezepten durchkämmt, die aus Deutschland nach
Litauen oder aus Litauen nach Deutschland übernommen wurden. Ihre Liste von Speisen und Getränken
ergänzten sie durch eine detaillierte Beschreibung dieser Migration wechselseitiger Einflüsse. Heraus kam die
erste moderne Studie über die Wechselbeziehungen der litauischen und deutschen Küche, die wechselseitigen
kulturellen Einflüsse und die beiden Ländern bis heute lebendige kulinarische Tradition.
Vielfältige Unterschiede als Anstoß des kulturellen Ideenaustauschs
Balten und Germanen, das Großfürstentum Litauen und das Heilige Römischer Reich Deutscher Nation, die
Republik Litauen und die Bundesrepublik Deutschland... Die historischen Beziehungen zwischen diesen beiden
Kulturkreisen reichen Jahrtausende weit in die Vergangenheit. Germania bezeichnete den Rand der lateinisch
sprechenden europäischen Welt mit den jenseits dieser Grenze lebenden Nachbarn, den Aestiorum gentes,
Lituae oder Lituania: Unter diesen Namen traten die baltischen Stämme im Jahr 98 n.Chr. und das Land Litauen
im Jahr 1009 erstmals in das europäische Bewusstsein.
Seit jenen Zeiten gab es allenfalls kurzzeitige und bald wieder zerfallende Zusammenschlüsse der beiden
Kulturräume. Während die deutschen Lande seit langem christlich waren, waren die Litauer noch Heiden; kaum
100 Jahre nach der Christianisierung Litauens begann in großen Teilen des deutschen Kulturkreises der
Protestantismus Fuß zu fassen. Diese deutliche Grenzlinie sorgte für eine gewisse zivilisatorische Spannung
zwischen den beiden Ländern und ermöglichte einen vielfältigen Austausch von Ideen, darunter auch
kulinarischen.
Großes Kopfschütteln auf beiden Seiten über die Koch- und Essgewohnheiten der anderen
Der kulinarische Ideenaustausch der beiden Länder wurden durch die Tatsache begünstigt, dass sowohl
Litauen als auch Deutschland zum kulinarischen Kulturraum Nordeuropas zählten. Dennoch haben die Koch- und
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Essgewohnheiten der Litauer und Deutschen im Lauf der Zeit immer wieder Verwunderung bei den jeweils
anderen hervorgerufen. Peter von Dusburg, Chronist des Deutschen Ordens im 13. und 14. Jahrhundert,
beschrieb als komische Situation die „Exkursion“ eines Fürsten der heidnischen Prußen auf die Burg Balga, bei
der er sah, wie die Ordensbrüder Kohl aßen. Nach seiner Heimkehr soll er seinen Stammesbrüdern gegenüber
gesagt haben: „Außerdem essen sie Gras, gleich Pferden oder Maultieren, wer also kann ihnen Widerstand
bieten, wenn sie selbst in der Einöde ohne Mühe Nahrung finden können?“ Ein anderes Mal, als die Litauer
ihrerseits mit einer exotischen Speise Eindruck machen wollten (entsprechend der gesamteuropäischen Vorliebe
für besondere „Wunderdinge“ im Mittelalter), sandten sie ein ungewöhnliches Geschenk an Kaiser Sigismund von
Luxemburg, den Initiator und Schirmherren des Konzils von Konstanz: einen gepökelten wilden Stier. Dieses
Geschenk hinterließ einen so unauslöschlichen Eindruck bei dem Konstanzer Chronisten Ulrich von Richental,
dass er es in seiner Chronik sogar in einer Zeichnung festhielt, auf der zu sehen ist, wie dieser Stier auf einem
Leiterwagen durch halb Europa transportiert wurde. Einige hundert Jahre später, im 18. Jahrhundert, schilderte
der ostpreußische Pastor und litauische Dichter Christian Donalitius (Kristijonas Donelaitis) anschaulich die
Reaktion eines litauischen Bauern beim Anblick des Essens auf einem deutschen Gut: „Es erschienen … drei
Köche, der eine … nahm eine schwarze Krähe aus, ein anderer riss mit den Nägeln einen ganzen Hasen auf und
kratzte Nester lebender Würmer aus dessen Gedärm; der dritte … schlug furchtbare Kröten in eine Schüssel …,
dass mir vom Zusehen ganz übel wurde und ich aus der Tür stürzte, um mich zu übergeben.“
Kulinarischer Gedankenaustausch: Adlige, Kaufleute und Bauern
Kulinarische Ideen wanderten nicht nur über die Grenzen der politischen Systeme hinweg, sondern auch
innerhalb der Länder spielten die Beziehungen der ethnischen Gruppen untereinander eine bedeutende Rolle.
Die deutschen Handwerker und Kaufleute, die der litauische Großfürst Gediminas im 13. Jahrhundert nach Vilnius
geholt hatte, die Lagerhäuser der Hanse in Kaunas, die deutschen Gutshöfe der Familien Tiesenhausen, Römer,
Grotthuß und von der Ropp in Nordlitauen, nicht zuletzt auch die über ganz Litauen verteilten jüdischen Schtetl:
sie alle vertraten und verbreiteten deutsche Ideen in dem baltischen Land.
Gleichzeitig gab es litauische Professoren an der Königsberger Universität, Spuren der Radziwills (Nikolaus des
Schwarzen, Nikolaus des Roten und Christoph des Jüngeren) auf Burg Ambras in Tirol, den Hausstand von Anton
Radziwill in Berlin, aber auch einfache litauische Bauern in Ostpreußen, die sich als echte Botschafter der
litauischen Esskultur im deutschen Kulturraum verdient machten. Ihnen allen ist das überraschend dicht
geknüpfte Netz kultureller Beziehungen zwischen beiden Ländern zu verdanken, das nicht nur die meisten
Kartoffelgerichte nach Litauen brachte, sondern auch Hamburger Brot, Thüringer Klöße, Tiroler Strudel,
Nürnberger Wecken und Lübecker Konfekt, Wiener (Sacher-)Torte und andere Gerichte.
In der deutschen und österreichischen Küche tauchten gleich mehrere Gerichte aus der Hofküche der
Radziwills auf (z.B. Zander à la Radziwill, Radziwill-Sauce), und den deutschen (ostpreußischen)
Küchenwortschatz bereicherten Gerichte mit litauischen Namen wie Meschkines, Schuppnis und Spirgel.
Auferstehung historischer Gerichte aus professioneller Hand
Das vorgelegte Buch enthält nicht nur Beschreibungen der litauisch-deutschen kulinarischen
Beziehungen und Auszüge aus zeitgenössischen Reisetagebüchern mit den Eindrücken der Reisenden im
Zusammenhang mit Essen und Trinken, sondern auch 31 authentische litauische und deutsche Rezepte, die in
verschiedenen Jahrhunderten über die Grenzen gewandert sind. Alle Rezepte wurden in Litauen getestet; jedes
einzelne Gericht wurde vom Team des Restaurants „Ertlio namas“ (Ertli-Haus) unter der Leitung von dessen
Eigentümer Tomas Rimvydis wieder zum Leben erweckt. Rimvydis stand auch an der Spitze der
„Nationalmannschaft“ litauischer Profiköche unter dem Namen Amber Alliance, die aus der Internationalen
Olympiade der Köche 2016 in Erfurt als Bronze-Gewinner hervorging.
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Zander à la Radziwill
Der „Zander à la Radziwill“ gelangte wie auch die anderen nach dieser Adelsfamilie benannten Rezepte
in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als Vertreter dieser Familie Fürsten des Heiligen Römischen Reiches
wurden, in den deutschen Kulturraum. Das Gericht war der kaiserlichen Küche des Erzherzogtums Österreich
bekannt (zu der Zeit war das jetzige Österreich ein wichtiges Lehen des Heiligen Römischen Reiches, das auch die
österreichische Linie der Habsburger begründete.)
Der Medailleur am Kaiserlichen Hof in Wien, Joachim Deschler (um 1500-1571), gestaltete eine der
Medaillen der Radziwills, die von Michael dem Schwarzen (um 1450-1509). Drei Porträts von Persönlichkeiten
aus der Familie der Radziwills wurden sogar in die Sammlung der berühmtesten Heerführer des damaligen
Europas, die im kaiserlichen Schloss Ambras zusammengestellt worden war, in die „Heldenrüstkammer“ des
Jakob Schenk, mitaufgenommen. Die Radziwills hatten auch zu späteren Zeiten eine sehr enge Beziehung zu
Deutschland. So war Boguslaus Radziwill (1620-1669) Statthalter des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (Brandenburg)
im Herzogtum Preußen, und im 19. Jahrhundert gelangte der prachtvolle Palast von Anton Heinrich Radziwill
(1775-1833), das sogenannte „Palais Radziwill“, zur Berühmtheit. Von 1878 bis 1939 war hier die
Reichskanzlei untergebracht.
Das Originalrezept vom „Zander à la Radziwill“ ist in dem „Gastronomischen Lexikon der Fische, Krebse
und Muscheln“ aus dem Jahre 1898 enthalten.
Rezept
1 Zander (ca. 1,5 kg)
1 EL Butter
1 EL Weizenmehl
100 ml Milch
1 Ei
1 große Möhre
1 Selleriewurzel
1 Petersilienwurzel
1 Pastinakenwurzel
1 Rettich
1 große Zwiebel
Rinderbouillon
Salz, Pfeffer
Den Zander für eine Füllung vorbereiten. Das dem Zander entnommene Fleisch fein zerkleinern. In einem
Töpfchen ca. 1 EL Butter auslassen, etwas Mehl und die Milch hinzufügen und daraus eine Soße bereiten. Die
Soße abkühlen lassen, ein Eigelb sowie das zerkleinerte Zanderfleisch untermischen, mit Salz und Pfeffer
abschmecken. Alles erwärmen und einköcheln lassen. Den Zander mit dieser Masse füllen. Das geschnittene
Gemüse in einen Topf geben, salzen und pfeffern, mit etwas Rinderbouillon aufgießen und den gefüllten Zander
darauf legen. In der Röhre dünsten, bis der Fisch durch ist (ca. 1 Stunde). Ihn zwischendurch mit der
Rinderbouillon mehrmals übergießen. Wenn der Fisch gar ist, ihn vom Gemüse nehmen. Auf das Gemüse Butter
zum Dünsten geben, um noch Soße zu erhalten. Den Zander mit dem gedünsteten Gemüse anrichten. Er kann
auch mit der "Garnierung à la Radziwill" gereicht werden.
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Prof. Rimvydas Laužikas
Nicht nur im Deutschen, auch im Litauischen stehen die Wörter Geschichte und Geschichten in engem
Zusammenhang. Ziel der Geschichtswissenschaft ist die Erforschung von Gesellschaften der Vergangenheit,
während Geschichten in Gesellschaft von Freunden erzählt werden. Ein Historiker muss nicht nur die
Vergangenheit erforschen, sondern auch Geschichten erzählen können. Bei seinen archäologischen
Untersuchungen von Kirchen und Adelshöfe im Mittelalter und in der frühen Neuzeit und seiner Forschungsarbeit
in Museen und Archiven sucht Professor Rimvydas Laužikas immer nach den Geschichten innerhalb der
Geschichte. Als Feinschmecker und echter Bürger des Großfürstentums Litauen ist er offen für andere Kulturen
und probiert gern Gerichte aus anderen Ländern (oder anderen Epochen) in seiner Küche und auf seiner Zunge
aus. Was mit einem Faible für Geschichten begann, wurde zu kulinarischen Historien, die Laužikas nicht nur in
diesem Buch erzählt, sondern auch in zahlreichen Monographien zur litauischen Küchengeschichte dargelegt hat.
Antanas Astrauskas
Der Wissenschaftler schreibt seine Doktorarbeit über die historische Entwicklung der Begrifflichkeit in
der litauischen Küche. Zu seinem Spezialgebiet, der Geschichte alkoholischer Getränke, veröffentlichte er 2008
die Monographie „In meinen Bart getropft: Geschichte der alkoholischen Getränke in Litauen“. Antanas
Astrauskas ist ein gefragter Redner und berät Hersteller alkoholischer Getränke und Lebensmittelproduzenten
sowie Gaststätten zur historischen Authentizität ihrer Produkte; daneben schreibt er Artikel zu Themen des
kulinarischen Erbes für die breite Presse. In diesem Buch wirft Astrauskas einen Blick auf die aus Deutschland
nach Litauen übernommenen Gerichte und Getränke und das entsprechende kulinarische Gedankengut.
Tomas Rimydis
Der renommierte litauische Chefkoch, Eigentümer des Vilniusser Restaurants für historische Küche „Ertlio
namas“, stellt historische europäische Köstlichkeiten „à la Radziwill“ und alte Rezepte aus den Küchen litauischer
Klöster und Adelshöfe in neuer Interpretation vor. Rimvydis ist nicht nur ein echter Liebhaber seiner Heimat und
der Schätze, die der litauische Boden hervorbringt, sondern auch ein talentierter und couragierter
Küchenkünstler. Unter seiner Leitung errang die „Nationalmannschaft“ litauischer Profiköche olympische Bronze
auf der Internationalen Olympiade der Köche 2016 in Erfurt.
Eglė Mačerauskė
Die begabte Food- und Lifestyle-Fotografin, Chefredakteurin und Kreativdirektorin des ersten litauischen
Food-Magazines verfolgt aktiv alle Strömungen zum Thema „Guter Geschmack“. Mit ihrer gleichzeitig erwachten
Leidenschaft für das Zubereiten wie für das Fotografieren von Essen entwickelte sich Mačerauskė von einer
beliebten Food-Bloggerin zur Herausgeberin und Fotografin mehrerer Bücher zum Thema Kochen. Von hohem
Wiedererkennungswert sind ihre Fotografien mit ihrer klaren ästhetischen Sprache und natürlichen Beleuchtung.
Die Fotografin folgt ihrer Überzeugung, dass jedes Bild eine Geschichte zu erzählen hat. Das neue Buch enthält
32 Fotografien von Mačerauskė: 31 kulinarische Bilder und ein weiteres zur Entstehungsgeschichte des Buches.
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