Buchtipp: Die 7 Todsünden der modernen Medizin

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Die 7 Todsünden der modernen Medizin
Veröffentlicht: 19/03/2014 10:03 CET
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Michael Imhof wütet. Auf über 270 Seiten. Sein neues Buch „Eidesbruch“ ist eine
lesenswerte Abrechnung mit Ärzten, die mehr auf Profit achten als auf das Wohl ihrer
Patienten.
Imhof arbeitete selbst als Chirurg an der Uniklinik Würzburg. Er will nicht pauschalisieren,
will kein Nestbeschmutzer sein. Aber aufrütteln möchte er. „Ihr Menschen, ihr Patienten –
empört euch!“ Imhof schreibt voller Leidenschaft, geißelt ein System, das ins Wanken gerät
und falsche Prioritäten setzt.
Schuld sind seiner Meinung nach die sieben Todsünden der modernen Medizin.
1. Kommerzialisierung von Krankheit und Leiden
Gegen Wirtschaftlichkeit, das macht Michael Imhof immer wieder deutlich, hat er überhaupt
nichts. Doch er wird sauer, wenn Fragen nach Krankheit, Leiden und Tod in den Hintergrund
treten würden – und Gewinnsteigerung in den Vordergrund.
Ein grundlegendes Umdenken in Krankenhäusern lösten die Fallpauschalen aus. Die
Krankenhäuser verdienen nicht mehr mit Tagessätzen, sondern weitestgehend aufgrund von
Diagnosen. Die Folge: Die Verweildauer in den Kliniken sinkt, Behandlungen mit hohen
Sachkosten nehmen zu.
Imhof nennt beispielsweise Bandscheiben-Operationen und Kniegelenkeingriffe. Dass diese
nur aufgrund der immer älter werdenden Gesellschaft zunehmen, lässt Imhof als alleinige
Ursache nicht gelten. Er sieht einen klaren Zusammenhang mit den Fallpauschalen. Imhof
nennt zwei Zahlen, die nachdenklich stimmen. 200.000 künstliche Hüftgelenke werden in
Deutschland Jahr für Jahr eingesetzt. In übrigen Europa seien es rund 300.000.
Der Druck auf die Ärzte, messbare Leistungen zu erbringen, steige. „Es wird eben nur noch
das getan, was sich rechnet“, bilanziert Imhof. Damit das Krankenhaus wirtschaftlich bleibt,
würden „schicke Unternehmensberater ohne medizinischen Hintergrund“ die Leistungszahlen
vorgeben. „Es ist ein unwürdiges und makabres Spiel, dass Ärzte und Geschäftsführer
mittlerweile darum feilschen, wie viele ‚unrentable Patienten’ noch stationär aufgenommen
werden dürfen“, schreibt Imhof.
Ein Arzt, der seinen Chefarzt-Posten geschmissen hatte, sagte dem ARD-Magazin Monitor:
„Jeden Monat saß ich auf einer Chefarztkonferenz, die Fallzahlen wurden an die Wand
geworfen, und ich sah meine eigene Abteilung immer rot aufleuchten, weil wir die Fallzahlen
nicht erreicht haben“,
2.Geldgier
Pharmaunternehmen geben Unmengen an Geld für Marketing aus. Das sei ein Grund, warum
Medikamente in Deutschland deutlich teuerer als in vielen anderen Ländern seien. Imhof
nennt das Beispiel Aspirin.
Während eine Aspirin-Tablette in England etwa zwei Cent koste, zahlen wir 20 Cent.
Krassere Unterschiede gebe es bei Tabletten des Krebspräparates Glivec. 30 Tabletten würden
in Deutschland rund 3500 Euro kosten, in Schweden 2400 Euro. „Bis heute diktieren die
Hersteller für patentgeschützte Präparate den Krankenkassen die Preise“, kritisiert Imhof.
3. Habsucht
Die Überlegung der Ärzte war geschickt: „Individuelle Gesundheitsleistungen“? Diese
Wortkombination klingt unsexy, nennen wir es doch kurz IGeL. Ein Igel ist zwar stachelig,
aber doch irgendwie süß.
Der Katalog für diese Zusatzleistungen, die Krankenversicherte selbst bezahlen müssen, wird
immer bunter und länger. Arzthelferinnen, berichtet Imhof, würden mittlerweile zu „IGeL“Managerinnen ausgebildet, um die Zusatzleistungen rhetorisch brillant an den Mann (oder die
Frau) zu bringen.
Das lohnt sich für die Helferinnen, denn oft würden sie eine Umsatzbeteiligung erhalten. Es
gibt eine Reihe sinnvoller Zusatzleistungen, etwa die Messung des Augeninnendrucks. Aber
nicht nur die Verbraucherzentrale NRW warnt vor Leistungen, „die kaum bis keinen
medizinischen Nutzen haben“. Es entwickelte sich ein „in der ethischen Grauzone
operierender Markt“, warnt Imhof. „Hier wird Heilkunst zum Geschacher.“
4. Korruption
Imhof spricht von „modernen Verschiebebahnhöfen zwischen den niedergelassenen Ärzten,
Kranken- und Sanitätshäusern“. Sogenannte Kooperationsverträge könnten dazu führen, dass
Patienten nicht unbedingt in die beste Spezialklinik überwiesen würden, sondern zu jenem
Krankenhaus, von dem der Arzt oder der Hörgeräteakustiker eine „Prämie“ kassiert.
Imhof zitiert eine Studie der Universität Halle-Wittenberg, nach der jede vierte Klinik
„derartige Fangprämien für Patienten“ zahle (zur Studie gelangen Sie hier). Der Deutsche
Ärztetag bewertete die Ergebnisse als unseriös.
5. Ethische Probleme
Glaube nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast, heißt einer der Lieblingssätze von
Stochastikern. Imhof ist besorgt. Er ist sich sicher, dass die Liste gefälschter
Studienergebnisse immer länger werde. Unabhängige Studie zur Wirksamkeit von
Medikamente n gebe es viel zu selten. Der Grund: „Die Auftraggeber der Studien sind ja in
vielen Fällen die Hersteller selbst, und diese haben natürlich ein großes Interesse daran, ihre
Produkte auf den Markt zu platzieren.“
Die Pharmaindustrie beweise Kreativität, um nach Ablauf der Forschungsphase die Ergebnise
der Forschungseinrichtugnen und Universitäten in die ein oder andere Richtung zu drehen.
6. Fehlendes Mitleid
Imhof wird in diesem Punkt besonders deutlich. „Regelrecht pervers“ sei das, wenn auch in
den letzten Tagen des Lebens „aggressive Therapien aufgefahren werden“. Nicht alles was
machbar sei, sei auch medizinisch sinnvoll.
Nicht bis zum Schluss alle Therapien gewinnbringend auszureizen sei eine Herausforderung
für die „zunehmend durch ökonomisch gefasellete Zwänge gefessellte Medizin des 21.
Jahrhunderts“.
Ärzte müssten auch in den letzten Tagen ihre Behandlungen stoppen, wenn keine Chance auf
Hoffnungs mehr bestehe. Stattdessen werde auch in hoffnungslosen Situationen „oft bis in
den letzten Atemzug hinein" behandelt, vor allem bei Krebskranken.
7. Machbarkeitswahn
Wer ist schon gesund? Niemand so richtig. Irgendwas ist ja immer. Und wenn gerade mal
nichts ist, kann man ja neue Krankheiten finden. Erfinden, würde manche Kritiker sagen.
Die „Wechseljahre des Mannes“ hält Imhof für so einen Krankheits-Mythos. Wenn ältere
Männer jetzt müde sind oder eine schwächelnde Libido hätten, sei daran ein TestosteronMangelsyndrom schuld.
Imhof findet das lächerlich, und er nennt die „Hormonmangelseuche“ als ein Beispiel, wie die
Pharmaindustrie auch an Gesunden verdienen möchte. Dieser Trend werde sich in Zukunft
noch verstärken.
Michael Imhof: Eidesbruch. Ärzte, Geschäftemacher und die verlorene Würde des Patienten.
Erschienen im Campus-Verlag, als Hardcover 22 Euro.
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