Themenfelder der Politischen Soziologie

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Politische Soziologie
Erkenntnisinteresse – Forschungsfragen - Themenbereiche
Universität Potsdam, SS 2009
Viktoria Kaina
Gliederung:
1. Standortbestimmung als Wissenschaftsdisziplin
2. Definitionsangebote
3. Erkenntnisinteressen und Forschungsfragen der PS
4. Themenfelder
Traditioneller Fächerkanon der Politikwissenschaft:
(z.B.: Jürgen Bellers & Rüdiger Kippke (2006): Einführung in die Politikwissenschaft, München.)
ƒ (Vergleichende) Regierungslehre
ƒ Politische Philosophie und Ideengeschichte
ƒ Internationale Beziehungen
Aber: nicht mehr „up to date“ !
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Neuere Bestandsaufnahmen der Politikwissenschaft
als Lehr- und Forschungsdisziplin (u.a. Klingemann 2007, 2008):
1. Spezialisierung – Fragmentierung – Hybridisierung des Faches
2. Sieben Sub-Disziplinen:
ƒ Politische Theorie und Ideengeschichte
ƒ Politisches System des eigenen Landes und der Europäischen Union
ƒ Öffentliche Verwaltung und Policy-Analyse
ƒ Vergleichende Politikwissenschaft
ƒ Internationale Beziehungen
ƒ Methoden, einschließlich Statistik
ƒ Politische Ökonomie und Politische Soziologie
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Politische Soziologie als umstrittene Disziplin - Ursachen:
1. Andauernde Standort- und Profilsuche
2. Themenkonjunkturen und Paradigmenwechsel
3. Dissens in der Begriffsbestimmung
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Zu 1: Standort- und Profilsuche
ƒ Kann die Politische Soziologie Eigenständigkeit beanspruchen?
Pro: z.B. Otto Stammer
Contra: z.B. Ulrich v. Alemann
Ö Eigenständigkeit als Fach
Ö kein eigenständiges Themenfeld, weil einverleibt
Zwischenposition: Eigenständigkeit als Sub-Disziplin
ƒ Wem „gehört“ die Politische Soziologie?
untaugliche Monopolisierungsversuche
Ö Teil-Disziplin zwischen Soziologie und Politikwissenschaft
Ö „Scharnierdisziplin“ zwischen Soziologie und Politikwissenschaft (Kißler 2007)
Ö klassisches Beispiel für interdisziplinäres Erkenntnisinteresse
Ö institutionelle Verankerung in deutschen Berufsverbänden beider Disziplinen
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Zu 1: Standort- und Profilsuche
ƒ Welche Perspektiven „borgt“ sich die PS aus Soziologie und Politikwissenschaft?
Soziologie:
• Formen der Vergemeinschaftung (z.B. Familie/Verwandtschaft/Sippe/Nachbarschaft/soziale Gruppe)
• Formen der Vergesellschaftung (Institution, Organisation, Gesellschaft, Staat)
Rattinger (2009):
Ö Untersuchung von:
• sozialen Aggregaten und Gruppen in ihrer institutionellen Organisation
• Institutionen und ihrer Organisation
• Ursachen und Folgen der Veränderung von Institutionen und sozialen Organisationen
Schäfers (2001):
Ö Soziologie als Umbruch- oder Krisenwissenschaft zur Erklärung gesell. Umbrüche und
Suche nach Wegen für deren Bewältigung Ö emanzipatorisches Erkenntnisinteresse
Politikwissenschaft:
Ö Gegenstand Politik in ihren unterschiedlichen Analysedimensionen von:
• polity
Standortbestimmung
• policy
Begriff
• politics
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Zu 1: Standort- und Profilsuche
Analysedimensionen von Politik:
Bezeichnung
Dimension
Erscheinungsformen
Merkmale
polity
Form
- Verfassung
- Normen
- Institutionen
- Organisation (Herrschaft)
- Verfahrensregelungen
- Ordnung
policy
Inhalt
- Aufgaben und Ziele
- politische Programme
- Problemlösung
- Aufgabenerfüllung
- Wert- und Zielorientierung
- Gestaltung
politics
Prozess
- Interessen
- Konflikte
- Kampf
- Macht
- Konsens
- Durchsetzung
In Anlehnung an Böhret/Jann (1988).
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Zu 2: Themenkonjunkturen und Paradigmenwechsel
ƒ damit i.d.R. Neuausrichtung in Erkenntnisperspektiven und
ƒ Prioritätenwechsel in universitärer Ausbildung
Ö bis Anfang der 1980er Jahre profitierte PS in DL von Welle des Behaviorismus
Ö deutsche Politikwissenschaft traditionell normativ ausgerichtet und institutionenfixiert
Ö Behaviorismus ergänzte neue Erkenntnisperspektiven:
• politisches Verhalten von Bürgern und politischen Akteuren
• dessen Voraussetzungen und Folgen
Ö Siegeszug der quantitativen Methoden der empirischen Sozialforschung:
• zentrales und bis heute dominierendes Handwerkszeug der PS
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Zu 2: Themenkonjunkturen und Paradigmenwechsel
ƒ 1980er Jahre: neo-institutionalistische „Wende“ in der Politikwissenschaft (March/Olsen 1984)
ƒ Folge: Behaviorismus verliert seine zeitweilige Dominanz
ƒ Begleiterscheinung neo-institutionalistischer Neuorientierung:
Ö neues Interesse an Funktionstüchtigkeit und Eigenlogik von Institutionen
Ö größere Aufmerksamkeit für Steuerungsfähigkeit des Staates und die Inhalte von Politik
Ö stärkere Beachtung der veränderten Voraussetzungen und Folgen von Regierungstätigkeit
Resultat: Forschungsfragen und Erkenntnisinteressen der PS gerieten in den Hintergrund
Ö forciert durch gewachsenen „Verwertungsdruck“ wissenschaftlicher Forschung
d.h.: „technisches“ Erkenntnisinteresse tendenziell privilegiert
Aber: Paradigmen sind vergänglich (Kuhn 1976)
Ö neue gesellschaftliche Herausforderungen: neue Relevanz für PS wahrscheinlich
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Zu 3: Dissens in der Begriffsbestimmung
ƒ keine griffige und allgemein akzeptierte Definition von Politischer Soziologie
ƒ kein Konsens über zentrale Forschungsgegenstände der Politischen Soziologie
ƒ kein festgefügter Kanon an Wissensbeständen der Politischen Soziologie
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Was „ist“ Politische Soziologie?
Enge Definition: Rattinger (2009)
Ö „Mikropolitik“: Verhalten und Einstellungen von Individuen und Gruppen
Weitere Definition: z.B. Stammer (1951); Schiller (1997); Pappi (2002); Kaina/Römmele (2009)
Ö Ausgangsthese:
Staat und Politik können nur im Zusammenhang mit der
gesellschaftlichen Wirklichkeit verstanden werden
Womit beschäftigt sich Politische Soziologie?
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Womit beschäftigt sich Politische Soziologie?
Ö PS analysiert Politik im Wirkungszusammenhang von „political order“ und „social order“:
ƒ gesellschaftliche Bedingungen von Politik einerseits
ƒ Wirkungen von Politik auf die Gesellschaft andererseits
Ö Hauptarbeitsgebiet der PS (Pappi 2002):
ƒ gesellschaftliche Bedingungen politischen Verhaltens und politischer Ordnungen
ƒ Einwirkungen der Politik auf die Gesellschaft
ƒ Struktur von politische Institutionen und Ablauf politischer Prozesse
Was „ist“ Politische Soziologie?
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Was „ist“ Politische Soziologie?
Vorschlag:
Politische Soziologie ist die Analyse von Politik im
Wirkungszusammenhang der Gesellschaft
Problem:
breite Begriffsbestimmung erschwert Profil- und Standortbestimmung
Notwendigkeit:
Festlegung der Analyseebenen in den Erkenntnisperspektiven der PS
Analyseebene
Analyseobjekt
Makro
Gesellschaft
Meso
Organisationen, Institutionen
Mikro
Individuen, Gruppen
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Erkenntnisinteressen der Politischen Soziologie
Kißler (2007)
Analyse gesellschaftlicher Grundlagen und Konsequenzen
politischer Macht und Herrschaft unter den Anforderungen
von Demokratie
Aufgabe und Ziel der Politischen Soziologie:
Ö Aufdecken von Widersprüchen zwischen
• Ideal und Wirklichkeit bzw. Norm und Realität in der Demokratie
• politischer Gleichheit und sozialer Ungleichheit
Politische Soziologie als praxisorientierte und kritische Demokratiewissenschaft
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit als Antriebskraft
wissenschaftlicher Erkenntnissuche
Ö schon vor mehr als 100 Jahren bei den „Klassikern“ der Politischen Soziologie, z.B.:
Karl Marx
• stellte Staat erstmals in Zusammenhang mit ökonomisch bedingten Machtverhältnissen
und Gruppenwillen
Moisei Ostrogorski und Robert Michels
• kritische Analyse der Oligarchisierung und Bürokratisierung entstehender Massenparteien
Ö Begründer der Parteiensoziologie
Vilfredo Pareto und Gaetano Mosca
• kritische Analyse der herrschenden Eliten
Ö „Väter“ der Elitensoziologie
Max Weber
• das Schwergewicht der modernen PS als Macht- und Herrschaftssoziologie
Ö u.a. Begründer der Verwaltungssoziologie
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit als Antriebskraft
wissenschaftlicher Erkenntnissuche
Heute:
• stetes Spannungsverhältnis zwischen (demokratischem) Anspruch und (politischer) Realität
• mit Regimewechselprozessen Mittel- und Osteuropa neue Fragen, z.B.
• Defizite, Strukturprobleme und Leistungsschwächen etablierter Demokratien
• Qualität von Demokratien
• neue Herausforderungen der Demokratien von innen (gesellschaftlicher Wandel), z.B.
• Differenzierung und Individualisierung
• Säkularisierung
• Tertiärisierung
• demographischer Wandel
• neue Herausforderungen der Demokratien von außen, z.B.
• Globalisierung
• Europäisierung
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
Themenfelder der Politischen Soziologie - Beispiele
Analytische Makroebene
• Nationenbildung und Staatswerdung
• innergesellschaftliche Konfliktstruktur (cleavages)
• Demokratisierung
• Sonderfall: Politische Kultur
Analytische Mesoebene
• Interessenartikulation und –aggregation, z.B. NSB
• Institutionenanalyse, z.B. Parteien, Verbände, Parlamente, Bürokratien
Analytische Mikroebene
• politische und soziale Partizipation, z.B. Wahlverhalten
• politische Einstellungen und Wertorientierungen
• Eliteforschung
Achtung:
Ö viele Mikro-Phänomene haben Entsprechung auf Makroebene (Aggregation)
Standortbestimmung
Begriff
Erkenntnisinteressen
Themenfelder
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