R Repetitorium 10. Einführung in die Virologie – H. Flenker “Auch mit einem kleinen Beil kann man große Bäume fällen”, diese chinesische Weisheit beschreibt treffend unser Thema. Viren sind nur wenige nm groß Epithelzellen sind 1000fach größer - und doch haben sie nachhaltig die Geschichte der Menschheit beeinflusst, z. B. durch Virusepidemien mit ihren oft katastrophalen Auswirkungen. Die aktuelle Grundlagenforschung in Biologie und Medizin verdankt der Virologie entscheidende Impulse. Definition und Aufbau eines Virus Viren sind - ohne ihren Wirtsorganismus - leblose, infektiöse Partikel, es sind 20 nm (Parvoviren) bis 300 nm (Pockenviren) große Makromoleküle ohne Zellorganellen. Viren infizieren Bakterien, Pflanzen und Tiere1, 3. Sie bestehen lediglich aus Genom und dem ProteinKapsid. Einige Viren sind zusätzlich von einer Hülle (Envelope) umgeben, sie ähnelt biochemisch den Membranen der Zelle (Abb. 1). Viren sind intrazelluläre Parasiten, Stoffwechsel und Replikation übernimmt die infizierte Zelle. Virusfamilien Die Einteilung der Viren in Familien erfolgt nach dem Vorhandensein oder Fehlen einer Hülle und dem Aufbau ihres Genoms3. RNA Viren haben gewöhnlich ein Einzelstrang-Genom, DNA Viren ein Doppelstrang-Genom (Tab. 1). Aber auch Doppelstrang-RNA bzw. Einzelstrang-DNA finden sich bei Viren; sie spielen in unseren Breiten für die Humanmedizin keine Rolle. Die Subklassifikation erfolgt nach der unterschiedlichen Basensequenz des Genoms. Erkrankungen Familie Genom* Virushülle des Menschen Picornaviren RNA bis nein Poliomyelitis Hepatitis A 8.000 bp Flaviviren RNA ja 10.000 bp Paramyxoviren RNA bis Rhinitis (Schnupfen) Hepatitis C - Frühsommer- Meningoen- ja zephalitis Mumps - Masern ja AIDS - 20.000 bp Retroviren RNA bis T-Zellen-Leukämie 12.000 bp Hepadnaviren DNA ja Hepatitis B (und Papillomaviren 3.000 bp DNA nein Leberzellkarzinom) Hautwarzen - CIN, VIN etc. (und anoge- 8.000 bp nitale Karzinome) Herpesviren DNA bis 250.000 bp ja Herpes simplex Cytomegalie, infektiöse Mononukleose Windpocken und Gürtelrose * DNA Genom = Doppelstrang, RNA Genom = Einzelstrang, bp = Basenpaare Abb. 1: Virus in schematischer Darstellung; li: Virus mit Genom und Protein-Kapsid; re: Virus mit äußerer Phospholipid-Hülle und Molekülen für zelluläre Membranrezeptoren Viren und Gentechnologie Bereits 1960 war bekannt, dass Bakterien durch (virale) Bakteriophagen infiziert werden. Den Befall wehren die Bakterien mit Restriktionsendonukleasen ab. Diese Enzyme sind die Grundlage unserer gentechnologischen Verfahren1. Folgen der Virusinfektion Wirtszelle und Organe werden durch die Virusinfektion unterschiedlich geschädigt: a. die Zellen werden lytisch zerstört z. B. bei Hepatitis A, B oder C b. die Zellen überleben, sie sind dann chronisch infiziert z. B. bei Herpes simplex oder Papillom Viren c. Zellen werden immortalisiert, d. h. die Apoptose wird unterbunden; dies kann der erste Schritt zur malignen Transformation sein1, 3. Virusinfektion der Zelle Die Infektion der Zelle verläuft - trotz Unterschieden im Detail - in vergleichbaren Phasen1, 3 : a. Adsorption: Viren binden an Membranrezeptoren der Zelle. Die Rezeptoren sind offenbar für die normalen Zellfunktionen erforderlich, besitzen aber zugleich eine besondere Affinität zu Virusproteinen. Zellspezifische Adhäsionsmoleküle bestimmen das Wirtsspektrum eines Virus b. Penetration: Viren penetrieren die Zellmembran oder werden endozytotisch aufgenommen c. Uncoating: virales Genom und Strukturproteine des Kapsids werden getrennt d. Genomreplikation: die infizierte Zelle repliziert zunächst das virale Genom e. virale Genexpression: die Zelle synthetisiert virale Enzyme und Strukturproteine 64 Aus Cyto-Info 4/ 2007, Herausgeber: Verband Deutscher Cytologisch Tätiger Assistenten e.V Tab. 1: Beispiele für Virusfamilien und Erkrankungen des Menschen f. Aufbau kompletter, nun wieder infektiöser Viren und Freisetzung über die Zellmembran oder durch Zellzerfall (Lyse) Aus Cyto-Info 4/ 2007, Herausgeber: Verband Deutscher Cytologisch Tätiger Assistenten e.V Viren können mit dem Blutstrom zirkulieren (virämische Phase) und weitere Zellen oder Organsysteme infizieren (z. B. Hepatitis, HIV), oder sie bleiben lokal ohne Virämie auf eine Region begrenzt (z.B. HPV). Die Phase der Infektion und Replikation wird als produktiver Infektionszyklus bezeichnet. Bisweilen kann ein Virus nicht alle Teilschritte durchlaufen, die Zelle ist dann zwar infiziert, bildet aber keine infektiösen Partikel (nicht-produktiver oder abortiver Infektionszyklus). Einige Viren weisen einen wiederkehrenden Wechsel im Infektionszyklus auf, die latente Virusinfektion wie z. B. bei Herpesviren. Körpereigene Abwehrreaktionen Neben den unspezifischen Abwehrmechanismen (Fieber, Phagozytose durch Granulozyten oder Monozyten) sind Interferone wichtig: in der Frühphase der Infektion interagierende Proteine, sie unterbinden im Infektionszyklus die Transkription des viralen Genoms oder die Expression viral codierter Proteine, sie modifizieren exprimierte Proteine und hemmen die Neubildung infektiöser Viren. Interferone werden heute gentechnisch hergestellt. Ihre praktische Anwendung ist durch teils erhebliche Nebenwirkungen jedoch eingeschränkt1. Antigene Areale in Hülle oder Kapsid aktivieren das Immunsystem. Lymphozyten reagieren nach dem Antigenkontakt dann spezifisch gegen die von ihnen als fremd erkannte Struktur. B-Lymphozyten sezernieren als Plasmazellen spezifische, zirkulierende Antikörper. Die Antigen-Antikörper Reaktion inaktiviert Viren und verhindert die Infektion (vorwiegend wirksam bei virämischer Infektion). T-Lymphozyten hingegen agieren zytotoxisch, sie greifen auf zellulärer Ebene bereits infizierte Zellen an. Die Zelle wird durch Apoptose eliminiert (vorwiegend wirksam bei nicht virämischer Infektion, auch gegen die Oberflächenstruktur z. B. einer Tumorzelle). Die Impfung ist bei zahlreichen Virusinfektionen erfolgreich. Mögliche Mutationen stehen dem Erfolg entgegen. Insbesondere RNA Viren haben eine hohe Mutationsrate, die Proteine in Kapsid oder Hülle sind damit ungewöhnlich variabel1, 3. Impfungen gegen HIV oder gegen Rhinoviren dürften schwierig herzustellen sein. Transformation der Zelle und Tumorbildung In der Regel leiten nicht-produktive Infektionen - d. h. latente und persistierende Verläufe - die maligne Zelltransformation ein. DNA Viren werden häufig in das zelluläre Genom integriert, von der Zelle exprimierte virale Regulationsproteine können dann mit zellulären Tumorsuppressor-Proteinen (p53, RB u. a.) interagieren2,3. Die Zelle wird zunächst immortalisiert, d. h. die 65 physiologische Apoptose ist unterbunden: bei HPV Infektionen ist die Zellzahl stark vermehrt, es bilden sich Warzen (Haut) oder Condylome. Weitere Co-Faktoren können dann im Verlaufe von mehreren Zellgenerationen - nach mehr als 10 - 15 Jahren - die Zelle maligne transformieren. Beispiele für tumortransformierende Viren in der Humanmedizin : Hepatitis B (-> Leberzellkarzinom), infektiöse Mononukleose (-> nasopharyngeales Karzinom, Burkitt Lymphom) und HPV (-> Karzinome der anogenitalen Schleimhäute). 15 - 20% aller humanen Karzinomfälle dürften durch Viren ausgelöst sein. Durch RNA Viren hervorgerufene Malignome insbes. Leukosen - sind bei Vögeln und Säugern weit verbreitet. Zytopathologie Spezifische Zellveränderungen bei Virusinfektionen sind für zahlreiche Organerkrankungen beschrieben2. Typisch sind Mehrkernigkeit z. B. bei HPV (Abb. 2), HSV und Masern und nukleäre Einschlüsse (Milchglaskerne) z. B. bei Cytomegalie oder Herpes (Abb. 3). Abb. 2: HPV Infektion mit mehrkernigen Koilozyten Abb. 3: Herpes Infektion mit sog. "Milchglaszellen" Literatur : 1. DOERFLER W: Viren. Fischer TB, Frankfurt M., 2002 2. KOSS LG, MELAMED MR: Koss´ diagnostic cytology. 5th ed., Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia 2006 3. MODROW S, FALKE D, TRUYEN U, : Molekulare Virologie. 2. Aufl., Spektrum Gustav Fischer, Heidelberg 2003