Gadamer: Wahrheit und Methode

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Joachim Stiller
Gadamer:
Wahrheit und Methode
Materialien zu dem Werk „Wahrheit
und Methode von Hans-Georg Gadamer
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Wiki: Wahrheit und Methode
Wahrheit und Methode (1960, Tübingen) ist das wohl bekannteste Werk des deutschen
Philosophen Hans-Georg Gadamer, der darin seine Vorstellung einer universalen
Hermeneutik formuliert.
Gadamer versteht die Hermeneutik weder als Theorie noch als Methode oder Methodik.
Vielmehr ist sie das Phänomen des Verstehens und der sachgerechten Auslegung des
Verstandenen. Im Werk bemüht sich Gadamer um die Herausbildung der Begriffe Wahrheit,
Sinn, Erkenntnis und Verstehen.
Die Hermeneutik beschränkt sich nicht auf die wissenschaftliche Wahrheitsfindung. Denn
auch durch Kunst und Geschichte kann Wahrheit offenbart werden. Diese Wahrheit erfährt
man durch Verstehen in Form eines Dialoges, wobei es gleich ist, ob man sich mit einem
Gesprächspartner, einem Text, einem Gemälde oder sonst einem Gegenstand
auseinandersetzt. Die Hermeneutik soll diese Wahrheit, die die wissenschaftliche Methodik
übersteigt, legitimieren.
Inhaltsverzeichnis
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1 Der hermeneutische Zirkel und das Problem der Vorurteile
2 Das hermeneutische Problem der Anwendung
3 Die Logik von Frage und Antwort
4 Sprache als Medium der hermeneutischen Erfahrung
5 Der universale Aspekt der Hermeneutik
6 Aufgabe der Hermeneutik nach Gadamer
Der hermeneutische Zirkel und das Problem der Vorurteile
Eine hermeneutische Regel ist, das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem
Ganzen zu verstehen. Die Bewegung des Verstehens läuft von einem zum anderen und wieder
zurück, wobei das Verständnis von beidem erweitert wird (hermeneutischer Zirkel).
Etwas zu verstehen bedeutet, einem Text, Gesprächspartner oder Kunstwerk mit einer
konkreten Erwartung entgegenzutreten und diese dann während des Eindringens in den Sinn
des Gegenübers beständig zu revidieren. Diese Erwartung ist eine Vormeinung oder auch ein
Vorurteil zum jeweiligen Thema. Zum Verständnis des Gegenübers genügt es nicht, dessen
Sinn in die eigene Vormeinung zu integrieren. Vielmehr muss man den Willen aufbringen, die
eigene Vormeinung auf Geltung und Herkunft zu überprüfen und in Bezug zum Sinn des
Gegenübers zu setzen. Daraus erwächst eine die eigene Vormeinung und den Sinn des
Gegenübers umfassende Wahrheit im Sinne einer Horizonterweiterung.
Dem Vorurteil kommt eine besondere Bedeutung zu. Zu unterscheiden ist ein Vorurteil im
Sinne von Voreingenommenheit und Engstirnigkeit von einem Vorurteil im Sinne von
Vormeinung, die zu erweitern man bereit ist. Durch die Aufklärung ist dieser Begriff negativ
im Sinne eines unbegründeten Urteils belegt worden. Die moderne Wissenschaft der
Aufklärung will alles vernünftig und vorurteilsfrei verstehen. Damit ist nicht die
Überlieferung, sondern die Vernunft letzte Quelle der Autorität. Ihr werden andere
Autoritäten untergeordnet. Doch absolute Vernunft ist unmöglich, da auch der freieste Geist
begrenzt - weil menschlich - ist und somit von Vorurteilen beherrscht wird. Ein menschlicher
- also begrenzter - Geist kann niemals eine allumfassende - also unendliche - Wahrheit
erfahren oder begreifen.
Die Betonung von Vernunft und Freiheit in der Aufklärung führten zur Negativbelegung des
Begriffs der Autorität in Verbindung mit blindem Gehorsam. Gerade aus Vernunft sollte man
jemandem, der an Einsicht und Urteil überlegen ist, Autorität zubilligen. Autorität muss durch
Anerkennung der Überlegenheit in Urteil und Einsicht erworben und kann nicht verliehen
werden. Damit ist eine Autorität eine Wahrheitsquelle, während sie von der Aufklärung als
Vorurteilsquelle diffamiert wurde. Jede Tradition (z. B. die Wirklichkeit der Sitten) entspringt
der Überlieferung. Somit ist für Gadamer die Tradition oder auch Überlieferung von
übergeordneter Autorität. Denn auch die Wissenschaft der Vernunft ist Entwicklung und
Veränderung unterworfen. Damit ist sie Teil der Geschichte und somit einer Tradition
unterworfen.
Das hermeneutische Problem der Anwendung
Das Verstehen ist eine Anwendung auf eine Situation. Die Anwendung beinhaltet eine
Auseinandersetzung mit dem Text durch seine Infragestellung. So ist der Sinn eines Textes
losgelöst von der Intention des Autors zu verstehen. Die Hermeneutik ist eine Reflexion
darüber, was mit einem selber in einem Dialog geschieht: sich selbst verstehen im Verstehen
einer Sache.
Die Logik von Frage und Antwort
Die Frage entspricht der offenen Struktur des hermeneutischen Bewusstseins. Sie hat einen
Richtungssinn, der das Befragte in ein bestimmtes Licht rückt, weist jedoch trotzdem ins
Offene. Die Antwort hat nur im Sinne der Frage Sinn. Die Frage erfordert das Wissen des
Nichtwissens. Bestimmtes Nichtwissen führt zu einer bestimmten Frage. Das Wesentliche
eines Einfalls ist nicht das Einfallen der Lösung eines Problems, sondern der Einfall einer
bestimmten offenen Frage.
Sprache als Medium der hermeneutischen Erfahrung
Dialektik ist die Kunst, ein Gespräch zu führen, d.h. sie ist die Kunst der Begriffsbildung als
Herausbildung des Gemeinsamen. Ein Gespräch hat seinen eigenen Geist, seine eigene
Wahrheit, denn der Fort- und Ausgang eines Gesprächs wird nicht durch die Sprechenden
kontrolliert. Verstehen entsteht durch Verständigen und nicht durch das bloße Nachvollziehen
der Meinung eines anderen. Verständigen wiederum geschieht nur durch Sprache.
Verständigung erfordert ein Hineinversetzen in das Gegenüber, um das sachliche Recht seiner
Meinung zu erfassen.
Sprache dient laut Gadamer als Grundvollzugsweise unseres „In-der-Welt-Seins“, die unsere
gesamte Weltkonstitution umgreift. „Wir wachsen auf, wir lernen die Welt kennen, wir lernen
die Menschen kennen und am Ende uns selbst, indem wir sprechen lernen.“ Gadamer ist der
Überzeugung, dass wir in all unserem Denken und Erkennen schon immer voreingenommen
sind, durch die sprachliche Weltauslegung in die wir hineinwachsen und je mehr die Sprache
lebendiger Vollzug sei, umso weniger sei man sich ihrer bewusst. Durch Sprache baue sich
unsere Weltartikulation auf und Sprache bedingt unser Denken.
Quelle: Gadamer, Hans-Georg (1967): Kleine Schriften I, Philosophie, Hermeneutik, J.C.B.
Mohr (Paul Siebeck) Verlag, Tübingen
Der universale Aspekt der Hermeneutik
Die Sprache ist die Mitte zwischen dem Ich und der Welt. Sprache ist spekulativ - nicht
Abbildung, sondern Zur-Sprache-Kommen. Zur-Sprache-Kommen erzeugt keinen zweiten
Sinn. Sein und Darstellung sind nicht unterscheidbar. Sprachliches Geschehen ist ebenso wie
der Mensch endlich. Die Endlichkeit des menschlichen Geistes ist die Voraussetzung für die
hermeneutische Erfahrung. Ein unendlicher Geist (Gott) sieht nur die Schönheit des Ganzen,
kann jeden Sinn aus sich selbst heraus denken ("Gott philosophiert nicht"). Die
hermeneutische Erfahrung hat Teil an der Unmittelbarkeit der Erfahrung von Schönheit und
der Evidenz von Wahrheit.
Aufgabe der Hermeneutik nach Gadamer
In seinem Hauptwerk sieht Gadamer selbst „die Aufgabe seiner Hermeneutik im Begründen
der Behauptung, dass das Verstehen ein Wiedererkennen voraussetze, durch das es zum
Andersverstehen werde“. So könnte das Prinzip des hermeneutischen Zirkels begründet
werden, und ließe den entsprechenden Schluss zu, dass wir das, was in einer Tradition bereits
einmal verstanden wurde, immer wieder (auf höherer Ebene) weiter verstehen. Und obwohl
diese neuen Schlussfolgerungen generell nur getroffen werden können, weil sie sich in eine
unendliche Anzahl von Sinnbezügen einbinden lassen, beharrt Gadamer auf der Endlichkeit
unseres Denkens und unseres Verstehens. Übereinstimmend mit Heidegger vertritt er
folgende Ansicht: Dadurch, dass wir überhaupt dem Tod immer näher entgegenlaufen, ist es
möglich, unser Leben als vollendetes Ganzes zu begreifen.
Literatur
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Günter Figal (Hrsg.): Hans-Georg Gadamer. Wahrheit und Methode. Akad.-Verl.,
Berlin 2007
Peter Christian Lang: Hans-Georg Gadamer. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer
philosophischen Hermeneutik. Hauptwerke der Philosophie. 20. Jahrhundert. Reclam
Verlag, Stuttgart 1992, S. 256 - 282.
Michael Hofer und Mirko Wischke (Hrsg.): Gadamer verstehen – Understanding
Gadamer. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, S. 8
Karl-Otto Apel (Hrsg.): Hermeneutik und Ideologiekritik. Mit Beiträgen von Karl-Otto
Apel, Claus v. Bormann, Rüdiger Bubner, Hans-Georg Gadamer, Hans Joachim
Giegel, Jürgen Habermas. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1971. ISBN 9783518063576.
Jean Grondin: Einführung zu Gadamer. Mohr Siebeck (UTB), Tübingen 2000.
Joachim Stiller
Münster, 2015
Ende
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