Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft

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Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 12 /
12. Wahlperiode
29. 08. 96
341
Antrag
der Fraktion Die Republikaner
und
Stellungnahme
des Wirtschaftsministeriums
Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft
A n tr a g
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
I.
zu berichten,
1. welche Bedeutung die Landesregierung dem Gesetz zur Förderung der Stabilität
und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (Stabilitätsgesetz) in seiner
heutigen Form noch beimißt;
2. wie sich die Landesregierung die Tatsache erklärt, daß dieses Gesetz, in welches
auch die Länder und die Gemeinden ausdrücklich miteinbezogen sind, während
der achtziger und neunziger Jahren in der wirtschaftspolitischen Diskussion in
den Hintergrund getreten ist;
3. ob die Landesregierung der Ansicht ist, daß vor dem Hintergrund der ökonomischen Strukturkrise der kurz- und mittelfristigen Konjunktursteuerung keine
oder nur nachgeordnete Bedeutung zukommt;
4. a) ob nach Ansicht der Landesregierung die Möglichkeit und die Notwendigkeit
einer Anpassung dieses Gesetzes an heutige Anforderungen durch eine
grundlegende Novellierung besteht;
b) welche Rolle in einem erweiterten Ziel- und Handlungsrahmen
– neue Zielproblematiken, im Bereich der Verteilungs- und Strukturziele sowie
demographische Faktoren
– zusätzliche Maßnahmen im Bereich der prozeß- und strukturpolitischen Instrumente
– konkrete Handlungsanweisungen im Sinne höherer Bindungsintensität der
Träger von Wirtschaftspolitik
– regelgebundene Elemente der Wirtschaftspolitik
spielen;
Eingegangen: 29. 08. 96 / Ausgegeben: 23. 10. 96
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Landtag von Baden-Württemberg – 12. Wahlperiode
Drucksache 12 / 341
II.
im Bundesrat eine Initiative zu ergreifen, mit dem Ziel, das Gesetz zur Stabilität
und des Wachstums der Wirtschaft den heutigen wirtschaftspolitischen Erfordernissen anzupassen, insbesondere
1. das Gesetz um struktur- und ordnungspolitische Ziele zu ergänzen;
2. das Ziel „hoher Beschäftigungsstand“ im Zusammenhang mit demographischen
Faktoren (Masseneinwanderung) neu und realitätsnah zu formulieren (demographische Arbeitslosigkeit).
3. beim Einsatz entscheidender Instrumente zur Konjunktursteuerung, insbesondere in der Finanzpolitik, von Absichtserklärungen zu konkreten Handlungsanweisungen und regelgebundenem Handeln überzugehen, um eine höhere Bindungsintensität der Träger der Wirtschaftspolitik zu erreichen.
28. 08. 96
Dr. Schlierer, Deuschle, Schonath, Rapp, Hauser
und Fraktion
Be gründung
Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft wurde
bei seiner Verabschiedung im Jahre 1967 als das modernste wirtschaftspolitische
Instrumentarium einer Volkswirtschaft gefeiert. Zwischenzeitlich hat das Gesetz
erheblich an Glanz eingebüßt. In der wirtschaftspolitischen Diskussion ist es auffallend in den Hintergrund getreten. Seit 1983 wurden eigentlich keine kurzfristigen konjunkturpolitischen Maßnahmen mehr beschlossen. Schließlich konnte es in
den siebziger Jahren die gravierenden Fehlentwicklungen nicht oder nur in ganz
beschränktem Ausmaße verhindern. Mehrere Gründe waren hierfür maßgebend.
Das Stabilitätsgesetz von 1967 ist einseitig keynesianisch geprägt und unterliegt
sämtlichen Problemen, die eine antizyklische Fiskalpolitik mit sich bringt. Genannt seien nur: fehlende Zeitnähe des Einsetzens und Einwirkens fiskalischer
Maßnahmen, Koordinationsprobleme in einem föderalen Staatsaufbau, Verlust der
Manövriermasse in den öffentlichen Haushalten, Strukturverschiebung in den öffentlichen Haushalten von den Investitionsausgaben hin zum Staatsverbrauch sowie die Überlagerung ökonomischer Zyklen durch politische Zyklen. Das Instrumentarium des heutigen Stabilitätsgesetzes genügt daher den aktuellen Erfordernissen nicht mehr: die konjunkturellen Instrumente sind zu eng gefaßt, strukturelle
Maßnahmenbündel fehlen gänzlich. Ein weiteres Problem, welches aus dem Stabilitätsgesetz ausgeklammert ist, besteht in der durch die Masseneinwanderung erzeugten demographischen Arbeitslosigkeit. Insbesondere enthält das Gesetz keine
Anhaltspunkte darüber, für welche Einwanderungsentwicklung das Vollbeschäftigungsziel eigentlich gelten soll und kann.
Obwohl der langfristigen, angebotsorientierten Wirtschaftspolitik seit den achtziger Jahren eine neue Qualität zugesprochen wird, wäre es nicht gerechtfertigt, wirtschaftspolitisch auf kurz- und mittelfristige Konjunktursteuerung gänzlich zu verzichten. Dies setzt jedoch in der Zukunft ein erweitertes und abgeklärtes wirtschaftspolitisches Handlungsmuster voraus, welches über das jetzige Stabilitätsgesetz deutlich hinausgeht. Der Antrag verfolgt das Ziel zu diesem Anliegen Anhaltspunkte und Anstöße zu geben.
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Landtag von Baden-Württemberg – 12. Wahlperiode
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St e l l ungna hm e
Mit Schreiben vom 25. September 1996 Nr. 3–4202.4/6 nimmt das Wirtschaftsministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium zu dem Antrag wie folgt
Stellung:
Zu I. 1. bis 3.:
Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom
8. Juni 1967 (Stabilitätsgesetz) entstand in einer Zeit, in der das Konzept der antizyklischen Nachfragesteuerung die Wirtschaftspolitik dominierte. Danach sollte
konjunkturellen Fehlentwicklungen möglichst frühzeitig mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen entgegengewirkt werden. Nach anfänglichen Erfolgen bei der
Überwindung der Rezession 1967 wurden die angestrebten Ziele des Stabilitätsgesetzes jedoch immer weniger erreicht. Die dauernden Versuche in den 70er Jahren,
durch eine expansive Finanzpolitik die Arbeitslosigkeit einzudämmen, verursachten große Lücken in den öffentlichen Haushalten und ließen die Staatsverschuldung kräftig ansteigen. Die Politik der Nachfragesteuerung scheiterte schließlich
daran, daß sie zunehmend zur Bekämpfung von Fehlentwicklungen eingesetzt
wurde, die strukturelle Ursachen hatten oder auf stabilitätswidrigem Verhalten der
Privaten wie des Staates selbst beruhten. Die Folge war das zunehmende Stagflationsphänomen, nämlich Rückgang der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts
bei gleichzeitigem Anstieg der Inflation.
Die Mißerfolge einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik führten schließlich
zu einer Umorientierung; es erfolgte ein Paradigmenwechsel hin zur sog. „Angebotspolitik“, der politisch durch den Regierungswechsel 1982 in Bonn eingeleitet
wurde. Flankiert wurde diese Politik von einer Geldpolitik, die sich seit 1973/74
stärker an monetaristischen Grundvorstellungen orientierte („Politik des knappen
Geldes“). Im Gefolge dieser Wirtschaftspolitik wurde im Verlauf der 80er Jahre
mehr Wachstum und Beschäftigung ermöglicht.
Zu I. 4. a) und b) und II.:
Noch deutlicher als in den 70er und 80er Jahren werden seit Beginn der 90er Jahre
die konjunkturellen Probleme durch strukturelle Veränderungen überlagert. Diese
strukturellen Veränderungen beruhen zum Beispiel auf
– der zunehmenden Globalisierung der Weltmärkte,
– der weltweiten Integration der Finanz- und Kapitalmärkte und der damit verbundenen Wechselkursveränderungen,
– der ökonomischen Folgen der Wiedervereinigung Deutschlands,
– dem rasanten technischen Fortschritt, vor allem im Bereich der Kommunikationstechnologien,
– der starken Segmentierung des Arbeitsmarktes nach Branchen, Regionen und
Personen.
Hinzu kommt, daß eine Operationalisierung und Instrumentalisierung der im Stabilitätsgesetz enthaltenen Ziele (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, stetiges Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht) äußerst
schwierig ist und die Reaktionen der Investoren und Konsumenten schwer abzuschätzen sind. Darüber hinaus hat die Erfahrung gelehrt, daß die Setzung effizienter Rahmenbedingungen für das Funktionieren einer sozialen Marktwirtschaft
wichtiger sind als irgendwie geartete interventionistische Eingriffe in das Marktgeschehen.
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Landtag von Baden-Württemberg – 12. Wahlperiode
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Trotz dieser grundsätzlichen Problemstellungen, denen jegliches Stabilitätsgesetz
begegnen müßte, vor allem im Hinblick auf die schwer prognostizierbaren ökonomischen Wirkungszusammenhänge, hält die Landesregierung am Stabilitätsgesetz
fest. Die Regierungen von Bund und Ländern auf die vier genannten Ziele zu verpflichten und damit die Schaffung ökonomisch vernünftiger Rahmenbedingungen
zur Daueraufgabe zu machen, erscheint der Landesregierung von Baden-Württemberg nach wie vor von großer Bedeutung, zumal das Gesetz elastisch genug ist,
durch unterschiedliche Gewichtung der Ziele je nach wirtschaftlicher Situation angepaßte und angemessene Maßnahmen zu ermöglichen.
Für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen
sind der Staat aber auch gleichgewichtig die Tarifvertragsparteien in der Pflicht.
Vor allem muß das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung der Bundesregierung erfolgreich umgesetzt werden. Dazu gehört die spürbare Minderung der
Abgaben- und Regulierungslast. Die Staatsquote von heute nahezu 50 % muß Zug
um Zug abgebaut werden.
Deshalb müssen das Jahressteuergesetz 1997 und die geplante Unternehmenssteuerreform zu einer deutlichen Verminderung der steuerlichen Belastungen von Unternehmen führen. Davon betroffen sind vor allem die Gewerbesteuer, die Vermögensteuer und der Solidaritätszuschlag. Außerdem muß in einem darauffolgenden
Schritt eine breit angelegte Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu
einer weiteren Stärkung des Standorts Deutschland beitragen. Schließlich ist der
Solidaritätszuschlag so früh wie möglich ganz abzuschaffen.
Daneben müssen mittelfristig die Beiträge zur Sozialversicherung mit dem Ziel der
Senkung der Lohnzusatzkosten reduziert werden. Die inzwischen verabschiedeten
Spargesetze der Bundesregierung führen in die richtige Richtung, um die Finanzierung sozialer Leistungen wieder mit der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Einklang zu bringen. Deutschland muß seine sozialen Sicherungssysteme
grundlegend reformieren und verschlanken. Der Staat muß weiter die Haushaltskonsolidierung, den Subventionsabbau und die Privatisierung konsequent betreiben.
Die Tarifvertragsparteien müssen vor allem beschäftigungswirksame Löhne vereinbaren, die für einige Zeit unter der Produktivitätsentwicklung bleiben. Sie müssen noch ungleich stärker als bisher die Arbeitsbedingungen nach Lage und Entwicklung der Betriebe flexibel gestalten.
Gezielte landesspezifische Maßnahmen werden die prioritären Rahmenbedingungen ergänzen. Dabei stehen die Bereiche Existenzgründung, Berufsbildung, neue
Technologien, Erschließung von Auslandsmärkten und Infrastrukturmaßnahmen
im Mittelpunkt.
Mit diesen Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene werden die hiesigen Standortbedingungen und damit Investitionen, Wachstum und Beschäftigung auf mittlere Sicht deutlich gestärkt werden.
Dr. Döring
Wirtschaftsminister
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