Teil II: Nichtkommutative Algebra Alle Ringe in diesem Kapitel sind assoziativ und mit 1 6= 0. §9 Grundlagen und Beispiele Sei R ein Ring. Zur Erinnerung: • I ⊆ R ist ein Linksideal (bzw. Rechtsideal) falls – I 6= ∅, – ∀a, b ∈ I : a + b ∈ I, – ∀a ∈ I, λ ∈ R : λa ∈ I (bzw. aλ ∈ I). I ⊆ R ist ein Ideal (auch 2-seitiges Ideal genannt) falls es Links- und Rechtsideal ist. • R heißt links- (bzw. rechts-)noethersch, falls R die aufsteigende Kettenbedingung für Linksideale (bzw. Rechtsideale) erfüllt. • R heißt links- (bzw. rechts-)artinsch, falls R die absteigende Kettenbedingung für Linksideale (bzw. Rechtsideale) erfüllt. • Sei M ein Links- (bzw. Rechts-)R-Modul. Dann heißt M noethersch (bzw. artinsch) falls M die aufsteigende (bzw. absteigende) Kettenbedingung für seine Untermoduln erfüllt. Bemerkung. Also gilt: R links-noethersch genau dann wenn R R noethersch, R rechts-noethersch genau dann wenn RR noethersch. Analog für “artinsch”. Definition 9.1. Ein Ring R heißt einfach falls (0) und R die einzigen Ideale in R sind. Bemerkung 9.2. Sei R ein kommutativer Ring. Dann gilt: R einfach ⇐⇒ R ist ein Körper. Beispiel 9.3. Seien R, S Ringe und sei M =R MS ein (R, S)-Bimodul, also ein Links-R- und Rechts-S-Modul. Wir definieren r m R M A = A(M ) = = r ∈ R, s ∈ S, m ∈ M . 0 S 0 s 1 Dies ist ein Ring mit der üblichen Matrizenaddition und -multiplikation: 0 r m r m0 r + r0 m + m0 + = 0 s 0 s0 0 s + s0 0 0 r m r m0 rr rm0 + ms0 = 0 s 0 s0 0 ss0 und Einselement 1A = 1R 0 0 1S Man kann zeigen: • A links-noethersch ⇐⇒ R und S links-noethersch und R M noethersch; • A rechts-noethersch ⇐⇒ R und S rechts-noethersch und MS noethersch; • analog für links/rechts-artinsch. Damit erhält man: (1) Ist S ein kommutativer noetherscher Integritätsbereich mit Quotientenkörper K, und betrachtet man K =K KS als (K, S)-Bimodul, so ist K K A= 0 S links-noethersch aber weder rechts-noethersch noch links/rechts-artinsch. (2) Sei S ⊆ R eine Körpererweiterung mit [R : S] = ∞ und betrachte wieder R als (R, S)-Bimodul. Dann ist R R A= 0 S links-noethersch und links-artinsch, aber weder rechts-noethersch noch rechts-artinsch. Zur Erinnerung: In einem Ring R heißt a ∈ R links- (bzw. rechts-)invertierbar falls ∃b ∈ R mit ba = 1 (bzw. ab = 1). a heißt invertierbar falls a links- und rechtsinvertierbar ist. 2 Lemma und Definition 9.4. (i) a ∈ R ist invertierbar ⇐⇒ ∃b ∈ R mit ab = ba = 1. Ist a invertierbar mit ab = ba = 1, und hat man ac = 1 oder ca = 1 für c ∈ R, so gilt c = b. Ist a ∈ R invertierbar, so gibt es also ein eindeutig bestimmtes b ∈ R mit ab = ba = 1 und man nennt b das (multiplikative) Inverse von a, in Zeichen b = a−1 . Die invertierbare Elemente werden auch Einheiten genannt. (ii) R∗ = {a ∈ R | a invertierbar} ist eine multiplikative Gruppe, genannt Einheitengruppe von R. Gilt R∗ = R\{0}, so nennt man R einen Divisionsring. Definition und Lemma 9.5. Sei R ein Ring und ∅ = 6 S ⊆ R. Man definiert den Zentralisator von S in R als ZR (S) := {x ∈ R | xs = sx ∀s ∈ S} . ZR (S) ist ein Unterring von R. Man definiert das Zentrum von R als Z(R) := ZR (R) = {x ∈ R | xr = rx ∀r ∈ R} . Z(R) ist ein kommutativer Unterring von R. Satz 9.6. Ist R ein einfacher Ring, so ist Z(R) ein Körper. Beispiel 9.7. Quaternionenalgebren Sei K ein Körper mit char(K) 6= 2. Seien a, b ∈ K ∗ . Wir definieren formal einen 4-dimensionalen K-Vektorraum Q mit fester Basis {e0 , e1 , e2 , e3 }. Wir machen Q zu einem assoziativen Ring wie folgt: Die Addition ist die übliche Vektoraddition in Q. Zum Multiplizieren müssen wir die Produkte ei ej definieren, dann multipliziert man distributiv. ! ! 3 3 X X X λi ei µi ei := λi µj ei ej i=1 i=1 0≤i,j≤3 Die Relationen sind: e1 e1 e2 e2 e3 e3 e1 e2 e2 e3 e3 e1 = = = = = = ae0 be0 −abe0 −e2 e1 = e3 −e3 e2 = −be1 −e1 e3 = −ae2 3 Damit: P3 i=1 xi ei P3 i=1 yi ei = = = = = P 0≤i,j≤3 xi yj ei ej (x0 y0 + ax1 y1 + bx2 y2 − abx3 y3 )e0 +(x0 y1 + x1 y0 − bx2 y3 + bx3 y2 )e1 +(x0 y2 + x2 y0 − ax3 y1 + ax1 y3 )e2 +(x0 y3 + x3 y0 + x1 y2 − x2 y1 )e3 Man rechnet mühsam nach, dass diese Multiplikation in der Tat assoziativ ist und damit Q zu einem assoziativen Ring mit 1Q = e0 wird. Da char(K) 6= 2 und somit 1 6= −1 gilt, so folgt, dass Q sicher nicht kommutativ ist. Die Abbildung ϕ : K → Q : x 7→ xe0 ist dann ein injektiver Ringhomomorphismus mit ϕ(K) = Ke0 ⊆ Z(Q). Insbesondere ist Q eine 4-dimensionale KAlgebra mit K-Basis {e0 , e1 , e2 , e3 }. Üblich ist es, K mit Ke0 zu identifizieren und die Basis mit {1, i, j, k} zu bezeichnen, sodass K = K · 1 ein Unterkörper von Q ist. Also Q = K ⊕ Ki ⊕ Kj ⊕ Kk. Die Relationen sind entsprechend i2 = a, j 2 = b, ij = −ji = k. Die übrigen ergeben sich aus der Assoziativität (die man auch gleich hätte fordern können) und der Tatsache, dass die Elemente aus K mit allen Elementen aus Q kommutieren: Zum Beispiel k 2 = (ij)(ij) = −(ji)(ij) = −ij 2 i = −ibi = −i2 b = −ab. Wir schreiben Q = (a, b)K und nennen Q eine verallgemeinerte Quaternionenalgebra über K. Man definiert die sogenannte Konjugation auf Q: : Q → Q : ζ = x + yi + zj + wk 7→ ζ = x − yi − zj − wk Es gilt: • ∀ζ ∈ Q: ζ = ζ. Insbesondere ist die Konjugation bijektiv. • Die Konjugation ist K-linear: ∀a1 , a2 ∈ K, ∀ζ1 , ζ2 ∈ Q: a1 ζ1 + a2 ζ2 = a1 ζ1 + a2 ζ2 . • Die Konjugation ist antimultiplikativ: ∀ζ1 , ζ2 ∈ Q: ζ1 ζ2 = ζ2 ζ1 . Definition 9.8. Sei R ein Ring. σ : R → R heißt Antiautomorphismus falls gilt: • σ ist bijektiv; • σ(1) = 1; 4 • σ(x + y) = σ(x) + σ(y) ∀x, y ∈ R; • σ(xy) = σ(y)σ(x) ∀x, y ∈ R. Ein Antiautomorphismus σ ist eine Involution falls gilt σ 2 = id. Ist R eine K-Algebra, (K Körper) und gilt σ|K = idK , so spricht man von einem KAntiautomorphismus bzw. einer K-Involution. Beispiel. (i) Ist R kommutativ, so sind Antiautomorphismen genau die Automorphismen und Involutionen sind Automorphismen der Ordnung 1 oder 2. Beispiel: die komplexe Konjugation auf C. (ii) Sei R = Mn (K). Dann ist das Transponieren A 7→ At eine K-Involution (wobei man K mit KIn , den skalaren Vielfachen der Einheitsmatrix, identifiziert). Zurück zu der Quaternionenalgebra Q = (a, b)K . Sei ζ = x + yi + zj + wk ∈ Q. Dann gilt ζζ = ζζ = x2 − ay 2 − bz 2 + abw2 . Man definiert NQ : Q → K : ζ → ζζ und nennt dies die Norm auf Q (oder Normabbildung ). Die Eigenschaften von Q und der Norm NQ sind im folgenden Satz zusammengefasst. Satz 9.9. Sei K ein Körper mit char(K) 6= 2, und seien a, b ∈ K ∗ . Sei Q = (a, b)K die assoziative 4-dimensionale K-Algebra mit Basis 1, i, j, k und Relationen i2 = a, j 2 = b, ij = −ji = k, und sei N = NQ : Q → K die Norm. (i) Die einzigen 2-seitigen Ideale in Q sind (0) und Q. Insbesondere ist Q ein einfacher Ring. (ii) Z(Q) = K. (iii) ∀ζ1 , ζ2 ∈ Q : N (ζ1 ζ2 ) = N (ζ1 )N (ζ2 ). (iv) Für ζ ∈ Q gilt: ζ ∈ Q∗ ⇐⇒ N (ζ) 6= 0. In diesem Fall gilt ζ −1 = 1 ζ. N (ζ) (v) Q ist ein Divisionsring ⇐⇒ N (ζ) 6= 0 ∀ζ ∈ Q \ {0} ⇐⇒ die quadratische Gleichung X 2 − aY 2 − bZ 2 + abW 2 = 0 hat als einzige Lösung über K nur die triviale Lösung (X, Y, Z, W ) = (0, 0, 0, 0). Beispiel. Hamilton’s Quaternionen H := (−1, −1)R = R ⊕ Ri ⊕ Rj ⊕ Rk 5 mit i2 = j 2 = −1 und ij = −ji = k. Es gilt dann auch k 2 = −1. Die quadratische Gleichung X 2 + Y 2 + Z 2 + W 2 = 0 hat über R natürlich nur die triviale Lösung (X, Y, Z, W ) = (0, 0, 0, 0), somit ist H eine Divisionsalgebra. Man beachte, dass man H als Ringerweiterung von C auffassen kann indem man C mit R + Ri (oder mit R + Rj, oder mit R + Rk, . . .) identifiziert. (William Rowen Hamilton, irischer Mathematiker und Physiker, 1805–1865) Beispiel. Betrachte über einem Körper K (char(K) 6= 2) 0 1 1 0 0 −1 i= , j= , k= 1 0 0 −1 1 0 Man rechnet leicht nach (wobei 1 = 1M2 (K) die Einheitsmatrix I2 bedeutet): M2 (K) = K.1 ⊕ K.i ⊕ K.j ⊕ K.k und i2 = j 2 = 1, ij = −ji = k. Man erhält damit: M2 (K) = (1, 1)K , d.h. jeder 2 × 2 Matrizenring über einem Körper der Charakteristik 6= 2 ist eine Quaternionenalgebra. 6