endet die Religionsfreiheit - Bundesakademie für Sicherheitspolitik

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24. N OV E M B E R 2 0 1 6
DIE ZEIT No 49
GLAUBEN & ZWEIFELN
58
Neue
Koranverteiler
»Die wahre Religion« heißt jetzt
»We love Muhammad«
Gr. Foto: Christian Mang/imago; kl. Abb.: iTunes (m.); ddp (u.); rechts (im Uhrzeiger): politikforen.net; Adam Berry/dapd/ddp; action press; Facebook
S
Ein Bücherstand des Vereins »Die wahre Religion«
Hier endet die Religionsfreiheit
Der salafistische Verein »Die wahre Religion« wurde verboten. Die Salafisten bleiben VON WOLFGANG BOCK
J
unge Männer verteilen Korane in
den Fußgängerzonen deutscher
Städte. Das ist erlaubt. Trotzdem
soll damit jetzt Schluss sein. In der
letzten Woche verbot der deutsche
Innenminister Thomas de Maizière
die islamistische Vereinigung »Die
wahre Religion«, die hinter den
Verteilaktionen stand und gern mit
dem Slogan »Lies!« warb.
Das Verbot richtet sich jedoch nicht gegen die Verteilung von Koranen, denn dies steht grundsätzlich
unter dem Schutz der Religionsfreiheit. Der Bundesregierung ging es vielmehr um die Bekämpfung verfassungsfeindlicher Lehren, die von der Organisation
und ihren Anhängern verbreitet wurden: Unter Berufung auf den Islam befürworteten sie die Anwendung von Gewalt. »Die wahre Religion« organisierte
die Ausreise von 140 potenziellen Kämpfern des IS
in den Krieg nach Syrien und in den Irak. Die jungen, teils minderjährigen Anhänger wurden mit
Gedankengut indoktriniert, das sich gegen Demokratie und Grundgesetz richtet – mit dem Ziel des
Umsturzes, hin zu einer islamischen Regierungsform.
Der salafistische Verein verbreitete ein extremistisches Islamverständnis mit absolutem Verbindlichkeitsanspruch: Den wahren Muslimen
stehe die Masse der Ungläubigen und Abtrünnigen gegenüber. Die Ungläubigen seien zu bekehren. Ansonsten verdienen sie Hass, Unterwer­fung
und Tod. Pflicht eines jeden Muslims sei die Bekämpfung der Demokratie. Die Salafisten verherrlichten den islamistischen Terror und den bewaffneten Dschihad. Zu ihrer Weltsicht gehören auch
antisemitische Verschwörungstheorien. – In der
Verbotsverfügung heißt es zu Recht: »Die Berufung auf den Islam und die Verteilung von Koranübersetzungen rechtfertigen nicht die öffentliche
Verbreitung und Umsetzung einer verfassungs- dem Imam oder im Ausland erfolgt ist, nicht anerwidrigen Ideologie.«
kannt. Deutsche Juristen unterliegen einem Irrtum,
Das Verbot ist das jüngste in einer Reihe von Ver- wenn sie ei­nen gewissen, den Zweitfrauen bei uns
boten, die in den Jahren 2012 bis 2015 gegen isla- zustehenden sozialen Schutz so verstehen, als ob das
mistische und salafistische Gruppen in Deutschland deutsche Recht Zweitehen tolerierte. Die patriarchaergingen. Es erfasst auch die Bildung von Ersatzorga- le Unterdrückung von Mädchen und Frauen kann
nisationen, erfordert für diesen Fall allerdings den sich in einer Vielzahl unterschiedlicher RechtsverBeweis, dass es sich auch um einen Ersatz handelt. Ja, stöße äußern, die gern religiös oder kulturell gerechtdas neue Verbot ist zu begrüßen – eröffnet aber auch fertigt werden. Darunter fallen Kinderehen sowie ein
den Blick auf ein verfassungsrechtliches Grundpro- Teil der Zwangsehen.
blem. Islamistisch-extremistische Verständnisse des
Ein weiteres Problem: Der Mehrheit der islaIs­lams entwickeln sich aus der Religion heraus. Auch mischen Religionsgelehrten heute erkennt keine
wenn sie die Religion missbrauchen, ist diese doch Religionsfreiheit im Sinne der frei­en Entscheidung
der Ausgangspunkt fundamentalistischer Lehren. Die für eine andere Religion an. Vom Islam abgefalleverfassungsrechtliche Gretchenfrage lautet: Wo sind ne Personen haben nach diesem Verständnis keinen Erbanspruch. Dagegen steht
die Grenzen der Religionsfreiheit?
aber das deutsche Erbrecht und beWie sind sie zu ziehen?
grenzt somit die Religionsfreiheit.
Das Grundrecht der ReligionsInsgesamt setzt also das deutsche
freiheit enthält in Artikel 4 des GrundRecht religiösen Handlungen, die
gesetzes keine Beschränkung. Sie wird
gegen Grundrechte, Verfassungs­
aber dreifach begrenzt: durch die übgüter oder Gesetze verstoßen, eine
rigen Grundrechte, durch andere vom
Grenze – mögen die Verfechter
Grundgesetz geschützte Rechtsgüter
dieser Praktiken sich auch auf die
und durch die dazu ergangenen GeReligionsfreiheit berufen.
setze. Verletzen religionsbezogene
Schwierig wird es, wenn es um
Handlungen andere Personen in dieLogo des neuen
religiöse Praktiken geht, deren
sen Rechten (zum Beispiel dem Recht
salafistischen Vereins
Verhältnis zum Grundgesetz amauf körperliche Unversehrtheit oder
auf Meinungsfreiheit), so führt die Berufung auf Re- bivalent ist. Ein Beispiel dafür ist das Tragen des
ligionsfreiheit prinzipiell zu keinem Erfolg. Der Kopftuches. In Ägypten, in der Türkei, in SaudiArabien und im Iran gibt es Gruppen, die das
Schutz der Religionsfreiheit endet hier.
Das gilt nicht nur für verfassungsfeindliche Or- Kopftuch nicht als freiwillig zu tragendes Zeiganisationen wie »Die wahre Religion«. Es gilt bei- chen, sondern als Symbol einer kulturellen Vorspielsweise auch für das nach Sure 4 Vers 34 des herrschaft sehen. Diese Bedeutung wird ihm
Korans erlaubte (leichte?) Schlagen der Ehefrau: Dies auch von Salafisten in Europa zugeschrieben.
bleibt eine strafrechtlich untersagte Körperverletzung. Andererseits: Es gibt zahlreiche Musliminnen,
Ähnliches gilt für Mehrfachehen: Unter dem Grund- die das Kopftuch tragen möchten, ohne im Gegesetz wird eine zweite Eheschließung, ob sie nun vor ringsten fundamentalistisch zu sein. Was also
symbolisiert das Kopftuch? Politik und Gerichte
stehen vor einem bleibenden Problem.
Das Problem zeigt sich auch in politisch anerkannten Organisationen. Der Zentralrat der Mus­lime
etwa relativiert in seiner »Islamischen Charta« die
Menschen­rechte, indem er nur einen »Kernbestand«
anerkennen will. Der Verfassungsschutz geht davon
aus, dass einzelne Mitglieder des Zentralrats mit Positionen der islamistischen Muslimbruderschaft sympathisieren: Ein Mitgliedsverband, die Islamische
Gemeinschaft in Deutschland e. V., vereinigt laut
Verfassungsschutz Anhänger der Muslimbruderschaft
und wird beobachtet, weil er verfassungsfeindliche
Ziele verfolgt. Auch in der Organisation Ditib zeigten
sich islamistische Tendenzen: Einige ihrer von der
Türkei aus dominierten Moscheevereine veröffentlichten antisemitische Aussagen und Bilder. Und es
wurde ein vom türkischen Religionsministerium
Diyanet kommender Comic verbreitet, in dem ein
Vater gegenüber seinem Sohn das Märtyrertum pries.
Das Land Nordrhein-Westfalen kündigte deshalb
einen Teil seiner Zusammenarbeit mit Ditib auf,
nämlich im Bereich der Ra­di­ka­li­sie­rungs­prä­ven­tion.
Dass der Rechtsstaat nicht jede freiheitsfeindliche Aussage im Namen einer Religion ahndet,
darf kein Freibrief für Fundamentalisten sein:
Gesellschaft und Politik müssen sich damit auseinandersetzen. Die deutsche Rechtsordnung gewährleistet die gleiche Freiheit eines jeden – unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit. Sie
verlangt mit gutem Grund und in gleicher Weise
von jeder Religion die Anerkennung und Einhaltung der daraus folgenden Rechtsbindungen.
»Die Grenzen
­sind nicht immer ­
leicht zu ziehen«
tischen Gruppierungen anzuschließen. Als wehrvon dem Verbot des Vereins »Die wahre Religion«, hafte Demokratie müssen wir unsere Grundwerte
offensiv verteidigen und ein solches Treiben unterfür das Sie sich eingesetzt haben?
Thomas de Maizière: Mit dem Verbot ziehen wir binden, um Extremismus und Radikalisierung den
Nährboden zu entziehen.
eine klare Linie: Es gibt keine Frei­
räume für radikale und gewaltbereite
ZEIT: Welche Probleme mit dem funExtremisten. Wir gehen entschlossen
damentalistischen Islam in Deutschund umfassend gegen extremistische
land bleiben trotz des Verbotes be­
Bestrebungen vor, die sich gegen unsere
stehen?
Freiheit und unsere Grundwerte richDe Maizière: Die Probleme fangen
ten. Der Verein »Die wahre Religion«
dort an, wo die Religion Islam als Vor(DWR) hat unter dem Deckmantel
wand missbraucht wird, um für Auseiner vermeintlichen Werbung für den
grenzung, Hass, Terror und Gewalt zu
Innenminister
islamischen Glauben in Wirklichkeit Thomas de Maizière werben oder sogar Gewaltstraftaten zu
Hass und Fundamentalismus verbreibegehen. Das gibt es in Deutschland,
tet und so vor allem junge Menschen radikalisiert und das bekämpfen wir entschieden, nicht nur im
und über 140 von ihnen zur Ausreise nach Syrien Interesse unserer Sicherheit, sondern auch im Inoder in den Irak motiviert, um sich dort terroris­ teresse der überwältigenden Mehrheit der Musli-
me in unserem Land, die solchen Fundamentalismus ablehnen und in der öffentlichen Wahrnehmung viel zu oft in Mithaftung genommen werden
– selbst dann, wenn sie sich öffentlich distanzieren.
Wir wollen auch keine politische Einflussnahme
auf unsere Politik aus dem Ausland unter dem
Vorwand der Religionsausübung. Gegen extremistische Bestrebungen gehen wir deswegen mit
einem ganzen Bündel von Maßnahmen vor. Dazu
gehören neben Vereinsverboten auch eine inten­
sive Beobachtung, eine konsequente Strafverfolgung und genauso Maßnahmen der Prävention
und Deradikalisierung.
ZEIT: Der eben gegründete Nachfolge-Verein »We
love Muhammad« beruft sich auf das Recht aller
Bürger auf freie Religionsausübung. Wo endet die
Religionsfreiheit – und warum sind ihre Grenzen
so schwer zu definieren?
Eingriffe in die Religionsausübung sind
sensibel – sagt THOMAS DE MAIZIÈRE . Und
das ist auch gut so!
DIE ZEIT: Herr Minister, was erhoffen Sie sich
Wolfgang Bock ist Studienreferent für Staatsund Völkerrecht an der Bundesakademie für
Sicherheitspolitik in Berlin und lehrt Öffentliches
Recht an der Universität Gießen
ie traten besonders fromm auf und
waren besonders gefährlich. Seit Oktober 2011 missionierten sie in deutschen Fußgängerzonen. Ihr Erfolg: junge
Menschen für den Dschihad zu rekrutieren.
Die Koranverteiler vom Verein »Die wahre
Religion« gewannen mit der Aktion »Lies!«
etwa Robert Baum und Patrik S., die erst
konvertierten, dann selbst Korane verteilten
und schließlich in Syrien für den IS starben.
Auch Yusuf T. war Koranverteiler, er steht
demnächst für den Anschlag auf einen Tempel der Essener Sikh-Gemeinde vor Gericht.
Sie propagierten Allahs Wort als absolute
Wahrheit und den Islam als einzig wahre Religion. Die beiden monotheistischen Religionen Judentum und Christentum wurden
ebenso als Unglaube diffamiert wie andere
Weltanschauungen. Kopf des Vereins war
Ibrahim Abou Nagie, geboren 1964 im
Flüchtlingslager Nuseirat bei Gaza, der in den
letzten Jahren zu einem der wichtigsten Salafisten Deutschlands avancierte. Er rief zur
Gewalt gegen Andersgläubige auf, aber stilisierte sich selbst gegenüber dem Sender AlDschasira zum Opfer von Islamophobie. Fünf
Jahre lang rekrutierte er relativ ungestört für
den »Heiligen Krieg«. Kommt das Verbot
durch das Bundesinnenministerium zu spät?
Nein. Der extremistische Islamdiskurs ist
unter Jugendlichen der zweiten und dritten
Migrantengeneration zwar schon viel zu populär. Im Juni 2015 nannte der Bundesverfassungsschutz etwa 7500 Anhänger der salafis­
tischen Szene in Deutschland, davon seien
rund 1100 gewaltbereit und 442 »Gefährder«.
Seit 2012 reisten insgesamt 229 deutsche­
Salafisten nach Syrien und in den Irak aus. Aber
ein Verbot muss gut abgesichert sein. Nur dann
ist es ein Warnsignal an jene Moscheen, die
salafistischer Propaganda Raum geben – allein
in NRW sollen das 55 sein. Auch in Hessen,
Bayern, Baden-Württemberg dienen Moscheen
den Radikalisierern als Anbahnungsorte.
Leider scheinen die deutschen Salafisten
auf ein Verbot gut vorbereitet gewesen zu sein.
Der Hassprediger Pierre Vogel gründete Anfang November schon den Ersatzverein »We
love Muhammad«. Vogel ködert sein junges
Publikum mit der heroischen Vita des Propheten, wirbt für ihn in einem Youtube-Video und
setzt die »Lies!«-Aktion auch personell fort: In
Hessen koordiniert der mutmaßliche Terrorwerber Bilal Gümüs das neue Propaganda­
programm. Der Mann aus Frankfurt gehörte
zum engsten Kreis um Abou Nagie.
Anders als Kritiker des Verbots behaupten,
geht der deutsche Salafismus nicht in den
Untergrund. Verteilt werden nun MohamedBiografien. Das Observieren solcher Aktionen
bleibt also ein wichtiges Instrument des Rechtsstaates. Die schwierigste Aufgabe aber ist auch
in Zukunft, Prediger wie Vogel schnell daran
zu hindern, Hass zu verbreiten. In der Schweiz
haben sie das verstanden. Dort darf er nicht
mehr einreisen.
ABDE L- HAKIM OU RG HI
Der Autor leitet den Fachbereich
Religionspädagogik an der Universität Freiburg
Robert Baum alias
Abu Sara al-Almani
starb für den IS
Ibrahim Abou Nagie,
Kopf des Vereins
»Die wahre Religion«
Pierre Vogel ist der
bekannteste
deutsche Konvertit
Bilal Gümüs wirbt
in Hessen für den
Salafismus
De Maizière: Wie alle Religionsgemeinschaften
steht der Islam unter dem Schutz der Glaubensfreiheit des Grundgesetzes. Dieses Grundrecht
findet dort seine Grenzen, wo der Schutz anderer Grundrechte und Verfassungswerte gefährdet
wäre. Glaubensgemeinschaften agieren nicht im
rechtsfreien Raum. Sie sind an die für alle geltenden Gesetze gebunden. So können zum Beispiel
auch religiöse Vereinigungen verboten werden,
wenn ihre Tätigkeit Strafgesetzen zuwiderläuft,
sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder
den Gedanken der Völkerverständigung richtet.
Weil Eingriffe in die Religionsausübung sensibel
sind und sein müssen, sind die Grenzen nicht
immer leicht zu ziehen. Das ist so. Und das ist
auch gut so.
Die Fragen stellte Evelyn Finger
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