Dunkle Materie Seminar zur Theorie der Teilchen und Felder

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Dunkle Materie
Seminar zur Theorie der Teilchen und Felder
David Roth
Wintersemester 2014/2015
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
3
2 Hinweise für die Existenz Dunkler Materie
3
3 Kandidaten für Dunkle Materie
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4 Experimentelle Suche nach Dunkler Materie
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5 Zusammenfassung
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Einleitung
Ein noch ungeklärtes Phänomen bei der Ergründung der Struktur des Universums stellt die sogenannte dunkle Materie dar, für die es zahlreiche Hinweise aus astrophysikalischen Beobachtungen gibt. Diese bisher nur durch
ihre gravitative Wechselwirkung wahrgenommene Form der Materie wurde
vom Schweizer Astronom Fritz Zwicky (1898-1974) in den 1930er Jahren postuliert und wegen ihrer fehlenden elektromagnetischen Wechselwirkung als
dunkel bezeichnet. Rückschlüsse auf diese lassen sich unter anderem aus Messungen der Rotationsgeschwindigkeiten von Sternen in Spiralgalaxien, durch
Untersuchungen von Masseverteilungen mit Hilfe des sogenannten Gravitationslinseneffekts oder durch die Analyse der Temperaturschwankungen der
kosmischen Hintergrundstrahlung ziehen. Darauf wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen.
Es gilt als gesichert, dass ein wesentlicher Anteil dieser Materie nicht-baryonisch
sein muss. Einige mögliche, hypothetische Kandidaten jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik für dunkle Materie sind das WIMP (Weakly Interacting Massive Particle), das Axion oder sterile Neutrinos. Diese werden
im Weiteren vorgestellt.
Zur Suche nach dunkler Materie gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die direkte Suche im Streuexperiment soll exemplarisch anhand des XENON Dark
Matter Projekts erläutert werden.
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Hinweise für die Existenz Dunkler Materie
Einer der ersten Hinweise auf die Existenz von dunkler Materie wurde von
Fritz Zwicky in den 1930er Jahren bei der Untersuchung der Galaxien des
Coma-Clusters gefunden. Er berechnete die Gesamtmasse zum Einen über
den Zusammenhang zur gemessenen Leuchtkraft und zum Anderen über die
Bewegungen mithilfe des Virial-Theorems
2
2
Mtot
∼ hEpot i = −2 hEkin i ∼ vkin
.
(1)
So ergab sich aus der Kinematik eine 400 mal so große Masse (mit dem
damaligen Wert der Hubble-Konstante, nach dem heutigen 10 mal so groß),
deren Hauptbestandteil nach Zwicky nicht leuchtende, dunkle Materie sein
sollte. [Zwi37]
Rotationsgeschwindigkeit in Spiralgalaxien Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus der Beobachtung der Rotationsgeschwindigkeiten v von Sternen
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Abbildung 1: Rotationsgeschwindigkeit der Sterne in der Galaxie NGC 6503 gegen
den Abstand zum Zentrum. [Beg91].
in Spiralgalaxien. Für die äußeren Sterne mit Masse m gilt nach Newton’scher
Mechanik bei Näherung als Kreisbahn um eine zentrale Masse M
r
GmM
v2
GM
⇒v=
.
(2)
m =
2
r
r
r
√
Statt des 1/ r Abfalls wurden jedoch annähernd konstant bleibende Geschwindigkeiten gemessen, wie in Abb. 1 für die Galaxie NGC 6503 gezeigt. Durch zusätzlichen Einfluss von galaktischem Gas sowie einem Halo
aus dunkler Materie lässt sich der Verlauf erklären. [Beg91]
Gravitationslinseneffekt Ein dritter Hinweis folgt aus der gravitativ bedingten Krümmung der Raumzeit und des daraus resultierenden Gravitationslinseneffekts. Nach diesem kann Licht durch große Massen so stark abgelenkt werden, dass diese ähnlich einer optischen Linse verzerrte Bilder hervorrufen. Die Stärke der Verzerrung lässt dabei Rückschlüsse auf die Masse
zwischen Lichtquelle und Beobachter zu. [Per03]
Abbildung 2 zeigt das Bullet-Cluster. In diesem sind zwei Galaxienhaufen miteinander kollidiert, wobei die Galaxien (helle Punkte links) einander
nahezu uneingeschränkt passiert haben, während das galaktische Gas (gelbrötliche Wolke rechts), das den Großteil der baryonischen Materie darstellt,
abgebremst wurde. Mithilfe des Gravitationslinseneffekts wurde die Stärke
des Gravitationspotenzials vermessen (grüne Linien), dessen Maxima nicht
mit der Position der Gaswolken übereinstimmen. Es muss demnach zusätzliche dunkle Materie geben, die bei der Kollision kaum miteinander wechselwirkte. [Clo06]
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Abbildung 2: Aufnahmen des Bullet-Clusters [Clo06]. Erklärung im Text.
Anisotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung Ein letzter hier
zu erwähnender Hinweis auf dunkle Materie ergibt sich aus der Anisotropie
der kosmischen Hintergrundstrahlung. Anhand der Temperaturschwankungen lässt sich im ΛCDM-Modell die Zusammensetzung der Energiedichte des
Universums bestimmen. Zur Erklärung der Strukturbildung im Universum
ist das Vorhandensein einer gewissen Menge nicht-baryonischer Materie von
Nöten. Abbildung 3 zeigt diese Zusammensetzung von ca. 5% baryonischer
Materie, gut einem Viertel nicht-baryonischer dunkler Materie und einem
großen Rest dunkler Energie. [Pla13]
Abbildung 3: Zusammensetzung der Energiedichte des Universums laut Planck
Mission [ESA13]
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Kandidaten für Dunkle Materie
MACHOs Als Kandidaten für dunkle Materie wurden zunächst sogenannte MACHOs (MAssive Compact Halo Objects) in Betracht gezogen. Diese
stellen nicht-leuchtende baryonische Materie in Form von braunen und weißen
Zwergen, Neutronensternen oder schwarzen Löchern dar. Messungen mithilfe des Gravitationslinseneffekts zeigen jedoch eine zu geringe Zahl, um einen
Großteil der dunklen Materie erklären zu können. [Per03]
WIMPs Die Notwendigkeit von nicht-baryonischer Materie für die Strukturbildung führt zu Kandidaten wie dem WIMP. Dieses stellt ein stabiles,
freies Elementarteilchen einer Masse von 10 GeV - TeV dar, das nichtrelativistisch ist. Es wechselwirkt nicht elektromagnetisch sondern nur auf der
Skala der schwachen Wechselwirkung. In der Theorie der Supersymmetrie,
die eine Erweiterung des Standardmodells darstellt, gibt es entsprechende
Teilchen. Im minimal supersymmetric standard model könnte das leichteste
stabile Teilchen Neutralino χ das gesuchte WIMP sein. Das χ hat eine Masse
der Größenordnung 102 GeV und ist sein eigenes Anti-Teilchen. [Ber05]
Die heute verbleibende Teilchendichte der WIMPs ergibt sich aus dem sogenannten freeze-out: die Abschwächung der Selbst-Annihilation durch die
fortschreitende Expansion des Universums bis zum Abfall auf einen konstanten Wert. Dies wird durch die Boltzmann-Gleichung wie folgt beschrieben
[Hoo09]
dnX
+ 3HnX = − hσA vi (n2X − n2X,eq ).
(3)
dt
Hierbei ist nX (nX,eq ) die WIMP-Dichte (im Gleichgewicht), H die Hubblekonstante und hσA vi der durchschnittliche Annihilationswirkungsquerschnitt
multipliziert mit der relativen Geschwindigkeit. Das Schema des Vorgangs
zeigt Abbildung 4. Eine numerische Lösung für WIMPs einer Masse von
GeV-TeV ergibt
3 · 10−27 cm3 /s
hσA vi
≈ 0, 26 ⇒ hσA vi ∼ 10−26 cm3 /s
Ωdm h2 =
Ωdm
Dieser Wirkungsquerschnitt entspricht dem typischen Wert für die schwache
Wechselwirkung, sodass die vorhandene Menge dunkler Materie von Ωdm ≈
0, 26 durch schwach wechselwirkende WIMPs dieser Masse erklärt werden
kann. Die erstaunlich gute Übereinstimmung wird auch als WIMP miracle
bezeichnet. Ein Experiment zur Suche nach WIMPs wird in Abschnitt 4
vorgestellt. [Hoo09]
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Abbildung 4: Schema des thermischen freeze-out [Hoo09]
Axions Eine alternative Form von nicht-baryonischer Materie könnten die
nach einem Waschmittel benannten Axions sein. Diese wurden im Zusammenhang mit dem starken CP-Problem postuliert. Die Lagrangefunktion
der Quantenchromodynamik verbietet keinen CP-verletztenden Term, experimentell wurde jedoch noch keine CP-Verletzung der starken Wechselwirkung beobachtet, wie es sich z.B. im fehlenden elektrischen Dipolmoment
des Neutrons zeigt. Als mögliche Lösung wird eine neue spontan gebrochene
U(1)-Symmetrie eingeführt als dessen pseudo-skalares Goldstone-Boson das
Axion mit einer Masse im Bereich von µeV auftreten würde. Bei genügend
hoher Dichte könnten diese einen relevanten Teil dunkler Materie darstellen.
Axions wurden bisher experimentell noch nicht nachgewiesen. [Per03]
Sterile Neutrinos Als Kandidaten kämen auch sterile Neutrinos in Frage,
die als rechtshändige Teilchen nicht schwach wechselwirken und eine Masse
der Größenordnung keV besitzen sollen. Eine Anfang 2014 in verschiedenen
Galaxienhaufen beobachtete Röntgen-Linie bei 3,5 keV könnten von sterilen
Neutrinos abgestrahlte Photonen sein. Der genaue Nachweis steht noch aus.
[Bul14]
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Experimentelle Suche nach Dunkler Materie
Bei der Suche nach dunkler Materie gibt es drei Detektionsmöglichkeiten
von Interaktionen zwischen dunklen Materie-Teilchen (DM) und bekannten
Teilchen des Standardmodells (SM)
• Indirekter Nachweis: DM + DM → SM + SM
• Collider Experimente: SM + SM → DM + DM
• Direkter Nachweis: DM + SM → DM + SM.
Indirekt könnte man die Annihilation von dunkler Materie bei genügend
hoher Teilchen-Dichte z.B. in der Nähe von schwarzen Löchern in den Annihilationsprodukten nachweisen. In Teilchenbeschleunigern könnte dunkle
Materie durch den Stoß zweier Standardmodell-Teilchen erzeugt werden und
durch fehlende, nicht beobachtbare Masse in den Kollisionsprodukten nachgewiesen werden. Ein direkter Nachweis bestünde in der Messung von charakteristischen Energieüberträgen bei der Streuung von dunkler Materie mit
baryonischer Materie. Die vermutete Teilchendichte von ρdm = 0, 3 ± 0, 1
(GeV/c2 )/cm3 in unserem Bereich der Milchstraße ermöglicht prinzipiell den
Nachweis dunkler Materie auf der Erde durch Streuexperimente [Bov12].
XENON Projekt Als Beispiel für direkte Suche nach dunkler Materie
wird das XENON Dark Matter Project vorgestellt. Dieses Experiment sucht
mithilfe von flüssigem Xenon als Detektormaterial nach dunkler Materie in
Form von WIMPs. In der aktuellen Stufe XENON1T (nach XENON10 und
XENON100) werden 3,4 t Xenon verwendet, wovon 1 t als aktives Detektormaterial genutzt wird. Aufgrund der zu erwartenden geringen Stoßrate
ist eine hohe Untergrundreduzierung nötig. Das Experiment ist deshalb zur
Abschirmung kosmischer Höhenstrahlung im Untergrundlabor LNGS unterhalb des Gran-Sasso-Massivs in Italien in Tiefe von 3600 m Wasseräquivalent
stationiert. Weitere Untergrundreduzierung erfolgt durch einen den Detektor
umschließenden Wassertank, den Einsatz von ultrareinen Materialien sowie
spezielle Methoden zur Reinigung des verwendeten Xenons. [Apr10]
Dieses bietet aufgrund der hohen Dichte und Kernladungzahl Z = 54 in
der äußeren Detektorschicht zusätzliche Abschirmung radioaktiver Strahlung. Wegen seiner hohen Massenzahl A ≈ 131 ist es ein guter Stoßpartner
für Streuexperimente und die Durchlässigkeit des eigenen Szintillationslichts
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Abbildung 5: Das XENON Experiment im LNGS Untergrundlabor unterhalb des
Gran Sasso Massivs (Hintergrund). Links: Skizze der Laborhalle. Rechts: Detektor
im 10m hohen Wassertank. Abbildung mit Genehmigung der XENON Kollaboration.
lässt den Einsatz einer Zwei-Phasen-Zeitprojektionskammer zu. In dieser sollen die Stöße von WIMPs mit den Xenon-Atomen durch Detektion von charakteristischer Ionisations-Strahlung sowie von entstehendem Szintillationslicht entdeckt werden. [Apr09]
Bei XENON1T ist eine Sensitivität für den spinunabhängigen Wirkungsquerschnitt von σ = 2 · 10−47 cm2 bei einer WIMP-Masse von 50 GeV/c2 geplant
[Apr10].
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Zusammenfassung
Es gibt viele unabhängige Hinweise für die Existenz dunkler Materie aus
verschiedenen astrophysikalischen Beobachtungen. Diese macht nach aktuellen Rechnungen innerhalb des kosmologischen Standardmodells gut ein Viertel der Energiedichte des Universums aus. Die genaue Beschaffenheit dieser
nicht-baryonischen Materie ist jedoch noch unbekannt.
Ein Favorit unter verschiedenen Kandidaten ist das WIMP. Nach diesem
wird unter anderem im XENON Dark Matter Project mit immer größeren
und sensitiveren Detektoren gesucht. Die Entdeckung steht bis heute jedoch
aus, sodass dunkle Materie nach wie vor ein ungeklärtes Problem der theoretischen und experimentellen Physik darstellt.
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Literatur
[Apr09] E. Aprile et al., Liquid Xenon Detectors for Particle Physics and Astrophysics, Rev.Mod.Phys.82:2053-2097, 2010, arXiv:0910.4956v1, 2009
[Apr10] E. Aprile (XENON1T), XENON1T at LNGS, Technical Design Report, 2010
[Beg91] K. G. Begeman et al., Extended rotation curves of spiral galaxies Dark haloes and modified dynamics, Monthly Notices of the Royal
Astronomical Society 249, 1991: 523-537
[Ber05] G. Bertone et. al, Particle Dark Matter: Evidence, Candidates and
Constraints, Phys.Rept.405:279-390, 2005 arXiv:hep-ph/0404175v2
[Bov12] J. Bovy et al., On the local dark matter density, Astrophys.J.756:89,
2012, arXiv:1205.4033v2
[Bul14] E. Bulbul et al, Detection of An Unidentified Emission Line in the
Stacked X-ray spectrum of Galaxy Clusters, arXiv:1402.2301v2 ,
2014
[Clo06] D. Clowe et al., A direct empirical proof of the existence of dark
matter, Astrophys.J.648:L109- L113, 2006
[ESA13] http://www.esa.int/spaceinimages/Images/2013/03/Planck cosmic recipe
[Hoo09] D. Hooper, TASI 2008 Lectures on Dark Matter, 2009 arXiv:0901.4090v1
[Per03] D. Perkins, Particle Astrophysics, Oxford University Press, 2003
[Pla13] Planck Collaboration, Planck 2013 results. XV. CMB power spectra
and likelihood, 2013, arXiv:1303.5075v2
[Zwi37] F. Zwicky, On the Masses of Nebulae and of Clusters of Nebulae,
Astrophys. J. 86, 217, 1937
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